Wundersame Geschichten II

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»Und was hast du im Einzelnen vor?«

»Ich möchte gerne nach Kairo, wo wir eine ganze Zeit lebten und wo es viel zu sehen gibt, vor allem für dich, dann mit einem der besseren Hotelschiffe auf dem Nil, zunächst nach Luxor in Oberägypten, wo das Regiment für zwei Jahre stationiert war und nach Assuan, wo sie inzwischen den großen Staudamm gebaut haben. Dort, am Oberlauf, haben wir einmal bei Einfällen aus dem Sudan schlichten müssen. Eigentlich würde ich genauso gerne Khartum im Sudan wiedersehen wollen, wo das Regiment länger stationiert war. Aber ich muss zugeben, dass ich den Wunsch wegen der Unruhe, die da zurzeit herrscht, begraben habe.«

»Na, da bin ich jedenfalls beruhigt. Wie sollen wir eine solche Reise denn organisieren, Papa? Soll ich das vorbereiten?«

»Natürlich nicht, mein Kind. Dafür ist ein alter Offizier, der lange genug Dienst als ›Intelligence Officer‹ getan hat, noch durchaus in der Lage. Im Übrigen braucht man ja schon seit geraumer Zeit nicht mehr selbst viel dafür zu tun. Es gibt schließlich Leute, die das alles für einen erledigen, wenn man nur weiß, wohin man will und man das Geld dafür hat. Thomas Cook wird das alles für uns richten.«

»Und Blackie?«

»Ich denke, den gibst du in einen Zwinger, zu McBridle zum Beispiel, den kennt er ja.«

»Papa, du weißt, dass ich mich von dem Hund nicht trennen mag – abgesehen davon, dass er meines Erachtens leiden und einen Zwinger kaum mehr ertragen würde. Können wir nicht einen Weg finden, den Hund mitzunehmen?«

Oberst Burgess fühlte sich unbehaglich. Eine Reise per Luft und Schiff mit einem so großen Hund würde alles sehr komplizieren, und er versuchte deshalb, die Bitte abzuwehren.

»Nein, Papa, der Hund benimmt sich ausgezeichnet und kann sich jeder Situation anpassen. Schließlich hat sein Vorbesitzer ihn auch von Ägypten hierher gebracht. Und ...«, und damit spielte sie ihren letzten Trumpf aus, »... hast du mir nicht selber gesagt, dass diese Rasse bei den Ägyptern eine Art Scheu oder Vorsicht auszulösen scheint? Er würde somit unserer Sicherheit dienen und uns in einem doch nicht so ganz einfachen Land durchaus eine Hilfe sein, oder?«

Ihr Vater grummelte zwar ein wenig, andererseits mochte er seiner Tochter nicht gern eine Bitte abschlagen und gab schließlich nach: »Ich will sehen, was möglich ist. Ob wir tatsächlich den Hund mit ins Flugzeug kriegen und was mit den Hotels ist. Ich kann mir kaum vorstellen, dass man Hunde auf diesen Hotelschiffen akzeptiert. Aber ich werde zumindest nachfragen.«

»Ich war heute Morgen übrigens bei der Thomas-Cook-Agentur am Strand in London ...«, berichtete Oberst Burgess seiner Tochter, als sie zwei Tage später wieder vor dem Kamin zusammensaßen, »... und habe dort meine Wünsche vorgetragen. Eine erstaunliche Organisation. Sie kannten sich mit Reisen nach Ägypten gut aus. Der Mann war sogar selbst mehrmals dort gewesen und empfahl als Reisezeit vor allem die Monate März und November. Als wenn ich nicht am eigenen Leibe erfahren hätte, wann man es dort am besten aushalten kann. Also, ich möchte für zwei bis drei Wochen im März nächstes Jahr planen. Man wird mir einen nach meinen Wünschen gestalteten, detaillierten Reiseplan mit Alternativen in zwei oder drei Tagen zuschicken, zu dem wir uns dann äußern müssen. Im Übrigen hat er mir dieses Informationsmaterial hier zusammengestellt, mit dem auch du dich befassen musst, Amy. Du solltest bei meinem nächsten Besuch bei Thomas Cook eigentlich dabei sein, damit deine Wünsche ebenfalls angemessen berücksichtigt werden.«

»Ja und was ist mit Blackie? Hast du dich, wie versprochen, erkundigt, ob es Schwierigkeiten gibt, ihn mitzunehmen?«

Oberst Burgess grinste. »Beinahe hätte ich vergessen, es zu erwähnen. Aber Spaß beiseite, Amy. Ich war verblüfft, wie einfach, fast selbstverständlich das ist. Offenbar haben nicht nur wir die Absicht, mit einem Hund zu reisen, sondern andere Leute auch, jedenfalls die, die nicht nur eine der Pauschalreisen buchen, sondern individuelle Pläne haben. Man ist also ganz darauf vorbereitet. British Air stellt spezielle Transportbehälter zur Verfügung. Die Hunde werden an Bord beaufsichtigt. Wenn man 1. Klasse fliegt, hat man sogar die Möglichkeit, nach den Hunden zu sehen. In den Hotels in Kairo und Luxor gibt es genügend Erste-Klasse-Häuser, die Hunde selbst in den Gasträumen akzeptieren und Hunde ausführen; auf Hotelschiffen der gehobenen Klasse gilt das Gleiche. Es ist doch gut, dass Ägypten ein Land ist, das sich mit den Vorlieben der Briten auskennt.« In Gedanken fügte er hinzu: »Lange genug haben sie sich ja an uns gewöhnen können!«

»Nun, was sagst du dazu?«

Amy war aufgestanden, hatte sich über ihren Vater gebeugt und ihm einen Kuss gegeben.

»Du bist der Beste, Papa. Ich freue mich jetzt doppelt und verspreche, mich wirklich gut auf die Reise vorzubereiten und dir eine dankbare und gehorsame Begleiterin zu sein.«

Die Vorbereitungen nahmen ihre Zeit in Anspruch. Da man auf der Tour durch Ägypten mehrere Klimazonen passiert, waren Sommer- und Herbstkleidung ein Muss. Auch was sonst alles eingepackt werden musste, vom Fernglas für den Herrn Oberst bis zum Tagebuch für Amy, verlangte Überlegungen und Planung.

Schließlich waren sie auf dem Weg nach Heathrow und gingen durch die Flughafenroutinen. British Airways machte es seinen Passagieren einigermaßen leicht, und insbesondere das Einchecken für Blackie war einfacher bewerkstelligt als befürchtet. Der Hund benahm sich mustergültig. Er schien zu wissen, was zu tun war und machte überhaupt keine Schwierigkeiten, als er in den Transportbehälter einsteigen musste. Er sah nur Amy an und tat, worum sie ihn bat. Das Personal schüttelte erstaunt den Kopf. Der Oberst schnaufte zufrieden.

Während des Direktfluges mit der Boing 737 von London nach Kairo sah Amy dreimal nach ihrem Hund, der ruhig in seinem Käfig lag und zu schlafen schien, aber sofort die Augen öffnete und sie ansah, als sie sich näherte und sich zu ihm hinunterbeugte. »Es ist zu ertragen«, schien er sagen zu wollen und wedelte zweimal mit seiner Rute.

Ohne Probleme kamen sie vom Flughafen zum Hilton Hotel am Nil, wo man, von Thomas Cook vorbereitet, ein Doppelapartment mit Blick über den Nil, zwei Schlafzimmern und einem Hundeliegeplatz bereithielt.

»Geld macht vieles möglich«, räumte der Oberst ein, weil seine Tochter sich verwunderte und über die Vorbereitungen glücklich war.

Erst in den folgenden Tagen, als sie sich in Kairo umsahen und nacheinander das Besuchsprogramm der sogenannten ›Must-be’s‹ in dieser unglaublich unübersichtlichen Stadt absolvierten, kam es zu ein paar Ereignissen, die Amy auffielen. Alle hatten mit Blackie zu tun. Der Hund erhielt sein Futter regelmäßig von einem einfachen Angestellten Abud, einem kleinen dürren Mann, der alle Haustiere im Hotel zu versorgen schien. Als der sich morgens zum ersten Mal im Apartment meldete, um das Futter zu bringen, und den tierischen Gast sah, machte er eine Verbeugung, fast einen Kniefall und legte dem Hund sein Futter mit allen Zeichen der Verehrung vor. So blieb es auch in den Folgetagen.

Wenn Amy mit Blackie in den Gärten um das Hotel spazieren ging, gingen ihnen einige Arbeiter aus dem Weg. Als Abud zum ersten Mal kam, um Blackie mit den Hunden anderer Gäste auszuführen, weigerte er sich mitzugehen und war nicht von der Stelle zu bringen. Als Amy selbst ihn ausführte, war er wie ein Lamm.

Bei der Besichtigung des Ägyptischen Museums, Ziel jedes Kairobesuchers, der sich für das Land interessiert, war Blackie nicht dabei. Oberst Burgess und seine Tochter erhielten eine exklusive Führung durch einen der Kuratoren, einen Mr Al-Budai, an der außer ihnen nur zwei ältere Ehepaare teilnahmen. Sie hatten gerade die Säle mit den großen Sarkophagen durchschritten und die zum Teil wundervoll innen und außen bemalten und anderweitig verzierten Särge bewundert und kamen in den nächsten Saal, der dem Brauch der Einbalsamierung der Toten und der Ausstellung von Mumien gewidmet war. Amy wollte sich schon von der Beschreibung der Einzelheiten einer Einbalsamierung mit entsprechenden Darstellungen erschrocken abwenden, als ihr Blick auf das übergroße Bildnis, offenbar eines ägyptischen Gottes fiel, der nur mit einem weißen Schurz über seinem braunen Körper bekleidet eine etwas hervortretende Wand schmückte und den Saal beherrschte. Sie blieb erschrocken stehen und rief unwillkürlich: »Papa, das ist doch Blackie, jedenfalls sein Kopf!!« Die vorangehenden Herren drehten sich um und folgten ihrer ausgestreckten Hand.

Auch Oberst Burgess schien erstaunt zu sein. Aus den Schultern des braunen Gotteskörpers wuchs das Haupt eines großen schwarzen Hundes mit langem Fang, hoch aufgestellten Ohren und grünen Augen. In der rechten Hand hielt er einen unten gegabelten langen Stab mit merkwürdiger Krücke, in der anderen ein Gerät, das wie ein Kreuz aussah, dessen einer Längsbalken wie ein Ring geformt ist.

Der Kurator trat zu Amy, um zu erfahren, was sie in solches Erstaunen versetzt habe. Sie zeigte auf das Porträt.

Mr Al-Budai erklärte ihr: »Das ist ein Bildnis des Gottes Anubis, eines der ältesten Götter des alten Ägyptens. Er ist hier in diesem Saal besonders dargestellt, weil er die Menschen in ihr Leben nach dem Tode begleitete und eine wichtige Rolle bei allen Riten für die Verstorbenen spielte. In der rechten Hand hält er das ›Was-Zepter‹, das Machtsymbol eines Gottes, in der linken den ›Anch‹, den wir auch Henkelkreuz oder ägyptisches Kreuz nennen, das Zeichen für das Weiterleben nach dem Tode. Wenn es Sie interessiert, werde ich Ihnen gern anschließend weitere Einzelheiten zu seiner Rolle im ägyptischen Pantheon erzählen, die sich über die Jahrtausende allerdings etwas verändert hat. Aber warum waren Sie eben so erstaunt und fast erschrocken?«

 

»Ich habe einen Hund, der hier aus Ägypten stammt, und dessen Kopf genauso aussieht wie der dieses Gottes Anubis.«

»Es gibt diese Rasse seit uralten Zeiten. Sie ist allerdings sehr selten und kommt allenfalls noch in einigen Orten am oberen Nil vor, besonders in der Nähe des ehemaligen Hauptheiligtums von Anubis auf einer Insel im Nil bei einem kleinen Ort El Kays, der früher von den Griechen bezeichnenderweise ›Cynopolis‹ genannt wurde – Stadt der Hunde. Die Hunde galten als Inkarnation des Gottes und wurden, wie alle Dinge, die mit dem Totenreich zu tun haben, von den Menschen mit großer Scheu und Vorsicht behandelt. Bei manchen Menschen in unserem Lande hält sich ein solcher Aberglaube bis heute.«

Amy dachte an das Verhalten von Abud und einiger Arbeiter im Hotel.

»Aber warum trägt dieser Gott denn diesen Hundekopf?«

»Die alten Ägypter sahen einen engeren Zusammenhang zwischen Tieren, Menschen und Göttern als wir heute. Sie wussten, dass die Götter und die Tiere, die sie in Ägypten umgaben, viel älter waren als sie, die Menschen, und deswegen einander auch näher. In den Tieren lebten die Götter und umgekehrt. Deshalb war es nur natürlich, den Gott in Tiergestalt oder in der Gestalt eines Menschen mit dem Antlitz eines Tieres oder umgekehrt darzustellen. Die Sphinx trägt ein menschliches Antlitz auf einem Löwenkörper. Die Götter Ra und später Horus tragen einen Falkenkopf. Andere einen Widderkopf. Apis, der Gott der Fruchtbarkeit, wird als Stier dargestellt, ein anderer, Sofar, in der Gestalt oder mit dem Kopf eines Krokodils, eines Affen, eines Geiers oder einer Schlange. Am merkwürdigsten kam mir immer die Gestaltung der Göttin Ammit vor, deren Kopf der eines Krokodils mit Löwenmähne war, darunter mit einem Menschenkörper und dem Hinterleib eines Nilpferds. Sie war die Göttin, die die Toten verschlang, wenn sie bei der Gewichtung des Herzens, das übrigens Anubis überwachte, zu leicht für ein Leben nach dem Tode befunden wurden.

In allen Grabstätten gab es einen Anlass, den Gott Anubis darzustellen, so wie hier, halb Mensch, halb Hund oder in der Gestalt eines großen schwarzen Hundes, wie er in der Totenkammer für Tutanchamun im Tal der Könige gefunden wurde. Der Hund soll eine Glorifizierung des grauen Wüstenwolfs sein. Früher meinte man allerdings, dass das Vorbild ein Schakal gewesen sei, weil die Kopfform mehr der eines Schakals ähnelt. Aber wer kann das wissen? Die Zeit, in der sich diese Dinge entwickelten, liegt mittlerweile um die sechs- bis siebentausend Jahre zurück. Schwarz ist er jedenfalls, weil Schwarz die Farbe des Nilschlamms ist, die wichtigste Identifikationsfarbe dieses Landes. Wir haben sie schließlich sogar in unserer Fahne.«

Das, was sie da eben gehört hatte, machte Amy zu schaffen. Sie dachte an Blackies Verhalten an Friedhöfen und Grabstätten und sah sich plötzlich tausend Fragen gegenüber. Sie bedankte sich bei dem Kurator für seine Erklärungen und bat darum, ihn am Ende noch etwas weiter befragen zu dürfen.

Der Kurator lud sie später zu einem frugalen Lunch im Museumscafé ein, wo Amy ihm über Blackie und seine Eigenheiten und Taten berichtete. Das wiederum fand bei Mr Al-Budai, dem Kurator, einem Professor für Geschichte und Mythologie der Universität von Kairo, uneingeschränktes Interesse. Amy zeigte ihm zwei Fotos, auf denen der Gelehrte unschwer die Anubis geweihte Hunderasse erkannte, die, wie er erklärte, von den Ägyptern auch ›Anubis-Hunde‹ genannt würden.

Als er erfuhr, dass die Burgess’ noch den Besuch von Luxor und danach Assuan planten, gab er ihnen seine Karte und schrieb ein paar arabische Wörter auf die Rückseite und den Namen Ernest Graham.

»Er ist Kurator im ›Tal der Könige‹ bei Luxor, das Sie sicher besuchen werden. Er ist ein Freund und wird sich gut um Sie kümmern. Ich werde Sie ihm avisieren. Außerdem empfehle ich Ihnen auf der Weiterfahrt nach Assuan einen kurzen Aufenthalt im Ort El Kays zu machen und die Reste des alten Tempels des Anubis auf der Nilinsel zu besuchen, was vielleicht nicht ganz einfach zu arrangieren ist, weil es nicht in den normalen Fahrplänen der Kreuzfahrtschiffe vorgesehen ist. Der Tempel ist uralt und zeigt natürlich nicht so viel her wie das, was Sie in Luxor sehen und sonst auf der Route. Aber bei Ihrem Interesse an dem, was Ihr Hund möglicherweise verkörpert, könnte ich mir vorstellen, dass sich der Aufenthalt lohnt.«

Nachts träumte Amy zum ersten Mal von Blackie. Zunächst erschien er ihr, wie sie ihn kannte, als der Hund, der ihr Gefährte war. Dann verwischte sich das Bild mit dem des Gottes Anubis aus dem Museum, der sich riesengroß über sie beugte. Der Gott sprach auch mit ihr. Aber, als sie morgens aufwachte, konnte sie sich nicht erinnern, was er ihr gesagt hatte.

Am Ausflug zu den Pyramiden bei Giseh nahm Blackie teil. Er wartete geduldig, während Oberst Burgess und nach einigem Zögern auch Amy sich einem der Führer für einen Kamelritt um die Pyramiden vorbei an der großen Sphinx mit anschließendem Besuch einer der Grabkammern in der Cheopspyramide anvertraut hatten. Auf diesem Wege benahm der Hund sich mehrfach sehr merkwürdig. Er blieb immer wieder stehen, an den Pyramiden selbst und an den Mastabas, auf dem westlichen und im östlichen Friedhof, legte seinen Kopf zurück und ließ einen tiefen Laut hören, kein Bellen, sondern eher ein Heulen, wie eine Wehklage. Es war nur kurz und keiner konnte Anstoß daran nehmen. Nur ein paar Kameltreiber sahen erschrocken zu dem Hund hin und machten Bewegungen, als wollten sie niederknien. Amy bekam fast ein bisschen Angst vor ihrem Hund. Ihr gegenüber ließ er überhaupt keine Änderung seines bisherigen, anhänglichen Benehmens erkennen.

Die sechs Tage in Kairo gingen nach einem Tagesausflug zum alten Memphis und zur Stufenpyramide von Sakkara und einem Ausflug per Schiff in das Nildelta bis zum Tempel von Dendera schnell vorüber und verliefen darum zur besonderen Zufriedenheit von Oberst Burgess, weil er den Besuch eines höheren Offiziers der ägyptischen Armee erhielt, der ihn als ehemaligen Offizier einer befreundeten Nation würdigte und zu einem Besuch seines Offizierskasinos einlud.

Die Fortsetzung des Urlaubs fand auf dem etwas älteren, aber besonders luxuriösen Nilkreuzfahrtschiff ›Alexandria‹ statt, das sich bei aller Modernisierung seiner technischen Einrichtungen die Atmosphäre eines guten englischen Klubs bewahrt hatte. Das Doppelapartment im oberen der beiden Hotel-Stockwerke war bequem und sah einen Platz für Blackie vor, der von dem Personal mit zwei anderen Hunden, die auch mit an Bord gekommen waren, aufmerksam und, wie es Amy erneut schien, fast ehrfürchtig behandelt wurde. Seinen Auslauf fand der Hund meistens abends, wenn das Boot an einem der Nilorte anlegte.

Meistens hielten sich Vater und Tochter Burgess im Verlauf des Tages auf der Aussichtsplattform auf dem Oberdeck auf, wo man unter Sonnensegeln einen Blick über den Fluss und die Uferregion hatte und den leichten Wind genießen konnte, der ständig über dem Nil hinzog. Während Amy las, in ihrem Tagebuch schrieb oder ihren Hund beobachtete und nur gelegentlich einen Blick über das Wasser und auf die Uferregion warf, hatte Oberst Burgess oft das Fernglas am Auge und wunderte sich vor allem über das Nebeneinander von Baumaßnahmen und technischen Einrichtungen eines sich modernisierenden Staates und von Dingen, die es gegeben haben mochte, solange es den Nil und eine Zivilisation im Niltal gab. Da waren auf dem Wasser die alten Nilbarken, sogenannte Feluken mit ihren Trapezsegeln, auf denen Personen- und Frachtverkehr des Landes seit Jahrtausenden stattgefunden hatte oder die Wasserschöpfräder am Uferrand, die den Wassersegen den Feldern im engen Niltal zuführen. Die Eindrücke eines uralten Landes überwogen immer mehr, je weiter sie nach Süden kamen.

Blackie lag auf dem Sonnendeck meistens im Schatten neben Amys Liegestuhl. Nur manchmal stand er auf und ging an die Reling und schaute, wie es schien, in angespannter Haltung zu einem Punkt am Ufer, dessen Bedeutung für Amy und ihren Vater meistens nicht zu erkennen war und ließ gelegentlich einen kurzen, leisen Klageton hören. Nur am Anfang, als sie Kairo gerade verlassen hatten und Oberst Burgess mit dem Glas die Spitzen der Pyramiden auszumachen versuchte, stand der Hund neben ihm und heulte ein wenig lauter auf.

Für die etwa 700 Kilometer lange Strecke flussaufwärts nach Luxor brauchte die Alexandria zweieinhalb Tage, die Vater und Tochter Amy nicht lang wurden. Sie legten einmal abends in el-Balyana an, gingen mit Blackie von Bord und beobachteten das Leben und Treiben in der uralten Stadt, die über einer der Metropolen des alten Ägyptens, dem alten Abydos, entstanden war, das schon in vordynastischer Zeit von Bedeutung war.

Am nächsten Morgen besichtigten sie freigelegte Reste der Tempel für Sethos I., die Reste eines Osiris-Tempels und alte Grabfelder aus vordynastischer Zeit, auf denen Blackie wiederum mehrmals kurz seine Klagelaute hören ließ. Sie sahen an verschiedenen Tempelwänden auch Reliefs des Anubis.

Auf dem Rückweg zum Schiff liefen sie über den lokalen Markt, ohne von den in Ägypten nur allzu oft aufdringlichen Verkäufern lokaler Früchte, von Schmuck und Kleidung belästigt zu werden, was sie wohl zu Recht der Begleitung durch Blackie zuschreiben konnten, der allen Leuten Respekt und vielleicht sogar Ehrfurcht oder gar Angst einzuflößen schien.

In Luxor war ein Aufenthalt der Alexandria von drei Tagen vorgesehen. Das Schiff hatte einen für die Reisenden recht bequemen Liegeplatz, bequem, weil man direkt vor dem alten Luxushotel ›Old Winter Palace‹ lag, in dem man Tagesbequemlichkeit und jede Möglichkeit der Kommunikation und drei gute Restaurants fand. Als Erstes stellte Oberst Burgess Verbindung zu dem ihnen vom Kurator des Ägyptischen Museums empfohlenen Kurator des Tals der Könige, Ernest Graham, her, der von seinem Kollegen schon informiert war und ihnen anbot, sie am nächsten Tag persönlich nach Theben-West, der Gräberstadt auf der Westseite des Nils, zum Tempel der Hatschepsut und schließlich ins Tal der Könige zu begleiten. Zum Kennenlernen verabredeten sie sich für den Abend zum Dinner im Old Winter Palace.

Ernest Graham, Mitte sechzig, war, wie sich herausstellte, ein in Habitus und Persönlichkeit typisch englischer Professor – easy to talk to – sehr gelehrt, ohne Aufdringlichkeit oder Weltfremdheit. Er kam mit seiner Frau Lucy, die von der Art war, dass man sie nach kurzem Kennenlernen am liebsten als Familientante adoptiert hätte. Es dauerte also nicht lange, bis man sich nach Austausch von ein paar einführenden Fragen und Antworten fast wie eine Familie benahm.

»Sie sind aus Weybridge? Wie interessant. Wir kommen aus Esher. Wir sind somit eigentlich Nachbarn!«

»Sie waren Chef der 22. Fuseliers? Wir sind befreundet mit John und Edith Granworth, Ihrem Nachfolger bei den Fuseliers. Vielleicht wissen Sie, dass er auch aus Esher stammt.«

Das britische Netzwerk arbeitete.

»Esfra, ich meine meinen Kollegen und Freund im Ägyptischen Museum, Mr Al-Budai, den ich sehr schätze, hat Sie bei mir schon angekündigt und mir empfohlen, mich um Sie zu kümmern, was ich umso lieber tue, nachdem ich Sie kennengelernt habe.«

Es entspann sich eine rege Unterhaltung, die natürlich, wie bei solchen Gelegenheiten üblich, zunächst auf die Ermittlung beiderseitiger Bekanntschaften, Erlebnisse und Interessen einging, um später zur Diskussion der bisherigen Reiseeindrücke und Erfahrungen überzugehen. Und in dem Zusammenhang kam Ernest Graham darauf zu sprechen, was ihm sein Kollege Al-Budai über Blackie berichtet hatte.

»Wo ist denn Ihr Hund zurzeit?«

»Er liegt vor der Tür. Er würde uns nie beim Dinner stören, wie wir ihm nicht zusehen, wenn er seine Mahlzeit bekommt.«

»Esfra machte ein paar Andeutungen, dass Sie ihm ein paar Wunderdinge über den Hund erzählt haben. Ich kenne diese Rasse, die man Anubis-Hunde nennt, und die in Ägypten, vor allem hier im oberen Ägypten, Verehrung genießt, ganz gut und weiß von der Intelligenz der Tiere.«

Das war Wasser auf die Mühlen von Amy. Während Oberst Burgess meistens schmunzelte und nur manchmal ein paar Worte zur Bestätigung dessen, was Amy erzählte, einwarf, berichtete die von ein paar der wichtigsten Großtaten von Blackie.

»Wirklich erstaunlich«, meinten Ernest und Lucy Graham übereinstimmend.

»Na, wir werden Ihren Blackie ja wohl noch kennenlernen. Hoffentlich bringen Sie ihn mit zu unseren Besichtigungen in den nächsten Tagen. Wenn ich dabei bin, gibt es damit kein Problem, insbesondere da Ihr Hund, wie Sie sagen, sehr diszipliniert ist.«

Und damit war Professor Graham bei seinen Vorschlägen für die Gestaltung des Besichtigungsprogramms für die nächsten beiden Tage. Am kommenden Tag wolle er ihnen Karnak, den Tempelbezirk im Norden von Luxor, zeigen, und nachmittags die Gräberstadt auf der anderen Seite des Nils, mit einem anschließenden Besuch des Tempels der Hatschepsut. Abends würden er und seine Frau die Burgess’ gern bei sich zu Hause sehen. Am zweiten Tag möchte er mit ihnen das Tal der Könige besuchen, die berühmte Nekropole für Pharaonen und ihre Familien und Begleiter vornehmlich aus den Dynastien des frühen Neuen Reichs, also aus dem Mittelalter der ägyptischen Geschichte, der Zeit um 1500 vor unserer Zeitrechnung. Alle Welt kapriziere sich übrigens darauf, das Grab des Tutanchamun zu besichtigen, das bekanntlich erst 1922 völlig unbeschädigt gefunden und erforscht worden sei und heute tatsächlich die am besten erhaltene Grabstätte im ganzen Tal sei. Da dort der Andrang üblicherweise besonders groß werde, schlage er vor, dass man es vor der normalen Öffnung des Tals für andere Besucher besichtige. Das mache notwendig, dass er die Burgess‘ schon gegen 7 Uhr 30 morgens abhole.

 

»Wäre Ihnen das möglich und akzeptabel?«

»Das ist eine für uns normale Zeit. Meistens sind wir sogar früher auf.«

»So haben wir das Tal noch länger für uns, wenn ich bereits um 7 Uhr komme! Und auch mit dem Hund gibt es dann keine Probleme.«

Genau wie besprochen lief das Programm ab. Als Graham die Burgess‘ morgens mit seinen Landrover abholte, bewunderte er zunächst Blackie.

»Ohne Zweifel ein reinrassiger Anubis-Hund. Sie werden sein Konterfei oft auf unseren Rundgängen als Hieroglyphe, Relief oder als Abbild in den Grabkammern wiedersehen.«

Die Tempelanlage von Karnak für den Gott Amun und die Pharaonen Ramesses III. und Thutmosis III. mit ihren riesigen Säulen, dem großen Gräberfeld, dem Heiligen See begeisterte Vater und Tochter Burgess, wie alle Besucher, die in der Neuzeit vor ihnen dieses Weltwunder zu sehen bekommen hatten. Nur die vom späteren Vormittag an zunehmende Hitze machte den Rundgang ein bisschen beschwerlich.

Blackie benahm sich mustergültig. Als sie durch den Wald der großen Säulen gingen, zeigte er in seiner Haltung, dass er wusste, wo er war; aber er gab keinen Laut von sich. Erst in den Gräberfeldern setzte er sich ein paarmal hin und stimmte eine seiner kurzen Klagen an. Was ihn jeweils dazu bewegte, blieb wie zuvor rätselhaft. Gleiches geschah, als sie auf der Westseite des Nils die Tempel und Gräberfelder in Theben-West und insbesondere die große Tempelanlage der Hatschepsut besuchten. Er gab nur an den eigentlichen Gräberfeldern und an einigen der Mastabas seinen Klagelaut von sich.

»Wie üblich sind es offenbar nicht die Tempel, sondern die belegten Gräber, die ihn zu seiner Trauer anregen«, sagte Amy zu Professor Graham, was diesen erneut verwunderte. Und nicht nur den Burgess’, sondern in erster Linie ihrem Führer fiel auf, dass der Hund vor allem bei den Arbeitern und sonstigen Helfern mit Scheu beobachtet wurde, und das besonders, wenn er einen seiner kurzen Klagegesänge anstimmte.

»Fraglos, ein ganz ungewöhnliches Verhalten. Ich habe das bisher von keinem anderen der Anubis-Hunde gehört.«

Beim Dinner, abends bei den Grahams, wurde über die Erlebnisse des Tages gesprochen. Ernest Graham erzählte den Burgess unter anderem etwas über die große Pharaonin Hatschepsut, die ›Mutter Ägyptens‹, die für über zwanzig Jahre für ihren Mann und Bruder Thutmosis II. und nach dessen Tod für seinen Nachfolger Thutmosis III. das enorme Reich regierte, wie wohl keine andere Frau der Alten Welt. Er redete sich richtig in Begeisterung über diese außergewöhnliche Sonderstellung in der patriarchalischen Welt und meinte schließlich schmunzelnd, dass nicht einmal Margaret Thatcher dieser Frau hinsichtlich politischer Klugheit, Energie und Durchsetzungsfähigkeit das Wasser hätte reichen können. Anschließend gab er den Burgess eine Vorschau auf den bevorstehenden Besuch des Tals der Könige und anhand einer Skizze eine Übersicht über die wichtigsten Gräber. Am Ende seines kurzen Exkurses beantwortete er Amys Frage, ob man eigentlich im Tal der Könige oder dem der Königinnen alle Grabstellen gefunden habe mit: »Ich weiß es nicht« und zuckte die Achseln.

»Manchmal denke ich, dass es hier wie dort keinen Winkel gibt, in dem nicht gesucht wurde. Nicht nur von uns, den Erforschern der ägyptischen Vergangenheit, sondern vor allem auch von denen, die sich seit der Antike illegal an den verborgenen Schätzen bereichern wollten. Andererseits fehlen uns doch noch die Grabstellen für etliche Pharaonen und der ihnen nahestehenden Personen aus dieser Epoche der ägyptischen Geschichte, der der 17. bis 20. Dynastie. Irgendwo begraben müssen sie sein. Mich sollte es nicht wundern, wenn irgendwann einmal wieder ein aufsehenerregender Fund gemacht wird.«

Blackie lag derweil vor der Schwelle des Esszimmers und schien dem Gespräch zuzuhören. Er gab keinen Laut von sich.

Am nächsten Morgen stand Graham mit seinem Landrover pünktlich am Liegeplatz der Alexandria und nahm die beiden Burgess und den Hund auf, die Sonne stand bereits am Himmel, es war frisch.

»Die beste Zeit für diese Besichtigung. Ich mache meine Besuche drüben meistens um diese Zeit.«

Die Fahrt ging flott über die große Luxor-Brücke hinüber auf die Westseite und dann nach Norden. Geredet wurde nicht viel. Zwanzig Minuten später waren sie vor dem Eingang zum Tal der Könige. Die Wärter schlossen das Tor auf und Graham stellte seinen Wagen vor dem Verwaltungsgebäude ab. Der Fußmarsch begann über die sauber geharkten, von aus Beton gegossenen Begrenzungssteinen eingefassten Wege. Nur wenige Menschen – Wach- und Reinigungspersonal – waren zu sehen.

Vor ihnen lag der Eingang zum Tal, das an beiden Seiten durch verkarstete Berge begrenzt wurde, deren oben glatten Hügel in der Morgensonne fast hellrot glänzten, mit braunen bis lila Schatten in den Schründen an einigen Bergflanken und an den der Sonne abgewandten Stellen. Während manche der Hügel fast wie riesige Dünen wirkten, war doch sichtbar, dass es sich um ein uraltes Gebirge handelte. Überall gab es stark verwitterte steile Abstürze und Eingänge zu Seitentälern, als wenn es sich um ein vor Tausenden von Jahren ausgetrocknetes Flussbett mit Seitenarmen handele. Kein Busch oder Baum war zu sehen. Die morgendliche Stille wurde nur durch das entfernte Pochen eines Dieselmotors unterbrochen.

»Eigentlich sieht es hier aus, wie ich mir eine Mondlandschaft vorstelle, Papa«, meinte Amy.

»So ganz unrecht hast du da wohl nicht, Amy. Man hat tatsächlich das Gefühl, dass man sich in einer ganz besonderen Umgebung befindet. Besonders, wenn man sich die Leichenbegängnisse vorstellt, die diesen Weg entlanggezogen sind!«

Sie kamen an den ersten Abzweigungen von ihrem eingefassten Fußweg vorbei. Diese Abzweigungen führten auf längeren oder kürzeren Wegen zu den einzelnen Grabstätten, in den Berg links oder rechts getriebenen Stollen mit einfachen oder mit einem besonderen steinernen Rahmen eingefassten Zugängen.

Professor Graham begann mit seinen Erläuterungen. Er redete ein bisschen über die Geschichte der Entdeckung dieser Nekropole, sagte, dass alle Gräber in einem KV-Verzeichnis nummeriert seien, wobei die Abkürzung KV für ›Kings’ Valley‹ – Tal der Könige – stehe. Diese Öffnung an der linken Seite zum Beispiel sei die Grabstätte KV5, das ehemalige Grab von Söhnen des Pharao Ramesses II. aus der 20. Dynastie, mit um die 120 Kammern eine der größten Grabanlagen des Tals überhaupt. Etwas weiter, KV6 sei das Grab Ramesses II., oder Ramses II, wie er früher genannt wurde, einer der größten Pharaonen, selbst. Wie die meisten der Gräber seien sie bei ihrer Entdeckung bereits von Grabräubern geplündert gewesen und das meistens nicht neuerdings, sondern bereits zu Zeiten des alten Ägyptens, wie man aus Papyri wisse. Man habe aus den verbliebenen Inschriften jedoch die Namen der Begrabenen identifizieren können.