Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

1.6.2.2 Fachspezifische Kompetenzen

Als eine der für lebenslanges Lernen erforderlichen acht Schlüsselkompetenzen gilt laut OECD – wie oben ausgeführt – der Erwerb von mindestens zwei Fremdsprachen bis zum Ende der Schulpflicht. Diese Vorstellungen decken sich mit den politischen Zielen des Europarats (2001), dessen Vision und erklärte Absicht die Mehrsprachigkeit und interkulturelle Kompetenz aller Bürgerinnen und Bürger in einem mehrsprachigen und plurikulturellen Europa ist. Die europäische Sprachenpolitik propagiert ein dreisprachiges Sprachenprofil, wobei Englisch als lingua franca und somit als eine der beiden von allen zu lernenden Fremdsprachen betrachtet wird, um die Kommunikation, Zusammenarbeit und Mobilität innerhalb Europas zu verbessern. Als fundamentales Ziel gilt dabei die „Förderung eines demokratischen, staatsbürgerlichen Bewusstseins“ (Europarat 2001, 8). Realisiert werden soll dieses vorrangige Bildungsziel durch „Methoden des modernen Sprachunterrichts (...), die die Unabhängigkeit des Denkens, des Urteilens und des Handelns zusammen mit sozialen Fähigkeiten und Verantwortungsbewusstsein stärken“ (Ebd., 16). Diese Ziele decken sich – wie sich in Kapitel 2 zeigen wird – auch mit dem Storyline-Modell.

Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (nachfolgend: GER) des Europarats (2001), dem eine jahrzehntelange Vorarbeit und Diskussion mit Fremdsprachenexperten und -expertinnen aus 40 Ländern zugrunde liegt, zählt eine Reihe von Kompetenzen auf, die Sprachlernende benötigen und einsetzen, „um die in kommunikativen Situationen erforderlichen Aufgaben und Aktivitäten auszuführen“ (Ebd., 103) und somit – sei es im öffentlichen, beruflichen oder privaten Bereich – handlungsfähig zu sein. Dabei wird zwischen allgemeinen und linguistischen Kompetenzen unterschieden. Zu den allgemeinen Kompetenzen werden folgende Bereiche und Teilbereiche gezählt (Ebd., 103ff.):

 Deklaratives Wissen (savoir): Weltwissen, soziokulturelles Wissen, interkulturelles Bewusstsein

 Fertigkeiten und prozedurales Wissen (savoir faire): Praktische Fertigkeiten, interkulturelle Fertigkeiten

 Persönlichkeitsbezogene Kompetenz (savoir être): Einstellungen, Motivationen, Wertvorstellungen, Überzeugungen, kognitiver Stil, Persönlichkeitsfaktoren

 Lernfähigkeit (savoir apprendre): Sprach- und Kommunikationsbewusstsein, allgemeines phonetisches Bewusstsein und phonetische Fertigkeiten, Lerntechniken, heuristische Fertigkeiten

Als kommunikative Sprachkompetenzen gelten die folgenden Aspekte (Ebd., 109ff.):

 Linguistische Kompetenzen: Lexikalische, grammatische, semantische, phonologische, orthographische und orthoepische Kompetenz

 Soziolinguistische Kompetenzen: Sprachliche Kennzeichnung sozialer Beziehungen, Höflichkeitskonventionen, Redewendungen, Redensarten, Registerunterschiede, Varietäten

 Pragmatische Kompetenzen: Diskurskompetenz, funktionale Kompetenz

Laut GER modifizieren die linguistischen und kulturellen Kompetenzen in der einen Sprache die in einer anderen Sprache, sie fördern interkulturelles Bewusstsein, Fertigkeiten sowie prozedurales Wissen: „Außerdem tragen sie auch zur Entwicklung einer reicheren, komplexeren Persönlichkeit bei. Sie fördern ferner die Fähigkeit zum Erwerb weiterer Sprachen und die Offenheit gegenüber neuen kulturellen Erfahrungen“ (Ebd., 51). Als Zielsetzung lässt sich somit das lebenslange, autonome Sprachlernen im kulturellen Kontext ableiten.

In einem System von sechsstufigen Skalen (Niveaustufe A1 bis C2) werden die kommunikativen Aktivitäten und Sprachkompetenzniveaus – weitgehend in Anlehnung an die traditionellen four skills – durch positiv formulierte so genannte Kann-Deskriptoren (can-do-statements) beschrieben. Dieses System gilt mittlerweile als gemeinsame Basis für den Vergleich der diversen Abschlüsse und Zertifikate innerhalb Europas sowie für die Entwicklung von Lehrplänen, curricularen Richtlinien, Sprachprüfungen und Lehrwerken, um somit mehr Transparenz und Kohärenz zu schaffen (Ebd., 3). Als problematisch an dem gesamten Werk gelten unter anderem folgende Punkte:

 Keine konkrete spracherwerbstheoretische Absicherung.

 Keine ausreichenden empirischen Forschungsbefunde zu den einzelnen Altersgruppen.

 Starker Bezug auf die Erwachsenenwelt, was zu Transferproblemen auf den schulischen Bereich, vor allem die Grundschule, führt.

 Zu starker Fokus auf einen funktionalen Kompetenzbegriff und linguistische Kompetenzen; andere wichtige Bereiche des Fremdsprachenunterrichts wie Landeskunde, Literatur oder emotionale Dimensionen werden an den Rand gedrängt (Krumm 2003), was entsprechende Konsequenzen für die Unterrichtsgestaltung nach sich zieht.

 Relativ offene Formulierung der einzelnen Deskriptoren, was zu subjektiven Interpretationen und wenig aussagekräftigen Selbstevaluationen der Lernenden führen kann.

 Fragwürdigkeit, ob der Anspruch der (nationalen und internationalen) Vergleichbarkeit von Kompetenzbewertungen „überhaupt einlösbar ist“ (Königs 2013, 15), und insbesondere, ob „überall, wo z.B. B1 drauf steht, auch B1 drin“ ist (Ebd., 15).

 Vernachlässigung der Tatsache, dass Kommunikation aus mehr als nur „Einzelteilen“ im Sinne der vier Fertigkeiten besteht.

Als Folge der politischen Entscheidungen und Zielsetzungen hinsichtlich der Zukunft Europas und auch als Reaktion auf die wenig rühmlichen Ergebnisse der ersten PISA-Studie begann man in Deutschland im Jahr 2002 mit der Entwicklung nationaler Bildungsstandards für die Fächer Deutsch, Mathematik und Englisch (später auch für andere Fächer), mit dem Hauptziel, die Leistungen in den einzelnen Fächern und Stufen nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern letztendlich auch innerhalb der Europäischen Union überprüfbar und somit vergleichbar zu machen. In diesem Zuge fand in Deutschland ein Paradigmenwechsel von der Input-Orientierung der bisherigen Lehr- und Rahmenpläne mit dem Fokus auf Lernziele zu einer outcome-Orientierung der neuen Bildungsstandards mit dem Fokus auf jeweils nachprüfbare Lernergebnisse statt, was zunächst für viel Verwirrung und Kritik1 sorgte, unter anderem auch deshalb, weil von offizieller Seite aus alles relativ schnell, aber vor allem ohne Beteiligung der direkt Betroffenen, vonstatten ging: Es gab so gut wie keinen breiten Diskurs, obwohl diese bildungspolitische Maßnahme von fundamentaler Bedeutung war und ist.

Für jedes Fach, einzelne Klassenstufen und Schularten wurden somit zum ersten Mal klare Leistungserwartungen mit den entsprechend erwarteten Kompetenzen und Teilkompetenzen formuliert und durch Aufgabenbeispiele konkretisiert, allerdings nicht wie zunächst geplant als Mindeststandards, sondern als abschlussbezogene Regelstandards, was vor allem in Hinblick auf schwächere Schülerinnen und Schüler problematisch ist (Hallet/Müller-Hartmann 2006). Vollmer (2006) betont in diesem Zusammenhang, dass sich die Schule der faktischen Heterogenität der Lernenden stellen und sich im Sinne der Chancengleichheit zwingend „als Forderungs- und Förderungsinstanz“ (Ebd., 13) verstehen muss. Der Erwerb besagter Kompetenzen wird schließlich über entsprechende Aufgabenstellungen im Rahmen von Vergleichsarbeiten überprüft.

Für das Fach Englisch bedeutet die Formulierung von Bildungsstandards allerdings nichts wesentlich Neues, sondern eher eine Fortschreibung bzw. Weiterentwicklung dessen, was durch den GER bereits in die Wege geleitet worden war. Auch im Rahmen der Bildungsstandards liegt der Schwerpunkt auf funktionaler kommunikativer Kompetenz mit den folgenden Bereichen: Kommunikative Fertigkeiten (im Wesentlichen die four skills), methodische Kompetenzen, interkulturelle Kompetenzen sowie Verfügung über die sprachlichen Mittel. Hallet und Müller-Hartmann (2006) begrüßen, dass die Bildungsstandards ausdrücklich darauf abzielen, „durch die Entwicklung einer neuen Aufgabenkultur den Unterricht selbst zu verändern“ (Ebd., 5) und „erstmals eine ganzheitlich verstandene kommunikative Kompetenz bundesweit als zu überprüfendes Leitziel im Fremdsprachenunterricht“ (Ebd., 4) etablieren. Dieser positiven Bewertung stehen zahlreiche Kritikpunkte gegenüber, die im nachfolgenden Kapitel 1.6.2.3 zusammengefasst werden, zumal sie im Kontext des Konzepts zum lebenslangen Lernen betrachtet werden sollten.

Mittlerweile hat sich die Diskussion um die Bildungsstandards weitgehend beruhigt; man hat sich offenbar an die neue Herausforderung gewöhnt oder auch damit abgefunden.2 Da sich die länderspezifischen Bildungspläne auf die Bildungsstandards bzw. letztendlich auf den GER (Europarat 2001) beziehen, erübrigt sich an dieser Stelle ein weiterer Kommentar, zumal das Wesentliche bereits gesagt wurde.3 Auffallend ist allerdings, dass am Beispiel des Bildungsplans für das Fach Englisch an Realschulen in Baden-Württemberg (MKJSBW, Hrsg. 2004c) der Begriff „Kompetenz“ sehr häufig und beinahe inflationär verwendet wird und vor allem die Beschreibungen im Bereich „Grammatische Kompetenz“ stellenweise recht detailliert sind. Man gewinnt den Eindruck, dass hier alter Wein in neuen Schläuchen verkauft wird.

1.6.2.3 Zum Schluss bleiben viele Fragen

Auf den vorangegangenen Seiten wurde versucht, den Begriff „lebenslanges Lernen“, der als Lösung für viele Probleme herhalten muss, näher zu erläutern und einige der in diesem Zusammenhang erforderlichen Kompetenzen auf allgemeiner und fachlicher Ebene zusammenzutragen. Es fällt auf, dass mit dem Konzept in Wirtschaft, Politik und Pädagogik ganz unterschiedliche Erwartungen verbunden werden: die einen zielen auf flexible Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ab, die andern auf mündige Bürgerinnen und Bürger, und wieder andere fragen sich, ob bzw. wie sie eine Brücke zwischen materialer Qualifizierung und formaler Bildung schlagen sollen.1 Entsprechend fällt die Bewertung des Konzepts des lebenslangen Lernens sowie die Beurteilung der Kompetenzorientierung in den Bildungsstandards2 mit der anvisierten europaweiten Vereinheitlichung von Leistungsmessung und Abschlüssen aus. Zugleich ergeben sich viele Fragen und Bedenken, von denen hier nur einige genannt werden können.

 

Zunächst stellt sich die grundsätzliche Frage, ob und wie sich das Vermitteln von Qualifikationen und Kompetenzen im Interesse des Wirtschaftsstandorts mit dem Erwerb demokratischer Gestaltungskompetenz vereinbaren lässt (Lenz 2004b, 123), also inwiefern sich Persönlichkeitsbildung und emanzipatorische Grundgedanken mit rein utilitaristischen Zielen (Bildung als Ware) – Rößler (2006, 273) spricht in diesem Zusammenhang von „Just-in-Time-Qualifikationen“ – in Einklang bringen lassen. Auch wenn immer wieder suggeriert wird, dass Bildung und Kompetenzerwerb dasselbe bedeuten – in diesem Punkt scheint auch der Begriff „Bildungsstandards“ irreführend zu sein – bestehen hier meines Erachtens grundsätzliche Unterschiede: Bildung zielt eher auf Urteilsvermögen, Selbstbestimmung und Freiheit ab, wohingegen der Begriff „Kompetenzerwerb“ sehr viel stärker Anpassungsfähigkeit und Abhängigkeit impliziert. Und: Bildung ist mehr als marktgängiges Wissen.3

Zu Recht stellt Lenz (2004b, 124) die Frage, „welchen Beitrag (...) das Konzept des lebenslangen Lernens zum Schutz des sozialen Zusammenhalts und zur Pflege der Gemeinschaft“ leistet, zumal der wachsende Druck zur „Selbstoptimierung“ (Ebd., 123) Versagens- und Existenzängste und somit auch Aggressionen schürt, und sich durch die zunehmende Individualisierung die soziale Spaltung fortsetzt.

Eine weitere Frage lautet, wie sich die Standardisierung von Lernerfolgen mit der individuellen Förderung der Lernenden vereinbaren lässt. Auch Küster (2006, 20) moniert, dass „die Ausrichtung fremdsprachlichen Lernens auf standardisierte Tests (...) nur schwer kompatibel mit den Postulaten einer Lerner- und Prozessorientierung“ sei. Diese Problematik ist im deutschen Bildungssystem nicht unbekannt und könnte sich jetzt sogar noch verschärfen! Wie also kann bei standardisierten Output-Vorgaben – neben allen anderen individuellen Voraussetzungen und Bedürfnissen – die leistungsspezifische Heterogenität der Lernenden insofern berücksichtigt werden, dass sowohl leistungsschwache als auch leistungsstarke Schülerinnen und Schüler profitieren? Wie können Gleichheit und Differenz ausbalanciert werden? Wie wirken sich die in den Bildungsstandards verankerten Vorgaben auf die Qualität des Unterrichts aus?4 Und: Welche Kompetenzen benötigen Lehrkräfte, um den Unterrichtsalltag in jeglicher Hinsicht gewinnbringend zu gestalten?

Im Zuge der gegenwärtig dominierenden Kompetenzorientierung und der Diskussion um Standards und internationale Vergleichsstudien geraten Inhalte des Lernens leicht in den Hintergrund – auch im Bereich des Fremdsprachenlernens. Wie aber soll man eine Sprache lernen, ohne über Inhalte zu kommunizieren? Wie soll man sich bilden, ohne sich ein Bild von der Welt zu machen? Nicht nur Schröder (2005, 43) vermisst eine fachdidaktische Reflexion des neusprachlichen und schulischen Bildungsauftrags: „Der Titel Bildungsstandards verspricht wesentlich mehr, als der Text hält. (...) So gesehen sind die Bildungsstandards (Englisch/Französisch) für den Mittleren Schulabschluss in ihrer derzeitigen Form ein Rückfall in eine fremdsprachendidaktische Steinzeit“. Auch Doff und Klippel (2007) stören sich an der fehlenden Diskussion um den Bildungsauftrag und die Inhaltsfrage:

Funktionale Ziele des Englischunterrichts dominieren; die Diskussion der Inhalte ist weitgehend verstummt. Bildungsstandards und der Gemeinsame europäische Referenzrahmen (GeR) sind vor allem an den Fertigkeiten orientiert. Dazu liefern sie durchaus hilfreiche Beschreibungen, allerdings finden sich dort keine Hinweise auf die Inhalte von Englischunterricht. Die Inhaltsfrage ist jedoch (...) von enormer Bedeutung, wenn es darum geht, das Gerüst der Bildungsstandards sinnvoll zu füllen und den Zweck des Englischunterrichts neu zu definieren (Ebd., 41).

Andererseits liegt in dieser Offenheit vielleicht auch die Freiheit, zusammen mit den Lernenden Inhalte, Texte und entsprechende Aufgabenstellungen so auszuwählen, dass sie tatsächlich lerner- und lernorientiert – aber nicht beliebig – sind. Dies kann auch als große Chance betrachtet werden, den Englischunterricht motivierender zu gestalten – zum Beispiel durch Storyline-Projekte, im Rahmen derer die diversen Kompetenzen durch entsprechend gestaltete Aufgaben spielerisch erworben werden, so dass eigentlich weder für Lehrkräfte noch für Lernende ein Grund zur Sorge vor bundesweiten Kompetenztests bestehen müsste. Ob und inwiefern dies gelingen kann, sollen meine Fallstudien in Teil B zeigen.

1.7 Zusammenfassung und Fazit

Ohne Sinn sind Schulen Häuser der Leere, nicht der Lehre (Postman 1995, 20)

Schule hält offenbar nicht das, was sie verspricht, nämlich die Vorbereitung der jungen Menschen auf die komplexen Anforderungen des Lebens sowie die Vermittlung von Chancengleichheit und Gleichberechtigung beim Übergang ins Berufsleben. An vielen Schulen herrschen nicht nur Stress, Burnout und diverse Formen von Aggressionen und Gewalt, sondern auf Grund von Homogenisierungsbestrebungen und „Konformitätsdruck“ (Lösel/Bliesener 2003, 175) auch Über- bzw. Unterforderung auf Seiten der Lernenden und somit auch viel Frustration und Langeweile, so dass Unterrichtsstörungen nachvollziehbar werden. Ebenso nachvollziehbar sind Studien, die belegen, dass die Schulmüdigkeit mit dem Alter steigt und während der Pubertät in Schulverweigerung und Schwänzen münden kann, wenn sich so genannte Bildungsverlierer „einer für sie subjektiv hoffnungslosen Situation nicht mehr stellen wollen“ (Fuchs u.a. 2005, 269). Schober und Spiel (2004, 205) fassen die diversen Untersuchungsergebnisse wie folgt zusammen:

So wird immer wieder gezeigt, dass das durchschnittliche Interesse der SchülerInnen an der Schule und am schulischen Lernen mit zunehmender Jahrgangsstufe eher abnimmt. Die Frage, wie an dieser Situation etwas geändert werden kann (...), stellt nun kein wirklich neues Thema dar. Sie bekommt allerdings in den letzten Jahren besondere Brisanz im Kontext der Entwicklung Europas hin zur oft zitierten ‘Wissensgesellschaft’, die vor zahlreichen wirtschaftlichen, sozialen und strukturellen Herausforderungen steht.

Um jedoch mit den permanenten Veränderungen Schritt halten zu können, muss die Schule alle ihre Mitglieder und auch die Verantwortlichen in der Administration zum kontinuierlichen Lernen – auch außerhalb der Schule – anregen:

Daraus erfolgt die notwendige Arbeit an der Kultivierung des Schulalltags, an Lern- und Lebensbedingungen für Kinder und Jugendliche, die diesen nicht nur die Aneignung des nötigen Wissens, des nötigen Könnens – oder allgemeiner gesprochen: der nötigen Kompetenzen – erlauben müssen, sondern die darüber hinaus von diesen auch sinnvoll, interessant und zum Lernen herausfordernd erfahren werden können (Liebau 2005, 60).

„Lebenslanges Lernen“ heißt das vielsagende neue Bildungskonzept, „das den Um- oder Neubau des bestehenden Bildungssystems erfordert“ (Lenz 2004b, 122). Wie die vorangegangenen Kapitel gezeigt haben, herrschen in unserem Bildungssystem aber noch viele Traditionen, die offensichtlich nicht von einem Tag auf den anderen verworfen werden können. Es braucht lange, bis der „Tanker“ in Bewegung kommt und ob er dann – in unserer schnelllebigen Gesellschaft – auf dem richtigen Kurs ist, lässt sich schwer prognostizieren. Aus diesem Grund scheint es mir wichtig, sinnvoller und erfolgversprechender, nicht auf Veränderungen von „oben“ zu warten, sondern aktiv mit konkreten Veränderungen im Klassenzimmer, also von „unten“, zu beginnen und im gleichen Zug Lehramtsstudierende auf die neue Situation konstruktiv vorzubereiten. Ob dies beispielsweise mit Hilfe des Storyline-Konzepts gelingen kann, sollen meine Untersuchungen zeigen (vgl. Teil B).

Wenn wir uns also von einer Risiko- zu einer Chancengesellschaft entwickeln möchten, dann müssen die heterogenen Voraussetzungen der Kinder und Jugendlichen sachlich wahrgenommen, wertneutral akzeptiert und konstruktiv genutzt werden. Laut Lenz (2004b, 117) befinden wir uns (noch) in einer „Belehrungs- und Lerngesellschaft“.1 Scrubar (2006) spricht von einer „Unwissensgesellschaft“. Damit die Transformation zur „Wissensgesellschaft“ kein „Mythos“ bleibt (Kübler 2005), müssen sich Schule und Unterricht wandeln und sich vom noch immer vorherrschenden Frontalunterricht lösen, um den individuellen Bedürfnissen der Lernenden besser gerecht werden zu können. Dies gilt insbesondere auch für den Fremdsprachenunterricht, der vielerorts noch immer als Auswendiglernen von Vokabeln und Grammatikregeln verstanden wird und in den meisten Fällen darauf hinausläuft, das Schulbuch durchzupauken. Dass dies enorm zeitaufwändig und wenig motivierend ist, ohne dass letztendlich konkrete authentische Anwendungssituationen produktiv gemeistert werden können, ist den meisten Lehrkräften bewusst. Von Seiten der Lernenden wird dieser Tatbestand spätestens dann beklagt, wenn sie im Ausland feststellen, dass sie nach mehreren Jahren Englischunterricht noch nicht einmal ein banales Gespräch führen können. Interkulturelle kommunikative Kompetenz ist und bleibt für viele während der Schulzeit offenbar ein Fremdwort.

Obwohl sich deutsche Schülerinnen und Schüler im internationalen Vergleich mit am längsten im Schulsystem befinden und auf Grund von Prüfungsängsten und mangelndem Selbstvertrauen sehr viel Zeit und Energie in die Schule investieren, schneiden sie bei PISA nur mittelmäßig ab: Offensichtlich wird an unseren Schulen zwar viel gelehrt, aber zu wenig gelernt! Dies wird beispielsweise auch in der DESI-Studie moniert: 30 % der Lernenden in Jahrgangsstufe 9 erreichen „nicht einmal das international eher untere Niveau A2“ des GER (Edelhoff 2007, 3). In der Hauptschule „erreicht etwa nur ein Drittel der Schülerinnen und Schüler das Regelziel der Bildungsstandards“ (Klieme 2006, 2). Kluge (2003) kritisiert: „In unseren Schulen lernt man, die vom Lehrer erwarteten Antworten zu geben, nicht aber, Fragen zu stellen“ (Ebd., 21). Die Lernenden wissen, „dass sie in diesem Frage-und-Antwort-Spiel nicht gefragt, sondern abgefragt werden“ (Ebd., 83). Dies wirkt sich entsprechend negativ auf ihre Lernmotivation aus. Lernen muss also anders angelegt werden, denn die PISA-Befunde belegen auch, dass deutsche Schülerinnen und Schüler zwar „Regeln befolgen, aber nicht problemlösend denken“ können (von der Groeben 2007, 8), was jedoch für die konstruktive und kreative Gestaltung ihrer Zukunft unabdingbar ist. Dies zu vermitteln ist meines Erachtens eine der wichtigsten Aufgaben der Schule.

Zum Schluss ergeben sich mindestens drei Fragenkomplexe: 1. Wie kann in der Schule die Entkoppelung von der Schule gelernt werden? Wie sollte eine Lernumgebung gestaltet sein, damit Schülerinnen und Schüler besagte Selbstlernkompetenz entwickeln können? 2. Wie können sie zu neugierigen, kritischen und lebenslang Lernenden erzogen werden, die nicht nur Regeln befolgen und Fragen beantworten, sondern auch Fragen stellen können? 3. Was kann der Fremdsprachenunterricht zu diesen überfachlichen Zielsetzungen beitragen? Konkret: Wie kann trotz zunehmendem Leistungsdruck durch Bildungsstandards und der damit verbundenen Testsituation guter Englischunterricht gestaltet werden? Oder besser: Wie können Leistungsdruck und Versagensängste durch guten Englischunterricht vermieden und zugleich die Lernmotivation erhöht werden? Und: Wie können bekannte methodisch-didaktische Leitprinzipien wie Lernerautonomie, selbstverantwortliches Lernen, kooperatives Lernen und Handlungsorientierung endlich realisiert werden, um die vielfältigen Potenziale der heterogenen Lerngruppen besser auszuschöpfen und somit einen Beitrag zur Chancengleichheit auf Seiten der Lernenden und Berufszufriedenheit auf Seiten der Lehrkräfte zu leisten? Last but not least: Können Storyline-Projekte möglicherweise die Motivation der Lernenden hinsichtlich des Fremdsprachenlernens erhöhen und die entsprechenden Kompetenzen vermitteln, also einen positiven Beitrag zum lebenslangen Lernen leisten?

 

All diesen Fragen wird in den nächsten Kapiteln nachgegangen. Zuvor aber soll der Storyline Approach vorgestellt werden: ein aus meiner Sicht vielversprechender und zukunftsweisender Ansatz, um die oben aufgeführten Probleme konstruktiv anzugehen.