Recht für Radfahrer

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Kinder als Radfahrer

Kinder bis zum vollendeten achten Lebensjahr müssen, ältere Kinder bis zum vollendeten 10. Lebensjahr dürfen mit Fahrrädern Gehwege benutzen. Auf Fußgänger ist besondere Rücksicht zu nehmen. Beim Überqueren einer Fahrbahn müssen die Kinder absteigen. Die Regelung über das Radfahren der Kinder auf dem Gehweg ist nicht unproblematisch für andere Verkehrsteilnehmer, weil zwecks Kinderschutzes ältere und gebrechliche Fußgänger ihres letzten Refugiums im Verkehrsraum beraubt und unter Umständen erheblich gefährdet werden (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, München 2013, § 2 StVO, Rz. 29b; siehe auch Konrad Händel in DAR 1985, 210 (211) und Heinrich Jagusch, Straßenverkehrsrecht, 25. Auflage, München1980, VI). In der Rechtswissenschaft wurde die bis 1997 geltende Begrenzung auf 8 Jahre auch für wichtig gehalten, weil in diesem Alter aufgrund des Wachstums der Kinder die Möglichkeit zur Benutzung typischer Kinderfahrräder regelmäßig ende und eine gewisse Verkehrserfahrung erwartet werden könne (Günter Kuckuk / Karl J. Werny, Straßenverkehrsrecht, 8. Aufl. Münster 1996, § 2 StVO, Rz. 49-50). Rechnung getragen wird mit der Kinderregelung in erster Linie dem immer dichter werdenden Kfz-Verkehr. Radfahren im heutigen Verkehr ist längst nicht mehr das bloße Beherrschen des Fahrrades mit Gleichgewicht, Pedal- und Bremsbedienung. Der dichte Kfz-Verkehr bildet vielmehr mittlerweile vielerorts eine derart komplexe Aufgabe für Sensorium, Motorik und Regelgewandtheit, dass Kinder auch jenseits des achten Lebensjahres ihm nicht ─ mehr ─ ohne weiteres gewachsen sind. Die Vorschrift schützt daher nur vordergründig die radfahrenden Kinder vor Unfällen, vornehmlich aber den Kfz-Verkehr davor, sich kindgerecht verhalten zu müssen. Rechtspolitisch ist die Vorschrift verfehlt, weil sie sich dem Symptom widmet statt der Ursache und weil sie das Radfahren-Lernen und -Lehren erschwert (Frank Pardey, Schadensersatz bei Unfällen mit Minderjährigen, München 2003, Rz. 250, 316).

Dem Wortlaut nach gilt die Pflicht zur Gehwegbenutzung für radfahrende kleine Kinder und das Recht für acht- und neunjährige Kinder auch bei sehr schmalen Gehwegen. Das gefährdet die Fußgänger ganz besonders. Aufgrund einer sinnvollen, an den Verkehrsbedürfnissen orientierten Auslegung wird man aber davon ausgehen können, dass Kinder entgegen dem Wortlaut in Begleitung Erwachsener generell auf der Fahrbahn fahren dürfen (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, München 2013, § 2 StVO, Rz. 29a).

Auch die Gehwegbenutzungspflicht für radfahrende Kinder bezieht sich nur auf zum Radfahren zumutbare Gehwege. Ist der Gehweg etwa nicht von Schnee oder Eis geräumt, womöglich gar mit Schneebergen zugeräumt, dürfen auch Kinder sowohl den Radweg als auch die Fahrbahn benutzen. Wenn und soweit kein breiterer Streifen geräumt und abgestumpft ist, als für zwei Fußgänger nebeneinander nötig, braucht das Kind nicht auf dem Gehweg Rad zu fahren. Denn die Vorschrift will das besonders gefährdete Kind schützen, bei Schnee und Winter glätte sind Fahrräder aber besonders instabil. Ein gefährliches Herumeiern auf dem Gehweg wird von den Kindern nicht verlangt. Das Radfahren auf dem Gehweg kann in solchen Fällen sogar missbräuchlich sein (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, München 2013, § 2 StVO, Rz. 29a). Auch, wenn die Gehwegbreite nicht für ein sicheres Fahren ausreicht, besteht keine Benutzungspflicht für die radfahrenden Kinder.

Nach dem vollendeten 10. Lebensjahr dürfen Kinder den Gehweg nicht mehr mit Fahrrädern befahren. Sie müssen die Fahrbahn oder den Radweg benutzen. Eltern und andere Aufsichtspflichtige, die solche Kinder zum Befahren von Gehwegen ermuntern oder veranlassen, sind an der Ordnungswidrigkeit beteiligt (§ 14 OWiG) und können zivilrechtlich für den Schaden haften (vgl. OLG Düsseldorf, MDR 1975, 580). Im Gegenteil haben Aufsichtspflichtige die Kinder entsprechend zu belehren.

In Verkehrsberuhigten Bereichen mit dem Zeichen 325 („ Spielstraßen“) ist auch das spielerische Herumfahren mit Kinderfahrrädern erlaubt. Das gilt für die gesamte Breite der Straße. Der Fahrzeugverkehr und damit auch Radfahrer müssen zurückstehen. Innerhalb solcher Zonen wird daher den Aufsichtspflichtigen eine wesentlich geringere Überwachung abverlangt als in anderen Verkehrsräumen (OLG Hamm, MDR 2000, 1373, AG Mönchengladbach-Reydt, NZV 2012, 387). Unter bestimmten Bedingungen gilt das auch in einer wenig befahrenen Anliegerstraße (OLG Hamm, MDR 2000, 454).

Benutzen Kinder Kinderfahrräder (das sind nach einer Verwaltungsvorschrift zu § 24 StVO und nach der Rechtsprechung solche, die üblicherweise zum spielerischen Umherfahren im Vorschulalter verwendet werden; AG Hanau, NJW-RR 1997, 1049), unterliegen sie den Regeln für Fußgänger, denn solche Räder gelten nicht als Fahrzeuge im Sinne der Straßenverkehrsordnung. Die Grenze wird da zu sehen sein, wo das Rad zur Fortbewegung im eigentlichen Sinne geeignet ist (keine Stützräder vorhanden, aber Bremsen). Die „Spielfahrräder“ dürfen auf dem Gehweg nur langsam und ohne Gefährdung anderer benutzt werden (OLG München, VerkMitt 1977, 38).

Benutzen Kinder Trailer-Bikes, so unterliegt das gesamte Gespann den Fahrregeln für erwachsene Radfahrer (Trailer-Bike, Mitfahranhänger oder Anhängefahrrad nennen sich Räder für Kinder, die aus einem vollständigen Rahmen, Hinterrad und Treteinrichtung bestehen, denen aber das Vorderrad und die Gabel fehlen oder angehoben wird und die mit einer Gelenkkupplung an ein Erwachsenenrad angehängt werden). Denn Grund der besonderen Vorschriften für Kinder als Radfahrer ist deren unsicheres Fahrverhalten; daran fehlt es jedoch, wenn der erwachsene Radfahrer in dem Gespann das gesamte Fahrverhalten vorgibt, das Kind nur mittritt.

❑ Geschwindigkeit (§ 3 StVO)

Fahrradfahrer dürfen wie andere Fahrzeugführer auch nur so schnell fahren, dass sie ihr Fahrzeug beherrschen. Sie haben ihre Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie den eigenen Fähigkeiten anzupassen.

Gegenüber Kindern, Hilfsbedürftigen und älteren Menschen müssen sie sich wie alle Fahrzeugführer so verhalten, dass eine Gefährdung ausgeschlossen istinsbesondere durch Verminderung der Geschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft (§ 3 Abs. 2a StVO). So darf ein Fahrzeugführer etwa grundsätzlich nicht darauf vertrauen, dass ein Kind anhalten wird, wenn es mit einem Fahrrad auf die Fahrbahn zufährt und nicht eindeutig erkennen lässt, dass es rechtzeitig abbremsen werde (BGH, VerkMitt 1997, 81). Wer als Kraftfahrer auf eine Gruppe von drei Kinder zufährt, von denen eins schon die Fahrbahn gequert hat und eins am Fahrbahnrand wartet, darf nicht darauf vertrauen, dass das dritte ebenfalls am Fahrbahnrand warten wird (LG Bonn, NZV 1991, 74). Muss ein sechsjähriges, radfahrendes Kind auf dem Gehweg einer insgesamt lediglich 6 m breiten innerörtlichen Straße eine Verengung auf maximal 75 cm passieren, muss der darauf zu kommende Kfz-Fahrer die Gefährdung des Kindes ausschließen (OLG Hamm, NZV 1991, 152). Fährt ein Kind als Geisterfahrer auf der linken Fahrbahnseite, muss der darauf zu kommende Kraftfahrer damit rechnen, dass das Kind sich auf seine Pflichten besinnen und deshalb versuchen werde, auf die rechte Fahrbahnseite zu gelangen (BayObLG, VRS 67, 136).

Allerdings muss das Kind oder der Hilfsbedürftige als solcher sichtbar und die Situation erkennbar gewesen sein, damit die Schutzvorschrift greift (OLG Hamm, NZV 1991, 69; OLG Köln, VRS 99, 322). So muss man etwa als Fahrzeugführer nach ständiger Rechtsprechung nicht damit rechnen, dass ein Kind hinter einem parkenden Fahrzeug hervorkommt, es sei denn, es liegen konkrete Anhaltspunkte dafür vor. Liegen keine Auffälligkeiten vor, darf ein Fahrzeugführer auch darauf vertrauen, dass ein auf dem Gehweg radelndes achtjähriges Kind nicht plötzlich von dort auf die Fahrbahn gerät (BGH, NJW 2001, 152). Auch muss ein Überholender nicht damit rechnen, dass ein zunächst unauffällig fahrendes Kind plötzlich nach links abbiegt (LG Stuttgart, VersR 1978, 1151 für zwei jugendliche Radfahrerinnen; BayOblG, NJW 1982, 346 für ein neunjähriges Kind). Gleiches gilt in Bezug auf erwachsene Radfahrer, die plötzlich vom rechten Gehweg quer über die Fahrbahn nach links abbiegen wollen (BGH, VersR 1963, 438).

Die allgemeine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften gilt nicht für Radfahrer. Gleiches gilt für die Höchstgeschwindigkeit außerorts. Praktisch werden dürfte aber nur die erstgenannte Regelung, nach der Radfahrer innerorts grundsätzlich schneller als 50 km/h fahren dürfen. Eine durch Verkehrszeichen angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung gilt allerdings auch für Radfahrer. Das gilt auch in Tempo-30-Zonen und in Verkehrsberuhigten Bereichen mit dem Zeichen 325 („ Spielstraßen“). In letzteren darf auch der Radfahrer nur Schrittgeschwindigkeit fahren (OLG Hamm, NZV 1997, 230; OLG Hamm, DAR 2001, 458).

Auch aus § 1 StVO (ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht) kann sich eine Geschwindigkeitsbegrenzung ergeben. Auch Radfahrer dürfen nicht unangemessen schnell fahren (OLG Oldenburg, MDR 1957, 547), zumindest ergibt sich daraus eine erhöhte Aufmerksamkeitspflicht. Und auch die Geschwindigkeitsregeln des § 3 Abs. 1 StVO (Anpassung der Geschwindigkeit an Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnisse und Sichtfahrgebot) gelten für Radfahrer (OLG Hamm, NZV 1992, 445). Auf einem getrennten Rad- und Fußweg mit Zeichen 241 sind 15 km/h nicht zu schnell, selbst wenn der Gehweg nur schmal ist und auf der anderen Seite der Wartebereich einer Bushaltestelle und auf beiden Seiten Fußgänger stehen, wenn trotzdem eine „gefahrenneutrale“ Situation vorliegt (OLG Düsseldorf, NZV 2007, 614). Ergibt sich jedoch aus Besonderheiten, dass der Radfahrer nun nicht mehr darauf vertrauen darf, dass die Fußgänger seinen Weg achten, muss er seine Fahrt in einer solchen Situation auf unter 15 km/h verlangsamen (BGH, NZV 2009, 177).

 

Jedoch versuchen einige Gerichte mit abenteuerlicher Begründung und ohne gesetzliche Grundlage, Geschwindigkeitslimits für Radfahrer zu erfinden. Sie müssten insbesondere, weil sie optisch und akustisch schlechter wahrnehmbar sind als Kraftfahrer, eine Geschwindigkeit einhalten, die Andere von einem Radfahrer erwarten, meint etwa das OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe, VRS 78, 329). Die Begründung des Gerichts für diese Auffassung ist geradezu perfide: Nur lärmende (also Kraft-) Fahrzeuge dürfen danach schneller fahren. Das Zuschnellfahren des Radfahrers kann auch seine Haftungsquote bei einem Unfall verschlechtern. Wesentlich zu weit geht aber eine Entscheidung des KG (KG, VerkMitt 1984, 94), wonach ein Radfahrer auf einem innerstädtischen 2,30 m breiten Radweg nicht mit einer Geschwindigkeit von 25-30 km/h fahren dürfen soll, nur weil die Sicht zur Fahrbahn hin durch parkende Autos beschränkt ist. Stellte man für eine solche Situation die umgekehrte Forderung auf, dass nämlich die Kraftfahrer hier nur weniger als 25 km/h fahren dürfen, würde der Unsinn der Entscheidung deutlich und vor allem, dass sie im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des BGH steht, dass Fahrzeugführer die jeweils für sie nach StVO geltende zulässige Höchstgeschwindigkeit auch ausschöpfen dürfen (BGH, NJW 2002, 2324): Gefahr droht neben Parkstreifen an Kreuzungen, Einmündungen und durch querende Fußgänger, und für die gibt es eindeutige Vorfahrtregeln, die dem Vorfahrtberechtigten keine generelle niedrige Geschwindigkeit abverlangen (BGH NJW 2002, 2324). Nach dieser Rechtsprechung ist ohne ein Tempo-limitierendes Verkehrszeichen eine Geschwindigkeitsreduzierung nicht geboten, wenn sie nicht durch konkrete örtliche Gefahrenmomente veranlasst ist. Nach dem Sichtfahrgebot ist danach eine Herabsetzung der Fahrgeschwindigkeit nur dann geboten, wenn der Fahrer den Verkehrsablauf nicht vollständig überblicken und deshalb auftretende Hindernisse und Gefahren nicht so rechtzeitig bemerken kann, dass er ihnen mit Sicherheit begegnen kann. Dabei bezieht sich der Begriff der Unübersichtlichkeit ausdrücklich nur auf die Fahrbahn, so dass eine Straßenstelle nicht schon dann unübersichtlich wird, wenn der Verkehrsablauf in der seitlichen Umgebung der Straße nicht voll zu überblicken ist (ständige Rechtsprechung des BGH: BGH, NJW 2002, 2324; a.A.: LG Heidelberg, ZfS 2004, 257 für einen Radweg, der hinter einem Bushaltestellen-Wartehäuschen verlief und OLG Celle, NZV 2003, 179, wonach man selbst auf einem Radweg von 4,20 m Breite nicht mit 25 km/h Rad fahren darf, wenn es gelegentlich Kurven, Hecken neben dem Radweg und Einmündungen gibt).

Nach der Rechtsprechung ist allerdings der Fahrer eines Rennrades, der auf gewöhnlicher Straße mit zügiger Geschwindigkeit fährt, in besonderem Maße zu erhöhter Aufmerksamkeit verpflichtet (OLG Düsseldorf, VersR 1993, 1125; OLG Düsseldorf, VersR 1996, 1038; OLG Braunschweig, NVwZ-RR 2003, 755). Während eines Wein festes mit regem Publikumsverkehr ist eine Geschwindigkeit des Triathleten von 30-35 km/h und weitere Beschleunigung jedenfalls dann nicht mehr angepasst und rücksichtsvoll, wenn schon eine Passantin auf die Straße getreten war und andere Radfahrer deswegen sogar schon gebremst hatten (BGH, NJW 1994, 851). Und wer nachts im Dunkeln auf einer Außerorts-Straße ohne Laternen oder sonstige Fremdbeleuchtung mit seinem Fahrradlicht nur ca. 4 m weit sehen kann, darf jedenfalls dann nicht mit 20-25 km/h Rennrad fahren, wenn es sich um einen gemeinsamen Fuß- und Radweg mit Zeichen 240 handelt (OLG Nürnberg, NZV 2004, 358). Fußgänger auf solchen Wegen müssen nachts auch keine Reflexstreifen an der Kleidung tragen (LG Hannover, NZV 2006, 418).

❑ Abstand (§ 4 StVO)

Der Abstand von einem vorausfahrenden Fahrzeug muss in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter ihm gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird. Diese Vorschrift gilt auch für Radfahrer, und zwar nicht nur zu vorausfahrenden Kfz, sondern auch zu anderen vorausfahrenden Radfahrern (OLG Hamm, VersR 2001, 1257; OLG Koblenz, MDR 2013, 335). Der Vorausfahrende darf allerdings nicht ohne zwingenden Grund stark bremsen.

Etwas andere Regeln gelten möglicherweise bei organisierten Radsportfahrten: Insbesondere das Windschattenfahren birgt Risiken, die mit den Abstandsregeln der StVO (und denen über Umschau und Handzeichen) eigentlich vermieden werden sollen. Der Teilnehmer an einer im Rahmen des Breitensports organisierten Radwanderung verhält sich jedoch nach Ansicht des OLG Düsseldorf nicht regelwidrig, wenn er beim Fahren im Pulk vom rechten Fahrbahnrand zur Mitte wechselt, ohne sich zuvor umgeschaut und das Ausscheren durch Handzeichen oder sonst wie angekündigt zu haben (OLG Düsseldorf, NZV 1996, 236). Der im Windschatten fahrende Hintermann muss immer mit leichten Richtungsänderungen der Mitfahrer rechnen (AG Brackenheim, VersR 1990, 1286; OLG Düsseldorf, NZV 1996, 236). Allerdings kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an. Das OLG Zweibrücken hielt in einem Fall 10 cm Abstand beim verabredeten Windschattenfahren für regelgerecht und ausreichend, auf die StVO-Regeln komme es dabei gar nicht an (OLG Zweibrücken, NZV 1994, 480). Findet das Radrennen auf nicht-abgesperrter Strecke statt, muss auch mit Hindernissen wie parkenden Autos gerechnet werden (OLG Frankfurt/Main, NZV 2005, 41). Versäumt der Veranstalter eines Radrennens allerdings, einen auch nur einigermaßen ausreichenden Streckendienst zu organisieren, kann er für den Unfall eines Rennfahrers mit einem die Strecke überquerenden Fußgänger haften (OLG Stuttgart, VersR 1984, 1098). Auch aus der Beschaffenheit der Fahrbahn und der Einrichtungen am Fahrbahnrand kann im Zusammenhang mit Abstandsverstößen und Stürzen der Fahrer eine Haftung des Rennveranstalters resultieren (OLG Karlsruhe, VersR 1986, 662).

❑ Überholen (§ 5 StVO)

Auch die allgemeinen Regeln über das Überholen gelten für Radfahrer. So ist immer links zu überholenauch bei Radfahrern untereinander.

In unklaren Verkehrssituationen ist das Überholen unzulässig. Fährt z.B. ein vorausfahrender Radfahrer auf sehr schlechter Fahrbahn von rechts nach links und dort weiter, darf er nicht überholt werden (BGH, VRS 21, 53). Wenn hinter einem Radfahrer schon ein Kraftfahrer aufgeschlossen hat, ist zu erwarten, dass der zum Überholen ansetzt; ein nachfolgendes, zweites Kfz darf dann nicht beide gleichzeitig überholen, wenn die Fahrbahnbreite nicht ausnahmsweise für beide Kraftfahrzeuge und das Fahrrad und die nötigen Seitenabstände reicht (OLG München, NZV 1993, 232).

Wer zum Überholen ausscheren will, muss sich so verhalten, dass eine Gefährdung der übrigen Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. So muss der Überholende auf die Fahrweise des Eingeholten achten, etwa wenn dieser nach links ausweichen muss (vgl. BGH, VRS 18, 87) oder von einem entgegenkommenden Fahrzeug geblendet und dadurch eventuell unsicher wird (BGH, VersR 1955, 766). Der Überholende muss damit rechnen, dass der Vorausfahrende wegen eines erkennbaren Hindernisses auf dessen Fahrstreifen ausweicht (vgl. OLG Düsseldorf, VRS 63, 339)eine Pflicht, die Kraftfahrer immer wieder missachten, wenn Radfahrer parkende Autos umfahren müssen. Der Überholende muss ferner damit rechnen, dass der Vorausfahrende nach links über die Fahrbahn schwenkt, wenn dort ein linker benutzungspflichtiger Radweg beginnt (LG Nürnberg-Fürth, NZV 1997, 44). Wer als Kraftfahrer auf schmaler Straße radfahrende Kinder überholen will, hat besondere Sorgfaltspflichten (OLG Oldenburg, VerkMitt 1979, 45; OLG Oldenburg, NZV 1994, 111). Ohne gegenteilige Anhaltspunkte darf er aber auf ordnungsgemäßes Fahren selbst einer 7jährigen Radfahrerin vertrauen (BGH, NJW-RR 1987, 1430 (1432)).

Weiterhin ist beim Überholen auf einen ausreichenden Sicherheitsabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern zu achten. Der ausreichende Seiten abstand richtet sich nach der eigenen Fahrzeugart (BGH, VerkMitt 1967, 9 zu einem wuchtigen und großen LKW), der Fahrgeschwindigkeit, den Fahrbahnverhältnissen, dem Wetter und nach der Eigenart des Eingeholten (BayObLG, MDR 1987, 784; KG, VersR 2009, 84). Entscheidend ist der Abstand des Überholers zum Radfahrer und nicht der zum Fahrbahnrand (BGH, VerkMitt 1967, 9). Beim Sicherheitsabstand zu Radfahrern sind weiter zu beachten: die Geschwindigkeitsdifferenz zu dem Vorausfahrenden, die beim Zweiradfahren unvermeidbaren Pendelbewegungen nach den Seiten und das Verkehrsverhalten des Vorausfahrenden (schaut der über die Schulter, ist mit seinem Ausschwenken zu rechnen, ebenso, wenn er ein Kind auf dem Gepäckträger hat). An Steigungen muss der Überholende mit erheblich größeren Schwankungen des Radfahrers nach beiden Seiten rechnen und auch mit einem Absteigen des Radfahrers (OLG Koblenz, VRS 39, 343). Für Radfahrer wichtig ist auch der vom Bundesgerichtshof aufgestellte Grundsatz, dass ein Überholender schon dann schuldhaft handelt, wenn er dem eingeholten Fahrzeug so nahe kommt, dass dessen Fahrer erschreckt und zu einer Fehlreaktion veranlasst wird (BGH, VRS 22, 279; BGH, VerkMitt 1967, 9). Der überholte Radfahrer darf sich also nicht bedroht fühlen oder unsicher werden, sonst ist der Abstand zu gering (BGH, VRS 3, 176; KG, VRS 5, 465; BayObLG, NJW 1955, 1767; BGH, VerkMitt 1967, 9).

Radfahrer brauchen jedenfalls untereinander beim Überholen nicht einen Sicherheitsabstand von 1,50 bis 2 Meter einzuhalten, meint das OLG Frankfurt, wie er beim Überholen von Radfahrern durch Kfz erforderlich sei (OLG Frankfurt/Main, NZV 1990, 188). Auf einem 1,70 m breiten Radweg darf ein Radfahrer jedenfalls dann überholen, wenn er seine Überholabsicht durch Klingeln angezeigt und der Vorausfahrende dies wahrgenommen hat, meint das OLG. Tatsächlich sind die für Kraftfahrzeuge geltenden Grundsätze zum Sicherheitsabstand nicht auf überholende Radfahrer übertragbar, weil sie nicht durch übergroße Masse und Geschwindigkeit gefährden und nicht durch Motorgeräusch und Luftzug beeinträchtigen (vgl. BGH, VerkMitt 1967, 9).

Auch braucht ein auf dem Radweg überholender Radfahrer nicht mit plötzlichem Linksabbiegen oder Linksausschwenken des vorausfahrenden Radfahrers ohne Richtungszeichen zu rechnen (OLG München, VRS 69, 254; OLG Hamm, NZV 1995, 316).

Kraftfahrer unterlassen es häufig, hinter Fußgängern und Fahrradfahrern ihre Fahrgeschwindigkeit auf Schrittgeschwindigkeit oder Radfahrgeschwindigkeit zu ermäßigen, wenn ein Fahrzeug entgegenkommt und der Seitenabstand zu diesem schwächeren Verkehrsteilnehmer nicht ausreicht. Dieser Unsitte soll seit einigen Jahren durch eine besondere Vorschrift (§ 5 Abs. 4 Satz 2 StVO) entgegengewirkt werden, die den ausreichenden Sicherheitsabstand insbesondere zu Fußgängern und Radfahrern einfordert. In der Praxis wird ein Verstoß gegen diese Vorschrift jedoch kaum jemals geahndetebensowenig wie die weiteren zumeist mit diesem Verhalten verwirklichten Delikte ( Nötigung, Straßenverkehrsgefährdung etc.).

Überholt ein Kraftfahrer einen Radfahrer, hat er nach der Rechtsprechung mindestens einen Seitenabstand von 1,50 bis 2 Meter einzuhalten (OLG Saarbrücken, VerkMitt 1980, 79; OLG Hamm, NZV 1991, 466; OLG Hamm, NZV 1995, 27; KG, NZV 2003, 31; OLG Naumburg, VersR 2005, 1601), bei Pendelbewegungen durch Umschauen und Bergauffahrt deutlich mehr (OLG Frankfurt, DAR 1981, 18). Das Ausschwenken von Radfahrern ist auch bei Glätte (KG, VersR 1974, 36) und Eis (OLG Köln, VRS 31, 158), bei Wind (BGH, VRS 4, 565; BGH, VersR 1955, 766; OLG Düsseldorf, NZV 1992, 290), bei Gewitterregen (OLG Neustadt, VRS 15, 129), wenn sie anfahren (vgl. BGH, VRS 27, 196), bei Kindern (OLG Schleswig, VersR 1976, 975; OLG Stuttgart, VersR 1978, 577; OLG Frankfurt, DAR 1981, 18) und Jugendlichen (OLG Saarbrücken, VerkMitt 1980, 79) und allgemein bei erkennbarer Unsicherheit des Radfahrers (BGH, VRS 6, 437) zu berücksichtigen. Auf freier Landstraße und bei einwandfreier Fahrweise reichen etwa 1,90 m Abstand aus (OLG Köln, VRS 26, 356). Bei erkennbarer Unsicherheit des Radfahrers und schwierigen Fahrbahn- oder Witterungsverhältnissen sind 2 m Seitenabstand einzuhalten, oder das Überholen ist zurückzustellen (OLG Schleswig, VerkMitt 1966, 54). Auch darf der zu überholende Radfahrer nicht dazu veranlasst werden, aus Sorge um eine zu enge Begegnung mit dem überholenden Kfz zu weit nach rechts auszuweichen (OLG Hamm, NZV 1989, 270: Sturz auf der Fahrbahnkante). Ein seitlicher Abstand von 2,5 m zum Radfahrer reicht im Regelfall aus (OLG Bamberg, VersR 1986, 791). Nach einer Entscheidung des OLG Saarbrücken (VerkMitt 1971, 93) sind dem Radfahrer jedenfalls 2,20 m Gesamtraum zu belassen, innerhalb dessen er sich bewegen können soll. Nach Entscheidungen des OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe, DAR 1989, 299) und des OLG Naumburg (OLG Naumburg, VersR 2005, 1601) ist ein Seitenabstand von mindestens zwei Metern erforderlich, wenn auf dem Rad ein Kind transportiert wird. Ein Abstand von nur etwa 1,5 m lässt dem überholten Radfahrer nicht den Teil der Fahrbahn, den dieser benötigt und deshalb beanspruchen darf (BGH, VRS 18, 203). Ein seitlicher Abstand von weniger als 50 cm zum Radfahrer (hier: ungefähr 1,80 m von der rechten Bordsteinkante) ist „bei weitem zu knapp“ (BGH, VRS 6, 437). Ein überholwilliger Autofahrer braucht jedoch nicht damit zu rechnen, dass ein Radfahrer plötzlich ohne Richtungszeichen und Umschau auf die linke Fahrspur wechselt (OLG Bamberg, VersR 1986, 791; LG Mühlhausen, NZV 2004, 359) oder unter Nichtbeachtung der Pflichten aus § 9 StVO links abbiegt (OLG Naumburg, VersR 2005, 1601).

 

Den Sicherheitsabstand hat ein Kraftfahrer auch gegenüber einem entgegenkommenden Radfahrer einzuhalten. Der Führer eines Lastzugs handelt verkehrswidrig, wenn er, und sei es auch mit Schrittgeschwindigkeit, ein anderes Fahrzeug überholt oder an einem parkenden Fahrzeug vorbeifährt, obwohl er infolge der Einhaltung eines genügenden Abstands von diesem einem entgegenkommenden Radfahrer einen Zwischenraum von nur 1,15 m zwischen seinem Lastzug und dem Bordstein einräumen kann (BGH, NJW 1957, 1448; ähnlich OLG Neustadt, VRS 5, 428 und BGH, VersR 1955, 764 bei jeweils 1,30 m Zwischenraum und OLG Oldenburg, VkBl 1950, 400 für einen in Zentimetern ungeklärten zu geringen Abstand). Der Abstand muss vielmehr in jedem Falle so groß sein, dass der Radfahrer nicht gefährdet wird oder sich auch nur für gefährdet halten kann und darum unsicher wird (OLG Oldenburg, VkBl 1950, 31; BGH, VersR 1955, 764; BGH, VRS 10, 252). In den vom BGH entschiedenen Fällen war jeweils ein Lastzug weit über die Mitte der Straße gefahren, so dass der entgegenkommende Radfahrer den Eindruck gewinnen musste, als komme der Lastzug auf ihn zu. Der Bundesgerichtshof meint, es habe daher nahegelegen, dass Radfahrer sich unter solchen Umständen bedroht fühlen und unsicher werden. Dass der LKW-Fahrer seine Fahrt trotzdem fortsetzte, sah der BGH als unfallursächlich. Ähnlich urteilte der BGH später in weiteren Fällen (BGH, VRS 18, 203: Überholfall; BGH, NJW 1988, 2802: Begegnungsfall). Unter dem Eindruck von Wucht, Größe und Geschwindigkeit des Kraftfahrzeugs würden Radfahrer unsicher werden, das sei bei der Berechnung des nötigen Seitenabstands zu berücksichtigen. Auch das Kammergericht meint, selbst ein Unsicherwerden des Überholten sei zu vermeiden; neben dem realen Gefahrenmoment sei auch die „psychische Wirkung“ des knappen Überholens auf den Radfahrer bei der Bemessung des notwendigen Seitenabstandes zu beachten (KG, VRS 5, 465). Das OLG Schleswig ließ eine Autofahrerin für einen Radfahrersturz haften, weil sie auf nur 2,5 m breiter Straße mindestens mit der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h durch eine Kurve fuhr, obwohl dem entgegenkommenden Radverkehr dadurch nur ein „Raum von lediglich noch einem Meter“ blieb (OLG Schleswig, SchlAnz 2010, 294); es liege „auf der Hand, dass ein Fahrradfahrer angesichts eines ihm unter diesen Umständen aus einer Kurve entgegenkommenden PKW dessen Herankommen als gefährlich empfindet und ausweicht“. Die Autofahrerin hätte unter diesen Bedingungen entweder die Geschwindigkeit herabsetzen müssen oder auf den Grünstreifen ausweichen müssen: Ihr sei „ein Ausweichen auf den Grünstreifen viel eher zuzumuten, als den dadurch sturzgefährdeten entgegenkommenden Fahrradfahrern“ (OLG Schleswig, SchlAnz 2010, 294). Im Begegnungsverkehr muss ein Autofahrer jedoch nicht damit rechnen, dass ein Radfahrer plötzlich auf die für ihn linke Fahrspur überwechselt (BGH, VersR 1967, 659).

Die Überlegungen zum notwendigen Seitenabstand zum überholten Radfahrer gelten auch für Straßenbahnen (BGH, VRS 34, 412). Und sie gelten auch für den Fall, dass der Radfahrer nicht auf dem Fahrrad gesessen, sondern dieses geschoben hat (BGH, VRS 18, 203).

Auch bei einer durchgehenden Linie (Zeichen 295) oder einer Sperrfläche (Zeichen 298) genießt der Radfahrer einen gewissen Schutz vor Überholmanövern: Solche Zeichen sprechen zwar kein Überholverbot aus, ein Radfahrer darf rechtlich gleichwohl darauf vertrauen, nicht von einem nachfolgenden Kraftfahrer oder Radfahrer überholt zu werden, wenn dies bei dem gebotenen seitlichen Abstand nur durch Inanspruchnahme des abgegrenzten Fahrstreifens oder der Sperrfläche möglich ist (BGH, DAR 1987, 283; OLG Hamm, NZV 1995, 316).

Allerdings genießen Radfahrer auch keine Narrenfreiheit gegenüber überholenden Kraftfahrern: Eine 79jährige Radfahrerin haftete nach einem Urteil des OLG Hamm für den Unfall voll, nachdem sie ohne Handzeichen und ohne Rückschau vom rechten Fahrbahnrand nach links bog und mit einem überholenden Motorrad kollidierte (OLG Hamm, NZV 1991, 466). Ähnlich gilt das auch für Überholmanöver von Radfahrern untereinander (OLG Hamm, NZV 1995, 316).