Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft - Societas Europaea

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Anmerkungen

[1]

ABlEG Nr. C 17 v. 22.1.1996, 4.

[2]

Dok. KOM/97/0547.

[3]

ABlEG Nr. C 371 v. 8.12.1997, 83.

[4]

ABlEG Nr. C 129 v. 27.4.1998, 1.

[5]

Dok. 14717/00 SE 8.

[6]

Dok. 14719/00 SE 9.

[7]

Thoma/Leuering NJW 2002, 1449, 1454 unter Hinweis auf Lutter BB 2002, 1, 5.

[8]

ABlEG Nr. L 294 v. 10.11.2001, 1.

[9]

ABlEG Nr. L 294 v. 10.11.2001, 22.

1 › VI. Das Gesetzgebungsverfahren in Deutschland

VI. Das Gesetzgebungsverfahren in Deutschland

52

Im Frühjahr 2003 legte das Bundesjustizministerium einen Diskussionsentwurf vor, der sich allerdings auf einen Entwurf des SEAG beschränkte. Der Diskussionsentwurf enthielt also lediglich die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften zur Ausführung der SE-VO und noch nicht die Regelungen zur Umsetzung der SE-RL. Im April 2004 wurde der Referentenentwurf des SEEG veröffentlicht, der neben dem Entwurf des SEAG auch den Entwurf des SEBG zur Umsetzung der SE-RL enthielt. Nach geringfügigen Änderungen wurde der Entwurf Ende Mai 2004 als Regierungsentwurf vorgelegt.[1]

53

Am 9.7.2004 nahm der Bundesrat zu dem Regierungsentwurf Stellung.[2] Die Gegenäußerung der Bundesregierung dazu erfolgte am 24.8.2004.[3] Der Rechtsausschuss des Bundestages führte aufgrund eines Beschlusses vom 29.9.2004 zunächst am 18.10.2004 eine öffentliche Anhörung folgender Sachverständiger durch: Beck, Bräuning, Fulton, Hexel, Möllering, Nagel, Seibt und Veil. Am 27.10.2004 empfahl der Rechtsausschuss dem Bundestag, den Gesetzentwurf mit einigen Änderungen[4] anzunehmen.[5]

54

Am 29.10.2004 nahm der Bundestag den Gesetzentwurf in der vom Rechtsausschuss empfohlenen Fassung an und leitete diesen dem Bundesrat zu.[6] Am 26.11.2004 beschloss der Bundesrat die Anrufung des Vermittlungsausschusses. Hintergrund war der Streit über die Ausgestaltung der Mitbestimmung insbesondere in der monistischen SE. Der Vermittlungsausschuss beschloss in seiner Sitzung am 15.12.2004, keinen Einigungsvorschlag zu unterbreiten. Daraufhin legte der Bundesrat am 17.12.2004 Einspruch gegen das SEEG ein, der noch am selben Tage vom Bundestag zurückgewiesen wurde. Damit war das SEEG endgültig verabschiedet, wurde am 22.12.2004 ausgefertigt, am 28.12.2004 im Bundesgesetzblatt[7] verkündet und trat (in Gestalt des SEAG und des SEBG) am 29.12.2004 in Kraft.[8]

Anmerkungen

[1]

BT-Drucks. 15/3405.

[2]

BR-Drucks. 438/04.

[3]

BT-Drucks. 15/3656.

[4]

Änderungen wurden insbesondere in §§ 2, 8, 13 Abs. 3, 21 Abs. 2, 35 Abs. 3, 46, 53 SEAG vorgenommen.

[5]

BT-Drucks. 15/4053.

[6]

BR-Drucks. 850/04.

[7]

BGBl I 2004, 3675.

[8]

Art. 9 SEEG.

1 › VII. Weitere Entwicklung des SE-Rechts auf europäischer und nationaler Ebene

VII. Weitere Entwicklung des SE-Rechts auf europäischer und nationaler Ebene

55

Mittlerweile wurde die Verordnung mehrfach, zuletzt im Sommer 2013, geändert, um ihren Geltungsbereich jeweils um die der EU neu beigetretenen Mitgliedstaaten (zuletzt Kroatien am 1.7.2013) zu erweitern.[1]

56

Nach Art. 69 SE-VO hatte die Kommission fünf Jahre nach Inkrafttreten einen Bericht über deren Anwendung vorzulegen und diesem erforderlichenfalls Änderungsvorschläge beizufügen. Um die erforderlichen Daten über die Umsetzung des SE-Statuts in der Praxis einzuholen, gab die Generaldirektion Binnenmarkt und Dienstleistungen der Europäischen Kommission eine externe Studie in Auftrag und befragte die Beteiligten im Rahmen einer öffentlichen Konsultation und einer Konferenz.[2] Am 17.11.2010 legte die Europäische Kommission den Bericht nach Art. 69 SE-VO an das Europäische Parlament und den Rat über die Anwendung der Verordnung vom 8.10.2001[3] vor, in dem sie die bisherigen Erfahrungen mit der SE zusammenfasst und einige rechtliche Verbesserungen anregt sowie Normsetzungsvorschläge dazu in Aussicht stellt. Anreize und Hintergründe für die Errichtung einer SE sind ausweislich der Konsultation vorwiegend ihr europäisches Image und ihr supranationaler Charakter sowie die Möglichkeit der Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes. Auch die Möglichkeit grenzüberschreitender Fusionen war (jedenfalls bis zum Inkrafttreten der entsprechenden Richtlinie[4]) zusammen mit der potentiell einfacheren Umstrukturierung und Vereinfachung der Gruppenstruktur ein Argument für die SE. Als Hinderungsgründe werden auf der anderen Seite die Gründungskosten, das zeitraubende und komplexe Verfahren, die Rechtsunsicherheit in Verbindung mit mangelnden praktischen Erfahrungen sowie generell die mangelnde Kenntnis über diese Gesellschaftsform, die durch die fehlende Einheitlichkeit der SE in den verschiedenen Mitgliedstaaten begünstigt wird, genannt. Daher schlägt die Kommission insbesondere eine Vereinfachung des zeitaufwändigen und komplexen Gründungsverfahrens vor.

57

Im Zusammenhang mit der Evaluation hat sich auch der Arbeitskreis Aktien- und Kapitalmarktrecht (AAK) damit befasst, Vorschläge zur weiteren Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen und zur Erhöhung der Attraktivität der SE für große und mittlere Unternehmen in Deutschland und Europa zu erarbeiten.[5] Die Vorschläge betreffen nicht nur die Reform der SE-VO, sondern auch des SEBG und wurden von Experten aus Wissenschaft und Praxis erarbeitet, so insbesondere von Bachmann, Bücker, Casper, Ihrig, Jacobs, Jannott, Kiem, Rieble, Schäfer, Seibt, Schiessl, Teichmann, Veil und Weller. Ausweislich ihres Aktionsplans vom 12.12.2012[6] beabsichtigt die Kommission allerdings zumindest kurzfristig keine Revision des Statuts der SE, da sie „die potentiellen Herausforderungen bei einer Neueröffnung der Diskussion“ scheut.[7]

58

Auch das SEAG ist zwischenzeitlich mehrfach, unter anderem durch das MoMiG und das ARUG geändert worden.[8] So ist entsprechend der Änderungen des MoMiG zur AG (vgl. § 5 AktG) etwa das Erfordernis aus § 2 SEAG entfallen, wonach die Satzung der SE als Sitz den Ort der Hauptverwaltung bestimmen muss. Zudem wurden die Insolvenzantragspflicht und die Fälle der Führungslosigkeit bei der monistischen SE geregelt. Das ARUG führte zu einer Neu-Festlegung der Verzinsung des Barabfindungsangebots im Falle einer Gründung durch Verschmelzung und konkretisierte, welche Unterlagen der Hauptversammlung der SE zugänglich zu machen sind.

Anmerkungen

[1]

Verordnung (EG) Nr. 885/2004 des Rates v. 26.4.2004 (ABlEU Nr. L 168 v. 1.5.2004), die Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates v. 20.11.2006 (ABlEU Nr. L 363 v. 20.12.2006) und Verordnung (EG) Nr. 517/2013 des Rates v. 13.5.2013 (ABlEU Nr. L 158 v. 10.6.2013).

[2]

Externe Studie von Ernst & Young. Der zusammenfassende Bericht über die Konsultation und die Informationen über die Konferenz vom 26.5.2010 sind abrufbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/company/se/index_en.htm.

[3]

KOM/2010/ 676 endgültig; hierzu Kiem CFL 2011, 134.

[4]

Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.10.2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, ABlEU Nr. L 310 v. 25.11.2005, 1.

[5]

ZIP 2009, 698; ZIP 2010, 2221; ZIP 2011, 1841.

[6]

 

Europäische Kommission, Aktionsplan: Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance – ein moderner Rechtsrahmen für engagiertere Aktionäre und besser überlebensfähige Unternehmen, Brüssel, 12.12.2012, COM/2012/740/2.

[7]

COM/2012/740/2, Ziffer 4.5, 16.

[8]

Vgl. zu den Änderungen durch das MoMiG Art. 18. MoMiG, BGBl I 2008, 2026, zu den Änderungen durch das ARUG Art. 6 ARUG, BGBl I 2009, 2479.

1 › VIII. Fazit und Ausblick

VIII. Fazit und Ausblick

59

Der lange, mühselige Weg hin zu einer gemeinsamen Gesellschaftsform mit eigenem Rechtscharakter für die Europäische Union ist 2004 nach 40-jährigen Bemühungen an seinem (vorläufigen) Ende angelangt. Die geschaffene „Europäische AG“ ist etwas anderes geworden als die kühne, vielleicht zu ambitiöse Konzeption des Jahrs 1970, die ja in erster Linie der wirtschaftlichen Konzentration der europäischen Industrie durch Zusammenschluss vorhandener Kräfte hatte dienen sollen. Die Großunternehmen der Mitgliedstaaten sind heute durch den kräftigen wirtschaftlichen Aufschwung der letzten Jahrzehnte stark genug geworden, wenn auch gesellschaftsrechtlich die transnationale Zusammenfassung zu einer Ausrichtung auf eine nationale Spitze, der der Muttergesellschaft zahlreicher Tochter- und Enkelgesellschaften sowie „joint ventures“ in der ganzen Welt, führte und nicht zu einem europäischen Verbund.

60

Die Arbeiten der letzten fünfzig Jahre sind für die entstandene Form sicherlich von Nutzen gewesen. Die langjährigen Verzögerungen waren ja, wie gezeigt, eigentlich ausschließlich durch die Uneinigkeit der Mitgliedstaaten über die Mitbestimmung bedingt. Es erschien und erscheint aber wohl nicht nur politisch unmöglich, eine Vertretung der Arbeitnehmerinteressen in Großunternehmen in deren gesellschaftsrechtlicher Organisation zu vernachlässigen. Allerdings ist aus deutscher Sicht nur ein Mindestkompromiss gefunden worden.

61

Auch auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts entwickelt sich die Europäische Union weiter. Die „Europäische AG“ ist ein Schritt auf diesem Weg. Die neue Form hat sich bereits bewährt und wird sich weiter bewähren. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn die Bemühungen um die Harmonisierung der nationalen Gesellschaftsrechte zielstrebig weitergeführt werden, deren Unterschiedlichkeit heute zwangsläufig noch zu unterschiedlich organisierten „Europäischen AG“ führt. Dennoch zeigt sich bereits jetzt der Erfolg und die Akzeptanz der SE-VO darin, dass insbesondere in Deutschland große Unternehmen die Form der SE angenommen haben. Prominente Beispiele dafür sind die Allianz SE, die BASF SE, die Porsche SE und die E.ON SE. Aber auch jenseits dieser Großunternehmen findet die SE Verbreitung. So waren im März 2014 europaweit 2.125 SE registriert.[1]

62

Die SE dient (gemeinsam mit der EWIV[2] und der SCE[3]) zudem als Vorbild für weitere supranationale Rechtsformen.[4] Insbesondere ist hier an die SPE (Societas Privata Europaea) zu denken. Diese Gesellschaftsform ist auf kleine und mittelständische Unternehmen zugeschnitten und entspricht insoweit der GmbH. Die SPE soll zusammen mit der SE eine Alternative zu den nationalen Kapitalgesellschaftsformen darstellen.[5] Um Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten zu verhindern, die das Verfahren ähnlich in die Länge ziehen könnten wie bei der SE, ist in Anlehnung an die SE-VO im Entwurf des SPE-Statuts vorgesehen, dass Mitgliedstaaten nationale Rechtsvorschriften zur detaillierten Ausgestaltung der Vorschriften der SPE-VO erlassen können.[6] Die Zukunft der SPE ist allerdings ungewiss. Eine letztmals im Mai 2011versuchte Einigung über das SPE-Statut scheiterte in erster Linie am Widerstand Deutschlands.[7] Die Kommission plante sodann am 2.10.2013, den Vorschlag zurückzuziehen.[8] Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten.[9]

Anmerkungen

[1]

Www.worker-participation.eu/European-Company-SE/Facts-Figures (zuletzt abgerufen am 5.5.2014).

[2]

Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung, vgl. Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates v. 25.7.1985 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV), ABlEG Nr. L 199 v. 31.7.1985.

[3]

Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea, kurz SCE), vgl. Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates v. 22.7.2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE), ABlEU Nr. L 207 v. 18.8.2003, berichtigt im ABlEU Nr. L 49 v. 17.2.2007, 35.

[4]

Vgl. auch die seit den 1980er Jahren thematisierte europäische Stiftung (Fundatio Europaea), für deren Statut seit 2012 ein Vorschlag der Kommission vorliegt, siehe KOM/2012/35 endgültig.

[5]

Henssler/Strohn/Servatius IntGesR Rn. 340; MünchKomm BGB/Kindler IntGesR Rn. 94.

[6]

Henssler/Strohn/Servatius IntGesR Rn. 343.

[7]

Hierzu Ulrich GmbHR 2011, R241 f.

[8]

COM(2013) 685 final, 10.

[9]

Zur möglichen „Wiederbelebung„ der SPE aufgrund des im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien 2013 gesetzten Ziels zur Schaffung einer SPE Hommelhoff/Teichmann GmbHR 2014, 177 ff.

2. Kapitel Rechtsgrundlagen, Wesen und Struktur

Inhaltsverzeichnis

I. Rechtsgrundlagen

II. Das auf die SE anwendbare Recht

III. Wesen und Struktur der SE

IV. Die Mitgliedschaft des Aktionärs

2 › I. Rechtsgrundlagen

I. Rechtsgrundlagen

1

Das Recht der SE ist in zwei europäischen Rechtsakten verankert. Die Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE)[1] regelt das Gesellschaftsrecht der SE. Sie wird durch die Richtlinie zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft[2] hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer flankiert.

2

Die Verordnung[3] ist am 8.10.2004 in Kraft getreten. Als europäische Verordnung i. S. d. Art. 249 Abs. 2 EGV ist die SE-VO in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union unmittelbar anwendbar, ohne dass es eines Transformationsaktes der Mitgliedstaaten bedürfte.[4] Trotz der unmittelbaren Regelungswirkung der Verordnung sieht diese den Erlass von Ausführungsgesetzen der Mitgliedstaaten vor, da es den Mitgliedstaaten obliegt, die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen für die Errichtung von SE zu schaffen. Ferner enthält die Verordnung eine Reihe von Ermächtigungen, die es den Mitgliedstaaten gestatten, von den Bestimmungen der SE-VO abzuweichen. In Deutschland ist die Umsetzung durch das SE-Ausführungsgesetz – SEAG vom 22.12.2004[5] erfolgt.

3

Die Richtlinie ergänzt das Statut der SE vor allem im Hinblick auf die unternehmerische Mitbestimmung. Die Richtlinie war bis zum 8.10.2004 durch die Mitgliedstaaten in innerstaatliches Recht umzusetzen. Die Umsetzung erfolgte in Deutschland durch das SE-Beteiligungsgesetz – SEBG vom 22.12.2004.[6]

Anmerkungen

[1]

VO (EG) Nr. 2157/2001 des Rates v. 8.10.2001, ABlEU Nr. L 294 v. 10.11.2001, 1 ff., geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 885/2004 des Rates v. 26.4.2004 (ABlEU Nr. L 168 v. 1.5.2004, 1 ff.), die Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates v. 20.11.2006 (ABlEU Nr. L 363 v. 20.12.2006, 1) und die Verordnung (EU) Nr. 517/2013 des Rates v. 13.5.2013 (ABlEU Nr. L 158 v. 10.6.2013, 1 ff.) – s. Anh. I. 1.

[2]

RL 201/86/EG des Rates v. 8.10.2001, ABlEU Nr. L 294 v. 10.11.2001, 22 ff. -- s. Anh. I. 2.

[3]

Die VO und die RL wurden – anders als die früheren Entwürfe der Jahre 1989 und 1991 – auf Art. 308 EGV gestützt; vgl. zur Ermächtigungsgrundlage Blanquet ZGR 2002, 20, 61 f.; Schwarz ZIP 2001, 1847, 1848.

[4]

Vgl. statt vieler Schweitzer/Hummer S. 102 Rn. 349.

[5]

Beschlossen als Art. 1 des SEEG, BGBl I 2004, 3675, zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes v. 30.7.2009 (BGBl I S. 2479) – s. Anh. I.3.

[6]

Beschlossen als Art. 2 SEEG, BGBl I 2004, 3675.

2 › II. Das auf die SE anwendbare Recht

II. Das auf die SE anwendbare Recht

2 › II › 1. Überblick

1. Überblick

4

Der europäische Gesetzgeber hat die SE als supranationale Rechtsform ausgestaltet, deren Struktur und Funktionsweise in allen Mitgliedstaaten grundsätzlich einheitlich sein soll.[1] Dennoch verzichtet die SE-VO darauf, das Gesellschaftsrecht der SE umfassend zu regeln, sondern beschränkt sich auf einige zentrale Aspekte, insbesondere auf Fragen der Gründung und der Organisationsverfassung der SE. Im Hinblick auf sämtliche Bereiche, die in der Verordnung nicht oder nicht abschließend geregelt sind, verweist die Verordnung auf das nationale Recht des Mitgliedstaats, in dem die SE ihren Sitz hat. Diese Verweisungstechnik führt zwangsläufig dazu, dass sich das auf die SE anwendbare materielle Recht von Sitzstaat zu Sitzstaat unterscheidet. Ältere Verordnungsentwürfe, die eine umfassende Kodifikation auf europäischer Ebene anstrebten, hatten sich als nicht durchsetzbar erwiesen.[2]

5

Neben den Verweisungen auf das nationale Recht enthält die SE-VO eine Reihe von Ermächtigungsnormen, die es den Mitgliedstaaten gestatten, einzelne Aspekte für die in diesem Mitgliedstaat ansässigen SE abweichend von der Verordnung zu regeln. Den einzelnen Mitgliedstaaten soll hierdurch die Möglichkeit eröffnet werden, Besonderheiten des nationalen Gesellschaftsrechts Rechnung zu tragen.

6

Im Hinblick auf die Organisationsverfassung eröffnet die SE-VO dem Satzungsgeber die Wahl zwischen dem sog. monistischen System, bei dem ein einheitliches Organ die Unternehmensleitung ausübt, und dem dualistischen System, bei dem die Leitungs- und Überwachungsaufgaben zwei getrennten Organen zugewiesen sind. Innerhalb des monistischen Systems bleibt es wiederum den Mitgliedstaaten überlassen, ob sie die Führung der laufenden Geschäfte der Gesellschaft geschäftsführenden Direktoren zuweisen oder in der Verantwortung des Verwaltungsrats als Kollektivorgan belassen (vgl. Art. 43 Abs. 1 S. 2 SE-VO).

 

7

Im Ergebnis bestehen somit diverse nationale Spielarten der SE, deren Statut in zahlreiche Partikularrechte unter dem einheitlichen Dach der SE-VO zerfällt. Man kann daher davon sprechen, dass es ebenso viele verschiedene SE gibt wie Mitgliedstaaten.[3]

8

In der Praxis scheinen die Unterschiede zwischen den nationalen Erscheinungsformen der SE keine große Rolle zu spielen, auch wenn die Komplexität des Rechtsregimes der SE insgesamt die Attraktivität der Rechtsform schmälert. Die von der Kommission 2008 in Auftrag gegebene Untersuchung zum SE-Statut zeigt vielmehr, dass Mitgliedstaaten, die von den Umsetzungsspielräumen tendenziell flexibleren Gebrauch gemacht haben, keineswegs über einen besonders hohen Bestand an SE verfügen. Die Untersuchung legt den Schluss nahe, dass es sonstige Rahmenbedingungen sind, die die Rechtsform der SE in einigen Mitgliedstaaten als besonders attraktiv erscheinen lassen. Hierzu zählen mit Blick auf Deutschland beispielsweise das hohe Mitbestimmungsniveau und die zwingend dualistische Organisationsverfassung der AG.[4]

2 › II › 2. Rechtsquellenhierarchie und Lückenschluss

2. Rechtsquellenhierarchie und Lückenschluss

9

Die Bestimmung des auf die SE anwendbaren Rechts wird durch die allgemeinen Grundsätze der Rechtsquellenhierarchie vorgezeichnet. Aufgrund des Vorrangs des europäischen Rechts[5] sind zunächst die Regelungen der SE-VO zur Anwendung berufen, die in ihrem Anwendungsbereich als ranghöhere Normen das Recht der Mitgliedstaaten verdrängen.

10

Die SE-VO selbst enthält jedoch nur in beschränktem Umfang sachrechtliche Regelungen, die sich vornehmlich mit der Gründung und der Leitung der SE befassen. Eine umfassende Kodifikation des Rechts der SE erfolgte nicht, da sich dies als politisch nicht durchsetzbar erwiesen hatte. Der europäische Gesetzgeber hat sich daher darauf beschränkt, ein Rahmenrecht zu schaffen, welches im Wege einer komplexen Verweisungstechnik durch Bestimmungen des nationalen Rechts aufgefüllt wird. Das nationale Recht wird hierbei durch partielle und generelle Verweisungen als Auffangregelung herangezogen, ohne dass das Gemeinschaftsrecht hierdurch sein Primat aufgegeben hätte. Vielmehr gelangt das nationale Recht nur aufgrund eines europarechtlichen Anwendungsbefehls zur Geltung.[6] Die SE bildet mithin ein mixtum compositum[7] aus Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht.

11

Die Bestimmungen der SE-VO sind zwingend (Art. 9 Abs. 1 b SE-VO), soweit sie nicht ausdrücklich satzungsdispositiv ausgestaltet sind.[8] Satzungsbestimmungen, die auf satzungsdispositivem Recht der SE-VO beruhen, gehen als abgeleitetes Recht ebenfalls dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten vor.

12

Es ergibt sich aus Art. 9 Abs. 1 SE-VO folgende Normenhierarchie, wobei ein Rückgriff auf nationales Recht nur insoweit zulässig ist, als dieser Bereich in der Verordnung nicht (Art. 9 Abs. 1 c Alt. 1 SE-VO) oder nur teilweise (Art. 9 Abs. 1 c Alt. 2 SE-VO) geregelt ist:


1. Zwingende Bestimmungen der SE-VO
2. Satzungsregelungen, soweit diese auf satzungsdispositivem europäischen Recht beruhen
3. Dispositive Bestimmungen der SE-VO
4. Spezielle Ausführungsgesetze des Sitzstaates, die auf der Grundlage der SE-VO und der SE-RL erlassen wurden
5. Zwingende Bestimmungen des nationalen Rechts des Sitzstaates
6. Satzungsregelungen, soweit diese auf satzungsdispositivem nationalen Recht beruhen
7. Dispositives nationales Recht des Sitzstaates.

13

Das auf die SE anwendbare Recht scheint sich auf den ersten Blick klar aus der oben dargestellten Normenhierarchie und dem Verweisungssystem der SE-VO ablesen zu lassen. Im Detail kann die Verzahnung der SE-VO mit dem nationalen Recht jedoch erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten aufwerfen.

14

Methodisch setzt der Rückgriff auf das nationale Recht auf der Grundlage der Verweisungsnormen zunächst eine planmäßige Regelungslücke in der SE-VO voraus. Dies bedeutet zugleich, dass ein Rückgriff auf nationales Recht nicht in Betracht kommt, wenn die Regelung der SE-VO abschließend und der Tatbestand der Verweisungsnorm somit gar nicht eröffnet ist. Es muss daher in jedem Einzelfall zunächst der materielle Gehalt und die Reichweite der Vorschriften der SE-VO – einschließlich der Verweisungsnormen – im Wege der Auslegung ermittelt werden.

15

Bei der Ermittlung von Regelungslücken ist grundsätzlich auf die Auslegungsgrundsätze für sekundäres Gemeinschaftsrecht zurückzugreifen.[9] Allerdings können für die Auslegung der SE-VO zwei weitere Leitlinien aufgestellt werden, die sich aus der Verweisungskonzeption der Verordnung ableiten lassen: Aus der Existenz der Generalverweisung kann geschlossen werden, dass der Gesetzgeber selbst von der Lückenhaftigkeit des Verordnungstextes ausging. Bestimmungen, die für das Funktionieren der Rechtsform der SE unerlässlich sind, aber in der SE-VO nicht geregelt sind, müssen grundsätzlich über den Weg der Verweisung durch Rückgriff auf das Recht des Sitzstaates aufgefüllt werden.[10] Die Annahme einer Regelungslücke liegt gleichfalls nahe, soweit für den in der SE-VO nicht geregelten Bereich in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten einschlägige Regelungen bestehen; dies umso mehr, wenn es sich bei dem jeweiligen einschlägigen mitgliedstaatlichen Recht um harmonisiertes Recht handelt.[11]

16

Im Falle planwidriger Regelungslücken kann ein Lückenschluss auch durch Analogie auf Ebene der Verordnung erfolgen, wobei allerdings sowohl die geringe Regelungstiefe der Verordnung als auch die grundsätzliche Entscheidung zur Lückenfüllung durch das Recht der Mitgliedstaaten dieser Vorgehensweise enge Grenzen setzt.[12] In Betracht kommt ein Analogieschluss zur Lückenfüllung insbesondere, wenn das nationale Recht für die Fragestellung keine analogiefähige Regelung bereithält. Derartige SE-spezifische Regelungslücken, die also Bereiche betreffen, die sich ausschließlich auf die Rechtsform der SE beziehen, können nicht durch Rückgriff auf das jeweilige nationale Recht geschlossen werden, da gewöhnlich keine Auffangregelungen zur Verfügung stehen. SE-spezifische Regelungslücken sind auf Ebene des Gemeinschaftsrechts im Wege der Rechtsfortbildung durch den EuGH zu füllen.[13]

17

Die Feststellung einer Regelungslücke, die in der Regel zugleich eine Entscheidung über die Anwendung des nationalen Rechts des Sitzstaates ist, kann im Einzelfall schwierige Auslegungsfragen aufwerfen. Beispiele hierfür bilden das Konzernrecht und das Umwandlungsrecht.[14] In den meisten Fällen ist der Rückgriff auf das nationale Aktienrecht jedoch unproblematisch.

2 › II › 3. Das System der Verweisungsnormen der SE-VO