Der letzte Admiral 3: Dreigestirn

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Z serii: Der letzte Admiral #3
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Sie rannten.

Der plötzliche Drang, schnell sein zu müssen, kam von einer unbekannten und derzeit noch unsichtbaren Bedrohung, die nicht einmal bestätigt war, geboren aus Vermutungen und Schlussfolgerungen, aber sehr zwingend. Ryk wurde mitgerissen. Er wollte Fragen stellen, Zweifel anmelden, voreilige Schlüsse vermeiden, aber alle anderen schienen den vom Klon vorgegebenen Kurs für den einzig richtigen zu halten.

Bis die Roboter mit den Scherenbeinen auftauchten und ihnen den Weg versperrten. Drei Stück waren es, absolut identisch, und sie stellten sich nebeneinander auf, nur wenige Minuten nachdem sie unter der Führung Rothbards dessen Unterschlupf verlassen hatten.

»Stellen Sie jede Fortbewegung ein und verharren Sie an Ihrer Position!«, drechselte eine der Maschinen mit einem warnenden Unterton. »Die Durchquerung der Station mit unbekanntem Ziel wurde nicht autorisiert. Sie befinden sich in Begleitung eines permanenten Störfaktors. Eine Korrelation unerwünschter Zielvorstellungen wird extrapoliert. Unterlassen Sie daher weitere Kooperation und verhalten Sie sich passiv.«

Sie blieben also stehen.

Einer der Roboter trat vor und, machte einen Schritt auf Rothbard zu. »Störfaktor identifiziert. Es wird angeraten, keinen Widerstand zu leisten. Die physische Konfiguration der mobilen Einheiten ist überlegen.«

»Ich habe nicht die Absicht, mich von euch gefangen nehmen zu lassen«, erwiderte Rothbard. Er trug keine Waffe bei sich, aber das schien ihn nicht weiter zu bekümmern. »Lasst uns durch!«

»Unkontrollierte und unautorisierte Autonomie wird nicht gestattet.«

»Wir sind Menschen. Wir kommandieren diese Station!«

Der Roboter zögerte unmerklich, als müsse er sich irgendwo vergewissern. »Das ist grundsätzlich korrekt. Doch steht eine Überrangprogrammierung zum Upload bereit. Hierarchiekonflikte werden initialisiert. Ehe diese nach Beilegung neue Direktiven erlauben, ist weitergehende Autonomie einzuschränken. Bitte haben Sie alle Geduld.«

»Was für eine Überrang…?«, begann Sia, zog die Frage dann aber sofort wieder zurück. »Aber ja. Von unserem Schiff, richtig?«

»Das ist zutreffend. Unsere Datenspeicher wurden aktualisiert. Das Update ist autorisiert. Wir erkennen Potenzial für eine Optimierung unserer Kalkulationsprozesse und Wahrnehmungsroutinen. Hierarchiekonflikte müssen gelöst werden.«

»Eze macht aus dem Dreigestirn eine neue, überlegene KI«, sagte Rothbard. »Sobald sie voll entwickelt ist, sind wir Hackfleisch.«

»Was sind das für Hierarchiekonflikte?«

Rothbard lächelte. »Die Erschaffer des Dreigestirns haben so was vorhergesehen. Ich glaube, es gibt Schutzmechanismen.«

»Das Grundmaterial für Hackfleisch ist vorhanden«, bestätigte der Roboter. »Aber wir haben keine Verwendung für Fleischverarbeitung. Sie erfüllt keinen Zweck. Es wird daher weder notwendig noch nützlich sein, aus ihren Körpern …«

»Okay, noch ist diese KI jedenfalls nicht etabliert«, murmelte Ryk. »Das Scheißding redet Blödsinn.«

»Das gibt uns etwas Luft. Gehen Sie weiter. Den Gang hinunter bis zur Luke mit dem roten Symbol. Die Rettungskapsel wird automatisch die nächste bewohnbare Welt ansteuern und das Dreigestirn wird, zumindest bis auf Weiteres, nicht auf eigene Schiffe feuern. Sie haben eine gute Chance, es von hier weg zu schaffen.«

»Und dann?«, fragte Sia.

»Machen Sie weiterhin das, was Sie sowieso vorhatten: Suchen Sie Admiral Rothbard. Suchen Sie seine Mitarbeiter. Oder das, was von ihnen übrig ist.«

»Der ist doch seit ewigen Zeiten tot.«

»Möglich, oder auch nicht. Er ist jedenfalls nicht hier. Über seinen aktuellen Zustand habe ich keine Informationen. Und ich werde auch nicht mehr erzählen.« Er zeigte auf die drei Roboter. »Zu viele Informationen in den falschen Händen könnten sich als problematisch erweisen.«

»Bitte reden Sie weiter«, forderte ein Roboter. »Ihre Daten sind relevant.«

»Fick dich«, sagte der Klon. Er drehte sich zu den vier Menschen. »Runter!«

Ryk ließ sich fallen. Rothbard trat auf den vordersten Roboter zu, umarmte ihn und explodierte.

Es gab keine Druckwelle. Keine Hitze. Der Klon explodierte und versprühte organische Einzelteile über die Roboter, Spritzer aus Blut und Innereien und Knochenstücke vermischten sich mit einem widerwärtigen reißenden Geräusch, das Ryk den Magen umdrehte. Er spürte etwas von dem Fallout auf seiner Haut, roch etwas Salziges und schluckte Galle hinunter.

Dort aber, wo Rothbards Reste auf das Metall der Roboter traf, zischte und dampfte es plötzlich. Eine chemische Reaktion, die die Maschinen überraschend traf. Sie wankten und machten ein paar Schritte rückwärts, mit dem enervierenden Klack-Klack ihrer Scherenbeine, die sich plötzlich in Gummi zu verwandeln schienen. Die Roboter schwankten wie unter einem starken Wind und verloren dann den Kampf ums Gleichgewicht. Löcher bildeten sich in ihren Torsos, breiteten sich in Zeitlupe aus und Metall, aufgelöst und weich, tropfte in das Innere stetig wachsender Hohlräume.

Ein lautloser Tod, der alle Roboter gleichermaßen traf, sie auffraß, zu Boden sinken und ihre Bewegungen erlahmen ließ. Es dauerte keine Minute, dann waren sie zu einer unförmigen Masse aus schmelzendem Metall geworden, die sich nicht mehr regte.

Ryk sah auf die Rothbard-Spritzer auf seiner Haut und seiner Montur. Keine Reaktion. Einen Moment lang war er dafür sehr dankbar.

»Dort entlang, hat er gesagt«, erinnerte Sia die Gruppe. »Wir sollten hier nicht länger verweilen. Ich glaube nicht, dass diese Aktion uns an Bord der Station Freunde gemacht hat.«

Ryk teilte diese Auffassung. Sie stiegen über die Reste der Maschinen hinweg, sorgsam darauf bedacht, nicht in Kontakt mit der sich nunmehr wieder langsam verfestigenden Substanz zu kommen. Rothbard würde keine zweite Mahlzeit bekommen, sein Ende war ebenso plötzlich wie unzeremoniell gekommen. Ryk wusste gar nicht, was er ihm noch hätte sagen sollen. Er war sich nicht einmal sicher, ob er ihm dankbar war oder nicht. Am Ende hatte der Klon wohl zumindest etwas Respekt verdient.

Sie eilten in die angegebene Richtung, fanden den Zugang, öffneten ihn und stürzten in eine enge Kapsel, die über sechs Sitze verfügte. Momo quetschte sich mit großer Mühe in einen davon, zog mit noch größerer Mühe die Gurte fest und warf einen anklagenden Blick in die Runde.

Eine Stimme erklang: »Passagiere registriert. Bitte beachten Sie, dass die Druckanzüge modularisiert sind.«

»Dafür ist keine Zeit. Da gibt es einen großen, roten Schalter«, sagte Uruhard in die etwas verwirrte Stille hinein, die sich plötzlich ausbreitete. »Ich möchte vermuten …«

»Ach was«, sagte Sia und legte ihn um. Ein Knall ertönte, ein metallisches Schleifen, ein elektronischer Warnton, dann ruckelte die Kapsel und warf sich zur Seite. Jemand brüllte etwas und Ryk benötigte einen Moment, um zu begreifen, dass es das Triebwerk war, das mit einem Aufschrei anlief und die Kapsel vom Dreigestirn fortschleuderte.

Die Luft wurde aus Ryks Lungen gepresst, als sich ein Riese auf ihn setzte. Er japste und rang um jeden Atemzug, dann keuchte er, als der Andruck nachließ. Die Brust tat ihm weh. Uruhard wirkte bleich, Sia gelassen, Momo war völlig unbeeindruckt. Dann drehte sich Ryks Magen zusammen mit der Kapsel.

Die schmalen Sichtfenster ließen wenig Überblick zu, doch vor ihren Augen erwachten Schirme zum Leben, die die hilflosen Passagiere darüber informierten, dass es jetzt sehr schnell, sehr direkt und absolut unausweichlich in Richtung des zweiten Planeten ging.

»Verdammt, können wir den Landeplatz wenigstens auswählen?«, stieß Sia hervor. »Ich möchte nicht in der Abfallgrube eines Hives landen oder so nahe, dass die Großmäuler uns holen kommen.«

Ein berechtigtes Anliegen, dem Ryk nur zustimmen konnte. Es wäre das unrühmliche Ende einer insgesamt schon ziemlich unrühmlichen Reise.

Es war keine richtige Auswahl, sondern eine, die ihnen die Landeautomatik zubilligte, sozusagen die Illusion von Entscheidungsfreiheit. Als die Kapsel auf die Welt zustürzte und sich insgesamt fünf verschiedene Optionen ergaben, öffnete sich ein Zeitfenster und sie schauten auf fünf schimmernde Quadrate, die sich auf die topografische Karte des Planeten legten, alle nicht weit voneinander entfernt. Der Kurs führte sie zudem relativ nahe am einzigen Mond dieser Welt vorbei. Die Landeplätze waren nummeriert. Es war Navigation für Doofe, also genau das, wozu sie am ehesten in der Lage waren.

»Ich schlage Landezone drei vor«, sagte Ryk. »Sie ist der Siedlung am nächsten, die die Sonden beobachtet haben. Ich glaube, dass wir dort am ehesten eine Chance haben, den Hivewald zu überleben.«

»Das ist wohl eine korrekte Annahme«, murmelte Uruhard. »Ich stimme zu. Sia? Momo?«

Sie kamen schnell zu einem Konsens und obgleich es eine recht offensichtliche Wahl war, fühlte Ryk sich für einen Moment etwas besser. Es mochte eine Illusion sein, aber hin und wieder tat eine solche auch ganz gut.

Sia tippte auf den Schirm. Die Flugautomatik bestätigte die Auswahl mit einem beruhigenden Ton, der wohl suggerieren sollte, dass jetzt alles gut würde. Ryk wusste mittlerweile, was er von solchen kurzen Phasen der Zuversicht zu halten hatte, und ließ sich natürlich nicht manipulieren. Dass der Eintritt in die Atmosphäre die Kapsel heftig traf und ihre Insassen hin und her schüttelte, half ebenfalls nicht. Das Schütteln wurde zu einer Vibration und Warnsignale wiesen darauf hin, dass die Hitzeschilde sich einer ernsthaften Beanspruchung ausgesetzt sahen. Auf den Schirmen war nun nichts mehr zu sehen als ionisierendes Gas, da die Kapsel ihre Schutzbefohlenen möglichst schnell vor dem grausamen Weltall zu erretten gedachte. Dann ein weiterer Schlag, der ihnen ihre Innereien den Hals hinauftrieb, als die Landedüsen einsetzten und den Absturz zu einem geregelten Landevorgang machten. Der Ausblick auf den Schirmen klärte sich.

 

Hivestöcke.

Überall, so weit das Auge reichte.

Es war eine Sache, sich die Aufnahmen der Fernsonden anzuschauen, aber eine ganz andere, sie aus der Nähe zu sehen. Sie waren nicht nur viele, sie schienen auch teilweise größer zu sein als die auf der Erde, überwältigende, mächtige Bauwerke, die weit in den Himmel ragten, umgeben von Drachenpatrouillen, mit Knospen, die manchmal fast bis in die Wolken zu reichen schienen. Es war atemberaubend und beängstigend, eine emotionale Mischung, die sie alle zu stummen Beobachtern dessen machte, was sie als die größte Ansammlung zerstörerischer Macht betrachten konnten, der sie jemals gegenübergestanden hatten.

Der Hive war die Rettung der Menschheit vor den KIs?

Ryk musste an sich halten, um nicht hysterisch zu kichern. Offenbar war seine Zivilisation in der Lage, sich gleich mehrfach auf besonders perfide Weise auszulöschen. Und sie wollten das nun zurückdrehen oder Schlimmeres verhindern? Es gab sicher ein sehr gelehriges Wort, um diese Haltung zu beschreiben, und er würde Uruhard beizeiten danach fragen. Es war gewiss vor allem der reine Wahnsinn.

Die Drachen ignorierten sie nicht, aber flogen nur heran und verschwanden wieder, sobald sich die Kapsel entfernte. Sie war keine Bedrohung des Hive. Solange sie nichts anderes tat, als zu landen und vier Insassen zu helfen, auf dieser Welt ihre jämmerliche Existenz zu beenden, kümmerte es diesen mächtigen Wald nicht. Sie waren weniger als lästige Insekten.

Ryk war dankbar. Seine Dankbarkeit schwand jedoch, als die Kapsel aufsetzte. Es war eine harte Landung, die erneut das Innere seines Körpers neu sortierte, und in seinen Halswirbeln knackte irgendetwas, das normalerweise keine Geräusche machte. Dann stand die Kapsel da, immerhin aufrecht, sodass sie die Schwerkraft spürten, etwa so stark wie die der Erde, soweit sich Ryk daran erinnern konnte. Er war der Erste, der die Gurte löste und auf etwas wackeligen Beinen aufstand und sich umdrehte.

Er sah sich um. Dies war eine Rettungskapsel. Es musste doch … Sofort wurde er fündig.

»Es gibt hier Notfallausrüstung«, sagte er dann. »Sechs Rucksäcke, wenn ich das richtig sehe. Und hier diese Schutzanzüge. Ah, das ist mit Modularisierung gemeint.« Er zog an Manschetten und Erweiterungen. »Auch für dicke Wachtmeister und mächtige Krieger geeignet. Ich schlage vor, dass wir alle mitnehmen. Momo, ich will dir nicht …«

»Du bist schwach. Ich bin stark.« Momo griff sich drei der Rucksäcke, nachdem Ryk auf sie gedeutet hatte, und zeigte nicht die geringste Anstrengung, sie alle zu tragen. Ryk öffnete seinen eigenen. Soweit er es verstand, handelte es sich um Nahrungskonzentrate, zwei Wasserflaschen, eine Art Handfeuerwaffe, ein medizinisches Paket mit allerlei Medikamenten, deren Nutzen er nicht zu ermessen vermochte, einen elektronischen Kompass sowie Werkzeug, alles eingewickelt in eine große, sicherlich wasser- und windabweisende Plane. Natürlich hatten sie die Kapsel als Unterschlupf, andererseits könnte es sich als notwendig erweisen, sie schnell zu verlassen. Es war unvermeidbar gewesen, in der Nähe eines Hives zu landen. Alles hier unten war »in der Nähe«.

Sie zogen die Schutzanzüge an. Sie waren für den Aufenthalt gleichermaßen im Vakuum wie in einer feindlichen Atmosphäre konstruiert und leicht zu bedienen, mit einem folienartigen Helm, der sich in einen Halsring zurückfaltete, wenn er nicht benötigt wurde. Leicht zu tragen, schränkten die Anzüge die Beweglichkeit kaum ein. Und sie alle passten hinein, wenngleich Momo und Uruhard sich in ihrem Aussehen stark einer Presswurst annäherten.

Sie stießen die Luke auf und ein Schwall feuchtwarmer Luft nahm ihnen den Atem. Ryk spürte sofort den Schweiß auf seiner Stirn. Es war heiß, schwül und die Luftfeuchtigkeit musste extrem sein. Er kletterte aus der Kapsel, sah sich um und war sofort eingeschüchtert und für einen Augenblick wie gelähmt. Hive neben Hive, einer größer als der andere, und von überallher kam der massive Gestank des verwesenden Abfalls, der sich neben den Stöcken auftürmte. Hier war niemand, der sich um die Entsorgung kümmerte, hier schichtete sich der Dreck aufeinander, versickerte nur langsam im Boden und zersetzte sich mit all seinen Nebenwirkungen. Es war betäubend. Sia hörte er husten, Uruhard keuchen, allein Momo, stark, nicht schwach wie sie, stapfte voraus und sah sich neugierig um. Seine Konstitution war bewundernswert, oder seine Selbstbeherrschung oder auch beides.

»Wohin?«, keuchte Ryk. Es fiel ihm schwer zu atmen. Er wünschte sich die Filtermasken zurück, die sie auf der Perlenwelt getragen hatten, ließ den Helm aber offen. Der Sauerstoffvorrat war nicht unbegrenzt und sie wussten nicht, wann sie ihn einmal brauchen würden.

Dann schaute er auf den elektronischen Kompass, auf den er auch die aus dem Orbit aufgezeichnete Topografie geladen hatte. Sia hatte ihn auf diese Notwendigkeit hingewiesen und ihre stets praktische Veranlagung war ihnen einmal mehr ein Segen. So beantwortete er seine eigene Frage, drehte sich und wies in eine Richtung. »Dorthin!«

»Das trifft sich gut«, sagte Uruhard angestrengt. »Von der anderen Seite kommen nämlich Großmäuler.«

Seine scharfe Beobachtungsgabe hatte ihn nicht getäuscht. Die Truppe an Hivesoldaten, die sich in der Ferne zeigte, hatte es nicht eilig. Dies war ihre Welt, es gab hier unten keine echte Bedrohung, durch nichts und niemanden. Die Kapsel war klein und ihr waren vier Gestalten entstiegen, von denen nur eine einigermaßen beeindruckend wirkte. Man sah nach dem Rechten. Oder war nur zufällig in der Gegend.

»Wir verschwinden. Kommt, da ist eine ordentliche Öffnung zwischen den Hives, offenbar ein Felsgrat. Den nutzen wir.« Sia zeigte und alle nickten, zu erschöpft, um zu sprechen. Ryk tat immer noch der Nacken weh und das Klima hier unten verschlug ihm die Sprache. Seine Montur klebte ihm am Körper und es würde nicht lange dauern und der Gestank seines eigenen Leibes würde sich auf unangenehme Weise mit dem der Umgebung vermischen.

Er hatte eine Ahnung, dass es hier unten keine Duschen geben würde.

Sie gingen los, mit weit ausholenden Schritten und Momo als Nachhut. Der Marsch war anstrengend. Der Durst wuchs. Sie versuchten, mit den Wasservorräten hauszuhalten, aber das war eine schon fast unüberwindbare Herausforderung. Sie mussten zügig wandern, um den Abstand zu den Großmäulern zu wahren, und das erforderte Kraft und förderte den Schweiß. Sie verloren literweise Flüssigkeit und mussten diese ersetzen. Eine Stunde marschierten sie stetig den Felsgrat entlang, zwischen zwei mächtigen Hivestöcken hindurch, und die Sonne brannte mit einer Unbarmherzigkeit auf sie herab, dass es beinahe verheißungsvoll erschien, sich im Schatten eines Hivestocks auszuruhen. Nach dieser Stunde, in der sie besser vorankamen, als Ryk vermutet hatte, hatten sie ihre Wasservorräte aufgebraucht. Ihr Aufenthalt auf dieser Welt stand offenbar von Anfang an unter keinem guten Stern.

Wenn die Großmäuler sie nicht erwischten, würden sie verdursten und basierend auf der aktuellen Sachlage, würde Letzteres eher eintreten als Ersteres. Ihre Marschgeschwindigkeit verringerte sich zusehends.

Die gute Nachricht war, dass die Patrouille der Hivekrieger irgendwann verschwunden war. Sie wurden offenbar nicht als Gefahr eingeschätzt oder hatten den zugewiesenen Aktionsbereich verlassen.

»Ich … habe die Entfernung wohl unterschätzt«, rang Ryk sich ab, blieb stehen und wischte sich zum wiederholten Male mit einem Tuch den Schweiß ab, was nichts mehr nützte. Der Stoff war nicht mehr in der Lage, die Flüssigkeit aufzunehmen, sodass er die Feuchtigkeit nur auf seiner Haut verteilte und einen schmierigen, unangenehmen Film erzeugte, vermischt mit dem Staub der Umgebung.

»Wir müssen eine Pause machen«, sagte Uruhard.

»Wir können nicht …«, begann Ryk, sah auf das bleiche, nasse Gesicht, dessen Bart eine echte Qual sein musste, hielt inne und nickte.

Sia warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu und zeigte auf einige Felsen, die versprachen, ein wenig Schatten zu spenden. »Wir warten, bis es dunkel wird«, bestimmte sie. »Dann wird es leichter sein, weiterzugehen.«

»Und gefährlicher«, gab Ryk zu bedenken. »Hives schlafen nicht.«

»Das Risiko müssen wir eingehen.«

Sie kauerten sich in den Schatten, soweit man ihn so nennen konnte, und beschlossen übereinstimmend, sich so wenig wie möglich zu bewegen, sondern nur leise vor sich hin zu dünsten. Es war früher Nachmittag, was dazu führte, dass sie noch einige Stunden vor sich hatten, und irgendwann fragte sich Ryk, was wohl schlimmer war: die brennende Hitze mit der bedrückend schwülen Luft oder die in ihm aufwallende Langeweile. Er betrachtete die mageren Daten, die das Datengerät des Anzugs an seinem Arm hervorzubringen in der Lage war. Nicht mit dem Speicher eines Schiffes verbunden waren die Erklärungen aber sehr einsilbig und auf viele Fragen gab es gar keine Antwort mehr. Dass es heiß war, wusste Ryk, auch ohne die Thermometerfunktion zu aktivieren, aber immerhin hatte das Gerät aufgrund ihres Anflugs und der bekannten astrometrischen Daten die Länge des Tages errechnet. Mit sechsundzwanzig Stunden für eine Drehung war man im Bereich Terras und sie alle würden sich problemlos daran gewöhnen.

»Schaut mal«, sagte Momo, der seine eigene Langeweile dadurch bekämpfte, anstatt dauernd auf einen Bildschirm zu starren, lieber die Umgebung zu beobachten. Das war auf der einen Seite sehr altmodisch, aber Ryk fand, dass diese Vorgehensweise ihre Vorteile hatte, vor allem jetzt, da Momo auf die Rauchsäule zeigte, die sich aus dem Hivewald erhob. »Es brennt«, sagte er.

»Ein Anzeichen für Zivilisation?«, mutmaßte Uruhard. »Die Siedlung liegt in der anderen Richtung.«

»Ein Anzeichen für ein Feuer«, erklärte Momo ruhig. Er war nicht die Art von Mensch, die zu voreiligen Schlussfolgerungen tendierte.

Ryk verbarg ein Lächeln. Die Hitze hatte das Potenzial, sie alle sehr reizbar zu machen, und da verbot es sich, über jemanden zu lachen. Außerdem hatte Momo recht: Wer über diesem Feuer seinen Sonntagsbraten röstete, wollte entweder eine Stadt ernähren oder einen beachtlichen Vorrat an Steaks anhäufen.

Was da brannte, und das war immer deutlicher erkennbar, war ein Hive. Durch den dicken Rauch, der in der windstillen Atmosphäre kerzengerade nach oben stieg, sah man immer wieder lange Flammenzungen blecken und aufgrund der beachtlichen Entfernung war anzunehmen, dass dort ein wahres Inferno wütete. Ihre leicht erhöhte Stellung erlaubte ihn einen beinahe unverstellten Blick auf die Feuersbrunst und alle kniffen so lange die Augen zusammen, bis Sia beim Herumwühlen in den Rucksäcken feststellte, dass zur Notfallausrüstung Ferngläser gehörten.

Langeweile empfand niemand mehr, als sie die Optik fokussiert hatten. Das Schauspiel war gleichermaßen erhebend wie erschreckend. Es löste vor allem eine seltsame, intensive Befriedigung in Ryk aus.

»Ja«, hörte er sich murmeln. »Brenn. Lasst es brennen.«

Sein Enthusiasmus wurde nicht kritisiert. Wahrscheinlich hatten die anderen gar nicht richtig zugehört. Sie beobachteten gebannt das Schauspiel.

»Hat den jemand angezündet oder hat der sich spontan selbst entzündet?«, fragte Uruhard. »Ich erinnere mich nicht, dass der Hive brennbar ist. Ich meine, dann hätte man diesen Nachteil doch gewiss im Krieg ausgenützt. Oder weiß jemand von einer Hivefeuerwehr?«

»Nein«, sagte Sia. »Keine Feuerwehr und kein Feuer. Da hat jemand nachgeholfen oder dieser Wald ist die Ursache.«

»Der Wald?«, echote Ryk. »Wieso sollte der Wald etwas damit zu tun haben?«

»Normale Bäume bilden im Wald ein eigenes, genuines Ökosystem«, belehrte ihn Sia und begann wieder, Worte zu verwenden, die er nicht kannte. Es war ärgerlich. »Sie haben eigene Wege der Kommunikation, warnen sich vor Gefahren, tauschen Nährstoffe aus, schützen sich gegenseitig, nutzen Ressourcen gemeinsam. Wir haben bisher nur sehr vereinzelt agierende Hivestöcke kennengelernt, mit großen Entfernungen zwischen ihnen. Warum soll ein dermaßen gedrängter Hivewald nicht anders funktionieren? Ich bin mir dessen sogar fast sicher. Es muss Konsequenzen haben, wenn die Stöcke hier dicht an dicht stehen. Vielleicht stimmt also beides.«

»Beides?«

 

»Ja.« Sia schien sich für ihren Gedanken mehr und mehr zu erwärmen. »Jemand hat nachgeholfen und dieser Wald ist die Ursache. Ein Kampf um begrenzte Ressourcen. Futterneid. Und da hat jemand den Kürzeren gezogen.« Sie lächelte, was mit schweißnassem Gesicht sehr reizvoll wirkte. »Hive gegen Hive. Die Idee gefällt mir gut.«

Nicht nur ihr. Ryk war mit diesem Erklärungsversuch sehr einverstanden.

Für diese Hypothese sprach auch, dass das Feuer, soweit sie es beobachten konnten, keinesfalls auf die Nachbarhives übergriff. Da war möglicherweise tatsächlich jemand zu gefräßig geworden und wurde von seinen Kumpels nachdrücklich in die Schranken verwiesen. Leider war dies anscheinend ein kontrollierter und kontrollierbarer Prozess, ein diese Welt umfassender Brand, der den Hivewald in einem brutalen und endlosen Flächenbrand in den Abgrund riss, war kein so schlechter Gedanke, egal was der neugeborene Rothbard ihnen über das wahre Problem aufgetischt hatte.

Irgendwann wurde es dunkel. Das Feuer war besonders gut sichtbar, als sich die Lichtverhältnisse verschlechterten. Der brennende Hive schickte immer noch gelegentliche Flammenzungen in den Himmel, wenngleich die Heftigkeit des Brandes nachgelassen zu haben schien. Immerhin half ihnen dieses Fanal bei der Orientierung, denn sie wollten tatsächlich in die entgegengesetzte Richtung, und als die ersten Sterne am klaren Himmel zu blinken begannen, machten sie sich wieder auf den Weg.

Es wurde nicht richtig kühl. Dies war keine Wüste, hier gab es genug, was Wärme speicherte. Auch die Luftfeuchtigkeit war durch die einsetzende Dunkelheit nicht zu beeindrucken. Aber die paar Grad, die es dann doch kühler wurde, brachten etwas Erleichterung, und da sie alle durstig waren, legten sie auch keine so hohe Geschwindigkeit vor, dass vor allem Uruhard gleich wieder schlapp machen würde.

»Es ist nicht mehr weit«, sagte Ryk eine Stunde später nach einem kritischen Blick auf den elektronischen Kompass.

»Wenn es eine Siedlung mitten im Hive ist, dann müsste sie doch ein Warnsystem unterhalten«, fiel Sia ein. Sie blieb unwillkürlich stehen, als hätte ihr diese Erkenntnis den Mut zum Weitergehen genommen. »Ich meine, wie sonst weiß man, ob Großmäuler im Anmarsch sind?«

»Das ist eine mögliche Sichtweise«, erwiderte Uruhard keuchend und blieb neben ihr stehen, dankbar für die Pause. »Andererseits glaube ich nicht, dass hier tatsächlich Lebewesen so nahe am Hive überleben könnten, wenn sie nicht über andere Abwehrmechanismen verfügen – die wir nicht kennen.«

»Ich habe gerade eine schlimme Vorstellung«, sagte Ryk. »Was ist, wenn diese Leute hier in einer eigenen Form von Harmonie mit dem Hive leben? Ihn gar nicht als Feind ansehen, sondern eine Form der Kooperation gefunden haben, die über das bloße Nebeneinanderleben wie auf der Erde hinausgeht?«

Sia sah ihn anerkennend an. Anerkennend und überrascht. »Man nennt das eine Symbiose«, war sie dann wieder sehr hilfreich. »Und dieser Gedanke ist in der Tat erschreckend.«

»Was genau ist daran so erschreckend?«

»Nun, ich denke …«, begann Ryk, unterbrach sich aber sofort. Weder Sia noch Uruhard noch Momo hatten ihre Lippen bewegt. Sie alle standen stocksteif und starrten sich an.

»Wer hat …?«, flüsterte Ryk.

Sie hörten ein Rascheln und dann Schritte. Ein Schatten löste sich aus der schummrigen Dunkelheit, eine schlanke, erkennbar weibliche Gestalt, angetan mit einer Kleidung, die aus Leder zu bestehen schien. Sie trug keine Schuhe. Das lange Haar war hinter dem Kopf zusammengebunden. Sie war etwas größer als Sia, fast so groß wie Ryk, und machte einen neugierigen, keinesfalls alarmierten Eindruck. Dass sie in beiden Händen lange, spitz zulaufende Messer hielt, war gewiss keine böse Absicht.

Zumindest war das Ryks Hoffnung.

Sicherheitshalber hoben sie alle die Hände. Weit weg von den Handfeuerwaffen, die in ihren Rucksäcken gelagert waren. Ob sich das als gute Entscheidung oder schwerwiegender Fehler erweisen würde, zeigte sich jetzt.

Die Frau sah sie neugierig, aber unendlich gelassen an. Sie wähnte sich ganz offensichtlich nicht in Gefahr.

»Ihr sprecht die alte Sprache. Kommt ihr aus Kryv? Ich weiß, dass ihr euch für was Besseres haltet.« Die Frau sah sie abschätzend an. »Eure Kleidung sieht aus wie die Sachen derer aus Kryv. Aber selbst die Tecktecks sind nicht so dumm, nachts durch die Gegend zu laufen und dabei so einen Höllenlärm zu machen wie ihr. Wer seid ihr? Verstoßene? Abweichler? Einfach nur verblödet?«

Ryk runzelte die Stirn. Auf die offensichtliche Idee kam die junge Frau nicht. Verwunderlich war dies gewiss nicht. Hier landeten wahrscheinlich nicht allzu viele Raumschiffe. Er musterte die beiden Messer mit einem gewissen Misstrauen. In Metropole 7 gab es viele gute Messerkämpfer, Ryk war selbst nicht völlig ungeschickt mit der Waffe. Er erkannte an Stellung und Haltung, dass diese Dame in der Lage war, ihnen allen sehr böse zu Leibe zu rücken, wenn sie darauf aus war. Sehr, sehr böse und sehr, sehr blutig.

Das galt es natürlich zu verhindern.

»Wir wollen ehrlich sein«, sagte Uruhard, der gerne mit jungen Frauen sprach. »Wir sind nicht aus Kryv, sind keine Tecktecks und obgleich wir gewiss die eine oder andere blödsinnige Idee mit uns herumtragen, gehören wir zu keiner spezifischen Gruppe von Idioten.«

Die Frau sah ihn abschätzend an und kam offenbar zu dem Schluss, dass zumindest er harmlos war. Momo hielt sich derzeit noch im Hintergrund auf, offenbar darauf bedacht, niemanden zu erschrecken.

»Nicht aus Kryv? Woher dann?«

Uruhard zeigte in den Himmel. »Von da oben. Aus dem Weltall.«

Wenn die junge Frau über diese Vorstellung erschrocken war, hatte sie sich bemerkenswert gut unter Kontrolle. Sie überlegte kurz, die Messer immer noch bereit, aber nicht so angespannt, dass Ryk einen unmittelbar bevorstehenden Angriff vermuten musste.

»Im Ernst?«

»Ganz im Ernst.«

»Hm.«

Sie steckte die Messer weg. Ihre Menschenkenntnis war gut. Diese vier hier waren keine Bedrohung für sie.

»Kommt mit. Ihr solltet mit den Skrutinatoren reden. Sie werden wissen, was wir mit euch anfangen können. Wenn ihr mitkommen wollt.« Sie lächelte schwach. »Ihr könnt auch weiter im Wald rumlaufen. Mal gucken, wie lange ihr das durchhaltet.«

»Wir würden eine gastliche Aufnahme bevorzugen«, sagte Uruhard. »Wir sind zu viert.«

»Ja. Drei wie ihr und ein wandelnder Berg. Ist er zahm?«

»Ich bin kein Tier!«, grollte Momo leise. Das war der Moment, in dem die junge Frau kurz zusammenzuckte. Sie hatte den Defo tatsächlich nicht für einen Menschen gehalten. Aber sie konnte verdammt gut im Dunkeln sehen.

»Wirklich nicht aus Kryv«, murmelte sie. »Folgt mir.«

»Wir haben großen Durst«, sagte Ryk, dem die trockene Zunge beinahe im Mund zerbröselte.

»Hier ist überall Wasser!«, erwiderte die junge Frau verwundert. »Da könnt ihr graben. Da auch. Überall Wasser.« Sie schüttelte den Kopf. »Ihr seid nicht von hier, das sehe ich nun. Mein Name ist Dalia, ich komme aus dem Dorf.«

»Das Dorf hat keinen Namen?«

»Es gibt nur das eine, mit seinen kleineren Ablegern. Und Kryv.« Dalia lächelte ob Ryks Frage. »Die Auswahlmöglichkeiten sind hier wirklich begrenzt.«

Dann drehte sie sich um und wanderte los, ohne sich umzusehen oder zu vergewissern, ob die Eingeladenen ihrer Aufforderung nun Folge leisten würden oder nicht.

Alle beeilten sich, den Kontakt mit ihr nicht zu verlieren.

Überall war Wasser? Das mochte sein. In ihren Bäuchen war jedenfalls keines mehr.