Ansichten eines Hausarztes

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Die Medizin heute: Kommerzialisierung und Vertrauensverlust

In meinem Buch Medizin ohne Moral habe ich Sie hinter die Kulissen dessen sehen lassen, was allgemein als Ökonomisierung der Medizin beklagt wird. Dem Bestreben unserer technologischen Potenz, unablässig fortzuschreiten, verdanken wir unzählige Erleichterungen und Annehmlichkeiten unseres heutigen Lebens. Dass die Technisierung aber auch Schattenseiten hat, lehrte zuerst das Entstehen eines Industrieproletariats im ausgehenden 19. Jahrhundert und später die brutaler werdende Kriegsführung, vom Giftgaseinsatz im Ersten Weltkrieg bis zum Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki im Zweiten. Zivile Nuklearkatastrophen in unserer Zeit zeigten uns die Grenzen ebenso auf wie der Klimawandel und das Artensterben. Dazu haben sich im Zusammenhang mit dem Energiebedarf der industrialisierten Länder nach den beiden Weltkriegen Licht und Schatten in den Weltregionen unterschiedlich verteilt. Während die einen leidlich befriedet die materiellen Vorteile genießen, sind die Kriege sozusagen ausgelagert, vornehmlich in Regionen, in denen die notwendigen Ressourcen für den Prozess der Technologisierung lagern. Dort, wo Öl, Gas und Bodenschätze zu finden sind. Die Pandemie hat uns einen Vorgeschmack davon gegeben, dass unser Frieden und Wohlstand nicht gesichert sein könnten.

Die Technologisierung verbessert also vieles, hat aber eben auch Schattenseiten. Global gesehen verschärft sich durch sie die materielle Ungleichheit in der Welt. Als hauptsächlichste Nebenwirkung in den begünstigten Ländern ist wiederum eine immense Beschleunigung des Lebensrhythmus, ein kopfloser Turbo, der Zeitmangel und Hektik mit sich bringt, zu beklagen. Die Dynamik der Innovationen wird maßgeblich durch Gewinnerwartungen befeuert, heute vor allem durch die von Großinvestoren.

In der Medizin verdichtet sich diese Mischung aus Beschleunigung und Profitorientierung. Die Medizintechnologie wächst besonders rasant. Dies bringt einerseits natürlich zahllose bessere Behandlungstechniken hervor. Andererseits lebt der kommerzialisierte Antrieb der Technologisierung in der Medizin, wie in anderen Bereichen des Wirtschaftslebens auch, von einer permanenten Steigerung des Konsums, die auch hier zu sinnleerer Überproduktion führt. Während genauso, wie im allgemeinen Leben, der Bedarf durch Werbeversprechen geweckt wird, herrschen bezüglich eines Preiswettbewerbs in der Medizin andere Verhältnisse. Neue Technologien sind vor allem eine Domäne der Spezialisten. Diese kümmern sich nicht wie der normale Konsument um das Preis-Leistungsverhältnis. Überhaupt haftet der Frage nach dem Preis bei Gesundheitsprodukten der schlechte moralische Beigeschmack an, beim hohen Gut der Gesundheit geizen zu wollen. Die konkurrierenden politischen Parteien und die im gegenseitigen Wettbewerb stehenden Krankenkassen haben große Angst vor einem Image-Verlust, wenn sie für Innovationen nicht zu zahlen bereit sind. Dies beschert den innovativen Technologie- und Pharmakonzernen eine paradiesische Vermarktungslage, bei der sie weit überhöhte Preise verlangen können.

Wer die Mechanismen kennt, wie ich sie in meinem ersten Buch beschrieben habe, weiß, warum die Gesundheitsversorgung selbst in wohlhabenden Industrieländern in Bezug auf das allgemeine Versorgungsniveau immer schlechter wird. Wie sehr uns die schleichende personelle Verknappung auf die Füße fällt, beweist nicht nur der Verlauf der Pandemie, sondern gerade auch der Umgang mit ihr, wie sich zeigen wird.

Weil die Abwägung zwischen Fortschrittsversprechen und Kostenfolgen weitgehend unkritisch gehandhabt wird, hat sich in den großen Konzernen für Medizinprodukte und Medikamente inzwischen ein unfassbarer Reichtum angesammelt. Deren Aktien gehören zuverlässig und dauerhaft zu den Markt-Champions. Aktien sind vor allem eine Wette auf die Zukunft. Deshalb können sich gerade die innovativen Firmen über einen schier unbegrenzten Kapitalzufluss freuen. Aktionäre wollen aber auch Rendite. Aus diesem Grund bleiben nur Firmen am Markt, die diese letztendlich bieten können. Im Kampf der Pharma-Giganten um die vorderen Plätze wird weit mehr Geld in Marketing als in die Forschung gesteckt.

Das Erfolgsstreben in der Medizinsparte wird auf drei Schauplätzen ausgetragen.

1 Das allgemeine Gesundheitsbewusstsein beeinflussen.

2 Vermarktungshemmnisse abbauen.

3 Neuen Bedarf schaffen.

Unser solidarisch strukturiertes Gesundheitssystem verbietet weitgehend, dass Krankheit nach Geldbeutel behandelt wird. Die Werbung für neue Produkte richtet sich deshalb vorzugsweise an die Spezialmedizin, weil hier die Innovationen besonders zuhause sind. Hauptsächliche Ansprechpartner sind heute jedoch die Gesunden. Sie erreicht man am besten darüber, dass man Ängste um ihre Gesundheit mobilisiert. In zahllosen Medienformaten werden mit Teil- oder Scheininformationen fortwährend Befürchtungen geschürt, für die gleichzeitig das Gegenmittel angepriesen wird.

Der Kern erfolgreichen Marketings sind somit das Gesundheitsbewusstsein und das Angstschüren. Dafür müssen die Produkte der innovativen Konzerne als unverzichtbare Rettungsanker vor Gesundheitsgefahren erlebt werden.

Mit Versprechen, Krankheiten einfach zu besiegen, mit Visionen, „Geißeln der Menschheit“ wie Krebs oder Alzheimer zu beseitigen, ja vielleicht einst das Sterben überhaupt zu überwinden, lassen sich die Menschen nicht nur faszinieren, sondern auch täuschen. Denn die Gesamtzusammenhänge und die Bezahlbarkeit werden selten thematisiert. So entscheidet letzten Endes die allgemeine Grundeinstellung zum Leben über die Markterfolge der Konzerne. Wer sich der Panik und zugleich den rettenden Visionen hingibt, füttert ihren Erfolg. Eine gelassene Einstellung hingegen, welche die Kirche im Dorf lässt, auf natürliche Kräfte baut, Naturheilverfahren bevorzugt und aus einer eher spirituell geprägten Sicht das Werden und Vergehen als unvermeidliches Naturgeschehen hinnimmt, stellt ein bedeutsames Vermarktungshemmnis dar. Daher lautet die zentrale Marketingbotschaft für das Gesundheitsbewusstsein heute: Die Natur ist voller Gefahren und unsere Technologien rettet dich vor ihnen!

Diese Perspektive macht verständlich, warum Befürworter von „sanften“ Behandlungswegen nicht einfach als romantische Träumer hingenommen, sondern zunehmend aggressiv als gefährliche „esoterische“ Spinner diffamiert werden. Naturmedizin, Homöopathie, Erfahrungsheilkunde von Ärzten und heilpraktische Behandlungsalternativen, die mehr auf Regulation als auf Medikamentenkonsum ausgerichtet sind, werden geradezu kampagnenartig als wissenschaftsfeindlich diskreditiert. Damit wird der Wissenschaftsbegriff zum Kampfinstrument um Marktanteile.

Doch was bedeutet „Wissenschaft“?

Eine Begriffsdefinition könnte so lauten: Wissenschaft ist ein von allen Instrumentalisierungen durch Politik, Wirtschaft, Interessensgruppen und persönlichen Eitelkeiten freier und ergebnisoffener Prozess der Wissensfindung, der sich unter bestimmten und überwachten Regeln und dem kritischen Blick von Fachkollegen vollzieht. Wissenschaft ermöglicht damit bestmögliches Detailwissen, welches nicht den Charakter unumstößlicher Fakten hat, sondern jederzeit durch neuere Erkenntnisse überholt werden kann.

Der Wahrheitsgehalt von wissenschaftlichen Ergebnissen durchläuft üblicherweise den Prüfungsprozess des Peer-Review, ein Verfahren zur Qualitätssicherung einer wissenschaftlichen Arbeit oder eines Projektes durch unabhängige Gutachter aus dem gleichen Fachgebiet. Der alles entscheidende Faktor in diesem Qualitätssicherungsprozess ist die Unabhängigkeit der Prüfinstanzen. Unter dem Gesichtspunkt des Marketings wären die Technologie- und Pharmakonzerne allerdings unprofessionell, wenn sie diese Schaltstellen nicht mit maximalem finanziellem Einsatz zu ihren Gunsten beeinflussten.

Jeder Insider des Gesundheitssystems weiß um dieses Problem. Daher haben sich auch Strukturen gebildet, die sich der Lobby-gesteuerten Verbiegung von Wissenschaft entgegenstellen. Aber auch solche Non-Profit-Organisationen wie das international vernetzte Institut Cochrane oder die Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden vom Druck der finanzmächtigen Gegner nicht verschont und sukzessive beeinflusst.

Darüber hinaus üben die Konzerne mit großem Erfolg Druck auf die nationalen und internationalen Sicherungssysteme der Medizinproduktanwendung aus, auf dass diese ihre Standards senken und kritische Wissenschaftler aus den Schaltstellen vertreiben mögen. Auch großzügiges Sponsoring im Gesundheitswesen, sei es finanziell, logistisch oder indirekt durch die Vergabe von Aufträgen, trägt reiche Ernte. Die Universitäten und Forschungseinrichtungen, die Fortbildungsinstitute, die Fachgesellschaften sowie die Ärzte- und Patientenvereinigungen kommen in diesen Genuss, ja brauchen die Zuwendungen teils sogar für ihre Existenz. Auch die Politik, die Zulassungsbehörden und nicht zuletzt das Gesundheitsministerium bekommen dauerhaft Input wie auch Druck aus dieser Richtung.

Eine weitere Stoßrichtung der Vermarktungsinitiativen der Konzerne wendet sich direkt an die Konsumenten. Hierbei besteht der Hebel vor allem in der Einwirkung auf den Journalismus. Eine direkte Einflussnahme besteht darin, einem Medium als zahlender Werbekunde treu zu sein oder ihm eben die Einnahmen durch Anzeigenschaltung zu entziehen. Sie stellen eine wesentliche finanzielle Grundlage für Presseerzeugnisse dar. Zum anderen werden journalistische Wissenschaftsbeiträge gern durch die kostenlose Bereitstellung von Firmenexpertise bereichert. So effizient diese Methoden auch erscheinen – die wirksamste Beeinflussung von Medien geht sehr viel filigraner vonstatten. Sie beruht auf der Verbreitung von Narrativen.

 

Eine sehr erfolgreiche Story, die besonders bei Intellektuellen zunehmend auf fruchtbaren Boden fällt, besteht darin, dass die Wissenschaft durch esoterische und verschwörerische Kräfte bedroht sei. So zieht man einerseits die Aufmerksamkeit von der viel realeren Bedrohung ab, die in der Verfälschung, Unterdrückung und Selektion wissenschaftlicher Aussagen unter lobbyistischen Einflüssen besteht. Andererseits lassen sich damit viele Kritiker, welche diese Gefahren benennen, einfach in die Ecke von Spinnern rücken. Die Geschichte schlägt also gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie lenkt von Manipulationen ab und diskreditiert gleichzeitig die Kritik daran.

Die angeblich so gefährlich gewordene Esoterik dient in diesem Narrativ als Strohmann, da die wenigsten Kritiker des Lobbyismus tatsächlich unwissenschaftlich denken. Eine wirkliche Blütezeit für spirituelle Strömungen oder solche, die als esoterisch bezeichnet werden könnten, lag in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Sie hat längst einem eher fakten- und zielorientierten Denken Platz gemacht. Wenn heute dennoch solche Bedrohungen beschworen werden, hat dies eine Funktion. Die Diskreditierung von Naturvertrauen hilft, Vorbehalte gegen risikoreiche moderne Entwicklungen in Pharmakologie und Gentechnologie abzubauen. Denn, wer der Natur mehr vertraut als den modernen Technologien, ist ein verlorener Konsument.

In diesem Licht erklären sich auch die massiven Angriffe auf so harmlose Nischenmethoden wie die Homöopathie und Naturheilverfahren, die egal, wie man persönlich dazu steht, zumindest unschädlich und kostengünstig sind und sich niemandem aufdrängen. Wie eine „fünfte Kolonne“ des Pharmakonzern-Marketings agiert diesbezüglich die genannte „Skeptiker“-Bewegung, die vorgibt, der Wissenschaftlichkeit dienen und das Erbe der Aufklärung bewahren zu wollen. Durch das Bestreben der „Skeptiker“, die ganze Bevölkerung auf ihre einseitige Sichtweise festlegen zu wollen, demaskiert sich die Bewegung allerdings als eigentlicher Gegner der oben genannten Definition von Wissenschaft, da diese niemals eine einseitige Ideologie sein kann. Nicht zuletzt verraten sie damit auch die Ideale von Freiheit und Toleranz.

Kennzeichnend für das nahezu sektenhaft zu nennende Vorgehen jener Akteure ist, dass ausgerechnet diese vermeintlichen Anwälte einer reinen Wissenschaft es vermeiden, öffentlich und faktenbasiert in der Sache zu diskutieren. Stattdessen wird über gute Kanäle zu den Informationsmedien beschimpft, gelästert, diskriminiert und mit Halbwahrheiten Wissenschaftlichkeit vorgetäuscht. Nicht durch Widerlegung oder Debatte, sondern durch Herabsetzung der „Gegner“ versuchen sie, Fragen der Lebensführung und vor allem abweichende Wissenschaftsauffassungen aus den Wissenschaftsdiskursen zu verbannen. Es ist tragisch, dass besonders Journalisten aus den Wissenschaftsredaktionen diese boshafte und manipulative Doppelbödigkeit nicht erkennen und Vertreter dieser Ideologie häufig als seriöse Informationsquellen betrachten.

Unterm Strich befinden wir uns somit an einem gefährlichen Kipppunkt bezüglich der Solidität und Wahrhaftigkeit von Wissen. Die finanzielle Macht großer globaler Player im Wirtschaftsleben und deren egozentrisches Agieren haben einen gefährlichen Einfluss auf das Bemühen um unabhängige Informationen.

Falsche Informationen führen zu falschen Handlungen. Das wissen gerade wir Deutschen aus unserer jüngeren Historie. Sie können auch heute wieder unsere demokratische Gesellschaftsstruktur bedrohen. Vielleicht kommt dem Umgang mit der Corona-Pandemie sogar eine schicksalsbestimmende Bedeutung für die Zukunft unseres Landes zu.

Politische Weichenstellungen in der Corona-Pandemie.
Die erste Weiche: einseitige Festlegungen und der Verzicht auf Abwägung
Der Panik-Plan

Zu Beginn der Pandemie empfahl ein Strategiepapier des Bundesinnenministeriums das Schüren von Angst als Methode der Lenkung der Bevölkerung. Es wurde zunächst geleaked und ist mittlerweile auch ganz offiziell auf der Webseite des Bundesinnenministeriums einsehbar. Darin ging man im Mai 2020 von einem Worst-Case-Szenario in Deutschland mit über einer Million Toten aus, was die Bevölkerung zur Akzeptanz von harten Einschränkungen bewegen sollte.

Die Berichterstattung sollte demzufolge den Eindruck erwecken, das Virus könne jeden treffen, ihn töten oder ihm langfristige Gesundheitsschäden zufügen. Jeglicher Relativierung dieser Darstellung sollte entgegengewirkt werden. Das Papier ruft explizit dazu auf, die „konkreten Auswirkungen einer Durchseuchung“ so zu kommunizieren, dass „die gewünschte Schockwirkung“ erzielt würde.

Dazu gehören das Triggern der Urangst des Erstickens, der Hilflosigkeit angesichts um ihr Leben ringender Angehöriger bei der Bevölkerung und das Gefühl bei Kindern, „Schuld daran zu sein“, wenn etwa ein Elternteil „qualvoll zu Hause stirbt“, weil sie etwa „vergessen haben, sich nach dem Spielen die Hände zu waschen.“ [2]

Die radikalen Strategien dieses Papiers betonen die Sorge vor einem unkontrollierten Ablauf der Pandemie, dessen tödliche Folgen allerdings zehn Mal höher als real eingeschätzt wurden. Im Mai 2020 stand noch die Möglichkeit im Raum, durch schnelles und konsequentes Handeln diese Folgen eingrenzen zu können. Die Regieanweisung des Angstschürens behielt jedoch auch noch ihre Wirksamkeit, als neue Erkenntnisse über den echten, wellenförmigen Infektionsverlauf und die Sterblichkeit vorlagen. Explizit warnte das Papier davor, die Krankheit als Problem der „Alten“ anzusehen, und legte Wert darauf, auch die Gefahren für Jüngere zu betonen. Eine Anweisung dazu, die Gruppe der Gefährdeten zu schützen, sucht man darin allerdings vergebens.

Nach einem Bericht der Welt am Sonntag soll das Bundesinnenministerium unter Innenminister Horst Seehofer (CSU) im März 2020 Wissenschaftler mehrerer Forschungsinstitute und Hochschulen im Sinne der Worst-Case-Visionen eingespannt haben. Das Ministerium habe die Forscher des Robert-Koch-Instituts (RKI) und anderer Einrichtungen in der ersten Welle der Corona-Pandemie mit der Erstellung eines Rechenmodells beauftragt, das eine Prognose von über einer Million Corona-Toten in Deutschland wahrscheinlich machen sollte. Basierend auf diesem Modell wollte das Ministerium dem Bericht zufolge strenge Corona-Maßnahmen rechtfertigen. Markus Kerber, Staatssekretär im Innenministerium, so die Zeitung, habe die Forscher in einer E-Mail gebeten, ein Modell zu entwickeln, auf dessen Basis „Maßnahmen präventiver und repressiver Natur“ geplant werden könnten. [3]

Seit dem Herbst 2020 herrschte entsprechend dieser Regieanweisung auf Regierungslinie Daueralarm …

 Verweisen auf das Sterben in Bergamo.

 Angst schüren vor einer vernichtenden zweiten Welle.

 Andeutungen über eine angeblich fehlende Immunität nach Infektion.

 Berichte über qualvolles Ersticken und überfüllte Intensivstationen.

 Überzeichnen der Gefahr für Jüngere durch beängstigende Berichte über Post-COVID-Verläufe.

Vor allem aber die täglichen Meldungen über Tote und Infektionszahlen hielten den Eindruck alleiniger direkter Kausalität aufrecht.

So nahm die Auswahl der Nachrichten massiven Einfluss auf das kollektive Bewusstsein. Wie in einer stillen Übereinkunft folgten die Mainstream-Medien beim Thema Corona dem vorgezeichneten Szenarium. Die Entscheidung, was berichtet wird und was nicht, formte dann die allgemeine Vorstellung über die Pandemie. Denn die laienhafte Bevölkerung folgte den Erklärungen derjenigen Experten, die Zugang zu Informationskanälen bekommen hatten. Vor der Kulisse der täglichen Zahlen aus dem RKI, den ständigen Warnungen einer handvollen Anzahl immer derselben Politiker und Experten und der ausführlichen Berichterstattung über vereinzelte schwere Verläufe entfaltete sich eine anhaltende Dramatik, welche die anderen großen Probleme der Welt nahezu unsichtbar werden ließ.

Nach einem Jahr Corona-Pandemie liegen die Zahlen auf dem Tisch: Bis Mitte Juni 2021 wurden vom Robert-Koch-Institut 90.000 Tote der Corona-Pandemie zugerechnet. [4] Das Statistische Bundesamt ermittelt fortlaufend die sogenannte Übersterblichkeit. Sie vergleicht dabei die Sterberate monatlich und jährlich mit denen der vier Jahre zuvor. Es gab zwar im Spätherbst 2020 bis Januar 2021 eine erhöhte Sterberate. Diese wurde jedoch durch geringere Sterblichkeit in anderen Monaten fast ausgeglichen. Unterm Strich gab es während der gesamten Pandemie allenfalls eine moderate erhöhte Sterblichkeit. [5] Lediglich für die Altersgruppe der über 80-Jährigen wurde eine erhöhte Sterberate von 10 Prozent ermittelt. [6] Die gezählten 90.000 Toten waren also nicht zusätzlich zum üblichen Sterbeniveau gestorben. Der weitaus größte Teil wäre auch ohne Corona-Infektion auf Grund seiner altersbedingten Verfassung bei anderen Anlässen gestorben. War es notwendig, die Pandemie mit täglichen Meldungen über Todeszahlen zu begleiten, wenn im Rahmen einer Infektionswelle ähnlich wie bei der Grippewelle 2018 in der höchsten Altersgruppe zehn Prozent mehr Menschen früher sterben müssen?

Warum liegt die genannte Zahl an Corona-Toten viel höher als die festgestellte Übersterblichkeit? Welches Interesse könnte hinter einer Dramatisierung stecken?

Laut SWR aktuell begann die Firma Biontech, die bisher in der Krebsforschung tätig war, bereits im Januar 2020 mit ihren Forschungen nach einem Impfstoff und präsentierte im Februar seinen Plan dem Paul-Ehrlich-Institut im südhessischen Langen. [7]

Über den Sommer bis zum Herbst 2020 schälte sich in Deutschland und den EU-Ländern die politische Festlegung auf einen bestimmten Weg zur Pandemiebewältigung heraus, die seitdem wie ein Mantra über allen Entscheidungen schwebt: „Der einzige Weg raus aus der Pandemie ist die Impfung!“

Das deutsche Regierungskonzept: Bis zur Entwicklung und Bereitstellung von Impfstoffen muss das öffentliche Leben zur Abwehr der Infektionsübertragung beschnitten werden. Experten nannten drei Leitwerte für das Maß der Beschränkungen:

 Die 7-Tage-Infektionsinzidenz.

 Den R-Wert als Maß für die Ansteckungsdynamik.

 Die Auslastungskennzahlen der Intensivstationen.

Diese politisch getroffene Fokussierung auf die Impfentwicklung hatte gravierendste Folgewirkungen:

Der Schutz der Alten und am stärksten Gefährdeten blieb weitestgehend aus.

Bis in den Winter 2020 hinein gab es außer Kontaktbeschränkungen keine wirksamen Schutzkonzepte für die Altenheime. Dabei traf es diese Einrichtungen mit Abstand am schlimmsten. Ein Drittel aller COVID-19-Todesfälle stammen daher. 86 Prozent der Verstorbenen war über 70 Jahre alt. Diese Altersgruppe erhielt lediglich symbolpolitisch vor Weihnachten einmalig den Anspruch auf sechs FFP2-Masken.

Warum gab es in den Heimen keine speziellen Schutzkonzepte? Warum wurden Personal und Besucher nicht mit den bereits entwickelten Tests auf Infektionen untersucht?

Warum gab es nicht, wie anderswo, spezielle Einkaufszeiten für Senioren?

Warum gab es keine speziellen Beförderungsmöglichkeiten und Hol- und Bringe-Dienste für die Gefährdeten?

Warum wurde die seit Jahren tolerierte prekäre Situation in der Pflege nicht thematisiert?

Warum wurden die Versäumnisse der Politik in den Medien nicht angesprochen?

Das zentrale Problem geriet so aus dem Fokus der öffentlichen Wahrnehmung: Die Belastung des Gesundheitssystems durch die Pandemie war zum größten Teil hausgemacht. Wie in meinem Buch Medizin ohne Moral beschrieben, hatten jahrzehntelange Einsparungen die Krankenhausbetten reduziert und zur personellen Unterbesetzung der Gesundheitsämter, der Pflegeeinrichtungen und der Hausarztpraxen geführt. Wesentliche Ursachen für die Bilder von Bergamo wie auch, etwas abgeschwächt, für die Lage in Deutschland, sind als direkte Folge des Spardrucks auf die Gesundheitssysteme anzusehen. Echte Anstrengungen, wie beispielsweise eine Einstellungsoffensive für das Gesundheitswesen mit attraktiven Konditionen oder nachhaltige Strukturverbesserungen, nahm man selbst angesichts der Pandemie nicht in Angriff. Die Pflegekräfte bekamen wohlfeiles Lob für ihren Einsatz und Mitleid für ihre Überforderung, jedoch keinerlei Entgegenkommen bei ihren Forderungen nach Änderungen. Ihre Demonstrationen in zahlreichen deutschen Großstädten von Oktober 2020 bis April 2021 blieben von der Politik unbeachtet. Personelle Überlastungen der Intensivstationen wurden nur dann thematisiert, wenn es darum ging, endlose Verlängerungen des Lockdowns zu rechtfertigen.

 

Die Politik nutzte nicht die große Breite an wissenschaftlicher Kompetenz in Deutschland und der Welt, sondern stützte sich auf ausgewählte Berater, welche ihrem vorab festgelegten Kurs einen wissenschaftlichen Anstrich gaben. Erforderte die nationale Bedrohungssituation nicht, dass sich die Politik durch die besten Köpfe des Landes beraten ließe? Auf die Bandbreite der vorhandenen, jedoch ungenutzten Expertise und wissenschaftlichen Kompetenz komme ich weiter unten zu sprechen.

Lockdowns bis zur Bereitstellung von Impfstoffen wurden als vorab zementierter und einziger Lösungsansatz verfolgt. Staatlicherseits wurde keine Forschung angeschoben, welche die Erregereigenschaften und die natürliche Immunitätsentwicklung in der Bevölkerung, die Auswirkungen der getätigten Maßnahmen und die Auswirkung der Lockdowns auf Wirtschaft, Pädagogik und Gesellschaft untersuchte. Gab es keine anderen Konzepte im Umgang mit der Pandemie?

Tägliche angstmachende Meldungen unterstützten die Tolerierung der politischen Linie. War angesichts der guten Erfahrung aus dem ersten Lockdown nicht der Versuch gerechtfertigt, auf Einsicht und Kooperationsbereitschaft zu vertrauen? Sind wir Deutschen so viel unvernünftiger als die Schweden? Brauchten wir unbedingt das Angstschüren laut der Regieanweisung aus dem Papier des Innenministeriums?

Das Konzept der Politik hatte die Bevölkerung gespalten. Unter dem Eindruck einer scheinbar allein durch Impfung abzuwendenden nationalen Gefährdungssituation erschienen Abwägungen, Differenzierungen, Alternativen und Kritik gemäß der politischen Sprachregelung und den Kommentaren der Mainstream-Medien fast als eine Art Hochverrat, zumindest als der „Querdenkerei“ verdächtig. Verschiedene Standpunkte gerieten schnell in unversöhnliche Gegnerschaft. Wer die allgemeine Angst in dieser Form nicht teilte, landete ungeprüft in Schubladen von Verharmlosung oder Pandemieverleugnung. Aufflammende Proteste stießen auf breites Unverständnis und verhärteten die konträren Standpunkte. Der Großteil der Bevölkerung versammelte sich aus Schutzbedürfnis angesichts der bedrohlichen Nachrichten hinter der Regierungslinie. Der Gemeinschaftsgeist, der die Bevölkerung beim ersten Lockdown noch einte, zerbrach. In den publizistischen Reflexionen der Konflikte entstanden zunehmend Schwarz-Weiß-Bilder. Diskreditierung ersetzte den echten Diskurs. Waren das nicht Entwicklungen, die man bisher nur aus undemokratischen Ländern kannte?