Nachdenken und vernetzen in Natur, Mensch, Gesellschaft (E-Book)

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Fragen erhöhen die Aufmerksamkeit und fördern vertieftes Verstehen. Umso erstaunlicher ist es, dass die Fragen der Schülerinnen und Schüler selten im Zentrum des Unterrichts stehen, vor allem wenn sie den Rahmen der Informationsfragen übersteigen. Vielmehr prägen die Fragen der Lehrperson den Unterricht. Empirische Untersuchungen belegen dagegen, dass regelmässiges Philosophieren im Sachunterricht die kognitive und sprachliche Entwicklung der Schülerinnen und Schüler fördert, Motivation und Konzentration erhöht, Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen aufbaut sowie das Sozial-/Gruppenverhalten und die Gesprächskultur verbessert. Aber auch das fachliche Verstehen wird durch das Philosophieren gefördert.[79]

Philosophieren bildet daher ein Unterrichtsprinzip, das folgende Anliegen hat.[80]

1. Erschliessung eines komplexen Welt- und Wirklichkeitsverständnisses

Jeglicher Unterricht ist dazu da, die komplexe Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler zu entschlüsseln und die subjektive von der objektiven Welt zu unterscheiden. Da die Wirklichkeit jedoch nicht aus einer einzigen Fachperspektive in ihrer Gesamtheit erschlossen werden kann, müssen unterschiedliche Perspektiven genutzt und miteinander in Verbindung gebracht werden. Das Philosophieren macht auf die Vielfalt verschiedener Denk- und Deutungsmöglichkeiten aufmerksam, nutzt deren Potenzial und integriert sie. Es ermöglicht, zwischen Perspektiven hin und her zu wechseln, Spannungen zwischen verschiedenen Perspektiven kenntlich zu machen und nicht vorschnell aufzulösen. Gleichzeitig lotet es die Grenzen der jeweiligen Perspektiven aus und macht auf sie aufmerksam. So kann beispielsweise ein naturwissenschaftliches Experiment nicht klären, ob Menschen Tiere töten dürfen oder nicht. Auf diese Weise werden Inhalte vertieft und vernetzt und der Unterricht bleibt sich selbst gegenüber kritisch. Mit der Verbindung von philosophischen mit fachlichen Fragen werden Unterricht und Welt enttrivialisiert, da die Komplexität der Wirklichkeit nicht vorschnell verengt und simplifiziert, sondern nach Bedeutung und Sinn gefragt wird.

2. Kultivierung einer Haltung des Nachdenkens und der Offenheit

Wie das Beispiel zum Auge am Anfang zeigt, braucht es von einer Lehrperson eine bestimmte Haltung, damit die Schülerinnen und Schüler das Fragenstellen nicht verlernen, sondern erlernen, ausbilden, kultivieren und verfeinern können. Dazu ist es nötig, dass Lehrpersonen Fragen zulassen, ja selbst eine fragende Haltung in den Unterricht mitbringen. Vermeintlich Vorgegebenes soll hinterfragt werden, man soll Unklares, Geheimnisvolles, Wunderliches benennen dürfen. Diese offene Haltung bedingt gleichzeitig, dass man Spannungen auszuhalten vermag, weil Fragen nicht immer sogleich beantwortet werden können. Es lohnt sich weiterzufragen und auch nach Bedeutung und Sinn eines Phänomens für Individuum und Gesellschaft zu fragen. Dadurch erhalten Schülerinnen und Schüler Distanz zu gesellschaftlich Vorgegebenem und üben das eigenständige Nachdenken und Urteilen. Indem nicht vorgegebenen Antworten vertraut wird, sondern man sich Zeit zum Nachdenken nimmt, wird der Unterricht entschleunigt.

3. Förderung einer demokratischen Gesprächskultur

Philosophieren kann man auch allein, zusammen macht es allerdings mehr Spass und erhöht die Beteiligung der Schülerinnen und Schüler am Unterricht. Ausserdem sehen viele Augen mehr als nur zwei, viele Köpfe denken mehr als ein einzelner. Indem Schülerinnen und Schüler zusammen nachdenken, schaffen sie sich eine gemeinsame Welt, sie bereichern einander mit ihren unterschiedlichen Sichtweisen und Wissensbeständen. Man nennt dies dialogisches und ko-konstruktives Lernen. Durch das gemeinsame Nachdenken erfahren Lehrpersonen gleichzeitig, welche Präkonzepte, also welches Vorwissen, welche Erfahrungen, welche Haltungen in einer Klasse vorhanden sind. Auf diese Weise werden Fragen, Vorstellungen und Weltdeutungen der Schülerinnen und Schüler kenntlich und berücksichtigt. Zugleich fördert dieses gemeinsame Nachdenken demokratisches Lernen. Der gemeinsame Erkenntnis- und Aushandlungsprozess sensibilisiert für subjektive Anliegen und Vorstellungen. Schülerinnen und Schüler müssen dabei aufeinander hören und einander ausreden lassen, versetzen sich ineinander. Auf diese Weise entwickeln sie Gesprächsfähigkeit und üben einen konstruktiven Umgang mit Verschiedenheit.

Ziele des Philosophierens. Oder: Was sollen Schülerinnen und Schüler lernen?

Ziele haben die didaktische Funktion, das Resultat des Unterrichts zu beschreiben. Heute werden sie meist als Kompetenzen ausgedrückt. Nach Ekkehard Martens[81] erlernen die Schülerinnen und Schüler elementare Kulturtechniken, die hier als fünf Kompetenzen umschrieben werden.


WahrnehmungsfähigkeitSie lernen, die Welt aufmerksam zu betrachten und zu beschreiben. Sie stellen Fragen, wo sie staunen, sich wundern und zweifeln. (Phänomenologie)
Reflexions- und UrteilsfähigkeitSie lernen, selbst präzise und lückenlos zu denken, zu fragen, zu zweifeln, weiterzudenken, etwas infrage zu stellen. Sie lernen Sachverhalte zu differenzieren. So lernen sie kritisch zu sein und vermeintlich Klares und Vorgegebenes zu hinterfragen. (Analytik)
Perspektivenbewusstsein und -wechselSie lernen verschiedene Perspektiven kennen und voneinander zu unterscheiden: fachliche, geschlechtsspezifische, kulturelle, subjektive Perspektiven. Sie nehmen die Eingeschränktheit und Grenzen von Perspektiven, Modellen und Antwortmustern wahr und können zwischen verschiedenen Perspektiven wechseln. (Hermeneutik)
Argumentations- und DiskussionsfähigkeitSie lernen ihre Gedanken zu formulieren, sie präzise und verständlich auszudrücken. Sie hören einander aufmerksam zu, trauen sich aber auch, Aussagen in Zweifel zu ziehen und über den Wahrheitsgehalt einer Aussage zu diskutieren. (Dialektik)
Partizipation und VerantwortungsübernahmeSie beteiligen sich am Denk- und Verstehensprozess und übernehmen Verantwortung für das Lernen. Indem sie kritisch denken lernen, lernen sie Verantwortung für sich und die Gesellschaft zu übernehmen und nicht alles als gegeben hinzunehmen. Sie fragen auch nach dem Wünschbaren gegenüber dem Vorgegebenen. (Spekulation)

Anlässe für ein philosophisches Gespräch. Oder: Wann philosophieren?

Im Unterricht gibt es unterschiedliche Anlässe für philosophische Gespräche.


Fragen von Schülerinnen und SchülernDie Kinder stellen im Unterricht manchmal ganz überraschend Fragen, die aufgegriffen werden können. Meist haben sie eine Erfahrung gemacht, die sie beschäftigt, oder sie staunen spontan über ein Wort, eine Situation usw. Z. B.: Eine Zweitklässlerin hob mitten in der Mathestunde die Hand und fragte, ob ihr Meerschweinchen im Himmel sei, es sei gestern gestorben. Der Fünftklässler sagt, er vertraue seinem Pony viel mehr als Menschen.
Situation in der KlasseUngeplante Begebenheiten in der Klasse können das Nachdenken über grundsätzliche Fragen des Lebens anstossen. Eine Gruppe fühlt sich ungerecht behandelt, weil sie den eigenen Auftrag weniger attraktiv findet als den Auftrag der anderen Gruppe. Daraus kann ein Gespräch entstehen, z. B.: Was ist gerecht? Eine Mitschülerin, die an einen anderen Ort zieht, kann Fragen auslösen wie: Warum sind wir nun traurig? Kann Freundschaft Distanzen überwinden? Wo ist «Zuhause»?
Philosophische Frage als UnterrichtsgegenstandEine philosophische Frage kann im Zentrum des Unterrichts stehen und ihm eine Richtung geben. Sie kann in mehreren Fächern bearbeitet werden. Z. B.: Wie kommen die Gedanken in unseren Kopf? Kann man immer gerecht sein? Was unterscheidet den Menschen vom Tier?
Philosophische Fragen im Zusammenhang mit UnterrichtsgegenständenBei ganz vielen Unterrichtsgegenständen in verschiedenen Fächern stellen sich philosophische Fragen. Z. B.: Wenn im Schulzimmer Küken aufgezogen werden, dann lässt sich darüber nachdenken, was zuerst war, das Huhn oder das Ei, und warum uns dies so interessiert. Wenn zu den Jahreszeiten gearbeitet wird, so lässt sich fragen, woher der Frühling weiss, dass er kommen soll. In den gestaltenden Fächern kann die Frage gestellt werden, ob uns Kunst zu besseren Menschen macht.

2 Philosophieren in Natur, Mensch, Gesellschaft

Philosophieren als Ziel im Lehrplan 21. Oder: Wie ist das Philosophieren gesellschaftlich legitimiert?

Im Lehrplan 21 bieten die überfachlichen Kompetenzen sowie der Lehrplan zu «Natur, Mensch, Gesellschaft» Orientierung in Bezug auf das Philosophieren im Unterricht. Die überfachlichen Kompetenzen werden in personale, soziale und methodische Kompetenzen unterschieden. Die personalen Kompetenzen umfassen Selbstreflexion, Selbstständigkeit und Eigenständigkeit.[82] Insbesondere die letzte Kategorie umfasst zahlreiche Kompetenzen, die auch das Philosophieren auszeichnen und die durch dieses erworben werden: sich eine Meinung bilden und vertreten, Argumente analysieren und abwägen, einen Standpunkt einnehmen und vertreten usw. Aber auch die Kooperationsfähigkeit und der Umgang mit Vielfalt, die unter die sozialen Kompetenzen fallen, oder die Sprachfähigkeit und die Problemlösefähigkeit werden durch das Philosophieren gefördert.

 

Der Lehrplan für «Natur, Mensch, Gesellschaft» weist im Kompetenzbereich 11, «Grunderfahrungen, Werte und Normen erkunden und reflektieren», die Fähigkeit zum Philosophieren als eigenständige Kompetenz aus: «Schülerinnen und Schüler können philosophische Fragen stellen und über sie nachdenken.»[83] Sie wird demselben Kompetenzbereich wie das Nachdenken über menschliche Grunderfahrungen und ethische Sachverhalte zugeordnet, da dies genuine Themen des philosophischen Nachdenkens sind. Darüber hinaus lassen sich in allen anderen Kompetenzbereichen Anknüpfungspunkte finden, wie weiter unten beschrieben wird.

Unter der Leitidee zur Bildung für eine nachhaltige Entwicklung werden darüber hinaus sieben fächerübergreifende Themen genannt, die neben einer Bearbeitung aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven auch eine gemeinsame Reflexion aus der Perspektive der Fraglichkeit und Fragwürdigkeit verlangen:[84]

Politik, Demokratie und Menschenrechte: Ist Demokratie für alle Menschen gut? Muss man Menschenrechte immer beachten? Braucht es Gesetze?

Natürliche Umwelt und Ressourcen: Warum sollen wir die Umwelt schützen, wenn wir doch nicht wissen, was in Zukunft geschieht?

Geschlechter und Gleichstellung: Was wäre, wenn es mehr als zwei Geschlechter gäbe? Sind wir verschieden oder sind wir gleich?

Gesundheit: Ist gesund = körperlich fit? Wann ist ein Mensch krank?

Globale Entwicklung und Frieden: Was braucht es, damit es Frieden gibt? Ist jeder Krieg falsch?

Kulturelle Identitäten und interkulturelle Verständigung: Was können wir von anderen Kulturen und Gesellschaften lernen? Müssen wir alles respektieren, was uns fremd ist? Was ist Heimat?

Wirtschaft und Konsum: Wo liegen die Grenzen des Wachstums? Wird man durch Kaufen glücklich?

Viele dieser oder ähnlicher Fragen sind auch im nächsten Abschnitt unter den fachlichen Perspektiven zu finden. Dies zeigt, dass diese sieben fächerübergreifenden Themen starke Bezüge zum Fach Natur, Mensch, Gesellschaft aufweisen, obwohl sie auch für andere Fächer relevant sind.

Durch den Lehrplan erhält das Philosophieren im Unterricht eine gesellschaftliche Legitimation. Dies heisst umgekehrt, dass die Schule den Auftrag hat, Schülerinnen und Schüler in das Philosophieren einzuführen, es mit ihnen zu üben und im Unterricht stetig zu praktizieren.

Philosophieren im Fach Natur, Mensch, Gesellschaft

Grundsätzlich gibt es in allen Fächern philosophische Fragen und das Philosophieren kann in allen Fächern gewinnbringend praktiziert werden. Es bildet einen geeigneten Zugang zu den Zielen und Inhalten des Lehrplans für «Natur, Mensch, Gesellschaft», damit Schülerinnen und Schüler befähigt werden, selbstständig, kritisch und kreativ zu denken. Dabei geht es nicht darum, Wissenschaft und Philosophieren gegeneinander auszuspielen, sondern gewinnbringend zueinander in Beziehung zu setzen. Man kann sich dies wie ein Schachbrett vorstellen, auf dem die verschiedenfarbigen Felder einander zum Leuchten bringen. Das Schachspiel funktioniert indes nur, wenn das Brett in dunkle und helle Felder unterteilt ist. Die hellen Felder des disziplinären Wissens und seiner Methoden zeigen, dass die Welt in vielem verstanden werden kann, dass sie nicht ein chaotisches Ungetüm ist. Sie durchbrechen eine naive Geheimniskrämerei. Die dunklen Felder des philosophischen Ergründens zeigen, dass mit den Wissenschaften nicht alles geklärt werden kann. Sie durchbrechen eine naive Wissenschaftsgläubigkeit.

Für diesen Prozess wurde von Johannes Jung der Begriff «Echolot-Didaktik» vorgeschlagen.[85] Gemeint ist ein stetiges Ausschauhalten nach und Nachfragen bei Unklarheiten, Widersprüchen und Irritationen im wissenschaftlichen Unterricht. In den vier Perspektiven des Fachbereichs Natur, Mensch, Gesellschaft lassen sich mit dem «Echolot» zahlreiche philosophische Fragen[86] aufspüren, die hier entlang der philosophischen Grundfragen nach Kant geordnet sind und keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit haben, was dem Philosophieren sowieso widersprechen würde.

Beispiele für «Räume, Zeiten, Gesellschaften»


WissenWas können wir über die Vergangenheit wissen und was nützt uns dieses Wissen? Was ist überhaupt Vergangenheit, was ist Gegenwart und was ist Zukunft? Macht uns Reisen klüger?
TunDarf man Bergbahnen bauen, damit wir Skifahren können? Was ist eine gerechte Gesellschaft?
HoffenGibt es eine perfekte Gesellschaft?
MenschWie wäre es, in einem anderen Land geboren zu sein? Wäre ich dieselbe Person? Worin unterscheiden sich Menschen aus anderen Ländern? Worin sind sie gleich? Sind manche Völker besser als andere?
Weitere BeispieleIst es möglich, in die Vergangenheit zu reisen? Was würden wir dort tun wollen? Was ist Zeit? Was ist Veränderung? Wo ist das Gestern hin? Was wäre, wenn die Erde würfel- statt kugelförmig wäre? Gibt es Leben auf anderen Planeten? Was wäre, wenn Ausserirdische auf die Erde kämen?

Beispiele für «Natur und Technik»


WissenKönnen Computer und Roboter denken? Wie sieht die Welt für ein Tier aus? Haben Pflanzen Gefühle? Können wir die Welt vollständig wahrnehmen mit unseren Sinnen? Sehen alle dasselbe? Wenn jemand an einem Sommerabend friert und jemand anderer schwitzt, wie kann man dann wissen, ob es warm oder kalt ist? Kann man auf einem Foto alles erkennen? Was bleibt verborgen? Warum gibt es verschiedene Lebewesen? Warum hat das Haus in meinem Auge Platz?
TunDarf man jede Maschine bauen, die man bauen kann? Können Pflanzen glücklich sein, können sich Fische freuen? Wie sollten wir mit Pflanzen und Tieren umgehen? Darf man Bäume fällen?
HoffenKönnen wir durch Naturwissenschaft alles erklären? Kann uns die Natur sagen, wie wir leben sollen? Warum leben wir nicht ewig? Oder gibt es ewiges Leben? Woher kommt das Universum?
MenschIst das Leben durch Technik besser geworden? Was wäre, wenn man Menschen künstlich herstellen könnte? Ist ein Mensch, dem man ein Organ transplantiert hat, noch derselbe Mensch? Braucht der Mensch die Natur? Was unterscheidet den Menschen vom Tier? Warum sind Frauen und Männer anders? Worin sind sie gleich? Tut alt werden weh?
Weitere BeispieleWas ist Natur? Wer definiert das? Was ist lebendig? Bestimmt der Mensch über die Natur oder bestimmt die Natur über den Menschen? Wie wäre es, wenn Tiere und Pflanzen dieselben Rechte hätten wie Menschen?

Beispiele für «Wirtschaft, Arbeit, Haushalt»


WissenWie können wir wissen, was gut für uns ist? Wie hat der Mensch eigentlich herausgefunden, was man essen kann? Warum soll es so klar sein, dass Männer arbeiten und Frauen Kinder erziehen?
TunWie billig darf ein T-Shirt sein? Darf man Tiere schlachten? Wie soll man Tiere halten? Wer bestimmt, wer viel oder wenig verdient, und ist das gerecht?
HoffenIst gesund leben eine neue Religion? Werden wir durch Konsum selig?
MenschIst der Mensch, was er isst? Warum finden manche Menschen Insekten köstlich und andere ekeln sich davor? Machen Kleider Leute? Warum sammeln Menschen Dinge? Brauchen wir Freizeit und Ferien?
Weitere BeispieleKann man alles haben? Warum wollen wir nicht nur genügend, sondern auch lecker essen? Spielt es eine Rolle, ob Essen schön angerichtet ist oder nicht?

Beispiele für «Ethik, Religionen, Gemeinschaft»


WissenWie weiss ich, dass ich «ich» bin? Können wir wissen, was nach dem Tod geschieht? Warum gibt es unterschiedliche Religionen? Wie kann man weise werden? Wie kann man Traum und Wirklichkeit unterscheiden? Was sind Gefühle? Woher kommt die Angst? Kann man Gott beweisen?
TunWas ist Gerechtigkeit? Soll man immer die Wahrheit sagen? Warum funktionieren Lügen nicht immer? Wozu braucht man Regeln und Gesetze? Geht es auch ohne sie?
HoffenWas geschieht nach dem Tod? Was sind Träume und wozu brauchen wir sie? Ist Liebe das Wichtigste im Leben? Was ist der Sinn des Lebens?
MenschWer bin ich und was macht mich aus? Was darf man bei einem Menschen nicht verändern, damit er der gleiche Mensch bleibt? Brauchen Menschen eine Religion? Wie wäre es, jemand anderes zu sein? Warum gibt es gute und böse Menschen? Warum gibt es Krieg? Warum glauben Menschen an Gott?
Weitere BeispieleWas ist Freundschaft? Kann man zwischen Irrtum und Lüge eindeutig unterscheiden? Gibt es Engel? Warum feiern Menschen Feste?

Mit Philosophieren bildungsrelevante Unterrichtsgegenstände formulieren

Eine solche philosophische Frage kann als Thema einer Unterrichtseinheit für «Natur, Mensch, Gesellschaft» gewählt werden. Sie dient sowohl der Perspektivenintegration als auch dem Nachdenken auf der Metaebene.

Beispiel: Macht uns Reisen klug?

Stellen Sie sich vor, Sie unterrichten eine sechste Klasse. Vor den Sommerferien haben Sie eine Schulreise unternommen, bei der Sie eine besonders artenreiche Auenlandschaft besucht haben, was Sie stimmig ins Unterrichtsthema «Warum sollten wir die Natur schützen?» (übrigens eine philosophische Frage) einbinden konnten. In den Ferien sind einige Schülerinnen und Schüler verreist, andere sind zu Hause geblieben. Sie selbst waren ebenfalls auf einer Reise und haben umfangreiches Dokumentationsmaterial erstellt. Diese drei Anlässe nehmen Sie als Ankerpunkte für folgende unterrichtsleitende Frage: Macht uns Reisen klug?

Entlang dieser Frage können Sie zahlreiche Aspekte erarbeiten:

•von Ferienerlebnissen erzählen und menschliche Grunderfahrungen wie Erholungsbedarf, Neugierde, Langeweile usw. festhalten (NMG.11.1);

•Berufe im Tourismus (kundige Führerin einer Sehenswürdigkeit, Hotelrezeptionist, Carchauffeurin, Bergbahnangestellter, Reiseführerautorin) (NMG.6.2);

•Bedürfnisse, die hinter Urlaub und Reise stehen, ergründen und Reisen als Konsumgut wahrnehmen (NMG.6.5 und 7.3);

•Lebensweisen zu Hause und an anderen Orten vergleichen (NMG.7.1 und 7.2);

•die Nutzung von Orten, Landschaften usw. durch den Tourismus betrachten (NMG.8.2);

•ferne und nahe Orte unterscheiden und Hilfsmittel wie Globus und Karten verwenden (NMG.8.4);

•ethische Aspekte des Tourismus verhandeln wie Umweltbelastung, wirtschaftlichen Nutzen, kulturelle Bereicherung, sozialen Austausch (NMG.11.4);

•über die Frage nachdenken, ob Reisen klug mache (NMG.11.2).

Eine solche umfassende Zugangsweise befördert das Staunen und Wundern, nimmt ungeklärte Fragen ernst und gibt sich nicht mit dem Vorgegebenen zufrieden, verbindet verschiedene Perspektiven und lotet deren Grenzen aus (weil nicht eine allein diese Frage beantworten kann).

3 Philosophieren anleiten

Wenn wir in der Schule zum Philosophieren anleiten, dann gibt es bestimmte Haltungen, Methoden und Konzepte, die dieses unterstützen. In diesem Kapitel sollen sie umrissen werden.

Rolle und Aufgaben der Lehrperson

Es gibt einige Grundvoraussetzungen, die für das Gelingen des Philosophierens erfüllt sein müssen. Sie gelten gleichermassen für Lehrpersonen und Lernende. Wenn die Lehrperson allerdings keine glaubhafte Haltung vertritt, dann werden die Schülerinnen und Schüler kaum einsehen, weshalb sie selbst dies tun sollten. Zu diesen Voraussetzungen gehören:

•Staunen können;

•den Rätseln der Welt auf die Spur kommen wollen;

•sich wundern und anfangen, über Fragen nachzudenken;

•nicht auf alles (sofort) eine Antwort haben;

•immer wieder für neue Fragen und Möglichkeiten offen sein.

Etwas grundsätzlicher lässt sich die Rolle der Lehrperson im didaktischen Dreieck zeigen (siehe Abb. 5).

 

Häufig übernimmt die Lehrperson die Rolle der Gesprächsleitung. Dies ist allerdings nicht zwingend, falls die Schülerinnen und Schüler schon umfassendere Erfahrung mit dem Philosophieren haben und die Gesprächsleitung selbstständig wahrnehmen können. Ansonsten hat die Gesprächsleitung folgende Aufgaben:[87]

•Fragestellungen anregen/formulieren;

•roten Faden im Auge behalten;

•Widersprüche herausarbeiten / subjektive Sichtweisen miteinander vergleichen;

•bei Unklarheiten nachfragen;

•für faire, angenehme Gesprächskultur sorgen;

•gegebenenfalls Wissen zum Thema einbringen;

•Gesprächsverlauf zusammenfassen, Zwischenergebnisse festhalten.

Mit Hebammenfragen Gedanken gebären helfen: Der Fragenkatalog als Grundinstrument


«Der berühmte Philosoph Sokrates lebte von 469–399 v. Chr. in Athen. Er schrieb keine Bücher, sondern befragte alte und junge Menschen auf dem Marktplatz nach ihren Meinungen und Gedanken über das gute Leben und wie man es führen sollte. Seine Art zu philosophieren soll er mit der Arbeit seiner eigenen Mutter, die Hebamme war, verglichen haben. Er helfe zwar nicht bei der Geburt von Kindern, aber durch seine Fragetechnik leiste er den Menschen Hilfe beim ‹Gebären› eigener Gedanken. Beim Philosophieren mit Kindern versuchen wir, es ihm gleichzutun. Durch unsere ‹Hebammenfragen› leiten wir Kinder an, ein Thema sorgfältig und kritisch zu durchdenken, Meinungen darüber zu hinterfragen, gute Gründe für ihre Ansichten zu suchen und ihre Ideen verständlich zu formulieren, sei es in Worten oder manchmal auch durch Zeichnungen oder szenische Darstellungen. So leisten wir ‹Geburtshilfe› für ihre ‹Weisheiten›. So helfen wir ihnen, selber zu denken, denn: Selber denken macht schlau!»[88]

Das Zitat von Eva Zoller Morf macht deutlich, dass das Philosophieren mit Kindern in der Primarschule kein Philosophieunterricht ist, sondern eben Hebammenkunst (gr. Mäeutik). Ein in Kategorien gegliederter Katalog von Fragen hat die Funktion, die Ziele des Philosophierens als Methode des Nachdenkens praktisch umzusetzen, indem Fragen zu verschiedenen Fragekategorien gestellt werden. Er bildet die Grundlage für ein philosophisches Gespräch. Dabei werden verschiedene Fragetypen voneinander unterschieden:

Typen von Hebammenfragen am Beispiel der Frage «Warum sammeln Menschen Dinge?»

Viele Menschen sammeln etwas: Feriensouvenirs, Kakteen, Figuren, Bücher, Rezepte, Fotos, Witze usw. Interessant an diesem Phänomen ist, dass Menschen Dinge sammeln, obwohl sie sie nicht zum Überleben brauchen oder sie zuweilen überhaupt nicht «für etwas» brauchen.

Im Spiegel dessen, was Menschen sammeln, lässt sich vieles über ihre Vorlieben, Charaktereigenschaften, Interessen usw. erfahren. Aus diesem Grund wäre diese philosophische Frage im Unterricht im Zusammenhang mit dem Thema Identität oder mit der (ebenfalls philosophischen) Frage «Wer bin ich?» zu stellen. Aus dem Klassenzimmer wird dabei eine Zeit lang ein Museum der Schätze. Die Schülerinnen und Schüler dürfen etwas mitbringen, was sie sammeln. In einer Morgenrunde stellen jeweils einige Kinder den Gegenstand und seine Geschichte vor.

Während der «Eisbrecher» Nähe zwischen dem Phänomen oder der Frage und den Schülerinnen und Schülern herstellt und klärt, was etwas für mich und in meinem Leben ist, klären die nachfolgenden Fragekategorien, was etwas für sich selbst ist.[89] Sie schaffen Distanz, um die Phänomene und Fragen zu objektivieren.


Tabelle 4Hebammenfragen
Fragetyp und seine FunktionBeispiele zum Thema «Sammeln»
Philosophische FrageSie beschreibt das, was im Zentrum des Philosophierens steht. Dies ist wichtig, damit alle wissen, worum es sich dreht. Sie wird zu Beginn des Gesprächs oder der Unterrichtseinheit unterbreitet und aufgeschrieben. Dies gibt dem Nachdenken ein Zentrum, auf das hin alle Gedanken gerichtet werden sollen.Warum sammeln Menschen Dinge?
Einstiegsfrage («Eisbrecher»)Sie folgt gleich im Anschluss und hat die Funktion, die Schülerinnen und Schüler in ihrer Lebenswelt abzuholen. Sie ist so beschaffen, dass die Schülerinnen und Schüler zunächst von persönlichen Erfahrungen erzählen können. Auf diese Weise wird eine Verbindung zwischen dem Thema und den Schülerinnen und Schülern hergestellt; es wird das Eis gebrochen, um das Gespräch in Gang zu bringen.Was sammelst du? Stell es uns vor.


Tabelle 5Typen von Hebammenfragen
Sachverhalte beschreiben und Begriffe klärenIm Gespräch wird versucht, das Phänomen oder die Frage, die behandelt wird, ganz genau zu beschreiben (Phänomenologie). Dies hilft, danach Umschreibungen und Definitionen für das Phänomen zu finden (Analytik).•«Was ist genau x?»•«Warum nennen wir es so?»•«Wie kann man x beschreiben?»•«Was bedeutet x?•«Wie ist es, wenn man ...»•«Was tut man, wenn man ...»•«Was meint genau xy?»•«Was bedeutet yx?»•«Woran sieht man, dass xy xy ist?»Was gefällt uns am Sammeln? Was bedeutet es uns? Worauf achten wir bei einem neuen Stück?Wozu sammeln wir Dinge, obwohl wir sie nicht nötig haben?Gibt es Menschen, die gar nichts sammeln?Sammeln die meisten Menschen etwas? Aus welchen Gründen?Was würde ihnen fehlen, wenn sie es nicht tun würden?
Unterschiede und Ähnlichkeiten herausarbeitenEine hilfreiche Technik ist es, Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Phänomenen herauszuarbeiten und zu benennen. Damit lassen sich Phänomene gegeneinander abgrenzen und man erhält einen schärferen Begriff davon (ebenfalls Phänomenologie und Analytik).•«Gibt es verschiedene Arten von xy?»•«Was sind Merkmale von x und y?»•«Sind x und y dasselbe?»•«Worin gleichen sich x und y?»Gibt es Lieblingsstücke? Was macht sie zu dem?Welches Objekt würden wir hergeben? Welches nicht?Was unterscheidet das Sammeln von anderen Dingen, die wir ebenfalls besitzen?
Meinungen begründen und Wertungen reflektierenBeim Philosophieren geht es ja auch darum, dass genau überprüft wird, wie ein Gedanke oder eine Aussage zustande kommt. Dabei spielt die fachliche, geschlechtsspezifische, kulturelle, subjektive Perspektive eine Rolle. Auf diese Weise gelingt es, sich in eine Perspektive hineinzuversetzen und zwischen verschiedenen Perspektiven zu wechseln (Hermeneutik, Dialektik). Meinungen werden gegenübergestellt.•«Was meinst du, wenn du sagst ...?»•«Hast du ein Beispiel dafür?»•«Warum denkst du, dass dies so sei?»•«Stimmst du der Aussage zu?»•«Wer ist auch dieser Meinung?»•«Peter sagt ..., Janine sagt ...»Wem würde deine Sammlung auch gefallen?Gibt es Dinge, die man nicht sammeln sollte? Warum?Ist es besser A statt B zu sammeln? Warum?
Hypothesen erstellen und Folgen überlegen (Gedankenexperimente)Das Anliegen des Gedankenexperiments (auch Spekulation) ist es, Vorgegebenes infrage zu stellen oder darüber hinaus zu denken. Damit wird die Phantasie der Schülerinnen und Schüler angeregt und sie werden ermutigt, vermeintlich Klares nicht einfach hinzunehmen.•«Könnte es noch ganz anders sein?»•«Ist das gut so, wie es ist?»•«Was wäre, wenn ...?»•«Ist es erstrebenswert, wenn ...»Welche Sammelleidenschaft könnte dich anstecken?Wenn du nicht mehr sammeln würdest, würde dir etwas fehlen?Wärst du traurig darüber, wenn deine Sammlung verloren ginge? Würdest du wieder dieselben Dinge sammeln?

Eulengespräche inszenieren. Gestaltungshilfen beim Philosophieren

Ein unterrichtliches Grundprinzip der Primarstufe ist, dass Lerngelegenheiten inszeniert werden. Die Einkleidung des Lernprozesses fördert die Aufmerksamkeit und das Erinnerungsvermögen und schafft eine Ritualisierung. Nachfolgend einige Möglichkeiten, das Philosophieren stufengerecht im Unterricht zu inszenieren.

Die Inszenierung beginnt beim Vokabular. Man kann Philosophieren als solches bezeichnen oder – insbesondere in der Unterstufe – als «Eulengespräch». Um die Idee einzuführen, eignet sich die unten stehende Erklärung (siehe Kasten) oder eine kurze Geschichte, die sich zwischen zwei Eulen abspielt. Diese Figuren mit Namen Philo und Sophia können aus Föhrenzapfen, Wollpompons oder Kartonrollen gefertigt werden. Ein bestimmtes Zeichen (z. B. Gong) markiert Anfang und Ende des Gesprächs. Ein farbiges Tuch in der Mitte, auf das die Figuren oder auch im Gespräch verwendete Gegenstände gelegt werden, unterstreicht die Ritualisierung. Auch können Karten mit einem Eulenmotiv als Eintrittstickets für das philosophische Gespräch verteilt werden, gewissermassen als Lizenz zum Nachdenken.


Eule der WeisheitDie Eule resp. der Steinkauz ist das Attribut der griechischen Göttin Athene, Stadtgöttin Athens und Göttin der Weisheit/Klugheit, weshalb sie auch die Patronin der Philosophie war. Angeblich nisteten an den Hängen der Akropolis zahlreiche Steinkauze. Aristophanes prägte um 400 v. Chr. die Redewendung «Eulen nach Athen tragen» für eine sinnlose, überflüssige Handlung (vgl. «Wasser in die Reuss tragen». Homer bezeichnet Athene als glaukopis = eulenäugig, womit wohl «Hellsichtigkeit» gemeint ist, da die Eule bekanntlich ein nachtaktives Tier ist, das in der Dunkelheit gut sehen kann. In Rom wurde aus Athene Minerva, das Symboltier blieb erhalten.