Angst zeigt Gesicht

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Die Tür war auf und beide gingen rein. Nur Augenblicke später hörte ich Christas Freund aufschreien: „Um Gottes willen! Nein, das darf nicht sein, bitte nicht.“ Nun war auch ich sicher, dass Christa tot war. Meine Neugier war, glaube ich, damals größer als meine Angst und ich öffnete unsere Tür und schlich mich auf leisen Sohlen in Christas Wohnung. Was ich dann sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Christa lag tot auf ihrem Sofa, zusammengekauert wie ein kleines Kind und fest umschlungen mit einem kleinen Teddybären im Arm. Wenn ich nicht sicher gewesen wäre, dass sie tot war, hätte ich gedacht, sie würde schlafen. Ich sah ein leeres Tablettenröhrchen auf dem Tisch, eine leere Rotweinflasche und ein Glas. Ich schluchzte auf, denn das war nun doch zu viel für mich.

Meine Mutter sah mich und brachte mich sofort zurück in unsere Wohnung. „Ich habe dir doch gesagt, du sollst hier bleiben, denn genau das wollte ich dir ersparen.“ „Aber warum hat sie das gemacht?“, fragte ich meine Mutter und konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. „Das wissen wir nicht“, sagte sie. „Ich muss wieder rüber, wir müssen die Polizei und den Notarzt verständigen.“ Christas Freund war nicht in der Lage, das zu tun, also nahm meine Mutter die Sache in die Hand. Das war nun schon das zweite Mal, dass ich einen toten Menschen gesehen hatte und ich fand es wieder ganz furchtbar.

Es dauerte nicht lange und die Polizei und der Arzt waren vor Ort. Sie mussten nun herausfinden, was passiert war. Meine Mutter, der Freund von Christa und Herr Meyer wurden befragt. Ich hörte, da ich im Treppenhaus lauschte, wie der Arzt sagte: „Sie ist schon länger tot, denn sie war schon ganz steif.“

Man legte Christa, so wie sie war, zusammengekrümmt und mit dem Teddy im Arm, in den Sarg. Schnell stand für den Arzt fest, dass es Selbstmord war. Als dann alle weg waren, kam meine Mutter endlich wieder rüber und hatte Christas Freund dabei. „Komm, setz Dich“, sagte sie, „trink einen Kaffee und rauch eine Zigarette und erzähl nochmal, was los war.“ „Ja, wie gesagt, ich hatte dieses Mal meinen Schlüssel vergessen und Christa öffnete nicht. Dann bin ich zurück nachhause und wollte heute Abend nochmal herkommen. Mein Gott.“, sagte er, „hätte ich doch bloß was geahnt, dann hätte ich meinen Schlüssel geholt und wäre zurückgekommen. Aber nun ist alles zu spät und ich mache mir die größten Vorwürfe.“

Nun weinte auch meine Mutter. Schnell stellte sich heraus, dass Christa gar nicht sterben wollte. Nein, so schlimm, wie es sich anhört, aber es war ein Versehen. Christa hatte nach dem Telefonat mit ihrem Freund Schlaftabletten in Rotwein aufgelöst und getrunken – wer konnte denn ahnen, dass es schief geht? Sie dachte ja, ihr Freund würde sich sofort auf den Weg machen, um sie dann zu retten.

Christa wollte ihn damit unter Druck setzen, damit er sie nicht verließ. Niemand ahnte, dass er seinen Schlüssel vergaß und die Tabletten mit dem Alkohol so schnell wirkten, dass Christa so fest einschlief und nichts mehr hörte. Ihr Plan ging nicht auf, sie starb im Schlaf und wir alle waren sehr traurig. Ich hatte lange Zeit daran zu knabbern, denn jedes Mal, wenn ich ins Treppenhaus kam, sah ich rüber zur Tür und mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Auch meine Mutter trauerte lange um Christa, denn sie hatten sich wirklich gut verstanden. Dann hatte uns der Alltag wieder und alles lief wie gewohnt.

Ein paar Monate später (Man mag es kaum glauben.), geschah wieder etwas ganz Schreckliches. Wir wohnten direkt an der Bahn und ich saß bei meiner Freundin im Erdgeschoss auf dem Balkon. Wir spielten und sahen immer wieder zu den Gleisen rüber, denn die Bahnstrecke wurde kontrolliert.

Viele Männer gingen in Abständen auf den Schienen entlang und klopften dagegen. Einer der Männer war zuständig, darauf zu achten, wenn ein Zug sich näherte, Alarm zu geben. Wir fanden es lustig, wenn er so laut trötete und alle Männer die Gleise verließen. Es sah aus, als würden Ameisen unkontrolliert durch die Gegend laufen. Nachdem der Zug dann vorbeigefahren war, schwirrten die Ameisen wieder aus, um zu arbeiten.

Das ging nun einige Male so, bis auf einmal Bremsen quietschten und lautes Geschrei zu hören war. Just in diesem Moment (Heute bin ich froh.), hatten wir nicht zu den Gleisen gesehen, sondern gespielt. Wir sprangen auf und alle, die im Haus wohnten und daheim waren, standen auf den Balkonen, um zu sehen, was wohl geschehen sei. Schnell bekamen wir mit, dass es einen Arbeiter erwischt hatte. Ja, er war vom Zug erfasst worden und zu Tode gekommen. Niemand konnte sich erklären, warum. Man ging einfach davon aus, dass er das Signal nicht gehört hatte, warum auch immer.

Wir Kinder machten uns natürlich sofort auf den Weg, um zu sehen, was los war. Wir machten uns keine Gedanken, dass es schrecklich sein müsste, was wir zu sehen bekamen. Mittlerweile war die Polizei vor Ort und auch ein Beerdigungsinstitut. Wir kamen an, um zu gucken und sahen gerade noch, wie man einen Teil des Körpers in den Sarg legte. Gott, das war so grausam und uns wurde speiübel. Die Polizei kam und jagte uns davon. Wir sollten nachhause laufen zu unseren Eltern und uns dort an der Bahn nicht mehr blicken lassen, das würde sonst Ärger geben. „Nee“, sagten wir, „wir kommen bestimmt nicht zurück“, denn das, was wir gesehen hatten, reichte uns total.

Da ich alleine zuhause war, ging ich wieder mit zu meiner Freundin, um nicht alleine zu sein, das wäre fatal für mich gewesen. Vor allem war die Mutter meiner Freundin zuhause, mit der wir über das Geschehene sprechen konnten, was uns allen sehr gut tat.

Am späten Nachmittag kamen meine Mutter und Sven nachhause und hörten von überall her, was geschehen war. Meine Mutter schimpfte mit mir, weil ich zum Unfallort hingegangen war, um zu gucken. Dieses Mal gab ich ihr sogar Recht, denn mir und allen anderen Kindern wäre Vieles erspart geblieben. Dann versuchten wir von diesem Thema abzulenken und redeten über schöne Dinge. Mein Vater war an diesem Abend nicht zuhause, da er Nachtschicht hatte. Er arbeitete in drei Schichten – Früh-, Spät- oder Nachtschicht. Wir drei saßen dann zusammen und aßen Abendbrot und erzählten uns, was in der Schule oder auf der Arbeit los war. Es war so schön, so zusammenzusitzen, in Ruhe, ohne Stress und Streit und wir lachten auch sehr viel.

In traurigen Zeiten hole ich mir alleine – oder auch mit Sven zusammen – solche schönen Erinnerungen zurück und wir können dann nicht verstehen, wie es oft so schrecklich sein konnte.

Es war, als lebten wir in verschiedenen Welten, mal mit unseren Eltern zusammen, mal mit fremden Menschen. Man kann es sich kaum vorstellen, wie gegensätzlich und hammerhart es sein konnte. Aber, wie gesagt, solche Abende genossen wir in vollen Zügen und sogen es regelrecht in uns auf.

Nach dem Abendessen sahen wir dann zusammen fern, bis es an der Haustür klingelte. „Nanu“, sagte meine Mutter, „wer kann denn das sein, es ist fast 20.00 Uhr?“ Sie ging hin und öffnete. Vor der Tür stand Franz, er lebte im Erdgeschoss bei seiner Oma. Er war 17 Jahre alt und geistig stark behindert. „Na, Franz, was willst du noch so spät hier?“ Da er auch noch stotterte, war es manchmal schwer, ihn zu verstehen. Sven und ich standen nun, neugierig geworden, hinter meiner Mutter, um zu sehen und zu hören, was Franz wollte.

Er hielt eine Plastiktüte in der Hand und wippte unruhig und nervös hin und her. „Ta Ta Ta Tante Pia“, stotterte er, „ich ich haahabe was für deinen Hund.“ „Ach“, sagte meine Mutter, „hat Oma Rosi wieder Wurstreste für uns? Das ist fein. Gib mal die Tüte her“, sagte sie und sah hinein. Ich habe noch nie zuvor so einen lauten und schrillen Schrei gehört, wie ihn meine Mutter beim Hineinsehen in die Tüte losließ. Sie wurde auf einen Schlag kalkweiß und einige Nachbarn kamen angerannt, so erschrocken waren sie. „Um Gottes willen, Pia, was ist passiert?“

„Du hirnloser Idiot“, schrie meine Mutter Franz an und schlug ihm die Tüte um die Ohren mit den Worten: „Verschwinde, du Blödmann und bring das weg, aber ganz schnell, sonst versohle ich dir den Arsch.“ Franz nahm verdattert die Tüte und rannte los.

Die Nachbarn und auch wir fragten, was denn los sei. Meine Mutter war völlig außer sich und konnte kaum sprechen, so hatte ich sie noch nie erlebt. „Der blöde Idiot wollte mir Knochen für den Hund bringen“, was er auch getan hatte – nur dass er zu den Bahngleisen gelaufen war und Reste des Menschen, der dort tödlich verunglückt war, eingesammelt hatte, um sie meiner Mutter zu bringen. So etwas Makaberes hatten wir bis dahin nicht erlebt und es war mit das Grausamste, was wir erlebten.

Zwei der Nachbarn kamen zu uns rein und wir kochten Kaffee und versuchten das, was eben geschehen war, zu verdauen. Meine Mutter zitterte wie Espenlaub. Nach einiger Zeit klingelte es wieder und meine Mutter sagte: „Wenn es der Bekloppte ist, trete ich ihn in den Arsch.“ Ich öffnete die Tür und im Treppenhaus stand Oma Rosi. „Darf ich reinkommen?“, fragte sie. „Ja, komm nur rein“, sagte meine Mutter. „Mein Gott“, sagte Oma Rosi, „Franz war bei mir und hat erzählt, was passiert ist. Ich habe deinen Schrei gehört, der sitzt mir noch in den Knochen. Es tut mir so leid, Pia, ich hätte besser auf ihn aufpassen müssen und vor allem hätte ich zuhören müssen.“

„Wieso?“, fragte meine Mutter. „Na, ja“, sagte Oma Rosi kleinlaut, „er hatte mir gesagt, dass er für den Hund von Tante Pia Knochen holen wollte. Ich wunderte mich nur kurz, denn wo sollte Franz Knochen herholen und vor allem um diese Uhrzeit? Ich hätte es wissen müssen, aber wer denkt schon daran, dass er so etwas tut?“ Aber durch seine geistige Behinderung musste man eigentlich mit allem rechnen. „Ja“, sagte meine Mutter, „wer denkt schon an so etwas? Aber Rosi, du musst besser auf Franz aufpassen, er hat ja schon so viele Dinge gemacht, die schlimm sind. Natürlich macht er das nicht mit Absicht, aber es nützt nichts, du musst was tun.“ „Ja“, sagten die Nachbarn, die bei uns waren, „du musst was tun, Rosi. Unsere Kinder haben Angst vor ihm, da er unberechenbar ist. In dem einen Moment lacht er und im nächsten wird er brutal und schlägt auf die Kinder ein.“ „Ich weiß“, sagte Oma Rosi, „ich werde etwas unternehmen, was für alle das Beste ist.“

 

Oma Rosi hatte sich an das Jugendamt gewandt und um Hilfe gebeten. Da die Tochter von Rosi sich nicht um ihren Sohn kümmerte, hatte Oma Rosi die Verantwortung übernommen. Aber nun war sie auch schon über siebzig Jahre alt und konnte dieser Verantwortung nicht mehr gerecht werden.

Eine Woche später war Franz dann auch in einem Heim für geistig Behinderte untergebracht worden. Wir hörten immer wieder durch Oma Rosi, dass es Franz gut ging und es ihm dort gefiel. „Er ist auch nicht mehr so aggressiv“, sagte sie voller Stolz, was wohl daran lag, dass er unter Menschen war, die so waren, wie er selber und da fühlte er sich verstanden. Für Oma Rosi war es eine große Erleichterung. Für uns fingen nach diesem schrecklichen Abend Nächte voller Albträume an, unter der sogar meine Mutter schwer zu leiden hatte. Man mag es kaum glauben, aber all diese Dinge sind so geschehen, wie sie hier zu lesen sind und niemand, der so etwas nicht selbst miterleben musste, kann nachvollziehen, wie man damit ein Leben lang schwanger geht. Damit meine ich, dass man ein Leben lang Lasten tragen muss, ob man will oder nicht. Aber man kann Hilfe bekommen und Linderung erfahren, wenn man will.

So vergingen wieder Monate und es ging in die von uns so geliebte Adventszeit. Meine Mutter machte immer Hausputz wie verrückt und ich musste immer helfen, was mir natürlich nicht so gut gefiel. „Annalena“, rief mich meine Mutter, „komm mal bitte her, du musst mir helfen.“ Sie hatte Fenster geputzt und Gardinen gewaschen, die sie nun aufhängen wollte und ich sollte sie halten. Meine Mutter legte sehr viel Wert auf Sauberkeit, immer und überall. Als das fertig war, sagte sie zu mir: „Morgen kommt ja nun auch Christopher nachhause, er hat seine Zeit abgesessen.“

Ich war gar nicht so begeistert, denn ich hatte Angst, dass nun alles wieder von vorne losging. Aber was konnte ich tun? Nichts, nur aushalten und durchhalten.

Dann war es soweit, meine Mutter hatte etwas Schönes gekocht und wir vier warteten nun darauf, dass Christopher kam. Da er zwei Stunden nach vereinbarter Zeit noch nicht da war, sagte meine Mutter wütend: „Wir essen jetzt. Soll er sehen, wo er bleibt.“ Mir schlich sich wieder Unwohlsein in die Magengegend und ich war innerlich nervös. Dass Christopher noch nicht da war, verhieß nichts Gutes.

Dann kam er, spät am Abend und vom Alkohol angeheitert. Er kam rein, aber statt freundlich zu sein, stürzte er sich wutentbrannt auf Sven, prügelte auf ihn ein und schrie ihn an: „Du Verrätersau bringst deinen eigenen Bruder in den Knast.“

Meine Eltern gingen dazwischen und zerrten Christopher weg und setzten ihn auf einen Stuhl. „Hör zu“, sagte mein Vater, „Du kannst nicht angetrunken herkommen und gleich losprügeln, so geht das nicht.“

Christopher war sauer und brüllte wieder herum: „Der hat mich aber verraten.“ „Nein“, sagten meine Eltern, „hat er nicht. Man hat euch auf frischer Tat erwischt, und weil du volljährig bist, hast du die volle Zeit absitzen müssen und jetzt gib Ruhe, sonst kannst du gleich wieder verschwinden.“ Christopher lenkte ein und freute sich dann doch noch, wieder zuhause zu sein und Mamas leckeres Essen zu verdrücken. Sven war immer noch sauer, das wusste ich, aber er ließ sich nichts anmerken.“

„Ab morgen“, sagte meine Mutter zu Christopher, „wirst Du Dir eine Arbeit suchen und auch Haushaltsgeld abgeben.“ Er war mit allem einverstanden. Tatsächlich machte er sich am nächsten Tag auf, um Arbeit zu suchen, die er dann auch fand, obwohl er vorbestraft war. Er hatte beim Chef aber gleich mit offenen Karten gespielt und das war wohl gut angekommen.

Es verlief in der nächsten Zeit alles ohne Zwischenfälle und auch ich hatte endlich meine Ruhe. Dann lernte Christopher ein Mädchen aus einem kleinen Ort kennen und verliebte sich in sie. Wir alle waren froh und hofften, dass er nun endlich auf dem richtigen Weg war. Er stellte uns seine Freundin vor, sie war auch wieder sehr hübsch, schlank und hatte lange blonde Haare. Ich mochte Ina sehr und freute mich immer, sie zu sehen.

In der ersten Zeit lief alles gut zwischen Ina und Christopher, bis er wieder in sein altes Muster verfiel, launisch wurde und anfing, Ina zu verprügeln. Es fing mit einer Ohrfeige an und hörte mit grober Körperverletzung auf. Eines Tages, kamen die beiden zu uns (Es war, glaube ich, ein Sonntag.) zum Kaffeetrinken. Christopher war mittlerweile ausgezogen und wohnte bei Ina und ihrer Mutter mit im Haus. Ina stand im Flur und betrachtete sich im Spiegel und puderte sich noch einmal ab. Ich stand neben ihr und wollte gerade etwas sagen, aber sie legte den Zeigefinger auf die Lippen und machte: „Pssst.“ Ich sagte nichts, war nur unendlich traurig, denn sie hatte ein Veilchen von der feinsten Art. Mit Puder und Make-up wollte sie es kaschieren, was aber nicht so richtig klappte. Ich wusste genau, was ich sah, sah auch der Rest der Familie, aber niemand sagte etwas und das machte mich noch trauriger.

Ich machte dann mit Ina einen kleinen Spaziergang und Ina erzählte mir, was passiert war. Sie hatte nur gesagt, sie hätte keine Lust, schon aufzustehen und Frühstück zu machen. Sie arbeitete auch voll und schlief am Wochenende gerne aus, Christopher eigentlich auch, aber er war nun wach und wollte, dass Ina auch aufstand. Als sie sich weigerte, bekam sie die Faust ins Gesicht mit den Worten: „Steh auf, du faule Sau oder ich trete dich aus dem Bett.“ Ina war total erschrocken, denn so hatte sie Christopher noch nicht erlebt, was sich aber von nun an ändern sollte.

Ich sagte: „Ina, geh weg von ihm, er tut dir nicht gut, du findest einen besseren.“ „Nein, Anna“, sagte sie zu mir, „das verstehst du noch nicht. Ich liebe ihn so sehr und er ist ja nicht immer so.“ „Na ja, du musst es wissen“, sagte ich zu ihr, „aber pass gut auf dich auf bitte.“ Sie versprach es mir.

Das Einzige, was mir an der Geschichte gefiel, war, dass Christopher nicht mehr zuhause wohnte. Meine Eltern ließen das Zimmer von Christopher so, wie er es verlassen hatte, mit einem Bett, einem Schrank, einem Tisch und einem Stuhl. Sie schliefen weiterhin im Wohnzimmer und Sven und ich teilten uns auch immer noch ein Zimmer.

Irgendwann hörte ich meine Eltern, wie sie vom Ruhrgebiet sprachen. Ich fragte: „Was ist im Ruhrgebiet?“ „Na“, sagte meine Mutter, „da wohnen zwei Kusinen deines Vaters, Tante und Onkel.“ Das wussten wir bis zu dem Tag nicht. Meine Eltern hatten beschlossen, dorthin zu fahren, damit wir die Familien auch kennen lernten. Mein Vater hatte sie ja über viele Jahre nicht gesehen.

Dann fuhren wir für ein Wochenende hin und ich fand es ganz spannend, da es dort auch zwei Mädchen gab, die so alt waren wie ich. Die Tante meines Vaters saß im Rollstuhl. Sie hatte ganz schweres Rheuma und ihre Hände waren völlig verkrüppelt. Ihr Mann sah ekelhaft aus, mit einer Brille, die so dicke Gläser hatte wie eine Lupe und er hatte nur noch einen Zahn im Mund. Aber er schien ganz nett zu sein, was sich aber als nicht ganz richtig herausstellte. Er behandelte seine schwerkranke Frau wie Dreck und sie konnte sich nicht dagegen wehren. Zum anderen war er auch Alkoholiker, was mir gar nicht gefiel. Aber alles in allem waren die Familien nett, vor allem eine der Töchter und ich verstanden uns auf Anhieb. Sie war die Tochter der jüngeren Kusine meines Vaters und hieß Doris. Wir waren gleich alt und hatten die gleichen Interessen. Das Wochenende war für meinen Geschmack viel zu schnell vorbei, aber wir würden wieder hinfahren und darauf freute ich mich schon sehr.

Als wir Ferien hatten, durfte Doris zu uns kommen. Sie blieb zwei Wochen und für mich war sie wie eine Schwester, die mir immer ein wenig gefehlt hatte. Wir konnten über alles reden (Natürlich nicht über die Geschehnisse in meiner Familie.) – über Jungs und was man in dem Alter halt so bespricht. Wir hatten viel Spaß zusammen, fuhren zusammen ins Freibad und spielten mit meinen Freunden. Ich war rundum glücklich, denn in unserer Familie war Ruhe und Harmonie. Doris fühlte sich auch sehr wohl bei uns. Man kann es kaum glauben, vielleicht habe ich es auch schon mal erwähnt, aber ohne Alkohol waren wir einfach eine tolle Familie.

Nun waren die zwei Wochen um und Doris musste wieder nachhause. Wir versprachen uns gegenseitig, Briefe zu schreiben und weiterhin alles zu erzählen. Der Abschied war für mich sehr traurig, denn nun war ich wieder alleine. Ich hatte meine Freunde, aber wie gesagt, Doris war wie eine Schwester und auch mit mir verwandt.

Einige Monate später bekamen wir einen Anruf aus dem Ruhrpott (Wir hatten mittlerweile Telefon.), der Onkel meines Vaters rief an und sagte, dass seine Frau gestorben sei. Das war für mich nicht so schlimm, denn ich kannte sie kaum und sie war schon sehr alt und auch sehr krank. Aber wir würden zur Beerdigung fahren und ich freute mich (so blöde es klingt), Doris wieder zu sehen.

Meine Eltern hatten sich Urlaub genommen und ich wurde der Schule einfach ferngehalten. Das gefiel mir gar nicht, zum Ersten ging ich sehr gerne zur Schule und zum Zweiten, was sollte ich meinem Lehrer erzählen? Ich hatte jetzt schon Angst und schämte mich, aber meine Mutter meinte: „Zerbrich dir nicht meinen Kopf“, Thema erledigt. „Also gut“, dachte ich, „was soll ich machen“, ich musste mich fügen.

Von der Beerdigung bekamen wir Kinder zum Glück nicht viel mit. Als die Erwachsenen danach zusammensaßen, aßen wir was und waren dann auch schon weg, raus zum Spielen. Das war für uns ganz angenehm. Ich schlief bei Doris und das gefiel uns beiden natürlich sehr, denn auch ihre Mutter war sehr nett.

Nach einigen Tagen bekam ich dann zu hören, dass meine Eltern den Onkel meines Vaters (er hieß Hans) bei sich aufnehmen wollten. „Oh Gott“, dachte ich nur, „was sollen wir mit dem alten Mann, der ständig besoffen ist?“ Aber ich hatte ja nichts zu entscheiden.

Nach ca. zwei Wochen fuhren wir dann nachhause und nahmen den Onkel gleich mit. Zuhause angekommen, guckte Sven ganz schön blöd, als er den Onkel sah und hörte, dass er bei uns wohnen sollte.

Onkel Hans war gelernter Schuhmacher und ich dachte nur: „Das ist ganz praktisch“, da meine Schuhe ständig kaputt gingen. Sven und ich freundeten uns mit ihm an, er schien ganz nett zu sein und reparierte, bevor meine Mutter etwas mitbekam, meine Schuhe. Das ersparte mir die Schimpferei mit ihr. Er trank auch nicht so viel. Meine Mutter teilte ihm die Mengen Alkohol ein, sodass er körperlich bekam, was er brauchte und war nicht ständig vollgesoffen und somit ganz erträglich. Er fühlte sich auch sehr wohl bei uns, das merkte man ihm an und er sagte es oft und so waren alle zufrieden.

Ich saß oft auf seinem Schoß, hatte keine Bedenken, denn meine Eltern waren ja dabei und er war ja ein alter, friedlicher Mann, dachte ich. Alt war er, aber unberechenbar und kräftig.

Christopher und Ina kamen oft zu Besuch und oft sah man ihr im Gesicht und auch an anderen Körperstellen seine Wutausbrüche an. Sie versuchte nach wie vor alles zu verbergen, aber ich sah alles, da ich mir angewöhnt hatte, jeden und alles genau zu beobachten. Aber ihre Liebe zu Christopher war so groß, dass sie bei ihm blieb und alles ertrug. Gut zwei Monate später, nach dem letzten Besuch von Ina und Christopher, kamen sie wieder zu Besuch. Dieses Mal hatte sie kein Veilchen und auch keine anderen Blessuren – im Gegenteil, sie sah frisch aus und beide waren sehr gut gelaunt und lachten viel.

Als wir alle zusammen am Kaffeetisch saßen, sah Christopher Ina an und fragte: „Willst du oder soll ich?“ „Nein, mach du“, sagte sie, „das ist o.k..“ „Na, was gibt es denn?“, fragte meine Mutter. „Na ja“, sagte Christopher, „Ina und ich wollen heiraten.“

Wir freuten uns alle sehr, denn die Hoffnung, dass Christopher jetzt auf dem rechten Weg war, war ein sehr schönes Gefühl, und dass Ina so glücklich aussah, zeigte uns, dass sie das Richtige taten. „Aber es gibt da noch eine Neuigkeit“, sagte Christopher. „Die da wäre?“, fragte meine Mutter. „Wir bekommen ein Baby. Ina ist schwanger im dritten Monat.“ Ich fand es toll, denn nun wurde ich Tante und das war für mich sehr aufregend.

So planten wir dann alle gemeinsam die Hochzeit der beiden, das heißt, geplant war schon alles, wir mussten nur mit allem einverstanden sein.

 

Sie wollten nur standesamtlich heiraten und bei Ina zuhause feiern, denn ihre Mutter hatte ein eigenes Haus und genug Platz. So wurde es auch gemacht. Ina und Christopher wohnten auch noch dort, hatten aber schon eine Zusage für eine eigene Wohnung, in die sie nach der Hochzeit einziehen wollten.

Dann kam der Tag der Hochzeit und alles verlief sehr gut und war sehr schön. Was mir sehr gut gefiel, war, dass es an diesem Tag keinen Alkohol gab und niemand regte sich darüber auf. War ich glücklich – endlich eine schöne Feier, ohne Suff und Schlägerei.

Es gab leckeres Mittagessen, Kaffee und Kuchen und Abendbrot. Es war für mich perfekt. Am späten Abend fuhren wir dann heim und ich war unendlich glücklich. Ina und Christopher wollten am nächsten Tag in ihre neue Wohnung ziehen. Freunde und Familie hatten geholfen, zu renovieren und einzurichten, so konnten sie dann in eine komplett fertige Wohnung rein. Das war auch für Ina sehr schön, denn sie war nun hochschwanger und hatte einen ziemlich dicken Bauch und konnte sich nicht mehr gut bewegen.

Dann sahen wir sie erst wieder, als Ina im Krankenhaus war und entbunden hatte. Mann, war das aufregend. Wir fuhren hin, meine Eltern, Sven und ich. Im Flur trafen wir Christopher, der schon auf uns wartete und nervös war. Damals durfte der Mann noch nicht mit in den Kreißsaal, um bei der Geburt dabei zu sein. Das war für Christopher kein Problem, er sagte: „Ich würde mir so etwas Ekelhaftes niemals ansehen und ich könnte niemals wieder mit meiner Frau fi…n (intim werden).“ Ich verstand das nicht, war aber so typisch, dachte ich.

Endlich kam eine Schwester heraus und fragte, wer der Vater sei. “Ich“, sagte Christopher. „Na, dann gratuliere ich ganz herzlich, Sie haben einen Sohn und er ist kerngesund und auch Ihre Frau ist wohlauf.“ Wir waren alle sehr glücklich, denn was sollte jetzt noch passieren?

Christopher war verheiratet und Vater, also würde er sicher so bleiben, wie er die letzten Monate war. Aber bekanntlich heißt es ja, irren ist menschlich. Nachdem wir unseren kleinen Jan sehen durften und auch Ina, waren wir sehr zufrieden und glücklich. Wem er ähnelte, konnte ich gar nicht so sagen, ich fand ihn einfach nur zum Anbeißen süß.

Ina versprach mir, wenn ein paar Wochen ins Land gegangen waren, sollte ich sie für ein paar Tage oder ein Wochenende besuchen. Darauf freute ich mich schon sehr. Wir machten uns auf den Heimweg und redeten dabei viel über Jan, wie süß er war, wem er ähnelte und so weiter. Zuhause angekommen, wartete Onkel Hans und hatte sogar Kaffee gekocht. Wir staunten nicht schlecht, denn er war auch ziemlich nüchtern, obwohl er ja einige Zeit alleine zuhause war.

Dann ging der alte Trott weiter, Arbeit und Schule. Ich hatte noch zwei Wochen, dann waren Ferien, worauf ich mich schon sehr freute. Ich wollte mit meinen Freunden schwimmen, spielen und Radtouren machen, das hatten wir alles schon geplant und wir freuten uns schon alle sehr.

Von meinen Freunden würde keiner in den Urlaub fahren und meine Eltern konnten nur ein paar Tage nach Dänemark zu meinen Großeltern. Da der Sommer sehr schön war, würde es uns auch nicht langweilig werden, denn wir hatten immer Ideen, was wir tun konnten. Endlich kam der letzte Schultag, es war ein tolles Gefühl, lange zu schlafen und einfach in den Tag hineinzuleben.

Onkel Hans spielte sogar einige Male Karten mit mir und meiner Freundin, das war auch immer ganz lustig. Es war ja nun schon einige Zeit vergangen und zuhause war immer noch alles friedlich. Meine Eltern hatten sogar mal Alkohol zu sich genommen, aber nur wenig und es gab auch keinen Streit. Wir staunten nicht schlecht und wünschten, es würde so bleiben. Aber die Angst saß uns immer im Nacken.

Der Sommer ging wie immer viel zu schnell vorbei und alles ging von vorne los. Dann wurde es Herbst und es stürmte und regnete wie toll, was uns Kinder nicht abhielt, draußen herumzutollen. Dann war endlich die Zeit gekommen, wo ich Ina, Jan und Christopher über das Wochenende besuchen durfte und ich war schon sehr aufgeregt, denn wir hatten uns längere Zeit nicht gesehen (warum auch immer), nur telefoniert. Ich fand es komisch, aber es hieß immer, zu viel Arbeit und so.

Dann war es endlich Freitag, ich packte meine Tasche und fuhr am Nachmittag los. Als ich ankam und klingelte, hörte ich Jan schon schreien, er hatte Hunger und sollte nun sein Essen bekommen. Ina öffnete mir die Tür und ich erschrak furchtbar, denn Ina sah sehr schlecht aus, war blass und dünn geworden. „Hallo Annalena“, begrüßte sie mich wie immer herzlich und umarmte mich. „Komm gleich ins Wohnzimmer, ich will Jan füttern, er hat Hunger.“

„Ja“, sagte ich, „ich habe ihn schon im Treppenhaus schreien gehört.“ Er strahlte mich an und ich nahm ihn auf den Arm und küsste ihn. Dann bekam er sein Essen und war zufrieden. Ich hatte Ina in der Zeit, als sie Jan fütterte, ganz genau beobachtet und stellte fest, dass sie einige Merkmale hatte, die zwar schon verblassten, an denen man aber noch genau erkennen konnte, dass sie geschlagen worden war und nicht zu wenig.

Ich wartete, bis sie Jan ins Bettchen legte, damit er schlafen konnte. Als sie wieder ins Wohnzimmer kam, sprach ich sie sofort darauf an. „Ina, was ist hier los, was passiert hier?“ „Ach, nichts weiter.“ „Nichts weiter“, sagte ich laut. „Das kann doch nicht sein, Ina! Sieh dich an, du bist blass, dünn und hast noch Blutergüsse überall. Und wo ist dein Ehemann? Hier stimmt doch was nicht.“ Da fing sie zu weinen an und erzählte mir die ganze Geschichte.

Christopher hatte neue Freunde gefunden, aber Freunde, die er besser nicht kennen gelernt hätte. Sie nahmen Drogen, tranken Alkohol, prügelten sich in der Gegend herum, statt zu arbeiten und sich um die Dinge zu kümmern, die wichtig waren, nämlich Familie und Arbeit.

Ina erzählte dann alles und weinte wie verrückt. Es hatte schon kurz nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus angefangen. Christopher war total genervt von seinem Sohn, konnte es nicht ertragen, wenn er schrie und hatte auch keine Lust, sechs Wochen zu warten, um mit seiner Frau schlafen zu können. Er sah darin keinen Sinn. Wenn Jan nachts weinte, schrie Christopher Ina an: „Bring das Balg zur Ruhe oder ich klatsche es an die Wand.“ Ina war sofort hoch und versuchte Jan zu beruhigen, was aber nicht immer klappte, das war dann wiederum der Auslöser für Christopher, auf Ina loszugehen und sie zu verprügeln, weil das Kind noch schrie.

Er schlug ihr überall hin, mit der Faust in den Unterleib, ins Gesicht und riss ihr büschelweise Haare aus, weil er sie an den Haaren über den Fußboden zerrte. Ich war entsetzt und weinte mit ihr, denn sie tat mir so unendlich leid. „Aber bitte sage ihm nichts, sonst verprügelt er mich noch mehr.“ Ich versprach ihr, dass ich meinen Mund halten würde, obwohl ich ihn am liebsten umgebracht hätte. Ich fragte sie dann, wann er denn heimkommen würde und ob wir sicher wären. Sie konnte mir keine Zeit nennen, meinte aber, da ich nun da sei, wären wir sicher. „Mein Gott“, sagte ich, „hat er nicht genug gesehen und gelitten, wenn unser Vater das mit unserer Mutter machte?“ Zu seinem Jähzorn kamen ja noch Drogen und Alkohol, damit war das Dilemma perfekt.

Wir saßen noch lange im Wohnzimmer, bis wir plötzlich beide zusammenzuckten. Christopher hatte gerade die Tür aufgeschlossen und wir sahen uns an und dachten beide das Gleiche – wie kommt er rein, mit welcher Laune und ist er nüchtern?

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