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Karl der Große im Norden

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5.3.4. Ostnordische Männlichkeiten – immer noch monologisch?

Die jedem Genre eingeschriebenen spezifischen Ideologien und Machtstrukturen spielen eine entscheidende Rolle bei der Konstruktion kultureller Geschlechterbilder und Relationen – so die Ausgangsthese der folgenden Analyse. Die ins Altschwedische und Altdänische übertragenen chansons de gesteXE "chansons de geste lassen sich streng genommen nicht mehr als solche klassifizieren, fehlt doch bereits das formale Charakteristikum der chansons, die Laisse, eine Strophenform, deren Verse – Zehnsilbler oder Alexandriner – durch Assonanz, in der späteren Dichtung durch Reim verbunden sind. Eine Zäsur zwischen den beiden Halbversen, die in der Regel nach der vierten Silbe liegt, ist ein weiteres Kennzeichen der Laisse, die eine inhaltlich abgeschlossene Einheit bildet.1 Durch die Prosifizierung entfallen jegliche formale Kriterien der gebundenen Dichtung; gewiss bleibt die thematische Komponente, nämlich die Heldentaten bedeutender Persönlichkeit aus dem fränkischen/ französischen heroic ageheroic age, der Karolingerzeit. Während in der Altwestnordistik die Karlamagnús sagaKarlamagnús saga ok kappa hans zum weiteren Kreis der übersetzten riddarasögurriddarasögur gehört, gibt es für die beiden altostnordischen Adaptionen keine eindeutigen Genre-Bezeichnungen – übersetzte Karlsdichtung oder adaptierte chansons de geste als Subgattung treffen hier am besten zu, signalisieren doch Adjektive ‚übersetzt‘ und ‚adaptiert‘ eine weite Bandbreite an den damit verbundenen kulturellen Prozessen, während die ursprüngliche Gattungsbezeichnung sie historisch zu verorten hilft.

Dass bestimmten Genres Ideologien eingeschrieben sind, scheint hinsichtlich ihrer Funktionen in ihrem jeweiligen kulturellen und literarischen System, wie die PolysystemtheoriePolysystemtheorie sie erfasst, nachvollziehbar. Dienten die chansons de gestechansons de geste der Identitätsstiftung und -vergewisserung der milites in einem feudalen, patriarchalischen Machtgefüge, so wurden dementsprechend Bilder einer hegemonialen Männlichkeit literarisch produziert. Im narrativen Setting weitestgehend marginalisiert, bestätigten Frauengestalten die strategisch-ideologische Konstruktion der dominanten Männlichkeit. Die zentrale These zur Textanalyse der in den ostnordischen Adaptationen produzierten Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder beruht auf der Möglichkeit einer Auflösung der sich gegenseitig bedingenden Kausalitätskette Genre – Ideologie – Gender durch bereits transformierte und damit unscharfe Genre-Grenzen im Prozess der Übertragung. Eine Variation wäre, in den Termini der Polysystemtheorie ausgedrückt, ebenso möglich: Genre – Polysystem/ Funktion – Gender. Demnach würden die den Genres eingeschriebene Funktionen die Adaptionen auf vielen Ebenen beeinflussen, auch auf der Ebene der Personenrelationen und Gender-Konstrukte, die sich zweifellos als historisch variabel beschreiben lassen. Aus dem Korsett der Kanonisierung und den Verpflichtungen des kollektiven Gedächtnisses losgelöst, öffnen sich die Texte den gewandelten kulturellen Anforderungen und werden, bedingt durch das neue soziokulturelle System, neu gestaltet – so ist die textuell-optimistische Vision für die vorliegende Untersuchung.

Die schwedischen Bearbeitungen der Karlsdichtung, in den vier bereits dargestellten SammelhandschriftenSammelhandschrift enthalten, lassen sich durch Intertextualität2 innerhalb der Handschriften in ihrer ideologischen Funktion zur Darstellung eines rex iustusrex iustus anhand des entworfenen Karlsbildes erfassen. Die Koexistenz weiterer Texte aus dem höfischen Kontext, die unterschiedliche Herrschaftsmodelle repräsentieren, lässt darauf schließen, dass auch Karl Magnus eine Vorbildfunktion hatte und den zeitgenössischen Monarchen in den Wirren der Kalmarer UnionKalmarer Union als Spiegel vorgehalten wurde. Die Erkennnisse hinsichtlich der Besitzerverhältnisse – drei der vier Handschriften waren in Besitz adliger Frauen, mindestens eine, nämlich Fru Elins Bok, wurde als Auftragsarbeit für ebenjene Fru Elin angefertigt – lassen zumindest ein Interesse an anderen als nur heroischen Inhalten erkennen. Die EufemiavisorEufemiavisor und die darin verkörperten Modelle der höfischen Liebe, welche traditionsgemäß als diametral entgegensetzt zur männlichen Kriegsrealität der chansons de gestechansons de geste aufgefasst werden, erlauben die Prämisse, dass die Übersetzer/ Redaktoren der Karlstexte jene Frauengestalten kannten, die nicht nur marginalisiert wurden. Zentral für die Handlung ist beispielsweise Blanchefleur/ Blanzaflor in der Eufemiavisa Flores och Blanzaflor, der schwedischen Übersetzung des altfranzösischen Versgedichts Floire et Blanchefleur, die in allen vier Handschriften zusammen mit Karl Magnus überliefert ist.

Den späteren chansons de gestechansons de geste wurde bereits von der älteren romanistischen Forschung die Diagnose einer Kontamination durch den höfischen Roman gestellt – läge es daher nicht nahe zu vermuten, dass die viele Jahrhunderte später entstandenen Übersetzungen ganz anderen Einflüssen offen gegenüberstanden? Gänzlich unkommentiert darf jene ‚Kontamination‘ natürlich nicht stehen bleiben. Sarah Kay schreibt diesbezüglich: „Dire que la femme est plus important dans la littérature courtoise que dans les chansons de geste, cʼest lire des deux genres du point de vue de leurs protagonistes masculins“.chansons de geste3

Wie sind nun die Positionen der beiden Protagonistinnen innerhalb der altostnordischen Überlieferungen einzuordnen? Lässt sich anhand dieser Positionierung eine kohärente Haltung gegenüber den Frauengestalten in den übersetzten Texten erkennen?

Wirft man einen Blick auf die stark gekürzte Handlung der altschwedischen sowie altdänischen Bearbeitung der Chanson de RolandRoland, so wird recht schnell deutlich, dass die weiblichen Figuren der altfranzösischen Epik keinesfalls mehr narrativen Raum für sich beanspruchen können – die Stringenz-Ästhetik, welche die gesamte altdänische Chronik auszeichnet, betrifft auch die beiden AudeAude-Episoden. So lautet die erste Erwähnung der schönen Verlobten Rolands, der altfranzösischen Stelle stark ähnelnd:

Dist Oliver: „Par ceste meie [b]arbe,

Se puis veeir ma gente sorur Alde,

Ne jerreiez ja mais entre sa brace!“ (CdR, S. 134, 1719–1721)4

Oliuer sade thet ær icke myth rad och aldrygh skalltu fonge myn søster i sænge om tw giør thet (KMK, S. 304, 18–20)5

In der Bearbeitung büßt la belle AudeAude gar ihren Namen ein, sie wird in ihrer Persönlichkeit auf die familiäre Beziehung zu Oliver beschränkt. Dies, und die recht eindeutig konnotierte Übersetzung des euphemistischen Ausdrucks entre sa brace (‚in ihren Armen‘), mit fonge i sænge (‚ins Bett bekommen‘), verdeutlichen die Funktion der jungen Dame als sexuelles Objekt und gleichzeitig eine Art Gabe an RolandRoland durch Oliver, der sich in der Position sieht, diese Gabe zurückzuverlangen, falls die Vertragsbedingungen nicht erfüllt werden. Rolands Hochmut und seine Weigerung, rechtzeitig ins Horn zu blasen und um Hilfe zu rufen, führen zum Bruch in seiner Beziehung zu Oliver, die auf dem Loyalitätsprinzip, der Vasallentreue gegenüber ihrem gemeinsamen Herrn Karl und der gegenseitigen Hilfestellung beruht. Die Konsequenzen sind schwerwiegend: Zum einen ist es der Entzug der Gabe, der Siegestrophäe durch Oliver, zum anderen die womöglich gravierendere Konsequenz des Untergangs der Armee Karls und des Todes der beiden Protagonisten Oliver und Roland. So erkennt auch Roland den ernsten Tonfall von Olivers Drohung und stellt folgerichtig fest: „Nw æstu vredher“. (KMK, S. 304, 20, Nun bist du zornig.) Diese Floskel eröffnet Oliver eine Antwortmöglichkeit, die Lob und Tadel zugleich artikuliert und die gesamte Problematik des Rolandsliedes auf den Punkt bringt: „tw hauer eth manneligt hiertae och engen wishet cristne mæn ære dræpnæ for tith homodh skill“.6 Eine Todesahnung schwebt in diesen Zeilen mit, in der altfranzösischen Version noch deutlicher als in der Chronik:

hade tw blæst tha ieg batth teg tha hade k. kommet oss snarth till wntsætningh ok ware nw k marsilius och alth hans folk dræbæt.7

„Vos i murrez e France en ert huníe.

Oi nus defalt la leial cumpaignie:

Einz le vesp(e)re mult ert gref la departie“ (CdR, S. 136, 1734–1736).8

Dabei wird die eigentliche Todeserkenntnis in der altdänischen Bearbeitung von Erzbischof Turpin kommuniziert: „then dagh ær nw kommen ath wij skulle døø for gudz skyll“.9 Das unmittelbar bevorstehende Ende macht eine andere Lesart bezüglich der AudeAude-Aussage möglich: Es ist der Tod, der das ja mais und aldrygh in Olivers Worten markiert, doch dieser Tod ist, – und das wird explizit kommuniziert – die Folge von Rolands homodh, seiner démesure, Rolands Mangel an rechtem Maß und vernunftgemäßem Rittertum, der ihm den Zugang zu seiner Verlobten gleich zwei Mal verwehrt. Zum einen endgültig durch den bevorstehenden Tod, zum anderen ganz praktisch durch den Entzug der Gabe durch seinen Waffenbruder Oliver. So ist die an dieser Stelle noch namenlose Aude, zum sexuellen Objekt der Begierde degradiert, gleich doppelt um ihre Ehe gebracht, durch den tragischen Tod ihres Verlobten sowie ihres Bruders, der über ihr Schicksal entscheidet.

Für die Analyse ihrer Position in der altdänischen Chronik ist daher die zweite Episode von Bedeutung, in der AudeAude, befreit von familiären Bestimmungsinstanzen wie ihrem Bruder Oliver, nun zum aktiven Subjekt werden könnte, um selbst über ihre Zukunft zu entscheiden. Doch auch in der zweiten Episode bleibt Aude namenlos. Vorgestellt wird sie als „oliuers søster som war rolandz fæstæ møø“.10 An dieser Stelle wird ihre Position nicht etwa durch einen Namen und den Beinamen une bele damisele symbolisiert, sondern allein durch ihre Beziehung zu Oliver bzw. RolandRoland. Ihrer Individualität beraubt, oder erst gar nicht damit ausgestattet, verkörpert die namenlose Schwester bzw. Verlobte hier eine soziale Einheit, die durch die Heirat mit dem Repräsentanten des eigenen sozio-kulturellen Systems die wahre Endogamie11 vollziehen würde, um hier den Begriff von Claude Lévi-Strauss zu bemühen. Durch ihre Verlobung ist sie nicht mehr als eine Gabe, die zu verschiedenen Formen der Solidarität und reziproken Verpflichtungen führt. Da Roland aufgrund seines Hochmutes an den Verpflichtungen scheitert, wird ihm diese Gabe entzogen. Nach der Mitteilung von Olivers und Rolands Tod stürzt sie nieder vor Kaiser Karls Füße und „aff sorgh brast hennes hierthæ sønder“.12 Der plötzliche Tod aus Kummer, dem in der romanistischen Forschung bereits Aufmerksamkeit geschenkt wurde,AudeRoland13 ist ein durchaus verbreitetes Motiv der mittelalterlichen Literatur und erhält gerade in dieser altdänischen Bearbeitung eine besondere Bedeutung. Die Alternativlosigkeit dieses Todes macht ihn so einzigartig in der Überlieferung der Chanson de Roland, denn im Gegensatz zum lakonisch gehaltenen Tod der altdänischen Version bietet ihr Karl der Große in der altfranzösischen Überlieferung einen möglichen Ausweg aus ihrer Trauer: Die Heirat mit seinem Sohn Ludwig/ Louis, der sein Reich erben sollte. Audes Meinung darüber wird von ihr klar artikuliert:

 

Ne place Deu ne ses seinz ne ses angles

Aprés Rollant que jo vive remaigne! (CdR, S. 284, 3718–3719)14

Diese neu arrangierte Ehe entspräche wieder dem Prinzip der wahren Endogamie, von der bereits weiter oben die Rede war, AudeAude bliebe nichts weiter als eine zirkulierende Gabe, die nun von einem zum nächsten Repräsentanten ihres sozio-kulturellen Umfeldes gereicht würde – symbolisiert mit den Worten Karls „Jo tʼen durai mult esforcet eschange“ (CdR, ebd., 3714).15 In der altdänischen Version kommt es erst gar nicht zu diesem Angebot: Aude stirbt ohne Aussicht auf eine bessere Zukunft. Auch die symbolträchtige Szene der altfranzösischen Version, in der Karl der Große das tote Mädchen aufrichtet – mit ihrem Haupt an seiner Schulter –, evoziert das Bild der Muttergottes, die den toten Christus in ihren Armen hält. All dies entfällt bei der knapp gehaltenen altdänischen Beschreibung von Audes Tod.

Die Koexistenz der literarischen Genres, etwa des höfischen Romans, beeinflusste den altdänischen Übersetzer/ Redaktor offensichtlich nicht in geringstem Maße. Statt der weiblichen Individualität einen narrativ breiteren Raum zu ermöglichen, entsprechen die beiden Episoden um den Tod Audes ihrer Position in der chanson. Ihrer Individualität wird AudeAude gar beraubt, indem sie keinen Namen erhält, sondern in beiden Episoden durch ihre familiäre und soziale Funktion charakterisiert wird: Schwester des Einen, Verlobte des Anderen, eine zirkulierende Gabe zwischen den beiden. Obgleich ihr Tod als ihre erste autonome Entscheidung aufgefasst werden kann, muss man doch konstatieren, dass ihre Funktion im feudalen System der übersetzten chanson de geste darin besteht, die überlieferte monologische Maskulinität zu stabilisieren. Während Rolands Individualität, sein Charakter und seine Handlungen stets in Opposition zu anderen Männern konstruiert werden, ist es Olivers Schwester, die die Beziehung mit Oliver markiert. Sie ist hier nichts als Tauschgabe, mit deren Annahme RolandRoland und Oliver reziproke Verpflichtungen eingehen – sei es die Loyalität zueinander, zum gemeinsamen Vaterland dulce France oder ihrem Herrn Karl dem Großen gegenüber. In seiner jugendlichen démesure verletzt Roland diese Verpflichtung und verliert Aude, die ihm als Reaktion auf seine törichten und folgeschweren Entscheidungen wieder entzogen wird. In dieser Hinsicht bleibt die altdänische Maskulinität weiterhin monologisch.

Wahrlich ist AudeAude nicht die einzige weibliche Figur der Chanson de RolandRoland. Als Konterpart zu den von Aude verkörperten Eigenschaften der schönen, stillen Christin kann das Epos die zweite, deutlich markantere weibliche Figur vorweisen: die heidnische Königin BramimondeBramimonde. Ihr Name, onomatopoetisch aus braire: crier en se lamentant, also ‚klagend schreien‘ und munt: germ. ‚Mund‘ zusammengesetzt, bedeutet etwa Schreihälserin oder Krakeelerin.Roland16 Durch ihre Absage an die heidnische Religion und ihre Götter konvertiert Bramimonde zum Christentum par veire conoisance (S. 304, 3987), durch wahre Erkenntnis, und erhält einen neuen christlichen Namen Juliana. Wie auch schon ihr Wesen während der Geschichte konträr zu Aude angelegt war, so erscheint ihr Ende ebenfalls als der direkte Kontrast zu Audes Tod aus Trauer. Ihr ist ein glückliches Ende in der christlichen Gemeinschaft beschert – dies zunächst in der altfranzösischen Überlieferung. Welche Rolle kommt der heidnischen Königin in der altdänischen Chronik zu? Man kann es an dieser Stelle durchaus kurz halten: Gar keine. Die sarazenische Königin, die in der Chanson de Roland eine prominente Position hat, existiert in der altdänischen Bearbeitung nicht.

Die Bekehrung, als der symbolträchtigste Akt des Sieges der christlichen Ordnung über die heidnische, ist jedoch auch für die dänische Bearbeitung zentral, und so taucht unvermittelt am Schluss der Geschichte eine andere heidnische Königin auf – mit dem Namen Sybilia. Mit einer starken Armee überfällt diese zusammen mit ihrem Sohn Justiam Sachsen und wird von WdgerHolger Danske Danske und Baldewin bezwungen. Daraufhin lässt Karl der Große Sybilia taufen und verheiratet sie mit Baldewin. Diese erscheint in der abschließenden Episode ohne erkennbaren Zusammenhang mit der Chanson de RolandRoland; dem Rezipienten der Karl Magnus Krønike dürfte sie jedoch sicher nicht gänzlich unbekannt sein: Bereits in der vierten Branche, dem Kapitel „Kampen i Saksen med Kong Vittelin“ spielt die Königin Sybilia eine wichtige Rolle. Die verlorene Vorlage für diese Branche diente wohl als Quelle für die um das Jahr 1180 von Jean Bodel niedergeschriebene und überarbeitete Chanson de Saisnes, das Sachsenlied, das in seiner Ausarbeitung eine hybride späte Heldendichtung darstellt – hiermit erklärt sich die stark akzentuierte Liebesthematik und damit der recht große narrative Raum, den die Königin Sibylle für sich beanspruchen kann. Während Jean Bodel die Handlung der Chanson de Saisnes in das post-roncesvallische Zeitalter verlegt, in dem Roland bereits tot ist und Karls zweiter Neffe, Balduin/ Baldewin die Hauptperson darstellt, ist die Handlung des altdänischen Episode noch zu Lebzeiten Rolands angesiedelt. Der Kriegszug nach Spanien wird jedoch bereits in der ersten Zeile thematisiert: „SJden will k. drage i hispania ather ok hadde met segh the bæstæ rydder ok swenne i hans land ware roland ok neymus hertogh ok flere gode men“.17 Roland und Oliver bleiben zunächst in Spanien zurück, während Karl mit seinen Gefährten über den Rhein fährt und in den Besitztümern des Königs Wittelin jagen möchte. Als Unterstützung für den darauffolgenden Krieg zwischen Karl dem Großen und dem Sachsenkönig nahe Köln am Rhein kehren Roland und Oliver zurück und kämpfen tapfer gegen die Heiden. Bereits in dieser Episode ist das Kernmotiv der legeri Rolands angedeutet: Während er zunächst mit dem Erzbischof Turpin nur eine geeignete Wattstelle über den Rhein suchen soll, entscheidet sich Roland, zu König Wittelin zu reiten und mit ihm zu kämpfen. Durch diese Entscheidung, von der Karl nicht in Kenntnis gesetzt wird, erleidet die christliche Armee große personelle Verluste. Karls Urteil in dieser Situation könnte nicht deutlicher sein, wenn er sagt: „thitt homodh hauer giorth oss stor skade“.18 Dieses Urteil wird auch später in der Hornszene und dem bereits zitierten Dialog zwischen Roland und Oliver nahezu identisch artikuliert: „cristne mæn ære dræpnæ for tith homodh skill“.19

Die Episode, welche die Liebesbeziehung zwischen der Königin Sybilia, Wittelins Frau, und dem Neffen Karls, Baldewin thematisiert, hat an dieser Stelle ein offenes Ende: König Wittelin muss sich geschlagen geben, während es der Königin Sybilia mit ihren Söhnen gelingt, aus dem Land zu fliehen, um an einer anderen Stelle in der Krønike noch einmal sichtbar zu werden, nämlich am Schluss des Kapitels „Slaget i Ronceval“. In dieser Hinsicht bildet die altdänische Adaption eine auffällige Ausnahme, was eine Restrukturierung des gesamten Materials anbelangt: Weder in der altwestnordischen noch in der ohnehin nur zwei Episoden umfassenden altschwedischen Version taucht die Königin Sybilia auf. Obwohl die Karlamagnús sagaKarlamagnús saga ok kappa hans als eine der Quellen für die altdänische Bearbeitung gilt, wird am Ende der RoncesvallesRoncesvalles-Episode die Souveränität des altdänischen Übersetzers/ Redaktors deutlich. Das offene Ende der Sachsen-Episode wird sinnhaft mit dem Ende der Schlacht von Roncesvalles verbunden. Obgleich die Bekehrung der heidnischen Königin BramimondeBramimonde entfallen muss, greift der Redaktor auf eine in der Chronologie der Chronik zuvor erschienene Episode zurück. Er führt die entflohene Sybilia – welche in Bodels Chanson de Saisnes im Übrigen nach dem Fall des Königs Widukind mit Karls Neffen Vittelin vereint wird – mit ihrem ebenfalls entflohenen Sohn Justiam zurück ins Geschehen, indem Sachsen erneut überfallen wird. Hier geht die altdänische Version dʼaccord mit der Version von Jean Bodel, denn RolandRoland ist nun tatsächlich bereits gefallen, was in Justiams Ausruf: „Jeg rædhæas engen ryddere medhen roland ær dødh“20 artikuliert wird. Nach dem Sieg über Justiam lässt Karl der Große die Königin taufen und verheiratet sie mit Baldewin. Hier findet die bereits in der Sachsen-Episode betonte Liebesbeziehung zwischen Karls Neffen und der heidnischen Königin ein versöhnliches Ende. Die Bekehrung Sybilias übernimmt hiermit die narrativen Funktionen der von Bramimonde, nämlich die Demonstration der überlegenen christlichen Ordnung der heidnischen gegenüber, was als der finale Schritt einer Akkulturation zu betrachten ist.Bramimonde21 Obwohl das Wiederkehren der heidnischen Königin aus der Sachsen-Episode an dieser Stelle als ein äußerst bedachter Zug des Kompilators gewertet werden kann, bedeutet das Verschwinden Bramimondes aus dem Geschehen um die Schlacht von Roncesvalles vor allem auch die Stabilisierung der Männlichkeitskonstruktion in der Chronik.

Auch die altschwedische Version der Chanson de RolandRoland realisiert nicht das Potenzial einer ‚Kontamination‘ durch die Pluralität koexistenter Genres im zeitgenössischen Literatursystem generell sowie in den vier SammelhandschriftenSammelhandschrift speziell. Die nicht mehr zu klärende Frage nach den Vorlagen des Karl Magnus sowie die Überlieferungslage – es sei daran erinnert, dass nur zwei Episoden/ Branchen in allen vier Handschriften vorzufinden sind – machen hier zunächst noch einmal deutlich, dass das unerwartete Auftauchen Sybilias am Schluss der RoncesvallesRoncesvalles-Episode eine exklusiv dänische Restrukturierung des umfangreicheren Materials darstellt. Der Platz, den das Epos Olivers Schwester und Rolands Verlobten zuweist, ist stabil. In Karl Magnus demonstriert der Dialog zwischen Roland und Oliver in der letzten Hornszene Audes Funktion als symbolische Gabe, die Roland entzogen wird:

Ey warder thz mz mino radhe och thz wet iach at finder iach syster mina at thu skal aldre leggias mellan arm leggiæ hennæ.Cod. Holm. D4Cod. Holm. D4aCod. Holm. D3Cod. Holm. D4Cod. Holm. D4a22

Eygh skall thz annat mz mino rade om iach hitter aldreg systher mina tha skall thw ey læggias sængh mz hænne.Cod. Holm. D323

Die zweite Schlüsselszene ist der Dialog der namenlosen Verlobten Rolands mit Karl dem Großen. Ihre Vorstellung: „Æn siden kom thit rolandz fæstæ mø / Hon war olofernessæ syster“24 thematisiert vor allem die soziale Determinierung durch die Verlobung mit dem einen Helden und Familienzugehörigkeit zum anderen, welche in ihrer Frage nach RolandRoland und Oliver doppelt bestätigt wird: „Hon sporde k m k: aat hwar ær Roland fæsteman min eller olo : broder min“.25 Nach der traurigen Nachricht vom Tod der beiden stirbt sie plötzlich: „Æn tha hon hørde thz tha sprak henne hiærtæ sunder och fioll nider och do aff harm“.26 Wie auch in der bereits besprochenen altdänischen Todesszene bleibt ihr Tod alternativlos: Karl der Große bietet ihr keine neue Ehe mit seinem Sohn Ludwig an. Das Ausbleiben der Möglichkeit einer neuen arrangierten Ehe bedeutet zugleich aber auch den Entzug der Kontrolle Karls über sie. Vor Kummer stirbt sie vor Karls Füßen, der es zunächst für eine Ohnmacht hält, bevor er sie in einem Frauenkloster begraben lässt. Audes lakonisch beschriebener Tod ist aber das Ende nicht nur der RoncesvallesRoncesvalles-Episode, sondern zugleich des gesamten Karl Magnus-Textes in vier SammelhandschriftenSammelhandschrift. Im Frauenkloster wird sie links vom Altar begraben, während ihre Seele Gottes Macht übergeben wird:

 

Siden lot han bæræ hona til eth / frva kloster och iordadhe hona ærlikæ /winstræ wægh widh altarit och gaffuo/ siæll hennæ j wald gudhi alzwaldugan / han miskunne os och giffui os æwinnelikæ gledhi j himmerike ee for wtan / Ændhæ AMEN27

Der synoptische Blick auf die altdänische und altschwedische Version lässt die Frage aufkommen, warum die altschwedische Erzählung auf diese Weise ihr Ende nimmt, wenn doch die altwestnordische Überlieferung, die als Vorlage für die ostnordischen Bearbeitungen gilt, sowie die altdänische Überlieferung in verschiedenen Ausformungen umfangreicher sind: Hat es mit einer Lakune in der nicht mehr zu ermittelnden Vorlage zu tun? Waren nur die beiden überlieferten Episoden von Interesse? Oder mangelte es schlichtweg an Papier? Die abschließende Floskel der Schreiber des uns erhaltenen Textes von Karl Magnus setzt jedenfalls eine Zäsur. Damit ist die Schlacht von RoncesvallesRoncesvalles beendet. Nicht nur sterben RolandRoland und sein Waffenbruder und Schwager in spe Oliver sowie die anderen Gefährten aus dem Zwölfer-Bund Karls des Großen einen epischen Tod auf dem Schlachtfeld, es stirbt auch AudeAude. Ihr Tod ist zugleich das Ende der Schlacht von Roncesvalles und das Ende des altschwedischen Rolandsliedes. Durch welche pragmatischen oder symbolischen Umstände auch immer das Ende der Geschichte mit dem Tod Audes markiert wird, verschiebt sich hiermit dramatisch die Position der jungen Frau im Epos. Während es in den anderen Überlieferungen lediglich eine Zwischenepisode ist, ein pathetischer, aber schnell verstummender Nachhall der Klagen über Rolands Tod, dem gegenüber der konträr skizzierte Weg in Form einer kulturellen Assimilation einer bekehrten heidnischen Königin steht, kann Aude in der altschwedischen Überlieferung als das tatsächliche letzte Opfer der Katastrophe von Roncesvalles betrachtet werden. Der plötzliche Tod durch ein gebrochenes Herz („tha sprak henne hiærthæ sunder“, KM, S. 108, 24–25), welcher als Broken-Heart-Syndrom, auch bekannt als transiente linksventrikuläre apikale Ballonisierung,28 klassifiziert werden kann, ist das alternativlose Ende einer Geschichte von Loyalität, Hochmut und Schmerz.

Die Möglichkeit einer erweiterten, einer dialogischen Maskulinität wird nicht realisiert. Bis auf die zwei kurzen Szenen, die AudeAude zunächst in absentia, später aktiv thematisieren, sowie Bramimondes Nicht-Existenz, bleibt die Konstruktion der Männlichkeit in dieser Bearbeitung ausschließlich monologisch. Inwiefern dies die Entscheidung des Übersetzers war oder den dem Übersetzer/ Redaktor zur Verfügung stehenden Vorlage geschuldet ist, bleibt offen. In Dänemark ist es vor allem das monologisch maskuline Konzept der chansons de gestechansons de geste, das den langen Transmissionsprozess un-kontaminiert überlebt hat.