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Karl der Große im Norden

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4.6.2. Interner Aufbau

Eine Art fil rouge sucht man in der Handschrift vergebens, zumal davon auszugehen ist, dass hier verschiedene Lagen erst später zu einer Anthologie zusammengebunden wurden. Offensichtlich ist die inhaltliche Zusammengehörigkeit der spät- und nachmittelalterlichen mittelniederdeutschen allegorischen Dichtungen: Während die ersten drei Texte, die zur spätmittelalterlichen Gruppe gehören, Des Kranichhalses neun Grade, Farbentracht sowie Liebesgespräch III allegorische und didaktische Minnereden sowie Werbungsdialoge zwischen dem Dichter und seiner Dame darstellen, repräsentieren die späteren Handschriftentexte verbreitete Gattungen niederdeutscher Dichtung des Spätmittelalters. Eyne gude lere van einer junckvrouwen enthält Ratschläge einer Mutter an ihre Tochter in Fragen des Lebensstils, der Haushaltsführung und Ehe, stets auf êre und Bescheidenheit bedacht. Hier ist die moralisch-didaktische Botschaft des Gedichts recht prägnant. Ein weiterer bemerkenswerter Text dieser Anthologie ist der darauffolgende Rat der Vögel, welcher mit seinen 84 Strophen und der 30-zeiligen Einleitung als die längste Vogelsprache in der deutschen Literatur des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit bekannt ist.1 Auch hier ist ein gattungsinhärenter moralisch-didaktischer Inhalt zu konstatieren. In ihrer Untersuchung geht Petra Busch von einem skandinavischen Schreiber aus, da der Text zahlreiche Skandinavismen aufweist, obwohl er auf eine gemeinsame Vorlage mit der um 1500 in Köln gedruckten Münchner Inkunabel zurückgeht.2

Obgleich eine nähere Beschäftigung mit diesem Text im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht intendiert ist, soll dennoch darauf hingewiesen werden, dass Vogelsprachen und Vogelparlamente als Dichtungsart in unterschiedlichen Kontexten auftreten, sei es als Anhang geistlicher Codices oder im Kontext höfisch geprägter Liederhandschriften und Minnebücher,3 wie auch im Falle der Børglumer Handschrift.

Die auf Rat der Vögel folgenden Gedichte De vos unde hane, Van deme drenker sowie das in Auszügen enthaltene Pelzbuch Gottfrieds von Franken fügen sich hervorragend in diese Anthologie niederdeutscher Literatur. Fabeldichtung und satirisches Tierepos waren im Mittelalter beliebte literarische Formen; so hat sich der niederdeutsche Reinke de Vos über ganz Deutschland bis hin in die nordischen Länder verbreitet, während Der Trinker zwar nur in einer Abschrift, nämlich in der Handschrift Vu 82Cod. Holm. Vu 82 enthalten ist, sicher jedoch aus einer älteren Vorlage abgeschrieben worden sein muss. Das Gedicht als Dialog zwischen einem Trinker und seinem Meister, welcher ersteren auf die Nachteile der lustigen Lebensweise hinweist, ist ein „originelles, urwüchsiges und doch nicht abstossendes Denkmal“,4 das vom groben „altholsteinischen Witz beseelt“5 ist.

Gottfrieds von Franken Pelzbuch ist ein vor 1300 auf Latein verfasstes Lehrbuch über den Obst- und Weinanbau im Mittelalter; als Kompendium für die Praxis ist es in über 240 Handschriften mit geographisch weiter Streuung erhalten. Die frühe Übertragung der lateinischen Originalfassung wird Gottfried selbst zugeschrieben.6

Die zuvor genannten Texte der spätmittelalterlichen Gruppe der Børglumer Handschrift sind nur indirekt mit der Karl Magnus Krønike verbunden, wohl aber mit den ersten drei Gedichten, die aus der gleichen Feder wie die Chronik stammt. Ein interner roter Faden zwischen den niederdeutschen Gedichten und Sprüchen der spät- und nachmittelalterlichen Textgruppen der Handschrift ist vorhanden, mögen die Texte noch so heterogen sein, so stellen sie doch eine repräsentative Auswahl verbreiteter volkstümlicher Gattungen des Mittelniederdeutschen dar, wenn auch von verschiedenen Schreibern zu unterschiedlichen Zeiten angefertigt. Ihre moralisch-didaktische Färbung jenseits der geistlichen Inhalte verleiht der Anthologie einen weltlichen und profanen Charakter.

Inwiefern fügt sich die Chronik um Karl den Großen in diese Sammlung? Um diese Frage zu beantworten, ist eine kritische Analyse des Textes nötig. Geht man der These nach, dass die Chronik – deren Ereignisse im französischen heroic ageheroic age angesiedelt sind – ihren heldenhaften, gattungsspezifischen Charakter zugunsten einer Profanisierung verloren hat, so ist womöglich eine Verbindung zu den anderen Texten der Handschrift hergestellt. Das Herrscherbild sowie die Darstellung Rolands sollen einer kritischen Textanalyse unterzogen werden: Lassen sich in der dänischen Chronik wertende, moralisch-didaktische Tendenzen erkennen, so wäre es ein möglicher, wenn auch blasser roter Faden durch die Inhalte dieser Handschrift.

4.6.3. Mögliche Besitzer: Niels Stygge Rosenkrantz oder Jakob Friis

Obwohl die Handschrift, wie schon zuvor angemerkt, nicht notwendigerweise im nordjütischen Prämonstratenserkloster BørglumBørglum entstanden sein muss, erlaubt diese Ortsangabe doch einige gewinnbringende Hypothesen zur Kontextualisierung der Texte und möglichen Auftraggebern der Handschrift. Die heraldischen Initialkompositionen auf den Seiten 1 und 139 sowie in modifizierter Form auch auf den Seiten 146 und 162 enthalten ein Wappen mit markantem Schachbrettmuster. Dieses lässt sich zwei Personen aus dem näheren Umfeld des Klosters Børglum zuordnen. Zum einen liegt die Vermutung nahe, es könne sich hierbei um das Wappen von Jakob (Jep) Friis handeln, der von 1453 bis 1486 Bischof von Børglum war. Der in der Handschrift abgebildete Schild stimmt mit dem in seinem Siegel übereinBørglum1 und das Wappen selbst, wie es in der Initiale abgebildet ist, findet sich in Danmarks Adels Aarbog III von 1886.2 Die Datierung unter dem Text der Chronik fügt sich ebenso in seine Zeit als Bischof ein (1453–1481). Jakob Friisʼ Geschlecht wurde nach dem Wappen als die „skaktavl-Friiser“3 bezeichnet.

Abb. 3:

Cod. Holm. Vu 82Cod. Holm. Vu 82, S. 146 (Kungliga Biblioteket Stockholm)

Abb. 4:

Cod. Holm. Vu 82Cod. Holm. Vu 82, S. 162 (Kungliga Biblioteket Stockholm)

Zum anderen könnte es sich hierbei aber auch um das Wappen von Niels Stygge Rosenkrantz handeln.4 Als Probst des Klosters BørglumBørglum wird dieser in der „Series prapositorum“ des Monasticon Praemonstratense für das Jahr 1478 aufgelistet, bevor er 1486 von Simon Laesö abgelöst und 1487 zum Bischof geweiht wurde.Børglum5 Dies würde sich in die Entstehungszeit der Handschrift fügen. Die Vermutung, dass die Niederschrift der Texte im spätmittelalterlichen Teil der Handschrift in seinem Auftrag erfolgt sein könnte, wird ferner dadurch bestätigt, dass Niels Stygge Rosenkrantz einen Studienaufenthalt in Greifswald absolvierte. Sein Name wird im Verzeichnis der Älteren Universitäts-Matrikeln II Universität Greifswald an folgenden zwei Stellen aufgeführt: Zum einen bei den Immatrikulationen im Jahr 1473 mit dem Vermerk „Item dns. Nicolaus Stigonius de genologia militari natus, clericus Arrusiensis d., intit fuit die mens Junii“,6 zum anderen bei den Nomina baccalariandorum 1474 als „Nicolaus Stygge, militaris“.7 Sieht man von dieser uneinheitlichen, wohl latinisierten Namensschreibweise ab, kann es sich durchaus um Niels Stygge Rosenkrantz handeln. Dass sich gerade die 1456 gegründete Universität Greifswald einer großen Beliebtheit bei den nordeuropäischen, v.a. dänischen Studenten erfreute, zeigen mehrere Studien.8 So betont Achim Link, dass die Dänen zu dieser Zeit die größte Gruppe der aus dem Ausland stammenden Immatrikulierten darstellen, obgleich die genaue Ortsnennung fehlt und viele Eingeschriebene mit dem bloßen Vermerk de dacia versehen sind.9 Dies würde erklären, warum bei Niels Stygge Rosenkrantz die genaue Herkunftsangabe fehlt.

Sicherlich reichen solche knappen Indizien nicht, um Niels Stygge Rosenkrantz als den einzig möglichen Auftraggeber der Handschrift zu identifizieren. Die Reihe an übereinstimmenden Details erlaubt jedoch die Hypothese, er könne der Auftraggeber und gleichzeitig der Besitzer der Handschrift Vu 82Cod. Holm. Vu 82 gewesen sein. Hierzu gehört das Auftreten seines Wappens in den heraldischen Initialkompositionen der spätmittelalterlichen Texte, die mit seiner Tätigkeit als Probst übereinstimmende Orts- und Jahresangabe in der Handschrift sowie sein Aufenthalt in Greifswald, wo er die Möglichkeit gehabt hätte, mit der mittelniederdeutschen Literatur in Kontakt zu kommen. Das Rezeptionsmilieu der Handschrift Vu 82 wurde bereits im Kapitel 3.5. bestimmt. Die Zugehörigkeit des Klosters zum Prämonstratenserorden sowie die Probst-Tätigkeit von Niels Stygge Rosenkrantz lassen auf ein klerikales Entstehungs- und Rezeptionsmilieu der altdänischen Karl Magnus Krønike schließen.

4.7. Zusammenfassung

Ausgehend vom Phänomen der „dynamic of the codex“1 wurden in den vorangehenden Kapiteln fünf altostnordische SammelhandschriftenSammelhandschrift präsentiert, deren Charakteristika in der Sprachen- und Genre-Pluralität bestehen. Dem bereits eingeführten offenen Textbegriff folgend, stellt ein Text innerhalb eines mittelalterlichen Codex gleichzeitig ein Rezeptionszeugnis dar und soll daher in sein unmittelbares synchron-überlieferungsgeschichtliches Bezugsfeld eingeordnet werden. In Hinsicht auf Karl Magnus sowie die Karl Magnus Krønike wurden einzelne Texte der jeweiligen Handschrift bezüglich möglicher Berührungspunkte auf der thematischen oder überlieferungshistorischen Ebene sowie hinsichtlich eines gemeinsamen Entstehungs- und Rezeptionsmilieus hin überprüft und eingeordnet. Im Falle der schwedischen Sammelhandschriften Cod. Holm. D4Cod. Holm. D4, Cod. Holm. D4aCod. Holm. D4a, Cod. Holm. D3Cod. Holm. D3 sowie AM 191 fol.AM 191 fol. konnten bis auf Amicus och Amelius keine weiteren Texte aus der Gattung der chanson de geste im unmittelbaren Überlieferungszusammenhang ausgemacht werden. Der Rezeptionsrahmen konnte unter Berücksichtigung der möglichen Auftraggeber und Besitzer der Handschrift sowie höfischer und/ oder religiöser und moralisch-didaktischer Texte in unmittelbarer kodikologischer Umgebung von Karl Magnus als höfisch-aristokratisch bestimmt werden. Einzelne Texte wie beispielsweise Amicus och Amelius zeigen Parallelen auf der Ebene der Narration. Die Koexistenz einiger Texte und Gattungen in diesem Bezugsfeld lässt sich hingegen wohl nur mit individuellen Interessen der Auftraggeber erklären.

 

5. Text- und Funktionsanalysen
5.1. Struktur der Karlsdichtung: Kompilation und Zyklisierung

Die zyklisch ausgerichtete Struktur der nordischen Karlsdichtung lässt sich am ehesten an der altwestnordischen Karlamagnús sagaKarlamagnús saga ok kappa hans sowie deren Bearbeitung, der dänischen Karl Magnus Krønike, erkennen. Die schwedische Übertragung des Karlsstoffes wird lediglich durch zwei Episoden aus dem Leben Karls und seiner Gefolgsmänner repräsentiert und daher in diesem Kapitel nur als Vergleich herangezogen.

In der Forschung wird die Karlamagnús sagaKarlamagnús saga ok kappa hans mit dem häufig pejorativ konnotierten erzähltechnischen Terminus Kompilation oder Großkompilation klassifiziert.1 Unter Kompilation wird hierbei zum einen eine strukturierte Textsammlung verstanden, zum anderen die „Methode der Texterstellung, bei der es durch eine Zusammenstellung von literarischem Material um das Gestalten eines neuen Textes geht“.2 Diese Technik des kreativen Umgangs mit fremden Texten war bereits im 13. Jahrhundert etabliert, was die Menge an enzyklopädischen Werken aus dieser Zeit sowie die detaillierten Reflexionen u.a. bei Vincenz von Beauvais zur Methode und Funktion einer Kompilation belegen.3 Vor dem Hintergrund des un-festen Textbegriffs im Mittelalter sowie aufgrund der Anonymität der Autoren schafft ein Kompilator durch seine Tätigkeit beim Re-Arrangement eines Werkes neuen Zugang zu Texten, die durch die Zusammenstellung einen neuen Sinnhorizont erhalten: Sowohl durch die thematische Selektion als auch durch die vorgenommene Strukturierung der Quellen erzeugt der Kompilator eine Linearität historischer Begebenheiten und erzeugt auf diese Weise die Integration einzelner Texte in ein geschlossenes konstruiertes Textuniversum.

Orientiert sich eine derartige Kompilation an der Biographie einer bedeutenden Persönlichkeit, eines Herrschers oder eines Heiligen, so ist sie häufig in einer zyklisierten Form komponiert. Innerhalb der altnordischen Literatur sind Zyklisierungstendenzen sowohl in den historiographischen Werken sichtbar, so z.B. in den konungasögur, als auch in den íslendingasögur, der Eddischen Dichtung oder den EufemiavisorEufemiavisor sowie an den zyklisch angelegten SammelhandschriftenSammelhandschrift, etwa der Flateyjarbók.4 In der romanistischen Forschung ist die Frage der narrativen Zyklisierung am Beispiel der chansons de gestechansons de geste und der Artusepik untersucht worden.5

Welche (handschriftlichen) Vorlagen dem alstwestnordischen Kompilator zur Verfügung standen, kann nicht mit Sicherheit beantwortet werden, da auch die Quellen der Karlamagnús sagaKarlamagnús saga ok kappa hans nur teilweise bekannt oder lediglich hypothetisch zu erschließen sind.6 Die in der Forschung etablierte Einteilung der Synopse der α- und β-Redaktion in zehn Branchen/ þættir lässt sich folgenden Quellen zuordnen:Karlamagnús saga ok kappa hans7 Roman dʼaventure Doon de la Roche, Chevalerie Ogier de Danemarche, Pseudo-Turpin, Chanson dʼAspremont, eine verlorene Chanson des Saxons, Chanson dʼOtinel, Voyage de Charlemagne, Chanson de RolandRoland, Moniage Gillaume, Vinzenz von Beauvaisʼ Speculum Historiale und Tveggja Postola saga Jóns ok Jacobs. Weiterhin gibt es eine Reihe von chansonschansons de geste, die nicht identifiziert wurden. Dies trifft beispielsweise auf die erste Branche der Saga zu, welche in der Forschung besonders kontrovers diskutiert worden ist. Hierbei widmet sich das Forschungsinteresse vor allem der Frage nach einer unabhängigen Existenz dieser Branche oder aber nach deren Genese vor dem Hintergrund der Gesamtkompilation. Im Hinblick auf die Zyklisierung als narrative Technik scheint ein hypothetisch angenommener Text, nämlich die von Povl Skårup und Paul Aebischer postulierte Vie romancée de Charlemagne*, eine Biographie Karls des Großen unter Verwendung lokaler Legenden, sich in die Struktur der Karlamagnús saga zu fügen: Der erste Teil einer Vie romancée* leitet mit dem Tod Pippins, Karls Vater, die Saga ein, während die Branche IX den letzten Teil der Vie romancée de Charlemagne* enthält und vom Tod Karls berichtet. Durch die Demontage einer chanson und deren partielle Verwendung an dafür geeigneten Stellen hätte der Kompilator der α-Version auf diese Weise einen Rahmen um die eigentliche Narration mit dem zentralen Ereignis der Schlacht von RoncesvallesRoncesvalles geschaffen. Doch obwohl die Hypothese einer verlorenen Vie romancée de Charlemagne* von namhaften Forschern wie Aebischer, Skårup, Halvorsen und zwischenzeitlich auch von Lönnroth vertreten wurde, nimmt u.a. Togeby eine Gegenposition ein, während die neuere Forschung sich ebenfalls davon distanziert bzw. auch andere Vorlagen für die erste Branche der Karlamagnús saga für möglich erachtet.Karlamagnús saga ok kappa hans8

5.2. Struktur der Karl Magnus Krønike

Die dänische Karl Magnus Krönike stellt eine Bearbeitung der α-Redaktion der Karlamagnús sagaKarlamagnús saga ok kappa hans dar. Diese gilt als die ursprünglichere Version der altnordischen Karlsdichtung, während in der β-Redaktion mehrere Kapitel hinzugefügt wurden, so etwa die Branche II Af frú Ólíf ok Landrés, eine Übersetzung einer verlorenen mittelenglischen Vorlage, von Bjarni Erlingsson im Jahr 1286/87 in Auftrag gegeben,1 die Branche IX Af Vilhjálmi korneis sowie die Branche X Um kraptaverk ok jartegnir, als deren Quellen Tveggja Postola saga Jóns ok Jacobs und Vinzenz von Beauvaisʼ Speculum Historiale gelten. Diese fehlen in der dänischen Überlieferung, die folgendermaßen strukturiert ist:2

1 Karl Magnus og hans Kæmper

2 Udger Danske og BurnemandBurnamanth

3 Kampen i Spanien med Kong Agulando

4 Kampen i Saksen med Kong Vittelin

5 Kæmpen Otvel

6 Rejsen til det hellige Land og Konstantinopel

7 Slaget i Ronceval

8 Boldevin, Udger Danske og Villum Cornitz

Auch in dieser Redaktion folgt die Narration dem Zyklisierungsschema: Das erste Kapitel setzt unmittelbar mit dem Tod des Königs Pippin ein, das letzte Kapitel berichtet von Karls Tod und dem Kampf der Dämonen um seine Seele. Im Gegensatz zur später entstandenen β-Redaktion ist die dänische Bearbeitung eine lose Aneinanderreihung der Episoden aus Karls Leben. Hier fehlen die überleitenden Sätze zwischen den Kapiteln wie auch zahlreiche Revisionen der jüngeren Bearbeitung. Die Texte der β-Gruppe sind als das Werk eines oder mehrerer Revisoren zu begreifen, der darum bemüht war, die in sich inkonsistenten Episoden zu einem logischen Handlungsschema zu verbinden und dabei die zentrale Thematik der Saga, das glorifizierende Moment der Karlsfigur bzw. das Christentum im Vergleich zum Heidentum hervorzuheben.

Die disparate Quellenlage,3 die ein Nebeneinander unterschiedlicher chansonschansons de geste mit den jeweiligen verschiedenen historischen Ausformungen zu einer zyklisch orientierten Großkompilation generiert, kann als Erklärung für die Widersprüche gelten, die sowohl in der α-Gruppe als auch in der revidierten β-Gruppe erscheinen, so etwa widersprüchliche Heldenbilder oder chronologische Brüche. Kramarz-Bein erachtet diese in Bezug auf die Karlamagnús sagaKarlamagnús saga ok kappa hans sowie die Þiðreks sagaÞiðreks saga af Bern als „Kennzeichen mittelalterlicher literarischer Großformen“,4 die mit der Haltung des Verfassers/ Redaktors zur Treue gegenüber der Vorlage zusammenhängen. Im Hinblick auf den Rezeptionsmodus ließen sich die Brüche und Widersprüche damit erklären, dass einzelne Episoden unabhängig voneinander vorgetragen wurden – auch hier muss der oralen Tradition Rechnung getragen werden.

An dieser Stelle erscheint es sinnvoll, daran zu erinnern, dass die Karl Magnus Krønike, der als Repräsentantin der α-Gruppe ein geringerer literarischer Anspruch als den Texten der β-Gruppe zugesprochen wird,5 ein Werk darstellt, das verschiedene Stadien der Bearbeitung durch den Übersetzer/ Kompilator/ Redaktor in sich birgt. Die Krønike als literarisches Produkt ist das Endergebnis einer langen Transmissionskette. Diese begann mit der Selektion einzelner chansonschansons de geste zu einer sich nach der Vita Karls richtenden zyklischen Kompilation, die zu Zeit Hákon Hákonarsons um 1250 (α-Gruppe) bzw. zwischen 1290–1320 oder 1330–1340 (β-Gruppe) ins Altnorwegische übertragen wurde. Die Transmission der Handschrift(en) nach Dänemark erfolgte womöglich über die Kontakte der Prämonstratenserklöster Tønsberg und BørglumBørglum, wo die Transmissionskette schließlich in der um 1480 angefertigten Handschrift Vu 82Cod. Holm. Vu 82 endet.

In allen Stadien der Kompilierung, Zyklisierung, Übersetzung und Übertragung war der Text stets neuen ästhetischen, literarischen und politischen Einflüssen gegenüber offen. Doch hielten sich die Übersetzer bei ihren Bearbeitungen an das ästhetische Ideal der Äquivalenz oder lassen sich zeitgenössische Strömungen, einheimische Traditionen und politisch motivierte Pointierungen erkennen? Diesen Aspekten widmen sich nachfolgende Textstudien, wobei die Fragen nach den Übersetzungstendenzen und somit auch nach dem Übersetzungsinteresse der skandinavischen Übersetzer/ Redaktor stets den Hintergrund der Textstudien bilden. Die Darstellungen der Anderen, die narrative Identitätskonstruktionen Karls des Großen, das Verhältnis zwischen Christentum und Islam sowie nicht zuletzt die besondere Rolle von HolgerHolger Danske Danske, dem Einwanderer in der dänischen Literatur, sind hierbei zentral. Zunächst soll aber im Hinblick auf die Gender-Konstruktionen der altostnordischen Texte das Konzept der für die französische Heldenepik gattungsspezifischen monologischen MaskulinitätMonologische Männlichkeit6 nach dem Aufbrechen der heldenepischen Grenzen im Prozess einer Gattungsmodifikation kritisch überprüft werden.