Got Me? Hardcore-Punk als Lebensentwurf

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Trust #10 – Januar 1988

Gegen Anfang des Jahres hab ich gedacht, dass 1987 Veränderungen bringen wird. Was genau hab ich natürlich auch nicht gewußt, hatte eben so ein Gefühl. Also, blicken wir mal zurück & ziehen Bilanz. Es ist einiges geschehen, Umweltskandale wurden aufgedeckt, es wurde dagegen demonstriert & in kleinem Rahmen sind auch Verbesserungen errungen worden. 87 war wohl auch das Jahr der meisten direkten Aktionen, von Sprühaktionen über Strommasten bis hin zu Cops erschießen. Ich sollte aber vielleicht wieder mehr aufs Thema zurück, da ich mir irgendwelche Änderungen in unserer heißgeliebten Szene erwartet habe. Viele Bands sind durch Deutschland/Europa gekommen und haben die Leute begeistert oder enttäuscht. Einge hervorragende Platten sind erschienen, Labels wurden gegründet oder die Leute haben hart an ihren Labels gearbeitet, auch einige Vertriebe haben sich mehr und mehr etabliert. Bands wurden gegründet, andere haben sich aufgelöst. Es wurde viel Bier getrunken und diskutiert, man hatte Spaß und Arbeit (ich will diese beiden Wörter nicht im direkten Zusammenhang verstanden haben.) Für mich selbst war 87 auch ein gutes Jahr, ich war zweimal in den Usa und bin auch dort viel rumgekommen, in Europa wars auch recht ›reisig‹. YU, A, CH, NL, UK und auch in Deutschland war ich von Kiel bis Konstanz. Ich habe sehr viele Leute kennengelernt, einge wirklich gute, viele nette und nen Haufen Lutscher. Mit dem Heft is auch alles verhältnismäßig gut gelaufen, Auflage verdoppelt, finanziell eingerenkt – soweit also alles in Butter. Oder? Eigentlich sollte ich ja zufrieden sein, bin es aber nicht. Warum? Weil sich nichts geändert hat, weil viele Leute immer noch dumm sind und sich nicht weiterentwickeln, nicht dazulernen, (ich sitz hier übrigens gerade in NYC in der CBGB’s record canteen und habe gerade einen mini-Teddy an meinen Sweater geheftet bekommen – ist aber wieder weg …?) sich über alles aufzuregen und beschweren. Aber zu faul sind, ihren Arsch hochzubekommen um dagegen bzw. dafür etwas zu tun. Was kann man also tun um etwas in diesem Jahr zu ändern. Ich, für meinen Teil, werde auf jeden Fall nicht resignieren, sondern weitermachen um was zu erreichen. Was? Das weiß ich wie üblich auch nicht, aber ich glaube ich bin schon ganz froh, wenn ich 89 im TRUST wieder etwas ähnliches schreiben kann. Jetzt wieder ein paar ›technische‹ Sachen. Ich weiß im Moment immer noch nicht wann ich wieder in D-land bin, irgendwann Jan./Feb. Wie ich hörte ist meine Post irgendwie liegengeblieben, also nicht wundern. Gut, ich denk, das wars für diesmal – ich freu mich schon euch alle wiederzusehen und hoffe, dass alles so gut ist wie es war. Macht weiter!!


Trust #11 – März 1988

Nun mal das ›Technische‹ am Anfang, wir ihr sehen könnt ist das nun doch keine ›Sex‹-Ausgabe. Das hat mehrere Gründe: Einmal war die Resonanz sehr gering (was vielleicht auch an der falschen Ankündigungsart von Moses gelegen hat – sowas wollten wir nicht), zum anderen haben Leute, die was bringen wollten, nichts gebracht und leider muß ich mich da auch selbst dazuzählen. Aber wir können es ja immer noch machen, oder ist überhaupt kein Interesse da? Laßt Euch überraschen.

Ich bin übrigens wieder in Augsburg und habe diesmal keinen Bericht über meine Reise verfaßt (da werden jetzt eh alle aufatmen) das hat folgenden Grund: Ich könnte mich die ganze Zeit über verschiedene Sachen aufregen und es würde keinem helfen und außerdem wäre es grundsätzlich dasselbe, was ich in meiner Gastkolumne im letzten MRR geschrieben habe – die paar Interessierten können es ja dort nachlesen.

Verdammter Mist, jetzt fällt mir kein geeigneter Übergang zum eigentlichen Thema ein, ich will ja über ›Persönlich, Privat‹ schreiben. Na gut, dann eben ohne den Übergang. Denk mal nach, gibt es irgendwas das du, aus welchen Gründen auch immer, der Öffentlichkeit verheimlichen willst? Ja? Gut, dann hast du eine Privatsphäre. Hast du aber schonmal drüber nachgedacht, warum du nicht willst dass die Öffentlichkeit erfährt dass du z.B. deiner Mutter jedesmal einen Abschiedskuss gibst, wenn du das Haus verläßt. Oder dass du eine tolle Briefmarkensammlung hast und es dir außerdem einfach Spaß macht, jeden Mittwoch Abend vor dem Schlafengehen in die Badewanne zu onanieren. Da brauchst du garnicht lang zu überlegen, gell, du wirst wie die meisten anderen auch sagen: »Das geht niemanden was an, das ist persönlich.« Richtig, aber es ist auch eine (angenommene) Tatsache, es ist geschehen oder geschieht immer noch. Also sollte man doch auch zu dem, was man macht, stehen. Ob es nun gut oder oder schlecht war – die Frage stellt sich hier garnicht – es ist nun mal so. Beleuchten wir doch mal die Gründe für Privates. Es kann sein, dass es Leuten peinlich ist und verletzt oder dass sie ihr Ansehen verlieren oder dass es für andere Leute unangenehm ist. Man kennt das ja, irgendeine hochangesehene Persönlichkeit wird mit ein paar Gleichgesinnten in einer Folterkammer gesehen und ist auch schon sofort sein ganzes Image los.

Darf ich mir erlauben zu sagen, dass viele Leute ihre Persönlichkeit leugnen, nur um nicht ihr Ansehen zu verlieren? Ist es richtig, dass Leute, die viele persönliche Geheimnisse haben und nicht gerne über ihre Privatsphäre reden, einfach nur die Wahrheit verdrängen wollen? Wäre es da nicht angebracht, soviel wie möglich gerade über die Privatsphäre von Leuten zu erfahren, um sie wirklich kennenzulernen?

Ich wäre auf jeden Fall geschockt, wenn ich erfahren würde das Jello Biafra in seiner (privaten) Freizeit, wenn er nicht auf der Bühne ist oder ein Interview gibt, mit Nazis zusammenhängt – wo er doch in aller Öffentlichkeit sagte »Nazi Punks Fuck Off« – oder meinte er nur Nazi Punks? (Das ist übrigens nur ein Beispiel, unterstelle mir bloß keiner ich hätte das gesagt!!)

Rauszufinden, was wer zu verbergen hat und warum! Wenn jemand begründet etwas verbergen will, wie soviele Politiker und andere ›Persönlichkeiten‹, dann hat das meist gute Gründe, Betrug, Lügen, Gegensätze, usw. Und meist sind doch sehr viele Leute froh drüber, wenn gewisse private Tatsachen an die Öffentlichkeit gelangen.

Oder propagiere ich hier nur den Klatsch und Tratsch? Nein, dagegen bin ich auch, da oft Lügen, Un- und Halbwahrheiten an die Öffentlichkeit gegeben werden. Deshalb hat es auch nichts mir Klatsch zu tun, das was ich meine sind – TATSACHEN.

Aber keine Angst, nur weil ich der Meinung bin, es sollte praktisch nichts Privates geben, heißt das noch lange nicht, dass ich in Zukunft alles, was ich weiß, an die große Glocke hängen werde. Ich hab nämlich die Erfahrung gemacht, dass die wenigsten Leute da so denken und sehr aggressiv werden können, wenn man gewisse ›wunde Punkte‹ anspricht oder darüber spricht. Im übrigen hab ich halt mal wieder in Schriftform gedacht bzw. viel Gedachtes zusammengefaßt – wie man das eben so macht.

Um zu ‘nem Ende zu kommen sag ich nur noch, dass jeder zu sich selbst und anderen gegenüber so ehrlich wie möglich sein sollte (natürlich nicht grad, wenn du mit Dope in der Tasche von ‘nem Zivi geschnappt wirst, man muß da schon unterscheiden), steh zu dem was du tust oder hör auf.

Shit, jetzt muß ich doch noch was ›technisches‹ zufügen, falls irgendwas nicht klappte (Post- oder Trust-mäßig) sorry, ab jetzt klappts wieder.

P.S. Die paar, die mich letztes Jahr in Homburg nach’n paar Bier zuviel während einer Schlafunterbrechung aus’m Zimmer wandeln und ins Eck pissen sahen und sich fragen, ob es mir peinlich wäre, wenn das an die ›große Öffentlicheit‹ gelangt und sich schon hinterlistige Leserbriefe ausdenken:

Spart es euch! Es ist mir nicht peinlich, es ist eine Tatsasche und die ist so passiert. Ich finde es zwar nicht richtig, sogar ziemlich scheiße – aber das kann dem besten positiven Trinker passieren – it’s Life

Trust #12 – Mai 1988

Woran liegt es, dass ich den Eindruck habe, die Szene würde immer unpolitischer oder täusche ich mich? In der letzten Zeit häufen sich Bands, die über persönliche Gedanken & Gefühle singen, oder aber einfach an die Basis zurück, über Saufen, Drogen und eben Spaß gröhlen. Viele Leute reden nur noch über Musik oder die nächste Party, während vor einiger Zeit noch ganz andere Diskussionsthemen bestimmend waren. Fraglich ist, ob die Szene überhaupt mal politischer war, oder ob da viele Leute einfach einem Trend hinterher sind. Anders ausgedrückt, die Szene ist genauso politisch wie vorher, nur ist es nicht so leicht zu erkennen. Genaugenommen ist es ja schon einiges an Politik was die Szene so schafft, auch wenn es nicht so stark rauskommt. Es ist eben die Politik des Beispieles. Wenn sich jemand darüber beschwert, dass Tiere getötet werden, kann er dadurch ein, in geringen Maßen, effektives Beispiel setzen und aufhören Tierhäute zu tragen und Fleisch zu essen. Wenn sich dagegen jemand beschwert wie dumm die Politiker sind, reicht es nicht, dass er sie nicht mehr wählt. In beiden Fällen ist zwar das Hauptproblem noch da, aber im ersteren Fall ist es einfach befriedigender für das Individium. Auch ist es wohl so, dass viele Leute nach langer politischer Arbeit und in endlosen Diskussionen erkannt haben, dass die Ziele gut und erstrebenswert sind, aber einfach nicht auf diese Art und Weise durchzuführen sind. Was natürlich in keinem Fall heißt, dass diese Personen die ganzen ideellen Werte aufgegeben haben, sondern vielleicht nur realistischer geworden sind und erkannt haben, dass von unten und bei sich selbst angefangen werden muß. Ja, realistisch, gutes Wort, ich hatte das ›Vergnügen‹ wieder mal die deprimierenden Realitäten voll vor Augen geführt zu bekommen. Zehn Wochen Fabrikarbeit. Wahnsinn, was es für Menschen gibt, lebende Zombies, die ohne Stechuhr und Acht-Stunden-Tag überhaupt nicht lebensfähig sind (damit meine ich jetzt gar nicht die Lohnabhängigkeit). Jeden Morgen dasselbe, das erste Bier um halb sieben, Bildzeitung lesen, arbeiten, Brotzeit mit dem nächsten Halben und heißen Würstchen, weiterschaffen, ärgern, mehr Bier, Mittag noch mehr zechen, wieder knechten, trinken und nach Hause gehen. Zwischen und zu alledem immer eine Zigarette und laufend blöd daherreden. Den Sinn des Lebens auf immer dieselben Phrasen reduziert, möglichst dem andern eins auswischen und besser dastehen, nie wirklich sagen was man will (wenn noch ein Wille da ist), aus Angst, der ›Kollege‹ könnte es dem Treppchen höher erzählen und man bekommt Ärger.

 

Diese Leute sind in meinen Augen das echte Proletariat, die Substanz, die Masse der Gesellschaft. Aus der Traum vom politisch engagierten Arbeiter, der mit seinen Kollegen und hochgekrempelten Ärmeln gegen die kapitalistischen Ausbeuter vorgeht. Komm mir jetzt keiner, dass die nur durch dieses ›System‹ so geworden sind, und dass ihnen gesagt gehört wo’s lang geht. Ich kenne Leute in meinem Alter, die auf dem Wege sind und die gleichen Voraussetzungen hatten und wenn man denen was sagt, nützt das meist auch nichts. Man hat schon viel erreicht wenn man’s schafft, dass es dem einen oder anderen stinkt, wenn er erkennt, sein Leben lang nur für Geld geknechtet zu haben. Mit den meisten ist es eh nicht möglich ›vernünftig‹ zu reden, das ist schon was anderes als in der Szene-Kneipe mit Gleichgesinnten mal was zu schnacken. Revolution des Proletariats, nee meine Freunde, geht mal an die Substanz der Bevölkerung und ihr werdet erkennen, dass es noch viel zu tun gibt. Glücklicherweise(?) waren die Erfahrungen nicht neu für mich, mir wurde einfach, wie gesagt, die Realität wiedermal etwas aufgefrischt (ich glaube aber ich wäre ganz schön vor den Kopf getreten, hätte ich das so zum ersten Mal gesehen). Es ist einfach nicht so, dass wir auf der einen Seite sind und unsere Feinde auf der anderen, dazwischen ist noch ‘ne ganze Menge Scheiße (ist das jetzt unmenschlich?) und was mit der gemacht werden soll … Und schwupp, während noch gegrübelt wird wie das neue Entsorgungsproblem (das sollte man aber nicht sagen) gelöst werden kann, schmeiß ich auch schon zwei neue Wörter rein, die sehr viel erklären – REAKTION & KONSEQUENZ. Wie anders, werde ich ein einfaches Beispiel anführen. Nehmen wir mal an, X geht gegen Y, gewalttätig oder nicht, vor, dann muß X als Konsequenz die Reaktion von Y in Kauf nehmen, die er (X) einmal, aus eigenem Interesse oder Überzeugung, mehr oder weniger provoziert hat. Auf der anderen Seite darf Y sich nicht beschweren, wenn er nach einer Provokation gegen X auf einmal die Konsequenz der Reaktion von ihm (X) tragen muß. Ob nun X oder Y ›politisch‹ im recht oder unrecht, also gut oder böse, sind, ist im Moment des Geschehens nicht maßgeblich (was nicht heißt, dass es unwichtig ist, und ich weiß auch auf wessen Seite ich stehe). Aber so gesehen verhält sich X genau wie Y, daraus folgt X=Y, mathematisch richtig (oder?) und in jedem Fall logisch. Jetzt will ich noch was zu einem ganz anderen Thema sagen – MUSIK. Es scheint ja, dass ein, auch in diesem Heft, viel diskutierter Trend am Verschwinden ist, ich will das Wort garnicht schreiben, ihr wisst schon was ich meine. Das war vorauszusehen und ist auch gut so. Jetzt zeigt sich eine neue Entwicklung an, wobei ich nicht das 60’s-oder was auch immer-Revival meine, mit dem wirds ähnlich gehn wie mit einigen Trends davor. Die neue Entwicklung ist, dass die Leute in der Szene musikalisch aufgeschlossener werden, ohne dabei ihre Wurzeln abzukappen. Außerdem haben zur Zeit viele ›Independent-Szene‹-Leute Interesse an der Musik die wir hören und hörten, ob das ein Trend ist bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall scheint sich mal wieder in der Punk/HC-Szene die Musik weiter zu entwickeln, was gut und wichtig ist, da es sonst auf Dauer langweilt. Man wird sehen … Wenn ihr dieses Heft in der Hand habt bin ich auch schon wieder unterwegs in Europa, aber wohl hauptsächlich in Deutschland, ab ca. Juli dann wieder in Augsburg. Was soll ich machen, ich find live und draußen einfach geil. Dort wo ich bin, bin ich.


Trust #13 – Juli 1988

Vor ein paar Wochen war ich zu Besuch in meiner ehemaligen Schule, was ich dort sah stimmte mich sehr nachdenklich. Hatte ich in der letzten Kolumne über die Dummheit der meisten ›Erwachsenen‹ geschrieben, so mußte ich feststellen, dass der Nachwuchs auch nicht viel besser ist. Frohen Mutes, ein Kolumnenthema gefunden zu haben, fuhr ich zurück nach Hause. Auf dem Weg holte ich mir noch ein bekanntes Nachrichtenmagazin. Was mußte ich sehen, hatten die sich doch einfach mein eben erlebtes als Titelstory geschnappt. ›Tollhaus Schule‹. Womit also mein Thema gestorben war, sonst sagen böse Zungen wieder »Der schreibt aus dem Spiegel ab.« Einige Zeit später hatte ich wieder eine neue Idee, ich wollte über den ›Stand der Szene‹ in Europa meine Meinung ablassen, da ich in letzter Zeit wieder etwas rumgekommen bin, dann fiel mir aber glücklicherweise ein, dass das auch dumm wäre, weil dann die bösen Zungen wieder sagen ich wäre ein Angeber, von wegen rumkommen und so. Danach hatte ich dann die Idee überhaupt, ich war mir sicher dass die bösen Zungen ruhig sein würden und dass es auch einige Leute interessieren würde. Aber da ich mir nicht ein paar Notizen gemacht hab, hab ich die Thematik wieder vergessen, das kommt davon. Glücklicherweise hab ich dann noch eine sehr interessante Entdeckung in einem alten politischen Flugi gemacht, die ich euch mal unter die Nase reiben wollte. Ich hab dann auch alle Fakten notiert und wollte bei Zeiten das alles halbwegs sinnvoll zu Papier bringen. Da war ich aber zu beschäftigt ›umsonst auf alle Konzerte zu gehen und umsonst viele Biere zu trinken‹. Außerdem hatt ich voll viel um die Ohren in den letzten Tagen, alles war ein großes Chaos, weil Thomasso nicht da ist und weil Moses ausstieg. So hab ich mich dann entschlossen, die bösen Zungen wieder zum Leben zu erwecken und etwas zu schreiben das keinen Sinn macht, oder? Wenn jemand Lust hat, kann er ja mal was reinintepretieren. Diesmal an dieser Stelle nichts ›technisches‹, das könnt ihr alles in dem internen Teil lesen, bis zum nächsten Mal. VERDAMMTE SCHEISSE, WO IST SIE???????? ICH BRAUCHE MEHR SONNE!!!!!!!


Trust #14 – September 1988

Als ich vor ein paar Wochen in Amsterdam auf dem Bahnsteig auf den Zug wartete ist mir ein Mädchen, so um die zwanzig, aufgefallen, das irgendwie einen verwirrten, irritierten Eindruck machte. Natürlich dachte ich mir nichts weiter dabei da ja, vor allem in den Sommermonaten, viele Drogentouris nicht grad wie Ray Cappo aussehen, und ich verlor sie wieder aus den Augen. Beim Umsteigen in Deutschland sah ich sie dann wieder, wir kamen ins Gespräch und ich bekam zu hören was mit ihr los war.

Sie ist mit einem »Kumpel« hochgefahren um einzukaufen, nur für zwei-drei Tage, der hat sich aus dem Staub gemacht und sie mit hundert Gulden sitzenlassen. Es war noch einiges mehr was die Frau belastete, ihre Freunde zuhause wußten nichts von ihrem Ausflug, und ihr »Kumpel« hatte ihren Schlüsselbund mit all den Schlüsseln ihrer Freunde – da sie keine Wohnung hatte und mal hier und dort pennt. Irgendwo passte die Frau so richtig schön ins Klischee, auf Bewährung, die Vergangenheit in Heimen verbracht, beide Unterarme von Schnittnarben (auf ›Mutproben‹ zurückzuführen?) übersät, die Zähne – soweit vorhanden – sahen auch recht angegriffen aus, ihre Augen waren übermüdet, die Armbeugen blau und geschwollen, kurzum, sie machte eben einen ziemlich fertigen Eindruck. Als ›Krönung‹ hatte sie dann noch sechs-sieben Jungennamen in großen Buchstaben auf ihren Armen verteilt tätowiert. Außerdem hatte sie grad wieder zu drücken angefangen, wollte aber auch schon wieder damit aufhören. Im ›Normalfall‹ hätt ich mit all dem kein Problem gehabt, da ja jeder mit sich machen kann was er will, aber die Frau war irgendwie nett und ich fand es schade. Im selben Moment dachte ich mir aber auch, »Klar ist sie jetzt nett, sie ist ja in Not und braucht andere – ob sie auch noch so nett ist, wenn sie zurück ist, Geld hat und wieder bei ihrer Clique ist?«. Das werde ich wohl nie erfahren, was ich allerdings weiß, ist, dass ich ihr nicht helfen konnte. Ich hab zwar im Gespräch immer wieder versucht ihr klarzumachen, dass harte Drogen Mist sind (ohne es direkt zu sagen) und es sauschwer ist, damit umzugehen, auf der anderen Seite war ich mir sicher, dass sie das selbst wußte und auch schon tausendmal von irgenwelchen Sozialheinis gehört hat – von denen hat es anscheinend nichts gebracht, also kann man sie in ein paar Stunden auf die Art und Weise auch nicht davon abbringen. Ich hab dann wenigstens versucht, sie zum Nachdenken über ihr Leben anzuregen, ob das erfolgreich war bezweifle ich. Ich hab später nochmal über meine ›Hilflosigkeit‹ nachgedacht und bin drauf gekommen, dass ich mein ganzes Leben hätt drauf konzentrieren müssen und dann wär immer noch nicht klar gewesen, ob ihr das was genützt hätte. Ganz davon abgesehen, dass ich es garnicht machen könnte, und wenn ich ehrlich bin, auch nicht will – da muß man wohl dafür geschaffen sein. Fazit? Keines, so ist das eben, man steht gewissen Dingen gegenüber, erkennt das Problem und weiß nicht was man tun kann und ob man überhaupt soll. Was man tun kann und ›darf‹ ist mir in letzter Zeit auch nicht mehr so klar – bisher dachte ich immer, man ›dürfe‹ nur nicht gegen gewisse Instutitionen schreiben (Staat, Cops, Firmen, …) und es dann veröffentlichen, wenn man es doch macht, gibts oft Ärger und man fühlt sich bestätigt. Anscheinend hab ich aber mal wieder was anders verstanden, im letzten Exterminator (Autonomen-Zeitung aus HH) werden wir, und insbesondere ich, als politische Flachwixer bezeichnet. Warum? Weil ich nicht dasselbe politische Verständnis habe wie sie und ›nicht auf ihrer Seite‹ bin. Naja, sollen sie schreiben, warum auch nicht. Wenn ich dann allerdings von einem anderen Zinemacher höre, dass Autonome zu ihm meinten, sie würden mal bei ihm vorbeikommen um aufzuräumen, weil er Briefe abdruckte die nicht ihrem Politikverständnis entsprechen, dann befremdet mich das doch sehr. Was ich zu der Geschichte in Oldenburg zu sagen hab, lass ich lieber – zum Glück (noch?) nicht aus Angst. Vielleicht kommt mal was aus der Sicht der Oldenburger. Das nur nebenbei.

Die Reorganisation des Vertriebs ist immer noch nicht abgeschlossen, was ja ein paar wenige Leute in Form von nicht ankommenden Heften gespürt haben – ist aber nicht unsere Schuld und wir bekommen das auch geregelt, da es doch einfacher ist als wir zuerst annahmen. Übrigens schulden uns noch so ca. zehn Leute Geld seit Monaten, wenn die Kohle nicht bald da ist, werden wir die Namen veröffentlichen um anderen unabhängigen Leuten Ärger zu ersparen.

Als ich das hier schrieb war ich in Augsburg, das heißt aber nicht dass ich auch dort bin, wenn das hier gelesen wird. Egal.