Recht für Radfahrer

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Wie funktioniert Recht?

Juristische Laien meinen oft, wenn sie eine Gerichtsentscheidung in einer Tageszeitung, einer Zeitschrift oder einem Buch gefunden haben, die dort wiedergegebene Aussage sei „Recht“, „ihr Fall“ müsse genauso entschieden werden. Vor dieser Annahme kann ich nur warnen. Es sei hier deutlich gesagt: Dass eine Frage irgendwann irgendwo mal in einer bestimmten Weise entschieden worden ist, bedeutet nicht, dass der eigene ─ ähnliche ─ Fall genauso entschieden werden muss. Erstens ist das Leben viel zu vielgestaltig, als dass der eigene Fall einem anderen, schon entschiedenen, gleichen könnte. Zweitens sind sich Gerichte durchaus uneinig in der Auslegung von Gesetzenwas sich auch bei guten Gesetzen nicht vermeiden lässt. Wie weit rechts man fahren muss, um dem Rechtsfahrgebot zu genügen: Darauf gibt es keine allgemein gültige und immer richtige Antwort. Urteile ─ auch von Obergerichten ─ bieten also für spätere Fälle nur Argumente, kein bindendes Präjudiz (zu deutsch: Vorentscheidung). Und letztlich erfolgt die Wiedergabe eines Urteils in den nichtjuristischen Medien sehr oft missverständlich oder gar falsch.

Das führt zu der Frage: Wie funktioniert Recht?

Grundlegend ist die Unterscheidung zwischen Normen einerseits und Sachverhalten andererseits.

Normen (Regeln, Vorschriften) sind allgemein gehalten und enthalten u.a. Gebote und Verbote. Sie sind von einem Normgeber im vorhinein für die Zukunft und für eine unbestimmte Vielzahl von Sachverhalten gesetzt (daher auch: „Gesetz“).

Sachverhalte sind hingegen ganz konkret: Das Geschehen, das sich zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort zugetragen hat, bildet einen Sachverhalt.

Normen haben einen Geltungsanspruch; sie sollen auf möglichst jeden Sachverhalt der darin benannten Art angewendet werden. (Rechts-) Normen beinhalten zwar Recht, ohne Rechtsanwendung stehen sie aber „bloß auf dem Papier“. Das bringt Schwierigkeiten mit sich: Hat niemand den Sachverhalt bemerkt, bleibt jede Rechtsanwendung aus. Beispiel: Hat niemand den Rotlichtverstoß nachts um drei Uhr gesehen, wird er nicht geahndet. Hat aber jemand den Sachverhalt bemerkt, muss für diesen konkreten Sachverhalt das Recht noch gefunden werden; hier fängt die eigentliche Rechtsanwendung an. Der Polizist, der Unfallgegner, man selbst und später das Gericht prüfen: Passt die Norm auf den Sachverhalt? Oder umgekehrt: Ist dieser Sachverhalt in der Norm benannt? Bei dieser Prüfung gibt es wiederum zwei Arten von Schwierigkeiten: Erstens die des Beweises; vor Gericht wird sehr oft darum gestritten, ob sich der Sachverhalt wirklich so zugetragen hat, wie die eine Seite behauptet. Ist aber der Sachverhalt unstreitig oder steht er durch gerichtliche Entscheidung fest, gehen die Schwierigkeiten weiter: Gerade weil die Norm sehr allgemein formuliert ist, sind sich z.B. Polizist und Verkehrsteilnehmer uneinig darüber, ob sie auf den Sachverhalt anwendbar ist. Beide Seiten legen die Norm verschieden aus. Zwei Beispiele sollen das verdeutlichen: Eine rote Ampel bedeutet nach § 37 StVO „Halt vor der Kreuzung“. Da Radfahrerampeln zumeist keine Gelbphase haben und nur Rot oder Grün zeigen, kommt es notwendigerweise immer wieder vor, dass Radfahrer bei Rot noch über die Kreuzung fahren. Rot kann sinnvoll also nur bedeuten: „Halt vor der Kreuzung, wenn das noch möglich ist“. Je nach Geschwindigkeit kann bzgl. der ersten Sekunden der Rotphase Streit darüber entstehen, ob ein Halt noch möglich war oder nicht und damit auch, ob das Verhalten als Rotlichtverstoß zu ahnden ist oder nicht. Ein ebenso deutliches Beispiel ist die Radwegebenutzungspflicht. Die Radfahrer müssen Radwege benutzen, wenn dies für die jeweilige Fahrtrichtung „durch Zeichen 237, 240 oder 241 angeordnet ist“, heißt es u.a. in § 2 StVO. Vom konkreten Zustand des Radweges steht nichts in der StVO. So gibt es immer wieder Polizisten, die im Winter Radfahrer unter Verweis auf diese Norm verwarnen, weil diese den schnee- oder eisglatten Radweg für nicht benutzbar halten und auf der Fahrbahn fahren. Tatsächlich ist die Rechtsprechung sich einig, dass sich die Radwegebenutzungspflicht trotz ihrer weiten Formulierung nur auf zumutbare Radwege bezieht. War der Zustand des Radweges noch zumutbar oder nicht, wird sich der Rechtsanwender fragen müssen.

Hier kommt es auf Argumente an. Dem Polizisten und auch später dem Gericht gegenüber kommt in dieser Situation den irgendwo gefundenen Urteilen für die eigene Rechtsfrage nur ein zweitrangiger Wert zu. Gleiches gilt für die vermeintliche Rechtsautorität bekannter Wissenschaftler. Viel wichtiger ist es, überzeugend zu argumentieren, warum das Gesetz so und nicht anders auszulegen ist. Denn es gilt in dieser eigenen Sache nicht das Urteil XYZ, sondern nur das Gesetz. Allerdings sollte es den Rechtsanwender nachdenklich stimmen, dass „alle anderen“ oder auch nur ein Urteil eines Obergerichts eine Frage so und nicht anders gesehen und beantwortet haben. ♦

A. VERKEHRSREGELN
❑ Grundregeln (§ 1 StVO)

Alle Radfahrer und Radfahrerinnen, die sich in unterschiedlicher Weise am Verkehr beteiligen, sollen dies sicher und angstfrei tun können. Damit das klappt, muss der Radfahrer, wie jeder andere Teilnehmer am Straßenverkehr, die Verkehrsregeln einhalten. Nach der Grundregel des § 1 Abs. 1 StVO erfordert die Teilnahme am Straßenverkehr ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. Nach Abs. 2 hat sich auch der Radfahrer so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Das bedeutet, dass Sicherheit stets vorgeht. Eigene Wünsche treten ihr gegenüber stets zurück. Was der Radfahrer insbesondere von den Autofahrern erwartet, schuldet er selbst auch allen anderen Verkehrsteilnehmern. Auch Rechthaberei, das Erzwingen einer Befugnis und belehrendes Verhalten widersprechen dem Rücksichtnahmegebot.

Vorausgesetzt werden also aufmerksame Verkehrs- und Fahrbahnbeobachtung (OLG Koblenz, MDR 2013, 335) und in der Regel beidhändige Lenkung. Ablenkung durch lebhaftes Gespräch, Gestikulieren, Walkman oder anderes sind daher zu vermeiden.

Die Regeln der StVO erfassen den gesamten Verkehr im öffentlichen Straßenraum. Dazu gehören alle Flächen, die der Allgemeinheit (und nicht nur einem geschlossenem Benutzerkreis) zu Verkehrszwecken offenstehen. Voraussetzung ist also nur die ausdrückliche oder stillschweigende Freigabe des Berechtigten. Wer Eigentümer der Fläche ist, ist hingegen egal (LG Dessau-Roßlau, NJW-RR 2012, 1306). An die Regeln muss man sich also auch auf dem Parkplatz am Supermarkt und auf privaten Plätzen, Wegen und Zufahrten und auf Feld- und Waldwegen halten.

Für den Verkehr außerhalb dieser öffentlichen Flächen gilt die StVO nicht, sondern eine allgemeine Pflicht zu verkehrsüblicher Sorgfalt. Ihr Inhalt ist in weiten Teilen mit der Grundregel des § 1 StVO identisch, ohne allerdings konkret normiert zu sein.

Die allgemeine Sorgfaltsnorm aus § 1 Abs. 2 StVO wird an verschiedenen Stellen der StVO für bestimmte Verkehrsvorgänge konkretisiert. Diese Gefährdungsausschlussgebote stellen hohe Anforderungen an den Verkehrsteilnehmer. Wohl deshalb wird von interessierter Seite behauptet, diese Normen würden dem Kraftfahrer Unmögliches abverlangen, die Normen seien deshalb schlicht nichtig oder jedenfalls den Bedürfnissen der Kraftfahrer anzupassen (vgl. Greger, NJW 1992, 3267-3274). Nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer sollen offenbar auch rechtlich betrachtet wieder zum Freiwild werden. Der Radfahrer muss wissen, dass er bei jedem verkehrsrechtlichen Konflikt an einen Richter mit solchen Auffassungen geraten kann.

❑ Straßenbenutzung (§ 2 StVO)

Die Straßenbenutzungsvorschrift enthält mehrere sich überschneidende Regelungsbereiche: das Gebot, die Fahrbahn zu benutzen, sie rechts zu benutzen, hintereinander zu fahren und unter bestimmten Umständen Sonderwege zu benutzen.

Fahrbahnbenutzung und Rechtsfahrgebot

Nach § 2 Absatz 1 der StVO müssen Fahrzeuge die Fahrbahn benutzen, auf dem Gehweg hat der Radfahrer also nichts zu suchen. Radfahren auf Gehwegen kann grob verkehrswidrig und rücksichtslos sein (OLG Düsseldorf, VersR 1978, 768; OLG Hamm, VersR 1987, 1246; OLG Karlsruhe, NZV 1991, 154; AG Darmstadt, NZV 1992, 369; LG Erfurt, NZV 2007, 522).

An dieser Stelle ist die Frage aufzuwerfen: Was ist überhaupt „Radfahren“? Diese Tätigkeit und das Fahrrad als Verkehrsmittel sind nur schwer zu definieren. Fährt jemand Rad, der sein Fahrrad nicht mit den Pedalen antreibt, sondern als Roller benutzt? Wegen des hohen Tempos wird der davon belästigte Fußgänger die Frage bejahen. Dass das Tempo aber kein Kriterium für die Beantwortung der Frage sein darf, zeigt schon § 24 StVO, der Roller ganz deutlich von Fahrrädern scheidet. Radfahrer soll nach einer älteren Gerichtsentscheidung auch sein, wer auf dem Fahrrad sitzt und es lenkt, sich jedoch schieben lässt, ohne die Tretteile zu benutzen (OLG Celle, VRS 25, 471). Das Lenken sei das entscheidende Kriterium, wird in dieser Entscheidung ausgeführt. In der Umgangssprache wird unter dem Radfahrer wohl jemand verstanden, der ein zur Ortsveränderung durch Tretbewegungen bestimmtes, nicht an Schienen gebundenes zwei- oder mehrrädriges Landfahrzeug ohne Motorkraft fortbewegt. Auch das Rollenlassen mittels Freilauf nach dem Treten wird noch als Radfahren zu verstehen sein, vielleicht auch das Bergabrollenlassen ohne die Antriebseinrichtung des Rades zu nutzen (vgl. die Argumente des BayObLG, NJW 1959, 111: Die Gefahr für die übrigen Verkehrsteilnehmer sei die Gleiche).

Eine internationale Übereinkunft versteht unter „Fahrrad“ „jedes Fahrzeug mit wenigstens zwei Rädern, das ausschließlich durch die Muskelkraft auf ihm befindlicher Personen, insbesondere mit Hilfe von Pedalen oder Handkurbeln, angetrieben wird“ (Gesetz zu den Übereinkommen über den Straßenverkehr, BGBl II 1977, S. 809 (813)). Diese Begriffsbestimmung gilt zwar nur für dieses Übereinkommen und nicht etwa für die StVO (OLG Dresden, NJW 2005, 452), verschiedene Gerichte übernehmen sie jedoch für die StVO (VGH Baden-Württemberg, VerkMitt 2001, 13; BVerwG, NZV 2001, 493). Danach dürfte derjenige, der sein Rad als Tret-Roller benutzt, kein Radfahrer sein, weil er sich bei dieser Fortbewegungsart nicht auf dem Rad befindet. Aber auch derjenige, der sich auf dem Rad sitzend schieben lässt, ist danach kein Radfahrer: Seine Muskelkraft trägt nicht zur Fortbewegung bei. Auch der Faulpelz, der hinten auf dem Tandem die Füße hochlegt, ist danach kein Radfahrer (der Sozius kann aber allgemeine Verkehrsteilnehmerpflichten haben, vgl. BGH, VRS 7, 68; BayOblG, VerkMitt 1964, 5). Und der fleißig mittretende Stoker auf dem Tandem ist wiederum kein Fahrzeugführer, weil er weder Lenker noch Bremsen hat und damit keine Gelegenheit, das Fahrzeug zu „führen“: Nach der Rechtsprechung kann nur derjenige Führer eines Fahrzeugs sein, der selbst alle oder mindestens einen wesentlichen Teil der technischen Einrichtungen des Fahrzeugs bedient, die für seine Fortbewegung und Lenkung bestimmt sind (OLG Dresden, NJW 2006, 1013 zu einem stark alkoholisierten Fahrlehrer, der seine Pedale für Gas, Bremse und Kupplung nicht benutzte und die Fahrt nur durch Anweisungen an die Fahrschülerin lenkte). Nur unter engen Voraussetzungen können bei einer Aufgabenteilung zwischen den Fahrzeuginsassen beide als Fahrzeugführer anzusehen sein (BGH, NJW 1990, 1245 für die Fahrer von schleppendem und abgeschlepptem Kfz). Entscheidend sei, ob die übernommenen Funktionen eigenverantwortlich, nämlich innerhalb eines vorhandenen Entscheidungsspielraums, ausgeführt werden oder in Form eines bloßen Hilfsdienstes (BGH, NJW 1990, 1245). Dass Soziusfahrer durch aktive Mitarbeit beim Kurvenfahren zur Sicherheit des Zweirades beitragen müssen, ist an diesem Maßstab gemessen keine eigenverantwortliche Übernahme einer notwendigen Teilfunktion (BGH, NJW 1990, 1245).

 

Liegeradfahrer sind Radfahrer im Sinne der StVO (BVerwG, NZV 2001, 493).

Ob jemand als Fahrradfahrer anzusehen ist, wird unter Berücksichtigung dieser Aspekte und nach Sinn und Zweck der jeweilig zu benutzenden Norm zu beantworten sein. Wer sein Rad schiebt, ist Fußgänger (BGH, VerkMitt1963, 3; BayObLG, VRS 25, 452; OLG Bamberg, NJW 2012, 1820).

Radfahrer müssen von zwei Fahrbahnen die rechte benutzen. Es ist möglichst weit rechts zu fahren, insbesondere bei Gegenverkehr, beim Überholtwerden, an Kuppen, in Kurven oder an unübersichtlichen Stellen. Dieses Gebot ist vom Gesetzgeber vielleicht in erster Linie geschaffen worden, um die Schnelligkeit des Kraftfahrzeugverkehrs zu erhöhen und die Radfahrer abzudrängen. Das Gebot liegt aber ─ wenn es nicht überspannt wird ─ durchaus auch im eigenen Interesse des Radfahrers, da er zu den Langsamfahrern gehört. Aus Angst um sein Leben wird er sich nahezu immer von allein daran halten. Folgerichtig sind die Worte „möglichst weit rechts“ nach der Begründung des Bundesverkehrsministers zur StVO und nach ständiger Rechtsprechung „nicht starr“ (BGH, NZV 1996, 444; OLG Düsseldorf, NZV 1997, 321).

Es stellt sich also die Frage, wie weit rechts denn rechts ist. Ein starres Maß für jeden Radverkehr sieht die Rechtsordnung nicht vor. Das Rechtsfahrgebot wird von der Rechtsprechung denn auch großzügig im Sinne eines verkehrsgerechten Verhaltens ausgelegt (OLG Köln, VRS 26, 133). Der Verkehrsteilnehmer hat einen gewissen Beurteilungsfreiraum, solange er sich so weit rechts hält, wie es im konkreten Fall im Straßenverkehr „vernünftig“ ist (BGH, NZV 1996, 444). Bei der Auslegung sind unter anderem die jeweilige Örtlichkeit, die Fahrbahnart und -beschaffenheit, die Verkehrslage, die eigene Geschwindigkeit des Radfahrers und die der Kraftfahrer und die Sicht zu berücksichtigen (OLG Zweibrücken, VRS 74, 420; BGH, NJW 1996, 3003 (3004); OLG Hamm, DAR 2000, 265). Ersichtlich ist das Sicherheitsinteresse auf einer hochbelasteten und schnell befahrenen Hauptverkehrsstraße ein anderes als auf einer gering belasteten und langsam befahrenen innerörtlichen Straße.

Als noch zulässig wird oft ein Abstand von 0,8 bis 1 m zum Fahrbahnrand angesehen (BGH, VersR 1964, 653). Doch erweitert sich der zulässige Abstand bei Straßenbahnschienen, bei hohen Bordsteinen (BGH, VersR 1955, 764), tiefen Gullydeckeln (KG, MDR 1999, 865), bei gefährlichem Kopfsteinpflaster, und anderen Hindernissen, denen aufgrund der Instabilität des Rades und den damit einhergehenden unvermeidbaren Schwankungen nicht anders ausgewichen werden kann. Da der Radfahrer bei erkennbaren Gefahrenquellen im Falle des Sturzes unter Umständen selbst und allein für seinen Schaden aufkommen muss (OLG Stuttgart, VersR 2003, 876: Gullydeckel), ist auch dringend anzuraten, solche Hindernisse mit hinreichendem Abstand zu umfahren. Ein straßenverkehrsrechtlicher Vorwurf kann daraus nicht gemacht werden.

Wie weit rechts „rechts“ ist, bestimmt sich auch nach der Abgrenzung der Fahrbahn nach rechts. Fährt der Radfahrer neben einem Parkstreifen, auf dem die Kraftfahrzeuge in Längsrichtung stehen, muss er der Lebenserfahrung nach jederzeit mit sich öffnenden Türen rechnen und darf daher weiter links fahren. Das Bundesministerium für Verkehr empfiehlt für solche Situationen ausdrücklich, mindestens einen Meter Sicherheitsabstand von den parkenden Fahrzeugen einzuhalten. Da dem Radfahrer in Einzelfällen sogar eine Mitschuld am Unfall durch Türöffnen angerechnet werden kann (OLG Oldenburg, VersR 1963, 490; KG, VersR 1972, 1143; vgl. OLG Bremen, MDR 2008, 1096; OLG Jena, NJW-RR 2009, 1248; BGH, NZV 2010, 24; KG, DAR 11/2011, IV), sollte er das auch tunlichst einhalten. Stehen die parkenden Kraftfahrzeuge schräg zur Fahrbahn, ist mit schnellem und unachtsamem Ausparken zu rechnen und gleichfalls ein genügender Sicherheitsabstand erlaubtauch wenn dann nicht mehr scharf rechts gefahren wird.

Befindet sich ein Gehweg neben der Fahrbahn, hat der Seitenabstand in der Regel etwa 1 m zu betragen, bei lebhaftem Fußgängerverkehr ist ein noch größerer Abstand zum Gehweg geboten (OLG München, VRS 65, 331; OLG Düsseldorf, NZV 1992, 232). Kann man den Gehweg zum Beispiel wegen eines dort stehenden Baugerüstes nicht einsehen und muss man damit rechnen, dass von dorther Fußgänger auf die Fahrbahn treten, um sich über die Verkehrslage zu orientieren, darf man auch deutlich größeren Abstand vom rechten Fahrbahnrand als normal halten (OLG Köln, VRS 26, 133).

Auch wenn es Grundstückszufahrten oder Einmündungen gibt, soll sich aus § 1 StVO ergeben, dass ein gehöriger Abstand zum rechten Fahrbahnrand gehalten werden muss. Denn an solchen Stellen muss man damit rechnen, dass andere Verkehrsteilnehmer von der Seite her in den Fahrbahnraum eindringen, sei es zur notwendigen Sichtgewinnung oder weil sie aus Unaufmerksamkeit die Fahrbahnbegrenzung nicht genau einhalten. Hält man dort nicht mindestens einen halben Meter Abstand zum rechten Fahrbahnrand, kann darin eine Mit- oder Alleinschuld am Unfall gesehen werden (OLG München, VersR 1974, 676).

Parken am rechten Fahrbahnrand in unregelmäßigen Abständen Fahrzeuge, wird der Radfahrer durch eine angemessene Auslegung des Rechtsfahrgebotes auch nicht zu einer gefährlichen Slalomroute gezwungen. Für solche Fälle empfiehlt mittlerweile sogar die Polizei, nicht in jede Parklücke auszuschwenken, sondern mit einer weitgehend geraden Route im Blickfeld der nachfolgenden Kraftfahrer zu verbleiben. Auch beim Überholen von in Abständen fahrenden Fahrzeugen kann vom Fahrzeugführer nicht verlangt werden, dass er schlangenlinienartig fährt, um dem Gebot des Rechtsfahrens zu genügen (vgl. BGH, VRS 6, 200; BayObLG, VRS 27, 227). Auch wenn sich am Fahrbahnrand Fußgänger befinden, ist es verkehrsgerecht, die Fahrlinie gleichmäßig beizubehalten und keine Schlangenlinien zu fahren.

Liegt neben der Fahrbahn etwas tiefer ein Bankett, hat der Radfahrer das Recht und die Pflicht, nur die eigentliche Fahrbahn zu benutzen. Dem Rechtsfahrgebot wird genügt, wenn die eigentliche Fahrbahn in einem Abstand zur Kante befahren wird, der unter Einbeziehung der normalen Fahrradpendelbewegungen ein sicheres Verbleiben auf der Fahrbahn erlaubt. Dies gilt auch im Fall des Überholtwerdens durch Kfz und auch bei gleichzeitigem Gegenverkehr (OLG Hamm, VersR 1983, 466 zu einer Fahrbahnkante von 6 cm). Ein Radfahrer dürfe darauf vertrauen, dass der ihn überholende Kraftfahrer seiner Verpflichtung, einen hinreichenden Sicherheitsabstand zu halten, nachkommt und nötigenfalls den Überholvorgang zurückstellt, so das Gericht. Das Scharf-rechts-fahren sollte man daher auch aus diesem Grunde vermeiden.

Selbst Kraftfahrern wird durch das Rechtsfahrgebot nicht abverlangt, dass sie sich „kaum zu bewältigenden Anforderungen in rein fahrtechnischer Hinsicht“ ausgesetzt sehen (OLG Zweibrücken, NZV 1988, 22). Um so mehr gilt für Radfahrer, dass sie einen Abstand zum Fahrbahnrand halten dürfen, der ihrer unvermeidlich schwankenden Fahrspur gerecht wird (BGH, VersR 1964, 653). Bietet die Abgrenzung der Fahrbahn nach rechts aber keinen Grund für einen größeren Abstand zum Fahrbahnrand, darf der Abstand auch in Zentimetern gemessen nicht gar zu groß sein: Liegt neben der nur 4,70 m breiten Fahrbahn einer kurvenreichen Bundesstraße ein 1,90 m breiter befestigter Seitenstreifen, soll ein Abstand von 1,40 m zum rechten Fahrbahnrand zu weit links sein (BGH, VersR 1967, 880). Ist die Fahrbahn hingegen von einem Bordstein begrenzt, so darf und muss der Radfahrer darauf achten, dass er sich diesem beim Treten mit seinem Fuß oder dem Pedal nicht zu sehr nähert und seine Fahrlinie entsprechend weit davon absetzen (BGH, VRS 18, 203).

Auch die Witterung hat Einfluss darauf, wieweit rechts gefahren werden muss. Pfützen darf mit ruhigem Gewissen ausgewichen werden, denn es droht bei ihnen nicht nur eine Fußdusche, sondern auch verborgene Schlaglöcher, Kanaldeckel und andere Unebenheiten weit unangenehmeren Ausmaßes. Bei Fahrbahn glätte und insbesondere bei nur schwer befahrbarem Schneematsch darf mehr Abstand gehalten werden zu anderen Verkehrsteilnehmern, parkenden Autos und auch zum Straßenrand (KG, MDR 1999, 865).

Gelegentlich wird behauptet, jedenfalls scharf rechts sei aber bei schlechten Sichtverhältnissen zu fahren. Dieses Gebot kennt die Rechtsordnung nicht; denn es wäre unzumutbar, den Radfahrer mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Straßenbahnschienen zu schicken oder in Gefahren und Hindernisse im Bereich des rechten Fahrbahnrandes, statt den möglichen Überholer weniger Platz als erwartet vorfinden zu lassen. Selbst bei Dunkelheit und Regen auf einer stark befahrenen Straße innerorts wurde schon von der älteren Rechtsprechung ein Abstand von bis zu 1 m für rechtens erklärt (OLG Saarbrücken, VerkMitt 1980, 40). Auch der Bundesgerichtshof betont, gerade im Hinblick auf Dunkelheit sei es verkehrsgerecht und entspreche dem Rechtsfahrgebot, einen angemessenen Sicherheitsabstand vom rechten Fahrbahnrand einzuhalten (BGH, VersR 1964, 653: ca. 80 cm; BGH, VRS 27, 335: ohne Zentimeterangaben). Denn in der Dunkelheit könne Radfahrern nicht zugemutet werden, dicht am Fahrbahnrand zu fahren oder gar darauf. Bei schlecht erkennbarer rechter Fahrbahnbegrenzung und Nebel darf auch ein wesentlich größerer Abstand als 1 m zum rechten Fahrbahnrand gehalten werden (BayObLG, VRS 62, 377).

Ein besonderes Problem besteht bei schnell befahrenen innerörtlichen (meist vierspurigen) Straßen ohne Radweg. Die äußere Fahrspur ist regelmäßig zu schmal, als dass ein Kfz den äußerst rechts fahrenden Radfahrer unter Einhaltung des Sicherheitsabstandes überholen könnte, ohne auf die mittlere Fahrspur auszuweichen. Gleichwohl werden der Erfahrung nach gerade ganz rechts fahrende Radfahrer auf solchen Straßen zweispurig von Autos überholt, wobei ─ zur Mitte ist ja meist kein Platz und außerdem das kostbare Blech gefährdet ─ der Überholvorgang ohne Verminderung der Geschwindigkeit allein zu Lasten des Abstandes zum Radfahrer vorgenommen wird. Abstände von Handbreite sind leider keine Seltenheit. Selbst bei Tempo 50 entstehen so außerordentlich gefährliche Situationen für den Radfahrer ─ bei auf solchen Strecken üblichen Geschwindigkeitsübertretungen erst recht. Hier kann zum eigenen Schutz nur empfohlen werden, in der Mitte der rechten Spur zu fahren. Ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot liegt hierin nicht, denn dieses verletzt nur, wer sich ohne vernünftigen Grund nicht auf seiner Seite rechts hält. Der Schutz des eigenen Lebens ─ und anders ist hier kein Schutz möglich ─ ist aber allemal ein vernünftiger Grund. Das genannte Vorgehen trägt dem Radfahrer allerdings oft wütendes Hupen und gelegentlich ein „ Schneiden“ nach dem Überholvorgang ein. Der Überholvorgang kann vom Kfz so aber nur unter Inanspruchnahme der mittleren Spur erfolgen, das gefährliche „ Vorbeiquetschen“ ist nicht möglich.

 

Das Rechtsfahrgebot gilt auch im einspurigen Kreisverkehr (OLG Hamm, NZV 2004, 574). Auch hier muss jedoch niemand so scharf rechts am Bordstein fahren, dass der nachfolgende Kraftverkehr zum Überholen innerhalb des Kreises verlockt wird: Ohne Missachtung des notwendigen seitlichen Überholabstandes wird das kaum jemals möglich sein und deshalb fehlt es an der Behinderung des nachfolgenden Verkehrs, wenn man so fährt, dass man erst gar nicht überholt werden kann.

Übrigens hat der Radfahrer nicht nur die Pflicht, möglichst weit rechts zu fahren, er hat bei einem unmittelbar neben der Fahrbahn verlaufenden Gehweg gegenüber dessen Benutzern aus § 1 StVO auch die Pflicht, einen Sicherheitsabstand einzuhalten. Diese Pflicht verbietet es in entsprechenden Fällen, sehr scharf rechts zu fahren. Der BGH sieht diese Pflicht bei einem Abstand von 75 bis 80 cm als in aller Regel erfüllt an (BGH, DAR 1957, 211). Einen geringeren Abstand kann das Rechtsfahrgebot dem Radfahrer in diesen Fällen also nicht abverlangen.