Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft - Societas Europaea

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2.3.2 Rechtsnatur

47

Der Anstellungsvertrag des Vorstands ist ein Dienstvertrag gem. §§ 611, 675 BGB. Die Vorstandsmitglieder sind jedoch keine Arbeitnehmer. Sie üben aufgrund ihrer Organstellung die Arbeitgeberfunktion für die SE aus. Der Anstellungsvertrag ist damit ein Vertrag über die Leistung unabhängiger, durch aktienrechtliche Vorgaben geprägter Dienste.[46]

2.3.3 Vertragsabschluss

48

Bei Abschluss des Anstellungsvertrages vertritt der Aufsichtsrat die SE. Dies ergibt sich aus §§ 84 Abs. 1 S. 5, 112 AktG. Anders als bei der Bestellung ist die Entscheidung über den Abschluss und den Inhalt des Anstellungsvertrages nicht zwingend dem Aufsichtsratsplenum zugewiesen. Da § 107 Abs. 3 S. 2 AktG nur auf § 84 Abs. 1 S. 1 und 3 AktG verweist, kann der Abschluss und die Verhandlungen über den Inhalt des Anstellungsvertrages dem Personalausschuss überlassen werden. Bei der Entscheidung des Personalausschusses ist allerdings dafür Sorge zu tragen, dass der Anstellungsvertrag vom Personalausschuss nicht vor dem Beschluss des Aufsichtsratsplenums über die Bestellung zum Vorstand abgeschlossen wird.[47]

49

Die Höchstdauer für den Anstellungsvertrag beträgt gem. Art. 46 Abs. 1 SE-VO sechs Jahre, um den Gleichlauf mit der Bestellung herzustellen.[48] Im Anstellungsvertrag kann gem. § 84 Abs. 1 S. 5 HS 2 AktG jedoch vorgesehen werden, dass der Anstellungsvertrag für den Fall der Verlängerung der Bestellung unverändert für die Zeitdauer der Weiterbestellung fortlaufen soll.

50

Ein Sonderproblem besteht, wenn der Anstellungsvertrag nicht mit der Gesellschaft abgeschlossen wird, zu der das Organverhältnis besteht. Eine solche Drittanstellung wird häufig in Konzernverhältnissen auftreten. Der Anstellungsvertrag ist in diesem Fall ein Arbeitsvertrag. Bedenken an der Zulässigkeit bestehen deshalb, weil das arbeitsrechtliche Weisungsrecht mit der autonomen Leitungsbefugnis des Vorstands nach § 76 Abs. 1 AktG kollidiert. Anders als beim Geschäftsführer einer GmbH, der als Organ ohnehin gem. § 37 Abs. 1 GmbHG den Weisungen der Gesellschafterversammlungen unterliegt, ist die Zulässigkeit einer Drittanstellung bei der AG und damit auch bei der SE im dualistischen System umstritten.[49] Auch wenn man aufgrund des Vorrangs des Organverhältnisses die grundsätzliche Möglichkeit einer Drittanstellung bejaht, ist davon in der Praxis aufgrund der faktischen Schwierigkeiten und der nicht vollständig geklärten Rechtslage abzuraten.[50]

2.3.4 Vertragsinhalt

51

Die Rechte und Pflichten aus dem Anstellungsvertrag sind in § 84 AktG nicht geregelt. Die wechselseitigen Rechte und Pflichten sind im Anstellungsvertrag von den Vertragsparteien frei auszuhandeln.[51]

52

Der aus der Sicht des Vorstands wesentliche Anspruch aus dem Anstellungsvertrag ist der Vergütungsanspruch. Der Vergütungsanspruch unterteilt sich in der Regel in das Fixgehalt und einem variablen Gehaltsbestandteil.

53

Insbesondere bei börsennotierten Großunternehmen wird den Vorstandsmitgliedern daneben über Mitarbeiterbeteiligungsprogramme (Stock-Option Programs) die Möglichkeit eingeräumt, Aktien der Gesellschaft zu erwerben. Das Optionsrecht richtet sich in der Regel nach dem Erreichen bestimmter im Vorhinein definierter Unternehmensergebnisse oder der Erreichung eines bestimmten Börsenkurses. Als weiterer Vergütungsbestandteil werden Vorstandsmitgliedern in der Regel Sachbezüge, wie z.B. die Nutzung eines Dienstwagens, eventuell mit Fahrer, der Abschluss von Versicherungen sowie die Gewährung einer Alters- und Hinterbliebenenversorgung zugesagt.[52]

54

Bei der Bemessung der Vergütung sind dem Grundsatz der Vertragsfreiheit durch den zum 5.9.2009 neu gefassten § 87 AktG Grenzen gesetzt. Durch das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) wurden u. a. die Kriterien für die Bemessungsgrundlage der Vorstandsvergütung im Rahmen von § 87 AktG neu geregelt. Dies hatte somit auch unmittelbar Auswirkungen auf die dualistisch verfasste SE. Denn Änderungen im nationalen Aktienrecht gelten uneingeschränkt für die SE gem. Art. 9 Abs. 1 c ii SE-VO, soweit für diese in der SE-VO keine Sondervorschriften bestehen.[53] Nach § 87 AktG hat der Aufsichtsrat bei der Festsetzung der Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds dafür zu sorgen, dass die Gesamtbezüge in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Vorstandsmitglieds und zur Lage der Gesellschaft stehen. Zudem darf die übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe überschritten werden und bei börsennotierten Gesellschaften ist die Vergütungsstruktur an eine nachhaltige Unternehmensentwicklung anzupassen. Die Auslegung und Anwendung dieser Norm haben in der Vergangenheit mehrfach zu öffentlichen Diskussionen und im Mannesmann/Vodafone-Fall[54] auch zu einem Strafprozess geführt. Auslöser für die Neufassung der Norm war insbesondere die Finanz- und Wirtschaftskrise, da die bisherigen Vergütungssysteme mitverantwortlich dafür gemacht wurden, dass die Geschäftsleiter übermäßige geschäftliche Risiken eingingen.[55]

55

Eine Vorgabe, wie die Vorstandsbezüge zu bemessen sind, lässt sich in allgemein verbindlicher Form nicht machen. Es kommt immer auf die Umstände des Einzelfalls an. Fest steht, dass die im Gesetz genannten Vergleichsmaßstäbe (Aufgaben des Vorstands, Lage der Gesellschaft, übliche Vergütung) kumulativ zu beachten sind. Kriterien für die Leistung des Vorstands bilden gem. Ziff. 4. 2. 2 des DCGK die Aufgaben des jeweiligen Vorstandsmitglieds, seine persönliche Leistung, die Üblichkeit der Vergütung unter Berücksichtigung des Vergleichsumfelds und der Vergütungsstruktur, die ansonsten in der Gesellschaft gilt. Bei der Lage des Unternehmens ist auf dessen eigene wirtschaftliche Situation, seinen unternehmerischen Erfolg und seine Zukunftsaussichten abzustellen, unter Berücksichtigung des Vergleichsumfelds.

56

Die Gesamtvergütung der Vorstandsmitglieder soll nach Ziff. 4.2.3 des DCGK fixe und variable Bestandteile enthalten, wobei die variablen Bestandteile an den geschäftlichen Erfolg gebunden werden, indem sie einer mehrjährigen Bemessungsgrundlage unterliegen. Bei der Ausgestaltung sollen sowohl positiven als auch negativen Entwicklungen Rechnung getragen werden.

57

Alle Vergütungsbestandteile müssen bei dieser Betrachtung individuell und in der Summe angemessen sein. Sie sollen insbesondere auch nicht zu unangemessenen Risiken verleiten und der Aufsichtsrat soll für die Vergütung insgesamt betragsmäßige Höchstgrenzen festlegen. Der DCGK empfiehlt in Ziff. 4.2.3 bei dem Abschluss von Vorstandsverträgen darauf zu achten, dass Zahlungen bei vorzeitiger Beendigung der Vorstandstätigkeit einschließlich Nebenleistungen den Wert von zwei Jahresvergütungen nicht überschreiten (Abfindungs-Cap) und nicht mehr als die Restlaufzeit vergütet wird. Die Gesamtangemessenheit der Vergütung richtet sich nach der Finanzkrise des Jahres 2008 nunmehr nach einer nachhaltigen und nicht nur kurzfristigen Steigerung des Unternehmenswerts.[56] In der Vergangenheit wurde die Gesamtangemessenheit oft dadurch in Frage gestellt, dass Aktienoptionen additiv zu den schon vorhandenen fixen und variablen Vergütungsbestandteilen gewährt wurden und dadurch oft nicht mehr zu rechtfertigende Gesamtvergütungen entstanden sind.[57]

58

Diese Erfahrungen hat die Corporate Governance Commission dazu veranlasst, die Einführung eines Caps für Vorstandsbezüge in Ziff. 4.2.3 des DCGK vorzusehen. Allerdings kommen heute echte Optionsrechte auf den Bezug von Aktien kaum noch vor.[58] Zusätzlich enthält die Instituts-Vergütungsverordnung[59] für Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute besondere Regelungen bezüglich der Ausgestaltung der variablen Vergütung von Geschäftsleitern und Geschäftsleiterinnen. Die variable Vergütung orientiert sich an der Wertentwicklung des Instituts und es gelten besondere Zurückbehaltungszeiträume, während denen die Vergütung nur teilweise ausgezahlt werden darf (§ 5 InstitutsVergV). Die Verordnung sieht zudem gem § 6 InstitutsVergV einen Ausschuss vor, der die Angemessenheit der Vergütungssysteme überwacht.

59

Ein Verstoß gegen § 87 Abs. 1 AktG führt nicht zur Nichtigkeit des Anstellungsvertrages und auch nicht zur Nichtigkeit der Vereinbarung der Bezüge. Eine Nichtigkeit ist nur dann zu bejahen, wenn die Vereinbarung über die Bezüge wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist. Ein Verstoß gegen § 87 Abs. 1 AktG führt jedoch zu einer Schadensersatzpflicht des Aufsichtsrats gem. §§ 116, 93 Abs. 2 AktG. Auch die begünstigten Vorstandsmitglieder können gem. § 93 Abs. 2 AktG schadensersatzpflichtig werden, wenn sie sich unangemessen hohe Bezüge zahlen lassen.[60]

60

In Ausnahmefällen kann der Aufsichtsrat oder im Fall der Insolvenz das Gericht die Vergütung des Vorstands gem. § 87 Abs. 2 AktG herabsetzen. Aufgrund des Vertrauens des Vorstands in die einmal getroffene Vereinbarung ist aber nicht jede Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft ausreichend, um eine Herabsetzung der Vorstandsbezüge zu rechtfertigen. Es muss sich um eine wesentliche Verschlechterung in den Verhältnissen der Gesellschaft handeln, so dass eine Weitergewährung der Bezüge eine Unbilligkeit für die Gesellschaft sein würde.[61]

 

61

Außer den Vergütungsansprüchen hat der Vorstand einen Auslagenersatzanspruch gegenüber der Gesellschaft, wenn er Aufwendungen im Interesse der Gesellschaft aus seinem Privatvermögen leistet (§§ 675, 669 f. BGB). Er hat außerdem einen Anspruch auf Urlaub und die Erteilung eines Zeugnisses (§ 630 BGB).[62]

62

Den Rechten des Vorstands steht als zentrale Pflicht seine Treuepflicht im Verhältnis zur Gesellschaft gegenüber, die sich bereits aus seinem Organverhältnis und § 76 Abs. 1 AktG ergibt. Diese Treuepflicht fordert von den Vorstandsmitgliedern den vollen Einsatz für die Gesellschaft. Sie haben sich mit allen Kräften den Interessen der Gesellschaft zu widmen und diesen den Vorrang vor ihren persönlichen Interessen zu geben. Eine besondere Ausprägung dieser Treuepflicht ist das sich aus § 88 AktG ergebende Wettbewerbsverbot.[63]

2.3.5 Beendigung des Anstellungsvertrages

63

Auf der Grundlage der Trennungstheorie ist auch bei der Beendigung zwischen der Abberufung des Vorstands, d.h. der Beendigung des Organverhältnisses und der Beendigung des Anstellungsvertrages zu unterscheiden. Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass es Wechselwirkungen zwischen der Abberufung und der Kündigung des Anstellungsvertrages gibt. Häufig wird im Aufsichtsratsbeschluss, der über die Beendigung des Organverhältnisses entscheidet, nicht zwischen der Abberufung und der Beendigung des Anstellungsvertrages unterschieden. In der Praxis ist es dann erforderlich, durch Auslegung des Aufsichtsratsbeschlusses, der dem Vorstand bekannt gegeben wird, zu ermitteln, ob nur der Widerruf der Bestellung oder zugleich auch die Kündigung des Anstellungsvertrages beabsichtigt war.

64

Teilweise wird vertreten, dass im Widerruf der Bestellung konkludent immer eine Kündigung des Anstellungsvertrages zu sehen ist, wie auch umgekehrt in der Kündigung des Anstellungsvertrages immer auch ein Widerruf der Bestellung zu sehen ist. Begründet wird dies damit, dass bei vernünftiger Auslegung in der Regel durch die Abberufung ein Vertrauensverlust zum Ausdruck kommt, der die Rechtsbeziehung zu dem Entlassenen in ihrer Gesamtheit belastet und daher beide Rechtsverhältnisse durch die Erklärung des Aufsichtsrats beendet werden sollen.[64]

65

Obwohl nicht zu verkennen ist, dass der Widerruf der Bestellung und die außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrages gem. § 626 BGB in den allermeisten Fällen in einem engen Zusammenhang stehen, muss der wichtige Grund i.S.d. § 84 AktG, insbesondere wenn er lediglich auf Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung beruht, keinen wichtigen Grund für die Kündigung des Anstellungsvertrages darstellen. Da die wichtigen Beendigungsgründe bei der Bestellung und im Anstellungsvertrag somit nicht deckungsgleich sind, muss der Aufsichtsrat jeweils eine Entscheidung über beide Rechtsverhältnisse treffen. Er kann dabei durchaus zu der Entscheidung gelangen, dass die Gründe für eine Abberufung des Vorstands gem. § 84 Abs. 2 S. 1 AktG ausreichen, für eine außerordentliche Kündigung des Anstellungsverhältnisses gem. § 626 Abs. 1 BGB jedoch nicht gewichtig genug sind. Wenn der Aufsichtsrat auf dieser Grundlage somit nur die Abberufung beschließt, ist im Zweifel von einem Fortbestehen des Anstellungsvertrages auszugehen.[65]

66

Im umgekehrten Fall, dass der Aufsichtsrat lediglich ausdrücklich über die außerordentliche Kündigung des Anstellungsverhältnisses gem. § 626 BGB beschließt, liegt darin konkludent auch ein Beschluss über den Widerruf der Bestellung. Denn es ist davon auszugehen, dass bei Vorliegen eines wichtigen Kündigungsgrundes i.S.d. § 626 BGB immer auch ein wichtiger Grund des § 84 Abs. 1 AktG anzunehmen ist. Mit Beendigung des Anstellungsvertrages entfällt auch die Verpflichtung des Vorstands, als Organ für die AG tätig zu werden.[66]

67

Für die Kündigung des Anstellungsvertrages ist gem. § 112 AktG ausschließlich das Aufsichtsratsplenum zuständig. Wie bei dem Abschluss des Anstellungsvertrages[67] kann das Aufsichtsratsplenum die Beschlussfassung über die Kündigung dem Personalausschuss übertragen. Die Beschlussfassung des Personalausschusses und die Kündigungserklärung dürfen in jedem Fall nicht vor der Entscheidung des Aufsichtsratsplenums über den Widerruf der Bestellung erfolgen, um keine faktische Bindung herbeizuführen.[68] In formeller Hinsicht ist eine vorherige Abmahnung[69] und auch eine Anhörung[70] des betroffenen Vorstandsmitglieds vor der Kündigungserklärung nicht erforderlich, weil § 626 BGB insofern lex specialis zu § 314 Abs. 2 BGB ist.[71]

68

Wie bei der Abberufung ist materielle Kündigungsvoraussetzung gem. § 626 Abs. 1 BGB das Vorliegen eines wichtigen Grundes. Im Zusammenhang mit der Auslegung der Kündigungserklärung wurde bereits dargestellt,[72] dass in den Fällen, in denen ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt, in aller Regel auch ein wichtiger Abberufungsgrund gem. § 84 Abs. 3 S. 1 AktG anzunehmen ist. Nicht jeder Abberufungsgrund i.S.d. § 84 Abs. 3 S. 1 AktG ist jedoch gleichzeitig ein wichtiger Kündigungsgrund für das Anstellungsverhältnis. Dies liegt daran, dass § 626 Abs. 1 BGB auf das pflichtwidrige Verhalten des Vorstands abstellt, während § 84 Abs. 3 S. 1 AktG vorrangig an der Interessenlage der Gesellschaft ausgerichtet ist. Bei § 626 Abs. 1 BGB sind stärker die sozialen Folgen der Beendigung des Anstellungsvertrages für den Vorstand, insbesondere der Fortfall der Vergütungsansprüche mit den Interessen der Gesellschaft abzuwägen.[73]

69

Wie bei der Abberufung lässt sich eine allgemeine Definition, wann ein wichtiger Kündigungsgrund vorliegt, nicht geben. Die Entscheidung bedarf jeweils einer einzelfallbezogenen Abwägung der Interessen des Vorstands mit denen der Gesellschaft. Die Prüfung hat dabei zweistufig zu erfolgen. In der ersten Stufe ist zu prüfen, ob das Vorstandsmitglied seine gesetzlichen, satzungsgemäßen oder einzelvertraglich vereinbarten Pflichten gegenüber der Gesellschaft grob verletzt hat. Wenn dies bejaht wird, ist in der zweiten Stufe eine Abwägung zwischen den Interessen der Gesellschaft an einer sofortigen Beendigung des Anstellungsvertrages und den Interessen des Vorstands an einer Fortsetzung seines Anstellungsverhältnisses mit den sich daran anknüpfenden Vergütungsansprüchen vorzunehmen. Bei dieser Interessenabwägung sind die Schwere der persönlichen Verfehlungen des Vorstandsmitglieds, sein individuelles Verschulden, die Auswirkung für die Gesellschaft, die Dauer des Anstellungsverhältnisses, die Verdienste des Vorstands für die Gesellschaft, der für die Gesellschaft etwa entstandene Schaden und die sozialen Folgen für den Vorstand sowie die Möglichkeit der Gesellschaft, dem Vorstand eine andere Tätigkeit anzubieten, gegeneinander abzuwägen.[74] Eine vorsichtige Analogie der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zur Kündigung leitender Angestellter scheint möglich.[75]

70

Eine fristlose Kündigung eines Vorstandsmitglieds kann auch dann gerechtfertigt sein, wenn der Pflichtverstoß nicht im Ressort des gekündigten Vorstandsmitglieds erfolgt ist. Dann muss es sich aber um eine Pflichtverletzung handeln, die in den Bereich der Gesamtverantwortung des Vorstands fällt. Im Rahmen der Gesamtverantwortung des Vorstands obliegen allen Vorstandsmitgliedern auch Kontroll- und Überwachungsaufgaben für die anderen Ressorts. Wenn die Kontroll- und Überwachungsaufgaben nicht wahrgenommen werden, können auch Pflichtverstöße aus anderen Ressorts zur fristlosen Kündigung des Anstellungsvertrages eines nicht zuständigen Vorstands führen.[76]

71

Liegt ein wichtiger Kündigungsgrund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB vor, muss die Kündigung gem. § 626 Abs. 2 BGB innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis des wichtigen Kündigungsgrundes erfolgen. Bei der Kündigung eines Vorstandsmitglieds beginnt die Zweiwochenfrist grundsätzlich mit der Kenntnis des Aufsichtsrats von den Tatsachen, die den wichtigen Grund ausmachen. Entscheidend ist die Kenntnis des Gesamtsachverhalts. Die Kenntnis muss grundsätzlich bei allen Mitgliedern des Aufsichtsrats vorliegen, da die Entscheidung durch das Aufsichtsratsplenum zu erfolgen hat. Wenn ein Aufsichtsratsmitglied jedoch Kenntnis von dem Sachverhalt erlangt, muss es den Aufsichtsratsvorsitzenden ohne schuldhaftes Zögern informieren, der dann dafür zu sorgen hat, dass ohne unangemessene Verzögerung das Aufsichtsratsplenum einberufen wird, um über die fristlose Kündigung zu entscheiden. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB läuft bei Einhaltung dieses Verfahrens ab dem Sitzungstag der Aufsichtsratssitzung. Bei Nichteinhaltung läuft die Frist ab dem Zeitpunkt, in dem bei Einhaltung des Verfahrens die Entscheidung hätte getroffen werden können.[77]

72

Wie die Abberufung[78] kann das Anstellungsverhältnis des Vorstands auch durch Eigenkündigung des Vorstands, durch Abschluss eines mit dem Aufsichtsrat (§ 112 AktG) abzuschließenden Aufhebungsvertrages, durch den Tod des Vorstands oder durch Fristablauf beendet werden.

2.4 Eigenverantwortliche Leitung der Gesellschaft

73

Zentrale Norm des Verwaltungshandels in einer deutschen AG und gem. Art. 39 Abs. 1, 9 Abs. 1 c ii SE-VO auch für eine deutsche SE mit dualistischem System ist die dem Vorstand gem. § 76 Abs. 1 AktG zugewiesene eigenverantwortliche Leitungsmacht. Indem § 76 Abs. 1 AktG die alleinige Leitungskompetenz und die Vertretungsmacht im Rahmen von § 78 AktG dem Vorstand zuweist, gibt er ihm eine von den übrigen Leitungsorganen unabhängige Stellung, die er im Unternehmensinteresse auszuüben hat. Anders als die Geschäftsführung gem. § 77 Abs. 1 AktG, die jedwede tatsächliche oder rechtsgeschäftliche Tätigkeit für die Gesellschaft erfasst, geht es bei der Leitung i.S.d. § 76 Abs. 1 AktG um die Führungsfunktion des Vorstands, mithin um einen herausgehobenen Teilbereich der Geschäftsführung. Diese Aufgabe obliegt dem Vorstand als Gesamtverantwortung. Sie ist zwingend und weder auf Angestellte, andere Organe (Aufsichtsrat oder Hauptversammlung) oder Dritte (Geschäftsführungsgesellschaft, Konzerngesellschaften) delegierbar. Nach betriebswirtschaftlichen Maßstäben ist die Unternehmensleitung bezogen auf die Unternehmensplanung, -strategie, -koordination, -kontrolle und die Besetzung der Führungspositionen.[79]

74

Der Vorstand handelt im Rahmen der Leitung weisungsfrei.[80] Anders als der Geschäftsführer der GmbH, der gem. § 37 Abs. 1 GmbHG der Weisung der Gesellschafterversammlung unterliegt, entscheidet der Vorstand nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen aufgrund eines autonomen unternehmerischen Handlungsspielraums, welche Entscheidungen im Unternehmensinteresse zu erfolgen haben. Weder der Aufsichtsrat, der auf seine Überwachungstätigkeit (§ 111 Abs. 1 AktG) beschränkt ist und dem die Maßnahmen der Geschäftsführung nicht übertragen werden können (§ 111 Abs. 4 S. 1 AktG) noch die Hauptversammlung, die nur entscheiden kann, wenn der Vorstand ihr eine Geschäftsführungsfrage zur Entscheidung vorlegt (§ 119 Abs. 2 AktG),[81] können Leitungsaufgaben des Vorstands übernehmen.[82] Erst recht kann ein Großaktionär oder ein außenstehender Dritter dem Vorstand keine Weisungen erteilen. Eine Ausnahme besteht lediglich in den Fällen der Beherrschung oder der Eingliederung gem. §§ 308, 323 AktG.[83]