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Die Mumie von Rotterdam, Zweiter Theil

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»Unbegreiflich!« sprach der Junker, der sich einem vergeblichen Nachsinnen über die wunderliche Angelegenheit hingegeben hatte. »Aber, wißt Ihr was? Nehmt mich mit! Nichts soll meine Gegenwart verrathen, das gelobe ich Euch. Vielleicht klärt sich, wenn ich die unbekannten Gegner sehe, in einem Augenblicke Alles auf, ein unschädlicher Irrthum enträthselt sich und wir können in aller Sicherheit einige Stunden der Ruhe bei Euch zubringen, deren die Frauen so sehr benöthigt sind.«

Nach einem kurzen Bedenken willigte der Hausbesitzer ein. Während Philippintje, am Feuer sitzen bleibend, trüben Gedanken nachhing und Clelia durch das Fenster auf die weiten Schneegefilde blickte, begaben sich die zwei Männer, durch eine Hinterthüre der Küche ein schmales, düsteres Treppchen hinauf, zu dem Orte, der ihren Absichten in jeder Beziehung entsprach. In dem finsteren Kämmerchen hörten sie jedes Wort, das in dem benachbarten Zimmer laut wurde, durch die Wandritze sah Cornelius ganz deutlich diejenigen, die aus einer unerklärlichen Ursache die Geliebte ihm entreißen wollten.

Seine Blicke verweilten nicht lange bei den unbedeutenden Gestalten der zwei schmutzigen Bursche, die in einem Winkel saßen und in dummer Erwartung vor sich hinsahen. Sie richteten sich sogleich auf die wohlgekleideten Jünglinge, die in unruhiger Bewegung auf und niederschritten und in einem Wortstreite begriffen schienen. Cornelius hatte sie schon gesehen. Ein augenblickliches Nachdenken belehrte ihn, daß dieses am Bord des lustigen Freiers von Rotterdam geschehen sey, er ahnete zugleich, daß sie damals schon in dem Unternehmen begriffen gewesen, das sie jetzt wiederum in seinen Weg führte.

»Cadédis!« rief der eine von ihnen mit Heftigkeit. »Die Gelegenheit ist da, so gut wir sie nur wünschen können. In fünf Minuten ist Alles abgethan. Wir rücken dem Sire Cornelius mit dem Degen auf den Leib, er muß das Mädchen herausgeben und wir führen sie auf demselben Wagen, der sie hierher gebracht, im Triumphe zurück nach Rotterdam zum Professor Hazenbrook. Er harrt unserer gewiß noch im Gasthofe und finden wir ihn da nicht mehr, so muß die Schöne mit nach Leyden wandern, wo dann der Professor das Weitere verfügen wird.«

»Es ist nicht möglich, dich zu Ruhe und Besonnenheit zu bringen!« versetzte mit einer Sanftmuth, die sehr gegen die Heftigkeit seines Gefährten abstach, der andere. »Es würde an Tolldreistigkeit grenzen, wenn wir hier, wo der Wirth es sicherlich mit ihm hielte, wo in den Ställen und Scheunen ein Anzahl Knechte versteckt seyn kann, die auf den ersten Wink gegen uns stünde, einen Angriff auf den muthigen Kriegsmann wagen wollten, der gewiß gut mit Waffen versehen ist und sie auch zu gebrauchen versteht. Nein, Le Vaillant, das ist nichts! Wir bleiben hübsch ruhig und still hier oben. Wir beobachten mit Luchsaugen Alles, was bei dem Wagen vorgeht. Ungehindert lassen wir sie einsteigen und abfahren. Sind sie aber ein Paar hundert Schritte entfernt von diesem Hause, dann auf unsere Pferde, ihnen nach in gestrecktem Gallopp, dem Junker Cornelius die Pistole unter die Nase, ehe er sich dessen versieht, er herunter vom Bocke, wir hinauf, unsere vier Pferde noch vorgespannt – und querfeldein fort über Stock und Stein!«

Der Erstere machte keine weitere Einwendung. Er schien sich schweigend der besseren Ansicht seines Cameraden zu unterwerfen.

Cornelius hatte genug gesehen, genug gehört. Die Namen Hazenbrook und Le Vaillant klangen ihm wie Arabisch. Alles war ihm noch unbegreiflich, nur war er jetzt völlig von den feindlichen Absichten, welche die, wie Studenten gekleideten, zwei jungen Leute gegen ihn und Clelien hegten, überzeugt. Nichts anderes, als eine Kriegslist konnte aus dieser kritischen Lage helfen, wenn es nicht zu einem Handgemenge kommen sollte, dessen Ausgang sehr zweifelhaft war. Indem er seinen Führer die dunkele Treppe hinabzog, strengte er vergebens seine Gedanken an, irgend ein Rettungsmittel zu ersinnen.

Er sah sehr verstört aus, als er zu den Frauen in die Küche zurückkehrte. Clelia trat ihm mit forschenden Blicken entgegen. Sie schien ruhig, aber ihr Inneres war in großer Bewegung. Philippintje warf nun einen Blick auf den Junker. Sie glaubte ihr Todesurtheil in seinen Zügen zu lesen, sie brach in lautes Weinen aus.

»Ich habe Diejenigen gesehen,« hob Cornelius an, »die sich, aus einer mir unbegreiflichen Ursache, ein Geschäft daraus machen, uns in einer feindlichen Absicht zu verfolgen. Sie wollen Euch mir entreißen, Euch einem gewissen Hazenbrook zuführen, von dem ich nie etwas gehört habe. Bei dem Degen des großen Marlborough! Ich fürchte sie alle Vier nicht und gedächte es mit ihnen aufzunehmen, oder würde gern untergehen im Kampfe für Euch; aber was sollte dann aus Euch werden, ohne Freund, ohne Beschützer hier im fremden Lande?«

»Hazenbrook?« wiederholte Clelia, in Nachdenken verloren. »Auch ich habe diesen Namen niemals vernommen.«

»Er klingt wie Indisch!« versicherte jammernd Philippintje. »Gewiß ist es ein Götze, wie der Schiwa, und wir als schuldlose Jungfrauen sollen ihm zum Opfer gebracht werden!«

»Ich glaube, ich habe das Mittel gefunden, die sauberen Gesellen um die Frucht ihrer Mühen zu bringen und ihnen eine Nase zu drehen, die von hier bis Mastricht reicht,« nahm jetzt der Landmann, der bisher in einer nachsinnenden Stellung hinter dem Junker gestanden hatte, das Wort. »Sie wollen sich ruhig halten und warten, bis Ihr Euch in den Wagen zurückbegeben habt und abgefahren seyd? Sie mögen warten! Sie sollen, wenn Ihr anders meinen Rath befolgt, noch stundenlang am Fenster stehen und sich die Augen aus dem Kopfe sehen nach Euerer Abreise, während Ihr schon wenigstens halbweg Mastricht seyd und dann von ihnen nichts mehr zu befürchten habt. Hört mich an! Allenthalben ist das Wasser der Teiche ausgetreten auf die Wiesen, dann ist es gefroren und von hier bis zum Ziele Euerer Reise ist die herrlichste Schlittenbahn von der Welt. Ihr seyd ein Holländer. Ein tüchtiger Holländer läuft jedes Pferd zu Schanden, wenn er Schlittschuhe unter den Füßen hat. Ich gebe Euch zwei Stuhlschlitten, in diese packen wir die Frauen, den einen führt Ihr, den andern mein Junge und der Böse müßte sein Spiel haben, wenn Ihr die fünf Stunden bis zur Stadt nicht vor Abend zurücklegtet. Ich lasse Euch zur Hinterthüre hinaus. Die oben warten und warten – wann die Dämmerung nahet, trete ich ganz gleichmüthig an den Wagen, spanne aus und ziehe die Thiere in den Stall. Dann mögen sie kommen und fragen – mir soll es nicht an Antworten fehlen! Was sagt Ihr zu dem Anschlage?«

»Nassau und Oranien!« rief Cornelius, indem er den Mann in der Freude seines Herzens umarmte. »Er ist vortrefflich, er ist nicht mit Geld zu bezahlen!«

Philippintje aber stand zitternd auf und seufzte:

»In einem Schlitten soll ich fahren? Ueber’s Eis? Einbrechen, ertrinken?«

Niemand hörte auf sie. Während der wackere Hausbesitzer seinem Sohne die nöthigen Eröffnungen machte, Schlitten und Schlittschuhe in den gehörigen Stand setzte, nahmen die Reisenden einige Erfrischungen zu sich, wie sie der ländliche Haushalt ihres Wirthes darbot. Clelia war jetzt ruhig und gefaßt. Wo sie eben nur dunkele, räthselhafte Nacht erblickt hatte, erschien ihr tröstlich und freundlich wieder ein Hoffnungsstern. Sie sprach ihrer Gefährtin Muth ein. Sie stimmte einen scherzhaften Ton an und brachte es wirklich bald dahin, daß Philippintje anfing, ihre Besorgnisse zu verbannen und sich sogar auf die Lustfahrt im Schlitten freuete.

Jetzt kam der Landmann zurück. Alles war fertig, Alles zur Abreise bereit. Sie entfernten sich leise durch die hintere Thüre des Gemaches; sie schlichen durch dunkle Gänge, durch die geräumigen Viehställe, durch den Garten. Das Schneegestöber hatte aufgehört. Nur eine dünne durchsichtige, weiße Flordecke lag auf dem weiten Eisspiegel, der sich, als sie aus dem Garten traten, ihren Blicken bot. Des Wirthes Knabe harrte hier mit Schlittschuhen und Schlitten. Vergebens bemühete sich Cornelius, dem Manne eine Belohnung aufzudringen.

»Ihr kommt schon einmal wieder!« antwortete er. »Bis dahin hat es Zeit. Euer Fuhrwerk und Euere Pferde bleiben mir ja ohnehin im Versatze,« fügte er lächelnd hinzu.

In dem Augenblicke ihrer Abfahrt brach die Sonne durch Wolken. Sie röthete Clelia’s Wangen und ließ das blühende Mädchen in einem Himmelsglanze erscheinen, der Cornelius mit Entzücken und den nachsehenden Landmann mit Bewunderung erfüllte.

Mit Windeseile flogen die Schlitten über die silberglänzende Eisdecke hin. Cornelius hatte seit seinen Knabenjahren für einen Meister im Schlittschuhlaufen gegolten; aber der Sohn des Wirthes übertraf ihn, wenn auch nicht an Zierlichkeit der Bewegungen, doch in Gewandtheit und Geschwindigkeit bei Weitem. Das mußte Philippintje zu ihrem oftmaligen Schrecken und Entsetzen erfahren. Er machte die künstlichsten Drehungen und Schleuderungen mit dem Schlitten, in dem sie saß, er fuhr sie wie toll im wirbelnden Kreise herum, er zog sie lange Strecken hindurch hinterrücks fort und wenn sie dann anfing, zu schreien und zu schelten, so lachte er hell auf, sprach ihr freundlich zu und versicherte, das sey hier zu Lande die Manier, ihre Mädchen und Weiber schrieen auch, aber sie sähen es doch gern und, weil man das wüßte, kehrte man sich nicht daran. Er begann dann von Neuem sein neckendes Spiel, ohne sich jedoch jemals von dem Junker weit zu entfernen, der, seine schöne Last vor sich hin schiebend, alle Kräfte aufbieten mußte, um nicht hinter dem flüchtigen Knaben zurückzubleiben.

Der Landmann war in der Gartenthüre stehen geblieben und hatte ihnen so lange nachgesehen, wie seine Blicke sie erreichen konnten. Er wünschte ihnen alles Glück auf den Weg. Cornelius offenes treuherziges Wesen hatte ihn angesprochen, und der Eindruck, den Clelia’s Schönheit auf ihn gemacht hatte, war von jenen Gefühlen des Wohlwollens begleitet, die wir denjenigen, die durch einen persönlichen Vorzug sich in unseren Augen auszeichnen, so gern zu widmen geneigt sind. Er ging in das Haus, in das Gemach zurück, wo noch am Kamine der Stuhl stand, auf dem das schöne Mädchen gesessen hatte. Ein zufriedenes Lächeln schwebte auf seinen Zügen. Er glaubte ein gutes Werk gethan zu haben, er mußte sich im Stillen über die Täuschung der Laurer im ersten Stocke lustig machen. Er horchte nach ihnen hin. Alles war ruhig. Sie standen gewiß in gespannter Erwartung am Fenster und gedachten, in jedem Augenblicke die reizende Beute, die sie schon in ihrem sicheren Besitz sahen, aus dem Hause treten zu sehen, sie standen gewiß bereit, sogleich, wenn es ihr Anschlag mit sich brachte, hinabzustürmen, ihre Pferde zu besteigen und das Werk zu vollführen, das, nach ihrem Wahne, ihnen gar nicht fehlschlagen konnte! Der Landmann mußte laut auflachen, wenn er sich das in seinen Gedanken ausmalte. Um die Täuschung fortzusetzen, ging er hinaus zu den Pferden, gab ihnen zu trinken und warf ihnen Heu vor, als sollten sie sich zu der ferneren Reise vorbereiten und stärken. Ein Blick nach den Fenstern des oberen Stocks belehrte ihn, daß die zwei jungen Leute ihren Lauerposten nicht verlassen hatten. »Ihr steht mir gut dort!« dachte er. »Ergötzt Euch nur noch ein Paar Stunden, an der freien Aussicht, die Ihr oben habt; dann mögt Ihr ausfliegen wohin Ihr wollt, meine Eisvögel holt Ihr doch nicht ein.«

 

Le Vaillant und sein Gefährte – in diesem haben unsere Leser schon längst den Leydener Studenten La Paix wiedererkannt – befanden sich indessen in jenem peinigenden Zustande, den das Gefühl der Erwartung einer nahen Catastrophe, des heranrückenden Momentes, in dem sich der Ausgang eines noch zweifelhaften Unternehmens entscheiden muß, in seinem Gefolge hat. Sie waren in jener Nacht, in der wir sie verließen, glücklich zu einer einsamen Küstenwohnung gelangt, sie hatten die vorüberfahrende Barke Syrene bestiegen, allein, indem sie hier gewiß Clelien und Cornelius zu finden glaubten, sich in ihren Hoffnungen getäuscht gesehen. Aber sie kannten ja das Reiseziel der Flüchtlinge! In Antwerpen waren sie an’s Land gestiegen. Frische Geldsummen, die sie hier bei einem befreundeten Handelshause aufnahmen, setzten sie in den Stand, Pferde zu kaufen und zwei Diener zu miethen, die sie bei ihrem Unternehmen unterstützen sollten. Sie schlugen den nächsten Weg nach Mastricht ein, aber La Paix gebrauchte die Vorsicht, seine Leute zum Oefteren seitwärts in’s Land zu schicken, um hier nach den Verfolgten zu forschen. So gelang es ihm, die Spur der Flüchtlinge zu finden. Schon früher würde er sie ereilt haben, wäre nicht der Junker van Daalen von der rechten Straße ab, auf Seitenwege gerathen, auf welchen die Nachsetzenden ihn nicht vermutheten. Deshalb gewannen sie auch den Vorsprung einer halben Tagereise vor ihm. In dem einsamen Gehöf, zu dem sie am heutigen Morgen gelangt waren, beschlossen sie auf gut Glück hin, einen Tag zu rasten. Sie waren nun überzeugt, daß die Flüchtlinge hier noch nicht vorübergezogen seyn konnten, sie sahen endlich, wie wir wissen, am Mittage dieses Tages eine Hoffnung erfüllt, die ihnen schon so oft fehlgeschlagen war.

»Morbleu!« sagte Le Vaillant zu seinem Freunde, der nur Augen für das unten harrende Fuhrwerk zu haben schien, nachdem beide schon über eine Stunde am Fenster gestanden und nutzlos auf einen Umstand gelauert hatten, der ihnen die baldige Abfahrt der Flüchtlinge anzeigen möchte. »Die sitzen fest am Kamin und machen uns wohl die Zeit noch lang, ehe wir uns auf die Klepper werfen können, um ihnen den Spaß zu verderben. Sandis! Du hättest meinen Rath annehmen sollen. Jetzt wäre Alles gethan, wir hätten das Vögelchen im Käficht und wären schon auf dem Rückwege nach der Heimath, wo unser würdiger Professor gewiß mit sehnsüchtig geöffneten Armen den Preis für seinen Amenophis Pharao erwartet. Du wirst es noch erleben, daß wir endlich, wenn wir meinen, die Huldgestalt zu fassen, nur in einen blauen Dunst greifen und daran ist nichts anderes schuld, als deine ewige Bedenklichkeit, dein endloses Zaudern. Cadédis – «

»Still, sie kommen!« unterbrach ihn La Paix und seine Blicke glänzten. Aber es war nur der Landmann, der wohlgemuth aus dem Hause trat und den Pferden Futter vorwarf. Nichts destoweniger nahmen die Studenten seine Erscheinung als eine günstige Vorbedeutung auf. Le Vaillant nahm seinen großen Raufdegen von der Wand und gürtete sich damit, ebenso La Paix. Die beiden Gesellen, deren übles Aussehen eher ein Paar Wegelagerer vermuthen ließ, als die Diener zweier Musensöhne, erhoben sich und dehnten, wie zu baldiger Thätigkeit und zum bevorstehenden Handgemenge, die gedrängten starkgliedrigen Gestalten, die ebenfalls mit Pistolen und kurzen Degen wohl versehen waren.

Le Vaillant rieb sich zufrieden die Hände, während sein Freund wieder ungeduldig zum Fenster trat. Der Landmann war verschwunden. Alles wieder still, wie zuvor.

»Die Weiber können nicht aus dem Neste kommen!« grollte Le Vaillant, nachdem er an die Seite seines Gefährten getreten war. »Morbleu! Hätten wir es nur mit Männern zu thun, so wären wir längst im freien Felde mit ihnen aneinander und du solltest sehen, daß keiner vermag vor Le Vaillant’s Schwerdt zu bestehen!«

»Die Gelegenheit wird schon kommen, wo du deine Heldenthaten an den Mann bringen kannst;« erwiederte kaltsinnig La Paix. »Jetzt richte deinen Muth gegen dich selbst und bekämpfe deine Hitze, deine Ungeduld.«

La Paix war, durch seines Freundes unaufhörliche Aufforderungen gereizt, nun hartnäckig geworden und bestand fest auf seinem Sinne, obschon sich in einzelnen Augenblicken eine gewisse Besorgniß über die Richtigkeit seiner Ansicht in ihm regte. Immer hatte Le Vaillant eine Art von Oberherrschaft von Seiten seines Landsmannes anerkannt. Dieser unterwarf er sich auch jetzt, zwar mit Widerwillen, aber nicht ohne alles Vertrauen, das auf so viele günstige Erfolge des Freundes in ähnlichen Fällen begründet war.

Aber noch eine Stunde verging in der Pein des Harrens, eine andere schlich ebenso mit Schneckenschritt vorüber und nichts veränderte sich in der Lage der Verbündeten. Die Abenddämmerung näherte sich. Viele Landleute, Männer und Weiber, kamen aus den benachbarten Städtchen, wo ihr ländlicher Handel sie hingeführt hatte, zurück und kehrten in dem einsamen Hofe ein, um hier, wie sie es gewohnt waren, zu übernachten und morgen in der Frühe des Tages ihren Weg nach der entlegenen Heimath fortzusetzen.

Jetzt war der Augenblick der Enttäuschung gekommen. La Paix mußte sehen, wie im vollen Gelächter mit anderen Landleuten und mit Gebehrden, die den Studenten und seine Begleiter deutlich genug als den Gegenstand seines Spottes bezeichneten, der Wirth aus dem Hause trat, die Pferde ausspannte und das Fuhrwerk, das die schöne Clelia getragen hatte, unter Dach schob. Er biß sich in die Lippen. Er trat hastig vom Fenster zurück und sagte mit ärgerlicher gepreßter Stimme:

»Wir sind betrogen! Ich durchschaue die ganze Geschichte, den listigen Streich, den man uns gespielt hat. Der Wirth ist ein Spitzbube. Er hat uns verrathen, er hat die Beute, die uns schon sicher war, längst weiter geschafft, während er uns mit dem ruhig wartenden Fuhrwerke genarrt.«

»Sandis! so müssen wir ihm den Hals brechen;« fuhr Le Vaillant wild auf und legte die Hand an den Degen.

»Versuche es nur!« entgegnete spitz sein Freund. »Die fünfzig rüstigen Bauernhände, die dem Schelm jetzt zu Gebote stehen, werden dir die Lust dazu schon vertreiben. Ehe du ihm an die Gurgel kommst, werden die Dreschflegel so auf deinem Rücken herumtanzen, daß du dein Lebelang nicht wieder gerade gehen kannst. Aber es ist kein Augenblick zu verlieren! Wir müssen ihnen nach. Führt die Pferde vor!« rief er den Dienern zu. »Vielleicht ist uns die Nacht günstiger, als der Tag.«

Sie stürmten die Treppe hinab. In der Thüre der Küche stand der Hauseigenthümer, hinter ihm ein Haufe von Bauern, mit feisten, wohlgenährten Gesichtern. Sie hielten die derben Knochenfäuste, wie zum Angriffe gerüstet, empor, sie lachten laut auf, als sie die Herabeilenden erblickten.

»Ihr wollt schon fort?« rief der Wirth mit scheinbarem Bedauern, hinter dem der Schalk sich verbarg, ihnen zu: »Gewiß den andern nach? Ja, da müßt Ihr Euch eilen, denn die sind schon vor mehr als drei Stunden abgereis’t, so rasch und auf so flüchtigem Fuhrwerk, daß sie in diesem Augenblicke wohl vor den Thoren von Mastricht halten können.«

Die Studenten würdigten ihn keiner Antwort. Le Vaillant schoß einen wüthenden Blick nach ihm hin. Aber außer einem: »Cadédis!« das ihm unwillkührlich zwischen den Zähnen hervordrang, ließ er keine Verwünschung, keine Drohung laut werden. In wenigen Augenblicken standen die Pferde bereit. Mit wilder Hast schwangen sich die Jünglinge auf und flogen, wie vom Sturmwinde gejagt, in die winterliche Gegend hin. Die Diener folgten ihnen nach. Bald war das Geräusch ihrer Rosse verhallt. Ein lauer Südwind strich über die Fläche und erweichte und lockerte die Eis- und Schneedecke, die auf den Gewässern und auf dem Lande ruhete.

6

In einem lieblichen Thale, das die Wellen der Maas durchschneiden, liegt die Stadt Mastricht. Freilich sah man jetzt nichts von dem Grün der Ufer, das im Frühlinge und Sommer, in weiten blumendurchwirkten Wiesenflächen sich hindehnt, und der Reiz, der dieser Gegend in einem geringeren Grade auch im Winter bleibt, war jetzt von den Schatten der Abenddämmerung verhüllt! Aber dennoch wurde sie von drei Reisenden, die eben einen Hügel erstiegen hatten, auf dem sich ihnen die aus der Stadt herüberglänzenden Lichter wie freundliche Sterne zeigten, als das Ziel einer müheseligen und selbst nicht gefahrlosen Wanderung begrüßt. Die drei Reisenden waren Cornelius und seine Begleiterinnen. Sie hatten in einer geringen Entfernung von der Stelle, wo wir sie finden, die Schlitten verlassen müssen, da ihnen der Sohn ihres wohlwollenden Wirthes auf dem einsamen Gehöf erklärte, er müsse bei dem beginnenden Thauwetter nothwendig umkehren, um noch, ehe das Eis auf den Wiesen gänzlich aufgelös’t sey, glücklich die Heimath zu erreichen. Der Junker erkannte die Billigkeit dieses Verlangens und man entschloß sich, den etwa noch dreiviertelstündigen Weg bis zur Stadt zu Fuß zurückzulegen. Cornelius selbst belastete sich mit Cleliens Gepäck, die ruhig und ohne eine Klage über die Beschwerden, welche sie zu ertragen hatte, an seiner Seite hinschritt. Um so lauter ertönte Philippintje’s unermüdlicher Jammer.

»Es geschieht mir schon recht!« keuchte sie, indem sie sich bemühete, mit den andern gleichen Schritt zu halten. »Ich habe mich verblenden lassen von dem Mammon, ich muß zu Grunde gehen, weil ich das goldene Kalb angebetet. Hätte ich nur das Tabakrauchen vertragen können! Jetzt säße ich als eine vergnügte und glückliche Braut in der warmen Cajüte bei Frau Beckje und Herrmanneke, mein Hochzeiter besuchte mich, wenn es die Arbeit erlaubte, und brächte mir eine Herzenserquickung. Aber was habe ich hier? In Schnee und Eis muß ich waten, Hunger und Kummer leiden und jeder Augenblick kann mein letzter seyn auf diesen schlüpfrigen Wegen, wo des Menschen Fuß nicht haftet und alle Gebete, die ich in der Angst meines Herzens ersinne, den Schritt nicht fester und sicherer machen. Ich weiß wohl, ich habe es verdient, auch um Herrmanneke habe ich es verdient. Warum schickte ich ihm sein Goldstück wieder und verlangte meinen Ring zurück? ›Du sollst Eltern und Heimath verlassen, du sollst ihm folgen über Land und Meer,‹ sagt die Schrift. Ach, ich habe schwer gesündigt und ich fürchte, nahe ist das Stündlein des Gerichtes!«

Man hatte sich schon so sehr an ihre Klagen gewöhnt, daß man nicht mehr darauf hörte. Clelia stand neben Cornelius und blickte in’s Thal hinab, aus dem die Lichter heraufschimmerten.

»Welcher freundliche Anblick!« sagte sie. »Diese glänzenden Punkte verbannen in einem Augenblicke das drückende Gefühl des Fremdartigen, der Verlassenheit aus unserer Seele. Es ist, als spräche uns ein geselliger Geist aus ihnen an, wir fühlen uns den Menschen nahe, deren Treiben sie erhellen. Es dünkt uns, als gewähre schon ihr ferner Schimmer einen Schutz, dessen wir bisher entbehrten, und das Vertrauen in unserer Brust nimmt zu und wir sind fast gewiß, an der Stätte Freunde zu finden, von der uns ein so willkommener Gruß geworden.«

 

»Halt! Was ist das?« sprach Cornelius mit gedämpfter, aber bewegter Stimme, indem er die Geliebte, die so eben den Fuß hob, um in’s Thal hinabzuschreiten, zurückhielt. »Ich höre Waffengeräusch, ich vernehme schwere Tritte, wie von kriegerisch geordneten Reihen, die im Marsche begriffen sind!«

Er hielt den Odem zurück und horchte. Clelia schmiegte sich ängstlich an ihn.

»Das ist das jüngste Gericht, das heranrückt;« faselte Philippintje. »Jetzt werden sie gesondert werden, die Rechten von den Linken, die Lämmer von den Wölfen – «

»Still!« gebot der Junker so ernst, daß die Hausjungfer zusammenschreckend die fernere Rede, die noch auf ihren Lippen schwebte, tief in ihr Inneres zurückschluckte.

Cornelius hatte sich nicht getäuscht. Eine dunkele Masse bewegte sich einen Hohlweg heran, eine andere rückte, tiefer im Thale, am Flußufer nach der ruhig und unbesorgt scheinenden Stadt hin. Sein kriegskundiger Blick ließ ihn sogleich erkennen, daß sie in der Stunde in die Nähe von Mastricht gelangt seyen, wo von einem feindlichen Heerhaufen ein Ueberfall der Stadt versucht werden sollte. O was hätte er darum gegeben, wenn er jetzt mit flüchtigen Schritten an den Feinden vorüber eilen, mit lautem Rufe zu den Waffen die Besatzung aus ihrer verderblichen Sicherheit hätte aufschrecken können? Aber ein Gegenstand höherer Besorgniß lag ihm näher. Clelia’s ängstliche Blicke hafteten an den seinigen. Sie hatte er in diese Verwirrung, in diese Gefahren gerissen; sie mußte er schützen und retten.

»Ich kann es Euch nicht verhehlen,« flüsterte er ihr zu: »Die Heranziehenden sind Franzosen. Der Weg nach der Stadt ist uns abgeschnitten. Es kann zu blutigen Auftritten kommen. Wir müssen uns bemühen, ein sicheres Versteck zu finden. Haltet Euch nur stark und aufrecht, theuerste Clelia

»Seyd unbesorgt um meinetwillen!« versetzte Clelia mit fester Stimme. »Jetzt kenne ich die Gefahr, jetzt fühle ich mich wieder stark und gefaßt zu jedem Unternehmen. Sagt, was zu thun ist: in bin bereit!«

»Verlaßt mich nur nicht!« flehete Philippintje, indem sie sich an den einen Arm des jungen Mannes klammerte. »Sind es Franzosen, so bin ich wirklich noch übler dran, als wenn das jüngste Gericht käme, denn ich verstehe kein Französisch und könnte nicht Rede und Antwort geben.«

Da stiegen plötzlich zahllose Leuchtkugeln aus der bedroheten Stadt empor in den dunkeln Abendhimmel und breiteten sich hier zu großen feuerigen Garben aus, welche die weite Gegend im hellsten Lichtglanze erscheinen ließen. Man erkannte die Haufen der Feinde, die im Eilschritt an beiden Ufern der Maas heraufrückten, zwischen den Reisenden und der Stadt zeigte sich ein verwirrtes Treiben kriegerischer Gestalten.

Der junge Kriegsmann konnte seine Freude nicht unterdrücken.

»Hoho, sie schlafen nicht!« jubelte er laut. »Sie haben nur die Augen zugehalten, um den vorwitzigen Feind zu betrügen. Jetzt wird’s losgehen, jetzt werden sie gut holländisch mit ihm sprechen.«

Auch aus Cleliens Blicken strahlte die Begeisterung der Vaterlandsliebe! Sie vergaß ihrer eigenen Gefahr, sie hatte nur Sinn für das große Ereigniß, das sich unter ihren Augen entwickelte. Aber in welchem entsetzlichen Zustande befand sich dagegen Philippintje? Auf einer wüsten Insel, selbst ohne die Gesellschaft Herrmanneke’s, wäre sie in diesem Augenblicke lieber gewesen, als hier, wo mit Feuer und Licht, mit Pulver und Blei, kein Spaß getrieben wurde!

Während die Leuchtkugeln aus der Stadt mit Blitzesschnelle einander folgten und das Geschütz von den Wällen Vernichtung in die Reihen der anrückenden Feinde schleuderte, zog der dunkele Haufe, den Cornelius zuerst bemerkt hatte, mit so wenigem Geräusche als möglich, immer näher den Hohlweg herauf. Am jenseitigen Flußufer hatten jetzt die Franzosen ebenfalls Geschütze auffahren lassen und beantworteten das Feuer der zu ihrem Empfange gerüsteten Gegner. Mit berechnender Langsamkeit wich der Junker vor Denjenigen, die gerade auf sie zu den Hügel heran rückten, zurück. Er drängte die Frauen seitwärts, um aus der Richtung, die jener dunkele Haufe nahm, zu kommen, und wenn er sich durch diese Bewegung immer weiter von der Stadt entfernte, so sah er auch recht wohl ein, daß unter den gegenwärtigen Umständen nicht daran gedacht werden könne, in diese zu gelangen. Sie wurden immer mehr in schräger Richtung den Hügel hinaufgedrängt. Clelia folgte mit Ruhe und Aufmerksamkeit, indem sie leicht ihren Arm auf den seinigen gelegt hatte, seinen Bewegungen; Philippintje aber hing wie eine schwere Last an ihm, sie sprach nichts, sie seufzte auch nicht mehr, sie befand sich in einer Geistesstumpfheit, die sie jedes eigenen Entschlusses, des Willens über sich selbst unfähig machte.

Der dunkele Haufe, der den Flüchtlingen Gefahr drohete, war indessen aus dem Hohlwege auf ein Terrain gelangt, wo sich seine einzelnen Glieder mehr entwickeln und rascher vorwärts bewegen konnten. Die Verlegenheit des jungen Kriegsmannes stieg von Augenblick zu Augenblick. Er sah ein, daß es die Absicht der Feinde sey, die Spitze der Anhöhe zu gewinnen, um sich hier festzusetzen, indem sie zugleich den unteren Theil zu umzingeln bemüht waren, um die Ausführung ihres Plans zu unterstützen. Immer blieb ihm nur der schmale Weg seitwärts übrig und selbst diesen konnte er nur mit großer Besorgniß für seinen theuern Schützling betreten, da die Geschütze auf den Wällen der Stadt nun auch anfingen ihre Kugeln nach dieser Richtung zu senden, was er, aus dem während seiner kriegerischen Laufbahn oft genug vernommenem Sausen und Schwirren um und über ihm, nur zu gut erkannte. Er drängte jetzt rascher auf seinem Pfade vorwärts; er mußte fürchten durch die Feinde, die sich jetzt nach allen Seiten um den Hügel zerstreueten, abgeschnitten zu werden. Die Erfahrung, die er in früheren Feldzügen gesammelt, kam ihm jetzt sehr zu statten. Indem er sich mit seinen Begleiterinnen im Schatten von Hecken und Buschwerk hinschlich, beobachtete sein scharfes Auge Alles, was vorging, er berechnete voraus, welche Stellen sie den Andrängenden, die ihm der Lichtglanz der Leuchtkugeln zeigte, am Besten verbergen würden, er hoffte schon in kurzer Zeit den Hügel umgangen und das geliebte Mädchen in Sicherheit gebracht zu haben. Aber ein einziger Augenblick sollte mit einemmale seine Hoffnungen vernichten! Er hatte eben im Schatten eines Weidenbaumes Halt gemacht, um seine Gefährtinnen Odem schöpfen zu lassen, als plötzlich eine nahe in seinem Rücken, von dem Gipfel der Anhöhe aufsteigende Masse von Leuchtkugeln den ganzen Hügel mit Tageshelle überglänzte, so daß jeder Baum, jeder Strauch, daß die Uniformen und Waffen der heranziehenden Franzosen zu erkennen waren. Diese sahen ihr bisher verborgen gehaltenes Unternehmen verrathen. Mit wildem Geschrei stürzten sie jetzt den Hügel hinauf, von dessen Spitze der Donner der Kanonen ihr regelloses Gewehrfeuer beantwortete.

»Das ist ein Sturm auf die Schanze!« rief Cornelius, die ganze Größe der Gefahr einsehend. »Fort! Fort! Wir befinden uns zwischen den Stürmenden und den Vertheidigern. Nur immer links zur Seite! Nur noch hundert Schritte und wir sind glücklich heraus!«

In wilder Hast riß er die Frauen mit sich fort. Er warf, um weniger in den eiligen Bewegungen, welche die Umstände erforderten, gehindert zu seyn, Cleliens Gepäck, das er bisher noch auf dem Rücken getragen hatte, von sich. Clelia flog leicht, wie ein Reh über die schlüpfrige Schneefläche hin, Philippintje, von tödtlicher Angst getrieben, bot alle Kräfte auf, um nicht zurückzubleiben. Eine Vertiefung, ein dunkler Einschnitt, der die Anhöhe hinauflief, lag vor ihnen. Diesen suchte der Junker zu erreichen; hier gedachte er mehr Sicherheit und Schutz für die Frauen zu finden. Indessen zischten immer neue Leuchtkugeln von der Stadt und von der Schanze über ihren Häuptern auf. Die Geschütze beider Vertheidigungspunkte donnerten in mächtiger Vereinigung. Die Kanonen der Gegner am Flußufer blieben ihnen keine Antwort schuldig und das Gewehrfeuer wurde ringsum allgemein, so daß Cornelius mit kriegskundiger Umsicht erkannte, es müsse ein Ausfall aus der Stadt gemacht worden seyn, dem vielleicht ein ähnlicher Versuch aus der Schanze die Hand bieten werde.