Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft - Societas Europaea

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3.4.4 Individuelle Beschränkung des Rede- und Fragerechts

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In der Praxis weitaus häufiger als generelle Ordnungsmaßnahmen sind solche gegen einzelne Teilnehmer. Missbraucht ein Aktionär sein Rederecht oder sein Fragerecht, indem er auch nach langen Ausführungen nicht „auf den Punkt kommt“, nicht zu Gegenständen der Tagesordnung spricht oder ausfallend wird, stehen dem Versammlungsleiter verschiedene Stufen der Reglementierung des Betreffenden zur Verfügung, um seiner Aufgabe, die Hauptversammlung ordnungsgemäß abzuwickeln, nachzukommen.[65] Schwächste Maßnahme ist die Abmahnung; zeigt diese keine Wirkung, hat der Versammlungsleiter das Recht, dem Aktionär das Wort zu entziehen. Führt auch diese Weisung nicht zum gewünschten Erfolg, kann der Versammlungsleiter den Störer des Saales verweisen oder ihn aus dem Saal entfernen lassen, wenn durch die andauernde Störung der ordnungsgemäße Ablauf der Hauptversammlung gefährdet erscheint.[66] In der Regel dürfte die Entfernung aus dem Saal mit Hilfe des eigenen Kontrollpersonals durchzuführen sein, gegebenenfalls ist aber der Einsatz polizeilicher Ordnungskräfte unvermeidbar. Die Entfernung aus dem Saal sollte entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur zeitweilig erfolgen; insbesondere sollte dem Störer die Möglichkeit gegeben werden, an späteren Abstimmungen teilzunehmen.

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Fehlerhafte verfahrensleitende Maßnahmen können ein Anfechtungsrecht bezüglich der von diesen Maßnahmen betroffenen Sachbeschlüsse begründen, isoliert anfechtbar sind die Maßnahmen nicht.[67] Die Anfechtungsbefugnis eines in der Hauptversammlung erschienenen Aktionärs besteht gem. § 245 Nr. 1 AktG grundsätzlich nur, wenn er gegen den Beschluss Widerspruch zu Protokoll erklärt hat. Etwas anderes gilt nur für den des Saales verwiesenen Aktionär, der wegen der erzwungenen Abwesenheit nicht in der Lage ist, den Widerspruch zu erklären.[68]

6 › IV › 4. Stimmrecht

4. Stimmrecht

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Das Stimmrecht ist das Recht, durch Stimmabgabe an Beschlüssen der Hauptversammlung mitzuwirken.[69] Zur Frage des Stimmrechts trifft die SE-VO keinerlei eigene Regelung, sodass über die Verweisung in Art. 5 SE-VO die für deutsche AG geltenden Regelungen Anwendung finden (zur Vertretung s. o. Rn. 105). Gem. § 12 AktG ist das Stimmrecht an die Aktie gebunden, d.h. nur Aktionäre oder deren Vertreter können in der Hauptversammlung an der Entscheidungsfindung teilhaben. Den übrigen Teilnehmern[70] steht dieses Recht nicht zu. Das Stimmrecht beginnt nach § 134 Abs. 2 S. 1 AktG grundsätzlich mit der vollständigen Leistung der Einlage. Die Satzung kann davon abweichend bestimmen, dass das Stimmrecht mit der Leistung der Mindesteinlage – diese beträgt gem. § 36a AktG ein Viertel des geringsten Ausgabebetrags – oder einer in der Satzung festgelegten höheren Einlage beginnt. Ebenso kann die Satzung gem. § 134 Abs. 1 S. 2 AktG bei nichtbörsennotierten Gesellschaften[71] sog. Höchststimmrechte vorsehen. Hat ein Aktionär mehrere Aktien, kann sein Stimmrecht auf einen bestimmten Anteil seines Aktienbesitzes am Grundkapital der Gesellschaft beschränkt werden; üblich sind 5 % oder 10 %.[72] Das Stimmrecht kann nach § 328 AktG beschränkt sein oder wegen unterlassener Mitteilungs- bzw. Veröffentlichungspflichten nach §§ 20 Abs. 7, 21 Abs. 4 AktG, § 28 WpHG oder § 59 WpÜG entfallen.[73]

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Vor der Zulassung der Aktien zu einer Abstimmung müssen folgende Voraussetzungen vorliegen: Der Hauptversammlungsteilnehmer muss Aktionär, ein vom Aktionär Bevollmächtigter oder sog. Legitimationsaktionär[74] sein. Seit Inkrafttreten des NaStraG[75] ist es zusätzlich gestattet, von der Gesellschaft benannte Stimmrechtsvertreter mit der Ausübung des Stimmrechts zu beauftragen. Es ist in der Praxis anerkannt, dass die Bevollmächtigung dieser Personen sowie gegebenenfalls die Erteilung von Weisungen über das Internet erfolgen können.[76] Hat die Gesellschaft Inhaberaktien ausgegeben, müssen diese entweder im Original vorgelegt werden oder muss der Nachweis des Anteilsbesitzes durch die Depotbank vorliegen oder – bei nicht verbrieften Aktien – ist eine geschlossene Kette von Übertragungsvereinbarungen denkbar. Bei nicht börsennotierten Unternehmen kann auch weiterhin die Bescheinigung einer Hinterlegung verlangt werden. Hat die Gesellschaft Namensaktien, muss der Hauptversammlungsteilnehmer im Aktienregister der Gesellschaft eingetragen sein; er nimmt mit den Aktien an der Abstimmung teil, mit denen er im Aktienregister eingetragen ist. Der Bevollmächtigte eines Aktionärs muss sich durch die Vorlage einer Vollmacht in Textform legitimieren.

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Vom Grundsatz des § 12 Abs. 1 S. 1 AktG, dass jede Aktie das Stimmrecht gewährt, gibt es eine Ausnahme: Vorzugsaktien können ohne Stimmrecht ausgegeben werden, wenn sie mit einem nachzuzahlenden Vorzug bei der Verteilung des Gewinns ausgestattet sind.[77] Das Stimmrecht lebt auf, sobald und solange der Dividendenvorzug zwei Jahre rückständig ist.[78]

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Das eigene Interesse am Ausgang einer Abstimmung hindert den Gesellschafter grundsätzlich nicht, an der Abstimmung teilzunehmen.[79] Für drei Fälle normiert § 136 Abs. 1 AktG einen Stimmrechtsausschluss. Danach ist der Aktionär nicht berechtigt, an einer Abstimmung teilzunehmen, wenn Beschluss gefasst wird über seine Entlastung als Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats, seine Befreiung von einer Verbindlichkeit gegenüber der Gesellschaft oder die Geltendmachung eines Anspruchs gegen ihn.

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In diesen Fällen kann der Aktionär gem. § 136 Abs. 1 S. 2 AktG auch nicht als Bevollmächtigter oder Legitimationsaktionär für einen anderen Aktionär an der Beschlussfassung teilnehmen, so wie umgekehrt auch kein anderer für den vom Stimmrechtsausschluss betroffenen Aktionär dessen Stimmrechte wahrnehmen kann.[80] Unter Verstoß gegen § 136 Abs. 1 AktG abgegebene Stimmen sind nichtig.[81] Sie dürfen bei der Stimmenauszählung nicht mitgezählt werden. Geschieht dies dennoch, ist der Hauptversammlungsbeschluss zwar nicht ebenfalls nichtig, aber anfechtbar.[82]

6 › IV › 5. Beschlüsse

5. Beschlüsse

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Die Hauptversammlung trifft ihre Entscheidungen durch Beschlüsse und Wahlen.[83] Voraussetzung für die Beschlussfassung ist das Vorhandensein eines Antrags, über dessen Annahme oder Ablehnung die Hauptversammlung abstimmt.[84] Der Antrag muss in der Hauptversammlung gestellt werden, die bloße Ankündigung genügt nicht.[85] Nach der Beschlussfassung durch die Hauptversammlung muss der Versammlungsleiter ausdrücklich feststellen, dass der Antrag angenommen oder abgelehnt wurde.[86]

5.1 Abstimmung

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Ein bestimmter Abstimmungsmodus ist weder im nationalen Recht noch in der SE-VO festgelegt. Art. 58 SE-VO bestimmt nur, unter welchen Umständen Stimmen als nicht abgegeben gelten. § 134 Abs. 4 AktG überlässt es der Satzung, entsprechende Vorgaben für die Abstimmung (Handaufheben, Stimmkarten etc.) zu machen. Häufig wird in den Satzungen der AG von dieser Ermächtigung allerdings nur in der Form Gebrauch gemacht, dass sie die Entscheidung über die Festlegung der Art und Weise des Abstimmungsverfahrens dem Versammlungsleiter überlässt.[87] Das dürfte in der Praxis am sinnvollsten sein, da so eine spontane Anpassung an die jeweiligen Gegebenheiten in einer Hauptversammlung möglich ist. Gibt es überhaupt keine Regelung in der Satzung, obliegt auch dann primär dem Versammlungsleiter die Festlegung des Abstimmungsmodus; allerdings kann in diesem Falle die Hauptversammlung in die Entscheidungsbefugnis des Versammlungsleiters durch Mehrheitsbeschluss eingreifen und ihn so zu einer bestimmten Form der Abstimmung zwingen.[88] Möglich ist auch die Festlegung der Form der Abstimmung in einer Geschäftsordnung, die sich die Hauptversammlung gem. § 129 AktG geben kann.[89]

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Die Stimmabgabe kann durch Abgabe von Stimmkarten, bei kleineren Hauptversammlungen mit nur wenigen Teilnehmern auch durch Zuruf erfolgen. Im Fall des Zurufs ist von den die Stimmen abgebenden Personen jeweils die Anzahl der vertretenen Aktien zu nennen und in geeigneter Form auch nachzuweisen.

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Die gängige Hauptversammlungspraxis, über inhaltlich zusammenhängende Beschlussgegenstände (so z.B. über die Zustimmung zu mehreren Unternehmensverträgen oder Satzungsänderungen) in einer Abstimmung zusammengefasst (en bloc) abstimmen zu lassen, ist durch die Rechtsprechung in Frage gestellt worden.[90] Es bestehen nur dann keine Bedenken gegen diese Vorgehensweise, wenn ein entsprechender Hinweis des Versammlungsleiters erfolgt, dass durch (mehrheitliche) Ablehnung der Beschlussvorlage eine Einzelabstimmung herbeigeführt werden kann, und kein anwesender Aktionär Einwände gegen diese Verfahrensweise erhebt.[91] Es ist zu empfehlen, die Entwicklung der Rechtsprechung zu dieser Thematik zu beobachten.

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Anders ist die Rechtslage allerdings bei der Blockabstimmung über die Entlastung von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern. Hier hat der Gesetzgeber in § 120 Abs. 1 S. 1 AktG die Blockabstimmung mit jeweils einem einzigen Abstimmungsvorgang als Regelfall vorgesehen. Eine Einzelabstimmung ist gem. § 120 Abs. 1 S. 2 1. Alt. AktG nur dann erforderlich, wenn die Hauptversammlung dies mit entsprechender Mehrheit beschließt, es eine Minderheit nach § 120 Abs. 1 S. 2 2. Alt. AktG verlangt oder aber der Versammlungsleiter von sich aus die Einzelabstimmung anordnet. Ein Recht des einzelnen Aktionärs, die Einzelabstimmung durchzusetzen, besteht in diesem Fall nicht.[92] Eine weitere Vereinfachung dahingehend, dass über die Entlastung aller Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats gemeinsam beschlossen wird, ist nicht zulässig.[93]

 

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Die Stimmenzählung – auch hierfür enthält das Gesetz keine Regelung – ist ebenfalls Aufgabe des Versammlungsleiters, wenn nicht die Satzung etwas anderes bestimmt. Insbesondere bei großen Hauptversammlungen ist dies eine zeitaufwändige und schwierige Aufgabe, zu deren Erledigung der Versammlungsleiter sich personeller und technischer Hilfe bedienen darf.[94] Der die Hauptversammlung protokollierende Notar[95] hat gem. § 130 Abs. 2 AktG lediglich die Art und das Ergebnis der Stimmenzählung sowie die Feststellung des Versammlungsleiters über die Beschlussfassung anzugeben. Eigene Feststellungen zum Abstimmungsergebnis muss er nicht treffen; er hat lediglich zu überprüfen und sich zu vergewissern, dass der Versammlungsleiter die ihm bei der Abstimmung und der Ergebnisverkündung obliegenden Aufgaben ordnungsgemäß wahrnimmt und erledigt.[96] Bei der börsennotierten Gesellschaft muss gem. § 130 Abs. 2 S. 2 AktG[97] die Feststellung über die Beschlussfassung für jeden Beschluss auch


die Zahl der Aktien, für die gültige Stimmen abgegeben wurden,
den Anteil des durch die gültigen Stimmen vertretenen Grundkapitals,
die Zahl der für einen Beschluss abgegebenen Stimmen, Gegenstimmen und ggf. die Zahl der Enthaltungen

umfassen. Gem. § 130 Abs. 2 S. 3 AktG kann der Versammlungsleiter abweichend von § 130 Abs. 2 S. 2 AktG die Feststellung über die Beschlussfassung für jeden Beschluss darauf beschränken, dass die erforderliche Mehrheit erreicht wurde, falls kein Aktionär die umfassende Feststellung verlangt. Zwei Auszählungsarten sind bekannt, das Additions- und das Subtraktionsverfahren.[98] Beim Additionsverfahren werden die Ja-Stimmen und die Nein-Stimmen getrennt gezählt und die Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen durch Addition ermittelt.[99] Dieses Verfahren ist bei großen Hauptversammlungen nicht empfehlenswert, da alle Stimmen (außer den Enthaltungen) gezählt werden müssen. Als Alternative bietet sich hier das Subtraktionsverfahren an. Dabei werden die Stimmenthaltungen und die Ja- oder die Nein-Stimmen gezählt. Von der vor der Abstimmung ermittelten Präsenz werden sodann die Stimmenthaltungen subtrahiert; als Ergebnis erhält man die abgegebenen Stimmen. Davon werden wiederum die gezählten Ja- oder Nein-Stimmen abgezogen und so die Zahl der nicht ausgezählten Stimmen ermittelt. Da der Vorteil dieser Methode in dem reduzierten Aufwand bei der Auszählung liegt, wird der Versammlungsleiter die Stimmen zählen lassen, von denen zu erwarten ist, dass sie die geringere Anzahl darstellen; im Regelfall werden dies die Nein-Stimmen sein. Die Zulässigkeit des Subtraktionsverfahrens ist allgemein anerkannt.[100] Bei knappen Abstimmungsverhältnissen ist die Methode ausnahmsweise ungeeignet, da ein Rest von Unsicherheit verbleibt.[101] In diesen Fällen ist das Additionsverfahren vorzuziehen.

5.2 Mehrheitserfordernisse

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Die Mehrheitserfordernisse bei den verschiedenen Beschlüssen können sich aus dem Gesetz oder der Satzung der SE ergeben. Neben der Mehrheit der „abgegebenen Stimmen“ (einfache Stimmenmehrheit) und der erhöhten Stimmenmehrheit (qualifizierte Stimmenmehrheit) gibt es die „Mehrheit des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals“, die sog. Kapitalmehrheit.[102] Letztere ist sachlich nur bei Mehr- oder Höchststimmrechten sowie bei teileingezahlten Aktien relevant.[103] Ist die Kapitalmehrheit gefordert, muss sie zu der Stimmenmehrheit hinzutreten.[104]

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Art. 57 SE-VO geht – wie auch das deutsche Aktienrecht in § 133 Abs. 1 AktG – vom Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit aus. Beschlüsse kommen danach regelmäßig mit der Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen zustande, wenn nicht die SE-VO oder das Recht für die nationale AG eine größere Mehrheit, also eine qualifizierte Mehrheit, vorschreiben. Das Vorliegen von gültigen abgegebenen Stimmen wird in Art. 58 SE-VO durch Negativabgrenzung präzisiert. Es gehören nicht dazu diejenigen Stimmen, die mit Aktien verbunden sind, deren Inhaber nicht an der Abstimmung teilgenommen haben, die sich der Stimme enthalten haben oder die einen leeren oder ungültigen Stimmzettel abgegeben haben.

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Eine qualifizierte Stimmenmehrheit, nämlich mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen, wird verlangt für die vorzeitige Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern (§ 103 Abs. 1 S. 1 AktG) und die Zustimmung zu Geschäftsordnungsmaßnahmen, die der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen, sie aber nicht bekommen haben (§ 111 Abs. 4 S. 4 AktG).

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Die Kapitalmehrheit, also die Mehrheit des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals, wird in einer weitaus größeren Anzahl von Fällen zusätzlich zur einfachen Stimmenmehrheit verlangt.[105] Der Wortlaut „des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals“ ist missverständlich und dahingehend auszulegen, dass das Stimmrecht aus den darauf entfallenden Aktien auch tatsächlich ausgeübt wird.[106]

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Zur Beschlussfassung über Satzungsänderungen bei der SE ist zu bemerken, dass das Mehrheitserfordernis gem. § 179 Abs. 2 S. 1 AktG zwar generell gem. Art. 59 Abs. 1 HS 2 SE-VO zum Tragen kommt, aber nur dann, wenn nicht die Satzung der SE eine dem § 51 SEAG entsprechende Bestimmung zur Erleichterung bei der Beschlussfassung enthält. § 179 Abs. 2 S. 2 HS 1 AktG findet insoweit nur eingeschränkt Anwendung. Eine andere Kapitalmehrheit ist möglich, aber nur die gem. § 51 SEAG vorgesehene. Ausgenommen von der Erleichterung sind gem. § 51 S. 2 SEAG Beschlüsse über die Änderung des Gegenstands des Unternehmens, über die Verlegung des Sitzes der SE sowie Fälle, für die eine höhere Kapitalmehrheit gesetzlich zwingend vorgeschrieben ist.

5.3 Sonderbeschlüsse

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Es gibt Fälle, in denen ein Beschluss der Hauptversammlung allein nicht genügt, um eine wirksame Entscheidung herbeizuführen; es muss ein positiver Sonderbeschluss gewisser Aktionäre hinzutreten. Die SE-VO und das Recht für die nationale AG enthalten Regelungen zu solchen Sonderbeschlüssen.

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Art. 60 SE-VO regelt den Fall des Vorhandenseins mehrerer Aktiengattungen[107] bei Hauptversammlungsbeschlüssen. Werden durch die Beschlussfassung spezifische Rechte der verschiedenen Aktionärsgruppen berührt, ist gem. Art. 60 Abs. 1 SE-VO noch eine gesonderte Abstimmung dieser Gruppen erforderlich. So bedürfen z.B. Beschlüsse der Inhaber von Vorzugsaktien über die Aufhebung oder Beschränkung des Vorzugs (§ 141 AktG) sowie die Beschlüsse der Inhaber von stimmberechtigten Aktien unterschiedlicher Gattungen im Zusammenhang mit Kapitalerhöhungen oder -herabsetzungen zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung gewisser Aktionäre.[108]

154

Darüber hinaus gibt es auch in den Zuständigkeitsbereich der Verwaltung fallende Maßnahmen, die zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung einer bestimmten Gruppe von Aktionären bedürfen.[109] So z.B. im Recht der verbundenen Unternehmen, wenn Entscheidungen anstehen, die von den sog. „außenstehenden Aktionären“[110] zu treffen sind.[111]

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Bei Vorhandensein mehrerer Aktiengattungen ist für die Beschlüsse entweder eine qualifizierte Mehrheit von 75 % der Stimmen ausdrücklich vorgeschrieben (so in § 141 Abs. 3 S. 2, 3 AktG für die Beschränkung oder die Aufhebung des Vorzugs bei Vorzugsaktien) oder es wird auf die Mehrheitserfordernisse des Hauptversammlungsbeschlusses selbst verwiesen (Art. 60 Abs. 2 SE-VO, § 179 Abs. 3 AktG). Auch bei Sonderbeschlüssen von außenstehenden Aktionären wird vom Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit abgewichen.[112]

6 › IV › 6. Wahlen

6. Wahlen

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Wahlen unterscheiden sich von Beschlüssen insoweit, als bei Beschlüssen über Sach- und Verfahrensfragen entschieden wird, bei Wahlen dagegen Entscheidungen über Personen getroffen werden. Der Grundsatz der einfachen Stimmenmehrheit gilt auch bei Wahlen. Die Satzung kann gem. § 133 Abs. 2 AktG andere Mehrheitserfordernisse als für sonstige Beschlüsse festschreiben, wobei die Beschlussfassung grundsätzlich sowohl erleichtert als auch erschwert werden kann.[113] Im Übrigen gilt für Wahlen grundsätzlich das zu den Beschlüssen Gesagte.

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Nach dem Gesetz ist die Hauptversammlung zuständig für die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Aktionäre (§§ 101 Abs. 1, 119 Abs. 1 Nr. 1 AktG), Abschlussprüfern (§ 318 HGB), Sonderprüfern (§ 142 AktG) und Abwicklern im Stadium der Liquidation (§ 265 Abs. 2 AktG).

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Zu der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern ist zu bemerken, dass die häufig praktizierte und in der Vergangenheit von der Rechtsprechung nicht beanstandete Wahl mehrerer oder aller Kandidaten „en bloc“ (sog. Globalwahl oder auch Listenwahl) seit der Entscheidung des LG München[114] jedenfalls in Publikumshauptversammlungen bestimmter Hinweise an das Auditorium bedarf.[115] Wenn nur ein Aktionär die Einzelabstimmung über die zur Wahl stehenden Personen verlangt, ist nach derzeitiger Rechtslage zu empfehlen, diesem Wunsch zu entsprechen, um nicht eine Anfechtung der Wahl mit der möglichen Folge der Nichtigkeit zu riskieren. [116]

6 › IV › 7. Mängel der Beschlüsse und Wahlen

7. Mängel der Beschlüsse und Wahlen

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Das Aktiengesetz unterscheidet die Mängel von Hauptversammlungsbeschlüssen, die zur Nichtigkeit führen, von denen, die „nur“ zur Anfechtung berechtigen.[117] Ein nichtiger Beschluss entfaltet aufgrund der Schwere seines ihm anhaftenden Fehlers von Anfang an keine Wirkung.[118] Ein anfechtbarer Beschluss ist mit einem weniger schweren Mangel behaftet, der ihn zunächst „schwebend wirksam“ und nur durch erfolgreiche Anfechtungsklage rückwirkend nichtig werden lässt.[119] Die Nichtigkeitsgründe sind im Gesetz abschließend aufgeführt, überwiegend in § 241 AktG, ergänzend in § 250 AktG für die Aufsichtsratswahl, in § 253 AktG für Gewinnverwendungsbeschlüsse und in § 256 AktG für festgestellte Jahresabschlüsse.[120] In allen übrigen Fällen sind die Beschlüsse „höchstens“ anfechtbar. Einen abschließenden Katalog von Anfechtungsgründen enthält das Aktiengesetz nicht; in § 243 Abs. 1 AktG wird vielmehr recht allgemein bestimmt, dass Beschlüsse der Hauptversammlung wegen Verletzung des Gesetzes oder der Satzung angefochten werden können. Mit dem ARUG wurde jedoch § 243 Abs. 3 Nr. 1 und 2 neu gefasst und geregelt, worauf die Anfechtung nicht gekürzt werden kann, z.B. Verletzung des § 121 Abs. 4a, § 124a oder § 128.

6 › IV › 8. Niederschrift