Das hat ja was mit mir zu tun!?

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1Einleitung





Rassismus prägt als Machtverhältnis Biografien und Strukturen in unserer Gesellschaft. In den letzten Jahren hat sich die Situation von Menschen, die in Deutschland durch Rassismus diskriminiert werden, erneut enorm zugespitzt. Sowohl rassistische Gewalttaten, aber auch öffentliche rassistische Äußerungen – nicht zuletzt vonseiten verschiedener politischer Akteur*innen – haben deutlich zugenommen. Die Art und Weise, wie öffentliche Diskurse geführt und verschiedene Themen behandelt werden, führt zu einer weitreichenden Marginalisierung von Menschen, die in Deutschland leben und durch Rassismus diskriminiert werden. Die Anschläge in Halle (09.10.2019) und Hanau (19.02.2020) stellen abermals eine erschreckende Zuspitzung von rassistischer Gewalt und Terror in Deutschland dar (vgl. Agar u. Kalarickal 2020). Auch die weltweiten Proteste im Rahmen der Black Lives Matter-Bewegung, die infolge des Mordes an George Floyd (25.05.2020) die häufig ignorierte rassistische Polizeigewalt in den Fokus öffentlicher Diskurse rückten, weisen erneut auf die Folgen von strukturellem Rassismus hin. Gleichzeitig sind es nicht nur rassistisch motivierte, physische Gewalt und intentional diskriminierende Verhaltensweisen, die die Lebensrealität vieler Menschen prägen. Auch die Auswirkungen von (un)bewussten Grundhaltungen und verinnerlichten Bildern haben einen enormen Einfluss auf das gesellschaftliche und individuelle Leben. Rassistische Diskriminierung drückt sich auch durch alltägliche Handlungen, Denkweisen und Verhaltensmuster aus. Dies wiederum führt zu einem Aufrechterhalten und damit zur kontinuierlichen Reproduktion von rassistischen Strukturen in unserer Gesellschaft (vgl. Ogette 2019, S. 16 f.). Wenn davon ausgegangen wird, dass diese gesellschaftlichen Machtstrukturen in allen Bereichen des Lebens wirken, werden rassistische Strukturen auch im Kontext Systemischer Beratung

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 reproduziert – trotz aller Reflexion der Berater*innen. Das vorliegende Buch versteht sich als Annäherung hinsichtlich der Zusammenführung von Systemischer Beratung mit dezidiert macht- und rassismuskritischen Perspektiven. Dabei sind drei Aspekte grundlegend: Erstens bilden die Betroffenenperspektiven einen fundamentalen Bestandteil einer macht- und rassismuskritischen Auseinandersetzung. Vor allem gilt dies für den Kontext der Beratung, da nur so Menschen mit eigenen Rassismuserfahrungen ernst genommen und die individuellen (psychischen und physischen) Auswirkungen von Rassismus auch im wissenschaftlichen bzw. praxisbezogenen Diskurs sichtbar werden. Zweitens sind alle Menschen Teil von gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Das Gesellschaftssystem in Deutschland ist von multidimensionalen Machtstrukturen bzw. sozialen Hierarchien geprägt, die diskriminierend und als strukturelle Gewalt wirken (vgl. Galtung 1975, S. 12 ff.). Neben anderen relevanten Machtstrukturen, wie der klassistischen oder der (hetero-/cis-) sexistischen, stellt die rassistische Machtstruktur eine wesentliche Dimension dar.

Weiße

 Menschen profitieren – in der Regel unbewusst – davon, Bi_PoC (Black, indigenous People_and People of Color) sind entsprechend mit den negativen Auswirkungen konfrontiert. Drittens und daraus folgend wird eine Verortung von Rassismus und anderen Diskriminierungsformen an vermeintliche gesellschaftliche oder politische »Ränder« abgelehnt, da sie die Reflexion eigener Verstricktheit in eben jene Machtverhältnisse erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht.



Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wo Systemische Beratung in Theorie und Praxis Anschlussmöglichkeiten bietet, wo aber auch Widersprüche zu Macht- und Rassismuskritik bestehen und Systemische Beratung Gefahr läuft, Rassismus selbst zu reproduzieren.



Im systemischen Denken werden Familiensysteme und andere soziale Konstellationen als grundlegend und relevant für die Situation eines jeden Individuums gesehen und maßgeblich mit in die Beratung einbezogen (vgl. Hanswille 2015, S. 697). Daher erscheint es in hohem Maße anschlussfähig, naheliegend und längst überfällig, dass die systemische Community in Deutschland Rassismus als gesellschaftlich wirkmächtige Konstruktion mit ganz konkreten und realen Auswirkungen in der systemischen Arbeit berücksichtigt. Denn was bedeutet es für die Systemische Beratung, wenn Machtstrukturen wie Rassismus mitgedacht werden? Und wenn dies im Hinblick auf die innere Haltung der Beratenden

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, auf die Beziehungsebene zwischen Beratenden und Beratungsnehmenden, auf deren Lebensrealitäten sowie auf die strukturellen Kontexte, in denen Systemische Beratung stattfindet, geschieht? Inwiefern ist eine angemessene Beratung überhaupt möglich, ohne gesellschaftliche Machtverhältnisse zu berücksichtigen?



Das vorliegende Buch hat primär zum Ziel, dass sich

weiße

 Berater*innen in Bezug auf die eigene systemische Arbeit mit Macht- und Rassismuskritik auseinandersetzen und lieb gewonnene systemische Gewissheiten und Methoden vor diesem Hintergrund kritisch hinterfragen. Die hier zu lesenden Ausführungen sind aus einer

weißen

 Perspektive geschrieben. Daher ist zu betonen, dass zwar die Bemühung besteht, sich vor allem auf Texte von Personen mit Rassismuserfahrungen zu beziehen, dass aber trotzdem ein Bewusstsein darüber herrscht, dass von einer privilegierten Position aus geschrieben wird und somit internalisierte Denkmuster reproduziert werden können. Gerade die Relevanz, sich als

weiße

 Berater*innen mit der rassistischen Machtstruktur und den eigenen Privilegien in eben dieser auseinanderzusetzen, wird hier als entscheidend gesehen und soll durch das vorliegende Buch betont werden.



Um dies zu verdeutlichen, wird in

Kapitel 2

 unter anderem eine Selbstpositionierung durch die Autorin und die Autoren unternommen. Im Anschluss daran wird in

Kapitel 3

 zunächst Diskriminierung als allgemeines Phänomen mit unterschiedlichen Formen und Ebenen beschrieben.

Kapitel 4

 legt den Fokus auf Rassismus als ein gesellschaftliches Machtverhältnis und dementsprechend auch auf gesellschaftliche Kontinuitäten, Strukturen und Diskurse. In

Kapitel 5

 erfolgt die Betrachtung von Rassismus als mögliche Traumatisierungserfahrung. Vor dem bis dahin erarbeiteten Hintergrund werden in

Kapitel 6

 macht- und rassismuskritische Anforderungen an die systemische Theorie und Praxis ausgesprochen. Diese adressieren systemische Grundhaltungen und problematisieren sogenannte interkulturelle Ansätze, die auch im Kontext Systemischer Beratung Anwendung finden. Abschließend werden in

Kapitel 7

 Komponenten einer systemischen, macht- und rassismuskritischen Praxis formuliert.



Darüber hinaus sind drei umfangreiche Interviews mit Expertinnen in dem vorliegenden Buch enthalten. Durch sie werden wichtige und wertvolle Perspektiven sichtbar, die wir als

weiße

 Autorin und Autoren nicht hätten darstellen können. Wir danken an dieser Stelle Souzan AlSabah, Sandra Karangwa, Berivan Moğultay-Tokuş und Amma Yeboah von ganzem Herzen für ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit auf verschiedenen Ebenen und für das Teilen ihres Wissens, das für den Buchprozess prägend war.



Außerdem danken wir Souzan AlSabah und Holla e. V. herzlich für ihre Arbeit und Forschung zu den Themenfeldern Rassismus und Gesundheit sowie Rassismus und Traumatisierung, auf denen die entsprechenden thematischen Ausarbeitungen in diesem Buch zu großen Teilen basieren.



Unser weiterer Dank geht an Bahar Dağtekin und Maurice Soulié für das rassismuskritische Lektorat und ihre wichtigen sowie kritischen Hinweise.



3

Gleichwohl wir im Untertitel dieses Buches »Beratung, Therapie und Supervision« aufgeführt haben, verstehen wir im Folgenden Beratung als den Oberbegriff (vgl. Schubert, Rohr u. Zwicker-Pelzer 2019).



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Ziel dieser Arbeit ist es, eine Sprache zu verwenden, die alle Geschlechter mit einbezieht. So sind im Folgenden alle auf das Geschlecht bezogene Wörter in einer geschlechtsunabhängigen Schreibweise oder mit Sternchen (*) geschrieben. In einigen wörtlichen Zitaten wird nicht gegendert. Nach unserem Verständnis sind in den allermeisten Fällen dann sicherlich nicht nur männlich gelesene Personen gemeint.








2Selbstpositionierung,

Weißsein

, Selbstbezeichnungen





Im Folgenden nehmen wir eine Selbstpositionierung vor, thematisieren

Weißsein

 und stellen die Relevanz von Selbstbezeichnungen bei der Benennung von Menschen, die Rassismuserfahrung machen, dar.








2.1



Selbstpositionierung





Als

weißes

 Autor*innenteam, das sich mit Rassismus und entsprechenden gesellschaftlichen Machtstrukturen auseinandersetzt, sehen wir eine kritische Betrachtung der eigenen Positioniertheit

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 als zentralen Bestandteil. Dabei ist es essenziell anzuerkennen, selbst Teil der rassistischen und diskriminierenden Strukturen zu sein, die in unserer Gesellschaft permanent wirksam sind. Deshalb ist uns bewusst, dass wir selbst, auch wenn wir dieses Buch schreiben, uns in einem andauernden Lernprozess befinden, der weder linear verläuft, noch jemals abgeschlossen sein kann. In der kritischen Auseinandersetzung ist es für uns wichtig, nicht von individueller Schuld zu sprechen, da wir sonst die strukturelle Wirkmächtigkeit verleugnen würden. Vielmehr geht es uns um die Übernahme von Verantwortung, die wir im Kontext von Rassismus deutlich bei

weißen

 Menschen verorten. Darin sehen wir die unbedingte Notwendigkeit, dass sich

weiße

 Personen ernsthaft mit ihrer Positioniertheit und ihren Privilegien auseinandersetzen und diese dazu nutzen, die rassistische Machtstruktur aufzuzeigen und letztendlich aufzubrechen. Aus diesem Grund wollen wir die Privilegien, die wir unter anderem durch unser eigenes

Weißsein

 haben, dazu verwenden, das Thema Rassismus im Kontext Systemischer Beratung sichtbar(er) zu machen und dabei den Fokus auf die eigenen Verstrickungen zu legen. Hierbei betrachten wir die Perspektiven von Expert*innen of Color und Schwarzen Expert*innen als grundlegendes Element der Auseinandersetzung. Daher freuen wir uns sehr, dass sich drei Expertinnen zu einem Interview für unser Buch bereit erklärt haben. Nichtsdestotrotz sind wir uns bewusst, dass aufgrund unserer

weißen

 Perspektiven an vielen Stellen im Buch ein »Sprechen über« stattfindet.

 



Neben der Homogenität im eigenen

Weißsein

 verfügen wir als Autor*innenteam über weitere Merkmale und Hintergründe, durch die wir uns unterscheiden und die relevant im Kontext gesellschaftlicher Machtstrukturen sind: vom Geschlecht über verschiedene soziale sowie familiäre Hintergründe und unterschiedliche Arbeitsverhältnisse bis hin zu Alter und Migrationsgeschichte, die jedoch nicht mit Rassismuserfahrungen einhergeht. Für uns ist es an dieser Stelle sehr wichtig zu betonen, dass wir als

weiße

 Personen aufgrund all dieser Merkmale unsere Privilegien im Kontext von Rassismus nicht verlieren. Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass die Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien von starker innerer Abwehr begleitet sein kann und es gerade deswegen eine tiefgreifende sowie kritische Betrachtung der eigenen Biografie und der eigenen Wissensbestände erfordert und – um es erneut zu betonen – der Prozess dabei niemals abgeschlossen sein kann.








2.2





Weißsein









»Mir wurde beigebracht, Rassismus nur in einzelnen Handlungen der Gemeinheit zu sehen, nicht in unsichtbaren Systemen, die meiner Gruppe Dominanz verleihen.«




6





Peggy McIntosh



In der kritischen Auseinandersetzung mit Rassismus ist es wichtig, auch einen Begriff für die Menschen zu bilden, die von Rassismus profitieren. Denn wenn diese ohne Bezeichnung bleiben, kann das dazu beitragen, dass von

Weißsein

 als selbstverständlicher Norm ausgegangen wird.

Weiße

 Menschen als solche zu benennen, ist daher ein relevanter Schritt, um rassistische Machtstrukturen zu beleuchten.



Das Antidiskriminierungsbüro Köln (Öffentlichkeit gegen Gewalt e. V.) definiert

Weißsein

 wie folgt:



»Als

weiß

 in diesem Land gelten Menschen, deren Zugehörigkeit zu Deutschland nicht in Frage gestellt wird und die nicht negativ von Rassismus betroffen sind. Es wird kursiv geschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein Konstrukt und nicht um eine reale Hautfarbe handelt« (ADB Köln 2017, S. 5).



Interessant im Zusammenhang mit

Weißsein

 ist die Tatsache, dass die meisten

weißen

 Personen überhaupt kein Bewusstsein von ihrem

Weißsein

 und dessen Auswirkungen haben (ebd.). Denn sie haben das enorme Privileg, sich nicht mit Rassismus auseinandersetzen zu müssen, da sie nicht durch selbigen diskriminiert werden, sondern durch ihn profitieren. Sich selbst nicht im Kontext von Rassismus zu verorten und die eigene Positioniertheit nicht reflektieren zu müssen, ist nur eins von zahlreichen Privilegien. Weitere Privilegien sind zum Beispiel: Wenn

weiße

 Personen eine Wohnung oder einen Arbeitsplatz suchen, stellt

Weißsein

 kein Hindernis dar (siehe

Kap. 4.4.1

); wenn die Polizei

weiße

 Personen kontrolliert, können diese sich sicher sein, dass ihre Hautfarbe nicht der Grund dafür ist;

weißen

 Personen wird nicht akut bewusst gemacht, dass ihre Form, ihr Verhalten oder ihr Körpergeruch auf alle Menschen zurückfallen wird, die auch

weiß

 sind (vgl. McIntosh 1989, S. 10).



Weiße

 Privilegien müssen auch auf den Kontext rassistischer Gewalt bezogen werden, konkret beispielsweise auf die Situation nach dem rassistischen Terroranschlag in Hanau am 19. Februar 2020. Denn auch hier wird deutlich, dass

weiße

 Personen sich nicht mit der dauerhaften Angst und dem Schrecken auseinandersetzen müssen. Denn für sie selbst besteht nicht die akute Gefahr und auch nicht die permanente Sorge um das eigene Leben und um das Leben der eigenen Community (vgl. Agar u. Kalarickal 2020).



Weiße

 Personen profitieren von rassistischen Machtstrukturen, ob nun bewusst oder unbewusst. Denn diese wirken allgegenwärtig (vgl. Yeboah 2017, S. 154 ff.).

Weißsein

 ist somit eine Machtposition, die nicht abgelegt werden kann, auch wenn

weiße

 Personen zum Beispiel von anderen Diskriminierungsformen betroffen sind:



»Durch Weißsein ist man privilegiert. Natürlich werden Positionen in gesellschaftlichen Ordnungen nicht allein durch Weißsein geprägt. Geschlecht, Klasse, Gesundheit usw. schaffen ebenfalls Machtstrukturen. Dass Weiße etwa arm oder reich, gesund oder beeinträchtigt, jung oder alt sein können, bedeutet nicht, dass manche von ihnen die Privilegien des Weißseins verlieren würden. Auch wenn Weißsein damit dynamisch und flexibel ist, bedeutet das jedoch nicht, dass es individuellen Spielräumen obliegt, das eigene Weißsein abzulegen. Als systemische Position ist Weißsein keine Weltanschauung, sondern eine Machtposition und als solche ein kollektives Erbe des Rassismus und auch am Werk, wenn Weiße es nicht bemerken (wollen)« (Arndt 2017, S. 43).



Aktuell erfolgt nur sehr vereinzelt eine kritische Beschäftigung mit dem eigenen

Weißsein

 und der damit verbundenen Anerkennung rassistischer Machtstrukturen. Eine solche Auseinandersetzung in ihrer gesamtgesellschaftlichen Breite ist in Deutschland längst überfällig. Wenn Forschung in diesem Bereich getätigt wird, erscheint es wichtig, auch diese kritisch zu diskutieren. Denn es ist fragwürdig, wenn in Teilen der kritischen

Weißseins-

Forschung wieder ausschließlich

weiße

 Personen, deren Umgang mit der eigenen Positioniertheit und deren »Leid« im Fokus der Betrachtung stehen. Bei einer solchen Fokussierung besteht die große Gefahr, die

weiße

 Vorherrschaft wieder zu reproduzieren und

weiße

 Personen erneut in die relevanteste Position zu rücken. Wenn die kritische

Weißseinsforschung

 dagegen versucht,

Weißsein

 zunächst sichtbar zu machen und anschließend als zentrale normstiftende Position aufzuheben, dann kann sie als Herrschaftskritik anerkannt werden (vgl. Stark u. Noack 2017, S. 896; Yeboah 2017, S. 156 f.; El-Tayeb 2017, S. 8 ff.).



In der Auseinandersetzung mit Rassismus,

Weißsein

 und Privilegien betont Arndt (2017, S. 43), dass es dabei nicht um »Schuldzuschreibungen« geht, sondern um die Anerkennung von Rassismus »als ein komplexes Netzwerk an Strukturen und Wissen«, das weltweit prägend für Sozialisation und kontinuierliche Reproduktion wirkt. Somit



»ist das Nicht-Wahrnehmen von Rassismus ein aktiver Prozess des Verleugnens, der durch das weiße Privileg, sich mit Rassismus nicht auseinandersetzen zu müssen, gleichermaßen ermöglicht wie abgesichert wird« (ebd., S. 43).



Wenn es doch zu einer Auseinandersetzung mit diesen Privilegien kommt, führt dies zunächst meist zu einer starken Abwehr. Jedoch werden auch andere Reaktionen beschrieben, die häufig abhängig von der Phase der Reflexion der eigenen Positioniertheit in der rassistischen Machtstruktur sind. Diese Reaktionen reichen von der Unterstellung einer Übertreibung über das Bedürfnis, eine Ausnahme sein zu wollen, über Scham und Schuldgefühle bis hin zu einer Anerkennung, dass Rassismus als Machtverhältnis existiert (vgl. Ogette 2019, S. 23 ff.). Ein Nicht-Wahrnehmen(-Wollen) von Rassismus und der eigenen Privilegien findet auch häufig in vermeintlich positiven Aussagen

weißer

 Personen Ausdruck wie: »Ich sehe keine Unterschiede!«, oder: »Wir sind doch alle gleich!« Diese Aussagen werden vor allem dann getätigt, wenn

weiße

 Menschen auf Rassismus und/oder explizit auf ihre Privilegien angesprochen werden (Hasters 2020). Auch diese Form des Umgangs mit Rassismus stellt sowohl eine Verleugnung rassistischer Machtstrukturen als auch eine Abwehrstrategie dar, um sich nicht mit Rassismus beschäftigen zu müssen. Dies verhindert Prozesse der (Selbst-)Reflexion und kann zu Verletzungen bei Menschen führen, die durch Rassismus diskriminiert werden, indem ihnen dadurch, von privilegierter Position aus, die alltäglichen Erfahrungen abgesprochen werden.



Vor dem Hintergrund der Verleugnung rassistischer Machtverhältnisse und abwehrender Reaktionen steht der Begriff der »white fragility« oder »

weißen

 Zerbrechlichkeit«, mit dem



»die von Unsicherheit begleitete Interaktion von weißen Menschen in einer diversen Gesellschaft , in der immer häufiger von diskriminierten Minderheiten eine strukturelle Kritik an weißen Privilegien formuliert wird« (Amjahid 2021, S. 16).



Das allgemeine Sprechen über

Weißsein, weiße

 Strukturen oder

weiße

 Privilegien ist für viele

weiße

 Personen unangenehm, weil sie es nicht gewohnt sind, als Gruppe benannt, beschrieben, bewertet und kritisiert zu werden, unabhängig davon, wie behutsam, »sachlich« und auch losgelöst vom konkreten Gegenüber die Kritik formuliert wird (ebd., S. 17). Im Sinne der Verantwortungsübernahme für das eigene Handeln in gesellschaftlichen Machtverhältnissen ist es notwendig, sich der eigenen Abwehrreflexe und Zerbrechlichkeiten immer wieder aufs Neue bewusst zu werden (siehe

Kap 7.1

). Dies gilt umso mehr, wenn ich in professionellen Kontexten Verantwortung trage, so auch in und für Beratungssettings.








2.3 Selbstbezeichnungen







»Der Verzicht auf rassistische Sprache ist nicht gleichbedeutend mit dem Verschwinden von Rassismus. Er birgt gar das Problem, ihn schwerer fassen zu können. Doch dort, wo er wissentlich und achtungsvoll geschieht, ist er ein Ausdruck von Problembewusstsein.«





Sami Omar (2019, S. 7)



Blicken wir auf gesellschaftliche Machtverhältnisse, kommt Sprache eine wichtige Bedeutung zu. Denn sie reproduziert und schafft Wirklichkeiten, die wiederum Machtverhältnisse aufrechterhalten (vgl. Arndt 2004, S. 1).



So nimmt Sprache auch im Zusammenhang mit Rassismus eine ausschlaggebende Rolle ein. Denn viele der Wörter, die noch heute tagtäglich genutzt werden, sind Begriffe, die in der Kolonialzeit entstanden sind und mit der Absicht gewählt wurden, das Konstrukt der

Anderen

 aufrechtzuerhalten (siehe

Kap. 4.5

). Zudem spiegeln viele von ihnen die Legitimation der kolonialen Unterdrückung wider. Die Nutzung dieser Begriffe löst abwertende Bilder und Vorstellungen aus, die ebenfalls wieder dazu beitragen, Machtverhältnisse und Diskriminierungen aufrechtzuerhalten (vgl. Ogette 2019, S. 74). Entsprechende Begriffe werden hier im Folgenden nicht benannt, um nicht zu einer weiteren Reproduktion von rassistischer und gewaltausübender Sprache beizutragen. Wichtig ist zu betonen, dass es sich bei all diesen Begriffen ursprünglich um Fremdbezeichnungen handelt, also um Benennungen, die Menschen zugewiesen wurden und keinesfalls selbst gewählt sind. Manche dieser Wörter haben sich betroffene Personen im Nachhinein angeeignet und werden somit als Selbstbezeichnungen benutzt. Dabei ist das Verständnis darüber enorm wichtig, dass diese Selbstnutzung keine Legitimation für

weiße

 Personen darstellt, diese Wörter auch zu verwenden.



In diesem Zusammenhang soll auch kurz auf die Fragwürdigkeit des Begriffs des sogenannten Migrationshintergrundes eingegangen werden. Nach der Definition des Statistischen Bundesamtes hat eine Person einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsbürgerschaft geboren wurde (vgl. Destatis 2020). Der Begriff beinhaltet eindeutig eine Zuschreibung, die nicht durch betroffene Personen selbst definiert ist. Darüber hinaus wird dieser Begriff meist generalisierend angewendet, auch auf Personen, deren Familien schon seit vielen Generationen in Deutschland leben und somit offiziell gar keinen Migrationshintergrund haben. Zudem kann herausgestellt werden, dass sich der Begriff des Migrationshintergrundes meist auf Personen bezieht, die nicht

weiß

 sind. Daher kann davon ausgegangen werden, dass meist Personen gemeint sind, die durch Rassismus diskriminiert werden, wenn von Migrationshintergrund gesprochen wird und zudem ein positives Selbstbild von sogenannten »Menschen ohne Migrationshintergrund«, also

weißen

 Menschen, als »die Norm« aufrechterhalten wird. Dieser Begriff ist darüber hinaus zumeist mit Assoziationen von »Andersartigkeit« und negativen Zuschreibungen verknüpft (vgl. Özdemir 2018). Es wird also deutlich, dass der sogenannte Migrationshintergrund mit der Zeit und in Bezug auf die jeweilige Generation formal aufhört zu existieren, dies jedoch bei gleichzeitiger Kontinuität möglicher Diskriminierungserfahrungen. Auch ist es offensichtlich, dass nicht jeder sogenannte Migrationshintergrund als solcher bezeichnet wird und mit negativen Zuschreibungen assoziiert wird. Dabei wird in der Regel nicht an

weiße

 US-Amerikaner*innen,

weiße

 Engländer*innen oder

weiße

 Schwed*innen gedacht. Hieraus folgt, dass es in den seltensten Fällen sinnvoll ist, über sogenannte »Menschen mit Migrationshintergrund« zu sprechen und diese binär von »Menschen ohne Migrationshintergrund« zu unterscheiden.

 



Durch die im Folgenden beschriebenen Selbstbezeichnungen wird deutlich, dass es sich hierbei nicht um die Beschreibung der konkreten Hautfarbe handelt. Selbstbezeichnungen von Menschen, die durch Rassismus diskriminiert werden, sind zum Beispiel Schwarze Menschen, People of Color oder Bi_PoC. Schwarz wird in diesem Kontext mit einem großen »S« geschrieben, da es sich hier nicht um körperlich sichtbare Merkmale, sondern um eine politische Selbstbezeichnung von Menschen handelt, die durch Rassismus diskriminiert werden. Somit wird durch den Begriff auf soziale Gemeinsamkeiten, ähnliche Lebensrealitäten, aber auch auf Widerstandserfahrung hingewiesen (vgl. Lauré al-Samarai 2015, S. 611 ff.). Menschen, die durch Rassismus diskriminiert werden, haben diesen Begriff somit auch gewählt, um eine Solidarität im gemeinsamen Kampf auszudrücken. Der Begriff People of Color – häufig abgekürzt als PoC – steht heute für viele in Verbindung mit der Black Power-Bewegung in den 1960er-Jahren.

7

 Die Bezeichnung ist ebenfalls ein selbst gewählter und politischer Begriff, der die Erfahrungsgemeinsamkeiten zwischen Communitys mit unterschiedlichen historischen Hintergründen einschließt, die alle durch

weiße

 Dominanz rassistisch diskriminiert wurden und weiterhin werden (vgl. Ogette 2019, S. 77).



Mit Bi_PoC (Black, indiginous People_and People of Color) werden zusätzlich explizit indigene Menschen mit einbezogen. Mit der Bezeichnung indigen – zu der unterschiedliche Positionen existieren, ob es sich dabei um eine Selbstbezeichnung handelt (deswegen hier kleingeschrieben; vgl. den Blog »Wir muessten mal reden«, dementgegen Migrationsrat Berlin e. V. 2020) –, soll speziell auf die Erfahrung hingewiesen werden, »durch einen rassistischen, also kolonialen Raub von Land verdrängt und deswegen bis heute unterdrückt zu werden« (ebd. 2020).



Im Kontext der Erläuterung solcher Begrifflichkeiten wird von

weiß

 positionierten Menschen häufig der Vorwurf erhoben, mit dem Verweis auf Selbstbezeichnungen Sprechverbote auferlegen zu wollen. Auch dieser Vorwurf kann zumeist auf Abwehrverhalten zurückgeführt werden. Wir möchten daher betonen, dass es sich hier nicht um ein Verbot handelt, sondern um die Aufklärung darüber, dass die Nutzung vieler Bezeichnungen die Ausübung von Gewalt bedeutet, hier nicht konkret physischer Art. Wenn Menschen diese Wörter nun weiterhin benutzen, obwohl sie darauf hingewiesen wurden, dass sie Menschen damit verletzen, Gewalt reproduzieren und ausüben, dann tun sie dies wissentlich (vgl. Ogette 2019, S. 79).



5

Hier wird explizit der Begriff Positioniertheit verwendet, da es sich nicht um persönliche Einstellungen, Positionen oder eine selbst gewählte Positionierung handelt, sondern um die Wahrnehmung der eigenen Person von außen, vermeintlicher Zugehörigkeiten und entsprechend zugeschriebener Stellung in der Gesellschaft.



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Verfügbar unter

http://sanczny.blogsport.eu/2012/10/01/white-privilege-den-unsichtbaren-rucksack-auspacken