Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke

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»Ja, ich muss hin, ich hab’s Klappe­kahl ver­spro­chen.«

»Ich gehe auch noch hin­aus«, mein­te Rosa. »Schön ist’s heu­te abend. Ich sit­ze noch mit Ra­sers im Frei­en.«

»Gut, gut, mein Kind! Ag­nes braucht die Türe nicht zu ver­schlie­ßen.«

Die­se klei­ne Lüge kos­te­te Rosa nicht das Ge­rings­te; im Ge­gen­teil, sie mach­te ihr Ver­gnü­gen. Sie war das not­wen­di­ge Zu­be­hör zu ei­nem Aben­teu­er – ein Stück­chen Int­ri­ge.

Sechstes Kapitel

Als Rosa in die küh­le Nacht­luft hin­austrat, fühl­te sie sich recht glück­lich. Sie blieb einen Au­gen­blick ste­hen, at­me­te tief den feuch­ten Duft ein, der rings vom Laub der Kas­ta­ni­en und aus des Pfar­rers Gar­ten auf­stieg – sah zum Him­mel auf, an dem jetzt Stern an Stern stand – und schau­er­te be­hag­lich in sich zu­sam­men. Um we­ni­ger kennt­lich zu sein, hat­te sie ein großes Tuch um Kopf und Brust ge­schlun­gen. So schritt sie die Gas­se hin­ab. Sie eil­te nicht zu sehr. Neu­gie­rig muss­te sie al­les, an dem sie vor­über­ging, be­trach­ten. Die alt­be­kann­ten Ge­gen­stän­de und Plät­ze hat­ten bei Nacht nicht das ge­wohn­te Aus­se­hen. Es schi­en Rosa, als wal­te­te über ih­nen et­was Un­ge­wöhn­li­ches und An­zie­hen­des. Das plötz­li­che Rau­schen, wel­ches in den schwar­zen Wip­feln er­wach­te, um wie­der eben­so plötz­lich ab­zu­bre­chen; die Dach­vor­sprün­ge, die sich, wie schwar­ze Na­sen, über die Stra­ße beug­ten; die Blu­men, die stär­ker duf­te­ten und voll großer Trop­fen hin­gen – alle hat­ten ein wun­der­lich ge­heim­nis­vol­les We­sen, als müss­ten auch sie ei­gent­lich in ei­ner bür­ger­li­chen Stu­be, un­ter der ge­blüm­ten Baum­woll­de­cke, wohl­ver­wahrt lie­gen, und ihre An­we­sen­heit sei et­was Un­ge­wöhn­li­ches, Uner­laub­tes und habe einen lus­ti­gen Grund, den nie­mand er­fah­ren durf­te. Un­ter den Bäu­men, am Ende der Stra­ße, war es jetzt ganz ein­sam. – Hin­ter den Bäu­men stand die Kir­che mit ih­rem ro­ten Zie­gel­dach und ih­rem spit­zen Turm. Ein Grab lag dicht da­ne­ben. Rosa wuss­te es; oft hat­te sie ver­sucht, die halb­ver­lösch­ten Buch­sta­ben auf dem Stein zu ent­zif­fern. Es war das ein­zi­ge Grab an dem Ort. In al­ter Zeit hat­ten sie dort eine Wohl­tä­te­rin des Städt­chens ge­bet­tet. Jetzt nä­her­te sich Rosa ihm und dach­te, ob sie sich wohl fürch­ten wür­de? Ein Grab bei Nacht ge­hört ja doch zu den schau­er­li­chen Din­gen. Als sie aber da­vor­stand, be­merk­te sie, dass ihr nicht ban­ge war. Der Stein schlief fried­lich an ge­wohn­ter Stel­le, und das Gras, das hoch um ihn auf­ge­schos­sen war, lag voll blan­ker Trop­fen.

Der Ort der Zu­sam­men­kunft war dicht am Fluss. Ein schma­ler, we­nig be­tre­te­ner Pfad führ­te zu ihm hin­ab. Von der einen Sei­te ward er durch einen Gar­ten­zaun aus al­ten Bret­tern, von der an­dern durch das äu­ßerst steil ab­fal­len­de Ufer ei­nes Ba­ches be­grenzt. An ei­ner Schleu­se muss­te man vor­über. Jetzt, beim nied­ri­gen Was­ser­stan­de, ließ sich nur ein lei­ses Rau­schen ver­neh­men, und die schwar­zen Pfei­ler wa­ren mit Schlamm wie mit ei­ner blan­ken grü­nen Haut be­deckt. An man­chen Stel­len des Pfa­des wu­cher­te ho­hes Nes­sel­ge­strüpp. Wenn Rosa hin­durch­schritt, ward sie mit Tau über­schüt­tet, und di­cke Kä­fer, in ih­rem Schlum­mer ge­stört, flo­gen brum­mend auf. Un­ten am Was­ser lag tiefer Sand, nur spär­lich mit Hei­de­kraut be­wach­sen. Gro­ße Stein­blö­cke stan­den dort, und auf ei­nem der­sel­ben hat­te sich Her­weg nie­der­ge­las­sen. In einen wei­ten Man­tel gehüllt, einen Filz­hut mit brei­ter Krem­pe auf dem Kop­fe, saß er da wie ein großer schwar­zer Pilz, der über Nacht auf­ge­schos­sen. Als Rosa zu ihm hin­ab­stieg, poch­te ihr Herz stär­ker, und als sie vor ihm stand, wuss­te sie nicht so­gleich et­was Pas­sen­des zu sa­gen. Her­weg schwieg auch und blick­te sei­ne Ge­lieb­te stau­nend an. So schön hat­te er sie nie zu­vor ge­se­hen, und das mach­te ihn be­trof­fen. Rosa lach­te ge­zwun­gen, und den­noch schie­nen ihre Lip­pen erns­ter als sonst. In den so lus­ti­gen Zü­gen lag heu­te ein frem­der Aus­druck von Er­regt­heit und Scheu, der sie ver­schön­te. »Ah! Koll­hardt, Sie sind da!« sag­te Rosa end­lich lei­se und trip­pel­te um­her, als frö­re sie.

»Ja, Rosa.« – »Lan­ge schon?« – »Nicht all­zu­lan­ge. Aber Sie, Rosa, ha­ben Sie sich nicht ge­fürch­tet, so al­lein bei Nacht?«

»O doch!«

Bei­de spra­chen halb­laut und has­tig.

Her­weg er­hob sich. Ihm war sehr ge­fühl­voll ums Herz, bis auf die klei­ne Be­fan­gen­heit, die er sich nicht ein­ge­ste­hen woll­te. »Rosa«, sag­te er ein we­nig hei­ser und fass­te die dunkle klei­ne Ge­stalt fest an die Schul­tern. »Oh!« rief Rosa und hüll­te sich fes­ter in ihr Tuch. So stan­den sie an­ein­an­der­ge­lehnt: »Koll­hardt«, ver­setz­te Rosa, auf den Fluss hin­aus­deu­tend, »das dort, es ist doch Ne­bel?«

Un­zwei­fel­haft war es Ne­bel. Ein durch­sich­ti­ges wei­ßes Band, lag er auf dem Was­ser und stieg die Ufer hin­an. Jen­seits des Flus­ses brei­te­te sich das Land flach und dun­kel­gelb aus, hie und da von ein­zel­nen Bäu­men und Bü­schen mit schwar­zen Fle­cken ver­se­hen.

Da­hin­ter – am Ho­ri­zont – hing ein ganz mat­tes wei­ßes Leuch­ten.

Her­weg drück­te in­brüns­tig Ro­sas Schul­ter. Eine große Auf­re­gung stieg in ihm auf, und laut hör­te er das trä­ge Schü­ler­herz in sei­ner Brust po­chen. »Rosa!« flüs­ter­te er, »kom­men Sie – komm – wir set­zen uns an­ein­an­der.« Er brei­te­te sei­nen Man­tel auf das Hei­de­kraut und drück­te das Mäd­chen auf ihn nie­der. Rosa ließ es ge­sche­hen. Fest in ihr Tuch gehüllt, saß sie da und schau­te stet auf das Land hin­aus.

Her­weg nä­her­te sich ihr be­hut­sam, wie ei­nem scheu­en Vo­gel, fass­te sie, beug­te sie zu sich her­an – sie ge­horch­te wil­lig, dann küss­te er eine der küh­len Wan­gen. Er woll­te auch die Hän­de aus dem Tuch her­vor­ho­len, sie sträub­ten sich je­doch, und er muss­te stär­ker an dem schwar­zen Stof­fe zer­ren. All das ge­sch­ah schwei­gend; nur das tiefe­re Atem­ho­len der bei­den Kin­der war ver­nehm­bar.

Rosa mach­te sich von Her­weg los und saß wie­der ge­ra­de da. »Wis­sen Sie, Koll­hardt«, sag­te sie, »bei Lan­ins ist heu­te der Neue an­ge­kom­men.«

»Nun, da wird sich Sal­ly freu­en.«

»Glau­ben Sie, dass er sie hei­ra­ten wird?«

»Nein.«

»Ich glau­be das auch nicht.«

Ein Wind­stoß fuhr über das Land, je­nes flüch­ti­ge We­hen, das die Run­de durch die Som­mer­nacht macht, ein kur­z­es Rau­schen er­weckt, uns streift, uns has­tig Düf­te fer­ner Gär­ten zu­wirft und wei­ter­zieht. Rings­um er­wach­ten die Feld­gril­len und be­gan­nen eif­rig zu wet­zen und zu spre­chen; ein fast be­täu­ben­des Schril­len zog den Fluss ent­lang und ant­wor­te­te vom Gar­ten hin­ter dem Zaun und vom an­de­ren Ufer. Aus ei­nem ent­le­ge­nen Fel­de drang der Ruf des Wach­tel­kö­nigs her­über, ein ste­tes Knar­ren, als zöge je­mand eine ros­ti­ge Uhr auf und wür­de nim­mer fer­tig.

»Hörst du?« frag­te Rosa und wand­te ihr Ge­sicht der Rich­tung zu, aus der der Ton kam.

»Ja«, er­wi­der­te Her­weg be­geis­tert und schlang sei­ne Arme fest um das Mäd­chen. Rosa ließ nur einen tie­fen Seuf­zer hö­ren und lehn­te ih­ren Kopf auf Her­wegs Arm; er aber küss­te ihr laut und stür­misch Wan­gen und Lip­pen, dann hob er ih­ren Kopf em­por, um das Ge­sicht deut­lich zu se­hen; re­gungs­los sah es zu ihm em­por, bleich und ernst, in je­nem Ernst, mit dem die Sinn­lich­keit ein Frau­en­ant­litz zu ver­schö­nen pflegt. Die Au­gen grell­blau und ge­dan­ken­los. »Rosa, was ist Ih­nen?« frag­te Her­weg er­schro­cken. Da rich­te­te sich Rosa has­tig auf.

Der Ne­bel war vom Was­ser bis zu ih­nen her­an­ge­schli­chen. Wie wei­ße Ga­ze­fet­zen lag er auf dem Kraut und glit­zer­te. Fern in der Stadt schlug die Turm­uhr zehn. Ihre hei­se­re Stim­me rief miss­ge­laun­te Töne in die Nacht hin­aus, als wäre sie aus tie­fem Schlum­mer auf­ge­fah­ren, um ver­drieß­lich ihre Pf­licht zu tun.

»Es ist zehn Uhr«, sag­te Her­weg.

»Ja – ich gehe heim«, er­wi­der­te Rosa, und wäh­rend Her­weg sich in sei­nen Man­tel hüll­te, ging sie un­ru­hig hin und her und griff mit den Hän­den in die Ne­bel­flo­cken, die über dem Gra­se hin­gen,

»Sind Sie fer­tig, Koll­hardt?« frag­te sie.

»Ja, ich füh­re Sie nach Hau­se. Nicht?«

»Nein, Koll­hardt, das darf nicht ge­sche­hen. Sie ge­hen hier hin­auf. Ich fin­de mich schon zu­recht. Le­ben Sie wohl.«

Sie reich­ten sich ein we­nig steif und un­ge­lenk die Hän­de. Her­weg woll­te dann Rosa küs­sen, sie aber ent­wand sich ihm schnell und eil­te den Pfad hin­an.

Siebentes Kapitel

Herrn Lan­ins Neu­er war wirk­lich an­ge­langt. In ei­ner of­fe­nen Post-Chai­se hielt er um sie­ben Uhr abends vor dem Lan­in­schen Hau­se. Drei Kof­fer, ele­gant mit Le­der über­zo­gen, wa­ren vor ihm auf­ge­türmt. Er selbst trug einen grau­en Staub­man­tel. Ganz wie Herr Herz es sei­ner Toch­ter be­rich­tet hat­te.

Herr La­nin be­fand sich ge­ra­de in sei­nem Stu­dier­zim­mer, dem ge­ach­tets­ten Ge­ma­che des Hau­ses. Die Fens­ter, die auf den Hof hin­aus­gin­gen, stan­den of­fen, und ein kräf­ti­ger Stall­ge­ruch ström­te her­ein. Das Ge­mach selbst hat­te ein stren­ges, erns­tes Aus­se­hen. Die Wän­de wa­ren mit blan­kem holz­far­be­nen Pa­pier be­klebt. Ein ein­zi­ger Lehn­ses­sel und ein ein­zi­ges Rohr­stühl­chen be­fan­den sich in dem Ge­mach, und bei­de stan­den vor dem Schreib­tisch. Auf dem Lehn­ses­sel saß Herr La­nin, auf dem Rohr­stühl­chen Con­rad Lurch. Herr La­nin war eben da­bei, Con­rad Lurch zu kon­trol­lie­ren. Er setz­te einen Knei­fer mit großen run­den Glä­sern auf die Nase und beug­te sich über ein schma­les Buch, lang­sam mit dem Fin­ger die Zah­len­rei­he hin­ab­fah­rend. Lurch mach­te ein sehr freund­li­ches Ge­sicht; er lach­te so­gar, aber die­se Freund­lich­keit war selt­sam starr, die­ses Lä­cheln un­na­tür­lich ste­tig und ge­knif­fen. Es schi­en, als sei die­ses Lä­cheln, einst viel­leicht lus­tig und ge­wöhn­lich, alt ge­wor­den; man hat­te ver­ges­sen, es fort­zu­wi­schen; nun stand es ein­ge­trock­net und ein­ge­ros­tet auf dem gel­ben Ge­sicht.

 

»Schwei­zer Käse!« rief Herr La­nin und blick­te auf. »Ja – Schwei­zer Käse«, er­wi­der­te Lurch höf­lich. Der Prin­zi­pal aber lehn­te sich zu­rück und sah vor sich hin auf die Wand. An der Wand hing, in gol­de­nem Rah­men, Herrn Lan­ins Bild. Dort trug er wei­ße Ho­sen und einen schwar­zen Rock. in der einen Hand hielt er sei­nen Hut, die an­de­re leg­te er wohl­wol­lend auf ein Al­bum, das ne­ben ihm auf ei­nem Tisch­chen lag. Rechts hing das Bild der Frau La­nin, auf dem der Glanz des schwar­zen Sei­den­klei­des auf dem run­den Lei­be der Dame vor­treff­lich wie­der­ge­ge­ben war. Ne­ben ihr stand wie­der­um das Tisch­chen, und das Al­bum lag un­be­ach­tet dar­auf. Links hing das Bild von Fräu­lein Sal­ly im wei­ßen Klei­de, mit nack­ten Schul­tern, die Hän­de hielt sie im Schoß ge­fal­tet und schiel­te nach dem Al­bum, das ne­ben ihr auf dem Tisch­chen lag.

»Schwei­zer Käse!« fuhr Herr La­nin auf »Jetzt hab ich’s. Vor vier Wo­chen kam der Vor­rat. Genau! Kön­nen Sie das wi­der­le­gen, Lurch?«

»Nein, Herr Prin­zi­pal – nein.«

»Gut! Wa­rum sa­gen Sie denn, der Vor­rat – der Vor­rat, der vor vier Wo­chen an­kam – sei­en Sie so gut und las­sen Sie die­sen Um­stand nicht aus den Au­gen – die­ser Vor­rat also – sei zu Ende. Wa­rum? Sa­gen Sie nur, warum?«

Herr La­nin lä­chel­te und schau­te Lurch scharf an.

»Ja, Herr Prin­zi­pal, er ist aber doch zu Ende«, ant­wor­te­te Lurch sen­ti­men­tal. Herr La­nin lach­te wie­der; er war sei­ner Sa­che zu ge­wiss. Er setz­te sich zu­recht, nahm den Knei­fer von der Nase, drück­te die Au­gen zu­sam­men, als gel­te es, scharf zu den­ken: »Sa­gen Sie das doch nicht! Ge­hen wir sys­te­ma­tisch vor. Wol­len Sie so gut sein und auf mei­ne Fra­gen ant­wor­ten, nur das, Lurch; so kom­men wir am schnells­ten ins rei­ne. Eine Par­tie ech­ten Schwei­zer Kä­ses – eine Par­tie in­län­di­schen Kä­ses nie­de­rer Qua­li­tät und eine ers­ter Qua­li­tät lang­ten vor vier Wo­chen an. Gut! Kann der ech­te Schwei­zer Käse jetzt schon alle sein? Da­rauf kommt es an!«

»Herr Prin­zi­pal brau­chen nur die Pos­ten durch­zu­se­hen. Es stimmt«, ent­geg­ne­te Lurch mit hals­star­ri­ger Freund­lich­keit.

»Pos­ten? Las­sen Sie das. Mei­ne Fra­ge, Lurch; nichts wei­ter.«

»Der Käse ist alle, der Baron Pod­dor hat sehr viel ho­len las­sen; bei Koll­hardts hat man viel ver­braucht. Über­haupt weiß ich nicht, was die Leu­te in letz­ter Zeit mit dem ech­ten Schwei­zer Käse ma­chen. Vom in­län­di­schen ers­ter Qua­li­tät ist noch die gan­ze Par­tie da.«

»Zur Sa­che!« dräng­te Herr La­nin.

»Ja – mehr – Herr Prin­zi­pal – –«

»Sanc­ta sim­pli­ci­tas! Sie ver­ste­hen mich nicht. War­ten Sie, ich will es aus Ih­nen her­aus ent­wi­ckeln. Sie spre­chen von Koll­hardt, vom Pod­dor – was will das sa­gen. Mer­ken Sie auf. Ich neh­me an: Ver­langt wird x und z – ver­ste­hen Sie, nur x und z. Ich las­se glei­che Quan­ti­tä­ten von x, von z und noch von y kom­men, das fast so gut wie z ist. Also – sa­gen Sie mir, warum las­se ich auch y – im­mer noch die An­nah­me – kom­men?«

Lurch blick­te vor sich nie­der.

»x, y und z –« wie­der­hol­te der Prin­zi­pal und lä­chel­te. – »Neh­men Sie sich Zeit.«

»z?« frag­te Lurch.

»Ja; x, y und z.«

Lurch be­weg­te laut­los die Lip­pen; end­lich stieß er ein hei­se­res »Ja« aus.

»Ha­ben Sie’s?« frag­te Herr La­nin.

»Ja – ich mei­ne«, be­gann Lurch vor­sich­tig. »Wenn je­mand käme und ver­lang­te y – –«

»Ei, ei!« un­ter­brach ihn Herr La­nin. »Was ma­chen Sie für Sa­chen! Es ist nicht zu glau­ben.«

Lurch senk­te wie­der den Kopf und rech­ne­te. Er hät­te die Lö­sung schwer­lich ge­fun­den, und es war ihm lieb, dass die Türe stür­misch auf­ge­ris­sen wur­de und Fräu­lein Sal­ly in sehr ho­her Stimm­la­ge in das Zim­mer hin­ein­rief: »Papa! Er ist da.«

»Wer?« frag­te Herr La­nin ver­stimmt.

»Ko­mi­sche Fra­ge! Der Neue na­tür­lich«, er­wi­der­te sei­ne Toch­ter.

»Ah!« Herr La­nin er­hob sich.

»Ge­hen Sie, Lurch. Ich muss fort. Sie wer­den nie rech­nen ler­nen.«

Mit die­sen Wor­ten eil­te er auf den Flur hin­aus. Dort fand er sei­nen Nef­fen, der dem klei­nen Dienst­mäd­chen mit sehr lau­ter Stim­me Be­feh­le we­gen des Her­ein­schaf­fens der Kof­fer gab. Als er Herrn La­nin er­blick­te, ging er auf ihn zu und rief, ein we­nig durch die Nase: »Ah! Sie sind wohl der On­kel?«

»Al­ler­dings! Al­ler­dings!« er­wi­der­te Herr La­nin und streck­te dem jun­gen Mann mit ei­nem fei­nen, geist­rei­chen Lä­cheln bei­de Hän­de hin: »Du er­kennst mich nicht? Na­tür­lich! Es ist lan­ge her, seit ich bei euch war. War­te! – Es sind fünf­zehn Jah­re – ganz recht – fünf­zehn Jah­re. Ha ha! Eine hüb­sche Zeit. Wie geht es zu Hau­se?«

»Ich dan­ke, der Alte hat mir Grü­ße für Sie und die Frau Tan­te auf­ge­tra­gen. Müt­ter­chen krän­kelt ein we­nig.«

»So – so! Lege nur ab, dann stel­le ich dich mei­ner Fa­mi­lie vor.«

Die Fa­mi­lie stand an der halb an­ge­lehn­ten Türe und mus­ter­te den An­kömm­ling. Als Am­bro­si­us Tel­le­r­at und Herr La­nin sich an­schick­ten, in das Wohn­zim­mer ein­zu­tre­ten, stürz­te die Fa­mi­lie an das an­de­re Ende des Ge­ma­ches und griff nach gleich­gül­ti­gen Din­gen.

»Da brin­ge ich euch den neu­en Vet­ter«, sag­te Herr La­nin und schlug sei­nem Nef­fen jo­vi­al auf den Rücken.

»Will­kom­men, will­kom­men«, rief Frau La­nin, und das brei­te, wei­che Ge­sicht, der zahn­lo­se, elas­ti­sche Mund drück­ten viel süße Freund­lich­keit aus.

»Hm – Frau Tan­te – vie­le Grü­ße«, be­gann der jun­ge Mann, aber Herr La­nin un­ter­brach ihn: »Mei­ne Toch­ter«, sag­te er und deu­te­te auf Fräu­lein Sal­ly, die mit ge­senk­ten Wim­pern an ih­rem Ar­beit­s­ti­sche stand. Am­bro­si­us stieß wie­der­um ein hef­ti­ges »Hm« aus, wipp­te zwei­mal auf sei­nen Fü­ßen auf und ab und mach­te eine tie­fe Ver­beu­gung. Fräu­lein Sal­ly ver­beug­te sich auch ih­rer­seits, schlug die Au­gen auf und sag­te: »Mein Herr« – ganz wie die Sa­lon­da­me im Lust­spiel für Lieb­ha­ber­thea­ter.

»So!« ver­setz­te Herr La­nin. »Also – noch­mals will­kom­men!« On­kel und Nef­fe schüt­tel­ten sich ver­bind­lich die Hän­de; dann mein­te Herr La­nin, die Da­men wür­den dem Rei­sen­den wohl eine Er­fri­schung an­bie­ten wol­len. Fräu­lein Sal­ly er­griff auch, in net­ter Wirt­schaft­lich­keit, eine wei­ße Schür­ze und such­te nach Schlüs­seln. Die an­dern setz­ten sich an einen run­den Tisch, mit dem Ent­schluss, sich zu un­ter­hal­ten. Am­bro­si­us leg­te ein Bein über das an­de­re, räus­per­te sich und beug­te sich leicht vor, als woll­te er et­was An­ge­neh­mes sa­gen. Ob­gleich er nichts Un­ge­wöhn­li­ches tat, so hat­ten sei­ne Be­we­gun­gen doch et­was Ge­such­tes, aber ge­wiss nichts ver­geb­lich Ge­such­tes. Am­bro­si­us war ein hüb­scher jun­ger Mann mit ei­ner schlan­ken, gut­ge­bau­ten Ge­stalt, der ein dunk­ler An­zug nach der letz­ten Mode gut ließ. Sei­ne Züge wa­ren re­gel­mä­ßig, die Nase scharf ge­schnit­ten, die Lip­pen leuch­tend rot und zu ei­nem an­ge­nehm ju­gend­li­chen Lä­cheln be­reit, die Au­gen hart braun und sehr glän­zend. Über der ho­hen Stirn türm­te sich ge­lock­tes, dun­kel­blon­des Haar, sorg­fäl­tig über den gan­zen Kopf ge­schei­telt und wohl­rie­chend.

»Am­bro­si­us wird sich hier hof­fent­lich glück­lich füh­len«, be­gann Frau La­nin, »hof­fent­lich.« Sie blick­te da­bei ih­ren Ge­mahl, dann Am­bro­si­us an. Die gan­ze ge­wich­ti­ge Ge­stalt der al­ten Dame, die lang­sa­men Be­we­gun­gen, die Au­gen, die Nase, der Mund, die Fül­le wei­chen, schlaf­fen Flei­sches, die lei­se Stim­me – al­les at­me­te Mil­de, al­les an ihr war sanft wie Fett, süß wie Ho­nig.

»Ge­wiss, o ge­wiss!« er­wi­der­te Herr La­nin und zer­teil­te die Luft mit der Hand in gleich­mä­ßi­ge Stücke. »Wenn das Le­ben hier auch ein we­nig still, das heißt ernst ist, so ist es doch mit Ar­beit und Wis­sen­schaft an­ge­füllt.«

»Hm – ja«, mein­te Am­bro­si­us, »dem Flei­ßi­gen wird die Zeit nie lang.«

»Es gibt doch auch klei­ne Zer­streu­un­gen«, schal­te­te die Haus­frau ein, »hüb­sche jun­ge Mäd­chen; das ist ja auch an­ge­nehm. In den Frei­stun­den na­tür­lich.«

»Na­tür­lich«, be­stä­tig­te Herr La­nin.

»Na­tür­lich!« sag­te auch Am­bro­si­us. »Da­men – Da­men – sind – hm – die Zier­de des Le­bens.«

On­kel und Tan­te lach­ten; dann hub Herr La­nin ganz un­er­war­tet an, einen ju­ris­ti­schen Fall, der sich just im Ma­gis­trat zu­ge­tra­gen, zu er­zäh­len. Die­se Sa­chen sei­en sei­ne Lei­den­schaft. Je mehr ana­ly­ti­sche An­stren­gung ein Fall er­hei­sche, um so lie­ber sei es ihm. – Am­bro­si­us schal­te­te zu­wei­len ein »Sehr fein! – In­ter­essan­ter Fall! Ah – ein Kreuz­ver­hör!« ein; Frau La­nin aber mein­te, die ste­te Ver­stan­des­ar­beit rei­be ih­ren Mann auf. Herr La­nin woll­te da­von nichts hö­ren, das sei die wür­digs­te Be­schäf­ti­gung ei­nes Man­nes. – End­lich kam Fräu­lein Sal­ly mit Tee und But­ter­brot. Sie schenk­te den Tee selbst ein; dann saß sie ne­ben ih­rer Mut­ter und nahm an der Un­ter­hal­tung teil; sie wand­te sich je­doch nur an ihre El­tern. »Ach!« rief sie, »er­zählt Papa wie­der von dem gars­ti­gen Men­schen, der be­tro­gen hat? Ich kann es gar nicht be­grei­fen, dass es so gars­ti­ge Men­schen ge­ben kann!« Worauf Am­bro­si­us er­wi­der­te, dass auch – so­zu­sa­gen – Wel­ten zwi­schen ihr und je­nen Men­schen lä­gen.

Am­bro­si­us soll­te den heu­ti­gen Tag na­tür­lich nur den Da­men und der Un­ter­hal­tung wid­men. Von Ge­schäf­ten soll­te nicht die Rede sein. Den­noch wünsch­te er den Schau­platz sei­ner künf­ti­gen Wirk­sam­keit zu se­hen, und sein On­kel führ­te ihn in das Hei­lig­tum ein.

»Du siehst, mein Lie­ber«, sag­te er und klopf­te mit der fla­chen Hand zärt­lich auf eine He­ring­ston­ne, »du siehst, hier ist al­les ein­fach, prak­tisch; nichts von un­nüt­zem Lu­xus; kein Blend­werk – kein Schwin­del. So­lid, mein Lie­ber, so­lid, das ist die Lo­sung!«

»Hm – ja«, mein­te Am­bro­si­us, »das ist das Wah­re. Es sieht hier al­ler­dings sehr re­ell aus.«

Aus ei­ner fins­tern Ecke fuhr Lurch her­vor – scheu, bleich und fa­den­schei­nig; die stau­bi­ge Nym­phe die­ser stau­bi­gen Grot­te.

»Die­ses«, sag­te Herr La­nin und wies auf sei­nen Kom­mis mit dem Zei­ge­fin­ger, als wäre er nur eine große Kon­ser­ve, »die­ses ist Lurch.«

Die bei­den jun­gen Leu­te ver­beug­ten sich ge­gen­ein­an­der. Am­bro­si­us steif und hoch­mü­tig, Lurch äu­ßerst ge­len­kig und has­tig.

»Lurch ist mein Ge­hil­fe«, er­klär­te Herr La­nin. Lurch er­griff ver­wirrt ein Pa­ket Lich­te und rieb sich da­mit die Nase, bis sein Prin­zi­pal tro­cken be­merk­te: »Was wol­len Sie mit den Lich­ten? Es ist ja nie­mand da.«

»Ich dach­te – –«, stot­ter­te Lurch, Herr La­nin aber schenk­te ihm kei­ne Be­ach­tung wei­ter, son­dern be­gann die An­ord­nung der ver­schie­de­nen Ge­gen­stän­de zu er­klä­ren; er setz­te aus­ein­an­der, dass er bei Auf­stel­lung der Ar­ti­kel ein be­stimm­tes, so­zu­sa­gen ma­the­ma­ti­sches Sys­tem be­fol­ge: »Die Nach­fra­ge be­stimmt je­der Sa­che ih­ren Platz. Ge­wöhn­li­che Din­ge, Din­ge des täg­li­chen Le­bens, wie Sei­fe, Ker­zen – ste­hen nied­rig, leicht er­reich­bar, an­de­re, wie Oran­gen, teu­re Zi­gar­ren – hö­her, wei­ter fort. So ent­steht ein qua­si ar­chi­tek­to­ni­sches Gan­zes, in­dem Oran­gen, Sei­fe, He­rin­ge qua­si Bau­stei­ne sind, die ih­ren be­stimm­ten Platz ha­ben und, nach der Be­rech­nung ei­nes je­den den­ken­den Men­schen, kei­nen an­de­ren Platz ha­ben kön­nen.«

Am­bro­si­us bil­lig­te die­ses Ver­fah­ren; er nann­te es wei­se und zweck­mä­ßig. Sein On­kel füg­te noch ein­ge­hen­de­re Er­ör­te­run­gen hin­zu, führ­te Bei­spie­le an. Er nahm an, Am­bro­si­us wol­le grü­ne Sei­fe kau­fen – nur eine An­nah­me »sub­sti­tu­ier­te« das. Gut! So­gleich sprang Herr La­nin an ein Schub­fach, hob eine sehr un­rei­ne Büch­se em­por und lach­te. Woll­te da­ge­gen Am­bro­si­us eine fei­ne Ha­van­na rau­chen, wie­der­um nur An­nah­me, dann muss­te Herr La­nin eine klei­ne Lei­ter hin­an­klim­men, um eine Zi­gar­ren­kis­te vor­zu­zei­gen. Am­bro­si­us folg­te dem al­len mit Auf­merk­sam­keit, lach­te, wenn die Sei­fe oder die Zi­gar­ren wirk­lich zum Vor­schein ka­men, und sag­te un­zäh­li­ge Mal »Ja!« – Ab und zu kam Fräu­lein Sal­ly her­ein. Sie war je­des­mal über­rascht, die Her­ren hier zu fin­den. Be­fahl Lurch un­ter be­stän­di­gem La­chen, Tee und ein Stück Käse her­zu­ge­ben, schrie auf, weil sie den Käse nicht an­fas­sen moch­te, und ver­schwand wie­der wie ein net­ter klei­ner Brau­se­wind, der sie war.

 

Die Her­ren tra­ten auf die nied­ri­ge Trep­pe des La­dens hin­aus und schau­ten auf den Markt­platz hin­ab. Die Vor­über­ge­hen­den blie­ben ste­hen und mus­ter­ten Lan­ins Neu­en, der dann sei­ne schö­ne Ge­stalt reck­te, ei­ni­ge ab­ge­run­de­te Be­we­gun­gen mit den Ar­men mach­te oder auch wohl, auf das Rat­haus deu­tend, mit lau­ter Stim­me sag­te: »Der Bau ist gut – der so­ge­nann­te Re­naissance-Stil.«

Es war schon spät abends. Herr La­nin blin­zel­te hef­tig mit den Au­gen­li­dern, gähn­te ei­ni­ge Mal dis­kret und zog sich dann in sein Stu­dier­zim­mer zu­rück, um noch einen ju­ris­ti­schen Fall zu über­den­ken. Frau La­nin wur­de in ih­rem großen Ses­sel sehr schweig­sam. Fräu­lein Sal­ly aber und Am­bro­si­us sa­ßen noch am Fens­ter bei­ein­an­der und lern­ten sich ken­nen. Die Lam­pe war nicht an­ge­zün­det wor­den. Ein grau­es Zwie­licht wal­te­te im Ge­mach. Die Ti­sche, die Ses­sel, die Haus­frau la­gen wie dunkle Schat­ten­mas­sen im Hin­ter­grun­de. Im hel­le­ren Rah­men des ge­öff­ne­ten Fens­ters zeich­ne­ten sich die Pro­fi­le der bei­den jun­gen Leu­te scharf ab. Die­se Pro­fi­le be­weg­ten sich, nä­her­ten sich, fuh­ren wie­der aus­ein­an­der, beug­ten sich dann wie­der ge­mes­sen und höf­lich vor. Die Un­ter­hal­tung ward halb­laut ge­führt; mit ge­wis­ser Re­gel­mä­ßig­keit wech­sel­te der Dis­kant mit dem Bass.

»O ja, ich habe eine Freun­din«, sag­te Fräu­lein Sal­ly weich.

»Wirk­lich? Doch na­tür­lich!«

Am­bro­si­us’ Stim­me klang, als müs­se er be­stän­dig das La­chen un­ter­drücken. »Na­tür­lich! Eine jede jun­ge Dame hat eine Freun­din. Na­tür­lich!«

»Na­tür­lich?« mein­te Fräu­lein Sal­ly und neig­te ih­ren Kopf me­lan­cho­lisch zur Sei­te. »Es ist nicht so na­tür­lich. Nicht eine jede hat das Glück, eine See­le zu fin­den, die sie ver­steht. Mir – mir fällt es be­son­ders schwer, denn, se­hen Sie, Cou­sin, ich ver­lan­ge viel – sehr viel.«

»Aber Sie ha­ben ge­fun­den?«

»Ja! Vi­el­leicht! Das heißt, wir lie­ben uns; aber – ver­ste­hen Sie, ich wer­de mehr ge­liebt. Es ist viel­leicht nicht recht, aber – – –« Fräu­lein Sal­ly schwieg und sann in das Däm­mer­licht hin­ein.

»Ich ver­ste­he – hm –« ver­setz­te Am­bro­si­us, »Sie sind, so­zu­sa­gen, mehr emp­fan­gend; das Fräu­lein Freun­din mehr ge­bend – hm – hin­ge­bend. Sie, Cou­si­ne, sind dann wohl auch mehr herr­schend?«

»Vi­el­leicht.«

»Oh, ge­wiss, ge­wiss!« neck­te Am­bro­si­us.

»Aber ich lie­be sie den­noch sehr.«

»Ha­ben Sie kei­ne Ge­heim­nis­se vor­ein­an­der?«

»Sie hat kei­nes, nein; aber ich« – Fräu­lein Sal­ly seufz­te und leg­te die Hand auf die­je­ni­ge Stel­le des schwar­zen Klei­des, un­ter der das ge­heim­nis­vol­le Herz schlug. Am­bro­si­us lach­te hef­tig und droh­te mit dem klei­nen Fin­ger. Er fand das köst­lich. »Also, Sie ha­ben doch Ihre Ge­heim­nis­se. Da­men ha­ben im­mer Ge­heim­nis­se, im­mer.«

»Her­ren nicht?« frag­te Sal­ly schel­misch.

»Nein! Das ist Sa­che der Da­men. Ich wüss­te gern die­se Ge­heim­nis­se.«

»Oh, die Her­ren sind im­mer so neu­gie­rig.«

»Es ist Wiß­be­gier­de. Neu­gie­rig sind ja – hm – spe­zi­fisch die Da­men. Strei­ten Sie nie mit Ih­rer Freun­din?«

»Nie!« sag­te Sal­ly fest.

»Da­men strei­ten ja sonst so gern.«

»Ich däch­te, das kommt auch bei den Her­ren vor.«

»Nun – und wie heißt denn die­se Freun­din?«

»Rosa Herz.«

»Herz – hm – ein gu­ter Name. Ist sie hübsch?«

Am­bro­si­us lä­chel­te da­bei ein leicht­fer­ti­ges Lä­cheln, als wäre sei­ne Fra­ge sehr kühn und gott­los.

»Hübsch?« er­wi­der­te Sal­ly sin­nend, »ei­gent­lich nicht, das heißt, die Her­ren fin­den sie nicht hübsch, glau­be ich. Mir ge­fällt ihr Ge­sicht. Die Her­ren ur­tei­len auch im­mer so streng.« Am­bro­si­us lach­te; dann ward er ernst, blick­te me­lan­cho­lisch auf den Markt­platz hin­ab und mein­te: »Ach nein! Die Da­men sind hart und grau­sam.« So ging die Un­ter­hal­tung fort, als plötz­lich ein lau­tes Stöh­nen aus der Ecke, in der Frau La­nin saß, er­scholl.

»Was ist dir, Mama?« rief Fräu­lein Sal­ly.

»Ach Gott!« wim­mer­te Frau La­nin, »wie bin ich er­schro­cken! Mein Gott!«

»Was gib­t’s denn? Sage!«

»Mir träum­te, ich zer­schlug die große Lam­pe. Pfui! Mein Gott!«

»Wie kann man so et­was träu­men!« mein­te Fräu­lein Sal­ly ver­ächt­lich, und Am­bro­si­us füg­te trös­tend hin­zu: »Träu­me sind ja nur Schäu­me.«

»Gott sei Dank, ja! Aber ein Schreck war das!« klag­te die alte Dame, »nun ist’s vor­über. Ge­hen wir zu Bett. Gute Nacht, Am­bro­si­us.«

Auch Fräu­lein Sal­ly reich­te ih­rem Vet­ter die Hand und sag­te: »Den­ken Sie dar­an, was ich Ih­nen sag­te.« – »Ge­wiss, ganz ge­wiss! Das ver­ges­se ich nicht«, ver­si­cher­te er und drück­te zart die klei­ne Hand, ob­gleich er nicht si­cher war, wel­chen der Aus­fäl­le ge­gen »die Her­ren« er sich mer­ken soll­te.