Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule

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2.4.3 Von der Theorie zur Praxis: TBL-framework und Storyline

Laut Schmenk (2012) gehört das aufgabenbasierte Fremdsprachenlernen „in die heutigen Top Ten fremdsprachendidaktischer Begrifflichkeiten“ (Ebd., 57). Doch obwohl aufgabenorientiertes Lernen in den vergangenen zwanzig Jahren in der fachdidaktischen Diskussion auf internationaler Ebene viel positive Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat und in Teilen Europas, Asiens und Nordamerikas unzählige Publikationen und Forschungsarbeiten entstanden sind, wird die Praxistauglichkeit von Task-based Language Learning immer wieder in Frage gestellt.1 Nüchtern stellt Nunan (2013), einer der wichtigsten Vertreter der Aufgabenforschung, fest: “Despite all of this activity, the concept is still widely misunderstood, and is only slowly beginning to gain traction in the classroom“ (Ebd., 25). Er resümiert: “TBLT remains a source of mystery for many teachers around the world“ (Ebd., 19). Van den Branden (2006a) zählt in diesem Zusammenhang eine Reihe kritischer Fragen auf, die in unterschiedlichen Kreisen regelmäßig thematisiert werden:

Does TBLT work for teachers and learners in the classroom as well as it does for SLA researchers? Further, is TBLT more than a fascinating pedagogical approach that looks good and convincing on paper? Can it really inspire language teachers when they prepare their lessons or does it only frighten them because of the high demands it places on them and on their learners? (...) How do learners react to the idea of no longer having the particulars of grammar spelled out before being confronted with a speaking task? Does TBLT work as well for children as for adults? Can it be implemented in classes of 25 students with a wide range of cultural backgrounds and different levels of language proficiency? How (...) does the syllabus developer select, order and sequence some 720 tasks? (Ebd., 1f.).

Die „Transformationsproblematik“ (Thaler 2008, 183) dieses relativ komplexen Ansatzes besteht offenbar trotz intensiver Forschung weiterhin und außer den erwähnten werden häufig auch die folgenden Argumente genannt: Unklare Vorstellungen von Konzept und Begrifflichkeiten2; zu hoher Zeitaufwand; Überforderung der in der Regel nicht-muttersprachlichen Lehrkräfte hinsichtlich der erforderlichen Sprachkompetenz; Überforderung von jüngeren Lernenden bezogen auf die zur Verfügung gestellten Entscheidungsfreiräume; Unsicherheiten der Lehrkräfte in Bezug auf Kontrollverlust3, gepaart mit möglichen Disziplin- oder Motivationsproblemen; Ängste im Umgang mit unvorhersehbaren Situationen4; Unsicherheiten hinsichtlich der erforderlichen Diagnose- und Beratungskompetenzen; Dilemmasituation zwischen offenen Unterrichtsformen wie TBL und starren Formen der Leistungsmessung usw.5

Ergänzt werden kann dieser komplexe Fragenkatalog noch durch ganz grundsätzliche Fragen hinsichtlich der konkreten Vorgehensweise bei der Aufgabenentwicklung: „Wie fängt man an, wie baut man Aufgaben aufeinander auf, wie integriert man inhaltlich [sic] und sprachliche Arbeit, wie kommt man von der Einzelaufgabe zum Aufgaben-Setting?“ (Müller-Hartmann/Schocker-von Ditfurth 2006, 5). Hier ist es vor allem Willis (1996) zu verdanken, dass sie die Umsetzung des Konzepts von der Theorie in die Praxis wesentlich erleichtert hat, indem sie mit ihrem TBL-framework eine sinnvolle Strukturierungshilfe für Lehrkräfte schuf und die Idee der Aufgabenorientierung konkretisierte.6 Dennoch wird auch heute noch häufig beklagt, dass Praxismaterialien und konkrete Umsetzungshilfen für den fremdsprachlichen Unterricht rar bzw. unzureichend sind.7

Müller-Hartmann und Schocker-von Ditfurth (2006, 3) geben zudem zu bedenken, dass die bisher vorliegenden Aufgaben in der Regel auf Teilfertigkeiten reduziert und nicht ausreichend kontextualisiert seien sowie wichtige inhaltliche Bereiche wie die Auseinandersetzung mit Literatur oder kulturellem Lernen vermissen lassen. Dieser Problematik kann allerdings durch die integrative Arbeit nach dem Storyline Approach positiv begegnet werden, da hier die verschiedenen Fertigkeiten selten isoliert auftreten, sondern meist kombiniert und durch den narrativen Rahmen vor allem kontextualisiert werden, so dass eine Aufgabenbearbeitung stets organisch und sinnvoll erscheint. Durch die narrative Vernetzung verschiedener Texte treten Aufgaben zudem nie isoliert auf, sie wirken bei Storyline nie künstlich oder konstruiert, sondern sind immer harmonisch in den Rahmen der Geschichte eingebettet.

Des Weiteren beklagt Burwitz-Melzer (2006), dass „Aufgaben zur Evaluation in verschiedenen Inhaltsbereichen zwar gefordert, aber kaum erstellt werden, [und dass] Aufgaben zur Selbstevaluation oft noch gänzlich fehlen. Kaum Erwähnung gefunden hat bisher die Überlegung, welche Bedeutung der Faktor ‘Reflexion’ bei der Aufgabenorientierung innehat. Oft wird dieser Aspekt sogar ganz bewusst ignoriert“ (Ebd., 27f.).8 Bei Storyline dagegen haben Reflexionen schon seit jeher einen wichtigen Stellenwert. Auch verschiedene Möglichkeiten der Leistungsmessung und (Selbst-)Evaluation werden seit Jahren von verschiedener Seite immer wieder thematisiert und im Unterricht ausprobiert.9 Im topic plan (vgl. Kapitel 2.3.3.6) werden Möglichkeiten und Aspekte der Bewertung zudem ganz explizit aufgeführt.

Viele der oben aufgeführten Fragen können daher aus der Perspektive des Storyline Approach eindeutig positiv beantwortet werden, denn Storyline stellt meines Erachtens ein schlüssiges und praktikables Konzept dar, wie aufgabenorientiertes Lernen im fremdsprachlichen Klassenzimmer für alle Beteiligten gewinnbringend umgesetzt werden kann. Auf der Grundlage des allseits bekannten dreiphasigen TBL-Rahmenkonzepts nach Willis (1996), dessen Struktur preparationcore activityfollow-up language work auf spracherwerbstheoretischen Erkenntnissen aufbaut, soll hier nun kurz und exemplarisch erläutert werden, wie mit Hilfe des Storyline-Modells die verschiedenen Schritte und Prozesse realisiert werden können:10

 Pre-task: Lernprozesse vorbereiten und anleitenEin Thema wird ausgewählt und als Storyline-Projekt strukturiert. Offene Schlüsselfragen (key questions) fordern die Lernenden dazu auf, all ihre Ideen, Erfahrungen und Vorkenntnisse einzubringen. Dabei werden auch themenbezogene Redemittel gesammelt und in wordbanks systematisch festgehalten, um der (auch sprachlichen) Heterogenität der Lernenden gerecht zu werden.

 Task cycle: Lernprozesse unterstützenTask/Aufgabe: In Storyline-Projekten werden die Lernenden immer wieder mit größeren und kleineren Aufgaben konfrontiert, die sich sowohl auf den Inhalt der Geschichte als auch die sprachliche und handwerkliche Ausgestaltung beziehen. Dabei entstehen zahlreiche Anlässe für mitteilungsbezogene Kommunikationssituationen, in denen die Lernenden ihre Prozesse und Produkte interaktiv planen, diskutieren und reflektieren.Alle Aktivitäten für eine gestellte Aufgabe werden zunächst gemeinsam in der Gruppe überlegt, besprochen und verteilt: Wer zeichnet? Wer schneidet aus? Wer schreibt einen Text? Wer schlägt Wörter nach? Wer führt gegebenenfalls ein Interview durch? Erst danach geht es an die konkrete Arbeit. Die Lehrkraft beobachtet und koordiniert das Geschehen, inspiriert und unterstützt bei Bedarf einzelne Lernende, wenn sprachliche, inhaltliche oder anderweitige Probleme auftauchen. Dabei fungiert sie nicht als sage on the stage, sondern vielmehr als guide on the side.Selbst wenn sich alle Lernenden gelegentlich mit derselben Aufgabenstellung beschäftigen (z.B. eine Biographie oder einen Tagebucheintrag verfassen), wird es immer ganz unterschiedliche Ergebnisse hinsichtlich Quantität und Qualität geben, da die Arbeitsprodukte, anders als im herkömmlichen Frontalunterricht, nicht oder nur bedingt vorhersehbar, sondern stets Ausdruck von ganz individuellen Lernprozessen sind und dabei die multiplen Talente, Ideen und Fertigkeiten der heterogenen Lerngruppe dokumentieren.Planning/Vorbereitung: Bevor Lernprodukte im Plenum vorgestellt werden, beraten die Mitglieder der einzelnen Gruppen über die geplante Präsentation im Rahmen von kleinen Konferenzen: Je nach Aufgabenstellung werden Inhalte abgesprochen und überprüft, Texte mit Hilfe von Wörterbüchern redigiert (peer correction) oder etwa mit dem PC-Rechtschreibprogramm überarbeitet, Rollenspiele oder andere Choreographien einstudiert, Videoaufnahmen gemacht, Skizzen angefertigt, digitale Fotos geschossen und möglicherweise bearbeitet, Gedichte, Reime oder kleine Ansprachen auswendig gelernt, Hilfsmittel bereitgelegt und angemessene Präsentationstechniken geübt. Die Lehrkraft hilft bei der Organisation der Abläufe, koordiniert einzelne Aktivitäten und berät bei sprachlichen oder anderweitigen Problemen.Report/Präsentation:Ein Kernpunkt von Storyline-Projekten sind die regelmäßig stattfindenden Präsentationen, in denen die Gruppen ihre jeweiligen Arbeitsergebnisse (z.B. Figuren, Radiobeiträge, Briefe, Zauberkunststücke usw.) der Klassenöffentlichkeit vorstellen. Dadurch dass die Inhalte nicht vorgegeben, sondern von den Lernenden individuell erarbeitet werden, entsteht eine authentische Kommunikationssituation (information gap) und somit auch ein echtes Bedürfnis, die Beiträge der anderen Klassenmitglieder aufmerksam zu verfolgen und mit den eigenen zu vergleichen. Die Aufgabe der Lehrkraft besteht darin, den Ablauf der Präsentation zu koordinieren und gegebenenfalls zu moderieren, um eine logische Abfolge der Handlungen (story line) zu gewährleisten, doch für alle anderen Aktivitäten sind die Lernenden selbst zuständig und verantwortlich.Während bzw. nach einer Präsentation werden alle Ergebnisse am Wandfries ausgestellt, so dass die Lernenden in Arbeitspausen und in Eigenregie in Ruhe nachlesen und betrachten können, was ihre Mitschülerinnen und Mitschüler geschrieben bzw. hergestellt haben. Durch die Tatsache, dass Arbeitsprodukte zu jeder Zeit inhaltlich, gestalterisch und/oder sprachlich verändert und ergänzt werden können, konsultieren sie regelmäßig und ohne Aufforderung den Fries, um eventuelle Veränderungen oder Überraschungen zu entdecken. Gleichzeitig setzen sie sich intensiv mit der Sprache auseinander, nämlich wenn sie Texte lesen, mögliche Fehler verbessern oder unbekannte Wörter im Lexikon nachschlagen. Der Fries wird somit zur kreativen Bühne und zur (auch sprachlich) anregenden Lernplattform.

 

 Language focus: Lernprozesse reflektieren und auswertenAnalysis/Reflexion:Am Ende eines Storyline-Projekts findet in der Regel eine Evaluation (self/peer/class evaluation) bezüglich aller Prozesse und Produkte statt, doch kleinere Reflexionen, die sich nur auf einzelne Aspekte wie Inhalt, Lern- und Sozialverhalten oder die Fremdsprache beziehen, bieten sich auch zwischendurch an: im Klassenverband, in einer Gruppe oder mit einzelnen Schülerinnen und Schülern. Im Anschluss an eine sprachbezogene Reflexion werden gegebenenfalls wordbanks erweitert oder auch Hinweise zu grammatischen bzw. kulturspezifischen Phänomenen (z.B. Höflichkeitsformeln) gegeben. Des Weiteren können auch schauspielerische und sprecherzieherische Techniken, die beim freien Präsentieren oder Rollenspiel vor laufender Kamera bedeutsam sind, bewusst gemacht werden: “Take a deep breath. Smile but don’t giggle. Look at the audience. Don’t read everything out.“Lehrkräfte haben während eines Storyline-Projekts zahlreiche Gelegenheiten, die mündliche und schriftliche Sprachkompetenz der Schülerinnen und Schüler zu begutachten und zu bewerten, um später eventuell gezielte Sprachübungen anbieten zu können. Nicht selten stellen auch die Lernenden beim Zuhören oder Lesen von Lernertexten sprachliche Unsicherheiten oder Fehler fest (language awareness). In diesem Fall können sie beauftragt werden, mit einem Bleistift eine dezente Anmerkung vorzunehmen (ohne dabei die Ausstellungsstücke zu verunstalten) oder etwa mit den jeweiligen Verfasserinnen bzw. Verfassern im Sinne der peer correction Rücksprache zu halten.Practice/Sprachübungen:Im Anschluss an ein Storyline-Projekt können bei Bedarf weiterführende (möglichst themenbezogene) Sprachübungen angeboten und durchgeführt werden, um bestimmte linguistische Probleme, die während der Projektarbeit zutage kamen, zu bewältigen. Dies kann auch im Sinne einer Differenzierung bereits während des Projektverlaufs geschehen, nämlich als Hausaufgabe oder Zusatzaufgabe für einzelne Lernende oder kleinere Gruppen. Nachteilig für die Motivation der Lernenden und zugleich auch für die Entwicklung einer Geschichte ist erfahrungsgemäß jedoch die ständige Unterbrechung und Störung der inhaltlichen Ebene durch umfassende Sprachübungen, denn “it is tasks that generate the language to be used, not vice versa. (...) The main focus is on the tasks to be done and language is seen as the instrument necessary to carry them out“ (Estaire/Zanón 1994, 12).

Fazit: Auch wenn zwischen dem TBL-framework und dem Storyline Approach eindeutige Bezüge erkennbar sind, muss hervorgehoben werden, dass das Rahmenkonzept nach Willis vergleichsweise starr wirkt. Bei Storyline-Projekten, die den beschriebenen Kreislauf im Prinzip sogar mehrmals durchlaufen, ist der Rahmen nicht derart streng strukturiert, sondern wirkt flexibler und eher prozessorientiert. Entsprechend muss der language focus auch nicht zwangsläufig erst am Ende erfolgen, sondern wird sinnvollerweise stets dann relevant, wenn die Lernenden – im Sinne der gewünschten language awareness – sprachbezogene Fragen oder Unsicherheiten äußern, die sie an der weiteren Aufgabenbearbeitung behindern. Spracharbeit wird somit immer dann integriert, wenn sie notwendig und sinnvoll erscheint: Bei der Aktivierung und dem gemeinsamen Sammeln von relevanten Redemitteln in Form der wordbanks kann sie dem Aufgabenzyklus vorangestellt sein und im Falle des Nachschlagens oder Erfragens von individuell benötigten Wörtern kann sie die Aufgabenbearbeitung auch begleiten. Konkrete Beispiele werden in Teil B vorgestellt.

2.4.4 Zum Stand der Aufgabenforschung

Wie oben ausgeführt scheint der Task-based Approach seit geraumer Zeit ein Revival zu erleben, und die Aufgabenforschung zählt heute offensichtlich zu den Schwerpunkten innerhalb der Fremdsprachendidaktik bzw. der Fremdsprachenerwerbsforschung, auch wenn mittlerweile eine geradezu unüberschaubare Fülle an Konzepten von Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht existiert, „deren Systematisierung und begriffliche Abgrenzung nicht einfach ist“ (Schocker-von Ditfurth 2006, 228).1 Dies mag auch mit ein Grund dafür sein, warum das Konzept nicht nur (bedingungslosen) Zuspruch erfährt.2

Kritisiert wird nicht nur eine mangelnde terminologische, sondern auch eine fehlende inhaltliche Präzisierung des Konzepts3, wobei diese vielschichtige Offenheit häufig dazu führt, dass Missverständnisse entstehen und konträre Standpunkte vertreten werden. So beklagt Burwitz-Melzer (2006), dass die fachdidaktische Diskussion über TBL maßgeblich durch die Tatsache erschwert wird, „dass TBL eben kein auf lerntheoretischen Erkenntnissen oder Grundlagenforschung basierendes scharf umrissenes Konzept darstellt, sondern ein travelling concept, das von verschiedenen Disziplinen zur Beschreibung unterschiedlicher Sachverhalte benutzt worden ist oder benutzt wird“ (Ebd., 25). Dagegen behaupten Müller-Hartmann und Schocker-von Ditfurth (2004): “It seems that in recent years TBLL has become an important approach which allows psycho-linguistic and sociocultural approaches to language learning to find common ground“ (Ebd., 40). Dabei sprechen sie sich – auch in Anlehnung an Rod Ellis – ausdrücklich für eine Verbindung von psycholinguistischen und soziokulturellen4 Forschungsansätzen aus, „um der gesamten Komplexität des aufgabenorientierten Fremdsprachenunterrichts gerecht zu werden“ (Müller-Hartmann/Schocker-von Ditfurth 2005, 14).5 Somit wird deutlich, dass es sich hier um ein äußerst disparates Forschungsfeld handelt.

In den vergangenen 20-25 Jahren wurde zwar weltweit viel Aufgabenforschung in Bezug auf das Fremdsprachenlernen betrieben und durch einen enormen Umfang an Veröffentlichungen dokumentiert, doch trotz vielfältiger Bemühungen haben Untersuchungen zu den Leistungen der Lernenden offensichtlich noch keine eindeutigen Ergebnisse dazu geliefert, wie die verschiedenen Dimensionen der Sprachproduktion (accuracy, fluency, complexity) durch die entsprechende Gestaltung von tasks gezielt gefördert werden können und wie diese überhaupt miteinander interagieren (Skehan 2003; 2007).6 Skehan (2007) vergleicht in diesem Zusammenhang verschiedene Forschungsansätze mit jeweils unterschiedlichen theoretischen Fundamenten und präsentiert die Ergebnisse aus der Aufgabenforschung der vergangenen Jahre, auf die hier allerdings nicht näher eingegangen werden kann.7 Dabei wird offensichtlich, dass die Befunde zum Teil widersprüchlich oder auch inkonsistent sind. Nicht zuletzt diese Tatsache bewirkt, dass zwischen denjenigen, die TBL befürworten bzw. ablehnen, immer wieder Debatten entstehen und entsprechende Diskussionen sogar innerhalb der TBL community gelegentlich für Irritationen sorgen.8

Für aussagekräftigere Ergebnisse ist mehr Forschung unter realen Sprachlernbedingungen im Klassenzimmer vonnöten, denn bisher wurden viele Studien unter laborähnlichen Bedingungen durchgeführt und weisen deshalb manche Schwachpunkte auf: “Reliance on research gathered from non-pedagogical context runs the risk of lacking relevance and validity“ (Samuda/Bygate 2008, 261). Auch scheint es wenig Sinn zu machen, isolierte Variablen wie etwa das Aufgabendesign zu untersuchen, ohne dabei den Gesamtkontext zu berücksichtigen, also die multiplen Bedingungen vor Ort (Kontextvariablen) und die Zusammensetzung der Lerngruppe selbst (Lernervariablen), welche die Sprachentwicklung mit beeinflussen:

There has been very little formal research into TBL in classrooms, where a host of different variables come into play. The ‘same’ task might be done quite differently according to where it comes in the teaching cycle, the role taken by the teacher, the learners’ interpretations of what is expected, the learners’ previous experience of the task type and topic or content matter and other implementation variables, such as time limit, group size and participant roles (Willis/Willis 2001, 176).

Eckerth (2003) bringt die Sache auf den Punkt, wenn er ein kritisches Resümee zum Stand der Aufgabenforschung zieht und auf diverse Schwachstellen bzw. Widersprüche hinweist: „Obwohl Formulierungen wie ‘chances of noticing’ und ‘opportunity for reflection and awareness’ auf die Konzeptualisierung des Fremdsprachenlerners als aktives und selbstreflexives Subjekt referieren, wird der Lerner innerhalb der task-based research primär als ein reaktives informationsverarbeitendes System betrachtet“ (Ebd., 38). Es kann also nur noch einmal wiederholt werden: Die Spracherwerbsforschung sollte mit der Unterrichtsforschung noch stärker verbunden werden, um zu verlässlicheren Ergebnissen zu gelangen.9 Dabei sollten sowohl Lernprodukte als auch Lernprozesse ins Blickfeld gerückt werden, um die Interdependenz von Lernumgebung, Lernenden und Lernerfolg zu erforschen (Eckerth 2008, 19). Es liegt auf der Hand, dass dieser anvisisierte Brückenschlag noch ein langwieriger Prozess sein wird, zumal Schulen, Lehrkräfte, Klassen, Lernende und Forschende gefunden werden müssen, die sich dem komplexen Ziel der gemeinsamen Aufgabenforschung verschreiben wollen und können.

Um also langfristig eine stärkere Akzeptanz der Aufgabenorientierung in der Unterrichtspraxis zu erzielen, sollten nicht nur Inhalte und Ziele des Konzepts klarer abgesteckt und konkretisiert werden, sondern vor allem müssen auch noch mehr wissenschaftlich abgesicherte Befunde hinsichtlich der Vorzüge von TBL bezüglich Lernerleistungen erbracht werden. Dazu sind unter anderem auch verlässliche Langzeitstudien erforderlich. Zu den grundsätzlicheren Fragen, die zwar nicht alle zwangsläufig im Klassenzimmer erforscht, aber dennoch geklärt werden müssen, gehören beispielsweise die folgenden:

 Was überhaupt sind authentische Aufgaben?

 Was sind für Schülerinnen und Schüler gute und somit auch sinnvolle Aufgaben (meaningful tasks), die sie zur Kommunikation in der Fremdsprache herausfordern?

 Welche Inhalte und Themen sind für Schülerinnen und Schüler insofern relevant, dass sie auch für deren Zukunft im Sinne von Bildungsinhalten und Persönlichkeitsentwicklung eine Bedeutung haben (vgl. auch Bredella 2006)?

 Welchen tieferen Bildungssinn hat TBL überhaupt, abgesehen von den auch im Rahmen der Bildungsstandards erwähnten fertigkeitsbezogenen Kompetenzen?

 Welchen Stellenwert haben accuracy, fluency und complexity in der heutigen Fremdsprachendidaktik bzw. im heutigen Fremdsprachenunterricht? In welchem Verhältnis stehen diese Zielkategorien zueinander (und auch im Vergleich zu Inhalten und sozialen Aspekten der Kommunikation)? Konkret geht es hier auch um den Begriff „Fehlertoleranz“.

 Wie können die beiden Aspekte „Inhalt“ und „Form“ so in Einklang miteinander gebracht werden, dass sie nicht als sich einander ausschließende Gegenpole betrachtet werden müssen (vgl. dazu auch Rösler 2013)?

 Es stellt sich hier auch die Frage nach sinnvollen Formen der Bewertung und Beurteilung von Lernprozessen und Lernergebnissen, denn bekanntlich setzen sich innovative Ansätze in der Praxis nur durch, wenn die Leistungsmessung mit entsprechenden Konzepten mitzieht und die Qualitäten des (aufgabenorientierten) Unterrichts belegt werden können.

 In welchem Maß können/sollen die Schülerinnen und Schüler ihre Erfahrungen, Weltwissen, Talente, Interessen und Bedürfnisse einbringen (learner-centredness) und inwieweit sind Hilfen, Anregungen, Vorgaben und Führung durch die Lehrkraft erforderlich/sinnvoll, um Lernfortschritte jeglicher Art zu initiieren (learning-centredness)? Es geht hier also um die Frage nach einem sinnvollen Maß von Anleitung/Steuerung und Freiraum/Autonomie und die konkrete Umsetzung im Klassenzimmer, und zwar vor dem Hintergrund, allen Mitgliedern der heterogenen Lerngruppe gerecht zu werden und sie zum lebenslangen Lernen zu motivieren. Hier anknüpfend stellt sich auch die Frage nach der Rollenverteilung im Klassenzimmer, die sich schließlich auch auf die Auswertung von Ergebnissen auswirkt: Inwiefern werden beispielsweise Lernende als “task executioner“ bzw. “task interpreter“ (Eckerth 2008, 26) gesehen/akzeptiert?

 

 Last but not least: Welche (sprachlichen) Voraussetzungen sind beim Einsatz von komplexen Aufgaben zu berücksichtigen? Können auch beginners mit authentischen Aufgaben gewinnbringend konfrontiert werden?

Als Impulse für die Forschung im Klassenzimmer oder in Lehreraus- und -fortbildungseinrichtungen können folgende Fragen dienen:

 Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Aufgaben und der Verwirklichung der interkulturellen kommunikativen Kompetenz, die als übergeordnetes Bildungsziel des Fremdsprachenlernens definiert wird (vgl. Europarat 2001)? Besser: Wie kann dieser hehre Anspruch durch entsprechende Aufgaben im Klassenzimmer konkret realisiert werden?

 Welche Kompetenzen werden bei aufgabenorientierten Lernarrangements besonders gefördert und wie nachhaltig ist der Lernerfolg – auch im Sinne des Lerntransfers? Bisher konnte offenbar auch die Wirkungsforschung keine erschöpfende Antwort auf die Frage liefern, ob „man durch Aufgabenorientierung ein erfolgreicher oder gar ein erfolgreicherer Fremdsprachenlerner“ wird (Burwitz-Melzer 2006, 29).

 Konkret: „Führen tasks wirklich zu einem natürlichen, kommunikativen Sprachgebrauch, der den Spracherwerb fördert?“ (Thaler 2008, 183). Thaler hinterfragt hier die Qualität und Intensität der stattfindenden Interaktionen, indem er auf Arbeiten von Seedhouse (1999) verweist, die offenbar einen „minimalisierten und pidgin-ähnlichen Sprachgebrauch“ bestätigen (Thaler 2008, 183). Des Weiteren bemängelt er – unter Verweis auf Ellis (2003, 328ff.) – die einseitig bevorzugte referenzielle Funktion von Sprache, während beispielsweise die poetische Funktion vernachlässigt wird.

 Welche Aspekte beeinflussen das Sprachenlernen am meisten: „Sind es eher die Inputfaktoren, also z.B. das Design der Aufgabe durch den Lehrenden (task-as-workplan), oder eher die Interaktion im Klassenraum und die Möglichkeiten, die Lerner bei der Ausführung der Aufgabe haben und wahrnehmen (task-in-process)“ (Müller-Hartmann/Schocker-von Ditfurth 2005, 6)?

 Dringend erforderlich ist auch eine stärkere Berücksichtigung der Lernerperspektive. Diese Ansicht wird auch von Eckerth (2003; 2008) vertreten: „Die der task-based research inhärente Nichtbeachtung des Lernenden als eines Individuums mit je eigenen affektiven und kognitiven Dispositionen, das aktiv in seinen eigenen Lernprozess involviert und auch für seinen Lernprozess (mit-)verantwortlich ist, muss als ernsthaftes Defizit betrachtet werden“ (Eckerth 2003, 43). Lantolf (2000, 12), Vertreter der soziokulturellen Forschung, gibt mit Recht zu bedenken: “Even if students in the same class engage in the same task they may not be engaged in the same activity. Students with different motives often have different goals as the object of their actions, despite the intentions of the teacher“ (vgl. Kapitel 4).Es stellen sich somit folgende Fragen: Inwiefern beeinflussen sich Lernende und Aufgaben gegenseitig bzw. wechselseitig, was Lernprozesse und Lernzuwächse auf intellektueller, sprachlicher, emotionaler, methodischer oder sozialer Ebene anbelangt? Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Aufgaben, Motivation und Lernerfolg? In welchem Zusammenhang stehen also die beiden Variablen „Lernende“ und „Lernen“?

 Sinnvoll und aufschlussreich wäre auch, TBL-Forschung auf der Basis eines komplexeren aufgabenorientierten Unterrichtskonzepts, wie es der Storyline Approach darstellt, zu betreiben, anstatt nur punktuelle Untersuchungen einzelner und beliebiger Aufgabenstellungen durchzuführen. So vertritt auch Eckerth (2008) den Standpunkt, dass “most TBLT studies have not explicitly attempted to show the superiority of TBLT over other, more structurally organized instructional approaches. These studies have moreover typically been limited to the investigation of a single task or a short sequence of tasks, rather than investigating and assessing large-scale task-based curricula“ (Ebd., 32).

 Und: „Noch ist die Aufgabenorientierung im FU nicht in allen Klassenzimmern angekommen“ (Burwitz-Melzer 2006, 30). Auch Nunan (2013, 17) wundert sich: “Teachers continue to teach as they have been taught“. Es stellt sich also noch einmal die grundsätzliche Frage bezüglich der Umsetzung von der Theorie in die Praxis: Welche Qualitäten und Kompetenzen müssen Lehrkräfte erfüllen/entwickeln, um die hochkomplexen Zielsetzungen des TBL-Konzepts realisieren zu können?10 Wie sollten Kurse in Lehreraus- und -fortbildung hinsichtlich Struktur, Vorgehensweise und Aufgabenformen gestaltet sein, damit sich innovative Ansätze in den Schulen wirklich (nachhaltig) entwickeln können? Denn:Lehramts-Studierende, die in der ersten Phase ihrer Ausbildung nicht erfahren, welche Chancen durch eine Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht eröffnet werden, und Lehramtsreferendare, die dieses Wissen nicht in der zweiten Phase konsequent umzusetzen lernen, werden die methodischen Prinzipien der Aufgabenorientierung auch nicht in ihren Unterricht implementieren können (Burwitz-Melzer 2006, 30).Gerade in diesem Bereich herrscht offensichtlich noch ein großer Forschungsbedarf, um zu eindeutigeren Ergebnissen bezüglich des komplexen Verhältnisses zwischen Ursache und Wirkung zu gelangen und um letztendlich sinnvolle Konzepte entwickeln zu können, die nicht nur auf dem Papier gut klingen, sondern auch Eingang in die Praxis finden.

Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, noch weiter auf die zahlreichen ungeklärten Fragen hinsichtlich Task-based Language Learning einzugehen. Stattdessen möchte ich auf die zum Teil umfangreichen Listen mit Fragestellungen bei Eckerth (2008), Hallet/Legutke (2013, 6f.), Müller-Hartmann/Schocker-von Ditfurth (2005, 45), Samuda/Bygate (2008, 84) sowie auch in den Einzelbeiträgen bei Bausch u.a. (Hrsg.) (2006) oder Müller-Hartmann/Schocker-von Ditfurth (Hrsg.) (2005) verweisen, die als Impuls für weitere Forschungsprojekte dienen können.

Fazit: Resümierend kann festgehalten werden, dass der Task-based Approach kein monolithischer Block ist, sondern verschiedene Varianten umfasst (Willis 2004, 3). Als eine dieser Varianten im weiteren Sinn kann der Storyline Approach betrachtet werden, der allerdings nicht nur sprachliches Lernen zum Ziel hat, sondern explizit auch die sozialen, kreativen, imaginativen und emotionalen Komponenten des Lernens integrativ berücksichtigt und somit das Potenzial der Lernenden auf einer umfassenderen Ebene – auch im Hinblick auf die Förderung der multiplen Intelligenzen (vgl. Gardner 1994; 2002; 2007) – noch weiter ausschöpft, ohne dabei die Lerninhalte aus den Augen zu verlieren. Es steht also nicht primär die zu bearbeitende fremdsprachliche Aufgabe im Mittelpunkt, sondern vielmehr der Gedanke, wie die abstrakten Begriffe „Bildung“ und „Erziehung“ im Klassenzimmer realisiert werden können.

Eikenbusch (2008a) geht davon aus, dass eine Lehrkraft im Laufe ihres Berufslebens im Durchschnitt mindestens 100.000 Aufgaben stellt: „Umso mehr verwundert es, wie wenig wir darüber wissen, wie Aufgaben im Unterricht überhaupt funktionieren“ (Ebd., 6). Er kommt zu der Erkenntnis, die natürlich auch für den Fremdsprachenunterricht gilt: „Gute Aufgaben zu stellen ist eine anspruchsvolle Tätigkeit – um nicht zu sagen: Aufgabe“ (Ebd., 10). Hierfür kann der Storyline Approach eine inspirierende Quelle sein ...