Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule

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2.3.3 Merkmale: Das Storyline-Klassenzimmer

Wer zum ersten Mal ein Klassenzimmer betritt, in dem gerade ein Storyline-Projekt durchgeführt wird, ist vermutlich – wie ich bei Schulbesuchen in Schottland, Dänemark oder Island – überrascht, dass in üblicherweise funktionell gestalteten Schulräumen so viel Kreativität, Lerneifer und Lebendigkeit entstehen können. Eine Storyline-Lernwerkstatt unterscheidet sich dabei vom herkömmlichen Klassenzimmer durch einige wesentliche Dinge: Collagen, Wandfries, Poster mit sprachlichen Hilfen (wordbanks), Medien bzw. Arbeitsmaterialien, Arbeitsformen und Sitzordnung.

2.3.3.1 Collagen und Figuren

Jedes Märchen, jeder Roman und jede beliebige Geschichte beginnt in der Regel mit der Einführung und Charakterisierung der beteiligten Hauptfigur(en) und der groben Skizzierung des situativen Kontexts. Diese Konvention wird auch bei Storyline-Projekten berücksichtigt: Gleich zu Beginn der story werden ganz im Sinne des ganzheitlichen und handlungsorientierten Lernens die jeweiligen Charaktere sowie die räumlich-zeitliche Umgebung (setting) in Form von zwei- oder dreidimensionalen Collagen und Gebilden konkret hergestellt. Je nach Art der Geschichte handelt es sich hierbei um eine einzelne Figur (z.B. eine Fee), um wenige Personen (z.B. eine Flüchtlingsfamilie) oder um eine Vielzahl von unterschiedlichen Charakteren (z.B. eine Reisegruppe), die von den Schülerinnen und Schülern mit verschiedenen Materialien wie Papier, Stoff, Wolle, Watte usw. gebastelt werden. Beispielhafte Vorgaben (im Sinne von modelling)1 – wie Hinweise auf Größenverhältnisse – sind insofern hilfreich, als ein Hund nicht größer als ein Pferd sein sollte.

Hinsichtlich der Darstellungstechniken sind keine Grenzen gesetzt, allerdings sind altersgemäße Fähigkeiten, Fertigkeiten und Vorlieben in der Planung zu berücksichtigen. Bei älteren Lernenden können auch Marionetten, Stabpuppen und/oder abstrakte Gestalten angefertigt werden. Eine weitere Variante für ältere Schülerinnen und Schüler besteht darin, keine konkreten Figuren zu basteln, sondern diese in Form von diversen Unterlagen, und zwar möglichst mit Foto oder Zeichnung, dar- bzw. vorzustellen: Schülerausweis, Reisepass, Lebenslauf, Bewerbungsschreiben, Personalakte usw. Wichtig ist, dass die Figuren möglichst flexibel an der Wand befestigt werden, so dass sie auch für Rollenspiele verwendet werden können. Diese selbst gemachten Collagefiguren fördern das multisensorische Lernen, dienen als Visualisierungshilfe und bieten als konkrete Handlungsobjekte vielerlei Anlässe zur mitteilungsbezogenen und realitätsnahen Kommunikation. Des Weiteren können durch die Objekte auch solche Informationen vermittelt werden, die von den Lernenden (noch) nicht in der Fremdsprache formuliert werden können.

Vor oder nach dem Herstellen der Figuren wird – abhängig vom Verlauf der jeweiligen Geschichte – die räumliche Umgebung konkretisiert und visuell dargestellt. Je nach setting kann es sich hierbei um ein Haus handeln, dessen Räume von den einzelnen Gruppen individuell ausgestaltet werden, oder um ein mittelalterliches Schloss, einen Straßenzug mit mehreren Gebäuden, eine afrikanische Oase, eine tropische Insel, eine Höhle, ein Zirkusareal, eine Mondlandschaft oder auch das Innenleben eines Schiffes bzw. eines Notarztwagens.

Nach und nach erhalten die erstellten Figuren Namen, Biographien und individuelle Persönlichkeitsmerkmale, also eine unverwechselbare Identität. Sie treten (je nach Geschichte) in Freundschafts-, Nachbarschafts- oder Verwandtschaftsbeziehungen zueinander, so dass sich verschiedene Rollen weiterentwickeln können. Es werden fiktive Telefonate geführt, Briefe ausgetauscht, Besuche vereinbart oder gemeinsame Unternehmungen geplant; viele Einzelheiten entstehen auch spontan aus der Situation heraus. Erfahrungsgemäß identifizieren sich die Schülerinnen und Schüler im Laufe der Zeit immer mehr mit ihren Lernprodukten, auch wenn (oder vielleicht auch gerade weil) die Figur von den Charakterzügen der eigenen Person abweicht. Das ownership principle veranlasst die Lernenden, kreativ, engagiert und eigenverantwortlich zu arbeiten. Im Rahmen der beschriebenen Arbeitsprozesse werden zudem ganz unterschiedliche Intelligenzen (vgl. Gardner 1994; 2002; 2007) angesprochen und gefördert.

Während die Schülerinnen und Schüler ihre Figuren und Landschaften basteln, recherchieren sie auch gleichzeitig, ob ihre Konstrukte und Ideen stimmig sind: Wie kleideten sich mittelalterliche Mägde und Knechte? Wie kleiden sich Maoris oder Beduinen? Wichtig ist dabei stets auch die Frage nach den Gründen für ein spezifisches Bekleidungsverhalten. Im zuletzt genannten Fall studieren die Lernenden möglicherweise Sachbücher oder konsultieren Klimatabellen, um eine adäquate Antwort zu finden und ihre Figur angemessen einzukleiden. Frame (2001) resümiert am Beispiel einer Storyline zum Thema „Rettungsdienste“:

When the children take on the roles of the members of the rescue service they simulate what these rescuers are like, what they wear and what they use. They experiment with the oral and literacy practices of a certain community of people. In other words they inhabit the context by looking, acting, feeling and thinking like members of the rescue service (Ebd., 47).

Das Hineinschlüpfen in diverse Rollen gibt den Lernenden die Möglichkeit und vor allem auch den Anlass, alle nachfolgenden Aktivitäten reflektiert und relativ wirklichkeitsnah durchzuführen und zu erleben, da im Schutz der Geschichte für jede (Sprach-)Handlung ein authentischer Grund besteht. Die gebastelten Figuren stellen somit in vielerlei Hinsicht einen wichtigen Katalysator dar. Harkness (2007) beschreibt deren Rolle als “the human element“ (Ebd., 20) und hebt hervor, dass sich der Storyline-Ansatz gerade dadurch stark von anderen projektähnlichen Arbeitsweisen abhebt und mit Hilfe der “paper people“ (Bell 2007, 29) auch problematische Themen wie familiäre Zwistigkeiten, Armut, Krankheit, Rassismus usw. aufgegriffen werden können. McNaughton (2007) geht noch einen Schritt weiter, wenn sie das Potenzial von Rollenspielen und drama activities erläutert: “Instead of merely imagining the events in the peoples’ [sic] lives, drama allows the children to play them out – the children can try out ‘being’ the people from the Storyline frieze. It is as if the characters step down from the picture and are embodied in the children who are then, for a time, able to be inside the story“ (Ebd., 150). Die erstellten Figuren unterstützen diesen Prozess der Veränderung und sind somit unverzichtbare Elemente in Storyline-Projekten. Es stellt sich allerdings die Frage, ob auch ältere Fremdsprachenlernende aufgeschlossen für die Rollenübernahme und intensive Bastelarbeit sind. Dies sollen meine Fallstudien in Teil B überprüfen.

2.3.3.2 Wandfries

Charakteristisch für den Storyline Approach sind die nach jeder längeren Arbeitsphase regelmäßig stattfindenden Präsentationen, in denen die Lernenden ihre vielfältigen Arbeitsergebnisse der Klasse mündlich und/oder schriftlich vorstellen, und bei denen sich mitunter auch spontane Gespräche oder Rollenspiele über mögliche Nebenhandlungen ergeben. Zur Veranschaulichung der diversen Lernprozesse sowie zur Dokumentation der inhaltlichen Entwicklung der Geschichte werden sämtliche Lernprodukte (z.B. Figuren, Skizzen, Landkarten, Briefe, Rezepte, Gedichte oder Interviews) während der gesamten Dauer eines Storyline-Projekts an den Wänden des Klassenzimmers ausgestellt. Auf diese Weise entsteht ein so genannter Wandfries, der je nach Größe und Beschaffenheit der freien Flächen mehr oder weniger detailliert ausgestaltet werden kann und – im Sinne einer Bühne – als Handlungsfeld dient, wo der gesamte Verlauf der Geschichte schrittweise und für alle nachvollziehbar visualisiert wird.

Im Laufe der Zeit nimmt der Fries immer mehr Gestalt an: sein Umfang vergrößert sich und seine Komplexität verdichtet sich sukzessiv. Aus inhaltlichen bzw. dramaturgischen Gründen verändert er immer wieder sein Aussehen, so dass er nie als endgültiges Ergebnis, sondern als prozessorientierte Schaufläche zu verstehen ist. Manche Objekte wie dreidimensionale Stadtmodelle oder Landschaften können auf Tischen vor dem eigentlichen Fries aufgebaut werden, so dass dieser zusätzlich als Kulisse dient.

Durch mobile Stellwände kann das Klassenzimmer sogar in verschiedene Bühnen aufgeteilt werden. Bei Platzproblemen genügt es mitunter, wenn nur ein paar Texte ausgestellt und die anderen in einem DIN A4-Umschlag aufbewahrt und am Fries befestigt werden, so dass die Lernenden jederzeit Zugang und Zugriff zu allen Lernprodukten haben. Sollten im Klassenzimmer nur sehr kleine Ausstellungsflächen zur Verfügung stehen, dann können bestimmte Schriftstücke auch in Mappen (Portfolios) gesammelt werden, welche die Lernenden mit sich führen. Alternativ kann ein Storyline-Projekt (oder Teile davon) auch am Computer realisiert werden, wie das in Skandinavien gelegentlich geschieht (vgl. Blair 2016; Lundin 2007). Dabei können die Schülerinnen und Schüler auch medienspezifische Kompetenzen erwerben oder verfeinern: Textverarbeitung, die Handhabung von Zeichen- und Bildbearbeitungsprogrammen sowie die Nutzung von Online-Diensten. Trotzdem hat der Wandfries als wichtigstes Medium in der Storyline-Lernwerkstatt mehrere nicht zu unterschätzende Funktionen:

 “It is in the first place the bridge between abstract thinking and the real world“ (Letschert 1997, 18), also zwischen Erfahrungswissen und abstraktem Denken.

 

 Der Fries „erzählt“ die fortlaufende Geschichte; er zeigt den Lernenden ganz konkret, an welcher Stelle der Geschichte sie sich gerade befinden und erleichtert ihnen somit immer wieder den Einstieg in das Thema.

 Der Fries und dessen prozessorientierte Ausgestaltung fördert das multisensorische Lernen und spricht verschiedene Intelligenzen (vgl. Gardner 1994; 2002; 2007) im Sinne eines ganzheitlichen Lernens an.

 Über die Sprache hinaus ermöglicht er die Darstellung von vielfältigen und außergewöhnlichen Details. Das bildliche Symbolsystem (Weidenmann 1994) wird dabei ergänzend zum sprachlichen System als unterstützendes Kommunikationsmittel integriert.

 Der Fries hat starken Aufforderungscharakter, denn die ausgestellten Handlungsobjekte bieten zahlreiche Anlässe für zielgerichtete Interaktionen und authentische, inhaltsorientierte Kommunikation (z.B. “Why are there no lions in your circus?“ usw.).

 Er dient als Aufhänger und ansprechende Kulisse für themenspezifische Rollenspiele.

 Er dokumentiert und veranschaulicht den Lernenden, was sie bereits gelernt haben und unterstützt sie bei der Strukturierung ihres Wissens: “Consider how well the narrative and the artifacts from the Storyline displayed on the classroom wall help children to remember every detail of what they have learned“ (Frame 2001, 49).

 Der Wandfries bietet zudem Vergleichsmöglichkeiten und unterstützt somit Bewusstmachungsprozesse über die unterschiedlichen Lernstile, Lernwege, Lösungsvarianten und Darstellungstechniken der heterogenen Lerngruppe.

 Der Fries ist immer ein Gemeinschaftsprodukt, wodurch das Gemeinschaftsgefühl gefördert und die Identifikation mit dem Lerngegenstand verstärkt wird (ownership principle).

 Des Weiteren bietet er die Möglichkeit, alle Unterrichtsprodukte längerfristig klassenöffentlich zu präsentieren (classroom museum) und entsprechend zu würdigen, was die Lern- und Leistungsbereitschaft erhöht.

 Außerdem trägt der Fries nicht unerheblich dazu bei, die Lernatmosphäre zu verbessern und das Klassenzimmer optisch anregend zu gestalten.

So weit die Theorie. Wie aber (gerade ältere) Fremdsprachenlernende den Fries tatsächlich nutzen und bewerten, soll durch meine Fallstudien untersucht werden (vgl. Teil B).

2.3.3.3 Wordbanks

Neben der rein inhaltlichen Darstellung, Ausgestaltung und Dokumentation einer Geschichte in Form von Collagen, Figuren und Texten hat der Fries auch noch eine weitere, vornehmlich sprachbezogene Funktion, denn besonders im Fremdsprachenunterricht sind die Lernenden auf Unterstützung in Form von Redemitteln angewiesen und es kann nicht angenommen werden, dass sie das jeweils benötigte deklarative und prozedurale Sprachwissen immer zur Verfügung haben. Dies wird mit Hilfe so genannter wordbanks realisiert: Themenrelevante Vokabeln, Wortfelder und Redewendungen werden bei Bedarf von der Klasse gemeinsam auf Postern in Form von Listen, mind maps, clusters oder Collagen gesammelt, gruppiert und für die Dauer des Projekts am Fries befestigt. Auf diesem Weg werden bekannte Wörter im Kontext wiederholt und gefestigt, wohingegen neue Redemittel mit Hilfe von Wörterbüchern und Bildlexika in sinnstiftenden Zusammenhängen eingeführt und in Bekanntes integriert werden.

Abb. 3:

Wordbank aus dem Storyline-Projekt Circus, Klasse 6 (Kocher 1996a)

Wordbanks werden seit jeher auch im muttersprachlichen Grundschulunterricht verwendet, um die sprachliche Kompetenz der Lernenden durch gezielte Wortschatzarbeit zu fördern.1 Entsprechend können neben spezifischen Wortfeldern und Wortfamilien auch Listen mit Synonymen (Thesaurus) zusammengestellt werden. Davon abgesehen bietet es sich gerade für den bilingualen Unterricht an, themenspezifische Fachbegriffe als wordbanks zu sammeln: z.B. Instrumente (Musik), Oasentypen (Geographie) oder Fortbewegungsarten (Sport).

Der Begriff wordbank ist in Analogie zum Bankwesen zu verstehen: auf einer Bank kann man Geld einzahlen oder abheben. Im Storyline-Klassenzimmer können Schülerinnen und Schüler themenrelevante Wörter in den Pool eingeben und im Verlauf des Projekts sukzessiv ergänzen bzw. die benötigten Begriffe bei Bedarf wieder abrufen. Dies bewirkt, dass ein bestimmter Bestand an themenspezifischen Vokabeln und Redewendungen klassenöffentlich bekannt gemacht und als solcher vorausgesetzt werden kann. Eine wordbank kann auch zur Vertiefung, Strukturierung und Ergänzung von teilweise bereits bekannten Sprachmitteln erstellt werden und somit das jeweils individuell vorhandene mentale Lexikon neu ordnen.

Auf Grund der Tatsache, dass die gesammelten Begriffe dauerhaft im Klassenzimmer präsentiert und in strukturierten thematischen Sinneinheiten visualisiert werden, haben wordbanks ferner die Funktion, das Einprägen und Anwenden des konkret benötigten Sprachmaterials zu unterstützen. Die kontextualisierten und möglichst mit Illustrationen versehenen wordbanks tragen somit auch zur Förderung des vernetzten Denkens bei. Letztendlich kommt den Lernenden das Aufhängen der diversen Redemittel am Fries auch insofern zugute, als diese nicht ständig ihr Wörterbuch zücken müssen, sondern ihre Beiträge arbeitsökonomisch anfertigen und ein ungeläufiges Wort (z.B. während der Präsentationen) auf einen Blick und ohne Unterbrechung zuordnen können. Die wordbanks fungieren somit auch als themenspezifisches Präsenzlexikon. Darüber hinaus können auch einfache, von den Lernenden formulierte grammatische Regeln gesammelt werden. Denkbar wären auch Strukturhilfen für eine Begegnung (z.B. Begrüßung, small talk, Diskussion, Verabschiedung) oder Satzanfänge und Redewendungen für bestimmte Textformen (z.B. Tagebucheintrag, Brief, Kleinanzeige, Lebenslauf, Interview usw.). Die aufgeführten Hilfen unterstützen das eigenverantwortliche Lernen und Arbeiten und können sich meines Erachtens auch positiv auf den Erwerb fremdsprachlicher Kompetenzen auswirken. Ob diese These zutrifft, soll in Teil B überprüft werden.

2.3.3.4 Medien und Arbeitsmittel

Während Medien in unserer Gesellschaft als dominante Steuerungs- und Orientierungsinstanzen in vielen Bereichen eine Schlüsselrolle einnehmen und wir tagtäglich auf vielfältige Art und Weise mit ihnen konfrontiert werden, fristen sie dagegen im schulischen Kontext noch immer eher ein Schattendasein, obwohl man ihnen vielerlei Funktionen, die das Lernen erleichtern sollen, zuschreibt. Selbst wenn der Begriff „Medienkompetenz“ seit einiger Zeit in den Schulen thematisiert und in den neueren Bildungsplänen1 sogar ausdrücklich als Lernziel aufgeführt wird, werden Medien jedoch meist noch immer sehr eingeschränkt und einseitig eingesetzt und wenn, dann vorrangig von Seiten der Lehrkräfte ausgewählt und präsentiert. Auffallend ist dabei auch, dass die Begriffe „Medienerziehung“ bzw. „Medienkompetenz“ meist in Verbindung mit einer technisch bzw. technologisch orientierten Computernutzung verwendet werden, wohingegen Aspekte der Medienpsychologie oder des Medienrechts weitgehend unberücksichtigt bleiben.

Trotz aller Forderungen nach einer profunden, kritischen und fächerübergreifenden Medienerziehung (vgl. Kapitel 1.6.2.1) und trotz mittlerweile reichhaltiger Medienangebote und vielseitiger Bezugsquellen werden im alltäglichen Fremdsprachenunterricht auch heute noch fast ausschließlich Lehrwerk, Heft und Tafel eingesetzt, wohingegen authentische oder gar von Lernenden mitgebrachte Materialien oftmals nur wenig berücksichtigt werden. Das Schulbuch gilt auch im so genannten Medienzeitalter vielerorts noch immer als unbestrittenes und konkurrenzloses Leitmedium.

Die traditionelle Form der Lehrbucharbeit, die wenig Freiraum für eine aktive Beteiligung der Schülerinnen und Schüler an der Gestaltung der Lernsituationen zulässt und einem kreativen bzw. experimentellen Umgang mit der Sprache wenig förderlich ist, wird bekanntlich schon seit Jahren moniert (vgl. Kapitel 1.5): Im Zentrum der Kritik stehen dabei meist die Grammatikdominanz, Parallelprogression und Linearität der Lektionen sowie die fehlenden Deutungsanreize, die vorgefertigten Dialogelemente zur versteckten Einübung von Redemitteln oder auch die Texte über fiktionale und meist klischeehafte Personen, welche den Lernenden fremd sind und somit „nichtssagend“ bleiben. Kurtz (2001) kritisiert die funktional geschlossenen, zu einseitig ausgerichteten und teilweise fragwürdigen Lehrwerkinhalte, die „eine (zeitweilige) Herauslösung des Angebotenen aus der von den Lehrbuchverfassern vorgedachten Funktionsbindung und eine unterrichtliche Verwendung im Sinne einer anderen Akzentuierung“ (Ebd., 81) kaum möglich machen, und Ahlquist (2013) hinterfragt den “one-size-fits-all approach“ (Ebd., 15). Mit Recht hinterfragt auch Eiriksdóttir (2001) den Nutzen der gängigen lehrwerkbasierten Unterrichtspraxis und moniert, dass Schülerinnen und Schüler zwar sehr viel Zeit mit Lehrbucharbeit verbringen, jedoch das Verhältnis von Quantität/Qualität bzw. Aufwand und Lernerfolg in der Regel nicht stimmig sei:

When you are tied down to a textbook it is so easy to go to the next page and continue to practice the same thing as yesterday even though the students have already mastered the skill you were teaching, for the moment at least. It is hard for many teachers to skip pages in a textbook. We were always taught to finish our work. What we are not always aware of is that when the pupils are bored they learn very little so it is almost a waste of time to do one more practice page in a book if the pupils are not interested (Ebd., 148).

Wolff (2001) erläutert diverse Funktionen von Lehrwerken, verweist jedoch darauf, dass in einem konstruktivistisch orientierten Fremdsprachenunterricht „Authentizität der Lernumgebung, Komplexität und Authentizität der Lerninhalte und eine wenig stringente Progression“ (Ebd., 191) grundlegende Konzepte sind, „die eher dafür sprechen, sich vom Lehrwerk abzuwenden und mit anderen Materialien zu arbeiten“ (Ebd.). Rüschoff/Wolff (1999) fordern deshalb die Konzeption von „Lernwerken“ an Stelle von „Lehrwerken“ (Ebd., 249).

In einem Storyline-Klassenzimmer wird auf das Schulbuch bewusst verzichtet: Hier stehen stattdessen eine Vielzahl an anregenden Materialien und Bastelutensilien zur Verfügung, die zum aktiven, multisensorischen und ganzheitlichen Arbeiten und kreativen Gestalten im Sinne von learning by doing auffordern. Je nach Konzeption eines Storyline-Projekts werden auch diverse high tech und low tech Medien benötigt: Realien, MP3-Player, CD-Player, Kameras, Computer und eventuell ein Beamer für Projektionsvorhaben. Unverzichtbar ist im Rahmen des (fremd-)sprachlichen Lernens ein Bestand an ein- und zweisprachigen Wörterbüchern, Bildlexika und altersgerechten Enzyklopädien (z.B. auch in digitaler Form). Ein Internetzugang sowie eine geeignete Sammlung mit themenrelevanten Fach- und Sachbüchern, authentischen Broschüren, Zeitungen, Zeitschriften und anderen Materialien unterstützen obendrein die eigenständige Informationsbeschaffung: Schülerinnen und Schüler werden somit zu aktiven, neugierigen und routinierten Forscherinnen und Forschern, die sich für ihren Wissenserwerb verantwortlich zeigen und ihre Lernfortschritte in vielseitigen und individuellen Medienprodukten, die im Klassenzimmer präsentiert werden, darstellen.

Die Lernenden verwenden jedoch nicht nur selbstständig Medien, sondern sie erstellen auch eine Vielzahl an eigenen und geeigneten Medien, um ihre Ideen und kreativen Gedanken bestmöglich und anschaulich zu vermitteln und auszutauschen: Collagen, fiktive Radio- oder Fernsehsendungen, Briefe, Rollenspiele, Zeichnungen, analoge oder digitale Fotos, eigene Choreographien (z.B. Tanz, Musik), Zeitungsartikel, Reportagen, PowerPoint-Präsentationen oder diverse Gegenstände (z.B. Geschenke für eine Figur, eine Flaschenpost usw.). Auf Grund der Tatsache, dass bei der Arbeit in Storyline-Projekten neben inhaltlichen und sprachlichen auch vielseitige medienbezogene Kompetenzen in einem (semi-)authentischen Kontext erworben werden, stellt der Storyline-Ansatz einen wichtigen Beitrag zur Medienerziehung dar und erfüllt somit – je nach Komplexität und Ausgestaltung eines Projekts – alle der von Faulstich (2004b) und Tulodziecki (2008) formulierten Desiderate und Dimensionen von Medienkompetenz (vgl. Kapitel 1.6.2.1).2

 

Fazit: Da die Lernenden regelmäßig eigene Medienprodukte herstellen, vorstellen und ausstellen bzw. eigene und diejenigen der Klassenmitglieder besprechen, analysieren und bewerten, erhalten sie eine vielseitige und fundierte Medienkompetenz, die möglicherweise auch ihr Freizeitverhalten beeinflussen kann und somit einem unkritischen Medienkonsum entgegenzuwirken vermag. Außerdem trainieren sie vielfältige Lerntechniken und Arbeitsstrategien, die den Weg zum autonomen und lebenslangen Lernen ebnen. Ob diese These tatsächlich für verschiedene Altersgruppen zutreffend ist, sollen meine Fallstudien zeigen (vgl. Teil B).