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Ein Journalist hatte einmal eine Sendung, die hieß 600 Sekunden. Die Wahrheit in 600 Sekunden. Mehr gab’s nicht. 10 Minuten, in denen brachte er alles unter, auch weil er die Sendung jeden Abend hatte. Vor der Sendung fürchteten sich alle, die etwas angestellt hatten. Die Systemerhalter allerorten. So eine Sendung müsste es alle Abende wieder geben. Jetzt ist immer nur der Zeitdruck da für nichts und wieder nichts.

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Vorige Woche hat jemand gesagt, da war ich dabei, dass Horaz irgendwie wie Kafka war. Ich halte das für völligen Blödsinn. Ums Geld und Geldverdienen ist es da gegangen vorige Woche. Um den Broterwerb, die Buchhaltung und den Steuerberater. Kafka war ja Versicherungsmathematiker oder so und Horaz Finanzbeamter oder so. Und daher eben hat einer gesagt, Horaz sei wie Kafka.

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Schrecklicher Zwang, furchtbare Unausweichlichkeit, das sind, soweit ich mich erinnere, auch Worte, die von Horaz herkommen. Ich glaube nicht, dass das Sadomaso war bei ihm. Wie bei den Spiegeln eben auch nicht. Andererseits mag ich den Horaz gar nicht. Nur dass er Angst gehabt hat als Kind, weil er sich im Wald einmal fast für immer verirrt hat, verstehe ich innerlich. Seinen Vater hat er sehr gemocht, der hat ihm sehr geholfen. Das gefällt mir. Von seiner Mutter weiß man überhaupt nichts. Das tut mir leid.

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Atatürk hat die moderne Türkei erschaffen. Aber genauso wichtig war später dann Turgut Özal. Der war fromm, Moslem und irgendwie kurdisch. Verhandelte alles und vermittelte zwischen allen Teilen. War ein Sufi. Auf ihn haben die Leute gehofft und vertraut. War Ministerpräsident und Präsident dann auch, starb aber völlig unerwartet. Das war ein schweres Unglück. Kann sein, Mord.

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Ein Nigerianer hat einen Kühlschrank erfunden, der aus 2 Töpfen besteht, einem äußeren und einem inneren, zwischen denen sich Sand und Wasser befinden, welches langsam nach außen verdampft, und der innere Topf kühlt so aber die Lebensmittel und die bleiben dadurch wochenlang frisch mitten in Afrika. Ein Nigerianer hat uns heute davon erzählt und gefragt, ob das für hier nicht etwas wäre. In Nigeria ist das eine große Erfindung, die allen hilft, den Bauern auch. Die Herstellung bringt auch Arbeitsplätze, sind ja so viele Leute arbeitslos, töpfern jetzt alle, hat er gesagt, und wie der Erfinder heißt. Der hat andere Sachen auch erfunden. Habe mir nur Mohammed gemerkt vom Namen. Doch, ja, mit Abba war auch was. Habe ein paar Mal nachgefragt und mir den Namen doch nicht gemerkt. Für die Frauen, die die Lebensmittel auf dem Markt verkaufen, sind diese Töpfe natürlich auch ganz wichtig. Die sagen wirklich Kühlschrank dazu. Topf im Topf heißt die Kühlschrankmarke. Und der Erfinder, der Erfinder ... Mohammed Abba. Und dazwischen war noch irgendwer. Wer? Wer? Herr Bah. Herr Bah! Bin mir einmal mehr dessen gewiss, dass die Flüchtlingslager ganz anders sein könnten, gute Orte für die Menschen. Schutz und Hilfe und ein Weiterkommen.

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Ein Naturtagebuch soll ich anlegen, ist mir heut geraten worden. Psychotherapeutisch. Jeder Stein, jede Blume erzähle ja eine eigene Geschichte. Ja? Aha! Aber einem Stein tut nichts weh. Und einer Blume, einer Blume geht es eh gut, drum schaut sie ja so schön aus. Also was ist da viel zu notieren.

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Ich kann die Geldgeber nicht ausstehen. Die Mäzene. Maecenas. Unter Augustus, unter dem unser Herr Jesus geboren wurde, muss es schrecklich gewesen sein, weil es ja eine permanente Militärdiktatur war. Alle, die an der Macht waren, sagten aber, es sei Gott sei Dank Friede. Unter dem Schutz des Maecenas war das Leben sehr schwer für Horaz, weil Maecenas ja der Propaganda- und Kulturminister des Augustus war. Woher eben das Wort Mäzen kommt. Maecenas hat den Horaz sehr gefördert, sodass August den Horaz zu seinem engsten Privatsekretär machen wollte, und sogar die neue römische Nationalhymne hat August bei Horaz in Auftrag gegeben, und verordnet ist worden durch den Juntaführer Augustus, dass Horaz in allen Schulen gelernt und geehrt werden müsse von den Lehrern und Kindern. Maecenas auch soll oft Morde, Tötungen, in Auftrag gegeben haben in eigener Sache sowohl wie im Auftrag des Augustus. Fälschungen auch. Deshalb ist Horaz vielleicht wirklich wie Kafka. Diese Gründe da hier hat aber der fleißige und freundliche Buchhalter vor ein paar Tagen nicht erwähnt. Die hätte ich ja auf der Stelle verstanden. Kennt sich bei diesen Sachen ja nicht aus. Er ist aber wie gesagt sehr nett, arbeitet für Kultur- und Sozialbetriebe und ist ein gebildeter Mensch. Blödsinn, was sage ich Buchhalter! Berater ist der, bekommt immer eine Pauschale und macht halt gerne auch Small Talk für sein Geld. Hat ursprünglich etwas anderes gelernt. Merkt man oft. Redet nebenbei immer über alles, was gerade anfällt. Ist sehr gewissenhaft. Es ging, sofern ich’s verstanden habe, darum, dass die Firma dringend Mäzene braucht. Wie früher, glaube ich, vor ein paar Jahren noch den einen potenten Sozial- und Kulturpolitiker z. B. Die Parteifarben, glaube ich, stimmen jetzt halt nicht mehr infolge der Wahlausgänge und der Ressortverteilung. Das wird auch noch sehr lange so bleiben. Man braucht daher neue Mäzene. Von denen ist der gebildete Geldberater, oder was der ist, auf Horaz und Kafka gekommen. Maecenas dazumal jedenfalls soll, was der Berater eben nicht weiß, ich halt schon, Leute umbringen haben lassen und ihre wichtigen Werke, ihre Arbeit, ihnen stehlen, rauben, und dann von anderen umarbeiten. Gesagt wurde dann entweder, das seien die Originale der Ermordeten, oder als Autoren galten dann die Raubmörder. So war das damals wie gesagt. Sehr erfolgreich und effizient das Mäzenatentum. Und Augustus eben hat immer gesagt, dass gestorben werden muss, und in der Folge mussten dann immer welche sterben. Wie bei der Mafia oder bei den Faschisten war das damals. Aber jetzt ist Demokratie und der Rechts- und Sozialstaat ist auch da jetzt, da kann nichts passieren, denn jeder weiß, was los ist.

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Die Frau, die sagt, sie habe Schuldgefühle, weil sie Krebs habe. Der Mann, der Krebs hat überall und sagt, wie witzig das sei, dass er voller Unsterblichkeit sei. Weil ja eben die Krebszellen sich immer weiter teilen und angeblich also nie sterben, sagt er das natürlich. Der Mann und die Frau schauen einander nickend und lächelnd an und dann auf einmal lachen sie beide laut einander zu und mögen gar nicht aufhören damit.

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Dante lernte, wenn ich nicht alle verwechsle, die große Liebe seines Lebens kennen, als das Mädchen zehn oder elf war und er neun. Sie spielten ein paar Stunden in einem Innenhof gemeinsam mit anderen Kindern. Ein paar Jahre später sah er sie zufällig auf der Straße wieder für ein paar Augenblicke und da war sie in Begleitung einer Freundin. Wiederum ein paar Jahre später sehen sie einander noch einmal, sie ist verheiratet und stirbt bald nach der Begegnung. Und er schreibt sie dann überall rein, z. B. in die Gedichte vom Neuen Leben, und in der Göttlichen Komödie führt sie ihn ins Paradies. Trotzdem war Dante, kommt mir halt vor, kein sympathischer Mensch. Die große junge liebreiche Unbekannte hat da das Kraut auch nicht fett gemacht. Außerdem hat er sie vielleicht ohnehin bloß erfunden; und der Titel Göttliche Komödie ist auch nicht von ihm.

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In der Unabhängigkeitserklärung vom 14. Mai 1948 steht, woran sich sodann niemand politisch Maßgebendes mehr gehalten hat, nämlich: Der Staat Israel wird all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht soziale und politische Gleichberechtigung verbürgen. Er wird Glaubens- und Gewissensfreiheit, Freiheit der Sprache, Erziehung und Kultur gewährleisten. Das ist der Ausweg! Von Anfang an wäre der das gewesen. So einfach alles. Die Araber hätten es glauben sollen. Sie sollten es wenigstens jetzt glauben. Jetzt! Aber wie soll das jetzt gehen? Jetzt glauben die überhaupt nichts mehr. Und die Israeli halten sich nicht mehr an ihre Unabhängigkeitserklärung. Die sind nicht mehr unabhängig.

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Als Herzl in Palästina war und in Jerusalem (1898, glaube ich, war das, ein einziges Mal nur war der dort), war er über das, was er wahrnahm, bedrückt. Dann hat er sich aber eingebildet, dass die jüdischen Einwanderer den Arabern Glück bringen werden und dass es keine Probleme geben werde und man allerorts dort nur dankbar sein werde. Für das wirtschaftliche Aufleben eben, kulturelle, zivilisatorische. Gleichberechtigt und frei werden die einen wie die anderen sein. Herzl soll sich das wirklich so eingebildet haben. Aber ich glaube nicht, dass das stimmt. Jedenfalls hat er gewusst und es ja offen ausgesprochen, in Briefen z. B., dass es gewaltige Probleme geben wird. Zwischendurch zumindest hat er es gewusst. Es hätte ja aber alles auch ganz anders seinen Lauf nehmen können und gut ausgehen und auch zwischendurch schon. Es wäre möglich gewesen. Wenn nicht ... was?

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Einer sagt, Musik sei für ihn ein Mensch, der immer für ihn da sei, geschehe, was wolle. Er brauche keine Angst mehr zu haben, sei geschützt und geborgen und mittendrinnen im Leben. Frau und Kind und Depressionen und Erschöpfungszustände hat der aber auch. Viel Erfolg auch. Sonst wär’ er eh schon tot. Das also ist Musik, hab ich mir heut halt gedacht, weil der selber ja keinen Unterschied macht zwischen der Musik und dem Musikgeschäft. Macht der nicht! Also ist das die. Außerdem mag ich Musiker sowieso eher nicht. Ein paar mitunter. Aber prinzipiell ist es bei mir so, dass ich Musikern nichts glaube.

 

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Der, der so oft herauskitzeln sagt. Dass man das so machen muss in seinem Beruf. Ein bekanntermaßen sexueller Mann. Eine Art Literaturkritiker. Ja, doch, der ist so etwas. Bin ich froh, dass er mit meinen Büchern nie etwas anfangen hat können! Mit mir sowieso nichts, seit wir uns das erste Mal kennengelernt haben. Verheiratet war er im Übrigen damals auch noch.

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Gespräch über Selbstmord, einer sagt, Selbstmord sei immer eine Sache der Ehre. Eine sagt, wenn man wo in den Tod springe, springe man in den Himmel. Wenn Menschen an der Stelle von anderen sprechen, glaube ich denen nichts. Wenn jemand nicht ich sagt beim Reden, sondern man oder wir, traue ich ihm nicht über den Weg. Aber bei suizidären Menschen habe ich immer das Gefühl, dass da jeder für die anderen mitredet und es also stimmt, was sie oder er sagt. Einer für alle.

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Gestern: Das Alle-für-einen fehlt. Die Folge ist dann der Tod.

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Den Computern gehen die Zahlen aus. Hat ja jeder eine Internetadresse. Aber es sind zu viele. Ist mir heute erzählt worden. Erzähle das brühwarm so weiter. Werde daraufhin freundlich gefragt, ob ich blöde bin. Zahlen gebe es ja unendlich viele. Glaub ich nicht, sag ich daraufhin. Stimmt ja auch, unendlich ist gar nix. Wir streiten daher. Sage z. B.: » Unendlich« ist ideologisch.

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In Kolumbien gibt es viele Blumen.

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Massa Araw, Rabbi Benjamin, Jehoschua Radler-Feldmann, hat ein Manifest verfasst mit diesem Titel, Massa Araw. 1907 hat er das getan. Als Mitglied von Berit Schalom. Ein pansemitisches Manifest war das. Brüder sind wir, hat er gesagt, ein gemeinsames Volk von Arabern und Juden, hat er gesagt; es sei genug Platz, Arbeit und Reichtum für alle da hier. Die so wie er dachten, z. B. von Berit Schalom die Leut’, sahen nicht den geringsten Unterschied zwischen den Jahrtausende alten Urhebräern und den Jahrtausende alten urarabischen Fellachen und Beduinen da hier. So einfach war das dort damals in seinen Augen. Massa Araw, das heißt arabische Vision und Berit Schalom heißt, glaub ich, Friedensvertrag. Die jüdischen Einwanderer, die wie Radler-Feldmann vor der Irrationalität gewarnt haben und vor der Zukunftslosigkeit, zum Beispiel dieser Smilanski, im Jahr 1914, in einer, glaub ich, Flugschrift, die Unsere Taten hieß, Ma’assejnu. Smilanski hat in der Nähe von Tel Aviv Land erworben, ist dann durch den Libanon und durch Syrien gereist und war in der Folge überzeugt, dass die jüdischen Siedler viel zu viel grundlegend falsch machen in Palästina und so die Araber unheilbar gegen sich aufbringen und mit den Folgen und dem endlosen Hass und Widerstand niemals fertigwerden. Fast 60 Jahre hat er dann dort aber gelebt, das war also doch möglich, von den 1890er Jahren an bis in die 1950er, auf seine Art halt hat er dort gelebt. Ist er in Israel geblieben. Auf seine Art eben wie gesagt. Ich weiß nicht, was er alles richtig gemacht hat. Auch nicht, was falsch. Auch unter einem arabischen Pseudonym hat er veröffentlicht, das war gewiss alles nicht falsch so. Genützt wird’s nicht viel haben.

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Kolumbus hat als Vizekönig von dem, was jetzt Kuba, Haiti und die Dominikanische Republik usw. ist, ein Gesetz erlassen, demzufolge sein Land da hier Indien und China sei und jeder Siedler das so sagen und sehen müsse. Auch soll Kolumbus Siedlern, die, weil sie ja keine Reichtümer vorfanden, anderer Ansicht waren als er, die Zungen abschneiden haben lassen.

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Ich verstehe nicht, was es bedeutet zu sagen, dass die Menschenrechte unteilbar sind. Vielleicht, dass man keines jemandem wegnehmen darf. Aber wenn einem, kommt mir vor, das Teilen etwas wert ist und man eben gerne mit anderen Menschen teilt, teilt man doch auch sein Menschenrecht gerne mit denen. Und weil ich das eben gerne täte, versteh ich eben nicht, wieso es unteilbar sein soll, das Menschenrecht. Ich empfinde das nicht als Spitzfindigkeit und mache mich auch wirklich nicht lustig. Stell mich auch nicht extra blöd. Ich meine das alles halt wirklich so. Aber was soll man also statt unteilbar sagen? Unantastbar? Das stimmt ja eben auch nicht. Die Menschenrechte sind unteilbar, sagt meine Frau oft. Die meint das auch so. Sie erklärt mir das auch so, dass ich es verstehe. Aber dann vergesse ich es im nächsten Moment sofort wieder. Es bedeutet ihr viel und, glaube ich, irgendwie dasselbe halt wie Individuum oder so. Das ist eben das, was man nicht zerstückeln und nicht zerstören darf und was unversehrt und ganz bleiben muss. Unbeschadet eben. So irgendwie erklärt sie mir das immer, kommt mir halt vor, aber irgendwie doch ziemlich anders sagt sie’s. Sie hat es mir wirklich schon sehr oft erklärt und es hat mir jedes Mal gut gefallen und ich hab’s da wirklich jedes Mal kapiert in dem Moment. Aber dann war’s eben sofort wieder weg. Ich frag sie oft irgendwas immer wieder und sie erklärt’s mir jedes Mal von neuem. Manchmal sagt sie dann, es wäre für sie leichter, wenn ich zuhörte. Es gibt keinen Menschen auf der Welt, der so viel Geduld mit mir hat wie sie. Mir wird immer ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zuteil.

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Das Sympathische am Internet ist der Klammeraffe, finde ich, nur der. Für die Italiener ist der eine Schlange, für die Russen ein Hund, für die Chinesen ein Mäuschen, für die Finnen eine Katze. Sonst ist absolut nichts international am Internet, absolut nichts human, absolut nichts sozial, absolut nichts kommunikativ. Ich übertreibe da absolut nicht.

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Landminen spürt man jetzt neuerdings mit Blumen auf. Denn im Sprengstoff ist Stickstoff, der ist dann im Boden. Und wenn damit eine bestimmte Pflanzenart in Berührung kommt, verändert diese ihre Farbe. Diese Pflanzenart sät man aus der Luft aus an mittels Flugzeugen und alles in allem brauchen die Blumen nur 6 Wochen und dann sieht man die Minen.

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Einer, der Schlaganfallpatienten betreut, sagt, ihm ist am wichtigsten, dass sie sich einen sicheren und schnellen Überblick verschaffen. Das üben sie und er gemeinsam. Der schnelle sichere Überblick wieder. Sich selber trauen müssen die Menschen bei ihm. Die Fehler, die man mache, seien da kein Problem. Denn worum es wirklich gehe, sei die spontane Fähigkeit an sich. Das Wollen-Können. Und einfach nur was begreifen. Sich innerlich immer sicherer bewegen dadurch und dann mit dem ganzen Körper. Auch die Stimme. Immer alles so gut, wie es eben gerade geht in dem Moment. Nur ja nie überwältigt sein von dem, was man nicht kann. Denn irgendwas könne jeder Mensch in jedem Moment in ausreichendem Maß. Vergeblich sei da nie etwas. Andere Menschen braucht man halt. Aber die sind ja eh da. Die Freude am Lernen und dass das Lernen wunderschön ist, das sei seine Aufgabe; nämlich allem voran das befreiende Lernen und Lachen.

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Für ein paar Stunden hat man den Bürgermeister von Bogota zur Veranstaltung hierher eingeladen. Vor ein paar Jahren war das, weiß nicht mehr, wann genau. Der ist gerne gekommen, weil er ja Hilfe braucht. Er lobte alle Bürgermeister bisher in der letzten Zeit. Seine Stellvertreter sind alle Frauen. 20 Vizebürgermeisterinnen hat Bogota dadurch. Der Bürgermeister heißt bei den Leuten, wenn man’s übersetzt, ICH KÄMPFE. Die vertrauen ihm sehr, weil jetzt viel weniger Menschen sterben. Die Frauen und Kinder eben haben’s besser durch ihn, die Männer aber auch. Ermordet z. B. werden nur mehr die Hälfte. Weniger gehungert wird auch. Angeblich eben haben seine Vorgänger auch schon ein paar Sachen versucht und sich viel getraut.

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Als die Türken Konstantinopel einnahmen, an diesem letzten Tag, haben die Christen im Kampf in einem fort alle Kirchenglocken der Stadt läuten lassen. Stundenlang war das. Haben Gott so zu Hilfe gerufen mit letzter Kraft. Nichts genutzt, alles furchtbar, kein Gott da.

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Ein Seminar über Obdachlose und ihre Hunde und eines über Zäune aller Art.

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Ein junger Mann, der wegen Staatsverleumdung angeklagt wird.

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Venezuela heißt Kleines Venedig. Weil zuerst alles auf Pfählen war und im Wasser.

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Einer sagt heute zu mir, Valentins Stücke seien oft sadistisch. Ist das wahr? Habe es nie wahrgenommen. Glaube es nicht.

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Der Goldrausch am Klondike. 100.000 Männer versuchten durch schwierigstes Gebiet dorthin zu kommen, jeder mit einem Gepäck von einer Tonne an notwendiger Ausrüstung und Lebensmittelvorrat. Von den 100.000 kamen 4.000 an. Von denen fanden ein paar Hundert dann doch Gold statt den Tod und die wurden dann aber eben wirklich sehr reich. Das war alles furchtbar schwer. Leicht reich wurden aber die Händler, Kaufleute, Grundversorger und Dienstleister vor Ort, auf welche die Goldgräber ja in jeder Hinsicht angewiesen waren. Mit anderen Worten: Goldene Nockerln kann man nicht fressen.

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Ein Moslem sagt, sein Heimatland sei eine vergewaltigte Jungfrau.

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Schnell dolmetschen, simultan fast, für ein Wort Wochen brauchen dabei. 2, 3, 4 Wochen mitunter für ein einziges. Aber zugleich dennoch ganz schnell sein und tatsächlich jedem verständlich, weil immer alles ganz einfach gesagt wird vom Dolmetscher, weil die Sachen nämlich in Wirklichkeit ganz einfach sind und weil der Dolmetscher selber die Sachen versteht und selber begreift und die Leute, denen er sie sagt, kapiert er auch. Und allen passt dann daher alles. Zwischendurch geht’s aber über seine Kräfte. Aber es geht dann eben doch ganz schnell für alle gut aus. Denn er ist sehr pflichtbewusst bei allem, was er da tut. Von ihm also das Dolmetschen lernen, das simultane eben durchaus auch. Obwohl er eben für ein Wort mitunter 4 Wochen braucht und alles so viel und schwer ist, ist am Ende alles schnell und leicht und einfach und tut den Leuten gut. Von diesem Dolmetscher daher das Dolmetschen lernen! Leben, Trost, Kraft müsse in den Worten sein, dann haben die Worte Sinn, sagt der Dolmetscher in etwa. Der ist wirklich gut.

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Eigentlich wollten die Amerikaner, die Kapitalisten eben, die Moskauer Metro bauen. Die Russen, Kommunisten, machten das aber selber. Aber die Amis wären Jahrzehnte früher und viel schneller fertig gewesen damit. Die Russen jedoch legten Wert auf die Schönheit.

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Eine Moskauer U-Bahn-Station ist nach Majakowski benannt. Dort gibt’s Flüsterbögen für Liebespaare. Natürlich hat er sich umgebracht und war unglücklich gewesen. Das ist ja eh klar. Aber sein Leben war nicht vergeblich, eben der Liebespaare wegen z. B.

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Einer sagt, dass Krieg immer bedeute, dass man die Söhne umbringt. Die fremden bringe man selber um, und dass die eigenen einem umgebracht werden, lasse man zu.

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Es gibt Computerspiele, durch welche die Leute angeblich wirklich Hungerhilfe lernen. Die UNO hat solche Spiele konzipiert und publiziert. Als ob sie’s selber könnte. Es gibt eben auch Computerspiele, durch die man Frieden lernt. Die kommen, glaube ich, auch von der UNO. Jedenfalls mit Gütesiegel sind die. Dafür, wie man soziale Bewegungen aufbaut und so fort, gibt’s auch Computerspiele, auch mit Gütesiegel. Computerspiele, die Flüchtlingslager simulieren, wiedergeben, gibt’s angeblich auch zu kaufen. Die Simulationen von Fluchtgeschehen sowieso.

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Dolmetschen. Zum Beispiel Hügel und Quelle, lauter Wörter von Luther. Sündenbock, Lückenbüßer, Lockvogel auch. Sogar auch für die Tiere und Kinder die Krippe. Die Wörter sind alle von Luther unter die Leute gebracht worden. Luther war sehr musikalisch. Das war wichtig fürs Übersetzen. Die Töne und der Takt und der Rhythmus. Alles eben, was mit dem Mund zu tun hat und den Händen und Ohren und Augen und den Nasen und allen Körperbewegungen, ist wichtig beim Übersetzen. Damit alles so leicht wird wie nur möglich. Vor Luther schon gab es Bibelübersetzungen ins Deutsche. 20 zirka. Ich weiß nicht, ob er in denen nachgeschaut hat. Geschummelt halt ein bisserl. Vielleicht eben hat er des Öfteren gewissermaßen aus dem Deutschen ins Deutsche übersetzt. Auch war er ja beim Übersetzen nicht allein, hat z. B. mit anderen Übersetzern zusammengearbeitet. Jedenfalls war er ein so guter und schneller Übersetzer, weil er eben genau all das tat und hatte und also nie allein war.

 

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Die Malaria bekämpft man sehr wirksam mit Kokosnüssen. Die sind nämlich voller Bakterien, welche von den Moskitolarven nicht vertragen werden und diese vergiften. Die Kokosnüsse werden zu dem Zweck in die verseuchten Teiche geworfen. Jeden Monat ist das neu so zu machen. Das ist auch etwas für die Lager, kommt mir vor. Wie die Computerspiele vor ein paar Tagen. Für Lager gibt es die gewiss auch, damit die in Ordnung kommen. Zitronengras hilft auch gegen die Malaria. Aber ich glaube, erst, wenn man die schon hat. Die Kokosnüsse sind die Prophylaxe.

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Halbwelt, sagt wer heute. Über den halben Bezirk da. Schon lange nicht mehr gehört das Wort hab ich. Wer Isfahan kennt, kennt die halbe Welt, heißt es, fällt mir dann ein. Warum heißt bei uns da hier was Halbwelt statt halbe Welt. Wenn man da hier jetzt 3, 4, 5, 6, 7 Minuten geht, ist man jedenfalls in der hiesigen Halbwelt. In jeder Richtung ist das so da hier. Früher, ohne Ausländer, war da hier auch alles Halbwelt. Viel mehr Gosse war als da jetzt, kommt mir vor.

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Die Nazis damals und jetzt. Es muss viel geschehen vorher, dass man so wird und ist. Wirklich so wird, wirklich so ist. Nazi nemo nascitur.

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Man schlägt mit geschlossenen Augen den Koran auf und die zufällige Stelle dort ist die Lösung für das Problem, das man gerade hat im Leben. So macht man das. Noch besser ist, man lässt einen Frommen oder einen Heiligen den Koran aufschlagen.

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Erich Fried soll sich als 6-Jähriger geweigert haben, ein Weihnachtsgedicht in der Schule aufzusagen, weil im Publikum der Polizeipräsident saß, der gerade eben für den Tod von zig Demonstranten, Arbeitern, verantwortlich war. Der kleine Fried soll das so zum Polizeipräsidenten gesagt haben und erst als der in der Folge auf und davon ist, soll Fried sein Gedicht aufgesagt haben und eingeleitet hat er es mit den Worten: Jetzt kann ich mein Weihnachtsgedicht aufsagen. Schwer zu glauben, aber wohl wahr. Fried wird so gewesen sein damals und dann eben so geblieben.

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Fried kannte sich gut mit Kurzschlüssen aus, überhaupt mit allem, was mit Strom zu tun hatte. Man sagte, das sei, weil er innerlich immer unter Strom stehe. Wenn er an Elektroeinrichtungen und -geräten bastle, dann sei er wie in seiner Seele. Aber mit der BBC hat es wahrscheinlich mehr zu tun gehabt.

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Dolmetscher ist ein türkisches Wort, glaube ich. Luther hat das Wort Dolmetschen sehr gemocht, aber unter anderem die Türken gehasst. Wer hasst, übersetzt falsch. Wenn die Dolmetscher hassen, ist alles verloren. In der Folge alle. Dolmetschen und hassen sind niemals dasselbe. Immer z. B., wenn Luther gehasst hat, hat er falsch übersetzt. Das ist bei allen Dolmetschern so.

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Man muss immer sagen, was man will. Wirklich! Es geht nicht anders.

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Der ganze Körper ist eine Maske. Von wem ist das?

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Das Kastensystem in Pakistan. Ganz unten die Schuhmacher. Und die Haarschneider. So wichtig alle bei uns, und bei denen der letzte Dreck.

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Fast 90 % der Russen sagen, dass sie Christen sind. Also was soll da schiefgehen. Wovor fürchten wir uns?

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Einer wollte heute wissen, wie Demokratie sich anfühlt. Ich kann das Wort nicht ausstehen. Anfühlen meine ich. Eine sagte hierauf, ich solle halt einfach sagen, was ich fühle, wenn ich an Demokratie denke oder das Wort höre oder wenn ich mir konkrete Situationen vorstelle. Dass ich nicht allein bin; dass ich zu etwas nutze bin; dass ich immer in jeder Situation etwas tun kann; dass ich immer eine Wahl habe und mir was aussuchen kann trotz allem; dass mich niemand zwingen kann zu etwas, das ich ganz sicher nicht will. Das ist Demokratie für mich. Der demokratische Rechtsstaat eben. Das sind meine Gefühle zu dem. Der Mann war dann irgendwie genug zufrieden und die Frau auch irgendwie und die paar anderen haben ein paar andere Sachen gesagt. Ich habe nicht mehr zugehört und weiß nicht, was. Habe zuerst sehr wohl versucht zuzuhören. Hab sie wirklich nicht verstanden. Sie waren mir aber sehr sympathisch. Jetzt geniere ich mich daher ein bisserl dafür, dass ich ihnen nicht ordentlich zugehört und sie nicht verstanden habe. Ich konnte das einfach nicht. Ich hätte nachfragen können. Aber da waren Welten dazwischen, weil ich sehr aufgeregt war und mein Kopf leer. Deshalb wahrscheinlich wird mir das, was die geredet haben, so leer vorgekommen sein. Und zugleich war mein, wie man so sagt, Herz von Steinen voll. Vertraut habe ich den Leuten heut eben nicht. Minderwertigkeitsgefühle werde ich gehabt haben. Ja? Die habe ich meines Wissens eigentlich nie. Wenn aber doch, gewiss nie wirklich. Wirklich unangenehme, meine ich. Ich merk meine Minderwertigkeitsgefühle gar nicht, falls ich die wirklich hab. Das Gefühl von Ehrlichkeit, ist das ein demokratisches Gefühl? War ich heut ehrlich? Waren die ehrlich? Nein, die nicht. Ha! Die nicht!

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Dass man schwach sein darf, das ist Demokratie, sagt heute einer zu mir, dem ich von gestern erzähl. Ich frage mich hierauf, ob wir da hier wirklich alle verrückt geworden sind. Als Kind und junger Mensch habe ich mir wirklich oft gedacht, ich habe nur die Wahl zwischen Schwachsinn und Irrsinn. Angesichts der Übermacht habe ich mir das gedacht. Ich habe das auch wirklich so empfunden. Gefühlt eben. Dass man schwach sein darf, das ist Demokratie. Wie kann der so was sagen! Natürlich, von Adorno ist der Schmus und hat mir ja eh immer so gut gefallen. Geliebt werde ich nur, wenn ich Schwäche zeigen kann, ohne Stärke zu provozieren. So heißt das bei Adorno. Aber was hat das mit Demokratie zu tun? – Demokratie ist Liebe? Kann auch sein, der berühmte Spruch ist von Horkheimer. Ich verwechsle die immer problemlos. Heutzutage ist das aber eh alles wurscht. Demokratie ist Liebe. Das habe ich dann jedenfalls zu dem gesagt heut und ob er das so meint, gefragt, und der hat gesagt: Demokratie ist der Ersatz für Liebe. Blöd ist der nicht.

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Die beste Demokratiedefinition ist, kommt mir vor, die von Lincoln. Government of the people, by the people, for the people. Auf einem Soldatenfriedhof hat er das gesagt. Angesichts der toten Soldaten, die man gar nicht mehr zählen konnte. Bei Gettysburg eben. Shall not perish from the earth, hat er dort damals gesagt von der Demokratie. Der hat eben klar gewusst, vor Augen gehabt dort, dass das alles plötzlich der totale Tod sein kann für alle und immer.

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Mich ärgert, dass es das universitäre Fach Volkskunde nicht mehr gibt. Die haben das allerorten umgetauft. Auf Kulturanthropologie und Ethnologie und solche Sachen. Europäische Ethnologie z. B. Die bilden sich viel was drauf ein. Obwohl es so wichtig wäre, heutzutage, das Volk nicht wieder von neuem den Rechten preiszugeben, haben die ihr Fach aus Angeberei umbenannt. Bert Brecht hat geschrieben, habe ich heut von wem g’hört, dass das Volk nicht tümlich sei. Davon haben diese neuen Wissenschaftler mit diesen neuen Namen aber unter Garantie noch überhaupt nichts gehört! Aber was weiß ein Fremder. Einmal war ich irgendwo freier Mitarbeiter bei denen, fällt mir im Zorn grad wieder ein. Gebe das aber nie an im Lebenslauf. Das wäre nämlich wirklich Hochstapelei von mir. Ja, aber bei denen eben, was ist das Ganze bei denen denn sonst? Das neumodische Gerede von Populismus regt mich auch immer so auf, egal, von wem alles. Populus ist nämlich, das wissen die ja alle nicht, das Staatsvolk und die Staatsdefinition bei Cicero heißt res publica res populi. Eine Demokratiedefinition ist das. Also ist das abschätzige Gerede von Populismus fast so dumm, wie wenn man Demokratismus sagen würde. Getraut man sich bislang noch nicht. Deshalb sagt man halt ersatzweise Populismus als Schimpfwort. Plebs und populus sind nicht dasselbe und außerdem war ja auch Plebejer zwischendurch ein gutes, ehrenvolles Wort. Rot war das! Alles weg jetzt! Plebejer- und Proletenkunde, das wäre ein schönes Fach! Demokratiewissenschaft!