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Karl der Große im Norden

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6.3. Alterität in der altschwedischen Roncesvalles-Episode

AlteritätRoncesvallesDie Präsenz von Muslimen und Juden im mittelalterlichen Skandinavien und in der baltischen Region kann durch keine Quellen belegt werden. Jonathan Adams und Cordelia Heß definieren deren Existenz im Norden daher als absent presence.1 In der Tat kam die Begegnung mit den Muslimen im ostnordischen Raum vor allem auf literarischem Wege zustande: durch Übersetzungen und Adaptionen der kontinental-europäischen Stoffe, zu denen auch die übersetzte Karlsdichtung gehört. Dabei wurden Alteritätskonstruktionen transportiert, die in der zentraleuropäischen Literaturtradition bereits die Grenzen zwischen den historiographischen, religiösen und fiktionalen Diskursen in der Darstellung des Fremden sowie des Anderen verschwimmen ließen und als Medien der Identitätsschaffung narrativ stabilisiert wurden. Darauf ist wohl zurückzuführen, dass das Islambild der altostnordischen Literatur pejorativ konnotierte Stereotypen enthielt, wie Adams in seiner Studie zum Islambild in Fornsvenska legendariet, Själens tröst sowie Mandevilles Rejse feststellt:

These texts do not reflect actual contact between the North and the Islamic world, but rather the incorporation of anti-Muslim polemics and the standard stereotypes of Western Christendom into East Norse literary culture.2

Dass der narrative Entwurf der Begegnung mit dem Anderen nicht auf tatsächlichen Kontakten mit den Sarazenen bzw. Heiden beruhte, sondern aus einem bereits etablierten Islambild resultierte, dürfte auch im Falle der adaptierten Chanson de RolandRoland Tatsache sein. Dass aber dieses Islambild in der binären Opposition gut/ böse bzw. christlich/ heidnisch keineswegs stabil war, hat bereits die vorangehende Analyse gezeigt. Ob die altschwedische Adaption ebenfalls im Dienste einer literarischen Kreuzzugslegitimation ein geschlossenes Konzept der westlich-christlichen Identität propagiert oder ob an dem transportierten Islambild bereits Verschiebungen und Hybridisierungen des heidnischen Anderen erkennbar sind und welche Funktionen die möglichen Modifikationen im altschwedischen literarischen System haben, wird im Folgenden anhand des close reading ausgewählter Passagen beantwortet.

Die Adaption der Schlacht von RoncesvallesRoncesvalles ins Altschwedische ist vor allem durch eine rigorose Kürzungstendenz gekennzeichnet, die alle deskriptiven Details zu diesem historischen Ereignis betrifft. Die altschwedische Episode konzentriert sich vor allem auf die Schlachtbeschreibungen und Rolands Tod, ohne dass die Vorgeschichte des Verrats Ganelons eingangs thematisiert wird.3 Diese Omission schafft zwar zum einen gewisse Leerstellen, die vom Rezipienten selbst gefüllt werden können, verhindert aber zum anderen nuancierte Lesarten, die eben die Fragilität und Brüchigkeit der christlichen Gemeinschaft offenbaren. Die Schlacht von Roncesvalles ist daher in erster Linie der martialischen Ästhetik des Kampfes verpflichtet, des Kampfes zwischen den Christen und den Heiden oder, um es so plakativ, wie die Episode es nahe legt, zu formulieren: zwischen Gut und Böse. Dennoch liefert sie auch bestimmte Bilder der Anderen, der Sarazenen. Diese werden hier durch wenige erklärende Sätze allerdings recht einseitig dargestellt. Eine Art Epilog bietet die Eröffnungsszene mit dem Satz:

Hær sigx aff hærfærdh the som

k: m k: foor til spania landh

a hender marsilio konunge Om

han satte effter sik j landwærn4

Mit dieser einleitenden Floskel ist die Episode im Grunde als hærfærdh mit der Begründung landwærn in all seiner Gesamtheit charakterisiert.

Anschließend wird Karls Nachhut thematisiert, dabei wird RolandRoland nicht namentlich, sondern lediglich als „systerson sin“ (KM, D4a, S. 44, 3) – sein Neffe – aufgeführt. Augenscheinlich wurde die Tatsache als bekannt vorausgesetzt, sodass die Rezipienten dieses Verwandtschaftsverhältnis selbst dekodieren konnten. Interessanterweise listet die Handschrift Cod. Holm. D3Cod. Holm. D3 (Fru Elins bok), die etwa auf dreißig bis vierzig Jahre später datiert wird,5 Roland namentlich auf: „roland syster som sin“ (KM, D3, S. 45, 3) – Roland, sein Neffe. Vermutlich hat der Redaktor der späteren Textfassung den Namen hinzugefügt, um sein Publikum frühzeitig über das Verwandtschaftsverhältnis zwischen Roland und Karl zu informieren. Weitere Beteiligte sind Olo, ærchibiscop Torpen, Serin, Geres, Hatun starke, Beming, Sampson hertuge, Jwan, Jwore, Engeler und Geradh hin gambla. Die Reihenfolge weicht in Cod. Holm. D3 unwesentlich ab; auffällig ist hierbei die Tatsache, dass Erzbischof Turpin hier offensichtlich nicht dem Zwölferbund angehört, obwohl seine Rolle im Kampfgeschehen von großer Relevanz ist. Auch der in anderen heldenepischen Gedichten dem Kreis der Zwölf assoziierte Ogier/ HolgerHolger Danske findet in den skandinavischen Übertragungen keinen Raum. Den zwölf Gefährten stehen Tausende Christen zur Seite, als Karl sie verlässt.6 Der Abschied wird von einer Vorahnung begleitet, die aus Karls Träumen resultiert und den Verrat Ganelons auf diese Weise thematisiert:

Swa myklæ sorgh haffuer iach / at

iach giter ey a hestæ sitit for gwenel

iærll skuld / for thy nw warder franz

æruingiæ løst j nat / fore mik bars

som gudz engil kom til min / och brøt

sunder spiuthskapt mith mellan mina

handa / och thy wet iach at swiken ær

roland systerson min.

Gwenels (Ganelons) Verrat wird auf diese Weise als Katalysator des Untergangs eingeführt, allerdings ohne jegliche Vorgeschichte, die sowohl das Verwandtschaftsverhältnis (Rolands Stiefvater) als auch die Nähe zu Karl erklären würde. In Cod. Holm. D4Cod. Holm. D4aCod. Holm. D4a heißt es irrtümlicherweise:

Mag-

nus k: hin hedne / och gwenel iærl haffuer

radhit swik wider rolandh och them tolff

jæmpnunga Och haffuer gwenel thigat

ther til godha gaffuor / badhe j gull

och silffuer j hæstum och andhrom haffwom.7

Hier wird der König Marsilius als „magnus k: hin hedne“ – König Magnus der Heide – tituliert, wohingegen Cod. Holm. D3Cod. Holm. D3 an dieser Stelle unmissverständlicher „Marsilius konungh then hædin“ (KM, D3, S. 47, 2–3) – König Marsilius der Heide – namentlich nennt. Die Bezeichnung „magnus“ ist insofern irreführend, als in der vorgehenden Episode der Reise nach Jerusalem und Konstantinopel erklärt wird, wie Karl zu diesem Beinamen kommt. Die konsequenterweise sich durch den gesamten Text ziehende Bezeichnung „k magnus“ für Marsilius eröffnet damit aber eine virtuelle Ununterscheidbarkeit zwischen den beiden Königen, deren einziges Differenzierungsmerkmal zunächst in ihrer Zugehörigkeit zu Christentum bzw. der polytheistischen Idolatrie besteht.

Auch die Passage, die mit „nw sampnar magnus k: hær sinom. k: iærlla hertuga och allom rikis mannom“8 eingeleitet wird, liest sich zunächst wie ein von Karl Magnus initiierter Kampfruf, bis die Richtigstellung mit der geographischen Angabe „j lande thy som saragus heter“9 hergestellt ist. Hier werden zudem die heidnischen Götter „magment och terogant, guda waron“10 eingeführt, auch wenn nicht in der sonst prominenten Dreieinigkeit des heidnischen Pantheons, bestehend aus Apollo, Tervagant und Muhammad.11 Parallel zum Zwölferbund um RolandRoland weist die heidnische Armee ebenfalls zwölf Gefährten auf: „Nw æro talde tolff iempnungar hedne mæn mote them tolff cristnom mannom“12. Die Organisation der heidnischen Armee um den Zwölferbund der Gefährten ist parallel zu der christlichen konzipiert, so dass man an dieser Stelle von einem mirror image hinsichtlich der Armee-Struktur sprechen kann. Ihre Unterschiede werden nun lokal („saragus“) und religiös („magment och terogant“) narrativ begründet. Doch welche Attribute werden den heidnischen Kämpfern attestiert und welches Bild wird damit auf der narrativen Ebene vermittelt?

Die Bezeichnungen für Marsiliusʼ Kämpfer sind nicht besonders vielfältig: Die häufigste Umschreibung ist hedhæn bzw. blaman. Dies sind auch die üblichen Bezeichnungen für Muslime in den altostnordischen Texten.13 Darüber hinaus werden die einzelnen Kämpfer deskriptiv vorgestellt. Folgende Beispiele belegen, dass es sich hierbei um eine als eindeutig zu bewertende Dämonisierung handelt, welche oppositionär zum christlichen Wertekanon konzipiert ist. So heißt es in Bezug auf Margaris, aus dem Lande Katamar: „heden man ær engin swa goder riddare“14. Hinsichtlich der Geographie kann man ebenso von einem Dämonisierungsdiskurs ausgehen, so wird das Herkunftsland des Heiden Gernwbulus z.B. als toter Ort beschrieben:

thy lande som han ær ma ey sooll skina

och korn bæræ eller wæxæ / ey regn

komma/ ey blomster springa.15

Der Bruder des Königs Marsilius Falzaron stammt aus einem Land, wo

waro swa onde mæn at jordhin yp-

nadis fore them och swnko swa nider

til helffuitis16

Neben diesen geographischen Dämonisierungsdiskursen finden sich auch Wertungen, die auf das amoralische Verhalten der Heiden hinweisen, so im Falle Waldabrisʼ, der nur durch Betrug die Stadt Jerusalem erobert und dort weitere Gräueltaten verübt habe:17

 

han wan iherusalems

borgh mz swikom / han smittadhe templum dominj

och drap patriarchan.18

Vereinzelt finden sich relativierende Aussagen, die gar als positiv bewertet werden können: So werden die schon eben genannten Heiden Gernwbulus und Margaris als „badhe godhe riddarea starke och hardæ“ (KM, D4a, S. 64, 30–31) – beide gute und starke Ritter – beschrieben. Darüber hinaus heißt es über Margaris: „och godher drenger ware han om han ware cristin“ (KM, D4a, S. 70, 16–18) – ein guter Knabe wäre er, wenn er ein Christ wäre –, Clibanus sei „raskare æn swala flygande“ (KM, D4a, S. 72, 8) – schneller als eine fliegende Schwalbe – und Grondomes „war skiutare æn fogill flygande“ (KM, D4a, S. 74, 29–30) – schneller als ein fliegender Vogel. Diese Eigenschaften definieren die Heiden zumindest auf dem Schlachtfeld als würdige Gegner der christlichen Armee, deren Makel allein in der muslimischen Religionszugehörigkeit besteht. Diese Differenz wird im Text nur an wenigen Stellen thematisiert, so z.B. in Form einer direkten Anrede durch RolandRoland, wenn er im harten Kampf die Heiden adressiert:

Nw skulen j wita och fres-

ta huru mykit idher trægud mogho mo-

te gudhi warom alzwaldugom och petro apostolo,19

oder wenn Marsilius „kallar a trægud sin Magment och therogant och bider them hielpæ sik“.20

Die aufgeführten Beispiele zeigen, dass durch den Prozess der Übertragung und die damit einhergehende Kürzung mancher deskriptiver Passagen im Hinblick auf die Verhandlungen mit der AlteritätAlterität eine Komplexitätsreduktion festzustellen ist. Der altschwedische Text hält sich an die stereotype Handlungsdarstellung der Vorlage(n), tilgt jedoch u.a. theologische Diskurse, die in Form von Dialogen die virtuelle Indifferenz der beiden Glaubensgemeinschaften erst erzeugen würden. Was bleibt, ist die zuweilen relativierte Negativattribuierung der feindlichen Armee, die einerseits durch ihre geographische Herkunft, andererseits durch ihre Zugehörigkeit zum Islam ein per se zu bekämpfendes Kollektiv darstellt. Die Vorgeschichte des Verrats von Ganelon, der die Zerbrechlichkeit und Brüchigkeit innerhalb der christlichen Gemeinschaft entweder generiert oder sie bereits bezeugt, spielt in der altschwedischen Adaption kaum eine Rolle – auch wenn Ganelon am Ende mit einer brutalen Todesstrafe dafür belangt wird. Der Hauptakzent liegt hier ganz klar auf den Kampfdarstellungen, die mitunter redundant und stereotyp ausfallen, so durch die formelhaften Wendungen „och hug til hans mz swærde sino och felte han døden a jordh“21 oder „och fælto han dødhan aff hæstæ sinom“22. Die Kampfszenen sind einer expliziten heldenepischen Gewaltästhetik verpflichtet, wie beispielsweise im Kampf Rolands mit Grondomes, der unmittelbar davor als „godher riddaræ, starker och rasker“ (KM, D4a, S. 76, 13–15) – ein guter Ritter, stark und schnell – beschrieben wird:

thy hiog

roland effter honom / och kløff hoffwd hans swa

at j tannom staddis / och annat j axl hans swa

at baken nider j gik han och hæst hans j

tridhiæ spiutskapt lankt j iordhena23

oder in Olivers Zweikampf:

nw

rider olo och slo en hedhin man j sit

howdh mz then endhæ som ater bleff

j handh hans aff spiutskapte hans

swa fast at sprungo badhon hans øgon

aff hans hoffde.24

Derart drastische Gewaltdarstellungen, wie sie auch die íslendingasögur kennen, sind dabei keineswegs eine Folge des Kulturtransfers und damit Merkmal der speziell altostnordischen bzw. altschwedischen Adaption des Stoffes, sondern finden sich in dieser Form in der altfranzösischen Version wie in den altwestnordischen bzw. altdänischen Übertragungen. Die Kodierung wie die sprachliche Repräsentation der Gewalttaten in den mittelalterlichen Texten ist also eher von gattungsspezifischen Aspekten geprägt,25 die in die Genese einer bestimmten Sinnproduktion miteinfließen. In der Heldenepik ist die Legitimation der Gewalt gattungsspezifisch, so Payens, wenn er schreibt: „L’épopée est par définition apologie de la violence“.Roland26 Der Gegner der epischen Gewalt ist „lʼautre, lʼétranger, lʼethnie ou la culture concurrentes, dont on accuse les différences jusquʼà la monstruosité“.27 Doch gerade in Bezug auf die Auseinandersetzung mit der islamischen Welt bekämpfen sich zwei ähnlich strukturierte Feudalsysteme, deren Krieger durch ähnliche Werte miteinander verbunden sind, allein aufgrund religiöser Differenz.28

Die bereits angesprochene Komplexitätsreduktion der altschwedischen Adaption betrifft allerdings nicht nur deskriptive oder diskursive Abschnitte, die ein differenziertes, nuanciertes Bild der Gegner erlauben würden, sondern auch jene, in denen Ironisierungs- und Herabwürdigungstendenzen in Bezug auf die kämpferischen Tugenden der heidnischen Armee und den Umgang mit ihren Idolen zu finden wären. Diese sind in der Chanson de RolandRoland unübersehbar, ebenso wie in anderen volkssprachigen Überlieferungen, beispielsweise im Rolandslied des Pfaffen Konrad (um 1170).29 Jene Textpassagen, in denen die Zerstörung der Götzenbilder durch die Sarazenen selbst einen Zusammenbruch der heidnischen Weltordnung und damit den Sieg des Christentums markiert, sind in der altschwedischen Episode ebenso wenig enthalten wie die bereits im vorangehenden Kapitel thematisierte heidnische Königin BramimondeBramimonde, deren Bekehrung zum Christentum als finaler Akt der Akkulturation interpretiert wurde.

Wie die Analyse der relevanten Textpassagen gezeigt hat, ist die altschwedische Adaption der Chanson de RolandRoland vor allem durch Kürzungs- und Auslassungstendenzen gekennzeichnet. Diese betreffen auch jene Stellen, die ein differenziertes Bild der heidnischen Gegner, der Sarazenen, im Text als blamæn gekennzeichnet, generieren. In der binär konstruierten Konfrontation zwischen zwei sich bekriegenden Weltordnungen, der christlichen und der islamischen, überwiegt die Dämonisierungstendenz in der narrativen Repräsentation des Anderen, vor allem wenn es um deren geographische Zuordnung geht. Überraschend relativierend ist hingegen das tadellose Verhalten einiger namentlich aufgelisteter heidnischer Krieger, die man als gute Ritter bezeichnen würde, wären sie Christen – doch da sie es nicht sind, erwartet sie ein drastischer Tod durch Roland und seine zwölf Paladine.Konung Alexander30 Die Kampfhandlungen und Gewaltdarstellungen, die in Karl Magnus akzentuiert werden, dienen hier u.a. der Genese eines „singulären Helden“,31 der im Sinne des Kollektivs agiert und dessen unvergleichlich brachiale Gewaltakte ihn für ebenjenes Kollektiv unsterblich und unentbehrlich machen. Ebenso kann man davon ausgehen, dass diese durchaus gattungsspezifische Ästhetik des episch-heroischen Genozids das Publikum sicherlich auch zu faszinieren vermochte.

Als Fazit lässt sich feststellen, dass der altschwedische Karl Magnus durch die konsequente Tendenz zur brevitas den thematischen Schwerpunkt auf den ideologisch motivierten Kampf zwischen den Christen und den Heiden legt. Die zentrale Figur des Geschehens ist, vergleichbar mit anderen volkssprachigen Überlieferungen der Chanson de RolandRoland, hauptsächlich Roland und sein bester Freund und Schwager Olo (Oliver). Durch den martialischen Fokus überwiegt der Dämonisierungsdiskurs, wenn es um die narrativen Darstellungen der Anderen geht – ein nuanciertes Bild wird hier durch eine marginale Positivattribuierung der Sarazenen im Hinblick auf ihren Kampfesmut, der im Wertekanon der beiden Weltordnungen vertreten sein dürfte, zumindest angestrebt, aber nicht ganz realisiert. Zweifelsohne bedarf die Genese eines singulären Helden auch würdiger Gegner, deren Herkunft zwar dämonisch und obskur ist, deren Kampffertigkeiten aber tadellos sein müssen. Die Exklusion der narrativ in doppelter Hinsicht anders kodierten Figur der heidnischen Königin BramimondeBramimonde – zum einen als weiblich in einem monologisch-maskulinen epischen Universum, zum anderen als heidnisch in einer xenophob-ideologischen christlichen Welt – trägt zu der reduktionistischen Weise des Umgangs mit dem Anderen im altschwedischen Karl Magnus bei.

6.4. Alterität in Karl Magnus Krønike

AlteritätDie altdänische Krønike umfasst in ihrer zirkulären Struktur, beginnend mit der Kindheit und endend mit dem Tod Karls des Großen, insgesamt acht Kapitel, die ohne überleitende Sätze und das Bemühen um die logische Stringenz aneinandergeknüpft sind und sich auf der thematischen Ebene vor allem auf den Kampf Karls des Großen gegen die Heiden konzentrieren. Aufgrund der unterschiedlichen Überlieferungssituation bieten sich nicht nur die beiden (im Altschwedischen erhaltenen) Episoden, die Schlacht von RoncesvallesRoncesvalles und Karls Reise, als Grundlage für Analysen an. Auch weitere Episoden ermöglichen gewinnbringende Kontextualisierungsmöglichkeiten hinsichtlich der Alteritätsdiskurse. Zentral soll dennoch die Roncesvalles-Episode sein, da erst der Vergleich zwischen den beiden altostnordischen Bearbeitungen Aussagen darüber erlauben wird, inwiefern man hier von gemeinsamen altostnordischen Entwicklungen in Bezug auf die Adaption der Alteritäts-Diskurse sprechen und ihre Funktion im altostnordischen Literatursystem bestimmen kann.

6.4.1. Alterität im altdänischen Rolandslied: „flyn wndhen i hedhen hwnde …“1

AlteritätDie einleitenden Sätze der Krønike sind einem kurzen historischen Abriss über Karls Niederlage in Saragossa gewidmet: Dem Rezipienten werden in knapper Form sowohl die geographische Lage („pa eth høgt bergh“ – auf einem hohen BergKMK, S. 282, 15) als auch Informationen über deren Herrscher König Marsilius präsentiert. Kriegerische Auseinandersetzungen werden ebenfalls sofort thematisiert, wenn es etwa in Marsiliusʼ Ansprache an seine Männer heißt: „her kommer k m keysære ok will forhære worth land“2 oder wenn RolandRoland Karl den Großen auffordert, noch die letzte Station Saragossa zu erobern und Marsilius entweder zu töten oder zu christianisieren: „worder anthen dræben eller cristeneder“ (KMK, S. 284, 20). Das „worde cristen“ – Christ-Werden, die Bekehrung als Hauptintention zieht sich zunächst programmatisch durch das gesamte Epos. Im Vergleich zu der altschwedischen Bearbeitung legt die Krønike noch weniger Wert auf ein hybrides oder gar relativierend-positives Bild der Sarazenen; die Attribuierung der Sarazenen ist vor allem abwertend und dämonisierend, wie die folgenden exemplarischen Textpassagen belegen.

Im Kampf mit Adelrot, dem Neffen Marsiliusʼ, bezeichnet ihn RolandRoland, der Neffe Karls des Großen – um an dieser Stelle nur noch auf die Parallelstruktur der beiden Parteien hinzuweisen – als „tin ondhæ hwnd, icke skall frankerige tabæ syt godhæ priis for mynæ skill“3 (m. H.). Er tituliert die gesamte Armee so, wenn er sie zum Fliehen auffordert: „flyn wndhen i hedhen hwnde i wynnen aldrigh seger aff megh“4 (m. H.). Das Dämonische der Sarazenen wird durch ihren vermeintlichen Ursprung weiterhin thematisiert, wenn es darum geht, sie zurück in die Hölle zu schicken: „nw wisser jeg teg till heluedis“5 (m. H.) oder wenn Oliver im Dialog mit Roland seine Handlungen begründet: „Jeg feck icke draget myth swærd swa snard so harmt war megh pa thenne dieffuel“6 (m. H.). Wallebrus, der auch schon in der altschwedischen Episode aufgrund seines amoralischen Verhaltens Erwähnung findet, wird folgendermaßen beschrieben: „En hedhen heth wallebrus han hadde wunnet iherusalem met for rædelsæ oc gick i salamonis tempel oc drab patriarghen jnne for høge alter“.7 Diesen überwindet Roland und übt zugleich Rache für die durch Verrat eroberte Stadt Jerusalem, einen symbolisch aufgeladenen Ort, der bestimmte eschatologische Vorstellungen evozierte,8 um Wallebrus gleichzeitig auf seinen richtigen Weg zu schicken, nämlich „wegen till helffuedis“ (KMK, S. 300, 11, m. H.), – in die Hölle.

 

Jenseits der Bezeichnung ‚Heide‘ wird der heidnische Diskurs jedoch in keiner Weise thematisiert. Die üblichen Vertreter des heidnischen Pantheons, Tervagant, Apollo und Muhammad finden hier keine namentliche Erwähnung, lediglich eine ebenso dämonisierende Bezeichnung in der Gegenüberstellung der Religionen durch RolandRoland: „nw skulle i rønæ Om ether drawels gude ære meghtugere en gudz søn aff hymmerige och sancte pedher apostell“.9

Obgleich der Text im Vergleich zur altschwedischen Bearbeitung auf der inhaltlichen Ebene die Katastrophe von RoncesvallesRoncesvalles zwar stringenter, aber immer noch vollständig behandelt, so ist hier ebenfalls eine Tendenz zur Komplexitätsreduktion in Bezug auf polyvalente Alteritätsbilder festzuhalten. Dies äußert sich durch eine Simplifizierung bei der Beschreibung der Heiden, die sich zwischen Dämonisierung und Herabwürdigung verorten lässt. Auch wenn die anfangs noch kommunizierte Möglichkeit einer Bekehrung, worder anthen dræben eller cristeneder, die sich eindeutig am Gebot des Kreuzzugspredigers Bernhard von Clairvaux orientiert,10 eine Alternative zum Massaker von Roncesvalles sein könnte, wird ihr Potenzial im Verlauf des Textes nicht realisiert, bis auf die abschließende Passage, in der die heidnische, allerdings sächsische Königin Sybilia zum Christentum konvertiert. Diese bereits im Zusammenhang mit den gattungsspezifischen Gender-Diskursen diskutierte Bekehrung ist an dieser Stelle insofern relevant, als Sybilia zwar das heidnische Andere repräsentiert, jedoch nicht zum Kollektiv der Sarazenen gehört, deren einziger Ausweg aus Roncesvalles wegen till helffuedis ist.

So überrascht es nicht, dass den dämonisch skizzierten Heiden die christlichen, als Märtyrer dargestellten Helden, RolandRoland, Oliver und ihre Gefährten gegenübergestellt werden. Bereits bei der Abreise Karls aus RoncesvallesRoncesvalles wird der Märtyrertod und der Untergang der fränkischen Armee durch den prophetischen Traum Karls präfiguriert. Rolands Bewertung der Schlacht, die angesichts des nahenden Todes seines Freundes und Waffenbruders Oliver emotional-episch gefärbt ist, fällt eindeutig aus, wenn es heißt: „ther till wastu skapt i werdhen ath styrkæ och op retthæ rettwishet och nedræ høgffærd och wretth enghen ryddere war bædræ i werden en tw“.11 Dass rettwishet und wretth hier auf der christlichen bzw. heidnischen Seite zu verorten sind, daran lässt die Episode keine Zweifel aufkommen. Auch Rolands Würdigung als Ritter und Kämpfer durch Karl bezeugt seine Singularität als Held, dessengleichen die Welt nie wieder erblicken werde, wie Karl angesichts des getöteten Roland ausruft: „welsignet wore tw roland So wæl død som løffuendis tin lyghæ worth aldrigh fødder tu wast bode gudz wen oc danne manne“.12

Der ideologisch-christliche Fokus der Erzählung wird narrativ zusätzlich durch viele Träume und Mirakel – „stor jertegnæ“ (KMK, S. 298, 18) – verstärkt, die zum einen den Tod Rolands vorausdeuten und zum anderen aber auch gleichzeitig den göttlichen Beistand illustrieren. Neben Karls prophetischen Träumen sind es vor allem Naturerscheinungen vor Ort in RoncesvallesRoncesvalles, welche die Katastrophe prognostizieren: So verdunkelt sich der Himmel am Tag der Tragödie, weil die Sonne an einem solchen Tag kein Licht mehr spenden kann. Die Interpretation des Ereignisses wird dem Rezipienten unmittelbar angeboten, wenn es heißt: „sanctus egedius syger ath thet iertegne skede for rolandz skilld thi han skullæ dø then dag“.13 Nach der Schlacht betet Karl zu Gott und bittet um Hilfe bei der Trennung der heidnischen und christlichen Leichname. Am nächsten Morgen „stod en tornæ bosk wit hwor hedningis howet ok the cristne loge som thee ware falnæ“.14

Die aufgeführten Beispiele belegen, dass die Übersetzung und Adaption der Chanson de RolandRoland rhetorisch immer noch im Dienste einer Kreuzzugsideologie stehen. Dabei verlagert sich der Fokus im Zuge des Transfers von dulce France auf die gesamte Christenheit. Die epische Apokalypse von RoncesvallesRoncesvalles steht dabei im reduktionistischen Duktus eines dämonisch kodierten Anderen – die Strafe für das Anderssein führt sie direkt in die Hölle.