Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke

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Siebzehntes Kapitel

Die Über­zeu­gung, dass al­les gut wer­den wür­de, hat­te sich Rosa nicht ohne Kampf er­run­gen. Mit­ten in der Nacht war sie end­lich zur Klar­heit, wie sie mein­te, über ihre Lage und zu ei­nem fes­ten Ent­schluss ge­langt.

Wäh­rend es rings­um still und fins­ter war und nur die Turm­uhr des Gym­na­si­ums ihr me­lan­cho­li­sches Bim­bam her­über­sand­te, hat­ten Furcht und Ver­zagt­heit Rosa er­grif­fen; Am­bro­si­us wird sie doch ver­las­sen. Die Schank und Lan­ins wer­den doch recht be­hal­ten, und al­les – al­les wird vor­über sein! Ihr Le­ben ge­stal­tet sich dann noch lee­rer und qual­vol­ler. Sie wird ver­ach­tet, ver­spot­tet. Nie­mand geht mit ihr um. Oder sie muss fort – in die Frem­de – muss Kin­der spa­zie­ren­füh­ren und wa­schen. O nein! Nie!

Angst­voll saß Rosa in ih­rem Bet­te auf. Sie konn­te nicht so ohne wei­te­res ihre Hoff­nun­gen fah­ren­las­sen. End­lich muss­ten doch auch die Fest­ta­ge ih­res Le­bens kom­men! Wie­der zu den un­kla­ren, schwer­mü­ti­gen Träu­me­rei­en ei­nes ar­men Mäd­chens zu­rück­keh­ren, sich wie­der un­ter die Sit­ten­re­geln der Schank beu­gen; wie­der im­mer nur an­de­re be­nei­den, nur heim­lich wün­schen, das konn­te sie nicht. Al­les, was sich in ei­ner jun­gen See­le nach Ge­nuss sehnt, koch­te in Rosa auf. Fie­bernd und wei­nend bohr­te sie ih­ren Kopf in die Kis­sen und stöhn­te: »Amby – Amby!« Das arme Kind hielt Am­bro­si­us für die Ver­kör­pe­rung ih­res Glückes, für den Tür­hü­ter ih­res Pa­ra­die­ses. Mit ihm stand und fiel das Glück. – Er woll­te fort? – Gut, sie auch. Er lieb­te sie ja; er hat­te es ihr ver­spro­chen, sie in eine große Stadt zu brin­gen. Dort durf­te nie­mand sie stö­ren, dort – dort – wür­de das große, schö­ne, ein­zig ih­rer wür­di­ge Le­ben ih­nen weit die Tore öff­nen. Das war es! Der ein­zi­ge Aus­weg war ge­fun­den, und nun ar­bei­te­te sie ih­ren Plan aus. Ganz ge­nau; nichts ward ver­ges­sen. Die Rede, die sie Am­bro­si­us hal­ten woll­te, die Vor­wän­de, un­ter de­nen sie, am Abend der Flucht, den Va­ter ent­fer­nen wür­de, die Klei­der, die mit­zu­neh­men wa­ren – den Brief, den ihr Va­ter am Mor­gen nach der Flucht in ih­rem Zim­mer fin­den soll­te. – Al­les über­dach­te sie, und als die Son­ne ins Zim­mer schi­en, er­hob sich Rosa, nach der schlaflo­sen Nacht bleich und müde, aber ru­hig und ent­schlos­sen. Sie be­stell­te Am­bro­si­us für den Abend zum Tröd­ler. »Es hängt al­les da­von ab, dass ich dich heu­te sehe«, schrieb sie…

Um die Zeit des Son­nen­un­ter­gan­ges ging Rosa fort. »Blei­be we­nigs­tens nicht zu lan­ge aus!« rief ihr Ag­nes nach. – We­nigs­tens! Das ver­droß Rosa. Es war wohl an der Zeit ab­zu­rei­sen; alle, selbst Ag­nes, ver­letz­ten sie und sag­ten ihr un­an­ge­neh­me Din­ge. – Von der Herz­schen Woh­nung bis zum Tröd­ler war es nicht weit, nur eine Stra­ße brauch­te man hin­ab­zu­ge­hen – und doch! – wie­viel Wi­der­wär­ti­ges sich auf solch ei­nem klei­nen Stück Weg er­eig­nen kann! Als Rosa aus dem Hau­se trat, ging der Se­kre­tär Fei­er­gro­schen an ihr vor­über.

Er blieb ste­hen, lä­chel­te süß und sag­te »Gu­ten Abend«. Da­bei wink­te er mit der fla­chen Hand einen Gruß und nahm den Hut nicht ab.

»Eine Un­ver­schämt­heit«, sag­te sich Rosa und dank­te nicht für den Gruß. Kaum war sie we­ni­ge Schrit­te ge­gan­gen, als La­nin und Klappe­kahl ihr ent­ge­gen ka­men; sie rich­te­te sich stramm auf, biss sich auf die Un­ter­lip­pe und mach­te ihr hoch­mü­ti­ges Ge­sicht. Die Her­ren wa­ren in ihr Ge­spräch ver­tieft und schri­en laut; als Rosa aber an ih­nen vor­über­ging, schwie­gen sie plötz­lich; Klappe­kahl wand­te sich ab und sag­te ein ge­dehn­tes Ja, das nicht zur Sa­che zu ge­hö­ren schi­en, La­nin aber sah das Mäd­chen scharf an und grüß­te nicht. Rosa ward rot und stieß ih­ren Son­nen­schirm grim­mig auf die Stei­ne. Konn­te sie sich denn nicht mehr zei­gen, ohne ge­kränkt und ge­de­mü­tigt zu wer­den? Gott sei Dank, da war das Tröd­ler­haus schon! Wer bog aber dort um die Ecke? Wie­der ein Be­kann­ter? Mei­ner Seel, der jun­ge Tod­dels! Wird er grü­ßen, oder wird er es auch wa­gen…? Nein, er grüß­te schon von wei­tem, zog tief sei­nen Hut ab, rief »Gu­ten Abend, rei­zen­des We­sen«, und zwei Fin­ger an die Lip­pen drückend, warf er Rosa eine Kuss­hand zu. Das war zu­viel! Rosa tra­ten die Trä­nen in die Au­gen, und sie be­gann zu lau­fen. Sie woll­te es Am­bro­si­us kla­gen, er muss­te sie schüt­zen, sie fort­neh­men aus die­sem Ort, wo man sie zu Tode fol­ter­te.

Has­tig stieß sie die Türe zur Tröd­ler­woh­nung auf. »Ist der jun­ge Herr da?« rief sie Ida zu.

»Ja, Fräu­lein Rosa; der jun­ge Herr ist drau­ßen im La­den beim Va­ter.«

»Ruf ihn!«

Un­ge­dul­dig trom­mel­te Rosa mit den Ab­sät­zen. Wo blieb er nur? Es war sonst nie­mand im Ge­mach, selbst die alte Jü­din fehl­te. Die Fens­ter­vor­hän­ge wa­ren her­ab­ge­las­sen, auf dem Ti­sche stand ein Strauß von As­tern und wohl­rie­chen­den Erb­sen, das Bett in der Ecke war mit fri­schem Lei­nen­zeug über­deckt. Das dunkle, un­rein­li­che Ge­mach schi­en heu­te einen Ver­such ge­macht zu ha­ben, fest­lich aus­zu­se­hen. Lag es nun am Strauß auf dem Ti­sche oder am rei­nen Bett­zeug – es miss­fiel Rosa, sie wuss­te nicht warum.

Da Am­bro­si­us noch säum­te, zog sie sich ih­ren Man­tel aus, leg­te ih­ren Hut ab, schau­te sich nach ei­nem Spie­gel um – dort auf dem Ti­sche stand ja ei­ner, ein klei­ner al­ter Spie­gel mit ab­ge­rie­be­nem Gol­d­rah­men. Er lehn­te sich an einen Stoß Bü­cher und war mit bun­ten Bon­bon­pa­pie­ren ge­schmückt, wie Ida sie zu sam­meln lieb­te. Vor dem Spie­gel la­gen ein Steck­na­del­pols­ter und ein Kamm, dem die Hälf­te sei­ner Zäh­ne fehl­te. Selt­sam. Wozu die­se Vor­be­rei­tun­gen? Rosa dach­te nach… – End­lich kam Am­bro­si­us in ei­nem neu­en hel­len An­zug, das Haar sorg­fäl­tig ge­brannt, die Wan­gen rot, ein hei­te­res, sorg­lo­ses Lä­cheln auf den Lip­pen. »Nun Schatz! Wir ha­ben uns lan­ge nicht ge­se­hen!« rief er mun­ter und brei­te­te sei­ne Arme aus. Stür­misch warf sich Rosa in die­se Arme. Jetzt hielt sie ihn, jetzt war er wie­der da, mit sei­nem gu­ten, leicht­fer­ti­gen Ge­sicht, mit sei­ner lus­ti­gen Stim­me, die alle Wi­der­wär­tig­kei­ten wie einen Spaß be­sprach, über den man zu­sam­men ki­chert.

»Hm, Lieb­chen«, sag­te Am­bro­si­us und klopf­te Rosa ver­le­gen auf den Rücken. »Komm, set­zen wir uns. Dir ist es nicht gut er­gan­gen, wie du mir schreibst?«

»Nein, nicht gut«, er­wi­der­te Rosa und lach­te, wäh­rend die Trä­nen ihr über die Wan­gen lie­fen. Am­bro­si­us führ­te sie rit­ter­lich zum großen Ses­sel. »Setz dich her – er­zäh­le.« Rosa muss­te sich auf sei­ne Knie set­zen, fest an ihn ge­schmiegt, den Arm auf sei­ner Schul­ter. »Was gibt es, Lieb­chen? Sag.« Rosa ward sehr ernst, ja, sie hat­te viel er­dul­den müs­sen. Da war zu­erst der Auf­tritt in der Schu­le mit der tol­len Sal­ly. Am­bro­si­us hat­te gut la­chen, Sal­ly war doch eine schlech­te Per­son. Dann die Schank mit ih­ren Vor­schlä­gen. Eine Bon­ne – so et­was! Nicht wahr? End­lich La­nin und sei­ne Int­ri­gen, der Va­ter, der auf das Ge­schwätz die­ser Leu­te hör­te, dazu noch die De­mü­ti­gun­gen auf der Stra­ße. Es war schreck­lich! Sie er­trug es nicht län­ger; wur­de sie doch ver­folgt und ge­hetzt wie ein Wild. Ein je­der glaub­te ihr et­was an­tun zu dür­fen. Sie war schon krank vor Zorn und Schmerz. »Glau­be mir, Amby – geht das so fort, dann st­er­be ich an ge­bro­che­nem Her­zen.« Am­bro­si­us lä­chel­te. »O nein, la­che nicht! Ge­wiss, ich st­er­be, ich füh­le das. Und dann«, Rosa zog die blon­den Au­gen­brau­en zu­sam­men, dass sie fast grim­mig aus­sah: »Ist es wahr, dass du mor­gen ab­reist?«

Die­se Fra­ge mach­te Am­bro­si­us ver­le­gen. Er mach­te eine weg­wer­fen­de Hand­be­we­gung. Gott! Rosa soll­te nicht glau­ben, man lie­ße ihm Ruhe. Den gan­zen Tag mit Lan­ins bei­sam­men zu sein, war eine Höl­le. Üb­ri­gens, wenn der On­kel ihn nicht be­hielt, muss­te er wohl ge­hen – da war nichts zu ma­chen, je­den­falls käme er aber wie­der. Die­se Tren­nung, wenn auch bit­ter, war in ge­wis­ser Be­zie­hung viel­leicht gut…

»Tren­nung?« un­ter­brach ihn Rosa. »Reist du ab, so rei­se ich auch.«

»Wie? Du reist auch?«

»Ja – ge­wiss!«

Glaub­te Am­bro­si­us viel­leicht, sie hier zu­rück­las­sen zu kön­nen? Er hat­te es ver­spro­chen, sie mit­zu­neh­men. Gut, sie war be­reit. Jetzt war Rosa im Zuge und fuhr eif­rig zu spre­chen fort. Mit der flin­ken, in­stink­ti­ven Men­schen­kennt­nis der Frau­en hat­te sie es bald er­kannt, dass das schwan­ke Ge­müt ih­res Ge­lieb­ten an­fangs vor je­der Tat zu­rück­schreck­te, um schließ­lich – ward es ge­drängt – sich wohl­ge­mut in al­les zu fü­gen. Sie leg­te ihm den Plan der Flucht vor. Sie woll­te den Va­ter über­re­den, mor­gen zu Klappe­kahl zu ge­hen. Ag­nes leg­te sich, wie Rosa sie kann­te, um neun Uhr zur Ruhe. Um neun Uhr also konn­te Rosa fort­ge­hen. Bis zur nächs­ten Ei­sen­bahn­sta­ti­on hat­ten sie drei Stun­den, und dann lag die gan­ze Welt vor ih­nen.

»Wie im Him­mel wer­den wir le­ben«, rief sie be­geis­tert. »Du wirst mir al­les zei­gen, er­klä­ren, denn du kennst ja al­les, du weißt al­les, du bist doch ein Welt­mann.« Sie lehn­te ihre Stirn an Am­bro­si­us’ Stirn und schau­te ihm in die Au­gen. »Willst du?«

»Ge­wiss, ge­wiss«, er­wi­der­te er un­si­cher. An­fangs hat­te er mit großem Un­be­ha­gen zu­ge­hört. All das er­schi­en ihm aben­teu­er­lich und un­mög­lich. Aber Rosa war schön, wäh­rend sie sprach. Die Au­gen leuch­te­ten in Er­re­gung und Trä­nen, über der Stirn das wir­re blon­de Haar, eine ener­gi­sche, ei­gen­sin­ni­ge Fal­te zwi­schen den Au­gen­brau­en. Und wenn sie die Stirn kraus­zog, die Zäh­ne auf­ein­an­der­biss, die Lip­pen zu ei­nem bö­sen, un­ge­zo­ge­nen Lä­cheln auf­warf und Sal­ly oder La­nin et­was recht Übles nach­sag­te, dann sah sie wie ein schö­ner wü­ten­der Bube aus; aber, gleich wie­der, wenn sie Am­bro­si­us ge­ra­de und fle­hend in die Au­gen schau­te, wenn sie sich eng – eng an sei­ne Brust schmieg­te und, ihre Lip­pen ganz nah den sei­nen, frag­te, ob er sie mit­neh­men wol­le, da war es wie­der die um­stri­cken­de Mil­de und Sü­ßig­keit der Frau. Je län­ger Am­bro­si­us Rosa an­blick­te, um so mög­li­cher er­schi­en ihm der Plan. Wa­rum auch nicht? Vor sei­nen El­tern fürch­te­te er sich nicht, er war ih­nen schon ein­mal da­von­ge­lau­fen, und sonst? Was konn­te ihn sonst noch hal­ten? Rosa konn­te er nicht ver­las­sen, das wur­de ihm mit je­der Mi­nu­te kla­rer, er hät­te sich ja schä­men müs­sen, die­sem tap­fe­ren Mäd­chen zu sa­gen: »Ich wage es nicht.« Rosa setz­te ein so großes Ver­trau­en in ihn, sie be­wun­der­te ihn und nann­te ihn einen Welt­mann; zeig­te er sich jetzt klein­lich und zag­haft, dann war es viel­leicht vor­bei mit die­ser Be­wun­de­rung und Lie­be, und ihm ent­ging die­ses schö­ne, selt­sa­me We­sen. Zum ers­ten Mal zwei­fel­te er an sei­ner Un­wi­der­steh­lich­keit und lieh un­be­hol­fen die­sem Ge­fühl Wor­te, in­dem er flüs­ter­te: »Bei Gott! Lieb­chen! Ich wuss­te es nicht, dass ich so stark in dich ver­liebt bin.«

 

»Also ja, Amby, mor­gen rei­sen wir?«

»Na­tür­lich! Wo­hin aber?«

»Ja, wo­hin?« Rosa eil­te zum Tisch. Un­ter den Bü­chern des Tröd­lers be­fand sich auch ein zer­fetz­ter Schul­at­las, und der soll­te ih­nen sa­gen, wo sie ihr Glück fin­den wür­den. Sie steck­ten ihre Köp­fe über dem At­las zu­sam­men. »Nach Pa­ris?« frag­te Rosa.

»Ja –«, er­wi­der­te Am­bro­si­us ge­dehnt.

»Oder ist das zu weit? Üb­ri­gens wür­de ich dort im­mer an die fran­zö­si­schen Stun­den der Schank er­in­nert wer­den.« Mit Wol­lust fuhr Ro­sas Fin­ger über die ab­ge­grif­fe­nen, ver­blass­ten Blät­ter hin. »Vi­el­leicht nach Wien?«

Kann­te Am­bro­si­us Wien? – Ja, er kann­te es; der Ge­dan­ke an Wien mach­te ihn er­rö­ten, denn dort­hin war er sei­ner ers­ten Lie­be, der Kun­strei­te­rin, ge­folgt.

»Oh, Wien wür­de ich gern se­hen. Also nach Wien – nicht?«

»Ja – gut!« Am­bro­si­us er­wärm­te sich für die­sen Plan und schlug sich al­ler­hand pein­li­che Geld­fra­gen, die sich mel­den woll­ten, aus dem Kopf. Er nahm Rosa wie­der auf sei­ne Knie und er­zähl­te, be­schrieb. Oh, sie soll­te er­fah­ren, was Le­ben heißt! Mit dem Hass ge­gen die Ge­gen­wart, der bei­de be­seel­te, ge­gen die ru­hi­gen Tage voll re­gel­mä­ßi­ger Pf­licht und Ar­beit mal­ten sie sich eine Zu­kunft von lau­ter Fes­ten und Ver­gnü­gun­gen aus. Ver­wirrt und be­rauscht von un­kla­ren Vi­sio­nen ei­nes bun­ten Glückes schloss Rosa die Au­gen und lausch­te der heim­li­chen Stim­me ih­res Ge­lieb­ten, die, ein war­mer, wol­lüs­ti­ger Hauch, über ihre Wan­ge lief. Es war fins­ter ge­wor­den, durch die Vor­hän­ge sah man den trü­b­ro­ten Licht­fleck der La­ter­ne über dem Hof­tor. Die Erb­sen­blü­ten auf dem Tisch be­gan­nen zu wel­ken und misch­ten ih­ren star­ken sü­ßen Duft in den fa­den Staub­ge­ruch, der rings­um von den al­ten Sa­chen auf­stieg. Drau­ßen – im La­den – sang Ida mit hei­se­rer Kin­der­stim­me ein Lied, im­mer die­sel­be schar­fe, trau­ri­ge No­ten­fol­ge.

Am­bro­si­us schwieg. Die bei­den Lie­ben­den hat­ten sich in einen al­les ver­ges­sen­den Traum hin­ein­ge­wiegt. Rosa hat­te kei­nen Ge­dan­ken, fast kein Be­wusst­sein ih­rer selbst, als Am­bro­si­us sie in sei­ne Arme nahm und durch das Zim­mer trug. Es war ihr, als wür­de sie von ei­nem lau­en, sanft rau­schen­den Was­ser fort­ge­tra­gen – weit fort. Drau­ßen, im be­rau­schen­den Hauch der Som­mer­nacht, hat­te sie wi­der­stan­den, hier, in der en­gen, dump­fen Tröd­ler­stu­be, gab sie sich hin. Der durch­drin­gen­de süße Duft der Erb­sen­blü­te be­täub­te sie halb – und in die schwü­le Luft die­ser Lie­bes­stun­de dräng­ten sich – wie Fie­ber­träu­me – die Vi­sio­nen brei­ter, lär­men­der Stra­ßen, hell er­leuch­te­ten Säle, und dann kam wie­der, wie aus wei­ter Fer­ne, Idas schar­fe, säu­er­li­che Stim­me mit ih­rem schläf­ri­gen Lied.

Am Abend hat­te es zu reg­nen an­ge­fan­gen. Als Rosa auf die Stra­ße hin­austrat, schlu­gen ihr große kal­te Trop­fen so hef­tig in das Ge­sicht, dass es schmerz­te. Dazu feg­te noch ein hef­ti­ger Wind durch die Gas­sen, rüt­tel­te an den Blech­schil­den der Lä­den und ließ den Re­gen laut auf die Dä­cher trom­meln. Rosa lief; die­ses Pfei­fen, Klat­schen und Lär­men er­schreck­te sie; fast hät­te sie den Weg nach Hau­se nicht ge­fun­den, so wir­re dreh­ten sich die Ge­dan­ken in ih­rem Kopf. Die feuch­ten Stra­ßen, der zu­cken­de Wi­der­schein der La­ter­nen auf den Plät­zen, die Fens­ter, durch die man in fried­lich er­leuch­te­te Wohn­stu­ben blick­te, wo Fa­mi­li­en ru­hig um die Lam­pe ver­sam­melt wa­ren – al­les zog an Rosa vor­über wie blas­se, frem­de Traum­bil­der, wie jene Vi­sio­nen, die sich so selt­sam im­mer wie­der in den Sin­nen­rausch hin­ein­ge­scho­ben hat­ten. In ih­ren Ohren klang Idas Lied ei­gen­sin­nig fort, und auf ih­rem Kör­per glaub­te sie noch Am­bro­si­us’ hei­ße Hän­de und Lip­pen zu spü­ren. Atem­los rann­te sie vor­wärts, erst vor ih­rer Woh­nung blieb sie einen Au­gen­blick ste­hen und sann – dann stieg sie lang­sam die Trep­pe hin­an.

Der Flur und das Wohn­zim­mer wa­ren fins­ter, nur in der Kü­che brann­te das Feu­er. Durch die halb of­fe­ne Türe sah Rosa Ag­nes ste­hen, sie muss­te ge­hört ha­ben, dass die Türe ge­öff­net wur­de, denn ohne sich um­zu­wen­den frag­te sie: »Rosa – bist du’s?«

»Ja«, er­wi­der­te Rosa. Ohne Hut und Man­tel ab­zu­le­gen, blieb sie im Flur ste­hen und schau­te in die Kü­che hin­ein. Die­ser matt vom klei­nen Herd­feu­er er­leuch­te­te Raum mit sei­nen däm­me­ri­gen Ecken, in de­nen zu­wei­len auf ei­nem Kup­fer­ge­rät ein ro­ter Blitz er­wach­te, Ag­nes in ih­rem grau­en Klei­de, ih­rer großen wei­ßen Hau­be, dazu das be­hag­li­che Pras­seln in der Pfan­ne auf dem Her­de – das er­griff Rosa – mach­te sie trau­rig und tat ihr doch wohl.

»Der Va­ter ist fort­ge­gan­gen«, be­rich­te­te Ag­nes, noch im­mer ohne sich nach Rosa um­zu­dre­hen. »Er hat auf dich ge­war­tet. Als du nicht kamst, ging er in den Klub. Er hat nichts ge­ges­sen, mein­te nur, ich soll das Es­sen für dich warm­hal­ten.«

Rosa stand re­gungs­los da und schwieg.

»Wo warst du denn?« fuhr Ag­nes fort. »Du weißt doch, dass er al­lein nichts es­sen mag und dass es ihm nicht gut ist, ohne Nacht­mahl fort­zu­ge­hen. Du könn­test auch an den Va­ter den­ken. Was du drau­ßen bei dem Wet­ter zu su­chen hast, weiß ich nicht, aber du soll­test we­nigs­tens zur Zeit wie­der da sein. Wer läuft denn bei Nacht auf den Stra­ßen her­um!« Ag­nes schüt­tel­te die Pfan­ne, dass es är­ger­lich in ihr auf­zisch­te. Rosa wand­te sich ab und ging in ihr Zim­mer hin­über, sie war gänz­lich durch­näßt und muss­te die Klei­der wech­seln. In ih­rem Zim­mer aber fühl­te sie sich zu er­schöpft, um die Ker­ze an­zu­ste­cken. Sie setz­te sich im Fins­tern auf ihr Bett und brü­te­te vor sich hin, folg­te wie­der wil­len­los der Jagd ih­res hei­ßen Blu­tes, das ihr in den Schlä­fen und in der Brust häm­mer­te und brann­te. So fand sie Ag­nes, als sie ins Zim­mer trat. An­fangs schalt sie: Wa­rum saß Rosa im Fins­tern? Wa­rum ließ sie das Es­sen kalt wer­den? Als sie aber Rosa nä­her be­trach­te­te, er­schrak sie. »Ge­rech­ter Gott! Was ist dem Kin­de? Du bist ja ganz nass? Hat man so et­was ge­se­hen? Nur schnell an­de­re Klei­der.« Ei­lig zog sie Rosa die nas­sen Klei­der aus, im­mer halb­laut vor sich hin­brum­mend. »So – so! Ganz kalt ist das Kind. Ei – ei – die Füße wie Eis.« Ge­schäf­tig lief sie in die Kü­che, um die Wä­sche am Herd­feu­er zu wär­men. »Ganz war­me St­rümp­fe, die wer­den gut­tun. Nicht wahr, die sind heiß?« Sie knie­te nie­der, zog Rosa die St­rümp­fe an. Die müt­ter­li­che Sorg­falt, die sich warm und lie­bend ih­rer be­ben­den, er­starr­ten Glie­der an­nahm, tat Rosa sehr wohl, und als sie – wie­der tro­cken und be­hag­lich an­ge­klei­det – da­saß, blick­te sie müde und dank­bar lä­chelnd zu Ag­nes auf. »Nun wird es recht sein«, mein­te die alte Frau. »Bis auf das Hemd nass zu wer­den, du lie­be Zeit! Das wird einen Schnup­fen ge­ben! Komm, iss schnell et­was War­mes.«

Im Spei­se­zim­mer brann­te die Hän­ge­lam­pe. Vor Ro­sas Ge­deck pras­sel­ten die Schweins­ripp­chen in ih­rer Schüs­sel noch sach­te fort, da­ne­ben stand ein Tel­ler mit Ap­fel­tört­chen und eine Fla­sche Rot­wein. »Komm – iss«, dräng­te Ag­nes.

Rosa war hung­rig. Sie aß und trank mit wah­rer Lust; lan­ge schon hat­te es ihr nicht so gut ge­schmeckt. Ag­nes lehn­te am Büf­fet und schau­te ihr be­däch­tig zu. Die­ser ru­hi­ge, for­schen­de Blick war Rosa un­be­quem; las ihr die alte Frau nicht al­les, was sie er­lebt hat­te, vom Ge­sicht ab? Sie beug­te ih­ren Kopf tiefer auf den Tel­ler nie­der und aß has­tig wei­ter.

»Nicht so schnell, lass dir Zeit«, mahn­te Ag­nes ein­mal.

»Ich bin fer­tig«, sag­te Rosa end­lich und blick­te auf; da Ag­nes sie aber wie­der so ernst an­schau­te, er­rö­te­te sie und schlug die Au­gen nie­der.

»Das hat ge­schmeckt«, ver­setz­te Ag­nes und ver­such­te zu lä­cheln. »Geh jetzt zu Bett, Kind!«

Als Rosa wie­der al­lein in ih­rem Zim­mer war, ward sie von ban­gen, schmerz­vol­len Ge­dan­ken be­drängt. Soll­te sie zu Ag­nes hin­aus­ge­hen? Die Ge­gen­wart der al­ten Wär­te­rin flö­ßte ihr im­mer noch das be­ru­hi­gend si­che­re Ge­fühl ein, wie sie es als Kind emp­fand, wenn die klei­ne Rosa durch alle Schreck­nis­se der fins­te­ren Wohn­stu­be glück­lich in die Kü­che ge­langt war und sich an Ag­nes’ Schür­ze hän­gen durf­te. Aber Ag­nes hat­te sie heu­te so streng an­ge­se­hen – Rosa er­trug die­sen Blick nicht. Sie leg­te sich zur Ruhe – sie fühl­te sich wie zer­schla­gen. Wüst und furcht­bar er­schie­nen ihr jetzt die Vor­gän­ge im Tröd­ler­hau­se, und das Fie­ber, das sich beim Ge­dan­ken an jene Stun­de in ih­rem Blut ent­zün­de­te, war ihr un­heim­lich und wi­der­wär­tig. Dazu noch der kom­men­de Tag mit sei­nen Aben­teu­ern, sei­nen Ge­fah­ren. Nein, sie wür­de ge­wiss nicht den Mut fin­den, all das aus­zu­füh­ren! Plötz­lich er­wach­te in ihr die Lie­be für ihre enge Hei­mat, für die be­hag­li­che Welt, in der Ag­nes Stock­mai­er re­gier­te. Ja – warm im Nes­te sit­zen, sich von Ag­nes pfle­gen las­sen – da war man si­cher und gut auf­ge­ho­ben!

Im Ne­ben­zim­mer ging Ag­nes ab und zu, rück­te den Tisch, klap­per­te mit den Tel­lern. Durch die halb­an­ge­lehn­te Türe drang der gel­be Schein der Lam­pe in Ro­sas Zim­mer und ver­gol­de­te ein Stück des al­ten ro­ten Bett­schir­mes. Al­les war, wie es stets ge­we­sen, seit Rosa den­ken konn­te, die wir­ren, un­ru­hi­gen Bil­der ver­blass­ten vor der Macht des lang­ge­wohn­ten Frie­dens. Ru­hig und lä­chelnd schlief Rosa ein, als wäre sie noch ein klei­nes, un­schul­di­ges Kind.

Am­bro­si­us war noch eine Wei­le im Zim­mer des Tröd­lers sit­zen­ge­blie­ben. Ein an­ge­neh­mes, stol­zes Ge­fühl be­seel­te ihn das Be­wusst­sein, im Be­sitz ei­nes schö­nen, be­geh­rens­wer­ten Mäd­chens zu sein. Rosa ge­hör­te jetzt ihm, da­für woll­te er sie auch be­schüt­zen und ihr ein hüb­sches, ver­gnüg­li­ches Le­ben be­rei­ten. Sie hat­te sich ganz in sei­ne Hän­de ge­legt. »Da hast du mich, ma­che et­was Glück­li­ches dar­aus.« Die­ser Au­gen­blick im Le­ben ei­nes Jüng­lings ist im­mer er­he­bend, und Am­bro­si­us ver­stand ihn voll zu wür­di­gen.

Nach­läs­sig in dem großen Sor­gen­stuhl der Jü­din hin­ge­gos­sen, nahm er die schlaf­fe, me­lan­cho­li­sche Hal­tung ei­nes mü­den Her­zens­kö­nigs an und träum­te von den schö­nen Klei­dern, die er Rosa kau­fen, von den präch­ti­gen Sa­chen, die er ihr zei­gen woll­te. Sie soll­te die Welt se­hen; aber die Welt soll­te auch Rosa se­hen, soll­te sie und ihn be­wun­dern. Wie wird das klein­städ­ti­sche Mäd­chen über all die Pracht stau­nen, wie wird es zu ihm auf­bli­cken, wenn er sich ele­gant und si­cher in der Groß­stadt zu­recht­fin­det – wie wird es ihn dann lie­ben! Also nach Wien, das stand fest.

Eine lus­ti­ge Zeit in ei­ner großen Stadt mit Rosa zu­brin­gen, sei­ne Lie­be in die Zim­mer ei­nes ers­ten Ho­tels ein­quar­tie­ren, sie mit dem Lu­xus ele­gan­ter Lä­den schmücken, mit ihr in Thea­ter­lo­gen pa­ra­die­ren – eine Wei­le den rei­chen jun­gen Ehe­mann auf der Hoch­zeits­rei­se spie­len – das war jetzt der Ku­chen, den Am­bro­si­us um je­den Preis ha­ben muss­te. Der Ge­dan­ke ei­ner Hei­rat tauch­te auch mit­un­ter in sei­nen Phan­tasi­en auf – aber un­klar und ver­schwom­men. O ja, warum nicht? Man wür­de ja se­hen! Heu­te er­schi­en ihm al­les mög­lich, nur ging er die­sen Be­we­gun­gen gern aus dem Wege – fer­tig­te sie kurz ab. Ein an­de­rer Ge­dan­ke aber ließ sich nicht so ohne wei­te­res ab­wei­sen und mach­te Am­bro­si­us Sor­ge. Er hat­te Geld nö­tig, viel Geld; ge­nug, um ei­ni­ge Wo­chen auf großem Fuß le­ben zu kön­nen. Merk­wür­dig war es, wie sich Am­bro­si­us’ Vor­sor­ge nur im­mer auf ei­ni­ge Wo­chen er­streck­te. Spä­ter? Ach was, das wird sich fin­den. Die El­tern ta­ten ihm ja al­les zu Wil­len; er wür­de sie schon zu et­was Ge­eig­ne­tem be­stim­men. Aber wo­her das Geld für den Au­gen­blick neh­men? Am­bro­si­us hat­te zwar ges­tern Geld von den El­tern er­hal­ten; das reich­te je­doch nicht hin. Nur ei­ner konn­te hel­fen – der Tröd­ler. Er war reich und Wu­che­rer, kann­te au­ßer­dem die Ver­hält­nis­se der Tel­le­r­ats und hat­te so­mit kei­nen Grund, das Geld nicht her­zu­ge­ben. Seuf­zend er­hob sich Am­bro­si­us. Galt es ein Ver­gnü­gen zu er­ja­gen, das er sich in den Kopf ge­setzt hat­te, so konn­te er zur Not auch eine Unan­nehm­lich­keit mit in den Kauf neh­men; sie durf­te nur nicht zu groß sein. Er ging in den Tröd­ler­la­den hin­aus.

 

Von der De­cke hing eine Pe­tro­le­um­lam­pe nie­der, de­ren trüb­gel­be Flam­me un­ru­hig fla­cker­te. Die Türe zur Stra­ße hin stand of­fen, laut klat­schend schlu­gen die Re­gen­trop­fen auf die Stein­schwel­le, und der enge Raum war voll des küh­len, feuch­ten Duf­tes, den ein Som­mer­re­gen zu ver­brei­ten pflegt. Wulf saß hin­ter sei­nem La­den­tisch, eine Bril­le auf der Nase, und schrieb. Ida kau­er­te auf der Tür­schwel­le, sah, die Hän­de um die Knie schlin­gend, in den Re­gen hin­aus und sang. Bei Am­bro­si­us’ Ein­tre­ten schau­te Wulf auf, lä­chel­te und frag­te: »Der Vo­gel schon aus­ge­flo­gen?«

Ida hielt im Sin­gen inne, um Am­bro­si­us mit blan­ken, neu­gie­ri­gen Au­gen zu be­trach­ten. – »Ja – hm«, er­wi­der­te Am­bro­si­us und lach­te dis­kret: »Was ma­chen Sie denn da, Wulf? Rech­nen, im­mer rech­nen. Ja, wenn man so reich ist –«

»Reich – ge­rech­ter Gott!« rief der Tröd­ler und schlug sein Buch zu. »Wenn Sie, jun­ger Herr, so reich wä­ren wie ich, dann wär es aus mit dem hüb­schen Le­ben. Im­mer Spaß – fei­ne Klei­der – hüb­sche Fräu­leins – das kann ich nicht.«

»Ach was! Sie ha­ben ge­nug«, scherz­te Am­bro­si­us und droh­te mit dem Fin­ger. Dann griff er nach dem wa­cke­li­gen Rohr­stuhl, der in der Ecke stand, und setz­te sich. Es mach­te ihm Ver­gnü­gen, selbst vor Wulf den Mann zu spie­len, der matt von Lie­bes­tri­um­phen ist. Lang­sam strich er sich mit der Hand über die Stirn und bat Ida um ein Glas Was­ser.

Als Ida fort war, schwieg Am­bro­si­us; er konn­te sich nicht ent­schlie­ßen, mit sei­nem An­lie­gen her­aus­zu­rück­en, er beug­te sich über den Tisch, mus­ter­te die Glas­rin­ge, nahm einen her­aus und hielt ihn ge­gen das Licht: »Für die Leu­te vom Lan­de«, er­klär­te Wulf.

»Hm – nicht übel«, be­merk­te Am­bro­si­us, kniff ein Auge zu und schau­te durch das bun­te Glas. »Wulf«, sag­te er plötz­lich, im­mer noch den Ring am Auge hal­tend, »ich brau­che Geld.« Der Jude ant­wor­te­te nicht so­gleich, blick­te auch nicht auf, son­dern tat, als wär das eine un­wich­ti­ge Mit­tei­lung, die nicht ernst­ge­nom­men sein woll­te.

Erst nach ei­ner Wei­le sag­te er – so oben­hin: »Ja – Geld, das braucht ei­ner bald.«

»Nein, im Ernst, Wulf«, ver­setz­te Am­bro­si­us leb­haft, »ich brau­che viel Geld, und Sie sol­len’s mir ge­ben.«

»Ich?« Wulf lach­te. Herr von Tel­le­r­at spaß­te wohl. Wo soll­te er – Wulf – Geld her­neh­men? Er brauch­te selbst wel­ches.

»Sei­en Sie kein Narr. Sie wis­sen doch, dass es ein si­che­res Ge­schäft ist, Sie ver­die­nen ja da­bei.«

»Frei­lich, wer das hät­te, wür­de was ver­die­nen – aber ich…«

»Kei­ne Flau­sen, Wulf. Sie ha­ben ge­nug im Kas­ten lie­gen. Ich stel­le Ih­nen einen Wech­sel aus. Mor­gen brau­che ich das Geld.«

»Es ist kei­nes da, lie­ber jun­ger Herr. Wie­viel soll es denn sein?«

»Acht­hun­dert.«

»Das ist hübsch viel. Auf wie lan­ge denn?«

»Auf kur­ze Zeit – ein – zwei – oder drei Mo­na­te.«

»Wer das hät­te, könn­te das Ge­schäft ma­chen«, mein­te Wulf und ließ sei­nen dün­nen, ab­ge­tra­ge­nen Bart nach­denk­lich durch die Fin­ger glei­ten. »Ich habe nichts – Ehren­wort. – Wer ka­viert denn auf dem Wech­sel?«

»Wozu ist denn ein Ka­vent nö­tig?« fuhr Am­bro­si­us auf. »Bin ich Ih­nen nicht si­cher ge­nug?«

»Ich sage nicht nein, Gott be­wah­re!« be­sänf­tig­te ihn der Tröd­ler: »Si­cher ist schon ein Pa­pier, wo Sie dar­auf­ste­hen; das ist wie ba­res Geld. Wer das Geld hat, gibt es auf Ihre Un­ter­schrift al­lein.«

»Sie ha­ben’s doch, sa­gen Sie doch nicht sol­che Din­ge.«

»O Gott, nein! Und dann – ich wür­de Ih­nen das Geld von Her­zen gern ge­ben, aber mei­ne Alte er­laubt es nicht, sie hat es. Ja, wenn ich es hät­te!«

»Wie­der et­was Neu­es!«

»Wer­den Sie nicht böse, jun­ger Herr. Wir spre­chen ja nur über die Sa­che. Wenn die Alte will, so ist’s gut, re­den Sie mor­gen mit ihr.«

»Ab­ge­macht. Mor­gen hole ich das Geld.«

Der Jude sah den jun­gen Mann aus sei­nen klei­nen gel­ben Au­gen miss­trau­isch an: »Zwei sind im­mer si­che­rer als ei­ner«, be­merk­te er.

»Sie im­mer mit Ihrem Zwei­ten«, rief Am­bro­si­us ent­rüs­tet. »Es ist wirk­lich un­ver­schämt. Wo soll ich denn einen Zwei­ten her­neh­men!«

»Gott, wenn Sie nur woll­ten«, mein­te Wulf lä­chelnd.

Är­ger­lich und ner­vös nag­te Am­bro­si­us an sei­ner Un­ter­lip­pe; es war zu wi­der­wär­tig, so in den al­ten Schelm drin­gen zu müs­sen. Ida war längst wie­der da, sie woll­te je­doch nicht stö­ren und stand ne­ben Am­bro­si­us, das Glas Was­ser in der Hand hal­tend. Sie hör­te auf­merk­sam zu und be­griff voll­kom­men, dass man nicht durs­tig ist, wenn man von Geld spricht. Jetzt blick­te sie ih­ren Va­ter be­däch­tig an und sag­te: »Der Herr Lurch drü­ben, der tut’s schon – für Fräu­lein Rosa.«

Am­bro­si­us lach­te – doch – Ida hat­te viel­leicht nicht un­recht. Auch Wulf lach­te ge­rührt über sein Kind. »Ida – was weißt du! Der jun­ge Herr wird das bes­ser wis­sen; der ist ge­schei­ter als wir bei­de zu­sam­men.«

»Nein, las­sen Sie sie nur. Sie hat recht.« Am­bro­si­us ge­fiel der Ein­fall. Lurch war ja sein blin­des Werk­zeug, der wür­de ihm hel­fen. Bei Gott! Ida hat­te das Wah­re ge­trof­fen, und gut ge­launt kniff Am­bro­si­us das Mäd­chen in die gel­be Ba­cke, was Ida steif und kühl ent­ge­gen­nahm: »Also Lurch.« Am­bro­si­us er­hob sich. »Mor­gen kom­me ich. Ich rech­ne auf Sie – Wulf.«

»Er­ge­bens­ter Die­ner, jun­ger Herr«, er­wi­der­te der Jude, »aber nichts Be­stimm­tes kann ich sa­gen.«

»Ge­hen Sie, Al­ter, die Sa­che ist ab­ge­macht. Adieu, Ida, du bist ein klu­ges Mäd­chen.«

»Emp­fehl mich, jun­ger Herr.«

Vor­nehm mit der Hand win­kend ver­ließ Am­bro­si­us den Tröd­ler­la­den.