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28.11. Einer sagt, dass er sich bei Fernsehfilmen oft schreckt, weil weder Abstand gehalten noch Masken getragen werden. So weit ist es schon mit mir, lacht er, & weil im Radio jetzt einmal Die Luftqualität in Österreichs Städten hat sich dramatisch verbessert gesagt worden ist. Dass Wirtschaftskammerpräsident Mahrer gefleht habe, ohne Weihnachtsgeschäft können wir uns alle in Leintücher einwickeln & auf den Zentralfriedhof spazieren, sei auch witzig. Dann lacht er mich aus: Und du versagst sowieso völlig! Nämlich weil ich entgegen meiner Ankündigung (er sagt Propaganda) in den Coronatagebüchern das Sozialstaatsvolksbegehren nicht erkläre, z. B. im Zusammenhang mit den Folgen des, meint er, die Wirtschaft & die Existenzen zerstörenden Lockdowns. Kannst nicht, gell? Ich sag was betreffend Jonathan Franzen, Fridays for Future, Freire, Bourdieu, Felber, Schulmeister, Werner Vogt. Nämlich dass ich’s Sozialstaatsvolksbegehren nächste Woche probieren werde zu erklären. Kopfschütteln.

29.11. Ich find’s lustig, was das Bundesheer alles können soll. Mir fällt da immer ein, wie heuer im Sommer die Frau Militärministerin in der Obersteiermark von leitenden Soldaten mittels Körperwackeln darauf aufmerksam gemacht wurde, dass die Ausrüstung, die sie am Leib tragen, sofort auseinanderfällt; zahlen müssen die sich auch die selbstverständlichsten Sachen selber.

30.11. Die Rosen um diese Zeit heuer; blühen von neuem, duften; & die vielen Knospen, Farben. Freundlich. Übermorgen ist wirklich Winter. Da sind die dann weg. Fehlen. Einmal ein Rosenwunder. Zwei Liebende, die sich trennen. Wann werden wir einander Wiedersehen? – Wenn die Rosen im Winter blühen. War dann der Fall.

*

1.12. Einer zurück aus der Internen nach etlichen Wochen; immer dünn gewesen, dennoch noch 10 Kilo abgenommen; hat zum Glück keinen Krebs. Sich vormals lustig gemacht & geärgert, wie viel hintangestellt wird wegen Corona. Im Spital dann plötzlich 3 Zusatzzimmer für Coronakranke, auf demselben Gang, da in den vorgesehenen Krankenhäusern kein Platz mehr. Er habe diese Menschen schreien & weinen gehört aus den Zimmern heraus seinem gegenüber. (Österreich.)

2.12. Eine Lehrerin in Istanbul; geträumt, sie halte es nicht mehr in der Wohnung aus, gehe irrtümlich zur falschen Zeit aus der Haustür. Ein Polizist hält sie sofort auf. Sie stößt ihn weg & läuft davon. Schlägt sich zu Fuß zu einer Freundin am Stadtrand durch. Ist jetzt dort. Wie jetzt zurück? Braucht Zugang zu ihrer Arbeit. Hat auch nichts bei sich.

3.12. Einer ruft mich an, sagt, derjenige, mit dem ich soeben telefoniert habe, lasse sich vielmals bei mir entschuldigen, das Ganze sei ein Missverständnis gewesen. Ich glaube nicht, dass sich da wer wirklich entschuldigt hat. Der Freundliche jetzt am Telefon will m. E. (mit allen Mitteln, u.a. durch Erfindung) vermitteln. Gelingt ihm sofort. Toller »Dolmetsch«! Entschuldige mich auch.

4.12. Einer regt sich über die Lehrer auf, die sollen sich, wenn’s ihnen wirklich um die Kinder geht, die Masken notfalls selber kaufen. Verdienen eh so viel. Ich dann: 1 Maske für 3 Stunden = 2–3 Masken pro Arbeitstag; eine kostet zwischen 7 & 9 €, = ca. 400 € im Monat. Viel, oder? Geht nicht durch, mein Argument. Er, Betriebsrat, kein Lehrer, sollte, sag ich dann, schnell im eigenen Dienstleistungsbetrieb schauen, dass seine paar 100 Leute FFP2-Masken bekommen vom Arbeitgeber.

5.12. Wohnhaus, 5 Stockwerke, alle Türstöcke & Türen werden zugleich herausgerissen & ausgetauscht & stehen die gesamte Arbeitszeit lang offen, je Etage 10–12 Stunden; 4 Wohnungen, Gang davor & dazwischen insgesamt keine 3 Meter; Luftzirkulation (inkl. Stiegenhaus) eher 0 oder saukalt; 2–3 Handwerker, eher ohne Masken (wenn unter sich & infolge Anstrengung); Beginn: im sog. harten Lockdown. Sozialarbeiterin in Sorge um ihre Klientin, diese aus verschiedenen Gründen Risikogruppe. Hausverwaltung, bester Ruf, der Sozialarbeiterin gegenüber korrekt & sehr entgegenkommend. Sozialarbeiterin weiterhin unruhig: Just, weil alle Personen & Einrichtungen, an die sie sich vor & nach der Einigung mit der Hausverwaltung gewandt hat, sagen, das Ganze sei kein Problem. Ist es aber. Dass Arbeit & Einkommen vor Schutz & Gesundheit gehen, solle wenigstens offen gesagt werden, meint die Sozialarbeiterin. Aber so jetzt werde immer versucht, etwas einzureden, das nicht die Realität ist. Mit Pragmatik habe das nichts zu tun, sondern die Menschen können sich im Arbeitsalltag nicht selber schützen, muten den Pallawatsch, dem sie nicht auskommen, dann auch den anderen zu. & die, denen selber nicht so viel geschehen kann oder auf die gut aufgepasst wird, sagen ohnehin, es passe so & gehe nicht besser. Die Sozialarbeiterin hat ihrer Schutzbefohlenen wegen Angst vor der kommenden Woche.

6.12. Eine Lehrerin sagt, das Positive heute sei, dass sie in der Kaserne auf Negativ getestet worden sei. Organisationsablauf dort optimal. Aber dass ihre Schule aufsperrt, sei falsch. Über 550 Kinder & Jugendliche normalerweise, jetzt dann über 400. Nahezu kein Unterschied, die Klassen überfüllt. Auch beginne der Unterricht in vielen Schulen erst am Mittwoch, bis dahin massenweise Infektionsmöglichkeiten beim Weihnachtseinkauf (Eltern & Kinder). Die Lehrerin ist wegen ihres substanziellen Unterrichtes beliebt & viel bedankt. Lobt die Kinder (& Jugendlichen) vor allen für deren Fleiß & wirkliches Interesse & für die Lebhaftigkeit. Doch das Öffnen vor Weihnachten führe zwangsläufig ins Chaos usw.

7.12. Einer, der sich jetzt nicht testen lässt, sagt, er habe kein Vertrauen und da sei er ja ganz offensichtlich nicht der Einzige. / Habe in den letzten Wochen aus den Einträgen der anderen Corona-Tagebuchschreiber*innen Wichtiges gelernt; habe diesmal mittels meiner Assoziationen, Einträge, endlich ein bisserl was dazutratschen wollen. Geht wieder nicht. (Ort & Zeit.) Das Sozialstaatsvolksbegehren anno 2002 habe ich auch (wieder) nicht explaniert. – Einer der namhaften Virologen sagt seit vorigem Winter, wir erleben eine Naturkatastrophe in Zeitlupe. Diese Woche auch hat andererseits eine Fernsehmoderatorin in Gegenwart eines hochoffiziellen Genies lebensfroh geschwärmt, wir alle seien ja vielleicht mitten in einem Live-Experiment. Mit Verlaub: gewiss. Aber es sind Dörner-, Milgram- & Zimbardo-Experimente. Was soll da denn jetzt nützen inmitten selbiger & der Naturkatastrophe in Zeitlupe, wenn nicht eine Art & Weise von wiederholtem Sozialstaatsvolksbegehren? (Jede nach ihren Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen. Jeder nach seinen Fähigkeiten, jede nach ihren Bedürfnissen. Auf Deutsch: Was braucht wer, was vermag wer?)

*

7.12. Ein Kollege sagt zu mir: Du steckst dich sicher nicht an. Du bist ein zweiter Monk. Immer gewesen. Stimmt.

8.12. Eine junge Frau sagt: Das Problem sind die Computer. Die Menschen glauben dadurch, alles geht automatisch. & die reichen Leute & die Machtpolitiker sind gewöhnt, dass sie nur anzuschaffen brauchen, & jemand anderer muss & wird’s dann schon machen. Unsere Politiker sind verwöhnte Kinder, tragen selber nie die Konsequenzen. Hat die junge Frau gesagt! Und: Das Virus macht alle Lügen alle!

9.12. Der Schwarzafrikaner, der früher einmal im Monat um ein paar Euro hierher kam. Seit Februar nie. Sagte immer: Servus, Chef!, lachte, zählte die kleinen Münzen & wünschte der Familie alles Gute & viel Glück. Denke oft an ihn; erreiche ihn nicht, sein Handy außer Betrieb; Sorge: die Lockdowns, krank, sonst irgendwas. Behördliches? So: & heute ist er wieder da! Gott sei Dank! Wartet, friert. Rechnet mit gar nichts. Waren nicht da. Ist zermürbt, bedrückt, leise. Nicht wie sonst. Wünscht aber wieder alles Gute & Glück. (Viel weggelassen.)

10.12. Kirchgang im Parlament; mein frommer Bekannter* außer sich: Diese Heuchelei! Was ist mit den Flüchtlingskindern auf den griechischen Inseln? Ein Bub auf Moria hat zu seiner Mutter gesagt, es wäre besser gewesen, sie beide wären verbrannt. Was sind das für Politiker bei uns, warum sind die bloß so, ich versteh die wirklich nicht. (*Kürzlich telefonische Voruntersuchung, ob Parkinson. Nein, ist essentieller Tremor; bis zur Untersuchung Betablocker oder in der Früh Bier, Wein oder Schnaps trinken! Kommentar, obgleich Antialkoholiker: Die Chassidim trinken morgens Schnaps, die Quäker & Shaker zittern. Das gehört dazu.)

11.12. Eine junge Frau (andere) sagt, die Merkel müsse unbedingt noch einmal als Kanzlerin kandidieren. Wenn’s in der BRD nicht gehe, solle die Merkel nach Österreich kommen. Bei uns gebe es niemanden wie sie. Unsere Politiker können alle nicht vernünftig mit den Leuten reden, seien unglaubwürdig, bei denen sei 1+1 nie 2 & zum Beweis zeigen die dann Grafiken & stellen Experten & Studien vor & reden im Fernsehen. Vor ein paar Tagen habe die Wirtschaftsministerin gesagt: Wir haben das alle noch nie erlebt. Wir lernen gemeinsam. Die junge Frau habe das empört, sie halte die jetzigen Politiker für lebensfern & ungebildet & überhaupt nicht vorbildlich. Es fehle an Fürsorglichkeit. Genauso an substanziellen, niveauvollen Diskussionen mit Geistes-, Kultur- & Sozialwissenschaftler*innen. Z. B. mit Ideen- & Sozialhistoriker*innen. Zuerst habe sie sogar geglaubt, der höfliche Politologe, der im Fernsehen mit der Wirtschaftsministerin mitdiskutierte, wolle Regierungsberater werden, aber dann habe er ja doch die mangelnde Fehlerkultur beklagt. Die junge Frau sagt, sie ertrage die grassierende geistige Unredlichkeit nicht. Deshalb: Die Merkel muss her!

12.12. Bachler, sein Anwesen (das höchstgelegene in der Steiermark) in letzter Sekunde vor der Zwangsversteigerung bewahrt; das Kreditgebaren der Bank betriebsfeindlich + unverhältnismäßig + existenzzerstörend + spekulativ; Ökologie- & Ökonomie-Skandal. Moralischer sowieso. Geht durch alle Medien. V. a. aber die Hilfsbereitschaft & die landwirtschaftliche Grundversorgung Österreichs: Über alles wird jetzt lebhaft geredet: von der Rettung der Wirtschaft, der Arbeitsplätze, der Natur & des Geldes. Meines Empfindens ist’s, als ob’s Sozialstaatsvolksbegehren endlich angefangen hat, sich zu formieren & Tätigkeit zu entfalten. (J. Ziegler sagt, das Gras wachsen zu hören, sei das Um & Auf. Auf also!)

 

13.12. UK: allergische Reaktionen auf Corona-Impfung, 2:100; offizielle ärztliche Warnung, Allergiker nicht zu impfen. Eine Allergikerin, Bekannte, sagt erschrocken, dann könne sie sich nicht impfen lassen. Ein Arzt sagt, man müsse halt eine Antihistamintablette vorher nehmen, wie manche Patienten eben vorm Essen. Mir fällt daraufhin ein, was ein Ärztekammerpräsident einmal gesagt hat, nämlich: Medizin ist keine Wissenschaft, sondern eine Kunst. Rechne: 2 von 100 sind 2 %. 2 % von 5 Millionen sind 10.000. Unterm Strich: Weil ja Hunderte Millionen EU-Menschen geimpft werden, würden EU-weit etwaige Nebenwirkungen eventuell Zehntausende, Hunderttausende bzw. ein paar Millionen betreffen. So einfach ist das mit den großen Zahlen. Nein, stimmt nicht? / Viel & großes Lob, wie gut die Teststationen organisiert sind. Dass alles problemlos funktioniert hat, hängt aber vielleicht auch damit zusammen, dass die ja gewissermaßen fast auf Nullbetrieb gefahren sind. Da kann nicht viel schiefgehen, oder? Diejenigen von meinen Bekannten, die hingehen, sind jedenfalls beeindruckt von der Problemlos- & Schnelligkeit. & möchten, dass alles so abläuft, auch die Impfungen. Vertrauen jetzt viel mehr darauf. Einige sind zum Testen gegangen, um ihre Angst loszubekommen; möchten sich öfter testen lassen pro Woche, weil sie hoffen, bei rechtzeitiger Erkennung nicht schwer zu erkranken & schnell zu genesen.

*

14.12. Die Altenpflegerin, die ausbildet & gemocht & geachtet wird. Wenn bei ihren eigenen Schützlingen Erschwernisse eintreten, Ausweglosigkeit bevorsteht, nimmt sie das sehr mit; hat ihre Mutter früh verloren. Die Zeit jetzt sei für alle schwer. Die Sorgen! & die jungen Leute können nicht weg, finden nicht ins Leben, nehmen deshalb die Drogen.

15.12. Die Held*innen des Coronajahres werden groß geehrt. Held*in heißt eigentlich freier Mensch. Glaube nicht, dass die Helfer*innen da hier jetzt freie Menschen sind; Arbeit kommt von orbari, i. e. zurückbleiben, im Stich gelassen werden, ausgeliefert sein; daher auch arm. Prekär kommt von Bitten, Betteln & Flehen. Der Pfleger, Betreuer, der sich im Frühjahr mit seinen behinderten Klienten mit einsperren hat lassen, weil er sie nicht im Stich lassen wollte. Nie mehr berichtet worden. Jetzt dann? Ja?

16.12. Eine kleine %-Fahne. Attacler, 3! 2 ältere Frauen + 1 viel älterer Mann, tut sich beim Gehen schwer. Teilvermummt (= maskiert) & tapfer. Auf ihrem Pappendeckel steht handgeschrieben: Reiche ...

17.12. Eine Bekannte telefoniert: Wir werden viel verzeihen müssen & vorher ist vorbei & gibt’s nie mehr. Vor Corona, meint sie. Glaubt die Sprüche & sagt mir, wer die geklopft hat. Ein Politiker, ein Arzt & eine Moderatorin waren’s. Meine Meinung: 1) Verzeihen: Voraussetzung, dass verlässlich kein Schaden mehr angerichtet wird & dass unverzüglich Wiedergutmachung erfolgt. 2) Alles, was jetzt ist, ist schon geschehen (siehe Thukydides). Die 1. Republik war die präventive Lösung unserer Probleme jetzt. In der 2. war’s der Sozialstaat.

18.12. Werde auseinandergenommen: im Corona-Tagebuch meine ständige Sozialstaatsvolksbegehrerei & der Vermerk zur verhinderten Versteigerung des Anwesens Bachler. Die Rettung sei Kitsch & PR (für Gabalier!). & ob ich mir Gabalier & die Großbauern als Galionsfiguren fürs Sozialstaatsvolksbegehren wünsche. Lächerlicher gehe es gar nicht mehr! = Kritik von links. Von rechts: Bachler sei selber schuld, habe missgewirtschaftet, Vergleichsangebote ausgeschlagen, fehlinvestiert, Nachbarn als Systembauern & Systemtrotteln beschimpft. Mir wird schlecht: dieser Neid! – Wie vielen Bauern in Österreich stehe bevor, dass ihnen Existenz & Leben zerstört wird! Darum geht’s doch, oder? Ist in Bachlers Fall verhindert worden. Dem hat man helfen können & andere mögen folgen! (Bourdieu war links & von Bauern her & die waren wesentlich für sein sozialwissenschaftliches Werk. Seine Ideen zu Wirtschaft & Zukunft waren landwirtschaftlich geprägt.) / Nächster Vorwurf an mich: Ich sei Impf-, Test- & Maskengegner. Erwidere: Eine Impfpflicht ist für mich überhaupt kein Problem. Aber der Staat muss dem Verursacherprinzip gemäß haften: die korrekte Voruntersuchung & Applikation gewährleisten & für etwaige Folgeschäden aufkommen. Infolge der Tests darf es zu keinen Ansteckungen kommen & die Masken sind hygienisch einwandfrei zu handhaben. Hierauf wird mir gesagt: Die Leute sind zermürbt, wollen endlich wieder halbwegs normal leben & werden sich daher gewiss testen & impfen lassen. Eine andere Hilfe gebe es ja nicht. Was werden Sie tun? Antworte: Ich glaube, dass man sich dauernd impfen wird lassen müssen. Wie jedes Jahr wieder gegen die Grippe, immer gegen eine andere Variante. & Rübsamen-Schaeff, eine der renommiertesten Onko- & Virologen, hält es für möglich, dass wir durch die Impfung Überträger werden. Werde ausgelacht. Nicke. Sage, dass ich das Freitesten im Januar nicht verstehe & das jetzt am Wochenende vor Weihnachten auch nicht. Denn mehr als 3 Tage gelte ja kein Ergebnis; zum Beispiel 2 junge Männer da hier, die jetzt bei den Massentests negativ waren, keine 36 Stunden später akut Corona-krank. – Zorn. – Erwidere: Ärzte & Wissenschaftler tun zurzeit das, was die Politik aufträgt. Wissenschaft muss aber unabhängig sein, sonst ist sie nutzlos. (Ärzte denken auch anders als Wissenschaftler. Probieren anders = trotzdem.)

19.2. Einen Freund ärgert die rührende Babyelefantenwerbung im Fernsehen: Ein kleines Kind droht zerquetscht zu werden. Aber die Moria-Säuglinge, die von Ratten angefressen werden, interessieren nicht! Dass Bischof Glettler ohne Kinder zurückkommen muss, kann mein Freund nicht fassen. Sagt, wir alle werden von der Regierung dazu gezwungen, Beihilfe zu leisten. Er sei kein Jurist, aber für ihn sei es Mord. Unterlassene Hilfeleistung, sage ich. Mit Todesfolge, sagt er: Quälen von Unmündigen & fahrlässige Tötung.

20.12. Wieder fordert der Caritaspräsident von der Regierung ein gesundheitliches & ökonomisches & soziales & ökologisches Gesamt- & Zukunftskonzept. Ha! Das Sozialstaatsvolksbegehren inklusive bedingungslosen Grundeinkommens ist das! Aber das müsste ja die Caritas machen, nicht die Regierung, kommt mir vor. / Kanzler Kurz: Die Politik muss entscheiden, die Wissenschaftler schaffen zu viel Verwirrung! Hans Kelsen würde den Kanzler verklagen, Max Weber den Kanzler öffentlich für nicht satisfaktionsfähig erklären. (Minimum.)

*

30.12. Herzinfarkt am Christtag. Seit heute Mittag bin ich wieder daheim. Geht mir besser als zuvor heuer. Ist nicht selbstverständlich. / Mir wird heute ein besseres neues Jahr gewünscht. Ist nicht nötig. Das Jahr war gut, denn ich lebe noch & bin unbeschadet. Die Rettungskette hat sofort & fehlerfrei funktioniert. In den folgenden Tagebucheinträgen berichte ich nur davon.

31.12. 12 Uhr 30: Kann nicht atmen. Gehe in Richtung meiner Frau, will nicht umfallen. Schleppe mich ins Zimmer in den ersten Stock. Schweißausbruch. Keine Luft. Brust zusammengedrückt. Nehme 2.000 mg Magnesium, Gefühl der Erleichterung; will abwarten. Mein Mund offen. Meine Frau sagt: Egon, das schaffen wir nicht allein. Hält mich. Ruft Rettung & Notarzt. Sind binnen 10 Minuten da. Wichtig, dass ich nicht das Bewusstsein verliere. Gebe Antwort, rede. Soll sitzen, nicht liegen. Bekomme Sauerstoffmaske. Notarzt kommt. Scheint mir ungehalten. Wird freundlich. Bekomme FFP2-Maske statt Sauerstoffmaske. Sie haben einen Herzinfarkt. Sie bekommen sofort einen Herzkatheter. Sage: Ich werde jetzt benommen. Sagt: Ich habe Ihnen etwas gespritzt. Mache einen Witz. Schauen ernst. Bete laut, ist mir in der Brust eine Hilfe. Werde hinuntergetragen. Bedanke mich bei meiner Frau für alles. Im Hof bei meiner Tochter & bei meinem Schwiegersohn. Abfahrt verzögert sich, weil im Auto Vorversorgung.

1.1. Bekomme im Spital rechts drei Stents, da Infarkt rechte Hinterwand & linke Vorderwand. Vor Coronaabstrich die Schwestern unruhig. Die Eheringe lasse ich mir nicht abnehmen, sage: Nein. Den Herzkatheter empfinde ich sofort als Wohltat. Stentsetzung links erst in ein paar Tagen. Auf die Intensiv. Stolz, nie bewusstlos zu werden. Gebe immer Antwort. Erwidere jede Freundlichkeit. Guter Dinge. 18 Uhr 30: Schichtwechsel. Die neue Schwester stellt sich mit Familiennamen vor. Ein sehr verlässlicher. (Der der Ärztin vom Nachmittag & jetzt dann in der Nacht auch.) Alle freundlich, herzlich. Mitternacht: Sage: Mein Herz kann nicht mehr schlagen. Blutdruck 60 zu 40. Geht alles gut aus. Große Verbundenheit zwischen der Schwester & mir. 6 Uhr 30: Schichtwechsel. Verabschiedet sich. Bedanke mich. Die Ärztin geht auch: Sie sind überm Berg. Meine Frau hat mit ihr telefoniert. Wichtige Sachen (Talisman) hab ich hereinbekommen. Den neuen zuständigen Pfleger mag ich sofort, gibt mir die Hand. Trägt keine Maske. Wasche mich selber. Bekomme Kakao, Butterbrot & Salz. War ein Witz gewesen in der Nacht. Der Pfleger verbringt in dieser & der übernächsten Schicht viel Zeit mit mir. Sagt einmal: Machen S’ keinen Stress, Herr Leitner. Ich mach eh alles. Lachen viel. Sagt ein paar Mal, dass ich den schweren Herzinfarkt ernst nehmen müsse. Bitte die OA, dass meine Frau & mein Seelsorger auf die Intensiv dürfen. / Mein Intensivbett wird gebraucht. Sage: Ich will nicht raus. Verstecken Sie mich wo da herinnen unter einem Bett. Zufällig, weil meine Werte zu hoch, kann ich bleiben. Der Mann mit der schweren Hepatitis & der mit den Herzklappendefekten warten weiter auf mein Bett. (Triage.) Spreche eine offizielle Vollmacht für meine Frau aus. Bitte, das im Krankenakt zu vermerken. Meine Frau kommt zu mir. Alles wird gut.

2.1. 18 Uhr 30: Nachtschicht. Die militärischste. Mir wird wieder gesagt, wie schwer meine erste Nacht war. Zerlege wieder mein Bett. Kann das erste Mal aufstehen, sodass es fixiert werden kann; die eigenen Beine Wohltat. Eine Schwester weckt mich versehentlich, entschuldigt sich. Dass ich schnell reagieren kann, hochschrecken, gibt mir aber ein gutes Gefühl, Kraft. In der Früh der Pfleger: Dass Ihr Bett gehalten hat, ist für mich ein Triumph! Wir lachen. Sagt: Gell, wo ich bin, passiert nichts. Zuerst geglaubt, es sei eine Machopartie, aber die Pfleger haben alle auf die Schwestern gehört wie auf Chefinnen.

3.1. Letzte Schicht: Wieder mein Lieblingspfleger. Erzählt seine Hobbys & dass sein Freund ohne Verfügung, er selber auch. Reden über die Ruhe auf der Intensiv. Als ob sich jede*r auf jede*n wirklich verlassen kann, ist es hier. Wenn eine*r ausfällt, sozusagen fällt, wird ihm, ihr die Genauigkeit & Sorgfalt & Verlässlichkeit zuteil, die er, sie selber aufbringt. Versprechen einander, uns in meinem Ort wiederzusehen. Werde auf die Station gebracht. Auch dort Sorgfalt. Seelsorger schon da. Beten. Reden über Moria. Bildet sich ein, auf EU-Ebene & in den Bundesländern tue sich viel. Glaube das nicht. Dass die Regierung, der Kanzler, den Kindern helfen wird, glaubt er selber nicht.

4.1. Dränge nach Hause, zumal jeder Tag & jede Nacht problemlos. Letzter Abend absurd. Falsch im System, wenn Hilfsschwestern fürs (Menschen-) Putzen, Essen & Spritzen zugleich zuständig sind. Personalmangel: Überforderung, Müdigkeit, unhygienisch, Gefahrenquelle. Mehrmals noch Telefonate mit einem Schulfreund. Klärt mich medizinisch auf & beschwört mich. Verspreche ihm alles, was ich halten werde. Sagt mir wieder, wie viel Glück ich gehabt habe. Ja, eben, diesen Sozialstaat begehre ich! (Für alle.)

*

5.1. Dass die Aufgabe darin besteht, sich weder von der Macht der anderen noch von der eigenen Ohnmacht dumm machen zu lassen, von wem ist das?

6.1. Zufluchtsorte. / Haltet ein, ihr Herren!, im seit Tagen ersten Film, den ich mir anschaue. Im nächsten sagt einer Zeithäufen. / Im Juni, Juli & August 2020 habe ich immer & immer wieder versucht, Kontakte aufzunehmen & herzustellen. Aber die Guten waren alle auf Urlaub. Wirklich. In Pension war einer auch gerade gegangen. Um die Pflegeversorgung, Vorsorge, für den Herbst war es mir gegangen & ums Sozialstaatsvolksbegehren als Ganzes. Stattdessen haben die dann was gemacht, das, glaube ich, Österreich hilft Österreich geheißen hat. (Spenden.) Ich war fix & fertig.

 

7.1. Freiheit heilt, von wem ist das? / Eine sagt zu mir wieder, dass Spinozas Ethik ein Tagebuch sei; wie ein solches zu lesen. / Meine Frau geht mit mir jeden Tag eine Stunde spazieren & jeden Abend spielt sie mit mir in der Wohnung Fußball. / Kreisky hat einmal gesagt, er fürchte sich vor der Zeit, in der eine neue Politikergeneration über die Leben bestimmen werde, welche die Zwischenkriegs- & Kriegszeit nicht erlebt habe. Diese Politiker werden nicht verstehen, was auf dem Spiel steht. Werden weder reagieren können noch präventiv sein. & einmal hat er beklagt, dass es keine öffentlichen Denker mehr gebe wie Otto Neurath. Den Neurath hat Kreisky sehr gemocht, weil der immer gut aufgelegt war & eine gute Idee nach der anderen hatte.

8.1. Freundlich sein, den Boden bereiten für Freundlichkeit.

9.1. Michelangelos Gedicht: Der Stein, der sagt: Weck mich nicht auf. Sprich leise. / Die Tierfilme, Gespräch: Eine Politikerin, die ich mag, verträgt nicht, wie die fremden Jungen umgebracht werden, um damit die eigenen zu füttern. Ich glaube auch, dass die Natur Blödsinn ist. / Die meisten Leute verwenden die Begriffe Helferhilflosigkeit & Helfersyndrom falsch. Jedenfalls nicht im Sinne des Erfinders (= Wolfgang Schmidbauer). In dessen Augen besteht das Problem darin, dass die Helfer & Helferinnen ihre Probleme & die ihrer Einrichtungen, die Arbeitsprobleme, nicht benennen, weil sie als Einzelne & als Ganzes perfekt sein müssen. Daher die Katastrophen.

10.1. Einer sagt, Geheimnisse sind sinnlos. / Gehe davon aus, dass von sozialdemokratischer Seite die Wiederholung des Sozialstaatsvolksbegehrens aus dem Jahr 2002 angedacht wurde im Sommer 2020. Dann hat man es wohl wieder sein lassen. Oder strategisch aufgeschoben. Heute dann ist der IHS-Chef Arbeitsminister geworden. Die Sozialdemokraten werden es also schwer haben. Als Sozialdemokraten. Wie nach dem Krieg am Anfang der Zweiten Republik & in den ersten Jahrzehnten braucht jetzt jeder jeden. Die Arbeitnehmer werden jetzt wirklich gebraucht. Als Konsumenten. Die Arbeitslosen auch. Aber den Sozialdemokraten wird das nichts nützen. Die sind immer hintennach. Die wollen ihre Institutionen halten & verlieren sie dadurch. Fällt nichts ein sonst. (In Ciceros Staatsschrift lautet ein Fragment: Durch Personalmangel haben wir den Staat verloren.)

11.1. Einer sagt, Ideen sind Luftschnapper. / Eine schreibt einem einen hundert Seiten langen Brief. (Mir nicht.) / Einmal hat es ein Ministerium aller Talente gegeben. In Österreich nie. / Gute Nachrichten sammeln & aufnotieren. / Eins teilt sich in zwei. Von wem ist das? / Fälligkeit. /Einmal letzten Sommer habe ich einen gefragt, ob seine Organisation einen Plan habe. Antwort: Nein. Den hat aber niemand. & einer hat im Sommer zu mir gesagt, jetzt werde alles in Ordnung gebracht. Man sei durch die Schnelligkeit der Ereignisse überfordert gewesen, aber die Pflege eben z. B. werde in Ordnung gebracht, alle sagen ihm das so. Ich erwiderte: Das geht nicht. Die können das nicht. Es ist etwas Systemisches. / Mir wird gesagt, ich müsse mich unbedingt impfen lassen, sei gefährdet, hätte im Ernstfall keine Chance. Nichtsdestoweniger war ich, seit ich ein Schreibender & Veröffentlichender & Vortragender bin, immer vorsorgend, für die Vorsorge eben, angesichts dessen, was kommen wird. Das gewesen zu sein, nehme ich tatsächlich in Anspruch. / Beim Spazierengehen, die Leute sind immer sehr freundlich. Viel mehr gegrüßt wird, kommt mir vor. Luft hab ich auch viel mehr. / Bin angewiesen, jeden Morgen vor dem Blutdruckmessen 20 Minuten Ruhe zu geben & zu halten. Bete da immer zwei kurze Hebräische, die ich sehr mag. & dann mache ich Lachyoga, Haha gegen die Angst, Hehe fürs Immun, Hihi, damit mein Kopf wach ist, Hoho gegen den Groll & Huhu für die Verdauung. Gut. Sodann bekomm ich meinen Kakao. Der wird auch jeden Tag besser.

*

12.1. Beim Blutdruckmessen steche ich mir mit dem Gerät in den Daumen; glaube nicht, dass sonst wer kann, wozu ich imstande bin. / Beim Spazierengehen: vor einem Haus eigentlich ein Freimaurerkreuz, großes. In den USA die schwarzfarbigen Freimaurer fallen mir ein, wie stolz sie durch die Stadt marschierten.

13.1. Einer redet am Telefon eine halbe Stunde lang auf mich ein; beantworte jede seiner ihm dringlichen Fragen & einmal muss ich aufs Klo. Als ich wieder da bin, sagt er, ich sei sehr geschwächt & er mache sich Sorgen. Fängt wieder an, auf mich einzureden; werde zornig. Vor ein paar Tagen hat er geglaubt, ich könne einfach weitermachen, als sei nichts passiert; aufstehen & weiter geht’s. Tut’s ja eh. Ich muss aber aufpassen. & er hat Angst, z. B. vor der Zukunft, z. B. seiner, z. B. beruflichen. Bemüht sich, guter Dinge & Laune zu sein. Sprudelt vor Lebensfreude. Schön ist das. Ich muss das Telefonat aber beenden, aus Schwäche. In der Nacht heut, 24 h, hat mich aus der BRD ein netter Soziolog’ angerufen zum Tratschen. Ruft mich immer aufs Festnetz an; kapier nie, warum das für ihn billiger ist. Bin zum Telefon gelaufen, hab ja nicht gewusst. Ui, so unhöflich war ich schon seit Jahrzehnten nicht mehr! Funktioniert noch alles bei mir! Gott sei Dank!

14.1. Einer sagt heute zu mir, ich sei ein Verschwörungstheoretiker. Oder ein Sympathisant. Erwidere: Wenn ich ganz ehrlich sein soll: Ich bin kein Verschwörungstheoretiker, sondern ein Verschwörungspraktiker. Eigentlich bloß Praktikant. Seit Jahrzehnten nur ein Verschwörungspraktikant. Mein Gegenüber erwidert, dass das nicht so lustig sei von mir, wie ich vielleicht glaube. Erkläre daher Erasmus. Die Querela pacis. Bilde mir halt ein, dass dort (vor 30 Jahren gewiss) gestanden ist: Conspirate in nomine Jesu! & Coniurate inter vos in nomine pacis! Oder so ähnlich. Vor Jahrzehnten auch & Jahren hab ich Jean Ziegler & einmal Rupert Neudeck nach Graz einzuladen versucht (& noch ein paar); wollten kommen, hätten nichts, wie man so sagt, gekostet. Ist gescheitert – woran? Pscht! (Geschäftsleute da hier.)

15.1. Einer sagt, er habe oft mit EU-Leuten zu tun. Wie die über Flüchtlinge reden, verwundere es ihn nicht, dass die Kinder & Frauen auf den griechischen Inseln & die Flüchtlingsmänner in Bosnien als Untermenschen behandelt werden. Subhumans sagt er dann, damit er nicht immer Untermenschen sagen muss. Der Seelsorger im Spital, Herzzimmer, fällt mir ein, der auf die EU hofft. & dann, dass es jetzt Zeltdemonstrationen in österreichischen Städten immer mehr geben soll, um unsere Regierung dazu zu bringen, wenigstens ein paar Kinder bei uns aufnehmen zu lassen. Kleine Untermenschen zwar eben, aber die täten da hier ja eh niemandem was, oder? Die vorige ÖVP-FPÖ-Regierung – eine Sozialpsychologin hat damals gesagt, worum es gehen müsse in Österreich & europaweit, sei, das Herrenmenschentum nicht zuzulassen. Die hat sofort verstanden, was los ist. Jetzt haben wir eine Türkis-Grüne-Regierung, warum ist das noch immer so?

16.1. Die Impfkampagne, Zeitung: Die Enkelin darf endlich wieder die Oma küssen; Fernsehen: der 94-Jährige & in Weiß & mit Büchern die Krankenschwester. & in den Nachrichten wird das Impf- & Virusgeschehen mittels Vergleich mit Autos, Fußball & Kartenspielen erklärt von den Expert*innen. Kennen sich aber mit Kartenspielen, Fußball, Autos nicht aus. & wer sich nicht impfen lassen will, sei ... (Ich will ja eh, muss ja!) trotzig z. B.; Trotzreaktionen von Pflegepersonal, das nicht will. Infantile sind trotzig; die Verweiger*innen hingegen haben 0 Vertrauen. Sind gewohnt, allein & im Stich gelassen zu werden & dass man mit ihnen von Chefitätenseite macht, was man will & was überanstrengt & nicht guttut, sondern schadet (jahrein, jahraus). & 23 tote alte Menschen gibt’s nach applizierter Impfung in Norwegen, bei den (am meisten) Vulnerablen. & der Pfizer-&-Co-Impfstoff ist logistisch schwer zu handhaben, fragilst bzgl. Transport & Lagerung. & intellektuelle Unredlichkeit nenne ich schändlich (wie die seit Sommer klare Unterversorgung mit FFP2-Masken).