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Die Mumie von Rotterdam

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»Was ist es denn auch Schlimmes um eine Spazierfahrt mit einer ältern Freundin und dem Bräutigam, der schon vor aller Welt als solcher genannt und bekannt ist? Wer weiß, daß die Väter sich entzweit haben am Abend vor der Abreise? Jetzt nach der Abreise werden die beiden Alten wohl so gescheut seyn, und Niemanden etwas davon sagen! Und ein Mittelchen gibt es, das macht Alles wieder gut, Herzenskind. Laß den Brautstand aufhören und den Hausstand anfangen! Bei der Muhme Jacobea ist gut seyn und des Vaters Schwester kann wohl Vaters Stelle vertreten und an seiner Statt das Jawort geben, wenn der Domine es verlangt, um Euere Hände segnend in einander zu fügen!«

»Nimmermehr!« fiel Clelia heftig und erröthend ein. »Ohne des Vaters Einwilligung, ohne seine Verzeihung thue ich nie diesen Schritt, und ich kann nicht begreifen, wie du, die immer von ihrer mütterlichen Liebe zu mir spricht, mir dazu rathen kannst?«

»Recht, Kind, ganz Recht!« versetzte einlenkend Philippintje, die noch zur rechten Zeit einsah, daß sie zu weit gegangen war. »Ich wollte dich nur auf die Probe stellen. Ohne des Vaters Jawort dürfen wir freilich den Domine nicht kommen lassen. Aber das wird sich Alles zusammenfinden ohne Anstand und Hinderniß, wenn wir einmal bei der Muhme sind. Jungfrau Jacobea muß dem wohledeln Herrn einen rührenden Brief schreiben, Junker Cornelius einen noch rührendern und du machst auch deinen kindlichen Schnörkel dran. Dem kann der Alte nicht widerstehn und wenn ihm der Schiwa auch noch so heidnische und gottlose Gedanken eingäbe! Und was kann er denn Besseres verlangen für seine Clötje, als den Sohn des Mannes, der nächst ihm der dickste ist im guten Rotterdam? Mein Himmel, auf zwei Finger breit dicker oder dünner kommt es nicht an vor dem Auge unseres Herrgottes und wenn er recht drein sieht, so sind wir Erdenwürmer alle so dick oder so dünn, einer wie der andere. Das sage ich dir, Clötje, unter die Haube mußt du mir, ehe wir wieder nach Rotterdam hineinkommen, als Frau van Daalen mußt du in den Haven einlaufen, oder sonst thue ich mir ein Leids an, denn das Gerede, was außerdem entstünde, brächte mich doch ums Leben in den ersten vierundzwanzig Stunden. Das Entsetzlichste aber ist dir noch gar nicht eingefallen: die Kirchenbuße an der Kirchthüre, die der Domine zu deiner ewigen Schande über dich verhängen wird.«

Dieser Schlag traf. Clelia erwiederte nichts. Sie seufzte und stand auf. Die Besorgnisse, welche ihr Philippintje’s Bericht von dem verzweiflungsvollen Zustande ihres Geliebten, beigebracht hatte, ließen ihr keine Ruhe. Sie stieg die Treppe hinauf, die nach dem Verdecke führte. Hier wollte sie, wenn Cornelius nun als ein rechtes Bild des Jammers und der Reue vor ihr stünde, durch einen tröstlichen Blick, durch ein friedliches, wenn auch nicht freundliches Wort ihn erheben. Philippintje folgte ihr. Auf dem kurzen Wege, den sie zu machen hatte, stellten sich ihrer einmal aufgeregten Einbildungskraft alle schrecklichen Entschlüsse in ihrer Ausführung dar, zu denen die Verzweiflung den beklagenswerthen Jüngling bewegen könne. Sie betrat in großer Beängstigung das Verdeck. Ihre Blicke flogen nach allen Seiten hin, um sich zu überzeugen, daß er noch da, daß er noch am Leben sey und nicht bereits nach dem letzten Hülfsmittel der Verzweiflung gegriffen habe. Siehe! da stand er frisch und fröhlich an der rauchenden Oeffnung, die der Küche zum Schornsteine diente und rief eben mit heller, heitrer Stimme hinab:

»Macht, daß bald angerichtet wird, Frau Beckje, denn ich habe ganz entsetzlichen Hunger!«

Ein bitteres Lächeln zeigte sich in Clelia’s Antlitz. Sie wandte sich mit einer Gebehrde des Unwillens ab und schritt nach dem Vordertheile hin.

»Er redet irre, der arme Mensch!« sagte Philippintje in tödlicher Verlegenheit. Clelia fühlte sich tief gekränkt. Sie ließ die herben Empfindungen, welche ihre Seele ergriffen hatten, nicht laut werden; aber um Thränen zu verbergen, die in ihr Auge aufstiegen, trat sie dicht an das Bordgeländer und sah hinab in die treibenden Wellen. Wie ganz anders hatte sie erwartet den Geliebten zu finden! Er konnte scherzen, er konnte, was noch weit schlimmer war, einen gewöhnlichen, gemeinen Hunger empfinden, während sie aus Liebe zu ihm, aus quälender Angst um sein Wohlergehn, um sein Leben, die Mahnungen der Kindespflicht, den gerechten Unwillen über seine Täuschung, bekämpft und zurückgewiesen hatte. Das war zu arg! Einem solchen Leichtsinne konnte keine wahre Reue zugetraut werden. Clelia stand auf dem Punkte, wieder zu allen Ansichten und Vorsätzen zurückzukehren, die sie vor Philippintje’s wirkungsreichen Ermahnungen gehegt hatte.

Da fühlte sie sich leise am Kleide gezupft. Sie sah sich um und erblickte Philippintje, neben dieser mit einem wahren armen Sündergesichte den Junker Cornelius. So wie er jetzt vor ihr dastand, schien er nichts weniger, als von einem unwiderstehlichen, nagenden Appetit gequält zu werden, und wirklich hatte er auch, sobald die Hausjungfer ihn auf die Gegenwart der Geliebten aufmerksam gemacht, sobald er diese in nachdenklicher Stellung, mit allen ersichtlichen Zeichen des Unwillens, am Vorsteven erblickt, in einem Augenblicke alle Sehnsucht nach Backobst und Pökelfleisch verloren, seine ganze Sündenschuld war ihm schwer auf das Gewissen gefallen und er trat nun vor Clelia mit den Gefühlen eines Delinquenten hin, der vor dem peinlichen Halsrichter erscheint, um den Ausspruch über Leben oder Tod zu vernehmen. Er stand in erwartungsvollem Schweigen. Er wagte nicht, die Blicke zu der schwer Beleidigten zu erheben. Alle Zeichen, die Philippintje gab, er möge die drückende Stille unterbrechen, gingen an ihm verloren. Clelia aber wurde durch den Zustand, in dem sie ihn jetzt sah, um Vieles besänftigt. Die Nachtwache, die peinigenden Zweifel über die Art und Weise, wie die Geliebte ihm nach ihrem Erwachen begegnen würde, hatten seinem Angesichte ihre Spuren eingeprägt, so daß es eine ungewöhnliche Blässe und Eingefallenheit zeigte. Clelia konnte sich, als sie dieses bemerkte, einer mitleidigen Regung nicht erwehren. Philippintje’s Hindeutungen, daß sie doch eigentlich die Schuld des ganzen seltsamen Verhältnisses trage, indem sie die Hand zu der heimlichen Zusammenkunft geboten, kamen ihr wieder in den Sinn und stellten sich ihr als wohlbegründete Vorwürfe dar. Sie wurde jetzt beinahe ebenso verlegen, wie Cornelius. Sie hätte gern das Gespräch eröffnet, aber sie vermochte, wie sehr sie auch darauf sann, keinen schicklichen Eingang zu finden. Die ältere Freundin ahnete jetzt, welche Veränderung in den letzten Augenblicken in ihr vorgegangen sey und beschloß die günstige Gelegenheit nicht ungenutzt vorbeigehn zu lassen. Sie ergriff des Mädchens Hand und sagte in einem Tone, dem sie die möglichste Feierlichkeit zu geben suchte:

»Clötje, Clötje! Blick um dich! Nichts wie Himmel und Wasser und das letzte Stückchen Landes verschwindet eben dort hinten, wie ein grauer Flor. Das Wasser unter uns ist der Tod, der uns in jedem Augenblicke verschlingen kann; im Himmel über uns aber ist Einer, der da gebietet, daß wir den Zorn nicht in uns aufkommen lassen, den Haß nicht in uns nähren sollen. Wenn nun jetzt die Wellen, die gierig nach uns heraufschnappen, plötzlich das Schiff hinunterschlucken mit Mann und Maus und du im Unfrieden stürbest, mit einem unversöhnlichen Gemüthe gegen den Junker, der es doch wahrlich nicht böse gemeint? Oder willst du warten bis zum letzten Augenblicke und meinst du, daß dann noch Zeit genug übrig wäre, ein Wörtchen der Verzeihung auszusprechen, mit welchem auf der Lippe man ruhig von hinnen fahren könne aus diesem irdischen Jammerthale? Glaube Das nicht, Clötje! Noth und Todt liegen so nahe zusammen, daß sie mit einander wechseln können, ehe die Hand sich wendet und wenn du dann denjenigen, dem du hartnäckig die Versöhnung versagt, vor dir erblicken müßtest bleich und leblos, mit gebrochenen Augen, die dich nie mehr liebevoll anschauen, mit blassen Lippen, die nimmer mehr ein freundliches Wort zu dir sprechen könnten, dann wäre es zu spät, dann würde sich die Reue vergebens in deinem Herzen erheben, dann würdest du umsonst den armen Junker Cornelius zurückrufen, ihn trösten, ihm verzeihen wollen – «

Jetzt hatte Jungfrau Philippintje den Höhepunkt ihrer Beredsamkeit erreicht. Weiter konnte sie nicht. Sie fing an sich zu verwirren, zu stottern; aber sie durfte sich auch bereits des glänzendsten Erfolgs erfreuen. Clelia reichte in Thränen schwimmend dem entzückten Cornelius die Versöhnungshand. Ihre Einbildungskraft hatte ihr Alles in täuschenden Vorspieglungen gezeigt, was Philippintje mit Worten dargestellt. Sie sah Cornelius als eine Leiche im Sarge liegen, mit dem weißen Todtentalare bekleidet, wie sie bei der Leichenausstellung des letztverstorbenen hochmögenden Herrn Bürgermeisters von Rotterdam diesen gesehen; auf dem Sarge fand sich eine Inschrift in großen silbernen Buchstaben, die den Namen, Stand und Alter des Todten besagte. Ihre Phantasie ging noch weiter, als Philippintje’s Darstellung. Sie sah, wie der Todte sich im Sarge aufrichtete, wie die Augenlieder sich öffneten, die gebrochenen Blicke sie vorwurfsvoll anstarrten, plötzlich die rechte Hand sich drohend erhob – da war es um ihren Trotz geschehen, sie mußte in Thränen zerfließen, sie mußte verzeihend dem nächsten Augenblicke zuvorkommen, der ja das Entsetzlichste bringen konnte.

Nach diesem ersten versöhnenden Schritte, hatte die weitere Verständigung zwischen den Liebenden ihren ungestörten Fortgang. Cornelius war außer sich vor Freude. Er bauete tausend Luftschlößer in die Zukunft hinein, von denen immer eins unhaltbarer war, als das andere. Clelia aber gefiel sich sehr darin, sein Feuer durch altkluge Ermahnungen zu dämpfen, indem sie ihm auseinandersetzte, auf welche Weise sie, nachdem sie bei der Muhme glücklich angekommen wären, sich um die Einwilligung des Vaters bemühen müßten, ohne welche sie durchaus nicht die seinige werden könne. So machte sie den von Philippintje ausgedachten Plan zu dem ihrigen, während die Hausjungfer seelenvergnügt über die günstigen Aussichten, die sich ihrer Zukunft eröffneten, nach dem Steuerbord trippelte, damit die beiden jungen Leute sich selbst überlassen blieben und auch noch den letzten Groll vom Herzen kosen möchten. Sie war so froh bewegt, daß sie ein Glas Genever, welches ihr der Bootsmann zutrank, dankbar annahm und indem sie auf gutes Gedeihen des begonnenen Werkes nur nippen wollte, zum Erstaunen des Darbringenden auf einen Zug leerte. Dann setzte sie sich still auf die Schiffsbank und fiel bald in einen sanften Schlummer.

 

Die Barke wurde auf dem weiten Wasserspiegel von günstigen Winden so rasch vorwärts getragen, als schwebe sie auf offener See. Der Himmel blieb heiter, kein Wölkchen zeigte sich und die Strahlen der Mittagssonne fielen so erwärmend nieder, daß man darüber die vorgerückte Jahreszeit vergaß, in der man sich befand. Das Ufer im Hintergrunde war verschwunden. Dagegen zeigte sich in weiter Ferne vor den Schiffenden ein schwarzer Punkt, der sich, je näher man kam, vergrößerte. Er wurde bald für eine Insel von bedeutendem Umfange erkannt. Rechts von einem aus der Wasserfläche auftauchenden Ufer zeigten sich weiß herüberglänzend die Gebäude von Dortrecht. Links in der Ferne wurden neben jener großen Insel noch einige kleinere sichtbar.

Jansen war selbst zum Steuerruder getreten. Er lenkte weit ab von dem Dortrechter Ufer. Er wußte, daß dieser Haven mit seinen Umgebungen besonders von den feindlichen Kreuzern zum Schauplatze ihrer oft sehr verwegenen Unternehmungen auserkoren war. Der Lauf, den das Fahrzeug jetzt beschrieb, schien zu seinem Richtpunkte die Durchfahrt zwischen zwei der kleinern Inseln bestimmt zu haben. Mit großer Aufmerksamkeit und einiger Unruhe in seinem ganzen Wesen untersuchte der Capitän durch das Fernrohr den Gesichtskreis, den er überblicken konnte. Er bemerkte nichts, was ihm hätte Besorgniß erwecken können. Nach dem Gestade von Dortrecht hin war Alles ruhig, zwischen der Stelle, wo sich jetzt die Barke befand, und den vornliegenden Inseln, waren nur einige Fischernachen sichtbar und ein in weiter Entfernung hinter der Syrene erscheinendes größeres Fahrzeug, kam, wie seine Laufbahn erkennen ließ, ebenfalls die Maas herauf und mußte demnach von friedlicher Bedeutung seyn. Des Capitäns Antlitz erheiterte sich bei diesen Wahrnehmungen. Er hatte eine reiche Ladung von Utrechter Sammet und Seide an Bord. Die Kaufleute, denen die Sendung angehörte, hatten in den gegenwärtigen kriegerischen Zeitläufen damit gezögert und waren erst dann, als der kecke Jansen sie auf seine eigene Gefahr übernommen, zur Ausführung geschritten. Jansen setzte in dieser Sache sein ganzes bedeutendes Vermögen auf das Spiel; aber er fand eine eigene Lust, sich an Wagestücken zu versuchen, von denen andere Schiffsführer sich gern zurückzogen. Als er noch Bootsmann auf einem Kriegsschiffe der holländischen Flotte gewesen, hatte er in vielen Gefechten einen Muth bewiesen, der an Tollkühnheit grenzte und seinen Namen unter den Seeleuten seiner Nation bekannt und in einem gewissen Grade berühmt machte. Die Matrosen und Bootsmänner nannten ihn nur den tollen Jansen und nebenbei stand er auch seiner ungeheuern Körperstärke wegen unter ihnen in großem Ansehn. Später hatte er die muntere Beckje kennen gelernt, die einiges Vermögen besaß. Beide Leutchen gefielen einander, sie heiratheten sich und von Beckje’s Geld und Jansen’s Ersparnissen wurde nun die Barke angeschafft, der sich der Junker van Daalen mit seiner Herzliebsten anvertraut hatte.

In dem süßen Liebesgespräch, das sich zwischen Cornelius und der verführten Clelia entsponnen hatte, wurden sie durch das Läuten der Mittagsglocke und durch die Anrede Jansens, der freundlich lachend zu ihnen trat, gestört:

»Deine Sehnsucht wird nun gestillt werden, Cornelius;« sagte er. »Frau Beckje hat aufgetragen und du, der ihr treulich beigestanden bei den Kochtöpfen, wirst gewiß die besten Bissen erhalten. Ob aber die Jungfrau Schwester mit der groben Schiffmannskost zufrieden seyn wird, bezweifle ich sehr!«

Clelia versicherte, sie werde der Tafel alle Ehre anthun, zu der sie ein langes Fasten und die zehrende Herbstluft fähig mache, und folgte, von schönen Hoffnungen belebt und erhoben, am Arme des Geliebten dem voranschreitenden Capitän nach der Cajüte. Vergebens suchten sie im Vorübergehen Philippintje zu erwecken, die noch immer auf der Schiffsbank im tiefen, todtähnlichen Schlaf lag. Der Nektar, von dem sie allzureichlich genippt, hielt sie in seinen Zauberbanden gefangen. Sie blieb taub gegen alle Aufforderungen und das junge Liebespaar mußte sich entschließen, sie auf dem harten Lager, das sie sich selbst erwählt hatte, ihren beseligenden Träumen zu überlassen. Daß sie von solchen heimgesucht werde, verrieth ein lächelnder Zug in ihrem Antlitze und der Name: Balthasar, der im schmachtendsten Tone über ihre Lippen glitt.

Im Innern der sehr reinlich und zierlich gehaltenen Cajüte empfing Frau Beckje ihre Gäste. Sie hatte, um nicht zu sehr in ihrem Aeußeren gegen die Begleiterin des Junker Cornelius abzustechen, ihren besten Staat angelegt. Das knapp anliegende Kleid von schönem schwarzen Utrechter Sammet stand ihr recht wohl und das rothbäckige, volle Schelmengesicht sah unter dem Spitzenhäubchen, so freundlich und anmuthig hervor, daß Clelia, durch den lieblichen Anblick überrascht, für einige Momente ihre gewöhnliche Gravität ablegte, erst die dargebotene Hand des lächelnden Weibchens annahm und dann auf die frischen Lippen, die ihr entgegenkamen, einen herzlichen Kuß drückte.

»Nun ist die Freundschaft gemacht,« sagte Beckje, »und« setzte sie schalkhaft hinzu, »der Junker da kann Euch kein besserer Bruder seyn, als ich Euch eine Freundin bin!«

Clelia erröthete. Nur daß sie eine Unwahrheit behaupten helfen sollte, trieb das Blut auf ihre Wangen; sie ahnete nicht, daß die Capitänsfrau auf eine Vermuthung der Wahrheit, ja, daß diese schon zu der Ueberzeugung ihrer Nicht-Blutverwandtschaft mit Cornelius gekommen sey!

»Wir machen gerade einen hübschen Tisch voll!« fuhr indessen Beckje fort, indem sie Clelien gegenüber, ihren Platz zwischen den beiden Männern einnahm. »Es ist nur Schade, daß Ihr zwei Schwester und Bruder und nicht auch Mann und Frau, oder doch wenigstens Bräutigam und Braut seyd! Es ginge dann noch weit lustiger her, denn es mag mir einer sagen, was er will, die Liebe ist doch eigentlich Das, was dem Leben erst seine wahre Freude, seine rechte Lust gibt!«

Cornelius vermochte kaum seinen Unwillen zu bekämpfen, daß Beckje Clelien gegenüber in ihrem Scherze so weit ging. Er warf ihr einige sehr ernste und finstere Blicke zu, die den guten Erfolg hatten, daß sie ihr stets fertiges Zünglein ein wenig im Zaume hielt. Das Gespräch wandte sich auf andere Gegenstände und Jansen trug nun in den Zwischenräumen, die ihm die Befriedigung seines sehr guten Appetits ließ, die Kosten der Unterhaltung, indem er mit vieler Laune und Lebendigkeit manches Abentheuer erzählte, das ihm in seinem vieljährigen Seeleben begegnet war. Gegen das Ende der Tafel, bei der er mehr dem Genever, als dem spanischen Weine, dem Cornelius den Vorzug gab, zusprach, wurde er sehr lustig und rief:

»Nun muß ich Euch doch noch die wunderliche Geschichte erzählen, wie ich zu dem Ballaste da« – hier wieß er auf Beckje – »in meinem Lebensschifflein gekommen bin! So wie Ihr mich hier sehet, bin ich ein Bursche, der schon seine vierzig hinter sich hat, aber die frische Seeluft hat mich frisch erhalten und ich wette drauf, mein Beckje vertauscht mich gegen keinen Hasenfuß von zwanzig Jahren! Ich hatte schon meine sechs Fahrten nach Batavia gemacht, hatte unter Ruyter gedient, ihm zur Seite gestanden, als er siegreich an der Küste von Sicilien seinen Tod fand, war mit Oraniens Glück nach England hinübergegangen und kam eben von einem Kreuzzuge unter Wassenaar zurück, als ich mich entschloß, meine armen Verwandten in Amsterdam einmal zu besuchen, ihrer Noth nach Kräften abzuhelfen und nebenbei die große Stadt zu sehen, von der ich so Vieles gehört hatte und die ich noch nicht kannte. Die Flotte lag gerade zu der Zeit im Texel und wurde ausgebessert. Es fiel mir deshalb nicht schwer, einen Urlaub von einigen Wochen zu erhalten. Ich hatte mir etwas zusammen gespart. Ich kann Euch sagen, ich trat ans Land, aufgetakelt wie ein Kirmesbaum, und mit dem besten Willen, meine Jahreslöhnung, die ich eben erhalten, an allerlei Narrenspossen zu verthun. Mehr aber keinen Stüber, denn das Uebrige war für die Verwandten und für den Sparpfennig bestimmt, an dem ich seit meiner frühen Jugend gesammelt. Wenn ich Euch erzählen wollte, wie es zuging, daß ich schon am ersten Tage in Harlem fünfzig Gulden für eine garstige braune Zwiebel wegwarf, blos aus Respect, weil man sie den Admiral Enkhuysen nannte, wie ich dann die Zwiebel wieder gegen eine Flasche ächten Genever aus Schidam vertauschte, wie ich für andere fünfzig Gulden fünfzig hübsche Mädchen bei einer Kirmes auf einem Dorfe in der Nähe von Harlem mit bunten Halstüchern beschenkte und mich hernach mit ihren Liebhabern herumschlagen mußte, – ja! wenn ich Euch das Alles genau berichten wollte, so hätte ich viel zu thun und Beckje würde es vielleicht nicht einmal gern hören – «

»Meinethalben magst du reden, was du willst!« fiel schnippisch Beckje ein. »Mir sind auch bunte Halstücher geschenkt worden, ehe ich dich gekannt habe, und ich bin keinem ein Geschenk schuldig geblieben.«

»Deshalb passen wir auch so gut zusammen,« lachte Jansen und leerte ein großes Glas Genever mit einem Zuge, »denn wir haben einander nichts vorzuwerfen. Uebrigens,« fuhr er in seiner Erzählung fort, »sind das nicht die einzigen tollen Streiche, die ich damals gemacht habe. Genug! Als ich nur noch eine Stunde von Amsterdam entfernt war, hatte ich auch nur noch einen Gulden in der Tasche, mein Hauptcapital aber in guten Wechseln auf der Brust eingenäht. Es war gerade Abend. Ich sah durch die Dämmerung schon die Thurmspitzen der Stadt, auf dem Canale, neben dem ich doch ein Bischen bedenklich über die Magerkeit meines Geldbeutels hinschlenderte, waren zahllose Barken und Nachen in lebendiger und fröhlicher Beweglichkeit. Ich blieb stehen und ergötzte mich an dem bunten Treiben. So vergaß ich einigermaßen meine üble Lage und gewann nach und nach, von dem Frohsinne, der unter den Menschen auf dem Canale herrschte, angesteckt, einen Theil meiner guten Laune wieder. Es war indessen ziemlich dunkel geworden. Ich sah ein, daß ich dran denken müsse, das Ziel meiner Reise zu erreichen. Wußte ich doch nicht, wohin ich in der großen Stadt meine Fahrt richten sollte, da ich nur die Namen, aber nicht die Wohnung meiner Verwandten kannte, und also, ohne Lootsen und Compaß, auf gut Glück in den fremden Haven einlaufen mußte! Ich setzte alle Segel bei und kam rasch vorwärts. Auf dem Canale hatte das Treiben und Lärmen fast gänzlich aufgehört; nur einzelne Fahrzeuge schwammen noch manchmal geräuschlos vorüber. Ich überließ mich wieder ganz meinen Betrachtungen und fing an, mich über mich selbst und meine begangenen Dummheiten zu erboßen. Ich konnte aus meinen eigenen Gedanken, so lästig sie mir waren, nicht herauskommen, wie ein Ostindienfahrer, den in der Straße von Sumatra die entsetzliche Windstille fest legt. Da wurde ich plötzlich durch einen lauten Lärm, der sich heranwälzte, durch ein wildes tobendes Gelächter und ein dazwischen tönendes Jammergeschrei aus diesem widerwärtigen Gemüthszustande gerissen. Ich horchte auf. Ich hörte schelten und lärmen, dann wieder lachen und einen kläglichen Ruf nach Hülfe. Nun flog ich über’s Land hin, wie eine wilde Gans über’s Wasser, der Stelle zu, wo das Getöse statt fand. Der Mond war aufgegangen und ich konnte Alles sehen, was nicht in einer allzugroßen Entfernung vor mir lag. Da gewahrte ich denn bald einen Haufen von etwa einem Dutzend böser Buben von fünfzehn bis achtzehn Jahren, die einen einzelnen Mann vor sich hatten und diesem gewaltig zusetzten, indem sie ihn immer nach dem Canale hindrängten. »Was treibt ihr hier?« rief ich und trat unter sie: »Wollt ihr Krabben wohl in euere Hangematten und euch nicht zu zwölf über Einen hermachen! Gelt, da habt ihr Courage, wenn sich einer auf den andern verlassen kann und wo vierundzwanzig Arme sich gegen zwei erheben? Aber noch einmal! Macht, daß ihr heimkommt oder es sollen euch ein Paar Arme heimführen, die wohl so viel werth sind, als euere zwei Dutzend!« – Die Buben sahen mich groß an. Einer von ihnen aber trat bald vor und sagte in einem frechen Tone: »Kümmert euch um euch und nicht um Händel, die euch nichts angehen! Wir thun ein gutes Werk. Wir haben einen Juden gefangen, der soll getauft werden und dann Schweinefleisch fressen, damit er ein Christ wird. Jeremias hat seiner Mutter expreß ein Stück Schinken gestohlen für ihn und das darf nicht umkommen!« Die Cameraden des frechen Menschen stimmten ein höhnisches Gelächter an. Dabei drängten sich die Rangen hart um mich her, als gedächten sie auch mir irgend einen schlimmen Streich zu spielen. Aber der Mann, den noch einige von ihnen hielten, streckte die Arme nach mir hin und rief, so laut er konnte: »Ach, hochmögender Heer, errettet mich aus der Gewalt der Rotte Korah, und der Gott Abrahams wird Euch vergelten! Ich bin ruhig meiner Straße gewandelt, da haben mich die Kinder der Goi’s festgepackt und wollen mir’s anthun mit verfluchtem Wasser und Fleisch von dem unreinen Thiere, in das der Teufel gefahren ist. Ich bin ein armer Jüd, aber ein rechtschaffener Jüd, und habe noch nie einen Goi betorkelt im Schacher. Ach, hochmögender Heer, nehmet Euch meiner an, befreiet mich, damit ich in Frieden heimkehre in die gute Stadt Amsterdam und in meine Behausung auf der Jüdenkracht daselbst!« Ich mußte lachen über die Hochmögenschaft, zu der mich die Angst des Juden mit einemmale erhoben hatte. Während er sprach, hatte ich Zeit ihn genau zu betrachten. Es war ein alter Mann, der vielleicht schon seine sechszig Jahre zählte. Er trug einen langen Bart, sein Angesicht schien durch die Furcht verzerrt und entstellt. Seine Gestalt war klein und schmächtig. Die wenigen Kräfte, welche ihm vielleicht die Verzweiflung gab, konnten gegen die vereinigten Bemühungen dieser Heerde wilder Rangen wenig ausrichten. Er schien der ärmern Classe seiner Nation anzugehören, denn seine ganze Takellage war erbärmlich und sein Rücken gekrümmt, als verbeuge er sich zum Betteln um ein Almosen. Mein unwillkührliches Lachen schien den Krabben ein Signal, daß ich ihre Corsarenjagd auf den armen Juden billige, und sie machten auf’s Neue Anstalt, den alten Mann zu entern und zu kielholen. »Hinunter mit ihm zur Taufe!« schrieen sie. »Frisch, Jude! Erst Wasser und dann Schweinefleisch, hernach mußt du das Glaubensbekenntniß auswendig lernen.« Mit wildem Toben warfen sie sich alle auf den jammernden Israeliten, der sich schon fast heiser geschrieen hatte. Da verlor ich die Geduld. »Bramsegel und Backbord!« rief ich, »nun ist es genug. Ich will euch einen Lappen aufhißen, der euch in einem Augenblick aus der offenen See in den Winterhaven führt!« Bei diesen Worten hatte ich die nächststehenden ergriffen und sie um halbe Kabeltau-Länge fortgeschleudert. Die Rippen im Leibe mochten ihnen krachen, denn sie erhoben ein erbärmliches Geheul und hatten nichts Eiligeres zu thun, als so schnell, wie es gehen mochte, fortzuhinken. Einem Paar Anderen, welche die größten und kräftigsten waren, und mir trotzig entgegentraten, ging es nicht besser. Die übrigen flogen auseinander, wie ein Heer wilder Gänse, das der Sturm zerstreut. Der Jude stand nur noch allein vor mir und zitterte am ganzen Leibe. Es währte eine gute Zeit, ehe er sich fassen konnte. Dann warf er sich mir zu Füßen und sagte, noch zähneklappernd vor Furcht: »Der Simson ist wiedergekommen und hat die Philister geschlagen. Der weise Salomo ist aufgelebt und hat die Ungerechten bestraft. Der gnädige Ahasverus hat den armen Mardochai befreiet und der gottlose Haman ist geklopft worden, wie’s ihm gehört.« Ich hob den Alten auf. Ich hatte Mühe das Lachen zu verbeißen, zu dem mich seine Rede antrieb: aber ich bedachte sein Alter und die Schändlichkeit der Buben, die ihn in die Enge getrieben, und da wurde mir es ganz ernsthaft zu Muthe. »O, verlaßt mich nicht und gebt mir das Geleit bis an die Thore der guten Stadt Amsterdam, hochedler Herr!« sprach er weiter: »Ihr seyd die Palme aus dem Lande Gosen, unter deren Schutz ich sicher wandeln kann, geht Ihr aber von mir, so kehren die Philister zurück und ich bin ein verlorener Mensch.« Ich sagte ihm, er könne mit mir gehen, er möge aber frisch mit dem Winde segeln, da ich keine Zeit zu verlieren hätte. Auf dem kurzen Wege, den wir nun zusammen zurücklegten, erzählte mir der Jude, daß er in Amsterdam wohne, in der Regel aber in der umliegenden Gegend einen kleinen Handel mit alten Kleidungsstücken und sonstiger Trödelwaare treibe. Er sprach dabei soviel und in so übertriebenen Ausdrücken von seiner großen Armuth und Dürftigkeit, daß er zuletzt den Verdacht in mir erweckte, er sey im Gegentheile ein ganz wohlhabender Mann und stelle sich nur arm, um mir nicht etwa eine Belohnung anbieten zu müssen, zu der er sich vielleicht verpflichtet glaubte. Als wir in die Stadt eingewandert waren und eben im Begriffe standen uns zu trennen, ergriff er noch einmal meine Hand und sagte: »Der Gott meiner Väter möge Euch belohnen, für das, was Ihr an mir gethan, hochmögender Heer! Solltet Ihr aber jemals den armen Jüden Abraham Eleazar in seiner geringen Behausung aufsuchen wollen, so erinnert Euch, daß diese auf der Jüdenkracht liegt, zunächst der Schule, wo unsere Leute hin beten gehen.« Er entfernte sich und ich vergaß bald, während ich in den Straßen der großen Stadt ohne Steuer und Compaß umherirrte, das Abentheuer, das mich mit ihm zusammengeführt hatte. Ich sah jetzt ein, daß ich unbesonnen gehandelt hatte, mich in ein unbekanntes Gewässer zu begeben, ohne vorher über steile Klippen und Sandbänke, durch die ich meine Fahrt lenken mußte, eine genaue Kenntniß eingezogen zu haben. Meine Verwandten jetzt noch bei eintretender Nacht aufzufinden, schien eine Unmöglichkeit. Ich beschloß also, meinen letzten Gulden an baarem Geld für ein Nachtquartier und ein Abendessen, so gut sich Beides dafür finden wolle, aufzuopfern. Ich kam an verschiedenen Häusern vorüber, wo der einladende Strohkranz heraushing, in denen es noch lustig herging und viel Licht brannte. Sie schienen mir aber alle zu vornehm für meinen demüthigen Geldbeutel. Um ein geringeres Wirthshaus aufzusuchen, wo ich kleines Wasser für mein leckes Schiff finden durfte, verließ ich die großen, breiten Straßen und steuerte auf gutes Glück in enge winklige Gäßchen, in denen es so dunkel war, daß ich mich oft mit den Händen weiter fühlen mußte. Da sah ich am Ende eines Winkelgäßchens, das hier wie ein Sack verschlossen war, hinter einem kleinen Fenster ein düsteres Licht brennen. Ich hörte rauhe Stimmen, ich vernahm Gläserklirren, ich erkannte, als ich nahe trat, den bedeutungsvollen Strohwisch über der niedrigen Hausthüre und glaubte nun den Haven gefunden zu haben, wo ich sicher vor Anker gehen könnte. Einige kräftige Seemannsworte, die aus dem niedrigen Hause klangen, ließen mich hoffen, hier Cameraden zu finden. Ich nahm mir aber vor, mich nicht als einen Mann zu erkennen zu geben, der schon in den Meeren Ost- und Westindiens seine Flagge aufgezogen hatte. Ich schämte mich meiner geringen Baarschaft, die mir nicht erlaubte, bei der Heimkehr auf das feste Land ein Paar Flaschen Genever zur Bewirthung einiger fröhlichen Wassergesellen springen zu lassen. Lieber wollte ich für eine Landratte angesehen werden, als für einen Seehund, der keine Haare auf dem Felle mit heimbrächte. Als ich die Thüre des Häuschens öffnen wollte, fand ich sie verschlossen. Auf mein Klopfen aber ward sogleich aufgethan. Wer glaubt Ihr wohl, Jungfer Clelia, sey mir da entgegen getreten, um mich einzulassen und mir in dem engen, dunkeln Hausgange zu leuchten? Niemand anders als Beckje, die Ihr da seht und die jetzt mit mir auf dem Fahrwasser des Lebens gemeinschaftlich hinsegelt. Sie schien ordentlich vor mir zu erschrecken, als sie mich erblickte, sie stieß ein lautes: Ach! aus und ließ die Lampe fallen, die sie in der Hand trug.«