Auf der Suche nach Indien

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Im­mer­hin dul­de­ten ihn die Män­ner um seines gu­ten Her­zens und seiner star­ken Glie­der wil­len. Es wa­ren ihre Frau­en, die über­ein­stim­mend fest­stell­ten, dass er im Grun­de kein Sah­ib war. Sie konn­ten nichts mit ihm an­fan­gen, er wie­de­rum nahm von ih­nen keine No­tiz, was in Eng­land, dem Lan­de weib­­licher Gleich­be­rech­ti­gung, nicht weiter auf­ge­fal­len wäre, was ihm aber in In­di­en in ­einer Ge­mein­schaft, in der ein männ­­liches We­sen sich so ener­gisch wie hilfs­be­reit zu er­weisen ­hatte, Ab­bruch tat. Mr. Fiel­ding er­teilte nie­mals Rat­schlä­ge im Hin­blick auf Hun­de oder Pfer­de. Er nahm nie­mals an Abend­ge­sell­schaf­ten teil oder stat­tete mit­täg­­liche An­stands­be­su­che ab, er de­ko­rierte auch für die lie­ben Kleinen keinen Weih­nachts­baum, und wenn­gleich er re­gel­mä­ßig im Klub auf­kreuz­te, so nur, um ­eine Par­tie Ten­nis oder Bil­lard zu spie­len und gleich wie­der zu ver­schwin­den. Ja, so war es tat­säch­lich. Er ­hatte ent­deckt, dass es mög­lich war, mit In­dern und Eng­län­dern, männ­­lichen, gleich gut zu ste­hen, dass man aber, wenn man es mit Eng­län­de­rin­nen nicht ver­der­ben woll­te, den Ver­kehr mit In­dern un­be­dingt auf­zu­ge­ben ­hatte. Mit beiden gleich­zeitig zu ver­keh­ren, war je­den­falls un­denk­bar. Sinn­los, für die­sen Zu­stand ­eine der beiden Par­teien ver­ant­wort­lich zu ma­chen, sinn­los auch, ih­nen beiden die Schuld da­für in die Schu­he zu schie­ben, dass sie einan­der die Schuld in die Schu­he scho­ben. Es war nun ein­mal nicht an­ders, und man ­hatte sich von vorn­her­ein da­rü­ber klar zu wer­den, was man tat. Die meis­ten Eng­län­der ga­ben na­tür­lich den Frau­en ih­res eige­nen Blu­tes den Vor­zug, die, in im­mer wach­sen­der Zahl mit ih­nen he­rü­ber­kom­mend, Jahr um Jahr in wach­sen­dem Maße es ih­nen er­mög­lich­ten, auch in der Frem­de ein Da­sein nach heimat­­lichem Mus­ter zu füh­ren. Fiel­ding ­hatte es nütz­lich und an­ge­nehm ge­fun­den, mit In­dern zu ver­keh­ren, und da­für musste er nun den Preis zah­len. In der Re­gel über­schritt keine Eng­län­de­rin die Schwel­le seines Se­mi­nars, es sei denn bei ir­gend­einem of­fi­zi­el­len An­lass, und wenn er Mrs. Moo­re und Miss Ques­ted zum Tee ein­lud, so nur da­rum, weil beide Neu­an­kömm­lin­ge wa­ren, für de­ren Auge al­les, ob­schon nur an der Ober­flä­che, noch gleich­wer­tig war, und die auch bei der Un­ter­hal­tung mit seinen an­de­ren Gäs­ten keine Son­der­stim­me an­schal­ten wür­den.

Das Se­mi­nar selbst war vom Amt für Öf­fent­­liche Ar­beiten et­was lieb­los auf den Bo­den hin­ge­klatscht wor­den, aber auf seinem Ge­län­de be­fand sich ein ur­al­ter Gar­ten mit ­einem Pa­vil­lon, in dem Fiel­ding ­einen Groß­teil des Jah­res haus­te. Er ­hatte ein Bad ge­nom­men und war ge­ra­de beim An­kleiden, als ihm Dr. Aziz ge­mel­det wur­de. Mit er­ho­be­ner Stim­me rief er aus dem Schlaf­zim­mer: »Bit­te, ma­chen Sie sich’s be­quem.« Es war ­eine völ­lig ab­sichts­lo­se Be­mer­kung, so ab­sichts­los wie die meis­ten seiner Äu­ße­run­gen und Hand­lun­gen. Es war ge­nau das, was ihm ge­ra­de in den Sinn kam.

Aber für Aziz ­hatte die­se Be­mer­kung ­eine sehr be­stimmte Be­deu­tung. »Wirk­lich, Mr. Fiel­ding?«, rief er zu­rück. »Das ist sehr freund­lich von Ih­nen. Auch ich bin für al­les Un­kon­ven­ti­o­nel­le.« Es war ihm plötz­lich ganz warm ums Herz, und er hielt im Wohn­zim­mer Um­schau. Al­ler­hand Lu­xus­ge­gen­stän­de, aber gar keine Ord­nung – nichts, was ­einen ar­men In­der hätte ein­schüch­tern kön­nen. Au­ßer­dem war es ein über­aus schö­ner Raum mit drei ho­hen, in den Gar­ten hin­aus­füh­ren­den Bo­gen­tü­ren. »Ich habe näm­lich schon lan­ge den Wunsch ge­habt, Sie per­sön­lich ken­nen­zu­ler­nen«, fuhr er fort. »Durch den Na­wab Baha­dur habe ich schon so ­viel von Ih­rer Herz­lich­keit ge­hört. Aber wie soll man in ­einem so elen­den Loch wie Tschan­dra­pur je­mals zu­sam­men­tref­fen?« Er trat nä­her an die ge­schlos­se­ne Tür. »Ich muss Ih­nen et­was er­zäh­len. Als ich hier noch ein Neu­ling war, habe ich mir oft ge­wünscht, Sie wür­den ein­mal krank, da­mit wir auf die­se Weise mit­einan­der be­kannt wür­den.« Beide Män­ner lach­ten, und er­mu­tigt durch seinen Er­folg, be­gann Aziz zu im­pro­vi­sie­ren. »Ich ­sagte zu mir selbst: Wie sieht Mr. Fiel­ding wohl heute früh aus? Viel­leicht et­was blass. Und der Ober­arzt sieht auch et­was blass aus. Er kann ihn also nicht sel­ber be­han­deln, wenn bei ihm der Schüt­tel­frost ein­setzt. Dann wäre ich also ge­holt wor­den. Und dann hät­ten wir uns aus­gie­big un­ter­hal­ten kön­nen, denn Sie sind ja ein be­rühm­ter Ken­ner per­si­scher Dicht­kunst.«

»Sie ken­nen mich also von An­se­hen?«

»Na­tür­lich, na­tür­lich. Und Sie ken­nen mich?«

»Dem Na­men nach ken­ne ich Sie sehr gut.«

»Ich bin erst so kur­ze Zeit hier und fast im­mer im Ba­sar­vier­tel. Kein Wun­der, dass Sie mich noch nicht ge­se­hen ha­ben. Aber wie­so ken­nen Sie meinen Na­men? Ach bit­te, Mr. Fiel­ding –.«

»Ja?«

»Be­vor Sie he­raus­kom­men: ra­ten Sie doch bit­te, wie ich aus­sehe. Es soll ­eine Art Spiel sein.«

»Sie sind un­ge­fähr 1,72 m groß«, ­sagte Fiel­ding mit ­einem Blick auf den Schat­ten­riss hin­ter der Matt­glas­scheibe der Schlaf­zim­mer­tür.

»Ziem­lich gut ge­schätzt. Und weiter – habe ich etwa ­einen ehr­wür­di­gen weißen Bart?«

»Ver­dammt.«

»Ir­gend­was nicht in Ord­nung?«

»Ich bin auf meinen letz­ten Kra­gen­knopf ge­tre­ten.«

»Neh­men Sie meinen, bit­te, neh­men Sie ihn!«

»Ha­ben Sie zu­fäl­lig ­einen Re­ser­ve­knopf mit?«

»O ja, ­eine Se­kun­de bit­te.«

»Nicht, wenn Sie ihn noch am Hemd ha­ben.«

»Nein, nein, ich habe ihn in der Ta­sche.« Er trat ­einen Au­gen­blick beiseite, da­mit hin­ter der glä­ser­nen Tür nichts mehr von seiner Um­riss­­linie zu se­hen war, würgte sich den Kra­gen ab und zerrte aus seinem Hemd den hin­te­ren Knopf he­raus, ­einen gol­de­nen Knopf, der zu ­einer Gar­ni­tur ge­hör­te, die sein Schwa­ger ihm aus Eu­ro­pa mit­ge­bracht ­hatte. »Hier ist er«, rief er.

»Kom­men Sie doch bitte da­mit he­rein, wenn es Ih­nen nichts aus­macht.«

»Noch ­eine Se­kun­de, bit­te.« Wäh­rend er den Kra­gen wie­der be­fes­tig­te, sandte er ein Stoß­ge­bet zum Him­mel, dass er wäh­rend der Tee­stun­de nicht nach oben rut­schen möge. Fiel­dings Die­ner, der ihm beim An­kleiden be­hilf­lich war, öff­nete die Tür.

»Vie­len Dank!« Die beiden Män­ner schüt­tel­ten einan­der lä­chelnd die Hand. Aziz be­gann um sich zu schau­en, als wäre er schon lan­ge mit Fiel­ding be­freun­det. Die­ser war über das Un­ver­mit­telte ih­res Ver­traut­seins nicht weiter über­rascht. Bei der­art ih­ren Stim­mun­gen un­ter­wor­fe­nen Men­schen pflegte es sich im ers­ten Au­gen­blick ein­zu­stel­len oder nie, und da so­wohl er wie Aziz nur Gu­tes vom an­de­ren ge­hört ­hatte, ka­men sie auch ohne die üb­­lichen Höf­lich­keits­flos­keln aus.

»Aber ich habe im­mer ge­glaubt, Eng­län­der hiel­ten in ih­rem Zim­mer so strikt auf Ord­nung. Of­fen­bar stimmt das nicht ganz. Ich brau­che mich also sel­ber nicht weiter zu schä­men.« Er ließ sich fröh­lich auf dem Bett nie­der, zog dann wie selbst­ver­ges­sen die Beine hoch und kreuzte sie un­ter sich. »Al­les so kalt und un­freund­lich auf Re­ga­len auf­ge­reiht, ­hatte ich mir vor­ge­stellt. Bit­te, Mr. Fiel­ding, geht der Knopf bei Ih­nen hi­nein?«

»Tjo, dat weet ick nu nich.«

»Was be­deu­tet bitte der letzte Satz? Könn­ten Sie mir wohl ein paar neue Worte beibrin­gen und meine Aus­drucks­weise ein we­nig ver­bes­sern hel­fen?«

Fiel­ding zweifel­te, ob es an der Wen­dung: »Al­les so kalt und un­freund­lich auf Re­ga­len auf­ge­reiht« über­haupt et­was zu ver­bes­sern gab. Es fiel ihm im­mer wie­der auf, mit wel­cher Le­ben­dig­keit die jün­ge­ren Leute in In­di­en ­eine frem­de Spra­che zu hand­ha­ben wuss­ten. Sie ver­än­der­ten wohl Fü­gung und Ton­fall, aber sie konn­ten al­les, was sie sa­gen woll­ten, auch gleich in Aus­druck um­set­zen. Sie leis­te­ten sich keinen der sprach­­lichen Schnit­zer, die ih­nen im Klub zur Last ge­legt wur­den. Aber im Klub war man stets et­was hin­ter der Zeit zu­rück. Hier wur­de noch im­mer be­haup­tet, nur we­ni­ge Mo­ham­me­da­ner und gar keine Hin­dus wür­den sich mit Eng­län­dern je zum Es­sen zu­sam­men­set­zen, und sämt­­liche In­de­rin­nen leb­ten noch im­mer hin­ter ­einem un­durch­dring­­lichen pur­dah. Im Ein­zel­nen wuss­ten die Klub­mit­glie­der na­tür­lich, dass das nicht mehr stimm­te. Aber als Klub­mit­glied nahm man von Ver­än­de­run­gen grund­sätz­lich keine No­tiz.

»Las­sen Sie mich den Knopf be­fes­ti­gen. Ach so … Das hin­te­re Knopf­loch ist et­was klein, und es wäre doch scha­de, es weiter auf­zu­reißen.«

»Wa­rum zum Teu­fel braucht man über­haupt Kra­gen­knöp­fe?«, knurrte Fiel­ding, den Na­cken beu­gend.

»Wir In­der brau­chen sie, um mit heiler Haut an den Po­­lizis­ten vo­rü­ber­zu­kom­men.«

»Wie­so das?«

»Wenn ich in meiner eng­­lischen Kleidung – steifer Kra­gen, Hut mit Krem­pe – an ­einem Po­­lizis­ten vo­rü­ber­ra­de­le, nimmt er keine No­tiz. Wenn ich aber ­einen Fez tra­ge, ru­fen sie: ›Deine Lam­pe brennt nicht!‹ Lord Cur­zon hat das nicht mit in Be­tracht ge­zo­gen, als er die Be­woh­ner In­di­ens er­mahn­te, ihre ma­le­ri­sche Tracht beizu­be­hal­ten. – Hur­ra, der Kra­gen­knopf ist drin! Manch­mal träu­me ich mit ge­schlos­se­nen Au­gen und stel­le mir vor, ich trü­ge wie­der Pracht­ge­wän­der und ritte hin­ter Alam­gir in die Schlacht. Muss In­di­en da­mals nicht schön ge­we­sen sein, Mr. Fiel­ding, als das Mog­ulen­reich auf dem Hö­he­punkt seiner Macht an­ge­langt war und in De­lhi Alam­gir sein Zep­ter auf dem Pfau­en­thron schwang?«

»Um Ih­ret­wil­len kom­men heute auch zwei Da­men zum Tee – ich glau­be, Sie ken­nen sie schon.«

 

»Um meinet­wil­len? Ich ken­ne keine Eu­ro­pä­e­rin­nen.«

»Auch Mrs. Moo­re und Miss Ques­ted nicht?«

»O doch – ich ent­sin­ne mich jetzt.« Die ro­man­ti­sche Be­geg­nung in der Mo­schee war seinem Be­wusst­sein ent­schwun­den, so­bald sie hin­ter ihm lag. »Eine äu­ßerst be­tagte Dame. Aber könn­ten Sie bitte den Na­men ih­rer Be­gleite­rin wie­der­ho­len?«

»Miss Ques­ted.«

»Ganz wie es Ih­nen be­liebt.« Er war ent­täuscht, dass noch an­de­re Gäste er­war­tet wur­den. Am liebs­ten wäre er mit seinem neu­en Freund al­lein ge­blie­ben.

»Sie kön­nen Miss Ques­ted et­was vom Pfau­en­thron er­zäh­len – man sagt, sie sei Künst­le­rin.«

»Ist sie etwa Nach­im­pres­si­o­nis­tin?«

»Nach­im­pres­si­o­nis­tin – ach, du lie­ber Him­mel! Kom­men Sie lie­ber zum Tee. Ich ver­ste­he die Welt nicht mehr.«

Aziz fühlte sich ge­kränkt. Of­fen­bar wollte Fiel­ding mit seiner Be­mer­kung an­deu­ten, dass er, Aziz, ein un­be­deu­ten­der kleiner In­der, kein Recht hät­te, je­mals von Nach­im­pres­si­o­nis­mus ge­hört zu ha­ben – das war Vor­recht der herr­schen­den, der Her­ren­ras­se. Et­was ge­spreizt er­wi­derte er: »Ich be­trachte Mrs. Moo­re nicht als gute Be­kann­te. Ich habe sie le­dig­lich durch Zu­fall ein­mal in meiner Mo­schee ge­trof­fen.« Er war ge­ra­de da­bei, hin­zu­zu­fü­gen: »Eine ein­zi­ge kur­ze Be­geg­nung ge­nügt nicht für ­eine Be­kannt­schaft«, aber noch ehe er den Satz zu Ende ge­spro­chen ­hatte, fiel alle Förm­lich­keit von ihm ab. Er spür­te, wie ehr­lich Fiel­ding es mit ihm mein­te. Auch er neigte sich ihm in­ner­lich be­reits zu, kämpfte aber noch ge­gen die Strö­mung des Emp­fin­dens an, die den See­fah­rer zu ­einem An­ker­platz tra­gen, ihn aber auch da­rü­ber hin­weg­reißen und an den Klip­pen zer­schel­len las­sen kann. Aber in Wirk­lich­keit fühlte er sich so si­cher wie ­eine ge­bo­re­ne Land­rat­te, für die es nur Fest­land­bo­den gibt und die da­von über­zeugt ist, dass jede Art von See­fahr­zeug scheitern muss. Gleich­zeitig aber ­hatte er ge­wis­se Emp­fin­dun­gen, wie sie ­einer Land­ratte auf im­mer fremd bleiben müs­sen. Ja, er war nicht so sehr emp­fäng­lich wie emp­find­lich. In je­der Be­mer­kung nahm er ­eine be­stimmte Be­deu­tung wahr, aber es war nicht im­mer die wah­re Be­deu­tung, und sein Da­sein floss, wenn­gleich mit leb­haf­tem Ge­fäl­le, für ihn wie im Traum da­hin. Fiel­ding beispiels­weise ­hatte nicht sa­gen wol­len, dass ein In­der, son­dern dass le­dig­lich der Nach­im­pres­si­o­nis­mus für ihn nichts zu be­deu­ten ­hatte. Ein Ab­grund lag zwi­schen die­ser Be­mer­kung und Mrs. Tur­tons Aus­ruf: »Aber sie re­den ja Eng­lisch!« Nur hätte für Aziz’ Oh­ren beides zu ähn­lich ge­klun­gen. Fiel­ding er­kann­te, dass ir­gend­et­was aus den Fu­gen ge­ra­ten war, sich nun aber von selbst wie­der ein­ge­renkt ­hatte. Er be­gann je­doch nicht gleich un­ru­hig zu wer­den, denn in al­lem, was per­sön­­liche Be­zie­hun­gen an­ging, war er Op­ti­mist. Die Un­ter­hal­tung zwi­schen beiden rat­terte mun­ter weiter.

»Au­ßer den Da­men er­warte ich noch ­einen Mit­ar­beiter – ­Nar­aya Godb­ole.«

»Oh, den Brah­ma­nen aus dem De­khan?«

»Auch er sehnt sich nach der Ver­gan­gen­heit zu­rück, wenn­gleich nicht ge­ra­de nach Alam­gir.«

»Ja, das wohl kaum. Wis­sen Sie, was die Brah­ma­nen aus dem De­khan be­haup­ten? Dass die Eng­län­der In­di­en einst­mals ih­nen ab­ge­knöpft hät­ten, ih­nen, bitte schön, und nicht den Mog­ulen. Sieht ih­nen so ­eine Un­ver­schämt­heit nicht ganz ähn­lich? Sie ha­ben es mithil­fe von Be­ste­chungs­gel­dern so­gar da­hin ge­bracht, dass es in den Ge­schichts­bü­chern zu le­sen steht. Sie sind ver­schla­gen und un­er­mess­lich reich. Al­ler­dings muss Pro­fes­sor Godb­ole nach al­lem, was ich von ihm höre, ganz an­ders sein als die sons­ti­gen Brah­ma­nen aus dem De­khan. Ein durch­aus auf­rich­ti­ger Mann.«

»Wa­rum grün­det ihr in Tschan­dra­pur eigent­lich keinen eige­nen Klub, Aziz?«

»Viel­leicht – ­eines Ta­ges … Aber da sehe ich Mrs. Moo­re kom­men – mit – wie heißt sie doch …«

Wie an­ge­nehm, dass es ­eine »un­kon­ven­ti­o­nel­le« Ge­sell­schaft war, bei der für Förm­lich­keit kein Raum blieb! In ih­rem Rah­men fand es Aziz auch gar nicht schwie­rig, sich mit den beiden Eng­län­de­rin­nen zu un­ter­hal­ten. Er be­han­delte sie, als ob sie Män­ner wä­ren. Der An­blick kör­per­­licher Schön­heit wür­de ihn wahr­schein­lich be­un­ru­higt ha­ben, denn dann wä­ren be­son­de­re Spiel­re­geln zu be­rück­sich­ti­gen ge­we­sen. Aber Mrs. Moo­re war so alt und Miss Ques­ted so we­nig be­mer­kens­wert, dass ihm die­se Art der Be­sorg­nis er­spart blieb. In seinen Au­gen wa­ren Ad­elas ecki­ger Kör­per und die Som­mer­spros­sen auf ih­rem Ge­sicht un­ver­zeih­­liche Män­gel – wie ­hatte nur der Schöp­fer ­eine weib­­liche Ge­stalt mit der­art küm­mer­­lichen Reizen aus­stat­ten kön­nen! Aus die­sem Grund hielt er es auch nicht für nö­tig, ihr ge­gen­über ein Blatt vor den Mund zu neh­men.

»Ich möchte Sie et­was fra­gen, Dr. Aziz«, fing Miss Ques­ted an.

»Ich habe von Mrs. Moo­re ge­hört, wie hilf­reich Sie sich ihr ge­gen­über in der Mo­schee er­wie­sen ha­ben und wie in­te­res­sant Sie er­zäh­len kön­nen. In den paar Mi­nu­ten mit Ih­nen hat sie mehr von In­di­en er­fah­ren als in den drei Wo­chen, die seit un­se­rer An­kunft ver­stri­chen sind.«

»O bit­te, er­wäh­nen Sie doch et­was so Be­lang­lo­ses nicht. Gibt es ir­gend­et­was in meinem Land, über das Sie ger­ne Be­scheid wis­sen möch­ten?«

»Wir ha­ben heute früh ­eine selt­sa­me Ent­täu­schung er­lebt. Viel­leicht könn­ten Sie mir er­klä­ren, was es da­mit für ­eine Be­wandt­nis hat. Es muss sich um ir­gend­eine Fra­ge der Eti­kette han­deln.«

»Ehr­lich ge­sagt, es gibt hier­zu­lan­de über­haupt keine Eti­ket­te«, er­wi­derte er. »Wir sind von Haus aus völ­lig form­los.«

»Dann müs­sen wir leider selbst ­einen Schnit­zer ge­macht und je­mand ge­kränkt ha­ben«, ­sagte Mrs. Moo­re.

»Das ist noch we­ni­ger denk­bar. Aber darf ich wohl die Tat­sa­chen er­fah­ren?«

»Ein in­di­sches Ehe­paar ­hatte uns heute früh um neun Uhr die Kut­sche zum Ab­ho­len sen­den wol­len. Sie ist nicht ge­kom­men. Wir ha­ben ge­war­tet und ge­war­tet und kön­nen uns ein­fach nicht vor­stel­len, was pas­siert sein soll­te.«

»Ir­gend­ein Miss­ver­ständ­nis«, warf Fiel­ding ein. Er sah auf den ers­ten Blick, dass es sich hier um die Art Vor­fall han­del­te, die am bes­ten un­ge­klärt blieb.

»O nein, das war es be­stimmt nicht«, fuhr Miss Ques­ted hart­nä­ckig fort. »Sie ha­ben so­gar ­eine Reise nach Kal­kut­ta ver­scho­ben, um uns bei sich emp­fan­gen zu kön­nen. Wir sind beide fest über­zeugt, dass wir ir­gend­einen idi­o­ti­schen Form­feh­ler be­gan­gen ha­ben.«

»Da­rü­ber wür­de ich mir nicht all­zu vie­le Ge­dan­ken ma­chen.«

»Das ist ge­nau das, was auch Mr. Hea­slop mir im­mer wie­der ver­si­chert«, ent­geg­nete sie, ein we­nig er­rö­tend. »Wenn man sich aber keine Ge­dan­ken macht – wie kann man dann je be­greifen?«

Der Gast­ge­ber schickte sich an, das Ge­sprächs­the­ma zu wech­seln, aber Aziz hielt eif­rig da­ran fest. Als er Ein­zel­sil­ben von den Na­men der Schul­di­gen er­fuhr, er­klärte er, es seien Hin­dus.

»In­do­lente Hin­dus ohne Ma­nie­ren – sie ha­ben keine Ah­nung, was es mit ge­sell­schaft­­lichen Um­gangs­for­men auf sich hat! Ich ken­ne ihre Art ganz ge­nau, weil ich im Kran­ken­haus ­einen Hin­du­kol­le­gen habe. So ein in­do­len­ter, un­pünkt­­licher Mensch! Bei de­nen ha­ben Sie be­stimmt nichts ver­säumt – im Ge­gen­teil, Sie wür­den in ih­rem Haus ein ganz fal­sches Bild von In­di­en be­kom­men ha­ben. Keiner­lei sa­ni­tä­re Ein­rich­tun­gen. Ich meiner­seits wür­de glau­ben, dass sie sich im letz­ten Au­gen­blick ih­res Hau­ses schäm­ten und Sie da­rum nicht ab­ho­len lie­ßen.«

»Das könnte stim­men«, ­sagte der an­de­re.

»Ich kann Ge­heim­nis­se nun mal nicht aus­ste­hen«, be­merkte Ad­ela.

»Nein, das kön­nen wir Eng­län­der nicht.«

»Aber ich habe nicht des­halb et­was da­ge­gen, weil ich Eng­län­de­rin bin, son­dern weil ich es selbst so emp­fin­de«, kor­ri­gierte sie. »Ich habe für Ge­heim­nis­se al­ler­lei üb­rig«, er­klärte Mrs. Moo­re, »aber gar nichts für Kud­del­mud­del.«

»Ein Ge­heim­nis ist ein Kud­del­mud­del.«

»Oh, meinen Sie das wirk­lich, Mr. Fiel­ding?«

»Ge­heim­nis ist nur die hoch­tö­nen­de Be­zeich­nung für Kud­del­mud­del. Auf je­den Fall ist es sinn­los, da­rin he­rum­zu­sto­chern. Aziz weiß eben­so gut wie ich, dass In­di­en ein ein­zi­ger Kud­del­mud­del ist.«

»In­di­en ein – oh, was für ein be­un­ru­hi­gen­der Ge­dan­ke!«

»Es wird nichts von ­einem Kud­del­mud­del zu se­hen sein, wenn Sie zu mir zu Be­such kom­men«, ­sagte Aziz, et­was un­si­cher. »Mrs. Moo­re, und wer sonst noch an­we­send ist –: ich lade Sie alle zu mir ein – bit­te.«

Die alte Dame nahm dan­kend an. Ihr war der jun­ge Arzt noch im­mer aus­ge­spro­chen sym­pa­thisch. Au­ßer­dem war sie aus ­einer ihr neu­en Emp­fin­dung he­raus, die halb Er­schlaf­fung, halb Auf­re­gung war, ge­neigt, je­den ein­mal ein­ge­schla­ge­nen Pfad weiter zu ver­fol­gen. Miss Ques­ted ­sagte aus ­einer ge­wis­sen Aben­teu­er­lust zu. Auch sie war Aziz zu­ge­tan und war über­zeugt, dass er ihr, wenn sie ihn erst ein we­nig bes­ser kann­te, das Ge­heim­nis des Lan­des er­schlie­ßen wer­de. Sie freute sich über seine Ein­la­dung und bat ihn um seine Ad­res­se.

Voll Grau­sen dachte Aziz an seine Be­hau­sung. Es war ­eine kläg­­liche Bret­ter­bu­de, in der Nähe ­eines et­was zweifel­haf­ten Ba­sars ge­le­gen. Sie be­stand im Grun­de nur aus ­einem ein­zi­gen Raum, und der war oben­drein noch von kleinen schwar­zen Flie­gen ver­seucht. »Oh, aber nun wol­len wir lie­ber von et­was an­de­rem re­den«, rief er aus. »Ich wünsch­te, ich wäre hier zu Hau­se. Was für ein herr­­licher Raum! Las­sen Sie ihn uns ­eine kleine Weile ge­mein­sam be­wun­dern. Die­se Kur­ven hier am un­te­ren Ende der Bo­gen­tü­ren – wel­che Zier­lich­keit! Es ist die Ar­chi­tek­tur von Fra­ge und Ant­wort. Mrs. Moo­re – hier be­fin­den Sie sich tat­säch­lich in In­di­en – es ist mein vol­ler Ernst.« Der Raum löste ihm die Zun­ge. Es war ur­sprüng­lich ein Au­di­enz­saal, der im acht­zehn­ten Jahr­hun­dert für ­einen ho­hen Be­am­ten an­ge­legt wor­den war und der trotz seiner Holz­wän­de Fiel­ding an die Log­gia de’ Lan­zi in Flo­renz er­in­nert ­hatte. Kleine, nun im eu­ro­pä­i­schen Stil aus­ge­stat­tete Zim­mer klam­mer­ten sich zu beiden Seiten da­ran fest, aber in der Mit­tel­hal­le war nichts von Ta­pe­ten oder von Glas zu se­hen, und vom Gar­ten her wehte es un­auf­hör­lich he­rein. Man saß ge­wis­ser­ma­ßen im Freien, wie auf ­einer Büh­ne, un­mit­tel­bar un­ter den Au­gen der Gärt­ner, die auf die Vö­gel ein­brüll­ten, und des Man­nes, der den gro­ßen Teich ge­pach­tet ­hatte, um Was­ser­nuss da­rin zu züch­ten. Fiel­ding ver­pach­tete auch die Man­go­bäu­me – man ahnte nicht, wer ge­ra­de ein­tre­ten mochte –, und Tag und Nacht hock­ten seine Die­ner auf den Stu­fen der Vor­trep­pe, um et­wa­i­ges Diebs­ge­sin­del ab­zu­schre­cken. Ja, es war wirk­lich ein schö­ner Raum, und der Eng­län­der ­hatte ihn nicht ent­stellt, wäh­rend Aziz in ­einer An­wand­lung von west­­lichem De­ko­ra­ti­ons­be­dürf­nis Kitsch­bil­der an die Wand ge­hängt ha­ben wür­de. Und doch be­stand auch nicht der ge­ringste Zweifel, wer in Wahr­heit Ei­gen­tü­mer des Saa­les war …

»Hier sit­ze ich und spre­che Recht. Eine arme Wit­we, der man das letzte Scherf­lein ge­raubt hat, kommt zu mir, und ich schen­ke ihr fünf­zig Ru­pien, ­einer an­de­ren hun­dert, und so fort. Ja, das wür­de ich wirk­lich gern.«

Mrs. Moo­re lä­chelte und dachte an das mo­der­ne Ver­fah­ren der Recht­spre­chung, wie es in der Per­son ih­res Soh­nes ver­kör­pert war. »Ich fürch­te, Ihr Vor­rat an Ru­pien wird bald er­schöpft sein«, ­sagte sie.

»Aber keines­wegs. Gott wür­de mir im­mer neue schen­ken, so­bald er sähe, dass ich selbst wel­che weg­schenk­te. Im­mer­zu schen­ken wie der Na­wab Baha­dur. Das tat auch mein Va­ter, und da­rum starb er so arm.« Und mit ­einer Ge­bär­de den Raum um­kreisend, be­völ­kerte er ihn mit Ge­richts­schreibern und -be­am­ten, die alle wohl­ge­sinnt wa­ren, weil sie vor so lan­ger Zeit leb­ten. »Ja, hier wür­den wir also zu Ge­richt sit­zen, schen­kend und im­mer wie­der schen­kend – auf ­einem Tep­pich statt auf Stüh­len, denn das ist der Haupt­un­ter­schied zwi­schen da­mals und heu­te, aber nie­mals wür­den wir ­einen Men­schen be­stra­fen.«

Die beiden Da­men nick­ten.

 

»Der arme Ver­bre­cher – er sollte noch ein­mal da­von­kom­men. Es wird nur noch schlim­mer mit ihm, wenn er ins Ge­fäng­nis wan­dern und sich dort noch weiter ver­der­ben las­sen muss.« Aziz’ Ge­sicht nahm ­einen ganz zärt­­lichen Aus­druck an – den Aus­druck ­eines Man­nes, dem jede Art der Ver­wal­tungs­tä­tig­keit fremd ist und der auch nicht be­greifen kann, dass der arme Ver­bre­cher im Fal­le ­eines Freispruchs nichts Ei­­lige­res zu tun ha­ben wür­de, als die arme Wit­we von Neu­em zu be­rau­ben. Er ver­spürte Zärt­lich­keit al­len Men­schen ge­gen­über, aus­ge­nom­men ein paar Fein­de der Fa­mi­lie, die er nicht als mensch­lich be­trach­ten konn­te: an die­sen wollte er un­be­dingt seine Ra­che küh­len. Selbst den Eng­län­dern ge­gen­über war er zärt­lich ge­stimmt. Er wusste im Grun­de seines Her­zens: sie konn­ten ja nichts da­für, dass sie so kalt und so quer­köp­fig wa­ren und mit ih­rer Herr­schaft ­einen Eis­gür­tel um sein Land ge­legt hat­ten. »Keinen, keinen Men­schen be­stra­fen wir«, wie­der­holte er, »und am Abend wer­den wir ein gro­ßes Tanz-Ban­kett ver­an­stal­ten, und rings um den Teich wer­den hell leuch­tend lieb­­liche Mäd­chen ste­hen mit Feu­er­werks­kör­pern in der Hand, und es soll eitel Fest­glanz und Freu­de herr­schen bis zum fol­gen­den Tag, an dem Recht ge­spro­chen wer­den soll wie zu­vor – fünf­zig Ru­pien, hun­dert, tau­send –, bis über­all Frie­den ist. Ach, wa­rum ha­ben wir nicht zu je­nen Zeiten ge­lebt? – Aber be­wun­dern Sie auch Mr. Fiel­dings Haus? Se­hen Sie doch, wie blau die Säu­len sind, und die win­zi­gen Pa­vil­lons an der Ve­ran­da – wie nennt man sie doch? – dort, ge­ra­de über uns, sie sind gleich­falls blau. Be­trach­ten Sie auch die Schnit­ze­reien da­ran, und den­ken Sie, wie viel Zeit und Mühe sie ein­mal ge­kos­tet ha­ben! Ihre kleinen Dä­cher sind ge­schwun­gen, um Bam­bus zu imi­tie­ren. So hübsch – und drau­ßen am Teich wiegt sich der Bam­bus im Wind. Mrs. Moo­re! Mrs. Moo­re!«

»Ja?«, ­fragte sie la­chend.

»Sie er­in­nern sich doch noch an den Bach, der an der Mo­schee vor­über­fließt? Er kommt ge­ra­des­wegs hier­her und füllt auch die Teiche – wie ge­schickt das doch die frü­he­ren Kai­ser ein­ge­rich­tet ha­ben! An die­ser Stel­le pfleg­ten sie auf ih­rem Weg nach Ben­gal zu ras­ten. Sie konn­ten nicht Was­ser ge­nug um sich ha­ben. Wo­hin sie den Schritt auch lenk­ten: sie leg­ten Spring­brun­nen, Gär­ten, tür­ki­sche Bä­der an. Ich war ge­ra­de da­bei, Mr. Fiel­ding zu sa­gen, ich hätte al­les da­rum ge­ge­ben, ih­nen zu die­nen.«

Er ­hatte ­einen kleinen Irr­tum be­gan­gen, was das Was­ser be­traf, denn kein noch so ge­schick­ter Kai­ser hätte es dazu ver­an­las­sen kön­nen, hü­gel­auf­wärts zu flie­ßen: zwi­schen der Mo­schee und Fiel­dings Haus lag ­eine nicht un­be­trächt­­liche Bo­den­sen­ke mit­samt der gan­zen Stadt Tschan­dra­pur. Ron­ny wür­de ihn des­halb auf­ge­zo­gen ha­ben, Tur­ton wür­de den Wunsch da­nach ver­spürt und gleich­zeitig un­ter­drückt ha­ben, Fiel­ding da­ge­gen war selbst der blo­ße Wunsch fremd ge­wor­den. Er ­hatte längst sein Ver­lan­gen nach buch­stäb­­licher Wahr­heit ver­küm­mern las­sen – es war ihm im All­ge­meinen nur noch um die Wahr­heit der Ge­müts­ver­fas­sung, der Stim­mung, zu tun. Was aber Miss Ques­ted be­traf, so nahm sie je­des der von Aziz ge­äu­ßer­ten Worte für bare Mün­ze. In ih­rer Un­wis­sen­heit be­trach­tete sie ihn als das per­so­ni­fi­zierte In­di­en und kam nicht auf den Ge­dan­ken, dass sein Ge­sichts­kreis be­grenzt, sein Ver­fah­ren un­ge­nau war und dass kein mensch­­liches Ein­zel­we­sen In­di­en je zu ver­kör­pern im­stan­de ge­we­sen wäre.

Er war nun ganz auf­ge­regt, schwatzte un­ver­zagt drauf­los und ­sagte so­gar »ver­dammt«, wenn er sich mit seinen Sät­zen ver­hed­der­te. Er er­zählte von seiner be­ruf­­lichen Tä­tig­keit, von den Ope­ra­ti­o­nen, die er mit an­ge­se­hen oder sel­ber aus­ge­führt ­hatte, und ging da­bei der­art ins Ein­zel­ne, dass Mrs. Moo­re ­einen kal­ten Schau­der ver­spür­te, wäh­rend Miss Ques­ted in al­le­dem ­einen Be­weis für seine Vor­ur­teils­lo­sig­keit er­blick­te. Da­heim ­hatte sie Der­ar­ti­ges in fort­schritt­­licher ge­sinn­ten aka­de­mi­schen Kreisen zu hö­ren be­kom­men, in de­nen man ab­sicht­lich kein Blatt vor den Mund nahm. Sie hielt Aziz für geis­tig un­ab­hän­gig und für per­sön­lich ver­läss­lich und stellte ihn in Ge­dan­ken auf ­einen So­ckel, auf dem er sich auf die Dau­er nicht hal­ten konn­te. Ge­wiss fand er sich im Au­gen­blick oben­auf, aber durch­aus nicht auf ­einem So­ckel. Un­sicht­ba­re Schwin­gen hat­ten ihn em­por­ge­tra­gen, aber so­bald er ins Flat­tern ge­riet, musste er un­fehl­bar ab­stür­zen.

Bei der An­kunft Pro­fes­sor God­bo­les legte sich seine Er­re­gung et­was, aber noch im­mer ge­hörte der Nach­mit­tag ihm. Der Brah­ma­ne, höf­lich und un­durch­sich­tig, ge­bot seiner Be­red­sam­keit nicht nur nicht Ein­halt, son­dern spen­dete ihr so­gar Beifall. Er trank seinen Tee, ein we­nig ab­seits von den Un­gläu­bi­gen sit­zend. Man ­hatte hin­ter ihm ein nied­ri­ges Tisch­chen auf­ge­stellt, zu dem er sich hin und wie­der halb um­drehte und auf dem er wie zu­fäl­lig et­was zu es­sen vor­fand, und die an­de­ren ga­ben vor, von al­le­dem nichts zu be­mer­ken. Er war et­was ält­lich und ein­ge­schrum­pelt, ­hatte ­einen grau­en Schnurr­bart und grau­blaue Au­gen, und seine Haut war so hell wie die ­eines Eu­ro­pä­ers. Er trug ­einen Tur­ban in Ge­stalt ­eines blass­vi­o­let­ten Mak­ka­ro­ni-Auf­laufs, Rock, Wes­te, dhoti und So­cken mit Ga­ma­schen. Die Far­be der Letz­te­ren ent­sprach der des Tur­bans, und seine gan­ze äu­ße­re Er­scheinung er­weckte den Ein­druck des durch­aus Har­mo­ni­schen – es war, als habe er die Er­run­gen­schaf­ten des Wes­tens so­wohl wie des Os­tens, und die geis­ti­gen nicht we­ni­ger als die ma­te­ri­el­len, mit­einan­der in Ein­klang zu brin­gen ge­wusst und als kön­ne er selbst die­ses Ein­klangs auch nicht mehr ver­lus­tig ge­hen. Die an­we­sen­den Da­men fan­den ihn in­te­res­sant. Sie hoff­ten, er wür­de, Aziz er­gän­zend, von der Re­­ligi­on spre­chen. Aber er be­gnügte sich da­mit, zu es­sen – zu es­sen und wie­der zu es­sen, wo­bei er lä­chelte und sich of­fen­bar hü­te­te, die eige­nen Au­gen wis­sen zu las­sen, was die Hand tat.

Aziz kehrte end­lich seinen Mog­ulen­kai­sern den Rü­cken und wandte sich Ge­sprächs­the­men zu, die keinen ver­let­zen konn­ten. Er be­schrieb das Reif­wer­den der Man­go­früch­te, er­zähl­te, wie er als Kind, zur Re­gen­zeit, zu ­einem gro­ßen Man­go­hain, der ­einem seiner On­kel ge­hör­te, hi­naus­zu­lau­fen und sich dort an den Früch­ten güt­lich zu tun pfleg­te. »Und dann wie­der rasch nach Hau­se, von au­ßen platsch­nass und von in­nen viel­leicht von Bauch­weh ge­pie­sackt. Aber das war mir ganz egal. Alle meine Freun­de hat­ten Bauch­weh. Wir ha­ben in Urdu ein Sprich­wort: ›Was hat ein Un­glück auch zu be­sa­gen, wenn wir alle un­glück­lich sind?‹, und es er­weist sich als durch­aus zu­tref­fend, wenn man ge­ra­de Man­go­früchte ge­ges­sen hat. Miss Ques­ted, war­ten Sie, bis die Man­go­früchte reif sind! Und wa­rum wol­len Sie sich nicht über­haupt gleich in In­di­en an­säs­sig ma­chen?«

»Ich fürch­te, das kann ich nicht«, ­sagte Ad­ela. Sie äu­ßerte die­se Be­mer­kung, ohne sich über ihre Be­deu­tung gleich Re­chen­schaft ab­zu­le­gen. Für sie wie für die drei Män­ner schien sie zu­nächst le­dig­lich auf die Ton­art der sons­ti­gen Un­ter­hal­tung ab­ge­stimmt zu sein, und erst nach Ver­lauf meh­re­rer Mi­nu­ten, ja, ­einer hal­ben Stun­de, be­griff sie, dass es ­eine sehr viel­sa­gen­de Be­mer­kung ge­we­sen war, die in ers­ter Li­nie Ron­ny ge­gen­über am Platz ge­we­sen wäre.

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