Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule

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3.6 Zusammenfassung und Fazit

Why don’t learners learn what teachers teach? (Allwright 1984)

In den vorangegangenen Kapiteln wurde der Frage im obigen Zitat nachgegangen. Aus der Darstellung und Diskussion verschiedener konstruktivistischer Ansätze wurde deutlich, dass Lernen ein subjektabhängiger, selbstgesteuerter, aktiver, konstruktiver, situativer und sozialer Prozess ist, der von außen zwar angeregt, aber keineswegs gesteuert und kontrolliert werden kann. Es liegt auf der Hand, dass es sich bei meinen Ausführungen um Modelle und Theorien handelt, die auch ihre Grenzen haben. In vielen Fällen dreht es sich um Hypothesen, Fragmente oder Momentaufnahmen, denn der Erkenntnisstand ändert sich vor allem auf Grund der regen Forschungstätigkeiten in den Neurowissenschaften ständig. Dennoch gestehen führende Fachleute aus der deutschen Neurowissenschaft, die ein Manifest über die Hirnforschung im 21. Jahrhundert verfasst haben: „Nach welchen Regeln das Gehirn arbeitet, wie es die Welt so abbildet, dass unmittelbare Wahrnehmung und frühe Erfahrung miteinander verschmelzen; wie das innere Tun als ‘seine’ Tätigkeit erlebt wird und wie es zukünftige Aktionen plant, all dies verstehen wir nach wie vor noch nicht einmal in Ansätzen“ (Das Manifest 2004, 33).

Zum Schluss bleiben also viele offene Fragen, und die Vielzahl alternativer Erklärungsversuche für unsere Hirn- bzw. Erkenntnisleistungen bringt nicht nur Erhellung, sondern auch Verwirrung, bestätigt allerdings in gewisser Weise genau das, was auch dem Konstruktivismus zugrunde liegt: Wir sehen nur, was wir sehen wollen (können). Entsprechend fällt auch die jeweilige Interpretation von Beobachtungen (und auch von Forschungsergebnissen) aus. Denn: „Wäre unser Gehirn so einfach, dass wir es uns erklären könnten, dann wäre es wahrscheinlich nicht in der Lage, genau dieses zu tun!“ (Emerson Pugh Trost, Zit. nach Schirp 2006, 99).

Vor dem Hintergrund der immer wieder entstehenden Kontroversen um „den“ Konstruktivismus, möchte ich zum Schluss noch betonen, dass man sich nicht dem einen oder anderen konstruktivistischen Ansatz verpflichtet fühlen „muss“, sondern vielmehr die Bandbreite und Variationen an konstruktivistischen Ansätzen im Auge behalten sollte, die sich schließlich zu einem Gesamtbild vereinen, welches heterogenen Lerngruppen sehr viel mehr gerecht wird als die meisten anderen Ansätze. Dies sollte auch vor dem Hintergrund des Bildungskonzepts „Lebenslanges Lernen“ betrachtet werden: (Lebenslanges) Lernen kann man nicht erzwingen, aber lernen! Man muss auch nicht in einen dogmatischen Glaubenskrieg eintreten, um mit (teils polemischen) Argumenten beweisen zu wollen, dass der eigene wissenschaftliche Standpunkt der „bessere“ sei und der „Wahrheit“ näher käme. Konstruktivistisches Denken hat diesen Anspruch nicht. Es will nicht zum Glaubensbekenntnis oder zur Norm werden. So pflichte ich Pörksen (2001) bei, wenn er feststellt: „Auch der Konstruktivismus ist nur eine Konstruktion (unter vielen möglichen); er ist nicht auf seine Wahrheit zu prüfen, sondern auf seine Nützlichkeit, seine Viabilität“ (Ebd., 18). Genau das habe ich mit diesem Kapitel versucht und festgestellt, dass der Konstruktivismus (im Gesamtbild betrachtet) eine „nützliche“ Theorie ist, um den Storyline Approach zu verorten, denn wie sich in Kapitel 2 gezeigt hat, entspricht das Storyline-Modell in vielerlei Hinsicht den Kriterien einer konstruktivistischen Unterrichtsphilosophie. Dennoch empfiehlt sich selbstverständlich auch gegenüber dem Konstruktivismus eine kritische Distanz: „denn: wer nicht am Konstruktivismus zweifelt, hat seine Essenz nicht verstanden“ (Ameln 2004, XII).

Aus den obigen Ausführungen lässt sich ableiten, dass das Storyline-Modell zur Gestaltung einer vielseitig anregenden und konstruktiven Lernumgebung beiträgt: Storyline-Projekte sind enkulturativ, basieren auf authentischem bzw. semi-authentischem Material, sie fordern zur aktiven und autonomen Exploration auf, sie sind in hohem Maße kooperativ und kreativ, und sie erzeugen schließlich in vielfältigen sozialen Aushandlungsprozessen eine imaginierte und inszenierte Wirklichkeit. Im Rahmen von komplexen Aufgaben verwenden die Lernenden zwanglos die Zielsprache, wobei sämtliche skills in natürlichen und bedeutungsvollen Kontexten eingeübt bzw. verwendet werden. Die Lernenden sind als Individuen und als Gruppenmitglieder aktiv involviert, sie bestimmen ihre jeweiligen Handlungsziele weitgehend selbst und entwickeln – je nach Thema des Projekts – auch eine fremdkulturelle Identität. Der spielerische Charakter der Inszenierung erzeugt ein hohes Maß an persönlichem Engagement und Motiviertheit, was für den gesamten Sprachlernprozess förderlich ist, wobei dies in meiner Studie (vgl. Teil B) noch konkret zu überprüfen und zu belegen ist. Vorab nur soviel aus dem Mund von Sallie Harkness (1997, xvii): “The most regular comment from pupils is that Storyline is ‘better than work’“.

4 Grundlagen eines motivierenden Unterrichts
4.1 Einleitung

Lernen muss vom Individuum selbst gewollt werden (Haß 2010, 204)

In den vorangegangenen Kapiteln wurde bereits dargestellt, dass bzw. warum Lernende ihren Unterricht oft langweilig und wenig gewinnbringend empfinden, so dass es nicht verwunderlich ist, wenn in regelmäßigen Abständen durchgeführte und aufwändig konzipierte Studien zu dem Ergebnis kommen, dass die Lernmotivation von Schülerinnen und Schülern mit zunehmendem Alter abnimmt, obwohl eigentlich genau das Gegenteil der Fall sein sollte: Schule sollte zum lebenslangen und autonomen Lernen anregen! Diese Beobachtung wird zwar offenbar in verschiedenen Ländern und in unterschiedlichen Schulkontexten1 gemacht, betrifft jedoch laut DESI-Studie2 insbesondere auch den Englischunterricht an deutschen Schulen.

Die Frage liegt nahe: „Was ist guter Unterricht?“ (Meyer 2016). Sie lässt sich noch weiterspinnen: Ist guter Unterricht auch zugleich motivierender Unterricht?3 Was ist motivierender Unterricht? Was motiviert Schülerinnen und Schüler? (Wie) kann Motivation gefördert werden? (Wie) können Kinder und Jugendliche zum lebenslangen Lernen motiviert werden? All diesen Fragen wurde bereits in den vorherigen Kapiteln nachgegangen, mit dem Ergebnis, dass Lernumgebungen, die auf der Basis von konstruktivistischen Ansätzen gestaltet sind, die Lernmotivation und zugleich auch das Lernergebnis positiv beeinflussen können. Ob und inwiefern dies auch für Storyline-Projekte im fremdsprachlichen Klassenzimmer der Sekundarstufe I zutrifft, sollen meine Untersuchungen in Teil B zeigen.

Nun sollen die obigen Fragen noch aus einer anderen Perspektive, nämlich aus Sicht der Motivationsforschung, betrachtet werden. Es würde allerdings den Rahmen dieser Arbeit sprengen, in vollem Umfang sowohl Erkenntnisse, Konzepte und Theorien aus der (Pädagogischen) Psychologie als auch die fachspezifischen Besonderheiten zu berücksichtigen, so dass der Fokus hier insbesondere auf die Fremdsprachenforschung gerichtet werden soll.4 Im Anschluss werden einige praktische Empfehlungen für den Fremdsprachenunterricht abgeleitet und anschließend in Zusammenhang mit dem Storyline Approach gebracht. Zunächst aber soll der Begriff „Motivation“ selbst näher untersucht werden.

4.2 Was ist Motivation?
4.2.1 Einleitung

Strictly speaking, there is no such thing as ‘motivation’ (Dörnyei 2001a, 1)

Das Thema „Motivation“ ist in unserem persönlichen und beruflichen Alltag allgegenwärtig, wenn wir uns über Vorlieben, Hobbys, Arbeitsbedingungen oder Lebensplanung austauschen. Im schulischen Bereich allerdings fällt der Begriff oft dann, wenn Lern- und Leistungsprobleme, Schulunlust, Schulversagen, Disziplinprobleme oder andere Missstände begründet werden sollen: Lehrkräfte beklagen sich über demotivierte Schüler und Schülerinnen, die nicht mitarbeiten und stattdessen den Unterricht stören. Lernende dagegen monieren langweilige Materialien und Themen, lasten mangelnde Motivation jedoch in erster Linie dem Lehrerverhalten an (Dörnyei 1998; Kleppin 2001; Solmecke 1983).1 In dieselbe Kerbe schlagen nicht selten auch die Eltern, und manche fragen sich nach dem volkswirtschaftlichen Schaden, der durch demotivierte Lernende angerichtet wird (Leupold 2004).

In der Fachliteratur zum fremdsprachlichen Lernen und Lehren wird Motivation für vieles verantwortlich gemacht: „Sie beeinflusse die Wahl eine bestimmte Fremdsprache zu lernen, den Lernprozess, das Verhalten im und nach dem Unterricht, den Lernerfolg, die Benutzung geeigneter Lernstrategien oder auch die Behaltensleistung“ (Kleppin 2001, 219). Doch auch wenn der Begriff in aller Munde ist, scheint es schwierig, eine Definition zu finden, die diesen Terminus umfänglich erklärt und zugleich präzisiert. Dörnyei, der auf dem Gebiet Motivation im Fremdsprachenunterricht heute sicher zu den bedeutendsten Forschern und Autoren zählt, versucht durch das eingangs aufgeführte Zitat zu verdeutlichen, dass „Motivation“ nicht nur ein vager, sondern zugleich auch ein weiter Begriff ist, welcher ganz verschiedene Bedeutungen abdeckt. Es liegt folglich auf der Hand, dass der Begriff eine Vielzahl von Motiven subsumiert, deren gemeinsamer Nenner allein die Tatsache ist, dass sie alle in irgendeiner Weise Einfluss auf das Verhalten nehmen.

Bereits seit Platon und Aristoteles spricht man laut Heckhausen (2006) von einer „Trias der psychologischen Sachverhalte“ (Ebd., 14) und unterscheidet als Entitäten des Seelenlebens Kognition (Erkennen), Emotion (Fühlen) und Motivation (Wollen). Dörnyei (2001a) betrachtet Motivation als einen der grundlegendsten Aspekte des menschlichen Geistes, welcher offenbar auch in hohem Maße mit darüber entscheidet, ob Lernsituationen erfolgreich verlaufen oder nicht. Auf das fremdsprachliche Lernen bezogen vertritt er die Meinung, dass 99 % der Lernenden, die eine Fremdsprache lernen wollen und auch wirklich motiviert sind, es am Ende tatsächlich schaffen können, “to master a reasonable working knowledge of it as a minimum, regardless of their language aptitude. (...) Without sufficient motivation, however, even the brightest learners are unlikely to persist long enough to attain any really useful language“ (Ebd., 2-5). Nachfolgend wird der Begriff „Motivation“ genauer untersucht, bevor einige Probleme hinsichtlich der Theoriebildung sowie neue Impulse aus der Motivationsforschung dargestellt werden.

 

4.2.2 Definition

Der Begriff „Motivation“ leitet sich von dem lateinischen Verb movere (bewegen) ab. Motivation ist somit etwas, das uns bewegt und antreibt, eine bestimmte Richtung einzuschlagen. Man kann Motivation als solche bei anderen Personen nie direkt sehen oder als Gegenstand wahrnehmen; sie lässt sich nur „anhand von Indikatoren im Verhalten, Denken und emotionalen Erleben erschließen“ (Dresel/Lämmle 2011, 81). Motivation gilt somit als „gedankliche Konstruktion“ (Rheinberg 2006b, 14). bzw. als ein „kognitives Kunstprodukt“ (Ebd.), um bestimmte Verhaltensbesonderheiten zu erklären. Dennoch ist uns der Zustand des Motiviertseins mit seinen unterschiedlichen Ausprägungen und Abstufungen aus dem Selbsterleben oder durch Verhaltensbeobachtung bekannt. Rheinberg (2006b) spricht von insgesamt drei Dimensionen, die den Begriff „Motivation“ charakterisieren: „Es geht (...) darum, daß jemand (1) ein Ziel hat, daß er (2) sich anstrengt und daß er (3) ablenkungsfrei bei der Sache bleibt“ (Ebd., 14). Die meisten in der Fachliteratur aufgeführten Definitionen enthalten die folgenden drei Komponenten von Motivation: Aktivierung (arousal), Richtung (direction) und Ausdauer (persistence) eines zielgerichteten Verhaltens.

Williams und Burden (1997), die im Bereich des Fremdsprachenlernens eine sozial-konstruktivistische Perspektive vertreten, heben unter anderem das Zusammenwirken kognitiver und emotionaler Komponenten hervor und definieren Motivation wie folgt:

Motivation may be construed as

 a state of cognitive and emotional arousal,

 which leads to a conscious decision to act, and

 which gives rise to a period of sustained intellectual and/or physical effort

 in order to attain a previously set goal (or goals) (Ebd., 120).

Dörnyei und Ottó, ebenfalls Vertreter aus der Fremdsprachenforschung, betonen in ihrer Definition insbesondere den Prozesscharakter von Motivation:

In a general sense, motivation can be defined as the dynamically changing cumulative arousal in a person that initiates, directs, coordinates, amplifies, terminates, and evaluates the cognitive and motor processes whereby initial wishes and desires are selected, prioritised, operationalised and (successfully or unsuccessfully) acted out (Dörnyei/Ottó 1998, 65).

Somit wird deutlich, dass Motivation kein Dauerzustand ist, sondern von inneren und äußeren Gegebenheiten beeinflusst wird. Des Weiteren wird klar, dass Anreize und auch Verhaltensäußerungen mitunter stark differieren können, wenn man von „motivierten“ bzw. „unmotivierten“ Lernenden spricht. Folglich gibt es sowohl Unterschiede zwischen Personen als auch innerhalb derselben Person (Rheinberg 2006b, 13). Weiterhin ist bei der Analyse von Verhalten die Komplexität von Ursache und Wirkung zu berücksichtigen, denn ein Motiv kann durchaus unterschiedliche Verhaltensweisen evozieren und andererseits können gleichartige Verhaltensweisen auch auf unterschiedliche Motive zurückgeführt werden. Um zuverlässige Daten zu erhalten, sollten bei der Erforschung von Motivation – wie dies auch in der vorliegenden Arbeit berücksichtigt wird – verschiedene Methoden eingesetzt werden: Verhaltensbeobachtung, mündliche bzw. schriftliche Befragung, Selbstreflexion, lautes Denken usw. (Schunk u.a. 2010, 41).

In Motivationsprozessen lassen sich laut Edelmann (2000, 256) folgende Determinanten bzw. Komponenten unterscheiden:

 Das Motiv (ein angeborenes Bedürfnis oder eine gelernte Disposition)

 Der Anreiz (die emotionale Valenz des Zielzustandes)

 Kognitive Prozesse (Entscheidung, Erwartung, Handlungskonzept, Plan usw.)

Die Motive für das Fremdsprachenlernen können sehr vielfältig und unterschiedlich sein. Erwähnt werden in der Literatur das Leistungsmotiv, das Nützlichkeitsmotiv, das Neugier- und Wissensmotiv, das Kommunikationsmotiv, das Anerkennungs- und Geltungsmotiv, das Anschlussmotiv, das Gesellschaftsmotiv, das Elternmotiv und das Lehrermotiv (Abendroth-Timmer 2007; Apelt 1981; Kleppin 2002). Häufig werden bei solchen Motivauflistungen jedoch die sehr unterschiedlichen Ausprägungen (z.B. kurzfristige vs. langfristige Motive, eigene vs. von außen induzierte Motive) übersehen (Kleppin 2002, 26). Kleppin stellt in diesem Zusammenhang die berechtigte Frage, wie sich „allgemein menschliche, fremdsprachenlernspezifische und fremdsprachenunterrichtsspezifische Motive“ gegenseitig bedingen (Ebd.). Der Motivbegriff bedarf also noch der weiteren Präzisierung und Untersuchung.

4.2.3 Motivationsforschung: Probleme und neue Impulse

In Kapitel 3 wurde bereits dargestellt, dass Lehren zwar das Lernen unterstützen, nicht jedoch gewährleisten oder gar erzwingen kann. Stattdessen muss Lernen „vom Individuum selbst gewollt werden“ (Haß 2010, 204). Motivationsförderung gehört somit zu den zentralen Aufgaben der Schule. Da es sich bei Lernmotivation jedoch um ein äußerst vielschichtiges Konstrukt handelt, existiert eine entsprechend große Anzahl an wissenschaftlichen Theorien und Konzepten, die alle darauf abzielen, motivationale Faktoren in der Schule zu beschreiben und zu erklären. Obwohl die Motivationsforschung bereits eine längere Tradition hat, scheint es jedoch kaum stabile Ergebnisse und allgemeingültige Modelle zu geben, stattdessen ist vielmehr das Gegenteil der Fall: “Contemporary motivational psychology is characterised by a confusing plethora of competing theories, with little consensus and much disagreement among researchers. In fact, we can say without much risk of exaggeration that ‘motivation’ is one of the most elusive concepts in the whole domain of the social sciences“ (Dörnyei 2001b, 2). Dörnyei begründet den fehlenden Konsens in der Motivationsforschung zunächst damit, dass der Begriff nicht einheitlich verwendet wird. Allerdings haben sich laut Dörnyei und Ushioda (2011, 4ff.) in den letzten Jahren einige neue Entwicklungen abgezeichnet, die hier kurz zusammengefasst werden:

 Kognition vs. Emotion: In frühen Motivationstheorien wurden vor allem unbewusste Triebe, Emotionen und Instinkte für das menschliche Handeln verantwortlich gemacht, während in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Fokus in der Motivationsforschung auf bewusste kognitive Prozesse (z.B. Ziele und Erwartungen, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen usw.), welche Handeln und Verhalten beeinflussen, gelegt wurde. Einerseits wurden also unbewusste und bewusste Prozesse, andererseits die Rollen von Emotion und Kognition berücksichtigt. Mit Ausnahme der von Weiner (1986) entwickelten Attributionstheorie unternahmen laut Dörnyei und Ushioda (2011) jedoch nur wenige Theorien den Versuch, Affekt und Kognition “in a unified framework“ (Ebd., 5) zu integrieren.Ciompi (1999) kritisiert Wissenschaft und Forschung, emotionale Phänomene „lange Zeit vergleichsweise stark vernachlässigt“ (Ebd., 11) zu haben, mit der Folge, dass „ein einseitig intellektzentriertes Welt- und Menschenverständnis (...) das wissenschaftliche Denken doch lange Zeit fast ausschließlich beherrscht hat“ (Ebd.). Aus Pekruns (1998) Sicht sind Schüleremotionen ein „blinder Fleck der Unterrichtsforschung. (...) Mit Ausnahme von Prüfungsangst sind die Lern- und Leistungsemotionen von Schülern bisher kaum erforscht“ (Ebd., 230). Dasselbe gilt laut Düwell (2002) auch für die Sprachlehr- und -lernforschung, die den Schwerpunkt allzu lange „auf Untersuchungen in der kognitiven Dimension gelegt“ hat (Ebd., 171).Auch wenn kognitive Ansätze noch immer das Feld beherrschen, wird seit einigen Jahren die Rolle der Emotionen in der Motivationspsychologie (und auch in der Fremdsprachenforschung) quasi neu entdeckt, was sich beispielsweise auch in den Publikationen auf dem deutschsprachigen Markt widerspiegelt.1 Ausgelöst wurde diese Neuorientierung unter anderem durch neue Erkenntnisse in der Neuropsychologie und in anderen Bereichen der Psychologie.2 Die Herausforderung wird darin bestehen, kohärente theoretische Konzepte zu entwickeln, welche beide Dimensionen berücksichtigen.

 Reduktion vs. Umfänglichkeit: Motivation wurde in der Vergangenheit je nach Fachdisziplin, Zeitgeist, Forschungsgegenstand oder -interesse immer wieder unterschiedlich ausgelegt, was die Konsensbildung erschwert hat: “Taken collectively, a striking feature of all mainstream motivation theories has been their lack of comprehensiveness. They are typically anchored around a few selected motivational aspects (e.g. around a key concept or process), while largely ignoring research that follows different lines“ (Dörnyei/Ushioda 2011, 8). Da menschliches Verhalten überaus komplex und die Anzahl möglicher Determinanten extrem hoch ist, wurden in der Motivationsforschung meist so genannte Reduktionsmodelle (reductionist models) entwickelt, die sich auf wenige Schlüsselvariablen konzentrierten. Der Hauptunterschied zwischen konkurrierenden Theorien liegt somit häufig in der Auswahl der Faktoren: “This can be compared to lifting a large, loosely knitted net (which symbolises human behaviour). If we lift it up by holding different knots, very different shapes will emerge, even though the actual net is exactly the same“ (Ebd., 9).Auch wenn die Reduktion und Isolation von Einflussfaktoren im Hinblick auf Forschung und Theoriebildung durchaus nachvollziehbar ist, wird diese Vorgehensweise natürlich nie den komplexen realen Bedingungen im Klassenzimmer gerecht. Offenbar gibt es – bis auf Wentzel (2000) – kaum Untersuchungen dazu, wie Lernende mit den diversen parallelen und konkurrierenden Zielen, Ansprüchen, Anforderungen, Aktivitäten usw. in Schule und Unterricht umgehen. Ferner existiert laut Dörnyei und Ushioda (2011) keine adäquate Motivationstheorie, die auf die “parallel multiplicity“ (Ebd., 10) von Motivationsprozessen eingeht, welche menschliches Verhalten bestimmen.

 Parallele Prozesse vs. lineare Modelle: Die Komplexität des menschlichen Verhaltens und seiner vielfältigen Einflussfaktoren in einer einzigen allumfassenden Motivationstheorie zu berücksichtigen, wird vermutlich immer ein unerreichbares Ziel bleiben. Dennoch bezeichnen Dörnyei und Ushioda (2011) die üblichen linearen Motivationsmodelle als “inherently flawed“ (Ebd., 11). Während der Faktor Zeit durch die Einteilung in spezifische Phasen noch am ehesten als lineares Modell dargestellt werden kann, wird es dagegen schwierig, sich vorzustellen, wie ein solches Modell die dynamischen Interaktionen mit dem Umfeld oder die komplexen kognitiven und emotionalen Prozesse berücksichtigen könnte, die in und zwischen Individuen ablaufen. Davon abgesehen ist natürlich auch der Zeitaspekt keineswegs eine stabile Größe. Die offensichtliche Begrenztheit dieser Modelle initiiert in Psychologie und Fremdsprachenforschung derzeit “a new way of thinking, pushing forward relational and dynamic systems perspectives“ (Ebd.).

 Individuum vs. Kontext: Motivationstheorien berücksichtigen den sozialen Kontext in unterschiedlichem Maße: Während in behavioristischen Lerntheorien Umwelteinflüsse (z.B. Belohnung oder Strafe) noch eine große Rolle spielten, wurde nach der kognitiven Wende der Fokus auf die internen Prozesse im Sinne der Informationsverarbeitung gelegt, wobei soziokontextuelle Faktoren hier nur insofern eine Rolle spielen, als sie durch die menschliche Wahrnehmung gefiltert werden. Zu Recht monieren Dörnyei und Ushioda (2011), dass diese Position Lücken aufweist: “Humans are social beings and human action is always embedded in a number of physical, cultural and psychological contexts, which considerably affect a person’s cognition, behaviour and achievement“ (Ebd., 7).Seit etwa 10-15 Jahren beschäftigt sich die Forschung offenbar wieder stärker mit der Rolle des Umfelds, was gelegentlich auch als “second cognitive revolution or ‘discursive turn’“ bezeichnet wird (Ebd., 8), und es besteht ein wachsendes Interesse an der dynamischen Interaktion zwischen Individuum und soziokontextuellen Faktoren.3

 

 Ursache-Wirkung vs. Prozess: In der Motivationsforschung wurden bisher auch verschiedene Stadien des Motivationsprozesses untersucht, und zwar vorrangig die Initialphase, in der es um Auswahl und Engagement in Handlungen geht (z.B. Erwartungs-Wert-Theorie von Wigfield/Eccles (2000)), oder aber die Auswirkungen von Handlungen und Erfahrungen auf Motivation (z.B. „erlernte Hilflosigkeit“). Diese unterschiedliche Fokussierung spiegelt wiederum die historische Debatte um die Frage, ob Motivation Ursache oder Folge des Lernens ist. Zwischenzeitlich besteht offenbar weitgehend Konsens darüber, “that it functions in a cyclical relationship with learning“ (Dörnyei/Ushioda 2011, 5). Dabei wird zwischen positiven und negativen Zyklen unterschieden, und es wurde verstärkt untersucht, wie durch Modifizierung der kognitiven Prozesse negative Zyklen (schwache Motivation → schwache Leistung → schwache Motivation) durchbrochen werden können (Dweck 1999). Allerdings greift ein einfaches Ursache-Wirkung-Modell zu kurz, um die komplexen Motivationsprozesse aus dem Alltag zu erklären.Insbesondere im Hinblick auf das (langwierige) Fremdsprachenlernen muss zudem bedacht werden, dass Motivation nie konstant ist, sondern von verschiedenen internen und externen Faktoren abhängt. Dörnyei und Ushioda (2011) monieren, dass sich bisher nur wenige Studien damit befasst haben, wie sich Motivation im Laufe der Zeit entwickelt, beispielsweise auf der Mikroebene “of moment-by-moment experience“ (Ebd., 6) oder der Makroebene “of long-term experience or life history“ (Ebd.). Der diachrone Aspekt erschwert also die Konsensbildung in der Motivationsforschung noch zusätzlich.

Fazit: Die selektiven Untersuchungsschwerpunkte und Herangehensweisen in der Motivationsforschung ermöglichen kaum eine konsistente Theoriebildung: “It seems impossible to capture the whole picture. (...) and it may well be the case that devising an integrative ‘supertheory’ of motivation will always remain an unrealistic desire“ (Ebd., 4).