Rettungskreuzer Ikarus 11 - 20: Verschollen im Nexoversum (und 9 weitere Romane)

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»Warum nicht gleich so?«, dachte Jason. »Es ist gar nicht so übel, eine Bevollmächtigte bei sich zu haben, die jeder zufriedenstellen will.«

»Charkh staunt, weil du für einen Lakai ungewöhnlich höflich bist«, hörte er Shillas telepathisches Flüstern. »Alle, mit denen er bisher zu tun hatte, baten nicht, sondern befahlen und er hat mächtigen Respekt vor ihnen, fast schon Angst. Hast du eine Idee, was ein Gehirnfrachter ist?«

»Die Bevollmächtigte ist sehr erfreut über Ihre Unterstützung«, setzte Jason die Unterhaltung fort. »Sie möchte mehr erfahren über Sie, Ihre Crew, die Sentok und ihre Fracht.«

Charkh überließ es diesmal Crii-Logan zu antworten.

»Wir alle erfüllen unseren Dienst zum Wohl des Nexoversums«, schnarrte der Insektoid. »Bis unsere Zeit gekommen ist, sind wir drei und unsere neunundzwanzig Kameraden die Besatzung der Sentok. Unser Auftrag lautet, Gehirne zum nächstgelegenen Sammelpunkt zu transportieren. Das ist Imasen.«

»Gehirne?«, hakte Jason ungläubig nach. »Echte Gehirne?« Eine Erinnerung blitzte flüchtig auf: In Jorans geheimen Laboratorien hatten sie Gehirne entdeckt, deren Verwendungszweck nicht ersichtlich gewesen war … Es schien weit hergeholt – gab es einen Zusammenhang?

»Natürlich.«

»Wozu? Und woher sind die Gehirne?«

»Was mit den Gehirnen geschieht, weiß nur der Nexus. Die Fracht stammt von Shisanai. Auch auf Reputus werden wir Gehirne aufnehmen.«

»Charkh und Sessha glauben, dass sie auf die Probe gestellt werden«, gab Shilla durch, »und hoffen, die richtigen Antworten gegeben zu haben … damit wir zufrieden sind. Sei dennoch vorsichtig, sonst durchschauen sie uns. Übrigens weiß wirklich niemand, wohin die Gehirne von der Sammelstelle aus gebracht werden und was danach mit ihnen passiert. Offenbar handelt es sich um eines der bestgehüteten Geheimnisse des ominösen Nexus.«

»Charkh und Sessha?«, fiel Jason auf. »Was ist mit Crii-Logan?«

»Seine Muster kann ich nicht deuten. Sie sind … zu fremdartig und … wirr. Etwas in der Art habe ich noch nie gefühlt.«

»Es gibt wohl die eine oder andere Spezies, die sich nicht bespitzeln lässt. Interessant … Aber ich bin sicher, er denkt dasselbe wie seine Kameraden.«

Der Blick, den Shilla ihm zuwarf, blieb skeptisch. Sie war nicht neugierig auf die intimsten Gedanken anderer, aber es gefiel ihr nicht, dass der Insektoid seine Geheimnisse vor ihr wahren konnte. Zu frisch war noch die Erinnerung an die psychische Hölle, der sie von Joran ausgesetzt worden war, indem er ihre telepathischen Kräfte vorübergehend stillgelegt und sie nichts anderes als eine einsame Leere gespürt hatte. So still musste der Tod sein …

»Sind diese Gehirne gezüchtet?«, erkundigte sich Jason laut und konnte ein Schaudern nicht unterdrücken. »Oder gehörten sie Unfallopfern?«

»Sie wurden jenen entnommen, deren Zeit gekommen war«, erwiderte Crii-Logan emotionslos. »So, wie es der Nexus fordert. Heil dem Nexus!«

Langsam begann Jason zu begreifen. Er schluckte. Anscheinend dienten diese Leute einer geheimnisvollen Organisation, die sich Nexus nannte und ein Imperium – das Nexoversum – kontrollierte. Starb jemand, weil seine Zeit gekommen war – die Umschreibung ließ darauf schließen, dass der Tod ein Tabu für Crii-Logans Volk oder sogar für alle Bewohner der Galaxie darstellte –, wurde ihm das Gehirn entnommen. Wozu der ominöse Nexus die Gehirne benötigte, konnte sich Jason jedoch nicht vorstellen.

»Und wer oder was ist dieser … Nexus?«

»Niemand kennt ihn«, wisperte Shilla. »Angeblich tritt er nur in Erscheinung, wenn der Tribut – die Gehirne – ausbleibt, und vernichtet die Aufständischen. Den Überlieferungen zufolge ist dies zuletzt vor einigen Jahrhunderten geschehen. Besser, du lässt dieses Thema fallen. Sie versuchen es zwar zu verbergen, aber sie fürchten den Nexus.«

»Woher weißt du das?«

»Von Sessha. Sie empfindet eine unerklärbare Angst, die sie zu unterdrücken versucht. Niemand soll es merken, am allerwenigsten wir.«

»Genauso wie Charkh. Ich wüsste wirklich zu gern, mit wem man uns verwechselt und wieso allein die Erwähnung des Nexus jeden einschüchtert.«

Der geistige Dialog hatte nur wenige Sekunden gedauert.

Versonnen betrachtete Jason Sessha, die sich bislang nicht an der Unterhaltung beteiligt hatte. Sie sah fast menschlich aus, hatte einen blassen Teint und langes, weißes Haar. Die schwermütigen blauen Augen fesselten ihn. Das Auffälligste an ihr war ein glitzerndes Sterntatoo, das ihr rechtes Auge umrahmte. Sie war etwas größer als Shilla und von zierlicher Statur.

Ein hübsches Ding …

Jason riss sich zusammen. Las Shilla immer noch seine Gedanken?

So, kombinierte er, man verehrte also den mysteriösen Nexus und gehorchte seinen Anweisungen, doch gleichzeitig gab er Anlass zur Furcht. Handelten die Bevollmächtigten im Auftrag des Nexus und mussten zufriedengestellt werden, damit der Nexus zufrieden war und keine Strafaktion erfolgte?

Auf Jasons nächste Frage nach Reputus antwortete Sessha, da sie seinen Blick, der immer noch auf ihr ruhte, als Aufforderung betrachtete.

»Reputus ist der vierte Planet der Sonne York.« Sie tippte mit den Fingern auf einige Bedienungsfelder und auf dem Tisch erschien eine Abbildung des Systems. »Als einzige Welt des Systems befindet sie sich innerhalb der Biosphäre und wurde besiedelt. Schwerpunkt ist die Lebensmittelindustrie. Frachter liefern Rohstoffe und bringen die verarbeiteten Produkte zu Planeten, wo sie benötigt werden. Es gibt aber auch Werften in der Nähe der Raumhäfen. Eine davon wird Euer Schiff reparieren, Herrlicher Lakai Knight.«

»Gut, die Bevollmächtigte ist zufrieden. Sie möchte an Bord unseres Schiffes zurückkehren und die Reparaturen fortsetzen. Können Sie einige Techniker und Ersatzteile entbehren?«


Endlich befanden sie sich wieder an Bord der Celestine und Jason fühlte sich in der vertrauten Umgebung erheblich wohler als in der ungewohnten Gästekabine. Es missfiel ihm, dass ihm Annehmlichkeiten zuteilwurden, von denen die Crew nicht einmal zu träumen wagte. Er wollte nicht besser gestellt sein als andere, die vielleicht noch mehr Verzicht üben mussten, um ihm den Luxus zu ermöglichen. Diese Leute mussten sich mit einer altertümlichen Ausrüstung behelfen, während es den Besuchern an nichts mangelte. Was war an den Bevollmächtigen so besonders, dass man einen derartigen Aufwand betrieb? Waren sie die Repräsentanten des Nexus oder gar der Nexus selbst?

Jason hatte den Technikern, die Charkh ihm geschickt hatte, erklärt, was er benötigte. Diese hatten zugesichert, dass sie ihm alles besorgen würden, sofern sie das Entsprechende mit sich führten. Unterdessen hatte der Datentransfer vom Computer der Sentok in den der Celestine begonnen. Umgekehrt, dafür sorgte ein Sicherheitsprogramm, konnten keine Informationen abgerufen werden.

Jason hoffte, dass er bald weitere Antworten haben würde, ohne verfängliche Fragen stellen zu müssen.

Shilla wandte sich ihm zu. »Ich habe die Positionsdaten der Sentok und die Werte, die unser Schiff nach dem Sprung anzeigte, analysiert. Wenn mir bei den Berechnungen kein Fehler unterlaufen ist …«, sie machte eine bedeutungsschwangere Kunstpause, »dann sind wir von unserer Heimat rund siebenhundert Milliarden Lichtjahre entfernt. Wir befinden uns in einer Region, die in den Karten als Schmanski-Cluster registriert ist. Mit unseren Triebwerken haben wir keine Chance, die Milchstraße innerhalb der uns verbleibenden Lebensspanne zu erreichen.«

»Wir sind also gestrandet?«

»Sofern wir keinen Antrieb bauen können, der in der Lage ist, diese Entfernung zu überwinden, oder Sprungtore finden, die uns so weit tragen – ja.«

Es wunderte Jason selbst, dass er diese üble Nachricht so gelassen aufnahm. Anscheinend hatte er etwas in dieser Art unbewusst geahnt. Auch Shilla wirkte nicht im Geringsten panisch. Statt mit dem Schicksal zu hadern, passte sie sich augenblicklich der Situation an.

»Hysterie würde uns auch nicht weiterhelfen«, ließ sie ihn wissen, als sie seine Verblüffung bemerkte. »Was bleibt uns auch anderes übrig? Wir müssen schnellstens lernen, uns hier zurechtzufinden, und dürfen ihnen nicht in die Hände fallen. Wenn wir Glück haben, entdecken wir einen Weg, der uns nach Hause bringt. Wir sind hierher gekommen – also muss es auch zurückgehen.«

»Sonst gründen wir eine vizianisch-menschliche Kolonie …« Jason seufzte. »Hast du noch mehr unangenehme Neuigkeiten?«

»Wie man es nimmt. Die Technologie, die den Völkern des Nexoversums zur Verfügung steht, hilft uns nicht weiter. Eventuell können sie unseren Antrieb instand setzen, sodass wir unsere Mobilität zurückerhalten. Sie haben jedoch nicht die notwendigen Kenntnisse, um die Aggregate herzustellen, die uns aus dieser Misere heraushelfen würden. Erstaunlicherweise ist ihre Technologie mehrere Tausend Jahre alt und hat sich seither lediglich minimal weiterentwickelt.«

»Was? Aber das …«

»Das ist unnatürlich, ganz richtig. Ich vermute, dass der Nexus ihnen jegliche Innovation untersagt hat, zweifellos, um sich seine treuen Hilfsvölker zu erhalten. Diese würden bestimmt nicht den Befehlen einer geheimnisvollen Macht folgen, die sich Hintergrund hält, hätten sie die Mittel, sich von ihren Unterdrückern zu befreien. Wer weiß, womöglich ist der Nexus gar nur eine Erfindung der Bevollmächtigten, um die Völker in Schach zu halten.«

»Also brauchen wir uns keinen großen Hoffnungen hinzugeben.«

»So viel Pessimismus ist nun auch wieder nicht angebracht«, erwiderte Shilla gedehnt. »Denk an unsere Quartiere auf der Sentok und an die Kommunikatoren.«

 

Jasons Augen verschmälerten sich. »Du hast recht. Diese Geräte und die Einrichtung unserer Kabinen sind erheblich moderner. Sie passen nicht zum Rest des Schiffs. Wer das gebaut hat, hat wahrscheinlich genau das, was wir brauchen.«

»Anzunehmen. Allerdings wird es nicht leicht sein, an diese Dinge heranzukommen.«

»Der Nexus«, sprach Jason aus, was sie beide dachten. »Hast du über ihn etwas herausgefunden?«

»Negativ. Niemand weiß, wer oder was das ist und wo er oder es sich befindet. Das Nexoversum reicht weit über den Schmanski-Cluster hinaus. Dagegen sind die kleinen Sternenreiche innerhalb der Milchstraße Staubkörnchen. Den Nexus beziehungsweise das Hauptquartier der Machthaber in diesen Weiten zu finden, gleicht der Suche nach dem Nagel im Schraubenhaufen. Aber etwas könnte uns weiterbringen.« Shilla blendete ein neues Bild auf dem Monitor ein.

Unwillkürlich erstarrte Jason beim Anblick des Raumschiffs. Diesen Typ hatte er erst einmal gesehen, und das vor nicht allzu langer Zeit. Es war kurz vor ihrem Sturz durch die Singularität gewesen.

»Der Hairaumer«, flüsterte er.

»Ein Schiff des Nexus«, präzisierte Shilla. »Sie sind hier zu Hause …«


Die Ressourcen an für die Celestine verwertbaren Ersatzteilen des Gehirnfrachters waren schnell aufgebraucht, ohne dass das Schiff seine Mobilität zurückerlangt hatte. Jason und Shilla waren auf die Möglichkeiten der Werften auf Reputus angewiesen, die hoffentlich größere und bessere Lagerstätten besaßen. In der Folge hatten beide reichlich Zeit, sich mit den neuen Daten zu befassen, die sich nun im Computer ihres Raumers befanden.

Regelmäßig suchte Jason das Gespräch mit Charkh und seinen Leuten, die ihm bereitwillig Auskünfte erteilten. Es entwickelte sich fast so etwas wie Freundschaft zwischen Jason und dem Arachnoiden, der jedoch stoisch an seiner höflichen Distanz gegenüber dem Herrlichen Lakai festhielt.

Charkh verstand es, selbst von den ereignislosen Flügen der Sentok so unterhaltsam zu erzählen, dass ihm Jason gern zuhörte und auf diese Weise so manches über die Begebenheiten in diesem Raumsektor und über die Persönlichkeit des Kommandanten erfuhr. Er bedauerte, dass er dem Arachnoiden ihre wahre Identität nicht verraten und sich mit ihm anfreunden durfte. Ein wirklich faszinierender Mann, dieser Charkh, fand Jason. In der Milchstraße hätte er ein aufstrebender Offizier sein können, doch hier versauerte er an Bord eines klapprigen Frachters.

Gern hätte sich Jason auch mit Sessha ausführlicher unterhalten, doch das Ende des vertraulichen Gesprächs wäre für sie beide unbefriedigend ausgefallen. Dieses verdammte … Leiden! Überdies wäre es nicht richtig gewesen, sich mit einer jungen Frau einzulassen, die er gewiss nie wiedersehen würde, wies sich Jason für seine gelegentlich entgleisenden Fantasien zurecht. Was Shilla davon halten würde? Nein, er hatte kein schlechtes Gewissen, absolut nicht, schließlich hatte er etwas gut seit der Sache mit Sentenza, dem Lackaffen, jawohl! Scheiße, wie lange war es her, dass er zuletzt …

Stattdessen amüsierte er sich mit den anderen Besatzungsmitgliedern, indem er ihnen einige Würfel- und Kartenspiele beibrachte. Zu seiner Enttäuschung verplauderte sich jedoch niemand, dabei hätte es Jason brennend interessiert, was die Leute wirklich dachten. Mehr als die Standardfloskel »Heil dem Nexus« konnte er ihnen jedoch nicht entlocken.

Der Flug nach Reputus verlief ohne nennenswerte Vorkommnisse. Shilla vermied während dieser Tage den Kontakt zur Besatzung der Sentok, was man ihr nicht verübelte, da es selbstverständlich war, dass sich eine Bevollmächtigte nicht mit den Hilfsvölkern des Nexus abgab. Das war die Aufgabe ihres Lakaien. Zu Jasons Überraschung war sie klaglos in die Gästekabine übergesiedelt, während sie es sonst stets vorgezogen hatte, an Bord der Celestine zu bleiben, wenn sie bis zur Abwicklung eines Geschäfts irgendwo hätten Quartier nehmen können. Offenbar wollte sie Charkh und seine Crew nicht beleidigen, überlegte Jason und spürte trotz der logischen Antwort ein leichtes, nicht näher definierbares Unbehagen. Die Ereignisse der vergangenen Wochen mussten Shilla sehr zugesetzt haben: Jorans Folter, der unglückliche Sprung ins Nexoversum, ihr Streit, dazu die unheimliche Präsenz der Unbekannten … Vielleicht brauchte die Vizianerin einfach etwas Ruhe und Zeit für sich.

Als Jason Shilla in ihrer Unterkunft besuchte, saß sie an ihrem Schreibtisch und studierte einige Sternkarten.

Diesmal trug sie ein rosa Gewand von asymmetrischem Schnitt, das eine wohlgeformte Schulter frei ließ. Ihr langes Haar wurde von einem glitzernden Schmuckstück im Nacken zusammengehalten.

»Hast du etwas gefunden, das uns weiterhelfen kann?«, erkundigte er sich.

»Wie man es nimmt«, erwiderte Shilla. »Ich habe mir das Logbuch der Sentok angeschaut. Jeder neue Kommandant legt ein eigenes File für seine Dienstjahre an. Das von Charkh bezieht sich auf die letzten sechs Jahre, auf die ich mich konzentrierte. Wie ich vermutet hatte, fliegt ein Gehirnfrachter immer dieselben Routen zu einer der sogenannten Sammelstellen. Die Sentok pendelt zwischen Imasen, wo die Fracht gelöscht wird, und verschiedenen Welten in einem Sektor, der gut achthundert Kubiklichtjahre misst. Es gibt überall im Nexoversum solche Sammelstellen, die von vergleichbaren Schiffen angeflogen werden.«

»Und was nutzt uns dieses Wissen?«

Shilla ignorierte seinen Einwurf. »Jedes Rendezvous mit einem anderen Schiff wird genau aufgezeichnet. Ich habe mir erlaubt, die gespeicherten Informationen über die Celestine zu löschen und sie durch andere Daten zu ersetzen – nur für den Fall, dass jemand Nachforschungen über uns anstellen will. Ich denke, dass ich es auch auf Reputus schaffen werde, alle Angaben zu tilgen, die ihnen Hinweise auf unsere wahre Identität geben könnten.«

»Gut gemacht! Was noch?«

»Es sind praktisch immer dieselben Schiffe, denen die Sentok unterwegs begegnet ist: andere Transporter, einige kleinere Boote, welche abgelegene Welten versorgen, die ein großer Frachter nicht unmittelbar ansteuert – ausnahmslos vergleichbare Museumsstücke. Private Raumfahrt scheint es nicht zu geben, alles ist rein zweckdienlich, ausnahmslos jedes Schiff ist im Dienst des Nexus unterwegs.«

»Was ist mit den Hairaumern?«

»Auf diese wollte ich gerade zu sprechen kommen. Dreimal hat Charkh während seiner Ära als Kommandant ein solches Schiff gesehen – immer in der Nähe von Imasen. Auch aus den älteren Files geht hervor, dass dieser Typ in der Regel nur in der Nähe der Sammelstelle auftaucht.«

»Aha …« Jason kratzte sich am Hinterkopf und rückte seine alte Kappe zurecht. »Ob die Schiffe des Nexus für den Weitertransport der Gehirne verantwortlich sind?«

»Möglich«, entgegnete Shilla. »Die Hilfsvölker werden nicht mit dieser Aufgabe betraut, anderenfalls wäre gewiss durchgesickert, wohin die Fracht gebracht wird und zu welchem Zweck. Allerdings ist das sicher nicht die einzige Bestimmung der Hairaumer. Vielleicht werden sie auch zu Strafaktionen ausgesandt, wenn der Tribut an den Nexus ausbleibt. Du erinnerst dich an das, was Crii-Logan erwähnte? Aber darüber konnte ich keine Aufzeichnungen entdecken. Wir wissen darüber hinaus, dass sie in unserer Heimat operieren und über ausgezeichnete Waffensysteme verfügen. Also dienen sie ferner als Explorer und gegebenenfalls als Kriegsmarine.«

»Deine Theorie klingt logisch«, stimmte Jason zu. »Sie sind wohl so was wie der verlängerte Arm des ominösen Nexus und nehmen eine spezielle Position in der hiesigen Hierarchie ein. Wir haben ja selbst erlebt, wozu diese Schiffe fähig sind: Sie verfügen über eine Technologie, die unserer gleichkommt, ihr sogar in einigen Bereichen überlegen ist. Offenbar können sie sogar mit euch Vizianern konkurrieren … Es ist jedoch kaum anzunehmen, dass sie uns helfen werden, nach Hause zu gelangen.«

»Jedenfalls nicht freiwillig.« Shilla ließ sich nicht anmerken, ob der kleine Seitenhieb getroffen hatte.

Jason zog eine Braue nach oben. »Denkst du dasselbe wie ich? Wenn die Celestine wieder intakt ist, sollten wir uns Imasen etwas näher ansehen. Ich glaube zwar nicht, dass wir dort finden werden, was wir brauchen, aber vielleicht erfahren wir, wo wir danach suchen müssen.«

»Und erfahren mehr über die Geheimnisse des Nexus«, ergänzte Shilla. »Falls das die unheimliche Bedrohung aus den alten Schriften ist, sollten wir die Gelegenheit nutzen, so viele Informationen zu sammeln wie möglich.« In ihren violetten Augen glomm ein leidenschaftliches Feuer, das Jason überraschte.


»Wir stehen tief in Ihrer Schuld, Commander Charkh«, sagte Jason.

Er stand neben dem Sessel des Arachnoiden und wandte seinen Blick nicht vom Panoramaschirm ab, der den Planeten Reputus zeigte, in dessen Orbit die Sentok einschwenkte.

Reputus wirkte grau und schmutzig. Man hatte die natürliche Oberfläche komplett bebaut: Ein Industriekomplex reihte sich an den anderen, nur an wenigen Stellen unterbrochen von kleineren Gewässern. Eine dichte Dunstglocke aus Abgasen verschleierte die Atmosphäre. Um mittels einer altertümlichen Technik ihre Pflichten gegenüber dem Nexus zu erfüllen, hatten die hier beheimateten Wesen ihren natürlichen und gesunden Lebensraum opfern müssen.

»Es ist uns eine große Ehre, der Edlen Bevollmächtigten zu Diensten zu sein«, leierte Charkh die übliche Floskel herunter. »Ein Beiboot der Sentok wird Ihr Schiff in Schlepp nehmen und sicher auf Reputus landen.«

»Gibt es keine stationären Traktorfeldprojektoren, welche die Celestine zu einer Werft leiten können?«, erkundigte sich Jason. Das war ein wesentlich einfacherer und schnellerer Vorgang als das umständliche Andocken und Navigieren mit einer solchen Last wie der Celestine.

»Das ist verbotene Technologie«, erklärte Charkh, »wie Ihr sehr wohl wisst, Herrlicher Lakai Knight. Reputus ist ein treuer Planet des Nexoversums. Niemand würde es wagen, gegen die Gesetze zu verstoßen. Sie werden nirgends etwas anderes als die genehmigten Kleinstgeräte finden.«

»Natürlich nicht«, murmelte Jason und verfluchte sich im Stillen für seine vorschnelle Frage. Inzwischen hätte er wissen müssen, dass selbst eine scheinbar unlogische Handlung mit den herrschenden Begebenheiten und den Gesetzen des Nexus begründet wurde. Wie lange würde Charkh noch glauben, die Erkundigungen würden lediglich seine Lauterkeit auf die Probe stellen?

Jason musste vorsichtiger sein, damit der intelligente Arachnoid nicht doch noch Verdacht schöpfte – so kurz vor dem Ziel. Sofern er nicht längst etwas ahnte …

Unwillkürlich sträubten sich die Härchen in Jasons Nacken. Charkh mochte zwar ein netter Achtbeiner sein, aber wie würde er reagieren, wenn er die Wahrheit herausfand?

Was hatten ihm wohl die Techniker über die Celestine erzählt? Für sie war das Schiff, ein Mix aus menschlicher und vizianischer Technik, das reinste Wunderland. Zu gern hätten die Männer und Frauen den Raumer näher erforscht, aber Jason hatte sie immer im Auge behalten und an die Arbeit gescheucht, sobald er sie beim Herumstöbern erwischte. Hätte er nicht aufgepasst, wäre wohl das eine oder andere lose Teil als Souvenir in den Hosentaschen der eifrigen Helfer verschwunden …

Eigentlich musste Charkh eins und eins bereits zusammengezählt haben. Ob Reputus vielleicht eine Falle war? Plötzlich ging Jason auf, dass nicht nur er den Kommandanten während ihrer Gespräche auszuhorchen versucht hatte, sondern dass umgekehrt dieser auch über ihn viel erfahren hatte. Jasons Achtung für diesen raffinierten Halunken wuchs noch mehr.

Irgendwie konnte er es sich jedoch nicht vorstellen, dass der Arachnoid sie hereinlegen wollte. Sie hatten einander zu schätzen gelernt und trotz seiner zur Schau gestellten Hingabe an den Nexus war Charkh kein Mann, der mit Kadavergehorsam andere für sich denken ließ. Jason war überzeugt, dass er sich nicht im Charakter des Kommandanten irrte und dieser zu seinem Wort stehen würde. Außerdem blieb ihnen gar keine andere Wahl, als darauf zu vertrauen, dass Charkh ihnen aus Sympathie half, egal was er mittlerweile vermutete.

 

In wenigen Stunden würden sich ihre Wege trennen. Jason hoffte, dass er und Shilla genug über ihr Umfeld in Erfahrung gebracht hatten, um sich einigermaßen unverdächtig zwischen den Sklaven des Nexus aufhalten zu können. Er würde erst dann aufatmen, wenn die Celestine nach der Reparatur Reputus verlassen und jeden etwaigen Verfolger abgeschüttelt hatte.

»Ist die Edle Bevollmächtigte zufrieden?«

»Gewiss.« Jason nickte. »Wie vielen Bevollmächtigten sind Sie eigentlich schon begegnet, Commander?«

»Dies ist das erste Mal. Ich hatte jedoch das Vergnügen, zuvor schon mit zwei Herrlichen Lakaien sprechen zu dürfen. Wenn ich mich nicht irre, ist es auch das erste Mal, dass die Gästekabinen der Sentok benutzt wurden. Dass dies gerade während meiner Amtszeit passieren würde …«

»Wer waren die anderen beiden?«, fragte Jason. »Möglicherweise kenne ich sie.«

Möglicherweise konnte er endlich etwas mehr über die Bevollmächtigten und ihre Lakaien herausbekommen. Was waren das bloß für Wesen, für die man überall einen roten Teppich bereithielt für den unwahrscheinlichen Fall, dass man ihnen begegnete? Es war einfach absurd, ein zusammengeflicktes, veraltetes Schiff zu fliegen, in dem es eine Tabuzone der Hightech gab, die niemals genutzt wurde.

»Es waren keine Wesen Eurer Art, Herrlicher Lakai Knight«, antwortete Charkh, »sondern ein Ptorianer und ein Kamime. Ihre Namen nannten sie nicht und ich wagte nicht, sie danach zu fragen. Es war mir auch nicht vergönnt, ihre Gesellschaft so lang zu genießen wie die Eure.«

Die Erwiderung enttäuschte Jason etwas, doch wusste er nun, dass die Lakaien aus verschiedenen Völkern rekrutiert wurden. Nach welchen Kriterien wurden diese Personen ausgewählt? Bevor er etwas entgegnen konnte, sprach Charkh weiter.

»Ich habe die Angeli immer für einen Mythos gehalten. Es gibt viele Geschichten über sie, aber ich habe nie jemanden getroffen, der einen aus dem Volk der Bevollmächtigten mit eigenen Augen gesehen hat.«

Das Volk der Bevollmächtigten …

Für einen Moment war Jason stumm vor Erstaunen. Das Volk der Bevollmächtigten … die Angeli. Das hieß, im Nexoversum gab es eine komplexere Hierarchie, als er angenommen hatte. Über den Hilfsvölkern standen die Lakaien, über diesen die Angeli und an der Spitze befand sich der mysteriöse Nexus. Wo gehörten die Besatzungen der Haischiffe hin? Wer waren sie? Waren sie eventuell mit einer der anderen Gruppen identisch?

Vielleicht, dachte Jason, hatten doch Angehörige von Shillas Volk ihre Heimat vor Generationen verlassen und den Weg ins Nexoversum gefunden. Womöglich gab es Kapitel in der vizianischen Geschichte, die aus unbekannten Gründen gelöscht worden waren oder an die man sich nicht mehr erinnerte, weil die Ereignisse viel weiter zurückreichten als die ältesten Aufzeichnungen. Es konnte doch kein Zufall sein, dass die Vizianer mehr über die von den Hairaumern ausgehende potenzielle Gefahr wussten als der Rest der Galaxis und es eine identische Spezies an einem so weit von der Milchstraße entfernten Punkt des Universums gab. Kein Wunder, dass man so genau über ihre Bedürfnisse Bescheid wusste.

Eine innere Stimme flüsterte Jason zu, dass sich Charkh bestimmt nicht irrte; er und seine Leute hatten Shilla als eine Angeli identifiziert. Stellten diese Angeli gar die Besatzung der geheimnisvollen Haischiffe und waren auf der Suche nach ihren Brüdern und Schwestern in der Milchstraße? Und diese hatten sich abgeschottet, weil sie Angst vor ihren Verwandten aus dem Nexoversum hatten? Wenn ja, warum?

Eine Vermutung nach der anderen schoss durch Jasons Kopf und seine Fragen wurden nicht weniger. Das würde Shilla bestimmt interessieren. Ob sie etwas Derartiges geahnt haben mochte? Sicher nicht.

»Wenn keiner je einen Bevollmächtigten gesehen hat, woher wusstet ihr dann, dass Shilla eine Angeli ist?«, erkundigte sich Jason harmlos.

»Es gibt im gesamten Nexoversum nur ein humanoides Volk mit blauer Haut und nur die Angeli können in unsere Köpfe und Herzen blicken«, sagte Charkh. »Heil dem Nexus, dem wir mit Freude dienen!«

Obwohl der Arachnoid über kein deutbares Mienenspiel verfügte, hatte Jason den Eindruck, dass dieser ihn eindringlich – oder ironisch? – musterte. Er zog es vor zu schweigen.


Nachdem sie sich von Charkh und seiner Mannschaft verabschiedet hatten, begaben sich Jason und Shilla an Bord der Celestine.

Etwas missmutig ließ die Vizianerin ihren Blick schweifen, als sähe sie das enge Innere des Schiffs zum ersten Mal. Es schien fast, als wäre sie nur ungern zurückgekehrt und würde jetzt schon den Luxus und die Geräumigkeit ihres vorübergehenden Quartiers vermissen. Mit steifen Schritten ging sie zu ihrem Platz und ließ die schlanken Finger über die Kontrollen gleiten. Selbst in ihrem zweckmäßigen Einteiler von schlichter Eleganz fühlte sie sich offenbar unbehaglich, als trauere sie um die fließenden Stoffe, die zuvor ihren Körper geschmückt hatten. Früher hatte sie auf solche Nebensächlichkeiten nicht den geringsten Wert gelegt, erinnerte sich Jason mit Verwirrung.

Kaum merklich schüttelte er den Kopf. Er wurde nicht mehr schlau aus seiner Begleiterin, die sich zu schnell für seinen Geschmack den Begebenheiten angepasst hatte und in die Rolle einer Bevollmächtigten geschlüpft war. Fand sie etwa Gefallen an der Unterwürfigkeit, mit der man ihr begegnete? Ausgerechnet Shilla, die sich stets im Hintergrund zu halten pflegte, um wenig Aufmerksamkeit zu erregen?

Verstohlen beobachtete Jason die Vizianerin einen Moment lang, bevor er sich dem Funkgerät zuwandte und der Sentok signalisierte, dass sie bereit waren.

Wie versprochen, wurde die manövrierunfähige Celestine von einem Beiboot, das von Crii-Logan gesteuert wurde, nach Reputus geschleppt. Nach der Landung sollte der Insektoid Nahrungsmittel und Gehirne aufnehmen und zum Mutterschiff zurückkehren. Die Sentok würde ihre Reise durch das nahe Sprungtor nach Imasen fortsetzen.

Jason hatte Shilla bereits seine neuesten Erkenntnisse mitgeteilt. Einmal mehr wunderte er sich, wie ruhig sie die Informationen aufgenommen hatte, denen zufolge es hier ein Volk gab, das mit den Vizianern identisch schien. Vergeblich hatte er den Computer nach weiteren Auskünften befragt; in der Datenbank der Sentok waren keine Angaben zu den Angeli gespeichert gewesen.

»Bist du nicht neugierig auf deine Basen und Vettern?«, fragte Jason irritiert.

»Doch, natürlich … Aber was erwartest du?«, gab sie zurück. »Soll ich etwa vor Aufregung im Dreieck springen? Oder vor Wut in den Teppich beißen, weil wir nicht mehr als ein paar Andeutungen haben? Oder soll ich irgendeinem armen Teufel das Gedächtnis aussaugen, nur um eine weitere unbedeutende Information, die im Unterbewusstsein schlummerte, zu erhalten? Der Computer verfügt über keine, in diesem Zusammenhang, brauchbare Daten und zweifellos wissen Charkh und seine Leute nicht mehr, als sie dir erzählten. Genauso, wie Hightech tabu ist, wird den Völkern gezielt Wissen über jene vorenthalten, die einen höheren Rang in der Hierarchie einnehmen. Was sie mitteilen können, sind daher nur Märchen, Vermutungen und Gerüchte. Wenn es uns gelingt, Imasen zu erreichen, werden wir dort mehr erfahren – davon bin ich überzeugt.«

»Du willst unbedingt nach Imasen«, bemerkte Jason.

»Du etwa nicht?«

»Schon, aber nicht mit so viel Ungeduld wie du. Ist alles in Ordnung? Als du mit Skyta nach Joran gefahndet hast, bist du auch …«

»Ich weiß, was du sagen willst.« Shilla seufzte. »Mir geht es gut, mach dir keine Sorgen. Sie sind überall zu spüren, und da ich jetzt weiß, dass ihre Präsenz unbestreitbar einen Effekt auf mich hat, bin ich vorsichtig. Außerdem gibt es mehrere logische Gründe dafür, rasch nach Imasen aufzubrechen: Wenn das Auftauchen eines Angeli tatsächlich ein sehr seltenes Ereignis ist, wird sich unsere Ankunft schnell herumsprechen. Wir stellen so was wie eine kleine Sensation dar. Je länger wir uns auf Reputus aufhalten, umso größer wird die Gefahr, dass wir einen Fehler begehen und entlarvt werden. Trotz aller Ergebenheit und Bewunderung macht sich vielleicht doch jemand die Mühe, uns zu überprüfen. Und vergiss nicht, verfügen die Angeli über dieselben telepathischen Fähigkeiten wie wir Vizianer, dann wissen sie sofort, dass wir Fremde sind. Je früher wir die notwendigen Informationen erhalten und nach Hause finden, desto besser für uns … für uns alle.«