Lebendige Seelsorge 6/2017

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Wie viel Ökonomie verträgt die Pastoral?

Konzepte und Methoden der Betriebswirtschaftslehre (BWL) spielen vermehrt auch in der Kirche und Pastoral eine Rolle. Generell ist dagegen nichts einzuwenden. Erforderlich ist es allerdings, zu prüfen, wieweit die mit ihnen einhergehende Logik mit dem Eigensinn der Kirche vereinbar ist. Norbert Mette

Wir leben in einer Zeit, wo es einfach notwendig ist, im Mut zum Neuen und Unerprobten bis zur äußersten Grenze zu gehen, bis dorthin, wo für eine christliche Lehre und ein christliches Gewissen eindeutig und indiskutabel eine Möglichkeit, noch weiter zu gehen, einfach nicht mehr sichtbar ist. Der einzige heute im praktischen Leben der Kirche erlaubte Tutiorismus ist der Tutiorismus des Wagnisses.

Wir dürfen heute eigentlich nicht bei der Lösung von echten Problemen fragen: Wie weit muß ich gehen, weil es einfach von der Situation erzwungen wird, wenigstens so weit zu gehen, sondern wir müßten fragen: Wie weit darf man unter Ausnützung aller theologischen und pastoralen Möglichkeiten gehen, weil die Lage des Reiches Gottes so ist, daß wir das Äußerste wagen müssen, um so zu bestehen, wie Gott es von uns verlangt“ (Rahner 1966, 85).

Karl Rahner insistiert darauf, dass es zur genuinen Sendung der Kirche unter Führung des Heiligen Geistes gehört, „wirklich Neues schöpferisch zu wagen“ (Rahner 1971, 59; vgl. LG 4; Theobald).

WIE IST EKKLESIOGENESE MÖGLICH?

Damit drängt sich die Frage auf, ob dafür Vorsorge getragen werden kann, dass das Immer-neu-Kirche-Werden (ecclesia semper reformanda) nicht etwas bleibt, was hin und wieder durch einzelne charismatische Wagemutige angestoßen wird, sondern ob es als ein notwendiges Moment des Kirche-Seins institutionalisierbar ist. Hilfreich wäre es zudem, wenn Verfahren an die Hand gegeben werden könnten, wie sich besonders in Krisensituationen zukunftsträchtige neue Wege des Kirchewerdens mitsamt für sie förderlichen Strukturen erschließen lassen.

Die Theologie kann von sich aus dazu etwa mithilfe der Ausarbeitung einer pneumatologischen Ekklesiologie grundsätzliche Überlegungen beisteuern. Um diese auf die operative Ebene zu bringen, ist – wie es in der Pastoraltheologie gang und gäbe ist – die Heranziehung insbesondere von empirisch arbeitenden Wissenschaften unabdingbar. Ist das beispielsweise mit der Soziologie und Psychologie bereits eingespielt, so findet seit Neuerem auch die Ökonomie stärkere Beachtung, und zwar nicht nur auf den Verwaltungsebenen kirchlicher Einrichtungen.

Norbert Mette

Prof. i. R., Dr. theol. Dr. theol. h. c., hat bis 2011 im Institut für Katholische Theologie an der TU Dortmund die Fächergruppe Religionspädagogik/Praktische Theologie vertreten.

Das weitergehende Interesse an der Ökonomie richtet sich darauf, ob ihre Erkenntnisse beispielsweise zu einer gediegenen Unternehmensführung oder zum effizienten Marketing ein Potential für eine Übertragung und Anwendung innerhalb des kirchlichen Bereichs in sich bergen. Auch innerhalb der Kirche wird ja seit einiger Zeit vermehrt geplant und experimentiert, wird nach neuen Wegen angesichts einer unübersichtlichen Gegenwart und unbekannten Zukunft gesucht.

Genau mit diesem Anliegen setzt sich – um einen möglichen Ansatz zu nennen – ein Forschungszweig innerhalb der BWL, die Entrepreneurship-Forschung, auseinander. Sie geht von den markanten Gegebenheiten aus, die Karl Rahner für seinen Imperativ des Tutiorismus des Wagnisses geltend gemacht hat, nämlich dass die bisherigen Strategien sich als nicht länger weiterführend erweisen, dass die Zukunft unvorhersehbar und somit ungewiss ist, dass also ein kreatives Handeln auf Zukunft hin höchst riskant ist, dass die zur Verfügung stehenden Ressourcen begrenzt sind u. ä. m.

Mithilfe von dazu durchgeführten Fallanalysen werden die einzelnen Schritte des Prozesses, den ein Handeln mit dem Ziel der Innovation oder gänzlichen Neugründung von Unternehmen durchläuft, zu rekonstruieren versucht, um daraus Anhaltspunkte für eine verallgemeinerbare Vorgehensweise zu gewinnen (vgl. den Beitrag von Florian Sobetzko in diesem Heft).

Liegt es nicht nahe, dass die Kirche gerade in ihrer augenblicklichen Krisensituation davon lernt? Zweifelsohne trägt die interdisziplinäre Zusammenarbeit der Theologie mit den Wirtschaftswissenschaften – so wie mit den empirischen Wissenschaften generell – dazu bei, dass ihr Wahrnehmungshorizont erweitert wird, was nicht zuletzt der kirchlichen Praxis dazu verhilft, über den eigenen Tellerrand zu schauen und unbekannte Gelände zu erkunden. Dass dabei die Eigenart einer religiösen Institution, wie es die Kirche ist, gebührend berücksichtigt werden muss, versteht sich von selbst.

Zum Ausgangspunkt einer gediegenen interdisziplinären Kooperation gehört es jedoch auch, zu prüfen, ob und inwieweit die Grundannahmen („erkenntnisleitenden Interessen“) der verschiedenen theoretischen Zugänge miteinander kompatibel sind oder nicht. In diesem Sinne seien im Folgenden einige Rückfragen speziell an die Kooperation von Theologie und speziell der BWL gestellt – mit dem Ziel, auf etwaige „blinde Flecken“ aufmerksam zu machen und sie zur Diskussion zu stellen.

EFFEKTIVIERUNG DER „ANGEBOTSPASTORAL“?

Die BWL ist von ihrer Zielsetzung darauf ausgerichtet, zu klären und Mittel aufzuzeigen, wie Unternehmen möglichst effektiv wirtschaftlichen Erfolg erzielen können. Dabei fallen die Kriterien für den Erfolg je anders aus, ob es sich um auf dem Markt gegeneinander konkurrierende Unternehmen handelt oder um Behörden oder um Nonprofit-Organisationen. Bei letzteren besteht der Erfolg weniger in einem Gewinn für sie selbst, sondern darin, sich in den Dienst von Menschen oder einer Sache zu stellen, um zur Verbesserung ihrer Situation beizutragen. Spätestens wenn sie nicht länger ein Monopol für ihre Dienstleistung innehaben, sondern um deren Erbringung viele Anbieter konkurrieren, gilt es, das eigene Angebot so zu profilieren, dass es attraktiv auf die potentielle „Kundschaft“ wirkt und möglichst viele davon für sich gewinnt. Die große Zahl wird so leicht zum heimlichen Erfolgskriterium.

Genau in dieser Konkurrenzsituation befindet sich derzeit die Kirche als typische Nonprofit-Organisation. Für ihr Bemühen, mit Angeboten in den verschiedenen Bereichen und auf den verschiedenen Ebenen ihres Wirkens nicht nur ihren eigenen Mitgliederbestand zu erhalten, sondern auch mit weiteren Menschen in Kontakt zu kommen, ist die Befolgung auch betriebswirtschaftlicher Vorgehensweisen sicherlich hilfreich. Ermutigen sie doch dazu, auch bislang völlig ungewohnte Wege zu beschreiten und damit eine bisher nicht erreichte Klientel anzusprechen, womöglich mit ihr in eine Kooperation zu kommen. Die Frage ist nur, wie die Angebote der Kirche beschaffen sein müssen, damit sie den Menschen wirklich dienlich sind. Auf die Ambivalenz der „Angebotspastoral“ wird noch zurückzukommen sein.

EIN FÜR INNOVATIONEN FÖRDERLICHES GESAMTKLIMA

Eine Empfehlung seitens der BWL für das Angehen von Veränderungsprozessen lautet, sich nicht das große Ganze, also etwa die Kirche insgesamt vorzunehmen, sondern das zu tun, was im Bereich der jeweils eigenen Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten liegt.

Pragmatisch gesehen spricht viel für ein solches Vorgehen. Allerdings wird damit in Kauf genommen, dass der Spielraum für Innovationen erheblich eingegrenzt wird, weil sie sich nur innerhalb eines rechtlich oder sonst wie vorgegebenen Rahmens bewegen dürfen. Im Sinne eines „Tutiorismus des Wagnisses“ wäre darauf hinzuarbeiten, dass es nicht bei Bemühungen um eine Verlebendigung des kirchlichen Wirkens auf der Gemeindeebene belassen wird, sondern dass die dabei gemachten Erfahrungen „nach oben“ kommuniziert werden, insbesondere wenn man es mit Blockaden zu tun bekommt, die durch die Rahmenvorgaben verursacht sind – z. B. angefangen vom Verbot der Laienpredigt bis hin zur Einschränkung des Personenkreises für die Zulassung zur Priesterweihe.

Auch kann der Vertrauensverlust, den sich die katholische Kirche aufgrund verschiedener Vorkommnisse in jüngster Zeit eingehandelt hat, durch noch so gute kleine missionarische Schritte vor Ort nicht einfach kompensiert werden. Sollen Innovationen wirklich zum Zuge kommen können, ist, wie es der Unternehmensberater Thomas von Mitschke-Collande in einem Interview mit katholisch.de (vom 07.09.2017) gefordert hat, ein Paradigmenwechsel notwendig: kirchliche Prozesse nicht länger von oben nach unten zu denken, sondern von den Gläubigen her und bereit zu sein, Neues zuzulassen und alt gewordenen Ballast über Bord zu werfen. Statt dass die letzten Kräfte für die Aufrechterhaltung des Bestehenden verschlissen würden, müsse Platz geschaffen werden für die entscheidenden Themen: „Wie halten wir es mit Gott, was bedeutet uns das Evangelium in der heutigen Zeit?“

KIRCHE UNTER DEM DRUCK DER LOGIK DER ÖKONOMISIERUNG

Auf der umfassenderen gesellschaftlichen Ebene gilt es weiterhin, einen Prozess zu beachten, der unter dem Stichwort „Ökonomisierung“ firmiert. Bezeichnet wird damit eine seit einiger Zeit vorangetriebene globale Entwicklung, die dazu geführt hat und führt, dass über das Wirtschaftssystem hinaus eine rein ökonomische, auf messbare Effizienz und Rentabilität ausgerichtete Logik des Marktes in alle gesellschaftlichen Bereiche eingedrungen und tonangebend geworden ist, vorab in der Politik, aber auch auf dem Sozial- und Gesundheitssektor, im Bildungs- und Wissenschaftsbereich usw., mit der Folge, dass deren Eigensinn unterminiert und ausgehöhlt wird.

Dieser Prozess macht auch vor den Kirchen nicht halt. Wie sehr sie sich ihrerseits darauf eingelassen haben, zeigt sich u. a. daran, dass für Entscheidungsfindungen darüber, wie Auswege aus der in verschiedenerlei Hinsicht krisenhaften Lage der Kirche gefunden werden können, Fachkräfte aus der Unternehmensberatung hinzugezogen werden. Dass das sinnvoll sein kann, soll nicht abgestritten werden. Nur kommt es darauf, dass die Kriterien, mit denen etwa Sparmaßnahmen ins Auge gefasst werden, theologisch und pastoral verantwortbar sind.

 

Wie weit die Ökonomisierung mittlerweile im kirchlichen Bereich vorangeschritten ist, hat u. a. Jens Schlamelcher am Beispiel der protestantischen Kirche in Deutschland untersucht. Eine Folge besteht nach seinen Analysen darin, dass die Ökonomie zur Leitwissenschaft für Entscheidungen auf kirchenleitender Ebene geworden ist und die Theologie eine sie garnierende Rolle spielt. Aber auch bis hin zur kirchlichen Basis sei ein Vorherrschen eines ökonomischen Kalküls zu beobachten.

Ähnliches stellt Friedhelm Hengsbach für die katholische Kirche fest: Es habe den Anschein, als würde sie bedenkenlos das Marktparadigma übernehmen und die pastoralen Prioritäten von betriebswirtschaftlichen Kalkulationen bestimmen lassen. „Das Rezept heißt: Durch Konzentration, Fusion, zentrales Management, gebündelte Entscheidungsbefugnisse, Personalabbau, Arbeitsverdichtung und vor allem: Senkung der Personalkosten lassen sich enorme Synergieeffekte und Effizienzgewinne erzielen“ (Hengsbach, 64).

Problematisch sei darüber hinaus ein reduziertes Verständnis des sog. Kerngeschäfts der Kirche zugunsten des liturgischen und spirituellen Segments unter Vernachlässigung des karitativen, sozialpolitischen und pädagogischen Engagements. Das mag gesellschaftlichen Erwartungen nach der Rolle von Religion entsprechen, ist aber mit einem pastoralen Handeln im Sinne des Evangeliums alles andere als verträglich. Vielmehr lässt sich die Kirche auf eine Logik ein, die alles, was existiert, nach Maßgabe abstrakter Tauschwerte behandelt.

WIDER EINE UNTERWERFUNG UNTER DIE BEDINGUNGEN EINER GELD- UND TAUSCHWIRTSCHAFT

Die Ökonomisierung der Gesellschaft zeitigt noch in anderer Hinsicht Rückwirkungen auf die Kirche und die Pastoral, nämlich dadurch, dass die neoliberale Logik immer mehr auch in die Köpfe und Herzen der Menschen eindringt und ihr Verhalten bestimmt. Für deren Umgang mit der Kirche heißt das, dass er nach der Frage, ob es dem Betroffenen einen Nutzen erbringt, entschieden wird, dass die Partizipation, wenn überhaupt, situativ, temporär, erlebnis- und intensitätsorientiert erfolgt und dass erwartet wird, dass das kirchliche Angebot genau dem entspricht und im Vergleich mit der Konkurrenz bestehen kann (vgl. Bucher).

Zu Recht fordert Rainer Bucher die Ausarbeitung einer praxistauglichen Kriteriologie, die zur Unterscheidung verhilft, ob und inwieweit vonseiten der Kirche mit einer „Angebotspastoral“ diesen Erwartungen entsprochen werden kann, ohne sich den Bedingungen der Tausch- und Geldwirtschaft zu unterwerfen.

Es kommt als weitergehende Herausforderung hinzu, dass der Kapitalismus sich selbst sakral überhöht hat und zur eigentlichen, höchst sublim wirkenden Religion unserer Tage geworden ist (vgl. Evangelii Gaudium 52–60). Spätestens wo die Ökonomie sich dermaßen absolut setzt – auf Kosten von Mensch und Natur, ist Widerstand geboten.

„TUTIORISMUS DES WAGNISSES“ (K. RAHNER) – HEUTE

Es zeigt sich, dass die Frage, wie viel Ökonomie die Pastoral verträgt, nicht allein mit Blick auf die Methoden, die diese Wissenschaft als mögliche Ressource für die Pastoral bereithält, entschieden werden kann. Richtig verwendet, können sie durchaus für die Verbreitung der frohen Botschaft von Gottes Liebe zu den Menschen dienlich sein. Ein paar Bedingungen für dieses „richtig“ sind im Vorherigen erörtert worden. Sie seien stichwortartig durch zwei Bemerkungen grundsätzlicher Art ergänzt:

- Gottes Liebe ist den Menschen umsonst geschenkt – ohne Vorbedingungen ihrerseits. In der Nachfolge Jesu, der sich mit seiner Reich-Gottes-Verkündigung in Tat und Wort für diese frohe Botschaft bis zur Hingabe seines Lebens eingesetzt hat, ist die Kirche gesandt, von dieser Ökonomie des „Umsonst“, der Gratuität in der Welt Zeugnis abzulegen – um Gottes und der Menschen willen.

- „Die Armen sind die ersten Adressaten des Evangeliums“ (Evangelii Gaudium 48, Zitat von Papst Benedikt XVI). Damit sind die Nicht-Armen nicht ausgeschlossen; aber ohne auf „die Armen und Bedrängten aller Art“ (GS 1) zu hören und sich mit ihnen zu solidarisieren, wird sich ihnen die biblische Botschaft nicht in ihrem vollen heilsamen und d. h. auch provokativen Gehalt erschließen.

Wenn sich Kirche und Pastoral von diesen durchaus auch die ökonomische Sphäre tangierenden Grundsätzen leiten lassen, dürften sie im Sinne der Orthopraxie richtigliegen. Welche Optionen dabei zu beherzigen und einzulösen sind, dafür hat Papst Franziskus mit seinem „Apostolischen Schreiben über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute Evangelii Gaudium“ eine fundierte Wegweisung an die Hand gegeben – eine vorbildliche Umsetzung des von Rahner geforderten „Tutiorismus des Wagnisses“.

LITERATUR

Bucher, Rainer, Auf ihm bestehen, nicht ihm verfallen. Die katholische Kirche auf dem religiösen Markt, in: εὐangel. Magazin für missionarische Pastoral (2/2017).

Hengsbach, Friedhelm, Gottes Volk im Exil. Anstöße zur Kirchenreform, Oberursel 2011.

Rahner, Karl, Grundprinzipien zur heutigen Mission, in: HPth II/2 (1971), 46–80.

Ders., Löscht den Geist nicht aus!, in: Rahner, Karl, SchriftenVII, Einsiedeln 1966, 77–90.

Schlamelcher, Jens, Ökonomisierung der protestantischen Kirche? Sozialgestaltliche und religiöse Wandlungsprozesse im Zeitalter des Neoliberalismus, Würzburg 2013.

Theobald, Christoph, Das Christliche als Lebensstil. Auf der Suche nach einer zukunftsfähigen Gestalt von Kirche aus einer französischen Perspektive, in: Böttigheimer, Christoph (Hg.), Zweites Vatikanisches Konzil. Programmatik – Rezeption – Vision (QD 261), Freiburg/Br. 2014, 203–219.

Wagnis der Kirche oder Wagnis der Theologie?

Die Replik von Florian Sobetzko auf Norbert Mette

Der Beitrag von Norbert Mette eröffnet mit der Rahnerschen Großthese vom Tutiorismus des Wagnisses, die in m. E. bester Weise die Arena bereitet für die Bearbeitung der großen innovatorischen Herausforderungslagen der Kirche – auch mit 50 Jahren Abstand.

Kirche muss „das Äußerste“ und „wirklich Neues schöpferisch“ wagen (Rahner), sich unter der Führung des Heiligen Geistes unaufhörlich erneuern und läutern (GS 21), und das nicht um der Kirche willen, sondern um des Reiches Gottes willen. Treffend hebt Norbert Mette dabei hervor, dass Ekklesiogenese nicht nach unten auf die Gemeindeebene delegiert werden darf, sondern dass es einer systematischen institutionellen Innovationsbewegung auf allen Ebenen bedarf, dass also paradigmatische kirchliche Prozessinnovationen erforderlich scheinen. Es geht um nicht weniger als um die Frage, wie wir es mit Gott und dem Evangelium halten.

Was mich als Theologe, Seelsorger und kirchenentwicklerisch motivierten Leser jedoch nachdenklich stimmt, ist der Duktus und die Tonalität der sich anschließenden Reflexionen über das Verhältnis von Kirche und Ökonomie. In der Sache stimme ich allen Punkten grundsätzlich zu. Pointenreich zitiert Norbert Mette mit den Diagnosen von Jens Schlamelcher und Friedhelm Hengsbach wichtige Rezeptionen der BWL in religionssoziologischer und sozialethischer Perspektive, die sich mit den kirchenentwicklerischen Tragweiten der Ökonomisierung von Kirche befassen.

Und natürlich stimmt das: Die Ökonomie taugt nicht als kirchliche Leitwissenschaft; die Theologie darf nicht zur Dekoration degradiert werden; und auch kann niemand klaren Verstandes dafür sein, bedenkenlos das Marktparadigma ins Zentrum der Pastoral zu stellen oder bloß aufgrund vermeintlicher gesellschaftlicher Erwartungen folgenreiche ekklesiologische Verengungen im Sinne des sog. Kerngeschäfts einfach so wirksam werden zu lassen. Norbert Mette warnt vor genau den richtigen Dingen.

Nur: Wer genau fährt denn überhaupt solch einen ökonomistischen Totalangriff? Das ist es, was mir am Diskurs „Ökonomie/Pastoral“ auffällt: Die sprachliche Überhitzung an den Reibungsflächen und Gesprächsherausforderungen zwischen Theologie und Ökonomik, zwischen Pastoral und Ökonomie. Der Beitrag von Norbert Mette ist ja wohltuend sachlich und unaufgeregt. Aber oft – und mit den Referenzen auf Schlamelcher und Hengsbach auch hier – werden eben doch alarmierende semantische Kulissen hereingerollt, und sie erscheinen mir so massiv alarmierend bzw. polarisierend, dass ein produktiver interdisziplinärer Dialog schwierig wird – ein intradisziplinärer ebenfalls.

Die Bad Guys dieser Reflexionen sind regelmäßig die aus Krisenzeiten schmerzhaft erinnerten Unternehmens- und Wirtschaftsberater; kritisiert werden die Ökonomisierung von Gesellschaft und Kirche, die Reduktion von Pastoral auf ökonomisch messbare Effizienz und Rentabilität, der sakral selbstüberhöhte Kapitalismus als vorgebliche Ersatzreligion sowie etwa die Senkung von Personalkosten durch Arbeitsverdichtung, zentrales Management und Fusionen. Von neoliberalen Marktlogiken handeln die Argumente der distanzierten Abstandsbestimmung zwischen den jeweils erkenntnisleitenden Interessen von Ökonomik und Theologie.

Noch einmal: Alles das ist ja nicht abwegig und bedarf einer Reflexion, aber es führt meines Erachtens schon zu lange nicht mehr weiter, theologisch so zu verfahren. Um als Wirtschaftswissenschaftler/in oder Unternehmer/in mit uns Theolog/innen produktiv über Ökonomik und Kirche ins Gespräch zu kommen, muss man scheinbar jedes Mal einleitend oder ausleitend eine enorme Batterie an m. E. zu pauschalen Zuschreibungen und mithin auch Klischees über sich ergehen lassen.

Und um als Theolog/in mit ökonomisch verdiskursivierten Konzepten mit Theolog/innen ins Gespräch zu kommen, muss man scheinbar auch im Jahr 2017 und sicher auch 2018 noch immer ein Kapitel Kapitalismus-Bashing vorwegschicken, um nicht dasselbe Schicksal zu erleiden. Für die Theologie ist das leicht von der Hand gehendes Standardprogramm, mühsam aber für alle übrigen Beteiligten und Betroffenen.

Die Bedenken und Rückfragen sind für sich genommen oft gewichtig und bedürfen teils (!) einer fortgesetzten Debatte. Die nicht nur theoretisch erschütternde Wirkung des unvorbereiteten Einschlags der baren Ökonomie in die Seelsorge ist mir dabei aus den Krisenjahren meines Heimatbistums Aachen schmerzhaft vertraut, als Kolleg/innen entlassen wurden und Lebensträume krass zerplatzten, als eben keine Zeit und kein Geld mehr da waren, um theologisch und menschlich verantwortbarere und pastoral nachhaltigere Entscheidungen zu treffen, als eben nur noch die Zahlen entschieden. Freilich: Es waren nicht die Unternehmensberater, die sich da fiskalisch verplant hatten.

Und es drängt mich, darauf hinzuweisen, dass diese Tonalität des Diskurses den etwa in GS 44 unhintergehbar formulierten Auftrag an die Kirche faktisch untergräbt, die Welt „da draußen“ nicht als Leistungsempfängerin im Sinne einer missverstandenen „Angebotspastoral“ fehlzudeuten, sondern als co-kreative Lösungspartnerin angesichts der Herausforderung des anbrechenden Reiches Gottes.

Der Beitrag von Mette hält diesbezüglich das gebotene Gleichgewicht, aber ich möchte doch anhand seiner Argumente zuspitzen: Mit den bisher dominanten Strategien im interdisziplinären Dialog halten wir uns die wirklich interessanten Gesprächspartner/innen systematisch und erfolgreich vom Leib Christi.

Statt uns in aufregende, inspirierende und vor allem persönliche Dialoge mit teils visionären und weitsichtigen Denker/innen zu begeben, deren Theorien gerade im Feld von Innovation und Gründung mithin theologisch anregend, anschlussfähig und instruktiv daherkommen, verbleiben wir theologisch letztlich im Gespräch unter uns und verschieben – in bester Absicht zwar – im Ergebnis aber tragischerweise den Kontakt zu Ökonomie und Ökonomik so lange, bis es wieder mal eine Finanzkrise unausweichlich macht, mit auf’s reine Zahlenwerk spezialisierten Wirtschaftsberatern dann unausweichliche Kürzungen und Entlassungen zu beschließen.

Dies ist erkennbar nicht Norbert Mettes Intention. Aber auch sein Beitrag scheint mir in der Tendenz nicht davor gefeit, aus ökonomischer Sicht das Missverständnis zu nähren, dass es der Theologie um die großen Warnkulissen mehr geht als um das interdisziplinär durchaus anstrengende Lernen im Detail.

Mein Kritikimpuls geht daher gegen den Titel, den diese Kontroverse bekommen hat. Mit dem Titelvorschlag „Wie viel Ökonomie verträgt die Pastoral?“ wird ein wechselseitiges Nullsummenspiel beider Diskurse schon vorprogrammiert.

 

Die aktuelle ökonomische Sichtweise von Innovation und Gründung überholt übrigens die über viele Jahrzehnte vorherrschende Annahme, für das Neue bedürfe es unbedingt besonderer Wagnisbereitschaft und Kreativität.

Auch präsentiert sich die Entrepreneurshiptheorie mittlerweile nicht mehr als Subdisziplin der BWL, sondern als echte Interdisziplin nicht nur des Erkennens von Gegebenheiten, sondern der kreativen Schöpfung von Gelegenheiten. Und beim hochinteressanten Blick etwa auf soziale, ökologische oder kulturelle Unternehmungen begegnet die Notwendigkeit wirtschaftlicher Nachhaltigkeit regelmäßig nur als zwar notwendige, aber eben nicht alles entscheidende Nebenbedingung.

Müsste man nun in der zeitgenössischen deutschsprachigen Theologie nicht jeden nachbarschaftlichen Spaziergang mit den Wirtschaftswissenschaften mit all den o. g. Präliminarien absichern, könnte man darüber ein interessantes Gespräch führen. Vielleicht wäre daher die Rahnersche Idee vom Tutiorismus des Wagnisses mit 50 Jahren Abstand zunächst auf die Theologie selbst zu wenden.

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