Observiere undercover die Polizei

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Observiere undercover die Polizei
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Denise Remisberger

Observiere undercover die Polizei

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Inhaltsverzeichnis

Titel

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Impressum neobooks

1

Lisa stand am hohen Fenster ihrer alten Tessiner Villa und schaute interessiert ins Badezimmer ihres Nachbarn von gegenüber. Er hatte sein Fenster offen gelassen und tat so, als fühlte er sich nicht beobachtet. Er war Polizist.

Natürlich benutzte Lisa für ihre tägliche Observation ein gutes, etwas zu schweres Fernrohr für ihr fortgeschrittenes Alter und ihre magere Statur, das sie jeweils mit beiden Händen hochhielt, die Kugel grauweissen Haares auf dem Kopf wippend ob ihrer Anstrengung.

Sie musste aufpassen, dass der Druck des Fernrohrs nicht ihre Kontaktlinsen verschob. Auch im Alter wollte sie keine Brille haben.

Sergio, der Polizist, stand vor seinem Badezimmerspiegel und verkleidete sich als Ganove: halblange schwarze Perücke, senfgelb-giftgrün kariertes Jackett, schwarz-rote Plastiksonnenbrille, sieben goldfarbene Ringe auf beide Hände verteilt, drei goldene Kettchen am rechten Handgelenk und um den Hals, sowie eine enorme, absolut lausige Fälschung einer Rolex.

Den grimmigen Blick sollte er noch ein bisschen einüben, doch er hatte keine Zeit, er musste an die Arbeit.

Lisa wandte sich vom Fenster ab, legte das unhandliche, aber nützliche Fernrohr in eine Schublade, strich ihr langes olivfarbenes Seidenkleid glatt und platzierte ihre Füsse von Neuem in den flauschigen Pantoffeln, in Ocker gehalten und mit je einem Bommel in der Mitte.

Sie fühlte sich wohl in ihrem grossen Haus mit dem abbröckelnden Putz und dem palmenbestückten Garten drum herum.

Elvira wohnte in einem zweistöckigen modernen Appartementhaus zuoberst, unter sich Sergio, den Polizisten, und im Parterre zwei Musiker, Alfredo und Pietro, die den Keller als Übungsraum benutzten.

Sie spielten Grunge, trugen ihre Haare lang bis zu den Hüften und bevorzugten betont andere Jeans als der Rest der Menschheit. Ihre T-Shirts waren mit dem eigenen Bandnamen "Legalize Whatever" beschriftet, ihre Mäntel schwangen im adäquaten Rhythmus um sie herum und ihre Kopfbedeckungen lösten immer wieder Erstaunen aus.

Elviras Katze miaute unüberhörbar und stand, ganz schwarz-weiss getupftes Fellknäuel und anklagende dunkle Augen, neben ihrem leer gegessenen rosaroten Napf und wollte sofort eine zweite Portion.

"Du überisst dich!", mahnte Elvira.

Sassa war nicht derselben Meinung und miaute herzerweichend weiter, bis ihr Napf nochmals aufgefüllt wurde.

Dass es ein bisschen weniger war als die erste Ladung, kommentierte die Süsse mit einem extra stinkigen Furz. Dann ass sie.

2

Berenike, Lisas jüngere Schwester, erholte sich nach ihrem Saunagang auf einem der bequemen Liegestühle im Ruheraum, als ein Mann, aus der Dusche kommend, an ihr vorbeistolperte, sein Handtuch auf den Boden rutschen und seinen Energie-Drink in den neben ihm stehenden Papierkorb fallen liess.

Berenike betrachtete ihn, nun ganz nackt, von unten bis oben und freute sich.

"Entschuldigung", nuschelte er, hob sein Tuch auf, fischte sich den Drink in der seltsam rechteckigen Flasche mit dem breiten Ausguss aus dem Abfallbehälter, entfernte ein fremdes Haar davon und versteckte sich irgendwo hinter dem perlenden Springbrunnen in einer anderen Ecke des Raumes.

Dann fischte er sich sein Handy aus dem speziell geformten Energie-Drink-Behälter, tippte eine kurze Zahl ein und flüsterte: "Sergio, hallo, hier Edwin. Die Schwester der dich suspekterweise mit dem Fernrohr beobachtenden Person liegt im Ruheraum der Sauna und lacht."

"Sie lacht?", kam es unbegriffen von Sergio.

"Ja, sie hat keine Angst vor einem nackten Mann. Sie findet mich amüsant."

"Mist! Dann zieh dich halt wieder an."

"Könnte ich nicht ein Schwätzchen mit ihr halten? Ich glaube, ich gefalle ihr. Sie sieht auch nett aus."

"Nein!", brüllte der strenge Sergio in den Hörer und damit hatte es sich.

3

Pietro musste unbedingt ein Eis essen.

"Willst du auch eins?", schmeichelte er in Richtung des bibbernden Alfredo, der im kurzärmeligen T-Shirt und vor allem im ungeheizten Keller an seiner E-Gitarre klebte und verspannt versuchte, seine Finger warm zu kriegen.

Der ultrakleine elektrische Ofen würde noch eine Weile brauchen, um den in diesem Zusammenhang zum Glück ebenfalls ultrakleinen Raum erträglich warm werden zu lassen.

"Wolltest du nicht eine Diät machen, Amigo, hä?", zündete er, begleitet von ein paar extraharten Riffs und einem ganz ganz kurzen Solo.

"Nein. Ich finde meinen Schwabbelbauch praktisch. Ich kann den Bass darauf abstützen im Gegensatz zu dir, Rippchen", grinste Pietro breit und zeigte mit seinem vanillefarbenen Löffel auf den mageren Alfredo.

Die feuersichere Türe wurde aufgedrückt und herein kam Clara, die Schlagzeugerin der "Legalize Whatever".

Sie zog sich ihren grün-golden gestreiften Wollschal aus, drapierte ihn fürsorglich um Alfredos Hals und hüpfte gut gelaunt zu ihrem Instrument hinüber.

"Wollen wir, meine zwei Süssen?", lud sie die beiden zum Üben ein.

Pietro stellte seinen Eisbecher auf einem nahen Stuhl ab, schnappte sich seinen Bass, den er nicht etwa auf seinem Bauch abstützte, jetzt, wo Clara da war, sondern eher so vor seinen Bauch hielt, dass dieser weniger gut sichtbar wurde und dann stellte er sich auch noch so hin, dass Clara eher sein nettes Gesicht, von den schönen Haaren umrahmt, zu sehen bekam von hinter dem Schlagzeug aus.

 

Als sie später auf die Uhr schauten, waren sie schon drei Stunden fleissig gewesen und gingen sich nun ein paar Bierchen gönnen.

Dafür mussten sie nur eine Strasse überqueren.

Die Bar, in die sie einkehrten, war übersät mit Weihnachtsdekoration - kleinen leuchtenden Sternen im Fenster und einer riesigen Lichterkette oberhalb des Tresens - und im Hintergrund lief "Queen".

Die drei Bandmitglieder machten es sich an einem der runden Tischchen am Fenster bequem, tranken ihre Hoegaarden und besprachen ihr Repertoire.

Beim Singen wechselten sie sich ab und das sollte auch in Zukunft so bleiben.

Alfredo würde noch an seinen Solis arbeiten müssen, Pietro sollte mehr Abwechslung reinbringen und Clara konnte durchaus eine Spur schneller werden.

Im nächsten Jahr wollten sie eine CD aufnehmen. Der Titel sollte heissen: "Unspoiled". Beim Cover waren sie noch zu keiner Übereinkunft gekommen. Ob ein Foto der drei, böse dreinschauend, heutzutage noch wirken würde? Wohl eher nicht. Lieber etwas gefühlvoll Zartes. Das würde alle schockieren. Echt schockieren.

4

Sergio hatte es sich in den Kopf gesetzt, die Dame mit dem Fernrohr zu erschrecken.

Er wusste, dass Lisa Fiori regelmässig einen Spaziergang am Fluss unternahm, um ihre Muskeln wenigstens so fit zu halten, dass die Gelenke nicht die ganzen Lebensbelastungen alleine tragen mussten.

Er zog Schuhe und Socken aus, griff sich die Schuhe mit der linken Hand, nachdem er seine weissen Tennissocken mit dem roten Streifen Grösse mindestens dreiundfünfzig am Ufer drapiert hatte, und kletterte, nun barfuss, den mit Felsplatten bestückten Abhang hinunter, indem er sich mit seiner Rechten an diversen, zu seinem Glück stabilen, Büschen festklammerte.

Sergio breitete sich auf einer der Felsschollen aus, zog sich alles bis auf einen sexy Tanga aus, legte sich in die heisse Tessiner Dezembersonne an diesem windgeschützten Plätzchen und wartete.

Lisa, in neonorangen Turnschuhen, Leinenhose und -tunika in derselben Farbe, und einem hauchdünnen Haarband aus Chiffon, lief mit ziemlich energischen Schritten auf dem Rasenstreifen das Flussufer entlang, sog die kalte Luft ein, während ihr die Sonne auf den Kopf brannte, und blieb plötzlich erheitert stehen.

Das waren doch zwei Riesensocken, dort drüben.

Sie schlich sich leise näher und spähte über die Böschung hinab.

Ihre Erheiterung wuchs, als sie dort Fahnder Sergio Bollettino, ihren spannenden Nachbarn von gegenüber, entdeckte, der, praktisch nackt, seine tolle Figur und sein hübsches Gesicht in Vollbeleuchtung zur Schau stellte.

Lisa begann, ungehalten zu kichern.

"Junger Mann", rief sie zu ihm hinunter, "frieren Sie nicht?"

Sergio fühlte sich schlagartig peinlichst berührt, schirmte seine Augen mit einer Hand ab und setzte sich, vom klaren Wetter schon reichlich benebelt, auf.

"Hier ist es windstill."

"Oh, dann muss ich mir ja keine Sorgen machen um Sie, Herr verdeckter Ermittler. Wollen Sie in diesem Aufzug vielleicht jemanden fangen?"

"Wer weiss?", murmelte Sergio verlegen. "Warum kennen Sie meinen Beruf?", fragte er verunsichert.

"Ist das eine Scherzfrage?"

"Äh, nein ..."

"Dann lasse ich Sie mal wieder", lachte Lisa, winkte ihm zum Abschied und spazierte ihres Weges.

5

Edwin erwartete Sergio vor dessen Haustüre, um gemeinsam in ein Konzert zu gehen.

Da sie Polizisten waren, hatten sie nur wenige Bekannte, und diese kannten sie meist von der Arbeit her.

Elvira lehnte sich aus dem Fenster und rief zu einem ihr bisher fremden attraktiven Mann hinunter: "Suchen Sie jemanden?"

Edwin schaute zu ihr hinauf und rief zurück: "Nein, schöne Frau, ich warte nur auf ihren Nachbarn, Sergio Bollettino."

"Sind Sie auch ein verdeckter Ermittler?"

Edwin schaute sich erschrocken um und flüsterte hinauf: "Ja, aber sagen Sie es nicht weiter."

"Was haben Sie gesagt?"

Edwin formte ein Sprechrohr mit den Händen und hielt es sich vor den Mund: "Jaaa."

"Sind Sie gerade in geheimer Mission unterwegs?", schrie Elvira zu Edwin hinab.

"Nein, wir gehen ganz privat in ein Konzert. Folklore aus Irland. Sie spielen in einem Grotto."

"Nehmt ihr mich mit?"

"Gerne, ja, sicher."

Sergio stand schon eine ganze Weile mit vor der Brust verschränkten Armen draussen vor dem Haus und schüttelte jetzt, da er endlich von Edwin entdeckt worden war, den Kopf.

"Sag mal, was sollte das da eben?"

"Wieso? Die ist doch nett. Und hübsch. Es wollen nicht alle so zölibatär leben wie du, Sergio."

"Ja, ja. Hoffentlich beeilt sie sich. Wir wollen das Konzert ja nicht verpassen, nur weil du unbedingt eine Freundin haben willst."

Doch da kam Elvira schon zur Türe herausgeschossen, einen Arm im Mantel, den anderen am Schlüssel-in-der-Handtasche-Verräumen.

"Haben Sie keine Kappe? Keinen Schal? Keine Handschuhe?", fragte Sergio besorgt. Schliesslich war ihm vor Kurzem gesagt worden, es sei Winter.

"Nein", strahlte Elvira. "Ich hab gern kaltes Wetter. Speziell abends, wenn die Sonne schon weg ist."

"Na dann. Gehn wir also."

Das gut besuchte Grotto roch angenehm nach Weinkorken und bot eine gemütliche Düsternis, die nur durch wenige sanft schimmernde, in dickes Glas eingepackte Lichter erhellt wurde.

Edwin sass zwischen Sergio und Elvira an einem der dunklen Holztische auf einem Fass mit einem roten Kissen darauf und trank gerade einen grossen Schluck aus seinem Bierkrug voll dunklem Guinness. Elvira und Sergio teilten sich eine Flasche Beaujolais.

Sie waren die einzigen drei, die hier nicht rauchten, doch der dicke Qualm, in den sie eingetaucht waren, störte sie nicht.

Der von Natur aus fröhliche Edwin bekam schnell rote Wangen, der ernste Sergio entspannte sich und Elvira fühlte sich wohl, was in der Nähe nur weniger Menschen der Fall war.

Die junge Band aus dem Norden Irlands spielte mit ganzem Herzen, spielte echt und gut, brachte diese trotzende Insel in das kleine Grotto, entfachte Sehnsucht nach einer fernen Zeit, als noch alles gut war, löste Tränen aus ob einem harten fremdbesetzten Schicksal, das immer noch andauerte.