Nachdenken und vernetzen in Natur, Mensch, Gesellschaft (E-Book)

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Beachtung verdient auch die Sitzordnung. Ein Kreis symbolisiert Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit, die Gesprächsleitung hat keinen besonderen Platz, es gibt keine Ränder.

Um die Idee der «Echolot-Didaktik» zu visualisieren, eignen sich Taucherbrille, Taschenlampe, Feldstecher oder Lupe. Die Botschaft ist stets dieselbe: genau hinschauen.

Um bei perspektivenübergreifenden Fragestellungen verschiedene fachliche Perspektiven voneinander zu unterscheiden, eignen sich farbige Brillen.

Vor dem jeweiligen Gespräch sollten Gesprächsregeln vereinbart und in Erinnerung gerufen werden. Es ist ratsam, sie zu notieren und für alle gut sichtbar aufzustellen.

Um den Grundsatz erlebbar zu machen, dass immer nur eine Person spricht, eignet sich ein Gesprächsstab oder ein Gesprächsball. Wer immer den Gesprächsstab hat, darf sprechen. Der Gesprächsstab unterstützt auch, dass die Schülerinnen und Schüler das Wort selbstständig weitergeben lernen. Es kann auch als Ziel vereinbart werden, dass während eines Gesprächs alle einmal den Gesprächsstab halten und einen Beitrag liefern sollen.

Ablauf eines philosophischen Gesprächs

Ein philosophisches Gespräch umfasst drei Phasen: eine präreflexiv-vorbereitende, eine reflexive und eine postreflexiv-nachbereitende Phase.[90] Als Grundlage dient der Fragenkatalog, der zuvor zur philosophischen Frage erstellt worden ist. Die Fragen werden jedoch keineswegs in der erarbeiteten Reihenfolge «abgearbeitet». Vielmehr bringt man jene Fragen ein, die sich gut in den Gesprächsverlauf einfügen.

Die fettgedruckten Titel entsprechen den Typen von Hebammenfragen, wie sie oben beschrieben worden sind.

1. Phase: Vorbereitungsphase


Philosophische Frage: Klare Grundfrage, philosophisches Problem oder Grundaussage formulieren«Heute möchte ich mit euch über folgende Frage nachdenken: ...?»«Wir sind im NMG-Unterricht auf folgendes Problem gestossen: ... Darüber möchten wir uns unterhalten.»
Arbeitsweisen festlegen«Wir machen zwei Gruppen.»«Nina und Stefan schreiben Argumente auf.»«Ich führe / Sarina führt durch das Gespräch.»
Gesprächsregeln aufstellen«Zuhören. Ausreden lassen. Es spricht immer nur einer. Beim Thema bleiben. Einander anschauen.»

2. Phase: Philosophisches Gespräch


«Eisbrecher»: Erfahrungen der Lernenden aktivieren«Habt ihr schon mal darüber nachgedacht?»«Ist es euch auch schon so ergangen?»«Welche Erfahrung habt ihr mit ...?»
Schwerpunkte setzen«Was fandet ihr besonders interessant?»«Ich möchte gerne auf folgende Frage eingehen: ...»
Bearbeitung des philosophischen ProblemsDie einzelnen Fragekategorien werden nicht in einer bestimmten Reihenfolge «abgearbeitet», sondern dem Gesprächsverlauf entsprechend gestellt.•Sachverhalte beschreiben und Begriffe klären•Unterschiede und Ähnlichkeiten herausarbeiten•Meinungen begründen und Wertungen reflektieren•Hypothesen erstellen und Folgen überlegen (Gedankenexperimente)
Immer wieder: Zwischenergebnis zusammenfassen«Bis jetzt können wir sagen, dass …»«Fassen wir zusammen: Unendlich nennen wir etwas, wenn ...»

3. Phase: Metagespräch


Ergebnisse zusammenfassen und Resultate festhalten«Einige meinen, ..., weil …; andere meinen, ... weil…»«Xy nennen wir also einen Zustand, der ...»«Wir können also sagen, dass ...»«Alle stimmen überein, dass ...»«Wir haben eine Meinungsverschiedenheit darüber, ...»
Daraus evtl. neue Fragestellung formulieren«Offen bleibt, ob ...»«Es stellt sich nun die Frage, ...»
Auf den Gesprächsverlauf zurückblicken«Waren die Aufgaben klar?»«Wurden die Gesprächsregeln eingehalten?»«Kamen alle zum Zug?»«Was ist gut gelaufen?»«Was müssten wir anders machen?»

Herausforderungen bei der Gesprächsführung

Philosophische Gespräche anzuleiten benötigt etwas Übung – für die Lehrpersonen wie für die Schülerinnen und Schüler. Man darf nicht erwarten, beim ersten Mal bereits eine Sternstunde zu erleben. Bei der Beobachtung von Gesprächen lassen sich einige Muster beobachten, die man nach Möglichkeit beachten sollte.


Keine Antworten vorgebenDie Vorstellungen von Erwachsenen entsprechen nicht immer den Vorstellungen von Kindern. Sie sollten ihnen daher nicht aufgezwungen werden. Kinder merken schnell, wenn ein Gespräch auf ein bestimmtes Ziel hinführen soll: «Sie wissen die Antwort ja schon.»
Übersicht gewinnenZuweilen stellen die Schülerinnen und Schüler selbst eine ganze Anzahl von Fragen. Dabei kann es schwierig werden, den Überblick zu wahren. Man muss sich gut überlegen, wie man zu einer Auswahl oder Reihenfolge kommt. Wenig sinnvoll ist, wenn einfach die Fragen jener Schülerinnen und Schüler berücksichtigt werden, die sich am lautesten melden oder besonders eloquent sind. Es empfiehlt sich, die Fragen zu notieren und gemeinsam zu entscheiden, welche nun sachlich angezeigt sind.
Stille aushaltenWenn Gespräche stocken, neigt man gerne dazu, rasch aufeinander folgend weitere Fragen zu stellen und sich auf jene Schülerinnen und Schüler zu konzentrieren, die gesprächig sind. Dabei liegt in Gesprächspausen durchaus Potenzial: Zeit zum Nachdenken geben, alle zum Denken motivieren (nicht nur die schnellen). Man kann das auch als «Power of Silence» bezeichnen.
Ping-Pong vermeidenKinder sollten miteinander ins Gespräch gebracht werden. Wenn das Gespräch immer zwischen Lehrperson und Schülerinnen und Schülern hin und her geht, entsteht kein richtiges Gespräch. Dies kann man mit wenigen Übungen korrigieren: kurze Murmelrunden zu zweit oder zu dritt einbauen, in Kleingruppen philosophieren, einander einen Gesprächsball zuwerfen. Hilfreich ist auch, wenn die Schülerinnen und Schüler sich je eine Frage überlegen und diese einbringen.
Weniger gesprächige Schüler einbeziehenKinder, die sich nicht gerne oder sprachlich unsicher ausdrücken, gehen häufig vergessen oder werden übergangen, wenn sie keine Antwort wissen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass er oder sie nicht mitdenkt. Solche Schülerinnen und Schüler dürfen nicht im Regen stehen gelassen, sondern ihnen sollte eine Hilfe angeboten werden: «Kannst du es beschreiben?», «Weiss jemand anders weiter?» Auch andere Ausdrucksmöglichkeiten helfen in diesem Fall wie Murmelrunden, Pause einlegen, pantomimisch ausdrücken.
Mit reisserischen Themen umgehenSchülerinnen und Schüler bleiben gerne an einem «krassen» Thema hängen (Dinosaurier, Unfälle), zum Teil, weil sie sie beschäftigen, zum Teil, weil sie Sensationswert haben. Es empfiehlt sich, diesen Themen Zeit zu geben. Die Frage ist nur, welches der richtige Zeitpunkt ist. Grundsätzlich sollte das Gespräch immer auf die Ausgangsfrage fokussiert bleiben. Nimmt ein Thema zu viel Raum ein, gibt es zwei Möglichkeiten: den Plan ändern, sich dem neuen Thema widmen und das ursprüngliche auf den nächsten Tag verschieben oder umgekehrt das Thema, das die Kinder beschäftigt, in einen Themenspeicher notieren und zu einem späteren Zeitpunkt aufgreifen.

4 Ertrag: Nachdenken fördern

Der didaktische Ansatz des Philosophierens mit Kindern ermöglicht es, die Schülerinnen und Schüler im NMG-Unterricht an Denkprozessen zu beteiligen, die über die fachlichen Perspektiven hinausgehen. Dadurch fördern wir kritisches Nachdenken über eine Welt, in der vieles vermeintlich klar und durch Erwachsene definiert erscheint. Damit wird ein Unterrichtsgeschehen, das vom Motto «Es gibt auf alles eine Antwort und die Lehrperson weiss sie» lebt, aufgegeben zugunsten eines Unterrichts, der dem Leitsatz «Es ist alles fragwürdig und wir denken gemeinsam darüber nach» folgt. Auf diese Weise erlernen Kinder, Fragen zu stellen und Dinge infrage zu stellen.

Die Aufgabensets, die in diesem Studienbuch dargestellt werden, enthalten einen Vorschlag für ein philosophisches Gespräch in Form eines Fragenkatalogs, wie er in diesem Beitrag beschrieben wurde. Sie sollen eine Starthilfe sein, damit das Philosophieren zu ganz unterschiedlichen Themen im NMG-Unterricht gelingen mag.

Literaturverzeichnis

Baumert, Jürgen: Deutschland im internationalen Bildungsvergleich. In: Killius, Nelson; Kluge, Jürgen & Reisch, Linda (Hrsg.): Die Zukunft der Bildung. Frankfurt a. M. 2002, S. 100–150.

Brüning, Barbara: Philosophieren in der Sekundarstufe. Methoden und Medien. Weinheim, Basel, Berlin 2003.

Brüning, Barbara: Philosophieren in der Grundschule. 2. Auflage. Berlin 2010.

D-EDK, Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz (Hrsg.): Lehrplan 21. Grundlagen. Luzern 2016.

D-EDK, Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz (Hrsg.): Lehrplan 21. Natur, Mensch, Gesellschaft. Kompetenzaufbau. Luzern 2016.

Freudenberger-Lötz, Petra: Theologische Gespräche mit Kindern. Untersuchung zur Professionalisierung Studierender und Anstösse zu forschendem Lernen im Religionsunterricht. Stuttgart 2007.

Gorard, Stephan; Siddiqui, Nadia & Huat See, Beng: Philosophy for Children. Evaluation report and Executive summary. Durham 2015.

Jung, Johannes: Nachdenkgespräche – Philosophieren mit Kindern zwischen Banalitätskultur und Sinnierdressur. In: Michalik, Kerstin; Müller Hans J. & Nießeler, Andreas (Hrsg.): Philosophie als Bestandteil wissenschaftlicher Grundbildung? Berlin 2009, S. 67–86.

 

Kokemohr, Rainer: Modalisierung und Validierung in schulischen Lehr-/Lernprozessen. In: Kokemohr, Rainer & Marotzki, Winfried (Hrsg.): Interaktionsanalysen in pädagogischer Absicht. Frankfurt a. M. 1985, S. 177–235.

Krüger, Beate; Schick, Diana; Metzner-Dinse, Gundi & Schröer, Bettina: Wie wollen wir leben? Kinder philosophieren über Nachhaltigkeit. München 2012, S. 30–33

Lembeck, Karl-Heinz: Krieg der Welten? Recht und Grenzen der Hegemonie wissenschaftlicher Weltbilder und die Philosophie. In: Michalik, Kerstin; Müller, Hans J. & Nießeler, Andreas (Hrsg.): Philosophie als Bestandteil wissenschaftlicher Grundbildung. Möglichkeiten der Förderung des Wissenschaftsverständnisses in der Grundschule durch das Philosophieren mit Kindern. Münster 2009, S. 13–25.

Liessmann, Konrad; Zenaty, Gerhard & Lacina, Katharina: Vom Denken. Einführung in die Philosophie. Wien 2007.

Martens, Ekkehard: Philosophieren mit Kindern. Eine Einführung in die Philosophie. Stuttgart 1999.

Martens, Ekkehard: Philosophieren mit Kindern als elementare Kulturtechnik. In: Müller, Hans J. & Pfeiffer, Silke (Hrsg.): Denken als didaktische Zielkompetenz. Philosophieren mit Kindern in der Grundschule. Baltmannsweiler 2004, S. 7–18.

Michalik, Kerstin: Pluralismus als Botschaft und Ziel des Philosophierens mit Kindern. In: Richter, Dagmar (Hrsg.): Gesellschaftliches und politisches Lernen im Sachunterricht. Bad Heilbrunn 2004, S. 73–84.

Michalik, Kerstin: Die Welt ist fragwürdig. Philosophieren mit Kindern im Sachunterricht. In: Grundschule 40(12), 2008a, S. 27–29.

Michalik, Kerstin: Denken dürfen. Philosophieren mit Kindern als Kern des Grundschulunterrichts, in: Grundschule 40(12), 2008b, S. 7–10.

Michalik, Kerstin: Philosophieren im Sachunterricht – Entwicklung, Bilanz und Perspektiven. In: Fischer, Hans-Joachim; Giest, Hartmut & Pech, Detlef (Hrsg.): Der Sachunterricht und seine Didaktik. Bad Heilbrunn 2013, S. 63–70.

Niessler, Andreas & Seichter, Sabine: Philosophieren als eine Basiskompetenz der Elementarbildung? In: Fischer, Hans-Joachim; Gansen, Peter & Michalik, Kerstin (Hrsg.): Sachunterricht und frühe Bildung. Bad Heilbrunn 2010, S. 67–79.

Zoller Morf, Eva: Selber denken macht schlau. Philosophieren mit Kindern und Jugendlichen. Anregungen für Schule und Elternhaus. Bern 2010.

Fragen zu Teil 2

Fragen zu Teil 2

Worin liegt der Gewinn des Philosophierens mit Kindern für den NMG-Unterricht?

Welche Haltung unterstützt einen das Nachdenken fördernden Unterricht?

Welche Rolle hat die Lehrperson bei philosophischen Gesprächen?

Was lernen Schülerinnen und Schüler beim Philosophieren?

Wie liesse sich gegenüber Eltern begründen, warum man mit Schülerinnen und Schülern philosophiert?

Arbeitsanregungen für die Aus- und Weiterbildung

Arbeitsanregungen für die Aus- und Weiterbildung

Diskutieren Sie in einer Gruppe, welchen Beitrag das Philosophieren für den NMG-Unterricht leistet.

Beurteilen Sie verschiedene Fragen anhand der vier Kriterien für philosophische Fragen. Ordnen Sie die philosophischen Fragen den vier Kant'schen Grundfragen plus einer Kategorie «Weitere Fragen» zu.

Formulieren Sie selbstständig philosophische Fragen und notieren Sie sie auf A4-Blätter. Erstellen Sie zusammen mit anderen eine Wandzeitung nach folgender Matrix: x-Achse mit Kant'schen Grundfragen plus einer Kategorie «Weitere philosophische Fragen», y-Achse mit den verschiedenen Perspektiven von NMG.

Erstellen Sie einen Katalog mit Hebammenfragen und führen Sie in der Gruppe ein philosophisches Gespräch.

TEIL 3 – KOMPETENZFÖRDERUNG


Im Unterricht geschieht Kompetenzförderung, indem sich Schülerinnen und Schüler mit lebensweltlich, fachlich und gesellschaftlich relevanten Herausforderungen auseinandersetzen und dabei Wissen und Fähigkeiten erlernen und einsetzen, um mit diesen Herausforderungen umzugehen. Aufgaben dienen dazu, Kompetenzen zu erwerben, aufzubauen, anzuwenden und zu erweitern. Damit sie den Lernprozess optimal unterstützen und auch vollständig abschliessen, haben Aufgaben unterschiedliche Funktionen mit unterschiedlichen Merkmalen. Teil 3 führt in die Funktionen und Merkmale der verschiedenen Aufgabentypen ein und illustriert sie an Beispielen aus dem NMG-Unterricht.

Unterrichtseinheiten planen: LUKAS-Prozessmodell kompetenzfördernder Aufgabensets | Yves Karrer

Unterrichtseinheiten planen:

LUKAS-Prozessmodell kompetenzfördernder Aufgabensets[91]

Yves Karrer

1 Praxisbeispiel[92]

Konfrontation

Frau Brunner bittet ihre zweite Primarklasse zum Einstieg in das neue Unterrichtsthema «Was ist Zeit?» in die Mitte des Schulzimmers in den Klassenkreis. Die Schülerinnen und Schüler haben vor einer Woche den Auftrag erhalten, Kinder und Erwachsene aus ihrem Umfeld zu fragen, was ihnen zum Begriff «Zeit» in den Sinn kommt. Weiter haben sie Bilder gesammelt und/oder selbst gezeichnet, die Zeit auf irgendeine Art und Weise darstellen sollen. Mit der Frage «Kann man Zeit sehen?» steigt Frau Brunner in das Klassengespräch ein und nimmt mit Bezug auf die vorbereitende Hausaufgabe unterschiedliche Äusserungen der Schülerinnen und Schüler zum Anlass, gemeinsam darüber nachzudenken, ob und wie Zeit wahrgenommen werden kann. Dabei kommen sowohl das subjektive Zeitempfinden im eigenen und dem Erleben anderer wie auch die Möglichkeit der Zeitmessung zur Sprache.

Erarbeitung, Übung/Vertiefung

Nachdem die wichtigsten Erkenntnisse in der Klasse gesammelt worden sind, erforschen die Schülerinnen und Schüler in einer vorbereiteten Lernumgebung während mehrerer Lektionen, wie Zeit indirekt sichtbar wird. Anhand von be-greifbaren Gegenständen, wie beispielsweise einem frisch gepflückten Blatt oder einer brennenden Kerze, die über eine bestimmte Zeitdauer beobachtet werden, lassen sich Dauer und Veränderungen wahrnehmen. Weiter untersuchen die Schülerinnen und Schüler verschiedene Tätigkeiten und Situationen (z. B. Schlafen, Schulweg, Feste im Jahresverlauf usw.). Wichtige Elemente sind dabei das Schätzen, Kategorisieren, Darstellen und evtl. Messen unterschiedlicher Zeitdauern.

Synthese/Transfer

Nach dieser Unterrichtsphase stellt Frau Brunner im Klassenkreis die Frage, wie man unterschiedliche Zeitdauern möglichst genau sichtbar machen könnte. Die Schülerinnen und Schüler erhalten dazu den Auftrag, in Gruppen anhand bereitgestellter Materialien selbst einfache Zeitmessgeräte (z. B. Auslaufwasseruhr, Einlaufwasseruhr, Sanduhr, Sonnenuhr) herzustellen. Ausgangpunkte dazu sind das erworbene Wissen sowie die erlernten Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen zu Zeitbegriff, Dauer und Wandel in der Lernumgebung.

2 Definition

Ein kompetenzförderndes Aufgabenset zeichnet sich durch eine Abfolge mehrerer Aufgaben aus, die von den Schülerinnen und Schülern innerhalb einer bestimmten Zeitspanne bearbeitet werden. Kompetenzfördernde Aufgabensets haben zum Ziel, die geplanten Lernprozesse vollständig abzubilden, und umfassen in der Regel mehrere Unterrichtslektionen. Die Aufgaben beziehen sich auf gemeinsame Fachinhalte und verfolgen die Entwicklung ausgewählter Kompetenzen.[93]

3 Kompetenzfördernde Aufgabensets im Planungsprozess

Die Planung einer Unterrichtseinheit kann im Wesentlichen in vier Teilschritten dargestellt werden.[94] Ausgehend von der Sach-, Bedingungs- und Begründungsanalyse trifft die Lehrperson in einem zweiten Schritt Entscheide in Bezug auf die Kompetenzstufen und Lernziele, auf die Lernevaluation sowie bezüglich des Lehr-Lern-Arrangements. Danach folgen die Teilschritte der Erarbeitung einer Grobplanung und schliesslich die Durchführung und Reflexion der gesamten Unterrichtseinheit.

Die Zusammenstellung kompetenzfördernder Aufgabensets lässt sich innerhalb dieser Darstellung des Planungsprozesses vorwiegend im Schritt «Entscheiden» verorten. Im Sinne einer didaktischen Strukturierung des Lernprozesses werden didaktische, fachdidaktische und überfachliche Überlegungen miteinbezogen sowie formative und summative Beurteilungsformen eingeplant. Die Lernprozessgestaltung verlangt es jedoch auch, strukturelle, organisatorische und personale Gegebenheiten aus der Bedingungsanalyse zu beachten, um schliesslich kompetenzfördernde Aufgabensets zusammenzustellen oder selbst entwickeln zu können, die den angestrebten Lernprozess optimal unterstützen.[95] Das Prozessmodell umfasst, wie jedes Modell, nie die gesamte Unterrichtswirklichkeit, bietet den Lehrpersonen jedoch eine Hilfe, unterschiedliche Funktionstypen von Lernaufgaben zu erkennen und im Planungsprozess in eine lernwirksame Abfolge zu bringen. Dabei ist es durchaus möglich, dass der angestrebte Kompetenzaufbau nicht immer derart geradlinig verläuft wie im Modell dargestellt. Dennoch bleibt auch in einem solchen Fall der gesamte Lernprozess im Blick.[96]

4 Unterschiedliche funktionale Aufgabentypen

Lernaufgaben situieren sich im Kontext kompetenzfördernder Aufgabensets in einem längeren Lernprozess, der sich in unterschiedliche Phasen gliedert. In Bezug auf ihre Funktion müssen in diesem Zusammenhang zwei Differenzierungsstufen beachtet werden. Erstens gilt es zwischen Aufgaben für das Lernen (Lernaufgaben) und Aufgaben für das Abbilden der Leistung (Leistungsaufgaben: formativ und summativ) zu unterscheiden. Zweitens lassen sich Aufgaben nach ihrer jeweiligen Funktion unterscheiden, die sie in einem bestimmten Moment des Unterrichts, bzw. hinsichtlich des angestrebten Lernprozesses übernehmen.[97] Das PADUA- und KAFKA-Modell bieten hierzu eine wertvolle Grundlage, um die funktional unterschiedlichen Aufgabentypen innerhalb kompetenzfördernder Aufgabensets zu verorten (siehe Tab. 1).


Tabelle 1Funktionstypen von Lernaufgaben in Anlehnung an das KAFKA-Modell
PADUA-Modell(Aebli 2011)Vollständiger Lernprozess Kafka-Modell(Reusser 2014)LerntätigkeitDidaktische Funktion von Lernaufgaben(Luthiger u. a. 2018)
PProblemKKontakt herstellenKonfrontationsaufgaben
AAufbauAAufbauenErarbeitungsaufgaben
DDurcharbeitenFFlexibilisierenÜbungs- und Vertiefungsaufgaben
UÜbenKKonsolidieren
AAnwendenAAnwendenTransfer- und Syntheseaufgaben

5 Aufgabensets in einer kompetenzorientierten Unterrichtseinheit

Das LUKAS-Modell ermöglicht es, die sechs Funktionstypen von Lernaufgaben aus lernpsychologischer Betrachtung in eine Reihenfolge zu bringen, die den Kompetenzerwerb optimal unterstützt.[98] Damit liegt zugleich eine aufgabenorientierte Planungshilfe für den Unterricht vor, die dabei hilft, auf den richtigen Zeitpunkt und das Zusammenspiel der einzelnen Lernaufgaben zu fokussieren.[99]

Das Prozessmodell, wie in Abbildung 1 dargestellt, ist in die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler eingebettet, die sowohl Ausgangs- als auch Endpunkt des Lernprozesses darstellt. Zu Beginn stehen Alltagskonzepte und -kompetenzen im Fokus, am Ende widerspiegelt sich der durchlaufene Lernprozess im eigenen Denken und Handeln. Erste Gedanken zur Unterrichtsplanung gelten jedoch den angestrebten fachlichen und überfachlichen Kompetenzen im Lehrplan. Die Lehrperson nimmt den Lehr- und Lernprozess also gewissermassen vom Ende her in den Blick und überlegt sich, wie eine bestimmte Kompetenz über die kumulativen Teilkompetenzen mit den Schülerinnen und Schülern erreicht werden kann. Die sechs unterschiedlichen Aufgabentypen im Prozessmodell stellen dabei verschiedene «Wegabschnitte» im Kompetenzerwerb der Schülerinnen und Schüler dar.[100] Diese Phasen sind im Folgenden dargestellt.

 

Konfrontationsaufgabe: «Kontakt herstellen»

Didaktische Funktion: Konfrontationsaufgaben wecken die Neugier der Schülerinnen und Schüler, stellen diese vor ein Problem, sorgen für Irritation, regen zu (neuen) Fragen in Bezug auf den Unterrichtsgegenstand an und ermöglichen einen ersten Austausch.[101]

Merkmale:[102] Charakteristisch für Konfrontationsaufgaben ist, dass sie

•lebensweltliche Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler aktivieren und/oder den Kontakt zu einem fachbedeutsamen Unterrichtsgegenstand herstellen;

•möglichst viele Teilaspekte einer Kompetenz in Bezug auf die reale Situation nutzen;

•divergierendes (unterschiedliches, abweichendes) Denken fördern;

•klar vorstrukturierte Aufgabenstellungen aufweisen, die den Bearbeitungsprozess im Wesentlichen vorgeben;

•offen sind und mehrere Fragestellungen und Lösungswege ermöglichen.


Beispiel:[103] Wer braucht den Wald und wie bleibt er wertvoll?
Ausgehend von der übergeordneten Fragestellung (Unterrichtsthema) zeigt die Lehrperson den Schülerinnen und Schülern verschiedene Bilder, die einen zerstörten/beschädigten Wald zeigen (Sturmschäden, Waldbrand, Verschmutzung). Dazu werden folgende Fragen bearbeitet und diskutiert:
•Was ist auf den Bildern zu sehen? Wo könnte das sein?
•Was muss nun mit diesem Stück Wald geschehen?
•Wer ist dafür verantwortlich? Wer darf/soll mitbestimmen, was nun geschieht?
•Für wen ist der Wald wertvoll? Wer hat überhaupt Interesse am Wald?
•Was machst du besonders gerne im Wald?
•Wo würdest du dich am liebsten aufhalten?

Erarbeitungsaufgaben: «Aufbauen»

Didaktische Funktion: Erarbeitungsaufgaben regen den Aufbau von neuen Kompetenzaspekten an und verknüpfen die individuellen Vorstellungen und Erkenntnisse aus der Konfrontationsphase mit gesichertem, überprüftem Fachwissen. Sie stellen eine Verbindung von Vorwissen sowie bewährten Wissensbeständen aus einem Fach her und vermitteln Wissen, Zusammenhänge, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie Haltungen.[104]

Merkmale:[105] Charakteristisch für Erarbeitungsaufgaben ist, dass sie

•anregen, mehrere Teilaspekte einer Kompetenz nach- oder nebeneinander zu erlernen;

•individuelle Vorstellungen ordnen, ergänzen;

•zur Reflexion der Veränderung des eigenen Wissens auffordern;

•klar vorstrukturierte Aufgabenstellungen aufweisen, die den Bearbeitungsprozess im Wesentlichen vorgeben;

•zeitnahes sachorientierte Feedback und/oder den Austausch von (Zwischen-)Ergebnissen ermöglichen.


Beispiel: Wer braucht den Wald und wie bleibt er wertvoll?
Die Schülerinnen und Schüler bearbeiten verschiedene Aufgabenstellungen, die sich an Teilaspekten aus der übergeordneten Fragestellung orientieren. Zum Beispiel:
•Bäume und Pflanzen: verschiedene Waldtypen erkunden und mit eigenen Vorstellungen vergleichen, die Stockwerke des Waldes dokumentieren und beschreiben
•Tiere: Waldtiere benennen und nach unterschiedlichen Kriterien/Eigenschaften ordnen
•Nutzung: Akteure und Akteurinnen interviewen (Pächter, Försterinnen, Freizeitsportler, Spaziergängerinnen …)
•Ökosystem Wald: exemplarischen Waldkreislauf erarbeiten und darstellen

Übungs- und Vertiefungsaufgaben: «Flexibilisieren und Konsolidieren»

Didaktische Funktion: Übungsaufgaben trainieren, festigen und automatisieren das erarbeitete Wissen und die Handlungsaspekte einer Kompetenz. Vertiefungsaufgaben ermöglichen zudem die abwechslungsreiche Vertiefung und Vernetzung der erlernten Teilkompetenzen.[106]

Merkmale:[107] Charakteristisch für Übungs- und Vertiefungsaufgaben ist, dass sie

•an fachlich bedeutsamen Wissensbeständen und Fertigkeiten orientiert sind;

•die Anwendung von Basiswissen und Fertigkeiten verlangen;

•klar vorstrukturierte oder teilstrukturierte Aufgabenstellungen aufweisen, die den Bearbeitungsprozess deutlich oder teilweise vorgeben;

•unterschiedliche Lernvoraussetzungen ausgleichen.


Beispiel: Wer braucht den Wald und wie bleibt er wertvoll?
Die Schülerinnen und Schüler erhalten die Möglichkeit, die unterschiedlichen Teilaspekte der übergeordneten Fragestellung zu festigen. Zum Beispiel:
•einander die Unterschiede der erarbeiteten Waldtypen erklären, zu einem spezifischen Typ weitere Informationen sammeln und sich darüber austauschen
•Waldtiere beschreiben und auf einem Wandbild den unterschiedlichen ‹Stockwerken› des Waldes zuordnen, selbst recherchierte Tiere auf dem Bild verorten
•unterschiedliche Interessen am Wald den verschiedenen Waldnutzern zuordnen und miteinander vergleichen, daraus Konsequenzen ableiten
•Ökosystem: verschiedene Waldkreisläufe mit oder ohne Hilfsmittel (z. B. Bilder, Grafik) erklären, die Bedeutung für den Wald und dessen Nutzer herausarbeiten

Synthese- und Transferaufgaben: «Anwenden»

Didaktische Funktion: Synthese- und Transferaufgaben führen die einzeln erworbenen und geübten Teilkompetenzen schliesslich zusammen, erweitern eigene Denk- und Handlungsweisen und klären, inwiefern ein Kompetenzzuwachs erreicht worden ist (Kompetenzerleben). Der Unterschied der beiden Aufgabentypen liegt im Wesentlichen darin, dass bei Syntheseaufgaben die Anwendungssituation noch innerhalb des bearbeiteten Themas liegt, Transferaufgaben von den Schülerinnen und Schülern dagegen die Anwendung der Zielkompetenz auf zum Teil neue, noch unbekannte Kontexte (Themengebiete) verlangen.[108]

Merkmale:[109] Charakteristisch für Synthese- und Transferaufgaben ist, dass sie

•erneut lebensweltliche Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler aktivieren und/oder den Kontakt zu einem fachbedeutsamen Unterrichtsgegenstand herstellen;

•einen weiten Transfer anstreben (Transferaufgabe) und somit die Anwendung des Wissens in einer unbekannten Situation ermöglichen;

•wenig strukturiert und darum komplex und/oder irritierend und somit herausfordernd sind;

•es den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, zunehmend ihre eigenen Interessen und Fragen miteinzubeziehen.


Beispiel: Wer braucht den Wald und wie bleibt er wertvoll?
Synthese: Die Schülerinnen und Schüler werden dazu aufgefordert, eine Dokumentation (Fotos, Pläne, Beschreibungen) eines vielseitig genutzten Waldstücks in Bezug auf die Fragestellung hin zu analysieren und Empfehlungen für allfällige Veränderungen abzugeben, die anschliessend vor der Klasse präsentiert und besprochen werden.
Transfer: Die Schülerinnen und Schüler erhalten den Auftrag, ein bisher unberührtes Stück Wald in der näheren Umgebung von Grund auf neu zu gestalten. Dazu sollen sie in Gruppen aus unterschiedlichen Materialien ein Modell herstellen, das einen «idealtypischen» Wald darstellt und unterschiedliche Interessen der Akteure sowie ökologische Gesichtspunkte miteinbezieht.

Formative und summative Beurteilungsaufgaben (Leistungsaufgaben)

Die formativen Beurteilungsaufgaben haben im Prozessmodell kompetenzfördernder Aufgabensets die Funktion, den Grad der Ausprägung einer Kompetenz zu erfassen. Dadurch erhält die Lehrperson Informationen zur Diagnose der unterschiedlichen Lernstände der Schülerinnen und Schüler, die zur Lernbegleitung und Lernprozesssteuerung genutzt werden können. Formative Beurteilungsaufgaben sind insbesondere in den Phasen des Übens/Vertiefens sowie der Synthese/des Transfers von zentraler Bedeutung. Summative Beurteilungsaufgaben hingegen zielen auf die (abschliessende) Überprüfung und Bewertung des Kompetenzstandes. Sie bilanzieren den Lernstand der Schülerinnen in der Regel am Ende einer Unterrichtseinheit.[110]