Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft - Societas Europaea

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4 › IX. Hauptversammlung

IX. Hauptversammlung

177

In Bezug auf die Satzungsregelungen zur Hauptversammlung kann in weiten Teilen auf die entsprechenden Regelungen einer deutschen AG verwiesen werden. Der die Hauptversammlung regelnde Abschnitt 4 des Titel III der SE-VO verweist gleich an mehreren Stellen (Art. 53 SE-VO, Art. 54 Abs. 2 SE-VO, Art. 56 SE-VO, Art. 57 SE-VO) auf nationales Aktienrecht. Dementsprechend richtet sich auch der Gestaltungsspielraum des Satzungsgebers in weiten Teilen nach den nationalen Rechtsvorschriften.

178

Die Aufgaben der Hauptversammlung werden in Art. 52 SE-VO festgelegt. Dementsprechend beschließt die Hauptversammlung nur über solche Angelegenheiten, für die ihr durch die SE-VO die alleinige Zuständigkeit übertragen wird, sowie in Angelegenheiten, für die bei nationalen AG die Hauptversammlung zuständig ist, und in Angelegenheiten, in denen die Satzung – im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften – die Zuständigkeit der Hauptversammlung begründet.

179

Die Zuständigkeit der Hauptversammlung richtet sich nicht danach, ob die SE monistisch oder dualistisch strukturiert ist, sondern gilt für beide Organisationsverfassungen gleichermaßen.

180

Der Satzungsgeber ist auch nicht, wie der Wortlaut von Art. 50 Abs. 1 SE-VO nahelegen könnte, dazu berechtigt, Regelungen zur Beschlussfähigkeit und Beschlussfassung festzulegen. Denn obwohl Art. 50 Abs. 1 SE-VO generell von Organen der SE spricht, betrifft diese Regelungsermächtigung – ausweislich der systematischen Verordnung im Abschnitt „Gemeinsame Vorschriften für das monistische und das dualistische System“ nicht die Hauptversammlung. Diese ist im darauffolgenden Abschnitt 4 gesondert geregelt.[1]

4 › IX › 1. Einberufung und Leitung der Hauptversammlung bei der dualistischen SE

1. Einberufung und Leitung der Hauptversammlung bei der dualistischen SE

181

Art. 54 Abs. 2 SE-VO gewährt sowohl dem Leitungs- als auch dem Aufsichtsorgan das Recht, die Hauptversammlung jederzeit einzuberufen. Dementsprechend sind Satzungsregelungen, die sich an der Einberufungsregelung bei der deutschen AG orientieren, problematisch. Insbesondere die immer wieder vorzufindende Formulierung, dass die Hauptversammlung durch den Vorstand oder in den gesetzlich vorgeschriebenen Fällen durch den Aufsichtsrat einberufen wird, ist wegen Verstoßes gegen Art. 54 Abs. 2 SE-VO unwirksam und stellt ein Eintragungshindernis dar.[2] Die Frage, wer den Vorsitz in der Hauptversammlung übernimmt, richtet sich gem. Art. 53 SE-VO nach nationalem Recht, so dass typischerweise dem Vorsitzenden des Aufsichtsorgans die Leitung der Hauptversammlung übertragen wird.

4 › IX › 2. Einberufung und Leitung der Hauptversammlung bei der monistischen SE

2. Einberufung und Leitung der Hauptversammlung bei der monistischen SE

182

Gemäß Art. 9 Abs. 1 c i SE-VO, § 22 Abs. 2 S. 1 SEAG hat das Verwaltungsorgan die Hauptversammlung einzuberufen, wenn es das Wohl der Gesellschaft erfordert. Auch wenn dies rechtlich nicht zwingend notwendig ist, wird vielfach die Einberufungskompetenz (deklaratorisch) in die Satzung der monistischen SE aufgenommen.

183

Aus Gründen der Vorsicht sollte bei der monistischen SE aber davon Abstand genommen werden, die Einberufungsberechtigten in der Satzung enumerativ aufzuzählen, denn nach Art. 54 Abs. 2 SE-VO ist neben dem Verwaltungsorgan auch jedes andere Organ zur Einberufung berechtigt. Da nicht eindeutig geklärt ist, ob es sich bei den geschäftsführenden Direktoren um Organe der Gesellschaft handelt,[3] würde die (Nicht-)Nennung ggf. als Eintragungshindernis angesehen.[4] Zudem sollte davon Abstand genommen werden, die Hauptversammlung durch die geschäftsführenden Direktoren einberufen zu lassen, da die Einberufung durch eine unzuständige Person nach Art. 9 Abs. 1 c iVm. § 241 Nr. 1 AktG zur Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse führen würde.[5]

4 › IX › 3. Satzungsregelungen zum Quorum von Einberufungs- oder Ergänzungsverlangen

3. Satzungsregelungen zum Quorum von Einberufungs- oder Ergänzungsverlangen

184

Wie auch in der deutschen AG haben Aktionäre, die über eine Mindestbeteiligungsquote verfügen, das Recht, die Einberufung der Hauptversammlung oder die Ergänzung der Tagesordnung zu verlangen. Hinsichtlich des erforderlichen Quorums gewährt Art. 55 Abs. 1 HS 2 SE-VO dem Satzungsgeber das Recht, das Quorum – in engen Grenzen – zu modifizieren. Da dieses Recht ebenfalls dem nationalen Gesetzgeber eingeräumt wurde, stellt sich insoweit die Frage nach dem Gestaltungsspielraum für den Satzungsgeber. Der deutsche Gesetzgeber hat von der Regelungsermächtigung in Art. 55 Abs. 1 HS 2 SE-VO durch § 50 SEAG Gebrauch gemacht. Nach dieser Vorschrift können Aktionäre, deren Anteil am Grundkapital mindestens 5 % beträgt, die Einberufung der Hauptversammlung verlangen (§ 50 Abs. 1 SEAG). Hinsichtlich der Ergänzung der Tagesordnung sieht § 50 Abs. 2 SEAG zusätzlich vor, dass auch ein anteiliger Betrag am Grundkapital in Höhe von 500 000 EUR ausreicht.

185

Dementsprechend ist für den Gestaltungsspielraum des Satzungsgebers zunächst klar, dass dieser auch niedrigere Quoren als die in § 50 SEAG vorgesehenen festlegen kann.[6] Umstritten ist hingegen, ob es dem Satzungsgeber ebenfalls gestattet ist, dass in § 50 SEAG vorgesehene Quorum auf die 10 % Schwelle des Art. 55 SE-VO anzuheben und damit den Minderheitenschutz der SE im Verhältnis zur deutschen AG zu reduzieren. Ausgangspunkt dieser Diskussion ist der Wortlaut von Art. 55 Abs. 1 HS 2 SE-VO bzw. Art. 56 S. 3 SE-VO. Hierbei geht es namentlich um die Frage, ob der Zusatz „unter denselben Voraussetzungen, wie sie für Aktiengesellschaften gelten“ sich nur auf die zweite Alternative oder auch auf die Satzungs-Alternative bezieht. Da kein Grund dafür ersichtlich ist, dass der Verordnungsgeber von der in Art. 9 SE-VO vorgesehenen Normenhierarchie[7] abweichen wollte, ist es dem Satzungsgeber gestattet, das Mindestquorum über der von § 50 SEAG vorgesehenen Mindestschwelle von 5 % festzulegen. Obergrenze ist aber in jedem Fall der Schwellenwert in Art. 55 Abs. 1 HS 2 SE-VO bzw. Art. 56 S. 3 SE-VO.[8] Hätte der Verordnungsgeber von der Normenhierarchie des Art. 9 SE-VO abweichen wollen, hätte er eine Formulierung wie in Art. 52 a. E. SE-VO gewählt.[9]

4 › IX › 4. Verfahren und Fristen für Ergänzungsverlangen

4. Verfahren und Fristen für Ergänzungsverlangen

186

Art. 56 S. 2 SE-VO sieht vor, dass das Verfahren und die Fristen für den Ergänzungsantrag sich nach dem einzelstaatlichen Recht des Sitzstaats der SE oder, sofern solche Vorschriften nicht vorhanden sind, nach der Satzung der SE richtet. Da das SEAG weder in Bezug auf das Verfahren noch in Bezug auf die Fristen für das Ergänzungsverlangen Vorschriften vorsieht, kann der Satzungsgeber entsprechende Regelungen in der Satzung aufnehmen.

4.1 Zeitliche Vorgaben für die Antragsstellung

187

Der Satzungsgeber kann und sollte zweckmäßigerweise von seinem Recht Gebrauch machen, den Ergänzungsantrag an zeitliche Vorgaben zu knüpfen. Insoweit bietet es sich an, dass der Antrag auf Ergänzung der Tagesordnung erst dann gestellt werden kann, wenn die Tagesordnung überhaupt bekannt gemacht worden ist, denn anderenfalls wäre ein solcher – durchaus mit Aufwand für die Gesellschaft verbundener – Antrag auch schon vor Bekanntmachung der Tagesordnung statthaft.[10]

188

Auch hinsichtlich des Zeitpunkts der spätestmöglichen Antragstellung bieten sich Satzungsregelungen an. Soweit solche nicht aufgenommen würden, würden über Art. 9 Abs. 1 c ii die für deutsche AG geltenden Regelungen eingreifen. Dementsprechend können Ergänzungsanträge so lange gestellt werden, wie es noch möglich ist, diese vor der Hauptversammlung ohne schuldhaftes Zögern bekannt zu machen (§ 124 Abs. 1 S. 1 AktG). Da auch diese Bekanntmachungen – gerade bei kurz vor der Hauptversammlung eingehendem Ergänzungsverlangen – mit erheblichem administrativen Aufwand verbunden sind, empfiehlt es sich, eine entsprechende Regelung in der Satzung aufzunehmen. Praktikabel erscheint insoweit die Antragsstellung bis zum Ablauf des zehnten Tages vor Beginn der Hauptversammlung.[11]

 

4.2 Form der Antragsstellung

189

Soweit die Satzung keine Bestimmung über die Form der Antragsstellung enthält, greift über Art. 9 Abs. 1 c ii SE-VO das Schriftformgebot aus §§ 126, 126a Abs. 1 BGB, § 122 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 AktG ein.[12] Insoweit sind sowohl Erleichterungen (bspw. Textform, § 126 BGB) als auch an Verschärfungen (z. B. öffentliche Beglaubigungen, § 129 BGB) denkbar.

4.3 Antragsinhalt

190

Auch hinsichtlich des Antragsinhalts ist es dem Satzungsgeber gestattet, Anforderungen festzulegen. Insoweit ließe sich daran denken, die Zulässigkeit des Ergänzungsantrags davon abhängig zu machen, dass ein konkreter Beschlussvorschlag formuliert, der Nachweis der Aktionärseigenschaft formalisiert oder als Zulässigkeitsvoraussetzung ausdrücklich festgelegt wird, dass die Aktionärseigenschaft noch bis zum Beginn der Hauptversammlung vorliegen muss.

191

Zudem empfiehlt es sich, den Adressaten des Ergänzungsverlangens in der Satzung aufzunehmen.

192

Demgegenüber ist es nicht zulässig, in der Satzung als Antragsvoraussetzung eine Mindesthaltedauer festzuschreiben. Eine solche Satzungsregelung würde gegen Art. 56 S. 1 SE-VO verstoßen und wäre damit unbeachtlich (Art. 9 Abs. 1 a SE-VO).[13]

Anmerkungen

[1]

Lutter/Hommelhoff/Teichmann Art. 50 SE-VO Rn. 7; Schwarz Art. 50 SE-VO Rn. 4; Spindler/Stilz/Eberspächer Art. 50 SE-VO Rn. 3; Lutter/Hommelhoff/Teichmann Art. 50 SE-VO Rn. 1.

[2]

KölnKomm AktG/Kiem Art. 54 SE-VO Rn. 15; Lutter/Hommelhoff/Spindler Art. 54 SE-VO Rn. 13; MünchKomm AktG/Kubis Art. 54 SE-VO Rn. 8.

[3]

Vgl. hierzu 5. Kap. Rn. 240.

[4]

KölnKomm AktG/Kiem Art. 54 SE-VO Rn. 20; Habersack/Drinhausen/Bücker Art. 54 SE-VO Rn. 14f.

[5]

Lutter/Hommelhoff/Spindler Art. 54 SE-VO Rn. 11.

[6]

MünchKomm AktG/Kubis Art. 55 SE-VO Rn. 2.

[7]

Vgl. hierzu oben Rn. 6 ff.

[8]

So wie hier: MünchKomm AktG/Kubis Art. 55 SE-VO Rn. 5; Lutter/Hommelhoff/Teichmann/Spindler Art. 55 SE-VO Rn. 7; a. A. KölnKomm AktG/Kiem Art. 55 SE-VO Rn. 5.

[9]

Happ/Reichert Aktienrecht 19.01 Rn. 72.

[10]

KölnKomm AktG/Kiem Art. 56 SE-VO Rn. 15; Lutter/Hommelhoff/Spindler Art. 56 SE-VO Rn. 16; Spindler/Stilz/Casper/Eberspächer Art. 56 SE-VO Rn. 11.

[11]

Vgl. hierzu Muster Anh. II 1 – § 23 II und Anh. II 2 – § 21 II.

[12]

KölnKomm AktG/Kiem Art. 56 SE-VO Rn. 17; Lutter/Hommelhoff/Spindler Art. 56 SE-VO Rn. 15; MünchKomm AktG/Kubis Art. 56 SE-VO Rn. 9.

[13]

KölnKomm AktG/Kiem Art. 56 SE-VO Rn. 19.

4 › X. Änderungen der Satzung

X. Änderungen der Satzung

193

Nach Art. 59 Abs. 1 SE-VO bedarf die Änderung der Satzung eines Beschlusses der Hauptversammlung mit mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, soweit nach nationalem Recht keine größere Mehrheit vorgesehen ist. Gem. § 179 Abs. 2 S. 1 AktG sieht das deutsche Recht eine Dreiviertelmehrheit des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals vor. Bezugsgröße für das vertretene Grundkapital ist nach überwiegender Auffassung das mit „ja“ oder „nein“ stimmende Kapital; Stimmenenthaltungen werden dabei nicht mitgezählt.[1]

194

In Art. 59 Abs. 2 SE-VO ist den Mitgliedstaaten allerdings die Befugnis eingeräumt worden, das Mehrheitserfordernis auf eine einfache Mehrheit der abgebenen Stimmen herabzusetzen, soweit mindestens die Hälfte des gezeichneten Kapitals vertreten ist. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Option mit § 51 S. 1 SEAG wahrgenommen und damit wiederum den Gleichlauf mit deutschem Aktienrecht (§ 179 Abs. 2 S. 2 AktG) hergestellt.[2] Danach kann die Satzung vorsehen, dass eine einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf der Hauptversammlung ausreicht.

195

Allerdings ist in § 51 S. 2 SEAG für Satzungsänderungen bezüglich des Unternehmensgegenstandes, der grenzüberschreitenden Sitzverlegung und der Fälle, für die eine höhere Kapitalmehrheit gesetzlich vorgeschrieben ist (z. B. Kapitalherabsetzung gem. § 222 Abs. 1 AktG), klargestellt, dass diese nur mit einer qualifizierten Mehrheit möglich sind.

Anmerkungen

[1]

Vgl. Hüffer § 179 Rn. 14 mwN.; danach würde § 179 Abs. 2 S. 1 AktG gegenüber Art. 59 Abs. 1 SE-VO grds. die größere Mehrheit vorschreiben, allerdings muss bei Stimmrechtsauschlüssen, -beschränkungen oder Mehrstimmrechtsaktien dies im Einzelnen genau geprüft werden.

[2]

Vgl. dazu Begr. zum RegE zu § 51 SEAG.

5. Kapitel Leitungs- und Aufsichtsorgane

Inhaltsverzeichnis

I. Das Wahlrecht zur Organisationsverfassung

II. Das dualistische System

III. Das monistische System

IV. Gemeinsame Vorschriften

5 › I. Das Wahlrecht zur Organisationsverfassung

I. Das Wahlrecht zur Organisationsverfassung

5 › I › 1. Ausgangssituation

1. Ausgangssituation

1

Die Verfassung der deutschen AG geht von einem dreigliedrigen Organisationsaufbau aus. Die drei Organe der Unternehmensverfassung sind der Vorstand, der Aufsichtsrat und die Hauptversammlung. Dem Vorstand obliegt gem. § 76 Abs. 1 AktG die eigenverantwortliche Leitung der AG. Er wird in seiner Leitungsaufgabe laufend durch den Aufsichtsrat kontrolliert und überwacht (§ 111 Abs. 1 AktG). Der Aufsichtsrat ist auch für die Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder zuständig. Die Hauptversammlung als oberstes Organ der AG bestimmt über ihre Satzungsgebungskompetenz den wirtschaftlichen und rechtlichen Aufbau der Gesellschaft, bestellt die Aufsichtsratsmitglieder und beruft sie ab und erteilt den Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern Entlastung. Gem. § 119 Abs. 2 AktG kann die Hauptversammlung über Fragen der Geschäftsführung nur entscheiden, wenn der Vorstand es verlangt. Auch der Aufsichtsrat kann gem. § 111 Abs. 4 AktG keine Maßnahmen der Geschäftsführung übertragen erhalten. Die Satzung oder der Aufsichtsrat können jedoch anordnen, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats durch den Vorstand vorgenommen werden dürfen. Diese Zustimmung kann gegebenenfalls durch einen Hauptversammlungsbeschluss auf Verlangen des Vorstands ersetzt werden. Durch das Zusammenspiel dieser Vorschriften wird die Machtbalance zwischen den Gesellschaftsorganen sichergestellt. Die Hauptversammlung als oberstes Gesellschaftsorgan mit grundsätzlicher Allzuständigkeit gibt es nach dem System des deutschen AktG nicht.[1]

2

Durch die Trennung der Verwaltung in Aufsichtsrat und Vorstand folgt das deutsche Aktienrecht dem sog. dualistischen System. Aufgrund der Aufgabenteilung zwischen Vorstand (Leitung) und Aufsichtsrat (Überwachung) spricht man auch vom sog. Trennungsprinzip. Vorteile des Trennungssystems sind in der klaren personellen Aufteilung und in der ausschließlichen Zuweisung der laufenden Geschäftsführung an den Vorstand sowie der Effektivierung der Kontrolle zu sehen.[2] Das im anglo-amerikanischen Gesellschaftsrecht bekannte sog. Board-System geht demgegenüber von einem monistischen System aus. Beim monistischen System gibt es neben der Hauptversammlung als weiteres Organ ein einheitliches Verwaltungsorgan mit gebündelten Leitungs- und Kontrollfunktionen.[3] Geleitet wird dieses Verwaltungsorgan durch den sog. Chief Executive Officer (CEO), der durch die Vereinigung von Leitungs- und Überwachungsfunktionen eine sehr starke Stellung in der AG hat.[4]

3

Nach deutschem Aktienrecht kann dem Vorstand eine dem CEO im monistischen System entsprechende starke Stellung nicht eingeräumt werden. In der Praxis wird dies als Nachteil angesehen, weil der Aufsichtsrat im dualistischen System aufgrund der geringeren Sachnähe nicht so stark in die laufenden Entscheidungsprozesse eingebunden werden kann. Es hat daher in der Vergangenheit z.B. bei der Deutsche Bank AG Versuche gegeben, dem Vorstandsvorsitzenden eine dem CEO vergleichbare Position einzuräumen, was bei Aktionärsschützern und in der Literatur immer wieder auf heftige Kritik in den Hauptversammlungen gestoßen ist.[5]

4

Gleichwohl zeigen diese Versuche, dass insbesondere bei deutschen Großunternehmen ein Bedürfnis nach einem starken CEO besteht. Neben effektiveren und flexibleren Führungsstrukturen kann dieses Bedürfnis auch deshalb bestehen, weil ausländische Kapitalanleger mit dem Board-System besser vertraut sind und eine deutsche Kapitalgesellschaft mit einem monistischen System ein interessanteres Anlageobjekt sein kann.[6] Insbesondere auch für Familienunternehmen bietet die monistische Leitungsstruktur in ihren verschiedenen Ausprägungen eine interessante Alternative zum dualistischen System.[7]

5 › I › 2. Wahl zwischen dualistischem und monistischem System

2. Wahl zwischen dualistischem und monistischem System

5

Die Aktienrechte in der EU sind im Hinblick auf die Leitungsstruktur sehr uneinheitlich. Während Deutschland, Österreich, Dänemark und die Niederlande ein rein dualistisches System haben, gibt es in Großbritannien, Belgien, Schweden, Luxemburg, Italien, Portugal und Irland ausschließlich das monistische System. Das französische und norwegische Aktienrecht kennen sowohl ein monistisches als auch ein dualistisches System.[8]

6

Vor diesem europarechtlichen Hintergrund hatte die SE-VO zu entscheiden, welches System Anwendung finden soll. Die SE-VO hat sich im Bereich der Unternehmensverfassung entschieden, dem Satzungsgeber große Gestaltungsfreiheit zu geben. Die Satzung muss bestimmen, ob das monistische oder dualistische System gewählt wurde.[9] Gem. Art. 38 SE-VO muss die SE als Organ die Hauptversammlung (Art. 38a SE-VO) und ein Verwaltungsorgan haben. Dabei überlässt Art. 38 b SE-VO dem Satzungsgeber die Wahl für ein Aufsichtsorgan und ein Leitungsorgan (dualistisches System) oder für ein einheitliches Verwaltungsorgan (monistisches System).

 

7

Art. 43 Abs. 4 SE-VO bestimmt für Länder, in denen ein monistisches System nach dem nationalen Aktienrecht nicht möglich ist, dass der Mitgliedstaat entsprechende Vorschriften in Bezug auf die SE erlassen „kann“. Daraus wird teilweise gefolgert, dass Mitgliedstaaten zur Einräumung einer Wahlmöglichkeit zwischen den Systemen nicht gezwungen werden sollen.[10]

8

Die Diskussion, ob Art. 43 Abs. 4 und Art. 39 Abs. 5 SE-VO einen Rechtssetzungsbefehl enthalten, erscheint müßig. Wenn der nationale Gesetzgeber von der Kompetenzzuweisung keinen Gebrauch macht, gilt die SE-VO aufgrund der Normenhierarchie gem. Art. 9 SE-VO und der direkten Anwendbarkeit gem. Art. 288 AEVV unmittelbar. Die Wahlfreiheit folgt dann direkt aus Art. 38 b SE-VO, der der SE das Recht gibt, sich in ihrer Satzung für das monistische oder das dualistische System zu entscheiden.[11]

9

Die SE-VO enthält auch materiell-rechtliche Regelungen zur Unternehmensverfassung. Die Regelungsdichte ist allerdings relativ gering. Der nationale Gesetzgeber, der keine ergänzenden Regelungen schaffen will, kann die SE-VO direkt zur Anwendung kommen lassen. Letztendlich wird die Handhabung der Unternehmensleitung jedoch erschwert, wenn in einem nationalen Aktienrecht nicht bekannte Leitungssysteme für die SE allein über die SE-VO zur Anwendung kommen. Allein deshalb besteht ein faktischer Regelungszwang für den nationalen Gesetzgeber, das jeweils in seinem nationalen Aktienrecht nicht bekannte Leitungssystem in seinem Ausführungsgesetz zur SE-VO zu regeln.[12]

10

Die Alternative, dass der Satzungsgeber fehlende Regelungen im nationalen Recht ausgestaltet und sich ein eigenes Leitungssystem über die Satzung zusammenstellt, ist rechtlich nicht umsetzbar. Denn die Satzungsautonomie besteht gem. Art. 9 Abs. 1 b SE-VO nur dort, wo die SE-VO sie ausdrücklich zulässt.[13]

11

Der deutsche Gesetzgeber hat von der Ermächtigung in Art. 43 Abs. 4 SE-VO Gebrauch gemacht und das monistische System in den §§ 20–49 SEAG ausführlich geregelt. Das monistische System soll durch diese Regelungen mit dem vom dualistischen System geprägten deutschen Aktienrecht kompatibel gemacht werden. Der Gesetzgeber verfolgt dabei das Ziel, das monistische Modell so flexibel und zugleich mit hinreichender Regelungsdichte auszustatten, dass es für die SE mit Sitz in Deutschland zu einer wirklich handhabbaren Alternative zum dualistischen Modell wird.[14]

12

Wie die funktionale Trennung zwischen Geschäftsführungs- und Überwachungsaufgaben, die im 14. Erwägungsgrund der SE-VO als wünschenswert bezeichnet wird und in Ziff. 3 DCGK geregelt ist, im monistischen System umgesetzt werden soll, war bei Einführung der SE eine ebenso spannende Frage wie die Frage nach der Einfügung deutscher Arbeitnehmermitbestimmung in das monistische System.[15] Auch die Einführung des monistischen Systems in das deutsche Konzernrecht stellte den deutschen Gesetzgeber und den Rechtsanwender vor interessante Fragestellungen.[16] Festzustellen ist, dass die SE in Deutschland trotz anfänglicher Zweifel große Attraktivität entfaltet hat.[17] Dies gilt nicht nur für Großkonzerne wie die Allianz SE, BASF SE oder Porsche SE, sondern zunehmend auch für den Mittelstand. Es verwundert daher nicht, dass besonders in Deutschland aus der Praxis gewonnene Verbesserungsvorschläge für die SE-VO gemacht werden.[18] Zum 21.3.2014 waren europaweit 2125 SE registriert. Von diesen waren 81 % dualistisch strukturiert und 15 % monistisch. Bei 4 % der registrierten SE war die Leitungsstruktur unbekannt. In Deutschland waren zu diesem Zeitpunkt 292 SE registriert. Bei 111 dieser deutschen SE hat man sich in der Satzung für eine monistische Leitungsstruktur entschieden. Das dualistische System wurde dagegen bei 198 Gesellschaften gewählt. Bei 38 deutschen SE ist die Leitungsstruktur wiederum unbekannt.[19]