Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit: Wie die USA den Zweiten Weltkrieg planten

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Beck verweigert jede Verhandlung über Danzig

Am 24. Oktober 1938 trafen sich Joachim von Ribbentrop und Józef Lipski zu einem Abendessen im Grand-Hotel in Berchtesgaden. Im Auftrage Hitlers sollte der deutsche Außenminister dem polnischen Botschafter einen Plan zu einer „Gesamtlösung“ aller zwischen Deutschland und Polen bestehenden Probleme vorlegen.28 Der Plan bestand im Wesentlichen aus 6 Punkten:

1. Der Freistaat Danzig kehrt zum Deutschen Reich zurück.

2. Durch den Korridor29 wird eine Autobahn und eine mehrgleisige Eisenbahn gelegt.

3. Polen erhält ebenfalls eine Autobahn, eine Eisenbahn sowie einen Freihafen.

4. Polen erhält eine Absatzgarantie für seine Waren im Danziger Gebiet.

5. Die beiden Nationen erkennen ihre gegenwärtigen Grenzen an.

6. Der seit 1934 bestehende deutsch-polnische Nichtangriffspakt wird um 10 bis 25 Jahre verlängert.30

Dies war ein durchaus großzügiges Angebot. Um zu sehen, wie großzügig es war, muss man sich zweierlei in Erinnerung rufen. Erstens: Danzig gehörte nicht zu Polen. Danzig war ein Freistaat mit einer deutschen Bevölkerung und einer deutschen Verwaltung unter einem vom Völkerbund ernannten Hohen Kommissar. Zweitens, keine der 16 Regierungen der Weimarer Republik wäre je bereit gewesen, einen so hohen Preis für Danzig zu bezahlen. Denn Hitlers Angebot besagte im Kern: Wenn sich die polnische Regierung mit der Rückkehr Danzigs in das Deutsche Reich einverstanden erkläre, dürfe es im Tausch die Deutschland in Versailles entrissenen deutschen Provinzen Posen, Westpreußen und Ostoberschlesien behalten.

Wie aus Lipskis Notizen ersichtlich wird, ging Hitlers Angebot sogar noch weiter. Er bot Polen an, dem aus Deutschland, Japan und Italien bestehenden „Antikominternpakt“ beizutreten, der, wie der Name schon andeutet, gegen die damalige Kommunistische Internationale gerichtet gewesen war.31 Diese Einladung hatte den britischen Historiker Alan J. P. Taylor zu der gern verlachten, aber durchaus gerechtfertigten Aussage gebracht: „Hitlers Ziel war ein Bündnis mit Polen, nicht seine Zerstörung.“32

Der Zeitpunkt, den Hitler für das Gespräch zwischen Ribbentrop und Lipski gewählt hatte, kam übrigens nicht von ungefähr. Im Anschluss an das Münchner Abkommen, auf dem die Rückkehr des Sudetenlandes in das Deutsche Reich beschlossen wurde, drängten auch die Slowaken, Polen und Ungarn auf einen Austritt aus der Tschechoslowakei. Bereits am 30. September 1938 stellte Polen der Regierung in Prag ein Ultimatum und forderte die sofortige Rückkehr des vornehmlich von Polen bewohnten Olsagebietes.33 Die polnische Besetzung des Olsagebietes, in welche die Tschechoslowakei am 1. Oktober 1938 einwilligen musste, schlug im Ausland durchaus hohe Wellen. So warnte etwa der britische Botschafter in Berlin, Sir Nevile Henderson, dass Polen mit diesem Schritt jegliche Sympathien in England verspielen werde.34 Der britische Abgeordnete Baron Stephen King-Hall meinte sogar: „Wenn Hitler jetzt gegen Polen vorgeht, rufe ich nur ‚Sieg Heil’!“35 Obgleich das Olsagebiet auch die deutsche Stadt Oderberg einschloss, billigte Hitler Warschaus Vorgehen.36 Doch meinte er natürlich, dass Polen nun auch Deutschland ein gewisses Entgegenkommen schulde.

Polen zeigte jedoch keinerlei Entgegenkommen. Obwohl dem Treffen zwischen Ribbentropp und Lipski vom 24. Oktober 1938 noch sechs weitere Gespräche folgten – am 19. November 1938, am 15. Dezember 1938, am 5. Januar 1939, am 6. Januar 1939, am 26. Januar 1939 und schließlich am 21. März 1939 –, lehnte die Warschauer Regierung Hitlers Vorschläge doch weder ab noch stimmte sie ihnen zu. Jedes Mal hieß es, dass man auf die Stimmung im Volke Rücksicht nehmen müsse und daher noch mehr Zeit benötige.37

Am 24. März 1939 kam dann eine mehr als überraschende „Antwort“: Polen hatte eine Teilmobilmachung seiner Streitkräfte angeordnet.38 Als Ribbentrop Lipski am 26. März nach den Gründen der Mobilmachungsmaßnahmen befragte, antwortete ihm der polnische Botschafter, dass es sich hierbei lediglich um eine Vorsichtsmaßnahme handele, er aber nunmehr „die unangenehme Pflicht habe, darauf hinzuweisen, daß jegliche weitere Verfolgung der deutschen Pläne, insbesondere soweit sie eine Rückkehr Danzigs zum Reich beträfen, Krieg mit Polen bedeute.“39

Was war geschehen? In der offiziellen Geschichtsschreibung wird an dieser Stelle gerne auf die vermeintliche „Zerschlagung der Resttschechei“ verwiesen. Mit Hitlers Besetzung von Böhmen und Mähren am 15. März 1939 hätte nun auch Polen um seine Existenz bangen müssen.40 Das ist jedoch wenig plausibel. Hätte sich Polen beunruhigt gezeigt, hätte es die Teilmobilmachung seiner Streitkräfte bereits am 15. März und nicht erst am 24. März 1939 eingeleitet.

Nur die bereits im ersten Kapitel zitierten Dokumente lassen uns das Verhalten der Warschauer Regierung wirklich verstehen. Es kann nicht schaden, sie an dieser Stelle noch einmal zu zitieren. Am 21. November 1938 berichtete der polnische Botschafter in Washington, Graf Jerzy Potocki, von einem Gespräch mit dem amerikanischen Botschafter William C. Bullitt, in dem letzterer davon sprach, dass nur „ein Krieg der wahnsinnigen Expansion Deutschlands in Zukunft ein Ende machen kann.41 […] Auf meine Frage, ob die Vereinigten Staaten an einem solchen Kriege teilnehmen würden, antwortete er: ‚Zweifellos ja, aber erst dann, wenn England und Frankreich zuerst losschlagen!’“42

Offenbar bedurfte es keiner großen Überredungskunst, um auch Polen für einen gemeinsamen Krieg mit England und Frankreich gegen Deutschland zu begeistern. So berichtete der Hohe Kommissar des Völkerbundes für den Freistaat Danzig, Carl Jakob Burckhardt: „Am 2. Dezember 1938 hatte mich der amerikanische Botschafter in Warschau, Tony Biddle, besucht. Er erklärte mir mit merkwürdiger Genugtuung, die Polen seien bereit, wegen Danzig Krieg zu führen. […] ‚Im April’, so erklärte er, ‚wird die neue Krise ausbrechen; niemals seit der Torpedierung der Lusitania bestand in Amerika ein solch religiöser Haß gegen Deutschland wie heute! Chamberlain und Daladier werden durch die öffentliche Meinung hinweggeblasen werden. Es handelt sich um einen heiligen Krieg!’“43

Kurz, die Warschauer Regierung hatte sich bereits vor dem 2. Dezember 1938 für Roosevelts Plan eines von England, Frankreich und Polen geführten Krieges gegen Deutschland gewinnen lassen. Dass Außenminister Beck und Botschafter Lipski in ihren Verhandlungen mit Hitler und Ribbentrop wieder und wieder um Bedenkzeit baten, war ein reines Spiel auf Zeit. Man wollte zunächst eine Garantie dafür, dass England und Frankreich auch wirklich an Polens Seite kämpfen werden. Dies geht insbesondere auch aus dem Bericht des polnischen Botschafters in Paris, Juliusz Lukasiewicz, hervor, der in einem Gespräch mit William C. Bullitt auf dessen Kriegshetze antwortete: „Es ist kindisch naiv und gleichzeitig unfair, einem Staat, der sich in einer solchen Lage wie Polen befindet, vorzuschlagen, er solle seine Beziehungen zu einem so starken Nachbarn wie Deutschland kompromittieren und die Welt der Katastrophe eines Krieges aussetzen. […] Botschafter Bullitt nahm sich meine Ausführungen sehr zu Herzen und bat mich, sie noch einmal zu wiederholen. Später fragte er mich, ob wir ein gemeinsames Bündnis annehmen würden, wenn England und Frankreich uns morgen ein solches vorschlagen sollten.“44

Noch am selben Tag, am 24. März 1939, erhielt der amerikanische Botschafter in London, Joseph P. Kennedy, von Bullitt den Auftrag, politischen Druck auf den britischen Premierminister Neville Chamberlain auszuüben und ihm einen Bündnisvertrag mit Polen abzuringen.45 Kaum im Besitze der britischen „Garantieerklärung“, wagte die Warschauer Regierung sogleich mit dem Säbel zu rasseln, indem sie eine Teilmobilmachung ihrer Streitkräfte anordnete und Deutschland einen Krieg androhte, sollte es weiter auf eine Rückkehr Danzigs zum Deutschen Reich drängen.

Aus polnischer Sicht ist das Verhalten der Warschauer Regierung gar nicht weiter verwunderlich. Außenminister Oberst Józef Beck zweifelte nicht im Geringsten daran, dass Hitler ihm ein aufrichtiges und großzügiges Angebot gemachte hatte.46 Doch was war Hitlers Angebot schon im Vergleich zu Roosevelts Angebot? Hitlers Angebot gestattete ihm den weiteren Besitz von Posen, Westpreußen und Ostoberschlesien. Roosevelts Angebot stellte ihm dagegen nicht nur den Besitz von Posen, Westpreußen und Ostoberschlesien, sondern sogar den zusätzlichen Gewinn von Danzig, Schlesien und Ostpreußen in Aussicht. Alles, was es bedurfte, um Polens Großmachtträume zu verwirklichen, war ein gemeinsamer Krieg an der Seite von England und Frankreich mit amerikanischer Unterstützung. Angesichts der militärischen Überlegenheit der antideutschen Allianz war sich Beck sicher, die Wehrmacht schon nach wenigen Wochen am Boden liegen zu sehen und siegreich vor dem Brandenburger Tor zu stehen.

Am 31. März 1939 verkündete Chamberlain offiziell die Garantiererklärung an Polen, die ihm eine Woche zuvor von den USA aufgezwungen wurde. England und Frankreich, erklärte er vor dem Unterhaus, hätten sich verpflichtet, Polen mit allen verfügbaren Mitteln zur Hilfe zu eilen, falls dessen Unabhängigkeit bedroht werden und es sich zum Widerstand genötigt sehen sollte.47

Winston Churchill, der, wie im ersten Kapitel erwähnt, in Roosevelts Pläne für einen Zweiten Weltkrieg eingeweiht war, begrüßte die britische Garantieerklärung: „Die Erhaltung der Unabhängigkeit Polens muss als eine Aufgabe betrachtet werden, die die Aufmerksamkeit der gesamten Welt erfordert.“48

Viele britische Politiker zeigten sich dagegen entsetzt. Der frühere Premierminister Sir Lloyd George nannte die Garantieerklärung ein „halsbrecherisches Abenteuer“49. Staatssekretär Sir Alexander Cadogan bezeichnete sie als „tollkühnes Vabanquespiel“50. Und der frühere Marineminister Duff Cooper betonte: „Noch nie zuvor in unserer Geschichte haben wir einer zweitrangigen Macht die Entscheidung darüber gelassen, ob Großbritannien in den Krieg ziehen soll oder nicht.“51

 

Spätere Historiker teilten das Urteil der britischen Abgeordneten. So beschrieb Sir Roy Denman die Garantieerklärung beispielsweise als „die verantwortungsloseste Verpflichtung, die eine britische Regierung jemals abgegeben hat. Sie legte die Entscheidung über Krieg und Frieden in Europa in die Hände einer rücksichtslosen, unnachgiebigen, säbelrasselnden Militärdiktatur.“52 Ähnlich äußerte sich Donald Cameron Watt: „Chamberlain hatte die Entscheidung über Krieg und Frieden in die nervösen Hände Oberst Becks und seiner Waffenbrüder der polnischen Junta gelegt.“53

Die beste Charakterisierung des „Blankoschecks“ entstammt sicher dem britischen Militärhistoriker Sir Basil Liddell Hart, der von der Garantie sagte: „Sie war gleichzeitig die größtmögliche Versuchung und eine eindeutige Provokation. Sie machte die halsstarrigen Polen noch weniger zu Konzessionen gegenüber Deutschland bereit; und Hitler selbst konnte sich nun nicht mehr aus der Affäre ziehen, ohne sein Gesicht zu verlieren.“54

Der britische Premierminister Sir Neville Chamberlain musste den Tadel seiner Kabinettsmitglieder ohnmächtig über sich ergehen lassen, ohne auch nur mit einer einzigen Silbe erwähnen zu dürfen, dass ihm die Garantieerklärung an Polen von der amerikanischen Regierung aufgezwungen worden war. Offenbar hatte er aber immer noch die Hoffnung, den Konflikt zwischen Deutschland und Polen gütlich beilegen zu können. Doch Oberst Beck sollte schon bald all seine Hoffnungen zunichtemachen. Denn er begnügte sich keineswegs damit, eine Teilmobilmachung der polnischen Armee anzuordnen und Deutschland einen Krieg anzudrohen.

Am 4. April 1939 erschien Beck in London, um gemeinsam mit Chamberlain die Garantieerklärung zu unterzeichnen. Nach der Darstellung von William Manchester, führte sich der polnische Außenminister dabei wie das Oberhaupt „einer militärischen Großmacht auf, wofür er sich zweifellos auch hielt. Er stolzierte aufgeblasen herum, zündete sich eine Zigarette nach der anderen an und starrte den jungen Frauen lüstern hinterher.“55 Statt einer einseitigen Garantieerklärung schlug Beck ein gegenseitiges Beistandsabkommen vor, wonach nicht nur England Polen, sondern auch Polen England im Falle eines Krieges zur Hilfe eilen würde. Dies sei, erklärte Beck, „die einzige Basis, die ein Land, das sich selber achtet, annehmen könne.“56 Tatsächlich kam es am 6. April 1939 dann auch zur Unterzeichnung des gewünschten Beistandsabkommens.

Obgleich Premierminister Chamberlain und Außenminister Halifax ausgesprochene Gegner des Bolschewismus waren, nahmen sie sich doch das Argument von Sir Lloyd George zu Herzen, wonach das Bündnis mit Polen ohne Einbeziehung der Sowjetunion nichts wert sei. Nur die Gefahr eines Zweifronten-Krieges könne Hitler wirksam vor militärischen Maßnahmen gegen Polen abschrecken. Doch Beck lehnte jede Erörterung eines britisch-französisch-polnisch-sowjetischen Bündnisses kategorisch ab.57

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Hitler es nie gewagt hätte, irgendeine militärische Aktion zu unternehmen, wenn dies unweigerlich einen Krieg gegen Polen und Russland im Osten und einen Krieg gegen England und Frankreich im Westen nach sich gezogen hätte.58 Dass Beck die sicherste Garantie für den Frieden ausschlug, ist ein weiteres Indiz dafür, dass er den Krieg nicht vermeiden, sondern bewusst herbeiführen wollte. Die Kosten eines Krieges erschienen ihm denkbar gering und der Nutzen unermesslich groß. Es war ein offenes Geheimnis, dass Polen damals Großmachtträume hatte und an ein Reich dachte, das von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer reichen sollte.59

Wie Chamberlain und Halifax schon bald bemerken mussten, führte Beck sie zu allem Überfluss aber auch noch an der Nase herum. In allen Gesprächen mit den Briten verschwieg er die Verhandlungen zwischen Ribbentrop und Lipski.60 Erst durch Hitlers Reichstagsrede vom 28. April 1939 erfuhren die Engländer davon, dass Deutschland Polen im vorangegangenen Herbst ein durchaus großzügiges Angebot gemacht hatte.61

Hitler sagte an diesem 28. April im Reichstag: „Ich habe der polnischen Regierung ein konkretes Angebot unterbreiten lassen. Ich teile Ihnen, meine Abgeordneten, nunmehr dieses Angebot mit, und Sie werden sich selbst ein Urteil bilden, ob es nicht […] das gewaltigste Entgegenkommen darstellt, das […] denkbar war. Ich habe […] die Notwendigkeit eines Zuganges zum Meere [für Polen] stets eingesehen und […] auch in Rechnung gestellt. Ich hielt es aber auch für notwendig, der Warschauer Regierung klarzumachen, daß so, wie sie einen Zugang zum Meere wünscht, Deutschland einen Zugang zu [Ostpreußen] braucht. Es sind dies nun einmal schwierige Probleme. Dafür ist nicht Deutschland verantwortlich, sondern jene Zauberkünstler von Versailles, die in ihrer Bosheit und Gedankenlosigkeit in Europa hundert Pulverfässer herumstellten, von denen jedes einzelne außerdem noch mit kaum auslöschbaren Lunten versehen worden war.

Ich habe […] folgenden Vorschlag unterbreiten lassen: 1. Danzig kehrt als Freistaat in den Rahmen des Deutschen Reiches zurück. 2. Deutschland erhält durch den Korridor eine Straße und eine Eisenbahnlinie. […] Dafür ist Deutschland bereit: a) sämtliche wirtschaftlichen Rechte Polens in Danzig anzuerkennen; b) Polen in Danzig einen Freihafen beliebiger Größe […] sicherzustellen; c) […] die Grenzen zwischen Deutschland und Polen als gegebene hinzunehmen […]; und d) einen 25-jährigen Nichtangriffspakt mit Polen abzuschließen. […] Die polnische Regierung hat dieses […] Angebot abgelehnt.“62

Spätestens jetzt wurden sich Chamberlain und Halifax der offenkundigen Doppelzüngigkeit von Oberst Beck bewusst. Sie sahen sich umso mehr betrogen, als sie Hitlers Anspruch auf Danzig stets als die gerechtfertigste aller territorialen Forderungen betrachteten.63 Und mit dieser Auffassung standen sie keineswegs alleine da. Selbst Roosevelt und Churchill sprachen sich Anfang der 30er Jahre noch offen für eine Rückkehr Danzigs zum Deutschen Reich aus. So erklärte Roosevelt im Januar 1933 etwa dem britischen Botschafter in Washington, Sir Ronald Lindsay, dass die zahlreichen politischen Spannungen in Europa eine Rückkehr Danzigs und des Korridors erforderten.64

Der englische Botschafter in Berlin, Sir Nevile Henderson, meinte nach Hitlers Reichtstagsrede, dass England Polen nie eine Garantie gegeben hätte, wenn der englischen Regierung die deutschen Vorschläge bekannt gewesen wären.65 Chamberlain, dem weitgehend die Hände gebunden waren, schöpfte dagegen einen letzten Funken Hoffnung aus den versöhnlichen Worten am Schluss von Hitlers Rede, an der er versicherte: „Sollte die polnische Regierung Wert darauf legen, zu einer neuen vertraglichen Regelung der Beziehungen zu Deutschland zu kommen, so werde ich das nur begrüßen, allerdings unter der Voraussetzung, daß eine solche Regelung dann auf einer ganz klaren und gleichmäßig beide Teile bindenden Verpflichtung beruht. Deutschland ist jedenfalls gern bereit, solche Verpflichtungen zu übernehmen und zu erfüllen.“66 Chamberlain nahm dies zum Anlass, Beck am 3. Mai 1939 daran zu gemahnen, dass die englische Garantieerklärung kein Grund dafür sein dürfe, sich gerechtfertigten und maßvollen Vorschlägen von Seiten Deutschlands zu verschließen.67 Doch Beck schlug weiter jegliche deutsch-polnischen Verhandlungen aus. Wie von den Kritikern befürchtet, ließ ihn die Garantieerklärung immer starrsinniger und überheblicher werden.

Am 5. Mai 1939 hielt Józef Beck vor dem polnischen Sejm eine Rede, für die er frenetischen Beifall erntete. Er erklärte, dass die Friedensbestimmungen von Versailles gerecht gewesen seien und sprach Deutschland jedes Recht ab, auf eine Rückkehr des Freistaates Danzig zu drängen. Geradezu kämpferisch fügte er hinzu: „Unsere Generation, die ihr Blut in verschiedenen Kriegen vergossen hat, verdient ganz sicher eine Zeitspanne des Friedens. Aber Frieden – wie fast alles in dieser Welt – hat seinen Preis, hoch, aber bestimmbar. Wir in Polen erkennen die Auffassung von ‚Frieden um jeden Preis’ nicht an. Im Leben von Männern, Nationen und Staaten gibt es nur eines, das keinen Preis hat, und das ist die Ehre.“68

Ab Mitte Mai 1939 wurden in vielen Orten Polens deutsche Schulen geschlossen. Deutsche Studenten, die an einer polnischen Universität studierten, wurden am Besuch ihrer Vorlesungen gehindert. In Warschau warf man die Fensterscheiben der Deutschen Botschaft ein. Vor dem Eingang demonstrierten Menschen mit Parolen wie „Es lebe das polnische Danzig!“, „Nieder mit Hitler!“ oder „Nächste Woche marschieren wir nach Berlin!“69

Am 19. Juni 1939 berichtete der deutsche Botschafter in Warschau, Hans-Adolf Graf von Moltke, an das Auswärtige Amt in Berlin, dass seine Proteste ungehört verhallten: „Auf meine Frage, ob er es nicht für angezeigt halten würde, der gefährlichen Politik Einhalt zu gebieten, antwortete mir der polnische Staatssekretär Graf Szembek nur mit einem resignierten Achselzucken. Er verwies zwar mit dem Ausdruck des Bedauerns auf die Verschlechterung der Lage, zeigte aber keinerlei Initiative, um, meiner Anregung entsprechend, einen Abbau der Kampfmaßnahmen herbeizuführen.“70 Mitte Juli 1939 fügte Graf von Moltke hinzu: „Es ist immer schwierig gewesen, Minderheitenfragen im Außenministerium zur Sprache zu bringen. Wie die täglich zunehmende Zahl der Gewaltakte gegen die Volksdeutschen zeigt, fühlt sich aber offensichtlich die polnische Regierung jetzt durch die englische Blankovollmacht so stark, daß sie es nicht mehr für nötig hält, bei der Behandlung der Minderheit irgendeine Rücksicht auf die deutschen Interessen zu nehmen.“71

Im August spitzte sich die Lage der deutschen Minderheit in Polen immer mehr zu. Kirchen, in denen man deutsche Gottesdienste abhielt, wurden gestürmt. Auf dem Lande wurden deutsche Höfe angezündet. Und in den Städten wurden Menschen auf offener Straße verprügelt. Am 25. August begannen die polnischen Behörden mit der Verhaftung und Verschleppung von 15.000 Volksdeutschen. An den Grenzen mussten Zeltlager errichtet werden, um die aus Polen strömenden Flüchtlinge aufzunehmen. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes sollen bis zum Kriegsausbruch 78.000 Volksdeutsche ins Reich geflohen sein; noch einmal 18.000 retteten sich nach Danzig.72

Die Warschauer Regierung zeichnete sich zudem durch eine geradezu verhängnisvolle militärische Selbstüberschätzung aus. Bereits im Sommer 1938 erklärte Oberst Józef Beck dem Völkerbundskommissar Carl Jacob Burckhardt: „Die Wehrmacht ist mit der kaiserlichen Armee von 1914 nicht zu vergleichen. Unsere eigenen Streitkräfte aber sind auf einen elastischen, hinhaltenden Bewegungskrieg eingerichtet. Man wird große Überraschungen erleben.“73 Als sich die Franzosen am 18. Mai 1939 beim polnischen Kriegsminister, General Tadeusz Kasprzycki, nach den Befestigungen an der polnisch-deutschen Grenze erkundigten, antwortete er ihnen: „Wir haben keine. Wir gedenken einen Bewegungskrieg zu führen und gleich bei Beginn der Operationen in Deutschland einzufallen.“74 Und im Juli 1939 verkündete Jedrzej Giertych vom Zentralkomitee der Nationaldemokratischen Partei: „Nach dem bevorstehenden Krieg […] sollte Polen Danzig, Pommern, Schlesien und Ostpreußen […] annektieren.“75

Es kann sicher kaum ein Zweifel daran bestehen, dass Hitler auf Grund des polnischen Hochmutes und der polnischen Übergriffe gerne eine militärische Strafexpedition unternommen hätte. Solange jedoch ein Angriff auf Polen unweigerlich einen Krieg mit England nach sich ziehen würde, kam dies nicht in Frage. Hitler hatte mehr als nur einmal gesagt, dass „ein Krieg gegen England nichts anderes bedeute als ‚finis Germaniae’.“76 Der am 23. August 1939 geschlossene „Hitler-Stalin-Pakt“ hatte die Aufgabe, England und Frankreich dazu zu bewegen, sich aus ihrem Bündnis mit Polen zu lösen und sich für ein neues München auszusprechen. Wie während des Münchner Abkommens, bei dem England und Frankreich die Tschechoslowakei zwangen, das Sudetenland an Deutschland zurückzugeben, so sollten England und Frankreich dieses Mal Polen dazu zwingen, den Freistaat Danzig ins Deutsche Reich zurückkehren zu lassen.

 

Hitler hätte auch beinahe Erfolg gehabt. Angesichts des Molotow-Ribbentrop-Paktes drängte der französische Außenminister Georges Bonnet seinen Staatspräsidenten Edouard Daladier dazu, den Ausschuss für Landesverteidigung einzuberufen, um die Frage in den Raum zu werfen: „Sollen wir wirklich blind zu unserem Bündnis mit Polen stehen? Ist es nicht besser, Warschau zu einem Vergleich zu bewegen?“77

Wie Bonnet in Paris, so suchte auch Halifax in London nach einem Ausweg. Er meinte: Sollte Deutschland Polen attackieren, müssten England und Frankreich nicht sogleich zu den Waffen greifen. Es würde genügen, Hitler zunächst ein Ultimatum zu stellen. Er solle seine Truppen augenblicklich stoppen und sein sofortiges Einverständnis zu einer Friedenskonferenz geben. Erst wenn er einen Haltebefehl an die Wehrmacht und Friedensverhandlungen ausschlagen sollte, würden England und Frankreich genötigt sein, ihrer Bündnispflicht nachzukommen und Deutschland den Krieg zu erklären.78

Als Antwort auf den Pakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion bekräftigten England und Polen am 25. August 1939 noch einmal ihr gegenseitiges Beistandsabkommen. Dennoch ließ Halifax nichts unversucht, um den Konflikt um Danzig gütlich beizulegen. Noch am selben Tag erklärte er dem britischen Botschafter in Warschau, Sir Howard Kennard, dass „die polnische Regierung einen großen Fehler mache, wenn sie versuche, eine Stellung zu beziehen, in der die Diskussion über eine friedliche Veränderung des Status von Danzig ausgeschlossen wäre.“79

Halifax sah nur noch eine einzige Möglichkeit, einen europäischen Krieg zu verhindern. Beck musste zu direkten Verhandlungen mit Hitler und zu Zugeständnissen bezüglich Danzigs gedrängt werden; und Hitler musste Beck ein Angebot machen, das die wirtschaftlichen Interessen Polens berücksichtigte, und einwilligen, dass alle etwaigen territorialen Veränderungen durch eine internationale Kommission garantiert werden.80

Trotz tagtäglichen Drängens erklärte sich Józef Beck erst am 28. August 1939 bereit, „sofort in direkte Verhandlungen“81 mit Adolf Hitler zu treten. Den 29. August verbrachte Beck damit, sich mit dem Präsidenten Polens, Ignacy Móscicki, und dem Marschall Polens, Edward Rydz-Smigłi, darüber zu beraten, wer die Verhandlungen führen sollte. Die Wahl fiel naheliegenderweise auf den polnischen Botschafter in Berlin, Józef Lipski.82 Hitler hatte unterdessen mit einer Überarbeitung seiner Vorschläge an Polen begonnen und erwartete einen „mit allen Vollmachten versehenen“83 polnischen Abgesandten für den 30. August. Der 30. August kam und verging, ohne dass ein polnischer Unterhändler in Berlin erschien. Stattdessen verkündete Polen am selben Tag die Generalmobilmachung seiner Armee.84

Am 31. August 1939 spitzten sich die Ereignisse weiter zu. Hitler beauftragte Göring damit, seine Vorschläge für eine Bereinigung aller zwischen Deutschland und Polen bestehenden Probleme nach London und Warschau weiterzuleiten. Göring bediente sich hierzu eines persönlichen Freundes, des schwedischen Industriellen Birger Dahlerus, der bereits seit Wochen zwischen England und Deutschland vermittelte und direkte Gespräche mit Hitler und Ribbentrop sowie mit Chamberlain und Halifax führte. Im Auftrage Görings begab sich Dahlerus um 10 Uhr in die britische Botschaft in Berlin. Gemeinsam mit Botschafter Sir Nevile Henderson ging Birger Dahlerus die inzwischen auf 16 Punkte angewachsenen Vorschläge Hitlers durch.85 Da Henderson der Auffassung war, dass Polen nie wieder ein so gutes Angebot erhalten werde (wie er auch sogleich nach London telegraphierte86), drängte er Dahlerus, sogleich mit dem britischen Diplomaten George Ogilvie-Forbes zur polnischen Botschaft zu fahren und direkt mit Józef Lipski zu sprechen.

Wie Dahlerus beschreibt, war man in der polnischen Botschaft offenbar längst auf Krieg eingestellt: „In der Halle standen Kisten aufgereiht und überall war das Personal beschäftigt, die Abreise vorzubereiten. Lipski empfing uns in seinem Arbeitszimmer, aus dem bereits ein Teil der Ausstattung entfernt war.“87 Der polnische Botschafter schien sich für den 16-Punkte-Plan nicht im Geringsten zu interessieren. Er bat Dahlerus, ins Nachbarzimmer zu gehen und Hitlers Vorschläge einer Sekretärin zu diktieren.88 In Dahlerus’ Abwesenheit ließ Lipski seine Maske fallen. Er erklärte dem im Arbeitszimmer verbliebenen englischen Diplomaten George Ogilvie Forbes, „daß er in keiner Weise Anlaß habe, sich für Angebote von deutscher Seite zu interessieren. Er kenne die Lage in Deutschland nach seiner fünfeinhalbjährigen Tätigkeit als Botschafter gut und habe intime Verbindung mit Göring und anderen aus den maßgebenden Kreisen; er erklärte, davon überzeugt zu sein, daß im Falle eines Krieges Unruhen in diesem Land ausbrechen und die polnischen Truppen erfolgreich gegen Berlin marschieren würden.“89

Nur anderthalb Stunden später ließ auch Józef Beck seine Maske fallen. In einem vom deutschen Nachrichtendienst abgefangenen Telegramm wies er Lipski an, ins Auswärtige Amt zu gehen und um eine Unterredung mit Ribbentrop zu ersuchen. Er fügte jedoch hinzu: „Lassen Sie sich unter keinen Umständen in sachliche Diskussionen ein; wenn die Reichsregierung mündliche oder schriftliche Vorschläge macht, müssen Sie erklären, daß Sie keinerlei Vollmacht haben, solche Vorschläge entgegenzunehmen.“90

Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Um sein Gesicht zu wahren und Becks aggressive Politik zu stoppen, befahl Hitler noch am selben Abend den Einmarsch in Polen. Nachdem er erneuten Verhandlungen mit Warschau zugestimmt und mit seinem 16-Punkte-Plan eine Diskussionsgrundlage erarbeitet hatte, die jede einzelne von London erhobene Forderung berücksichtigte, rechnete er nicht mit einer Kriegserklärung von Seiten Englands und Frankreichs. London und Paris hatten schließlich selbst gesehen, dass es Polen und nicht Deutschland war, das jede friedliche Lösung des Konflikts sabotierte. Für Hitler galt das Wort Friedrich des Großen: „Der Angreifer ist derjenige, der seinen Gegner zwingt, zu den Waffen zu greifen.“

Tatsächlich zeigte man sich in London mehr als verärgert. In der Nacht vom 31. August auf den 1. September schrieb Lord Halifax: „Ich begreife nicht, worin die polnische Regierung Schwierigkeiten sehen sollte, ihren Botschafter zu autorisieren, ein Dokument der deutschen Regierung anzunehmen.“91 Bereits einige Tage zuvor beklagte sich Chamberlain bei Kennedy über die Hoffnungslosigkeit der Situation: „Er sagt, daß es die Nutzlosigkeit aller Bemühungen wäre, die so schrecklich sei. Man könne die Polen schließlich nicht retten, sondern nur einen Vergeltungskrieg führen, der die Zerstörung ganz Europas zur Folge haben werde.“92

Der 16-Punkte-Plan sah nach wie vor eine Rückkehr Danzigs zum Deutschen Reich vor; die deutsche Hafenstadt Danzig und die polnische Hafenstadt Gdingen sollten aber reine Handelsstädte und daher von jeglichem Militär befreit werden; die Bewohner des Korridors sollten in einer Volksabstimmung selbst darüber entscheiden, ob sie bei Polen bleiben oder zu Deutschland zurückkehren wollten; diese Volksabstimmung, die in etwa 12 Monaten stattfinden könne, sollte von England, Frankreich und Italien überwacht werden; falls der Korridor bei Polen verbleiben sollte, würde Deutschland eine Autobahnverbindung und eine Eisenbahnlinie erhalten; sollte der Korridor dagegen zu Deutschland zurückkehren, erhielte Polen eine Autobahnverbindung und eine Eisenbahnlinie.93

Sir Nevile Henderson meinte nach Durchsicht des 16-Punkte-Plans, dass „ein Krieg auf das deutsche Angebot hin vollkommen ungerechtfertigt wäre.“94 Diese Auffassung teilte er sich interessanterweise mit William C. Bullitt. Doch anders als der britische Botschafter hatte der amerikanische Botschafter nun Sorge, dass sich England und Frankreich wegen des 16-Punkte-Plans weigern könnten, in den von Roosevelt geplanten Krieg einzutreten. Bullitt sah sich daher genötigt, noch einmal all seine Propagandakünste aufzubieten, um England und Frankreich zur Unnachgiebigkeit zu drängen. Er behauptete: Würde man sich auf den 16-Punkte-Plan einlassen, würde Hitler schon „innerhalb weniger Wochen ähnliche Forderungen gegenüber Ungarn, Rumänien, Jugoslawien, ja, sogar gegenüber England und Frankreich erheben.“95

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