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DER TOTE KAPITÄN IM WALD - Kostenlose Leseprobe

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Dr. Mangold sprach grundsätzlich jeden ausschließlich mit dem Nachnamen an. Schäringer vermutete insgeheim, dass der Rechtsmediziner dies sogar bei seiner eigenen Ehefrau praktizierte, und stellte sich gelegentlich vor, wie ein entsprechender Dialog im Hause Mangold ablaufen könnte:

Er: »Reich mir doch bitte mal die Marmelade, Mangold.«

Sie: »Hier. Bitte sehr, mein Schatz.«

Er: »Vielen Dank, Mangold.«

Schäringer verscheuchte diese Gedanken, die an diesem Ort nun wirklich nichts zu suchen hatten, und wandte sich dem Pathologen zu: »Ihnen auch einen guten Morgen, Doktor Mangold. Ist es denn ein Mordfall?«

»Das kann ich noch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. Es liegt auf alle Fälle kein natürlicher Tod vor, so viel ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt klar. Aber Genaueres kann ich Ihnen erst erzählen, nachdem ich den Toten in der Rechtsmedizin untersucht habe.«

»Aber woran ist er denn gestorben?«

»Was letzten Endes zu seinem Tod geführt hat, ist ohne genauere Untersuchung noch ungewiss und pure Spekulation. Es kommen meiner Meinung nach mehrere Möglichkeiten in Betracht. Innere Blutungen im Zusammenhang mit den Ödemen im Gesicht können zu einem so starken Blutverlust geführt haben, dass es letztlich zu einem lebensbedrohlichen hämorrhagischen Schock kam. Todesursache könnte allerdings auch ein Versagen einzelner oder multipler Organe gewesen sein. Wegen der Petechien, das sind die kleinen, punktförmigen Erstickungsblutungen auf den Augäpfeln, den Augenlidern und der Mundschleimhaut, und der Zyanose, also der Blaufärbung der Gesichtshaut und der Schleimhäute, tendiere ich im Augenblick allerdings eher zu Tod durch Suffokation

»Suffokation? Und was heißt das auf Deutsch, Doktor? Sie müssen schon entschuldigen, aber mein Lateinunterricht liegt nun doch schon ein paar Jahrzehnte zurück.«

»Tod durch Erstickung, Schäringer! Entweder aufgrund einer Beeinträchtigung der Atemtätigkeit, beispielsweise eine Atemlähmung oder sogar ein Atemstillstand, oder durch inneres Ersticken aufgrund einer Blockade der Atmungskette. Die enormen Schwellungen, die Sie im Gesicht des Toten sehen können, haben sich nämlich auch auf seinen Mund- und Halsbereich ausgedehnt.«

»Und woher stammen diese extreme Schwellung und die Verfärbung des Gesichts? Ist das eine Folge der Suffokation

»Nein. Andersherum wird ein Schuh daraus. Die Suffokation, sofern sie tatsächlich die Todesursache war, war eine Folge der Schwellung. Aber kommen Sie doch noch ein Stück näher, Schäringer. Ich möchte Ihnen etwas zeigen.« Der Rechtsmediziner ging erneut neben dem Leichnam in die Knie, ächzte dabei leise und verzog das Gesicht, als würden seine Gelenke dabei schmerzen. »Na los, kommen Sie schon! Sehen Sie sich sein Gesicht einmal genauer an! Fällt Ihnen etwas auf?«

Schäringer trat einen Schritt näher und folgte dann widerwillig der Aufforderung Dr. Mangolds, indem er in Worte fasste, was er vor sich sah. »Na ja. Das ganze Gesicht ist extrem aufgedunsen, teilweise sehr dunkel, schon beinahe schwarz, ansonsten rot bis dunkelbraun verfärbt. Es gibt überall jede Menge Blasen, die vermutlich mit Blut gefüllt sind. Außerdem blutete der Tote aus mehreren kleineren Wunden, bei denen es sich allerdings nur um Kratzer oder leichtere Verletzungen zu handeln scheint.«

»So weit, so gut. Aber auf all das wollte ich eigentlich nicht hinaus, Schäringer.«

Schäringer kam sich vor wie ein Medizinstudent im ersten Jahr, der von seinem Professor abgefragt wird. Er seufzte leise. »Und worauf wollten Sie dann hinaus, Doktor Mangold?«

»Sehen Sie sich doch bitte einmal die rechte Regio buccalis an.«

»Regio buccalis?«

»Waren Sie damals eigentlich gut in Latein, Schäringer?«

»Nein, das kann man nicht unbedingt behaupten.«

»Dann ist es ja ein Glück, dass Sie Polizist und nicht Arzt geworden sind. Bucca ist lateinisch und heißt bekanntlich Wange. Die rechte Regio buccalis ist somit ...«

»... die rechte Wange«, ergänzte Schäringer pflichtschuldig, damit Dr. Mangold endlich zufrieden war und allmählich auf den Punkt kam.

»Korrekt! Also, Schäringer? Ich wiederhole: Was sehen Sie an der rechten Regio buccalis

Der Kriminalbeamte beugte sich noch etwas weiter nach vorn und betrachtete aufmerksam die rechte Wange des Toten. Die Verfärbung war an dieser Stelle am intensivsten, als hätte sie dort ihren Ursprung gehabt und sich dann ungleichmäßig in alle Richtungen ausgebreitet. Die Haut war im Zentrum beinahe so schwarz wie bei einem Brandopfer, glänzte feucht und sah aus, als würde sie gleich aufplatzen, weil die enorme Schwellung die Haut bis zum Zerreißen spannte. Doch dann sah Schäringer etwas, das er bislang wegen der Verfärbung und Schwellung gar nicht bemerkt hatte. Unter dem rechten Auge, in der Nähe der Nase befanden sich im Abstand von ungefähr drei bis dreieinhalb Zentimetern zwei Vertiefungen, die wie kleine Stichwunden aussahen und sowohl die Haut als auch die darunterliegenden Gewebeschichten durchbohrt hatten. »Tatsächlich, da sind zwei Löcher. Was ist das? Sind das etwa ...?«

»... Bisswunden! In der Tat.«

»Bisswunden? Aber woher stammen sie?«

»Von einem Vampir!«, flüsterte Dr. Mangold und bemühte sich, seiner Stimme einen melodramatischen Klang zu verleihen, als wäre er Akteur eines billigen Schauerfilms.

»Von einem Vampir? Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen, Dr. Mangold? Oder glauben Sie etwa tatsächlich, ...?«

»Sehe ich etwa so aus, Schäringer?«

Der Kriminalbeamte zuckte hilflos mit den Schultern und schürzte die Lippen.

»Sagen Sie jetzt besser nichts! Sie haben natürlich recht, ich wollte Sie nur ein bisschen auf den Arm nehmen. Natürlich hat kein Vampir diese Bissspuren verursacht, weil es bekanntlich keine Vampire gibt.«

»Aber was war es dann?«

»Das ist doch ganz einfach, Schäringer. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich dabei um einen Schlangenbiss handelt!«

Schäringer wandte den Kopf und sah wieder auf die beiden Bisswunden, die für seine Begriffe allerdings zu weit auseinanderlagen, um von einer Schlange zu stammen. »Das muss aber eine große Schlange gewesen sein«, kleidete er seine Bedenken in Worte. »Sehen Sie sich doch nur den Abstand zwischen den beiden Löchern an!«

Dr. Mangold seufzte. »Wie Sie ja schon selbst korrekt festgestellt haben, mein lieber Schäringer, ist das Gesicht des Mannes sehr stark angeschwollen und aufgedunsen. Dabei handelt es sich um eine der verschiedenen Wirkungen des Schlangenbisses. Durch die Schwellung hat sich natürlich auch der Abstand zwischen den beiden Bisswunden vergrößert.«

»Verstehe. Und von welcher Schlange sprechen wir dann? Soweit ich weiß, gibt es hier in Deutschland ohnehin nur eine Giftschlange, die Kreuzotter.«

»In Heimatkunde und Biologie haben Sie anscheinend ebenso wenig aufgepasst wie in Latein, Schäringer«, sagte Dr. Mangold und schüttelte wie ein Vater, der über die mangelhaften Leistungen seines Sohnes enttäuscht ist, den Kopf. »Es gibt bei uns in Deutschland insgesamt sechs Schlangenarten, davon sind vier nicht giftig. Von den beiden Giftschlangen ist die geringfügig giftigere Aspisviper hierzulande fast ausgerottet und kommt nur noch im Südschwarzwald vor. Die Kreuzotter ist zwar auch selten geworden und vom Aussterben bedroht, allerdings in ganz Deutschland beheimatet. Das Gift unserer einheimischen Vipern ist aber allenfalls für alte Menschen und kleine Kinder lebensgefährlich.«