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Die Rückkehr der Zeitmaschine

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Fünftes Kapitel

Die Dame von übermorgen

Der Zeitreisende hatte seine Mischtätigkeit beendet, begann seine schöne lange Pfeife zu stopfen und wiederholte langsam:

»Widerstand der Erdzeit. Sie verstehen?«

»M – nicht ganz«, erwiderte ich.

Der Zeitreisende hatte seine Pfeife in Brand gesetzt. »Die Sache ist doch ungemein einfach. Ein jeder Körper ist nicht nur Zeit, sondern hat auch Zeit. Mit anderen Worten: er besitzt nicht nur eine bestimmte Zeitdimension, sondern auch eine bestimmte Zeitenergie. Die Zeitenergie eines Körpers findet ihren Ausdruck in dem Weg, den er in der Zeiteinheit zurücklegt. Eine Kanonenkugel zum Beispiel absolviert in einer Sekunde vier- bis sechshundert Meter: diese vier- bis sechshundert Metersekunden sind ihre Zeitenergie, die sich, wie jede andere Energieform, entweder als potentielle Energie (Energie im Spannungszustand) oder als lebendige Energie (Energie in Aktion) zu äußern vermag. Ebenso besitzt jeder Stein, jeder Pfeil, jeder Blitzstrahl, jeder Wasserstrahl eine bestimmte Zeitenergie, die man im unwissenschaftlichen Sprachgebrauch als seine ›Geschwindigkeit‹ zu bezeichnen pflegt. Als Einheitsmaß für räumliche Energie hat Helmholtz bekanntlich das ›mechanische Wärmeäquivalent‹ aufgestellt: der Wärmemenge, die imstande ist, die Temperatur eines Pfunds Wasser um einen Grad zu erhöhen, entspricht die mechanische Kraft, deren es bedarf, um ein Pfund 425 Meter hoch zu heben; auf denselben Generalnenner läßt sich natürlich auch jede chemische, elektrische, magnetische oder sonstige räumliche Arbeitsleistung bringen. Das Grundmaß nun für die zeitliche Energie jedes Körpers, seine ›Pferdekraft in der Zeit‹, wenn ich mich so ausdrücken darf, ist die Lichtgeschwindigkeit: dreihunderttausend Kilometer in der Sekunde; ein ungeheures Energiequantum, von dem aber die meisten irdischen Körper nur einen winzigen Bruchteil besitzen. Die Energie ist nach der Formel, die schon Leibniz aufgestellt hat, gleich dem Produkt aus der Masse m und dem Quadrat der Geschwindigkeit v. Die Geschwindigkeit wiederum erfahren Sie, wenn Sie den Weg s durch die Zeit t dividieren. Die Formel ist also m(-s/t)2. Sie ersehen daraus, daß die vorhin erwähnte Kanonenkugel, die der vulgären Anschauung mit einer sehr hohen Zeitenergie ausgestattet erscheint, in Wahrheit eine sehr geringe besitzt, denn ihre Masse ist gering und die Größe v noch viel geringer, da ihr Zähler s sechshundert Metersekunden beträgt, ihr Nenner t aber dreihundert Millionen Metersekunden (die Lichtgeschwindigkeit) und im Quadrat gar nur dreihundert Billionen. Da war meine Zeitmaschine doch wirklich ein Bedürfnis! Gleichwohl besitzen alle Menschen eine gewisse Zeitenergie, mit der sie sich fortbewegen, auch ohne meine Zeitmaschine, nur eben nicht so schnell: nämlich mit ihrer Zeitmaschine. Diese Zeitmaschine ist die Erde. Sie dreht sich, wie jedes Kind weiß, innerhalb vierundzwanzig Stunden um ihre Achse: dieses Arbeitsquantum an Zeitenergie bezeichnen wir als ›Tag‹. Wie man in der Elektrotechnik von einer Spannung von soundsoviel ›Volt‹ oder einem Widerstand von soundsoviel ›Ohm‹ spricht, so reden wir von einer Erdzeitleistung von sieben ›Tag‹, dreißig ›Tag‹, dreihundertfünfundsechzig ›Tag‹: die für diese Quanten gebräuchlichen Fachausdrücke dürften Ihnen bekannt sein. Die Zeitenergie eines ›Tag‹ wird errechnet, indem man die Masse der Erde mit dem Quadrat ihrer Geschwindigkeit multipliziert. Diese Geschwindigkeit s/t ist gleich dem Erdumfang von vierzigtausend Kilometern, dividiert durch vierundzwanzig Stunden oder 86400 Sekunden, das sind nahezu 463 Metersekunden. Die Geschwindigkeit der Erde ist also geringer als die unserer schnellsten Geschosse, dafür ist aber ihre Masse sehr bedeutend. Aber an meiner Zeitmaschine gemessen, ist auch diese Energie, die wir kurz die ›Erdzeit‹ nennen wollen, nicht erheblich. Würde die Erde sich um ihre Achse in zwölf Stunden drehen und der Erdumfang achtzigtausend Kilometer betragen, so wäre die Zeitmaschine, auf der wir permanent reisen, viermal so schnell, als sie jetzt ist, ihre Energie, die ›Erdzeit‹, viermal so groß, eine Erdsekunde viermal so kurz. Das ist doch vollkommen klar, nicht wahr? Nun komme ich mit meiner Zeitmaschine, die ja unvergleichlich bedeutendere Energien zu erzeugen vermag. Aber man darf eines nicht vergessen: meine Zeitmaschine ist und bleibt eine irdische Zeitmaschine. Sie ist daher mit demselben Quantum an Erdzeit ausgestattet wie alle übrigen Körper dieses Planeten. Ferner kann ich mir mit meiner Maschine jeden Zeitort beliebig wählen, nur den Ort der ersten Abfahrt nicht, der für mich unverrückbar festgelegt ist: er ist immer die Gegenwart, die durch den Zeigerstand ›null‹ angezeigt wird. Beides war für mich nicht nur irrelevant, sondern sogar ein Vorteil, solange ich mit der Erdzeit, das heißt: in die Zukunft reiste; in dem Augenblick aber, wo ich in die Vergangenheit, nach rückwärts, also gegen die Erdzeit fuhr, bildete ihre Energie einen Hemmungskoeffizienten, den Widerstand der Erdzeit, den ich zu überwinden hatte. Nun sollte man glauben, daß das für meinen Apparat eine Kleinigkeit hätte sein müssen, denn die Leistung der Erdzeitmaschine ist doch gegenüber den Zeitenergien, die ich zu entwickeln vermag, sehr gering. Gewiß! Aber jede Bewegung braucht doch eine noch so geringe Anfangsgeschwindigkeit, einen Impuls, um in Gang zu kommen, und woher sollte ich den nehmen? Ich konnte nicht anfangen, wenn ich die Erdenergie gegen mich hatte, denn solange meine Maschine noch nicht lief, steckte sie rettungslos in der Erdzeit, die sich nur nach vorne bewegt, und um sie ins Laufen zu bringen, dazu brauchte ich eben die Erdzeit. Sie allein war es, die mir die notwendige Anfangsgeschwindigkeit geben konnte; deshalb vollzog sich der Start in die Zukunft auch so äußerst glatt. Mit einem Wort: ich konnte nicht abstoßen. Eine lächerliche Situation; ich mit meiner gigantischen Maschine im ohnmächtigen Kampfe mit diesen 463 Metersekunden Erdzeit!

Aber schon am nächsten Morgen, als ich im Bette über den Fall meditierte, kam ich auf die Lösung des Knotens. Ich hatte nichts weiter zu tun, als ein Stückchen vorzufahren. Ich mußte die Erdzeit benutzen, um abzustoßen, ein Stück in die Zukunft fahren, anhalten, umdrehen und dann wieder zurückfahren. Dann besaß meine Maschine bereits ein genügend großes Quantum an potentieller Energie, um den Widerstand der Erdzeit überwinden zu können. Kurzum: ich mußte sie mit Zeitenergie laden. Dann konnte ich ohne Schwierigkeit über die Jetztzeit und ihre antagonistische Bewegung hinwegsetzen. Es war also ganz einfach das, was man beim Springen einen Anlauf nennt, nur mit dem Unterschied, daß man beim Anlauf zurückgeht: ich aber lief vor.

Ich war über die rasche Lösung so erfreut, daß ich beschloß, sofort zu reisen. Ich war prachtvoll ausgeschlafen und das Wetter herrlich: die Vögel zwitscherten ausgelassen in den frischen Maimorgen, die Luft sang, die ganze Natur dampfte von duftendem Leben und reckte sich daseinsfreudig der Sonne entgegen. Ich kleidete mich eilig an, hängte Kamera und Feldstecher um und fuhr, es war sieben Uhr zehn, in bester Laune in den siebenten Mai: für die Überwindung der Erdzeit hätte zwar ein Tag Zeitenergie genügt, ich nahm aber vorsichtshalber das doppelte Quantum. Das Turmzimmer war bei meiner Ankunft natürlich völlig unverändert; wie ich aber umdrehen wollte, fiel mir ein, daß ich in der Eile vergessen hatte, zu baden und zu frühstücken. Ich begab mich also nach unten. In meinem Studierzimmer bemerkte ich, daß doch nicht alles beim alten geblieben war, denn erstens war das Wetter in unwirtlichen Nebel und Sprühregen umgeschlagen, und zweitens saß dort eine junge Dame, die bestimmt vorher nicht dagewesen war, eine aparte Erscheinung mit bronzenen Haaren und meerblauen Augen, nach meiner Taxierung eine Studentin. Sie kauerte unbeweglich im melancholischen Schein des Regentages und blickte düster vor sich hin. Als sie mich erblickte, schreckte sie nervös empor, indem sie verwundert ausrief: »Ja was machen Sie denn hier?«

»Ja was machen Sie denn hier?« replizierte ich unwillkürlich und wenig höflich, und, mich verbessernd, setzte ich hinzu: »Sie müssen entschuldigen. Ich bin hier bei mir.«

»Das weiß ich«, sagte die aparte Dame, sich sammelnd, »und Sie müssen entschuldigen. Wenn ich geahnt hätte, daß Sie so bald zurückkommen würden, hätte ich niemals… Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen erklären soll … es war sicher sehr unpassend von mir… aber ich hatte den sehnlichen Wunsch, einmal diese Räume zu sehen, in denen ein solcher Mann… und heute, als ich vor dem Kolleg an Ihrem Hause vorbeiging, fand ich die Tür bloß angelehnt, und da —«

»Ich bedaure, daß ich Sie gestört habe«, sagte ich etwas verwirrt.

»Sie haben mich tatsächlich gestört«, sagte sie stockend. »Nämlich… ich hatte die Absicht, Ihnen mein Bild zu bringen… aber natürlich nur in Ihrer Abwesenheit… ich hatte mir vorgestellt, daß Sie es irgendwann einmal finden, wenn Sie wieder an Ihrem Schreibtisch sitzen… «

In der Tat lag auf meinem Schreibtisch ihre Photographie. »Vielen Dank«, sagte ich. »Das Bild ist entzückend. Aber was auf der Rückseite steht —, von irgendeinem Kirchenvater, wenn ich nicht irre? – verstehe ich nicht ganz.«

»Ja leider«, sagte sie und ihr Antlitz nahm wieder den düstern Ausdruck von vorhin an. »Und vielleicht«, fuhr sie fort, »wäre es überhaupt besser, wenn ich es wieder mitnehme. Denn jetzt ist das eine ganz falsche Situation… «

»Denken Sie, ich sei überhaupt gar nicht dagewesen«, sagte ich, und da ich fühlte, daß meine Verlegenheit wuchs, fügte ich hinzu:

»Ich muß ohnehin gleich wieder fort. Wollen Sie meinem Start beiwohnen?«

 

»Oh, gerne«, erwiderte sie mit freudiger Teilnahme.

»Aber«, fragte ich im Hinaufgehen, weniger aus Neugierde als um Konversation zu machen, »woher wußten Sie denn überhaupt, daß ich auf Reisen bin?«

Sie senkte den Kopf. »Erstens klebte doch der Zettel an Ihrer Tür, und dann… aber das war schon wieder ganz ungehörig… ich habe nämlich einige Ihrer Depeschen an Mr. Transic abgehört… «

»Nein!« rief ich ehrlich erstaunt. »Und ich dachte, wir wären die einzigen drahtlosen Telegraphisten! Wer hat Ihnen denn das beigebracht?«

»Ich studiere mathematische Physik«, sagte sie errötend.

»Also daher Ihr Interesse? Und ich hätte Sie auf Kunstgeschichte taxiert!«

»Ja, daher mein Interesse«, wiederholte die schöne Scholarlady.

Ich hatte den Sattel der Maschine bestiegen. »Ich werde Ihnen alles von mir erzählen.«

»Sie wollen mir von sich erzählen?« fragte sie gespannt.

»Ja, alles, alle Erlebnisse meiner Reise.«

»Ach so. Das wird doch ohnehin in allen Zeitungen stehen.«

»Aber Ihnen werde ich es zuerst erzählen.«

»Das darf ich nicht annehmen. Ich kann Sie doch nicht Ihrer kostbaren Zeit berauben.«

»Aber niemand hat doch so viel Zeit wie ich! Mir gehört doch alle Zeit der Welt!«

Die fremde Dame antwortete nicht sogleich. Dann sagte sie leise: »Das glauben Sie nur. Niemandem gehört die Zeit so wenig wie Ihnen.«

»Das verstehe ich nicht ganz.«

»Nun«, fuhr sie in lebhafterem Tone fort, »Sie sind doch ein Reisender. Allerdings die originellste Art von Reisendem, die die Welt jemals gesehen hat, das gebe ich zu – aber immerhin! Der Reisende ›sieht sich die Welt an‹: aber das hat zur Folge, daß er sich die einzige Welt, die wirklich ist, nämlich seine eigene, niemals ansieht! Deshalb hat auch die Legende für die größte Sünde, die Ahasver beging, als er dem guten Heiland das Dach verweigerte, die schrecklichste Strafe ersonnen und ihn zum ewigen Weltreisenden gemacht. Und warum fahren die Menschen irgendwohin, wo sie nichts zu suchen haben? Weil sie sich selbst nicht ertragen! Aber gerade dieses gefürchtete ›eigene Ich‹, vor dem sie in fremde Länder davonlaufen, fährt als blinder Passagier überallhin mit.«

Ich war etwas ergriffen. »Mein Fräulein«, sagte ich, »wenn Sie so seelenvoll sprechen, so vergißt man, daß Sie schön sind.«

»Das ist wundervoll gesagt«, erwiderte sie mit gesenkten Blicken, »aber eben nur gesagt. Und jetzt, bitte, reisen Sie! Ich bitte Sie darum.«

Ich wollte noch etwas sagen, aber sie sah mich so flehend an, daß ich unwillkürlich den Hebel niederdrückte. Aber die Maschine ging schon wieder nicht! Ich drückte und drückte: es wiederholte sich das Spiel vom Tage vorher, sie blieb auf Null.

Die schöne Kollegin verfolgte mit Teilnahme meine Bemühungen, und ich erklärte ihr den Fall. »Herrgott«, rief ich verzweifelt, »habe ich denn schon wieder etwas übersehen?«

»Das kann ich natürlich nicht beurteilen«, sagte sie, »aber wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: fahren Sie ruhig los.«

»Aber wohin denn?«

»Irgendwohin. So lange, bis es geht.«

»Aber das ist sehr riskant! Ich werde nicht immer das Glück haben, in so angenehme Gesellschaft zu geraten wie diesmal. Bedenken Sie: wenn ich in irgendeine trostlose Zeit der Überzivilisation verschlagen werde, wo die Menschen in Riesenstädten unter der Erde wohnen – denn daß es einmal dazu kommen wird, scheint mir ausgemacht —, oder in die barbarischen Zeitläufe einer neuen Völkerwanderung, und ich kann nicht mehr zurück!«

»Das ist nicht zu befürchten. Einmal muß es gehen. Sie sind doch auch von Ihrer ersten Reise in die Zukunft anstandslos zurückgekehrt.«

»Das ist wahr! Dieser Gedankengang ist zwingend. Sie sind klug, Miss —«

»Gloria. Aber ich bin gar nicht so klug. Die Männer gelangen zu ihren Einfällen durch Verstand, wir durch – Interesse.«

»Also Sie nehmen wirklich ein ernstliches Interesse an meiner Arbeit?«

»Gewiß. Hätte ich denn sonst so viele Ungehörigkeiten begangen?«

Ich hatte wieder meinen Sitz eingenommen. »Miss Gloria«, sagte ich, »hören Sie mich an. Ich bitte Sie, nur wenige Minuten noch hier zu verweilen. Wohin ich fahren werde, weiß ich noch nicht; aber wohin ich zurückkehren werde, das weiß ich. Hier am siebenten Mai werde ich landen, bei Ihnen werde ich landen.«

Sie schüttelte den Kopf. »Tun Sie das nicht, Mr. Morton«, sagte sie sanft, aber bestimmt. »Ich werde nicht eine Minute länger hier bleiben. Es hätte auch keinen Zweck. Unsere Zeiten sind zu verschieden.«

»Sie meinen: so verschieden, daß sie sich nie schneiden können?«

»Ja«, sagte sie leise. Und wie wenn sie zu sich selbst spräche, fügte sie langsam hinzu: »Es wäre denn, wenn —«

»Wenn —«, fragte ich gespannt und beugte mich vor. Aber ihre Worte sollten tatsächlich ein Monolog bleiben. Denn während ich mich im Sattel aufrichtete, drückte ich unversehens den Hebel auf stärkste Geschwindigkeit, und ehe Miss Gloria ihren Satz vollendet hatte, befand ich mich im Jahr 1995.

Sechstes Kapitel

London am Himmel

Ärgerlich stoppte ich ab. Die Maschine stand noch immer im Turmzimmer, was meine Laune ein wenig verbesserte, denn es war immerhin recht schmeichelhaft für mich, daß es nach neunzig Jahren noch existierte. Aber bei näherer Betrachtung bemerkte ich, daß es sich einigermaßen verändert hatte. Die Wände bestanden aus einer Art flüssigem, schwach irisierendem Metall, und rings um den Plafond liefen zitternde Stangen aus einer blau-grünen Lichtmasse. Ich begab mich ins Freie, nicht ohne meine Maschine mitzunehmen; mir war nämlich noch rechtzeitig eingefallen, daß die Ankunft im Turmzimmer bei der Fahrt ins Jahr 1340 nicht ratsam sei, denn damals stand es noch nicht: ich wäre also in der Luft gelandet und zwei Stockwerk tief zu Boden gestürzt. Ich lehnte den Apparat ans Haus und blickte um mich. Von Pflanzenwuchs war keine Spur: weithin nichts als eine homogene glasig schimmernde Fläche. Rings in der Luft kein Laut: denn es gab auch offenbar keine Tiere; andrerseits auch kein Grammophon. Ja ich möchte sogar sagen, daß es auch keine Luft gab: sie atmete sich völlig geschmacklos und erinnerte in ihrer Fadheit an destilliertes Wasser. Ich hob den Feldstecher: aber ich konnte weit und breit kein London entdecken. Als ich ihn sinken ließ, bemerkte ich in meiner nächsten Nähe einen jungen Mann von intelligentem, aber teilnahmslosem Gesichtsausdruck, der unbeweglich vor einer lackschwarzen Lichtschlange stand. Er grüßte mit einem Senken der Augenlider und sagte: »Der Herr ist Hochschotte?«

»Nein«, erwiderte ich etwas verwundert. »Warum meinen Sie?«

»Weil Sie die altertümliche Nationaltracht anhaben, die nur noch von den Bauern in Hochschottland getragen wird.«

Daran hatte ich gar nicht gedacht. Ich nahm mich allerdings in meinem ›Pfeffer und Salz‹-Anzug, dem hohen Kragen und den steifen Manschetten neben meinem Gegenüber etwas sonderbar aus, dessen ganze Kleidung in einer enganliegenden gelblichen Asbesthaut bestand. Ich sagte: »Nein, das hat einen anderen Grund. Sie haben doch sicher schon etwas von einer Zeitmaschine gehört?«

»Nein«, erwiderte der unbewegliche Mann, »davon habe ich nichts gehört.«

Es erschien mir unter meiner Würde, nähere Erklärungen zu geben, und ich sagte bloß: »Darf ich fragen, weshalb Sie sich dann hier aufhalten?«

»Ich bin Observer bei der Energiefaktorei Savory & Son.«

»Und welche Arten von Energie erzeugen Sie?«

»Welche Arten? Es gibt doch nur eine! Und wir erzeugen selbstverständlich alles: Pelze, Eier, Holz, Salz, Milch, Gemälde, Urmetall!«

»Und für wen machen Sie das alles?«

»Na, für die Londoner!«

»Aber wo ist London?«

Der Asbestmann deutete mit den Augenlidern nach oben. Ich blickte in die Höhe und sah ein Häusermeer mit Markthallen, Kasernen, Rennbahnen, Theatern, Kathedralen – am Himmel! London lag nicht mehr ›überm Meer‹, sondern über der Erde! Wie das zustandegekommen war, genierte ich mich, den Mann an der Lichtschlange zu fragen: er hätte mich sonst wirklich für einen schottischen Gebirgsanalphabeten gehalten. Übrigens ließ es sich so ziemlich kombinieren: es war offenbar gelungen, die Gravitationsenergie zu bemeistern und mit deren Hilfe die Höhenlage der Körper beliebig zu verschieben. Ich dachte: für die Luftkurorte ist diese neue Lage Londons jedenfalls eine ruinöse Sache; aber der Londoner Nebel dürfte sich dadurch nicht gerade verringert haben – im Gegenteil! Und vorsichtig, um meine Ignoranz nicht allzusehr zu verraten, fragte ich nebenhin: »Und wie ist man mit dem Wetter zufrieden?«

»Mit unserem Wetter war noch jeder zufrieden«, sagte mein Gegenüber. »Glauben Sie, Savory hätten sonst schon seit vier Jahren für ganz Südengland das Wettererzeugungsmonopol? Es heißt ja nicht umsonst eine Redensart: ›zuverlässig wie Savorys Wetter‹. Und dabei schlagen unsere Wolkenpreise jede Konkurrenz. Aber allen kann man es natürlich nicht recht machen. Wenn wir kondensieren, heißt es: bei dem Regen geht kein Mensch in die Luftspiele! Und wenn wir sublimieren, heißt es: an einem so schönen Tag nimmt sich kein Mensch ein Stratotaxi! Und gut geht›s ja ohnehin niemandem.«

»Aber erlauben Sie, wenn Sie alles, was es gibt, erzeugen, kann es doch keine Not geben!«

»Ja, das ist eben das Rätsel! Je mehr wir kriegen, desto weniger haben wir! Das war doch im kleinen schon in den Vierzigerjahren so, als das Goldland Ophir entdeckt wurde. Sind wir vielleicht dadurch reicher geworden? Im Gegenteil! Ebenso war es doch auch, als in Europa noch die Zollschranken bestanden, mit den Einzelländern: je mehr Waren eines hatte, desto ärmer war es! Oder sehen Sie mich an: als Observer habe ich bloß dazustehen, für den Fall, daß wider Erwarten etwas nicht klappen sollte, wie der Souffleur im Theater. Ich habe also eigentlich gar nichts zu tun. Infolgedessen bin ich elend bezahlt. Und warum? Weil die verdammte Energiefaktorei mit ihren Atomdissoziatoren von zwölfeinhalb Milliarden Pferdekräften alles ganz von alleine macht! Dabei kämpfen wir seit Jahren vergeblich um den Zweiundzwanzigstundentag.«

»Zweiundzwanzigstundentag? Ja, um Gotteswillen: wann schlafen Sie denn dann?«

Der Asbestmann riß die Augen auf. »Schlafen? Ja gibt›s denn bei Ihnen zuhause kein Ultraviolett?«

»Nicht… überall«, stotterte ich verlegen.

»Da werden Sie aber bei dem heutigen Überangebot schwer mitkommen. Denn sehen Sie: bei der derzeitigen Lage des qualifizierten Arbeiters… «

Das Gespräch drohte ins Sozialpolitische überzugehen, ganz wie die Gespräche von 1905. Ich sagte daher ablenkend: »Kann man hier irgendwo baden und frühstücken? Ein Glas Bier würde mir genügen.«

»Bier? Was ist das? Aber wenn Sie frühstücken wollen, so nehmen Sie doch oben in der Stadt am ersten besten Automatenzerstäuber einen Sauerstoffimbiß! Und ein Bad können Sie sogar gratis haben. Da brauchen Sie bloß links hinters Haus ins ultrarote Feld zu treten. Übrigens«, fügte er etwas geringschätzig hinzu, »Sie kommen wohl von sehr weit her?«

»Ja«, beendigte ich das Gespräch, »ich komme aus einer ziemlich entfernten Gegend.«

Ich hatte genug vom Jahr 1995. Ich brauche das wohl nicht näher zu begründen. Indem ich hastig auf meinen Apparat zustrebte, stolperte ich – und fiel durch den Asbestmann. Er war projiziert.

Ich machte mich daran, meine Maschine zu besteigen, deren Sitz mir etwas breiter vorkam, und hantierte an den Hebeln. Sie funktionierten schon wieder nicht! Aber diesmal nicht nur der für Vergangenheit, sondern auch der für die Zukunft! Der dicke Angstschweiß trat mir auf die Stirn. Eine unausdenkbare Vorstellung, für immer hier bleiben zu müssen, in diesem scheußlichen Jahr 1995 , wo Gemälde in Energiefaktoreien hergestellt wurden und ein Regenbogen ein Konkurrenzgeschäft war! Wo es zum Lunch Sauerstoff und zum Mittagessen Kunsteier gab und in Kleidern hinterm Haus gebadet wurde! Und wo die Erholung statt in acht Stunden Federbett in Bestrahlung mit Ultraviolett bestand und die Geselligkeit in Gesprächen mit Kerls, die von weiß Gott wo übertragen waren! In diesem Moment bekam ich jedoch einen Rippenstoß, und eine näselnde Stimme sagte: »Herr, was machen Sie auf meinem Radiodrom?« Nie hätte ich es für möglich gehalten, daß man jemandem für einen Rippenstoß so dankbar sein könnte! Ich hatte mich geirrt: es war gar nicht meine Zeitmaschine. Sie stand unversehrt ein paar Schritte daneben. Ich hörte noch, wie ein Mensch in einer phosphoreszierenden Bluse mit einem Lichthelm, indem er mit einem tadellosen Sprung auf den anderen Apparat aufsaß, aufgebracht murmelte: »Was fällt Ihnen ein, an meinem Kathodensammler herumzuspielen? Das größte Malheur kann passieren. Schauspielerbagage. Scheren Sie sich lieber auf Ihre Theaterprobe! Und überhaupt hasse ich historische Stücke!« – aber gleich darauf war er mit einem dumpfen Knall verschwunden, nichts als den zischenden Streifen einer veilchenblauen Flamme hinter sich zurücklassend.