Politikwissenschaft

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Klassenlos und gleich

Sozialismus: Ausgangsgedanke ist die Vorstellung, dass der Mensch nur als arbeitendes und konsumierendes Wesen gedacht werden kann. Deshalb sind die Bedingungen des Wirtschaftslebens ausschlaggebend für die gesellschaftliche Situation des Menschen. Im Mittelpunkt des Interesses steht daher die demokratische Gestaltung aller gesellschaftlichen Bereiche che und die Emanzipation der abhängig Beschäftigten durch Reform oder Revolution.

Politik als irrationaler Kampf

Faschismus: In dieser Ideologie gehen rassistische und autoritäre Vorstellungen eine Mischung mit sozialen Ideen ein. Im Zentrum des Denkens steht ein starker autoritärer Staat mit einem »Führer« an der Spitze, der den Willen des Volkes auch ohne demokratische und rechtsstaatliche Verfahren zum Ausdruck bringt. Das Individuum spielt keine Rolle, persönliche Opfer und der absolute Vorrang der »Volksgemeinschaft« stehen im Vordergrund.

Abb. 4 |

Ideologien im Überblick



Theorie als Selbstbeschreibung des Systems

Identität durch Beschreibung

Einzelne Menschen und soziale Gruppen fertigen aus ganz bestimmten Gründen Selbstbeschreibungen an. Wer auf Dauer eine Identität haben will, kommt ohne eine Art Bild seiner selbst nicht aus. Auf ihm sind die wesentlichen Merkmale dessen, was ein Individuum zum Individuum macht, verzeichnet. Man kann es bei Bedarf als Selbstversicherung verwenden und den Mitmenschen vorweisen, wenn es darum geht, sich zu identifizieren. Ähnlich formen Gemeinschaften ein Bild ihrer selbst, das zur Integration der Mitglieder und zur Abgrenzung gegen Fremde dient. Dabei greifen soziale Einheiten wie Individuen auf ihre Geschichte als einem prägenden Merkmal der eigenen Identität zurück. Im Fall einer Gemeinschaft leistet die gemeinsame Geschichte dann die nötige Integration.

Eine Nation beispielsweise ist immer eine geschichtliche Gemeinschaft, die aus ihrer historischen Erfahrung lebt. Die wirklich wichtigen Ereignisse der eigenen Geschichte werden daher an Gedenk- und Feiertagen begangen und dadurch als Hintergrund der Gegenwart im gemeinsamen Gedächtnis verankert. Eine solche Nation ist aber immer auch durch bestimmte Merkmale geprägt, die sich aus der historischen Entwicklung ergeben haben, die aber zugleich intensiv die Gegenwart prägen. Sprache, Kultur und Religion sind die am stärksten prägenden Bereiche, die immer auch eine erhebliche Wirkung in die Politik hinein entfalten.

Selbstbeschreibung ist selektiv

Wesentliches Strukturelement einer solchen Selbstbeschreibung ist, dass sie immer kontrastierend wirkt und hochgradig selektiv sein muss. Wer sich als etwas beschreibt, dem ist damit zugleich deutlich, dass er sich von anderen (sie mögen ihm noch so ähnlich sein) unterscheidet. Zugleich kann bei einer individuellen oder auch einer sozialen Selbstbeschreibung nie die gesamte Realität Gegenstand der Beschreibung sein. Es müssen Kriterien ausgewählt werden, die das jeweilige Subjekt der Beschreibung wirklich angemessen und in den wichtigsten Zügen erfassen.

Selektion als Selbstvereinfachung

Wenn also Individuen oder Gruppen eine Art Bild von sich selbst anfertigen, so geschieht das im Rückgriff auf ausgewählte wesentliche Erfahrungen und kultureller Traditionen. Die Wahl der jeweiligen Aspekte ist nicht immer ganz frei, sie erfolgt unter dem zeitlichen und sachlichen Zwang, komplizierte Realitäten hochgradig vereinfachen zu müssen. Daher müssen solche Selbstbeschreibungen immer wieder veränderten Bedingungen angepasst werden und es kommt zu persönlichen bzw. politischen Spannungen und Krisen, wenn die eigene Beschreibung nicht mit der zusammenpassen will, die die anderen von einem oder der eigenen Gruppe angefertigt haben.

Politische Theorie erscheint unter diesem Aspekt als eine hoch abstrakte Selbstbeschreibung des politischen Systems, in der normative und deskriptive Elemente ineinander fließen. Der Systemtheoretiker Niklas Luhmann beschreibt dieses Phänomen der Selbstbeschreibung:

»Sie konzentriert Selbstbeobachtung mit Hilfe von Selbstbeschreibungen, das heißt mit Hilfe von Sinnstiftungen, die den Akt (das Ereignis) der Kommunikation von Selbstbeobachtung überdauern und nach Bedarf reproduziert werden können. Selbstbeschreibungen rekonstruieren die Komplexität des Systems, und zwar so, dass diese in vereinfachter Form […] in das System wieder eingeführt und dann als Orientierungsfaktor benutzt werden kann.« (Luhmann 1987: 77).

Definition

Selbstbeschreibung von Systemen

Jedes komplexe System beschreibt sich in seiner Kommunikation immer auch selbst, um seine Identität über die Zeit hinweg zu erhalten und die Integration seiner Elemente zu garantieren.

Besonders erfolgreich im Bereich der theoretisch-systematischen Selbstbeschreibungen des Politischen war die Begrifflichkeit des Staates. Staat als juristisch-administrative Realität wird über Selbst- und Fremdbeschreibungen zum vorherrschenden Leitbild des Politischen, wenngleich natürlich systematisch gesehen Staat nur vor dem Hintergrund des Wissens, was denn Politik ist, begriffen werden kann. Niklas Luhmann nennt Gründe für diese erfolgreiche Begriffsmonopolisierung durch den »Staat«.

Eine wichtige Bedeutung kommt dem Staatsbegriff danach zu, weil er in der Form des Rechts- bzw. Verfassungsstaates das politische System in ein enges Verhältnis zum Rechtssystem gebracht hat (s. Abb. 5). Das Recht macht in diesem Verhältnis die Grundparadoxie der staatlich souveränen Willkür unsichtbar und konstruiert sie als rechtsförmig: staatliche und politische Gewalt ist immer auch willkürlich. Aus dieser Perspektive wird sie jedoch rechtlich und damit legal. Zugleich hilft die Politik in der Gestalt des Staates dem Recht die grundlegende Paradoxie der Rechtmäßigkeit unsichtbar zu machen. Die Differenz von Recht und Unrecht kann nicht im Recht dargestellt werden. Sie wird an den Staat, der in der Gesetzgebung Recht hervorbringt, delegiert. Damit diese für den modernen Staat unverzichtbare Entwicklung möglich werden konnte, war in erheblichem Ausmaß politische Theorie aktiv und erfolgreich.

Abb. 5 |

Staat und Recht in der Moderne nach Niklas Luhmann


Lernkontrollfragen


1Was unterscheidet eine empirische von einer normativen Theorie in der Politikwissenschaft?
2Welchen Teilbereich politischer Realität erfasst der Begriff des politischen Denkens?
3Was ist das ideologische Moment des Politischen?
4Benennen Sie die wichtigsten Grundannahmen der modernen politischen Ideologien!
5Wozu braucht ein politisches System eine Selbstbeschreibung?

Literatur

Originalwerke

Luhmann, Niklas (1987), Staat und Politik. Zur Semantik der Selbstbeschreibung politischer Systeme, in: ders.: Soziologische Aufklärung 4, Opladen, S. 74 – 103.

Mannheim, Karl (1952), Ideologie und Utopie (Erstausgabe 1929), Frankfurt/Main.

Popper, Karl R. (1993), Die Logik der Sozialwissenschaften, in: Adorno, Theodor W. u.a. (Hrsg.), Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie (Erstausgabe 1969), München, S. 103 – 123.

Voegelin, Eric (1991), Die neue Wissenschaft der Politik (Erstausgabe 1959), München.

Sekundärliteratur

Beyme, Klaus von (2000), Die politischen Theorien der Gegenwart, 8. Auflage, Opladen. Von Beyme stellt systematisch die Theoriebildung im 20. Jahrhundert mit Bezug zu Schlüsselbegriffen und zur empirischen Forschung dar.

Hartmann, Jürgen (2012), Politische Theorie: Eine Kritische Einführung für Studierende und Lehrende der Politikwissenschaft, 2. Auflage, Wiesbaden. Kritische Einführung in die politische Theorie aus der Perspektive eines empirisch arbeitenden Politologen.

Kymlicka, Will (1990), Politische Philosophie heute, Frankfurt/M.

Darstellung der wichtigsten gegenwärtigen Denkschulen (Utilitarismus, Liberalismus, Marxismus, Kommunitarismus, Feminismus).

Llanque, Marcus (2008), Politische Ideengeschichte, Berlin.

Darstellung der Geschichte des politischen Denkens als ein vielfältig verwobenes System von Diskursen, in denen Klassiker und breitere Strömungen in ihren Bezügen erkennbar werden.

Llanque, Marcus/Münkler, Herfried(Hrsg.) (2006), Politische Theorie und Ideengeschichte, Berlin.

Problemorientiertes Lehr- und Textbuch, das ideengeschichtliche und systematische Perspektiven zu vermitteln versucht.

Neumann, Franz (Hrsg.) (1996), Handbuch Politische Theorien und Ideologien, 2 Bände, Opladen.

Überblick über sektorale bereichsspezifische Theoriebildung (Gesellschaftstheorie, Kapitalismus, Entwicklungstheorie) und wichtige Ideologien.

Nohlen, Dieter/Schultze, Rainer-Olaf (Hrsg.) (1995), Lexikon der Politik, Band 1: Politische Theorien, München.

Umfassendes Lexikon, das die wichtigsten Begriffe der politischen Theorienbildung (Macht, Herrschaft, Parteien usw.) erklärt.


2.2Die Politik des guten Lebens


2.2.1Die Selbstständigkeit der Politik

Die Entstehung des Politischen

 

Politik als ein Bereich, in dem verbindliche Entscheidungen getroffen und mit Zwangsgewalt durchgesetzt werden, gibt es in zahlreichen historischen Epochen und in den verschiedensten Gesellschaftsordnungen. Sie tritt in frühen Gesellschaften zumeist als Hierokratie (Herrschaft durch Verfügung über Heilsgüter) auf und wird in Ämtern wie dem Priesterkönigtum institutionalisiert. Schon früh richten solche Ordnungen auch Verwaltungsstäbe ein und bringen so die Rationalisierung von Herrschaft in Gang.

Politik als autonomer, der göttlichen Kontrolle weitgehend entzogener menschlicher Handlungsbereich entsteht historisch vergleichsweise spät im antiken Griechenland. Damit die Politik als eigener Bereich des menschlichen Daseins auch im Denken bewusst werden konnte, mussten in den griechischen Stadtstaaten des 5. Jahrhunderts vor Christus eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein:

Sozialgeschichtliche Voraussetzungen: dezentrale Machtverteilung (Inseln und Stadtstaaten); Ausgleich radikaler Eigentumsunterschiede; Beteiligung fast aller Bürgerschichten an den politischen Entscheidungen.

Soziokulturelle Voraussetzungen: Lage an der Peripherie hoch entwickelter Kulturen (Ägypten, Persien), Entstehung des sogenannten Könnens-Bewusstseins, das einem ersten Aufklärungsschub entspringt und die menschlichen Handlungsmöglichkeiten erkennbar macht.

Die sozialen Voraussetzungen ermöglichen die tendenzielle Identität derer, die Entscheidungen treffen, mit denen, die sie als Untertanen ausführen. Begrifflich ist diese Identität im Bürger (altgriech. polites) erfasst und bezieht sich auf Vorstellungen von politischer Gleichheit und elementarer Gemeinsamkeiten. Die kulturellen Voraussetzungen markieren die Besonderheit eines Bereiches, der sich vergleichsweise frei und aus eigenen Gesetzen konstituiert, der aber dadurch auch nicht mehr aus dem Willen der Götter, einer göttlichen allgewaltigen Natur bzw. andere höherer Mächte erklärbar ist. Dem entsprechen politische und kulturelle Einrichtungen, in denen die freien und gleichen Bürger der Stadt ihr Zusammenleben organisieren und ihrer Welt einen Sinn geben. Gleichheit und bürgerliche Freiheit sind die zentralen politischen Ordnungsmuster. Komödie und Tragödie dienen als kulturelle Formen dem Verstehen der menschlichen Situation.

Isonomie (Gleichheit vor dem Gesetz) und Isegorie (Freiheit der Rede): Rechtsgleichheit und Redefreiheit sind wesentliche Strukturelemente politischer Integration in die politische Gemeinschaft. Jeder Bürger hat das gleiche Recht auf angemessene Mitwirkung bei politischen Entscheidungen und daher auch die Freiheit, in der Volksversammlung zu sprechen. Er ist im Gegenzug bei der Umsetzung der Entscheidungen gefordert.

Tragödie und Komödie: Der Mensch, dem Handlungsfreiräume erwachsen, kann scheitern oder sich bei seinem Tun lächerlich machen. Damit erweisen sich Verantwortung, Schuld und Scheitern als die andere Seite der Freiheit des Handelns, die den Raum der Politik eröffnet hat. Als kulturelle Formen des Umgangs mit den offenen Möglichkeiten des Handelns haben sie die gleichen Ursprünge wie eine zunehmend demokratische Politik.

Politik: das dem Menschen Mögliche

Unter diesem Blickwinkel kann die Entstehung des Politischen als eine kulturgeschichtliche Sonderentwicklung verstanden werden. Politik wird als selbstständiger Bereich möglich, wenn sich in einem Gebilde wie dem attischen Stadtstaat – der Polis, der die Politik ihren Namen verdankt – ein eigenständiger Lebensbereich bildet, der klar genug vom religiösen Kult unterschieden werden kann. Politik regelt und organisiert das menschliche Zusammenleben in der Bürgergesellschaft auf der Basis von Tradition, Wissen und von moralischen Erwartungen. Sie nimmt den ganzen Menschen in Anspruch und, wenngleich sie noch weit von der modernen Allzuständigkeit entfernt ist, kann sich tendenziell jedem Bereich des Zusammenlebens zuwenden. Dadurch wird sie zu einer Kunst der gemeinsamen Lebensführung, die ständig die Frage nach dem guten Leben stellt und beantworten muss.

Zusammenfassung

Entstehung des Politischen

Politik bildet sich in der griechischen Antike als eigenständiger Realitätsbereich heraus, der durch das Wissen über das selbstbestimmte menschliche Handeln und seine notwendige Beziehung auf die Gemeinschaft geprägt ist.


2.2.2Platon: Wissenspolitik

Tod des Sokrates

Der in adliger Familie geborene Platon (ca. 427 – 347 v. Chr.) schloss sich dem Philosophen Sokrates als Schüler an. Nachdem Sokrates von einem Volksgericht wegen angeblicher Verführung der Jugend und Gotteslästerung zum Tode verurteilt worden war, festigte sich Platons grundsätzliche Überzeugung von den Mängeln der demokratischen politischen Ordnung. Seine Schriften stellen einen der zentralen Ausgangspunkte der abendländischen politischen Philosophie dar. Platon verfasste erkenntnistheoretische, sprachphilosophische, religionsphilosophische und ästhetische Schriften. Seine Texte sind Dialoge, in denen meist Sokrates als überzeugendster Gesprächsteilnehmer auftritt. Durch geschickte Gesprächsführung wird eine Annäherung an die Wahrheit literarisch inszeniert. In einem seiner Hauptwerke, der »Politeia«, beschreibt einer der Redner die demokratische Ordnung im sogenannten Schiffsgleichnis:

Schiffsgleichnis

»Denke dir also […] einen Schiffsherrn, der zwar an Größe und Stärke alle anderen im Schiffe übertrifft, übrigens aber ist er schwerhörig, sieht auch wenig und versteht von der Schifffahrt sehr wenig. Nun geraten die Matrosen in Streit. Jeder glaubt, er müsse das Schiff steuern, auch wenn er das nie gelernt hat. Überdies behaupten sie alle, dass man die Seemannskunst überhaupt nicht lernen könne […]. Denke dir nun, dass sie den Schiffsherrn umlagern. Sie bitten ihn und versuchen alles, damit er ihnen das Steuerruder übergibt. Sie bekämpfen einander und töten sich gar wechselseitig. Den Schiffsherrn aber machen sie betrunken oder fesseln ihn. Nun endlich an das Ruder gelangt plündern sie die Speisekammer und fahren zechend und schmausend über das Meer […] Überall erzählen sie, dass es genüge an das Ruder zu kommen, auch wenn man nicht steuern kann […].« (nach Politeia 488b–d).

Machterwerb – Machtverwendung

Das Volk ist in diesem Gleichnis offensichtlich Besitzer und eigentlicher Herr des »Staats-Schiffes«, das es über das Meer zu lenken gilt. Dieser Schiffsherr ist offensichtlich in seinen Fähigkeiten mehr als beschränkt. Er scheint wenig wahrzunehmen und auch nicht besonders klug zu sein. Diejenigen, die um die Lenkung des Schiffes konkurrieren, werden allerdings noch weniger vorteilhaft gezeichnet. Es sind offensichtlich ziemlich skrupellose Gesellen, die vor keiner Gemeinheit zurückschrecken, um an die Macht und damit auch an die materiellen Güter auf dem Schiff zu kommen. Ihnen ist jedes Mittel zur Durchsetzung ihrer Machtansprüche recht. Über eines jedoch verfügen sie offensichtlich nicht: die Fähigkeiten, die nötig sind, um ein Schiff zu steuern. Sie leugnen gar, dass hierzu besonderes Wissen und besondere Kenntnisse nötig sind, und behaupten umgekehrt, es sei genug Beweis umfassender Kompetenz, wenn man den Kampf um das Ruder bestanden habe.

Mit diesem Gleichnis zeigt Platon das Problem der politischen Führung wie in einem Brennglas. Er scheidet im Gleichnis die Kompetenzen, die für den Machterwerb erforderlich sind, von denen, die für eine gute und der allgemeinen Wohlfahrt dienlichen Machtverwendung nötig wären. Er lässt keinen Zweifel daran, dass das Volk nicht befähigt ist, seine Herrscher auszuwählen oder gar die, die die Herrschaft haben, zu kontrollieren. Für Platon ist es eine grundsätzliche Schwäche der Demokratie, dass in ihr leicht die Schmeichler an die Macht kommen, die diese dann für ihre Zwecke und nicht für das Gemeinwesen nutzen.

Zusammenfassung

Demokratiekritik in Platons Schiffsgleichnis

Das Schiffsgleichnis formuliert als fundamentale Kritik an der Demokratie, dass das politisch unfähige und unreife Volk sich notwendig unfähige Führer auswählt, die die Gemeinschaft dann zu ihren eigenen Zwecken ausbeuten.

Weder auf der Seite des Volkes noch auf der der politischen Eliten, die sich im Gleichnis um die Macht balgen, findet sich das, was für Platon offenbar unverzichtbare Rechtfertigung aller Herrschaft sein muss: überlegenes Wissen in der Form einer überlegenen Weisheit. Was das Schiffsgleichnis zeigt, ist insgesamt eine zutiefst frustrierende Situation, in der jedoch noch nicht alle Hoffnung auf Besserung der politischen Verhältnisse verloren ist. Das Verhältnis von Wahrnehmung und Wissen hat Platon wegweisend für die gesamte abendländische Kulturgeschichte im berühmten Höhlengleichnis zusammengefasst:

Höhlengleichnis

»Nächst dem, […] vergleichen wir unsere Natur in bezug auf Bildung und Unbildung folgendem Zustande. Sieh nämlich Menschen wie in einer unterirdischen, höhlenartigen Wohnung, die einen gegen das Licht geöffneten Zugang längs der Höhle hat. In dieser seien sie von Kindheit an gefesselt an Hals und Schenkeln, sodass sie auf dem selben Fleck bleiben und auch nur nach vorne sehen, den Kopf der Fessel wegen aber nicht herumdrehen können. Licht aber haben sie von einem Feuer, welches […] hinter ihnen brennt. Zwischen dem Feuer und den Gefangenen [… ] sieh eine Mauer aufgeführt, […]. Sieh nun längs dieser Mauer Menschen allerlei Geräte tragen, die über die Mauer herüber ragen, und Bildsäulen und andere steinerne und hölzerne Bilder […]. Auf keine Weise also können diese irgendetwas anderes für das Wahre halten als die Schatten jener Kunstwerke?« (nach Politeia 514a-515c).

Scheinwissen und Lebensführung

Damit ist die Art und Weise, wie Menschen ihre Umwelt wahrnehmen und Wissen erwerben, in Grundzügen beschrieben. Unsere Erkenntnis ist das Ergebnis einer vollkommenen Wirklichkeitsverzerrung, in der die Schatten der Dinge für die Dinge genommen werden. Die Menschen sind gefangen in einer Welt, aus der sie nur mit den größten Anstrengungen ausbrechen könnten. Sie sind zum Unwissen verdammt, weil bereits all das, was Ausgangspunkt ihrer Einbildungskraft und ihres Denkens in dieser Situation sein kann, bloßer Schein ist. Auf die Politik gewendet ist klar, dass unter diesen Bedingungen ein wirklich menschenwürdiges Leben und eine kompetente politische Führung unmöglich ist. Bestenfalls ist der Einäugige unter den Blinden König in diesem Reich des universalen Irrtums.

Unter den beschriebenen Bedingungen erlangen die niedrigen Bedürfnisse des Menschen, von Platon traditionell in den unteren Leibesregionen angesiedelt, die Herrschaft über die höheren Anlagen der Tugend und der Vernunft, die in Brust und Kopf lokalisiert werden. Seine Triebe halten den Menschen in einem Zustand, der weit hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Möglich wäre ihm ein Dasein, das sich aus philosophischer Einsicht heraus den ewigen Ideen des Wahren und Guten zuwendet. Das würde dann auch die Politik in die Aktivität einer wahrhaft tugendhaften Bürgerschaft verwandeln. Dahin scheint in der Höhle auf den ersten Blick jedoch kein Weg zu führen.

Weg aus der Verblendung

Allerdings eröffnet das Gleichnis die zumindest prinzipiell vorhandene Möglichkeit eines Aufstieges aus der Höhle. Es ist schließlich nicht die Naturausstattung des Menschen allein, die ihm eine klare Sicht der Dinge unmöglich macht, sondern es sind bestimmte Wahrnehmungs- und Vorstellungsverhältnisse, die seiner Höherentwicklung im Wege stehen. Platon spielt daher in der Fortsetzung seiner Geschichte den Fall eines Entkommens aus der Höhle der Verblendung durch. Er geht dabei davon aus, dass einer, der den Aufstieg geschafft hat, sich zunächst an das helle Licht der Sonne gewöhnen müsse, was wiederum nur unter Schmerzen möglich sein dürfte. Außerdem bedarf er eines Lehrers, der ihn dazu veranlasst, sein Augenmerk nun wirklich auf die Dinge zu lenken und sie bei ihrem richtigen Namen zu benennen.

Gemeint sind mit den wirklichen Dingen aber keinesfalls die materiellen Realitäten unserer Erfahrungswelt. In Platons idealistischer Philosophie ist die Höhle nichts anderes als unsere alltägliche Welt und ihr Erfahrungshorizont. Alles in ihr ist vergänglich und nachgerade trivial. Wenn die Dinge in ihr irgendeine Bedeutung haben, so nur, weil die Ewigkeit der Urbilder (Ideen), nach denen sie letztlich geschaffen sind, ihnen einen Abglanz mitteilt. Der wahre Philosoph richtet sich daher an den ewigen Ideen aus und begibt sich auf die Suche nach der Wirklichkeit des Guten und der Wahrheit, im Vergleich zu der die die vergängliche Welt ein bloßer Schatten ist. Die Philosophie in ihrer Hinwendung zum Ewigen und Wahren ist die einzige vollendete Lebensform des Menschen.

 

Ideenlehre

Zusammenfassung

Das Höhlengleichnis

Im Höhlengleichnis zeigt Platon, dass der grundsätzliche Mangel der menschlichen Erkenntnis in ihrer falschen Ausrichtung auf die vergänglichen Dinge der Welt besteht. Nur wer sich den Ideen als Urbildern der Realität zuwendet, erlangt wahres Wissen und ist zum Herrschen berechtigt.

Die Folgerungen dieser Lehre für die politische Ordnungskonzeption sind in vielfacher Hinsicht bemerkenswert. Wenn schon aus dem Schiffsgleichnis klar wurde, dass Herrschaft ohne überlegenes Wissen nicht zu einem guten Ende führen kann, so wird im Höhlengleichnis klar gemacht, dass Wissen überhaupt ein knappes Gut darstellt, das nicht ohne Weiteres verfügbar gemacht werden kann. Der, der aus der Höhle entkommen ist, wird nämlich, wenn er zurückkehrt, und Platon hält ihn für zur Rückkehr verpflichtet, große Schwierigkeiten haben, seine privilegierte Erfahrung der Wahrheit den in der Schattenwelt verhafteten Mitmenschen mitzuteilen. Er läuft Gefahr getötet zu werden (Politeia 517a), weil sich die anderen ihre bescheidene Welt nicht nehmen oder schlecht machen lassen wollen.

Gleichwohl sieht Platon nur eine Möglichkeit dafür, dass sich in der Welt wahrhaft menschliche Verhältnisse durchsetzen. Die politische Gemeinschaft ist letztlich wie ein großer Mensch (makros anthropos) zu verstehen, in dem nur die Harmonie zwischen den verschiedenen Seelenteilen ein wohlgeordnetes Wesen hervorbringt. Es herrscht eine vollkommene Analogie zwischen dem Einzelwesen und der Polis: Den Körper des Menschen soll sein vornehmstes Vermögen – die Vernunft – regieren, das Gemeinwesen sollen die Weisesten seiner Bürger – die Philosophen – beherrschen.

Philosophenkönige

»Wenn nicht, […], entweder die Philosophen Könige werden in den Staaten oder die jetzt sogenannten Könige und Gewalthaber wahrhaft gründlich philosophieren und also dieses beides zusammenfällt, die Staatsgewalt (dynamis te politika) und die Philosophie […], gibt es keine Erholung von dem Übel für die Staaten, […], und ich denke auch nicht für das menschliche Geschlecht, […].« (nach Politeia 473d).

Mächtige Vernunft – vernünftige Macht

Die »Politeia« entwirft daher eine utopische Gesellschaft, in der musische und mathematische Bildung allen mehr oder weniger zugänglich sind, jeder ohne Ansehung seiner Herkunft einen Platz einnimmt, der seinen Fähigkeiten entspricht, kein Privateigentum existiert und Männer und Frauen weitgehend gleichberechtigt sind. Je nach Befähigung bilden die Menschen die Stände dieses Staatswesens. Die Mutigen werden Wächter, den Weisen steht die Führung zu und die, die nur normal begabt sind, sorgen für die ökonomische Reproduktion. Daraus ergibt sich eine direkte Entsprechung (Analogie) von Gemeinwesen und Einzelnem. Auch beim einzelnen Menschen soll die Vernunft die Führung über die Tugenden und Begierden übernehmen. So wird die Bändigung und Orientierung des einzelnen Menschen und der Gemeinschaft der Menschen letztlich durch die gleichen Kräfte vollzogen: die der Philosophie und der Vernunft (s. Abb. 6).

Im einzelnen Menschen und in der Polis setzt die Verwirklichung dieser Konzeption, die eine der ersten Utopien der Menschheit darstellt, ein radikal verändertes Verhältnis von Vernunft und Macht voraus: Die Vernunft muss mächtig werden und die Macht vernünftig. Platon selbst hat theoretisch wie in der praktischen Politik die Schwierigkeit diese Konzepts erkannt bzw. erlebt, dass ihm wesentliche Hindernisse entgegenstehen. Mehrfach hat er versucht über seinen Einfluss auf den Alleinherrscher von Syrakus wenigstens an einem Ort der philosophischen Herrschaft zum Durchbruch zu verhelfen und ist dabei gescheitert.

Abb. 6 |

Die Analogie von Polis und Mensch


Von Platons politischer Theorie geht jedoch trotzdem bis in die Gegenwart hinein ein erhebliches Anregungspotenzial aus. Es ergibt sich aus einer Politikkonzeption, die die Rechtfertigung von politischer Herrschaft durch Wissen in das Zentrum ihrer Argumentation stellt. Sie findet starken Widerhall in der Erwartung, dass Politik von den sachlich dazu befähigten und zugleich moralisch integren Menschen gemacht werden soll. Wenngleich Platon mit seinem Philosophenkönig sicher keine moderne »Expertokratie« ausrufen wollte und eher an einen umfassend gebildeten Weisen als an einen modernen Wissenschaftler gedacht hat, so bleibt doch seine Forderung nach Kompetenz bis in die Gegenwart plausibel.

Diktatur der Vernunft

Aber auch das Risiko, dass in den von ihm vorgetragenen Argumenten enthalten ist, ist nur zu deutlich erkennbar. Man muss Platon nicht zum »Feind der offenen Gesellschaft« hochstilisieren (Karl Popper), um zu sehen, dass seine Überlegungen mit einer liberalen Demokratie schnell in Konflikt geraten. Sein Modell erinnert, eben weil den Beherrschten (so sie keine Philosophen sind) insgesamt die Fähigkeit zur Beurteilung der Herrscher (so sie denn Philosophen sind) abgesprochen wird, an eine Erziehungsdiktatur, in der die Herrn ihr Volk erst zu Bürgern und Bürgerinnen machen müssen, die dann ihren Ort im Gemeinwesen einnehmen können. Einige der Mittel, die Platon dazu für unverzichtbar hält, kennen wir aus totalitären Systemen. So werden eine zentrale Familienplanung und die Auflösung der Familie, womit die Bildung von Vetternwirtschaft und Protektion zugunsten der gleichen Chancen für jeden verhindert werden soll, jedenfalls in einer freiheitlichen Ordnung nicht akzeptabel sein.

Zusammenfassung

Kennzeichen von Platons politischer Theorie

● Demokratie und Verblendung: Das Volk ist aufgrund mangelnder Fähigkeiten nicht zur politischen Entscheidung fähig. Die meisten Menschen befinden sich in ihrer Beschränkung auf die Welt der Dinge in einem Zustand der vollkommenen Verblendung.

● Herrschaft des Wissens: Nur auf überlegenem philosophischen Wissen kann legitime und gute Herrschaft aufgebaut werden.

● Ordnung der Stände und der Seele: Im Idealfall ordnet sich ein Gemeinwesen wie ein einzelner Mensch durch die Harmonie seiner Teile. Diese ist dann erreicht, wenn jeder Teil bzw. jede Befähigung den ihm bzw. ihr angemessenen Ort gefunden hat.


Aristoteles: Die Politik der Bürger

Wissen vom Handeln

Aristoteles (384 – 323 v. Chr.) war Schüler Platons. Er gilt als einer der Begründer der abendländischen Wissenschaftstradition, insbesondere der Politikwissenschaft. Anders als sein Lehrer misst er den Bereich des Politischen nicht an ewigen Gesetzen und Ideen, sondern betrachtet ihn als ein Phänomen, das aus seinen eigenen Regeln aufgrund von Erfahrungen beurteilt werden muss. Er sammelte wahrscheinlich als einer der ersten Wissenschaftler Verfassungen, wertete sie systematisch aus und verglich sie in Beziehung zu dem Gemeinwesen, für das sie bestimmt waren. Das Ergebnis dieser Untersuchungen ist, dass es die beste Verfassung immer nur im Hinblick auf die Menschen gibt, die in ihr leben sollen.

Das Programm einer praktischen Wissenschaft, für die Politikwissenschaft und Ethik in einem engen Verhältnis zueinander stehen, beschreibt Aristoteles in den Eingangskapiteln der »Nikomachischen Ethik«. Ausgangspunkt ist dabei die Überlegung, dass die Methode der Untersuchung eines Gegenstands immer von der Natur des Objektes abhängt. Ethik und Politik als Gegenstand der praktischen Wissenschaften stellen einen eigenen Bereich des Seins dar, der sich dadurch auszeichnet, dass er durch menschliches Handeln existiert und durch dieses Handeln auch jederzeit verändert werden kann. Dem entspricht die Qualität des Wissens, das im Bereich der menschlichen Dinge erworben werden kann. Es ist ein Wissen von Grundmustern (typos), das notwendig weniger genau und sicher ist als das Wissen, das über die sich ewig gleichbleibenden Gesetze und Strukturen der außermenschlichen göttlichen oder weltlichen Natur gewonnen werden kann. Der Mensch ist ein Mittelwesen. Was ihm gemäß ist, ist daher ein Handeln, das sich an der Mitte und der Mäßigung ausrichtet.

Ausgangspunkt der praktischen Philosophie, die in die beiden Teile der persönlichen (Ethik) und der gemeinschaftlichen Lebensführung (Politik) zerfällt, ist das Faktum des menschlichen Handelns. Aristoteles beginnt seine Ethik mit dem berühmten Satz: