Seewölfe Paket 13

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Sir John, der wortgewandte Bordpapagei, fühlte sich in seiner Nachtruhe gestört. Er schien die kämpfenden Seewölfe moralisch unterstützen zu wollen. Die Schimpfwörter, die er von sich gab, hätten bestimmt den einen oder anderen Derwisch erblassen lassen, wenn er sie verstanden hätte.

Zwei Derwische lagen bereits auf den Decksplanken und rührten sich nicht mehr. Eine ganze Reihe war zurückgeschlagen worden und mit lautem Klatschen im Wasser gelandet. Sie hatten es nicht geschafft, die „Isabella“ zu betreten.

Weitere befanden sich noch im erbitterten Kampf gegen die Seewölfe, die sich als eine äußerst kampferprobte Mannschaft entpuppten. Jeder kämpfte an seinem Platz – der Kutscher, Blacky, Pete Ballie, Jeff Bowie, Sam Roskill und Will Thorne. Auch Smoky und Old O’Flynn waren von den Drehbassen herbeigeeilt und hatten sich Degen gegriffen.

Big Old Shane und Bob Grey hatten die Schleudervorrichtung aufgegeben und sich ins Kampfgetümmel gestürzt. Die Zwillinge, die der Lärm aus den Kojen gescheucht hatte, standen mit je einer Pistole hinter einem Schott – bereit, jedem entgegenzutreten, der es wagen sollte, in die Räumlichkeiten der „Isabella“ einzudringen.

Der Kampf war bald entschieden.

Jene Derwische, die nicht schon im Wasser gelandet waren, holten sich blutige Köpfe. Auch auf der Stirn ihres Anführers, Ibrahim Salih, wuchs bereits eine mächtige Beule. Durch seinen rechten Ärmel sickerte Blut.

Er schien eingesehen zu haben, daß seine Rechnung nicht aufgehen würde. Diese wenigen Engländer hier kämpften wie die Löwen. Bei Allah, es würde ihm nichts anderes übrigbleiben, als sich mit seinen Männern jetzt auf schnellstem Weg zurückzuziehen. Er würde den Kapitän und einige andere Gefangene als Geiseln herbeiholen. Dann würde es ihm mit Sicherheit gelingen, dieses Schiff zu übernehmen.

Mit lauten Schreien trieb Salih seine Männer zurück. Sie sprangen über Bord, schwammen hastig zu ihren Booten und kappten die Taue, die an den Enterhaken befestigt waren.

Augenblicke später pullten sie ihre wendigen Boote in die Dunkelheit zurück, und zwar in einem Tempo, als sei der Teufel persönlich hinter ihnen her.

„Sollen wir ihnen einige eiserne Grüße nachschicken, Sir?“ fragte Smoky.

„Laß gut sein“, erwiderte Ben Brighton. „Vorerst haben sie genug. Ist jemand von euch verletzt worden?“

Außer einigen Kratzern, Beulen und kleineren Fleischwunden, die der Kutscher leicht wieder verarzten konnte, war niemand ernsthaft blessiert.

„Jetzt möchte ich gern wissen, was diese Rübenschweine als nächstes vorhaben“, murmelte Old O’Flynn mit düsterem Gesicht. „Die geben mit Sicherheit noch nicht auf.“

Die Männer verstummten, als sie an ihre Kameraden dachten, die sich höchstwahrscheinlich in der Gewalt dieser Fanatiker befanden.

Ohne einen weiteren Laut von sich zu geben, brachen die beiden Wächter zusammen. Wie Dan O’Flynn die Lage einschätzte, würden sie auch innerhalb der nächsten Stunden nicht aus dem Reich der Träume zurückkehren.

Während Dan zu Sobocan hinüberwinkte, zog Batuti den beiden Derwischen die Messer und Krummsäbel aus dem Gürtel. Auch die beiden Musketen, die neben der Feuerstelle lagen, fanden sein Interesse.

„Sehr gut!“ flüsterte Sobocan, als er die beiden Seewölfe erreicht hatte. „Aber weiter jetzt und bemüht euch, so leise wie möglich zu sein. Das Verlies wird bestimmt bewacht.“

Wenig später tasteten sich die drei Männer die grobbehauenen Stufen hinunter, die in ein kühles und feucht riechendes Kellergewölbe führten. Während sie sich in der Dunkelheit mit einer Hand an der Wand abstützten, um keine Stufe zu verfehlen, hielten sie in der anderen Hand ihre Schußwaffen. Dan und Batuti hatten die Musketen der Besinnungslosen und Sobocan noch eine schußbereite Pistole.

Bald verriet ihnen ein flackernder Lichtschein, daß sie sich ihrem Ziel näherten. Nachdem die letzte Treppenstufe hinter ihnen lag, erkannten sie einen Gang, der ungefähr zehn Yards vor ihnen nach rechts abzweigte.

Sobocan, der vorausgegangen war, verhielt seine Schritte.

„Wir sind da“, flüsterte er. „Sie haben wahrscheinlich Öllampen entzündet.“

„Wir werden sie überraschen“, erwiderte Dan O’Flynn im Flüsterton. „Wenn alles gutgeht, sperren wir sie mit ihren Kumpanen, die oben im Hof liegen, ein.“

Vorsichtig schoben sich die drei Männer an die Abzweigung des Ganges heran. Leise Stimmen waren zu hören. Die Wächter schliefen also nicht, sondern waren in eine Unterhaltung vertieft. Für einen Moment hielten Sobocan und die Seewölfe den Atem an. Aber sie konnten nur zwei Stimmen unterscheiden.

Dan und Batuti packten ihre Musketen schußbereit. Es folgte ein kurzes Kopfnicken, dann hechteten sie blitzschnell um die Ecke.

„Keine Bewegung!“ sagte Dan O’Flynn mit schneidender Stimme. Gleich Batuti hatte er seine Muskete im Anschlag.

Die beiden Derwische, die vor einer riesigen Holztür auf geflochtenen Matten hockten, starrten die beiden Seewölfe an, als seien sie Gespenster.

„Keine falsche Bewegung“, wiederholte Dan in spanischer Sprache. „Steht langsam auf, nehmt die Hände über den Kopf und versucht nicht, nach euren Waffen zu greifen!“

Die beiden bärtigen Männer schienen den Ernst der Situation zu begreifen. Langsam, fast zögernd, erhoben sie sich von ihren Matten.

„Sobocan!“ stieß einer mit heiserer Stimme hervor, als er den jungen Türken erkannte, der hinter Dan und Batuti aufgetaucht war.

„Ja, ich bin es“, antwortete Sobocan in der Landessprache. „Und ich habe keinen Grund, euch zu verschonen, wenn ihr nicht tut, was euch gesagt wird.“ Mit wenigen Schritten erreichte er die beiden Überrumpelten und entwaffnete sie mit flinken Händen. „Schaut nach euren Kameraden, sie müßten hier drin sein“, sagte er zu den beiden Seewölfen und hielt die Wächter in Schach.

Während Batuti den schweren Riegel zurückschob, griff Dan nach einer der beiden Öllampen.

Mit einem quietschenden Geräusch schwang die schwere Holztür zurück. Vorsichtig trat Dan O’Flynn mit der Lampe in der Hand in das Verlies – und da sah er sie!

Teils hockten und teils lagen sie, wie Pakete zusammengeschnürt, in dem dunklen Raum. Und sie waren hellwach. Niemand von ihnen hatte an Schlaf gedacht, seit sie wußten, was die Derwische noch für diese Nacht geplant hatten. Auch die Schüsse waren ihnen nicht entgangen, die vor einiger Zeit schwach aus der Ferne zu hören gewesen waren. Manch einer von ihnen sah sich im Geist auf der „Isabella“, bis ihn die zusammengebundenen Hände und Füße an die Hilflosigkeit seiner Lage erinnerte.

Der Profos, der am Boden hockte und den breiten Rücken gegen eine Wand gelehnt hatte, öffnete als erster den Mund.

„Ach du heiliger Bimbam!“ stieß er hervor. „Bist du’s, Dan, oder bist du nur ein Geist?“

„Hast du schon mal schwarzes Geist gesehen, Mister Carberry, Sir?“ Das grinsende Gesicht Batutis tauchte über der Schulter Dan O’Flynns auf.

„Bei allen blatternarbigen Kakerlaken!“ sagte Edwin Carberry. „Sie sind es tatsächlich. Wie seid ihr hier eingedrungen, und was habt ihr mit den Rübenschweinen vor der Tür getan?“

„Das erzählen wir euch später“, erwiderte Dan mit strahlendem Gesicht. Ihm war ein tonnenschwerer Stein vom Herzen gefallen, als er gesehen hatte, daß alle wohlauf waren. „Batuti wird euch zunächst von euren Fesseln befreien. Wir müssen alle so rasch wie möglich aus diesem Loch heraus. Die Derwische haben die ‚Isabella‘ angegriffen.“

„Wir wußten, daß sie dies planten“, sagte der Seewolf, „aber wir konnten nichts dagegen tun. Zunächst wollten sie die ‚Isabella‘ entern, dann sollten wir aus dem Weg geräumt werden. Ihr seid wirklich zur rechten Zeit erschienen. Wir alle haben euch zu danken.“

„Schon gut, Sir“, sagte Dan O’Flynn verlegen. „Ihr habt uns auch schon aus der Klemme geholfen.“

Dank des scharfen Messers Batutis waren alle Männer rasch von ihren Fesseln befreit.

„Nach der versteckten Beute werden wir später sehen“, entschied Philip Hasard Killigrew. „Zunächst wird die ‚Isabella‘ unsere Hilfe brauchen.“

Damit war jeder einverstanden.

Die beiden besinnungslosen Wächter, die noch oben im Innenhof der Moschee lagen, wurden heruntergeholt und zusammen mit ihren beiden Kumpanen, die Sobocan mit der Pistole in Schach gehalten hatte, in das Verlies gesperrt.

„Bei Allah, der Scheich wird uns auspeitschen lassen“, jammerte einer von ihnen.

„Das hast du Gauner auch verdient“, erwiderte Al Conroy. „Euch Burschen schadet es nicht, wenn ihr ab und zu mal die Hucke voll kriegt!“ Dann schob er den schweren Riegel vor.

Die Pistolen und Krummsäbel der Wachen wurden mit in den Innenhof genommen, und dort wurden die wenigen zur Verfügung stehenden Waffen unter alle Männer verteilt.

Nachdem sich die Seewölfe davon überzeugt hatten, daß sich keine weiteren Derwische in der Festung befanden, rüsteten sie sich zum Abmarsch.

Doch dabei wurden sie von der Stimme Dan O’Flynns jäh unterbrochen. Seine scharfen Augen hatten eine Reihe von Lichtpunkten entdeckt, die sich der Moschee von der Küste her näherten.

„Sie kehren zurück!“ sagte Dan. „Und sie scheinen in ziemlicher Eile zu sein.“

„Wenn sie so rasch zurückkehren“, sagte der Seewolf, „dann kann das nur bedeuten, daß sie sich bei der ‚Isabella‘ eine Abfuhr geholt haben. Und warum auch nicht! Schließlich sind unsere Leute schon mit anderen Burschen fertig geworden als mit tanzenden Derwischen.

„Werden wir auf sie warten, Sir?“ fragte Luke Morgan ungeduldig.

Hasard nickte.

„Jetzt, da der Kampf vorüber ist, wird man uns an Bord nicht so dringend brauchen. Am besten, wir bereiten diesem Salih und seinem Gesindel den passenden Empfang. Danach sollten wir die Burschen ins Verlies sperren, bis wir die Beute abtransportiert haben. Dort unten können sie sich gegenseitig die Köpfe einschlagen, wenn sie nichts besseres zu tun haben.“

 

Die Männer waren begeistert von diesem Vorschlag.

Als eine Stunde später, im ersten Morgengrauen, Ibrahim Salih mit seinem Haufen in den Hof der Moschee marschierte, bemerkte er die Falle, in die er hineintappte, erst, als es bereits zu spät war.

Die verhaßten „Giaurs“ griffen von allen Seiten an und im Nu war auf dem Tanzplatz der Derwische eine wilde Prügelei im Gange.

Es wurde eine schwarze Nacht für Ibrahim Salih und seine Anhänger. Zuerst hatten sie sich bei der „Isabella“ eine kräftige Abfuhr geholt, und jetzt, nachdem sie zurückgekehrt waren, um Geiseln zu nehmen, bezogen die völlig Überraschten die wohl kräftigste Tracht Prügel, die sie je erhalten hatten.

Die Seewölfe fegten wie ein Wirbelwind durch den Innenhof der Felsenmoschee. Nachdem der rundliche Naci Bekanntschaft mit der Stiefelspitze Edwin Carberrys geschlossen hatte, geriet Ibrahim Salih selbst in die Fäuste des Profoses.

„Trab an, du geiernasiges Rübenschwein!“ fauchte Carberry. „Jetzt kannst du deine Reiterscharen aufmarschieren lassen, von denen der kleine Fettwanst vorgelesen hat. So was wie ihr könnte nicht mal auf einem quiekenden Schwein durch die Gegend reiten. Jetzt kannst du gleich das Beten anfangen, denn ich werde dir höchstpersönlich die Haut in Streifen von deinem karierten Affenarsch ziehen!“

Was der Profos mit seinem derben Lieblingsspruch meinte, kriegte Ibrahim Salih augenblicklich zu spüren. Edwin Carberry war jedenfalls davon überzeugt, daß der Ober-Derwisch den ganzen nächsten Tag damit beschäftigt sein würde, seine Knochen zusammenzulesen.

Der Kampf war bald entschieden, und die Derwische erhielten Gelegenheit, ihren Kumpanen unten in dem feuchten Verlies Gesellschaft zu leisten. Auch Ibrahim Salih blieb der Weg in sein eigenes Gefängnis nicht erspart. Selbst die übelsten Höllenstrafen, die er den Seewölfen androhte, vermochten ihn nicht davor zu bewahren.

Die Seewölfe brachen sofort zur „Isabella“ auf. Den „Beutekeller“ der Derwische wollte Hasard erst dann ausräumen lassen, wenn es hell geworden war. Bei Dunkelheit wäre es zu zeitraubend, das Zeug durch die Felsen zu transportieren. Sie würden im Verlauf des Vormittags zur Felsenmoschee zurückkehren. Bis dahin würde Ibrahim Salih und seinen Schnapphähnen nichts anderes übrigbleiben, als in dem dunklen Kellergewölbe auszuharren.

Luke Morgan und Matt Davies waren vom Seewolf dazu bestimmt worden, als Wachtposten zurückzubleiben.

9.

Ein scharfer Wind war am frühen Morgen aufgekommen. Die Kälte, die durch die Kleidung der Seewölfe drang, erinnerte sie nachhaltig daran, daß der Winter auch an der türkischen Südküste nicht spurlos vorüberging.

Als die beiden Boote an der Backbordseite der „Isabella“ anlegten, wurde Philip Hasard Killigrew und sein Landtrupp von den an Bord verbliebenen Männern freudig begrüßt. Auch Philip und Hasard junior, die Zwillinge, hingen über dem Schanzkleid und winkten mit lachenden Gesichtern.

Der Seewolf fühlte sich erleichtert, denn nach der Stimmung, die an Bord zu herrschen schien, konnten die Derwische bei ihrem nächtlichen Überfall nicht viel angerichtet haben.

Ben Brighton, der Stellvertreter Hasards, bestätigte diese Vermutung, als die Männer wenig später auf die Kuhl der „Isabella“ aufgeentert waren.

Die Begeisterung an Bord war groß, als die Männer erfuhren, daß die Derwische nach einer kräftigen Abreibung in ihrem eigenen Verlies gelandet waren.

„Zum Tanzen dürfte es dort etwas zu eng sein“, stellte Ferris Tucker, der Schiffszimmermann, fest. „Also werden sie wohl oder übel mit kaltem Hintern und knurrendem Magen auf die Stunde ihrer Befreiung warten müssen.“

„Das geschieht ihnen recht“, bemerkte Old Donegal Daniel O’Flynn und stieß sein Holzbein auf die Planken. „Ich habe zwar auch schon Derwische kennengelernt, die wirklich als Bettelmönche gelebt und ihre Religion ernst genommen haben. Aber dieser Salih ist doch wirklich nur ein Beutegeier, und seine Anhänger sind keinen Deut besser als das übelste Piratenpack.“

„So ist es“, bestätigte Edwin Carberry. „Vielleicht werden sie sich wieder an die Ermahnungen ihres Propheten erinnern, wenn wir sie erst von dem Ballast ihrer irdischen Güter befreit haben.“ Ein dröhnendes Gelächter begleitete seine Worte.

Doch die Hochstimmung an Bord währte nicht lange. Eine tödliche Gefahr nahte sich rasch und lautlos wie der dunkle Schatten eines riesigen Vogels.

Gary Andrews, der hagere, aber zähe Fockmastgast, der Bill vor zwei Stunden im Großmars abgelöst hatte, unterbrach die Gespräche der Männer mit einem lauten Ruf.

Aber da sahen sie auch schon selbst die Karacke, die mit vollem Zeug in die Bucht einlief und direkt auf die „Isabella“ zuhielt.

Urplötzlich, und für den Mann im Ausguck erst in letzter Sekunde wahrnehmbar, war sie hinter den schroffen Felswänden, die die Einfahrt zur Bucht säumten, aufgetaucht. Die Piratenflagge war gehißt worden, und auch die geöffneten Stückpforten ließen nicht an den Absichten der Karacke zweifeln.

„Die ‚El Jawhara‘!“ stieß Sobocan hervor, der in der Nähe des Seewolfs stand. Sein sonnengebräuntes Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an.

Philip Hasard Killigrew reagierte blitzschnell.

„Alle Mann auf Stationen!“ lautete sein Befehl, und augenblicklich geriet an Bord der „Isabella“ alles, was Beine hatte, in Bewegung. Dennoch wurde kein unnützer Handgriff getan. Jeder an Bord, von den Zwillingen bis hin zum alten O’Flynn, wußte, was in solchen Situationen zu tun war.

Während der Anker gehievt und die Segel gesetzt wurden, um die Galeone manövrierfähig zu machen, flogen auch schon die Stückpforten hoch. Die insgesamt sechzehn Culverinen mit den überlangen Rohren wurden ausgerannt. Gleich würden sie bereit sein, ihre siebzehn Pfund schweren Eisenkugeln auf die Reise zu schicken.

Die vier Drehbassen, die vorn und achtern plaziert waren, wurden mit Ben Brighton, Old O’Flynn, dem Kutscher und Edwin Carberry besetzt.

Während die Zwillinge Bill, dem Moses, dabei halfen, die Kupferbekken mit den glühenden Holzkohlen aus der Kombüse zu holen und sie auf die Geschütze zu verteilen, spannten Batuti und Big Old Shane ihre Bogen, um damit auf Befehl ihre gefürchteten Brand- und Pulverpfeile auf den Gegner abzuschießen.

Ferris Tucker, der rothaarige Riese, hatte sich der von ihm erfundenen Schleudervorrichtung für die verheerenden Flaschenbomben zugewandt.

Sand war auf der Kuhl bereits vor dem Auftauchen der Piratenkaracke ausgestreut worden, um den Männern an den Geschützen eine bessere Standfestigkeit zu verleihen. Die „Isabella“ war nach dem Kampf mit den Derwischen, so gut es ging, gefechtsklar geblieben. Das sollte sich jetzt sehr vorteilhaft auswirken.

Obwohl die wüsten Gestalten an Bord der Karacke bereits einigermaßen deutlich zu erkennen waren, ließ Philip Hasard Killigrew seine Blicke mit Hilfe des Spektivs über die Decks der „El Jawhara“ wandern.

Längst hatte er gemäß der detaillierten Beschreibung Sobocans, der neben ihm stand, jenen kleinen, dikken Mann mit dem kahlen Schädel und dem feisten Gesicht erkannt, der auf dem Achterdeck stand und irgendwelche Befehle schrie.

Es war Barabin, der Kapitän der Seeräuberkaracke. Sein trotz der kühlen Morgenluft nackter Oberkörper und der dünne, schwarze Oberlippenbart verliehen ihm ein verwegenes Aussehen. Seine pludrigen Hosen steckten in Seemannsstiefeln, die er wahrscheinlich irgendwann erbeutet hatte, und an seiner Hüfte baumelte ein Krummsäbel. Das also war Barabin, der Schrecken der türkischen Küsten, der sich wie eine ausgehungerte Hyäne auf jedes Schiff stürzte, das ihm in die Quere geriet.

„Wahrscheinlich war dieser Barabin in Küstennähe unterwegs zu seinem Busenfreund Salih“, sagte Hasard zu Sobocan. „Durch irgendeinen Zufall muß er uns in der Bucht bemerkt haben. Und jetzt will er den Überraschungsmoment für sich nutzen. Na gut, da wollen wir ihm das Frühstück gleich mal etwas versalzen.“

Von da an überstürzten sich die Ereignisse.

Noch während die Karacke mit voller Fahrt auf die „Isabella“ zuhielt, um den Abstand so weit zu verringern, daß die Galeone in die Reichweite ihrer Geschütze geriet, tönte der Feuerbefehl des Seewolfs über die Decks.

Und damit erlebte Barabin seine erste böse Überraschung, denn er hatte nicht damit gerechnet, daß die Culverinen jener ranken Galeone durch ihre Überlänge eine wesentlich größere Reichweite hatten als seine eigenen Geschütze.

Die Folgen dieser Fehlkalkulation blieben nicht aus.

Mit ungeheurer Wucht stießen die Culverinen der Steuerbordseite der „Isabella“ ihre Ladungen aus und ließen das Schiff leicht überkrängen. Die schweren Geschütze rollten zurück und wurden durch die Brooktaue abgefangen. Sofort gab Al Conroy den Befehl, die Culverinen erneut aufzuladen, was mit Windeseile geschah.

Die „El Jawhara“ und ihre Besatzung wurden durch die plötzliche Breitseite der „Isabella“ völlig überrascht. Während zwei der siebzehn Pfund schweren Kugeln hohe Fontänen emporrissen, verwandelten die übrigen Geschosse die Karacke Barabins in ein halbes Wrack, noch bevor der erste Schuß abgefeuert worden war. Erst in dem Augenblick, in dem die Geschütze der englischen Galeone aufgebrüllt hatten, war der Befehl Barabins zum Beidrehen ergangen. Erst jetzt hatte sein Schiff den Abstand zur „Isabella“ so weit verringert, daß er an einen Einsatz seiner Geschütze denken konnte.

Ein fürchterliches Krachen und Splittern vermischte sich an Bord der „El Jawhara“ mit dem Fluchen und Schreien der Piraten. Im Vorschiff klaffte ein beträchtliches Leck. Teile der Back waren zerfetzt worden, der Fockmast hatte sich mit einem häßlichen Geräusch zur Seite geneigt und war schließlich völlig umgeknickt und über Bord gegangen. Auch auf dem Achterdeck der Karacke war nicht mehr viel heil geblieben.

Barabin hatte sich mit einem Wutschrei auf die Planken geworfen, und wahrscheinlich verdankte er dieser Reaktion sein Leben.

Doch nicht nur die Culverinen der „Isabella“ hatten ihre Arbeit aufgenommen, auch die Drehbassen begannen damit, Feuer und Eisen zur „El Jawhara“ hinüber zu schicken. Kettenkugeln entfalteten sich und zerfetzten einen Großteil der restlichen Takelage. Spieren und Stengen flogen durch die Luft, das Großmarssegel sowie das Großsegel hingen plötzlich in Fetzen.

An Bord des Piratenschiffes entstand Wuhling. Schreie und Befehle hallten über das Schiff. Dazwischen war das Jammern und Stöhnen der Verwundeten zu hören.

„Feuer! Schießt die verfluchten Giaurs zusammen! Reißt sie in Stükke!“ brüllte Barabin wie ein Irrsinniger. Er achtete nicht mehr darauf, daß sein Schießbefehl verfrüht war, denn die Geschütze der Steuerbordseite seines Schiffes brüllten bereits auf, als die „El Jawhara“ noch beizudrehen versuchte. Die Kugeln klatschten wirkungslos ins Wasser, nur eine beschädigte die Balustrade zwischen Back und Galionsdeck der „Isabella“.

Die Seewölfe ließen sich dadurch nicht beeindrucken. Sie verloren keine Zeit. Auf den Befehl Philip Hasard Killigrews hin ließ Pete Ballie, der im Ruderhaus stand, das mächtige Rad, das die „Isabella“ vor anderen Schiffen, die noch mit dem schwerfälligen Kolderstock gesteuert wurden, auszeichnete, durch die Fäuste wirbeln.

Wendig ging die ranke Galeone über Stag. Noch bevor die Piratenkaracke weiteren Schaden anrichten konnte, stießen die Backbordgeschütze der „Isabella“ ihre verheerende Ladung durch die Bucht.

Die schwere Stunde der „El Jawhara“ begann. Längst hatte ihr Kapitän, der Türke Barabin, wohl eingesehen, daß er besser an dieser stillen Bucht vorbeigesegelt wäre. Der Entschluß, das dort ankernde Schiff gewissermaßen „im Vorbeigehen“ zu entern, hatte das Verhängnis heraufbeschworen.

Durch das Leck im Vorschiff der Karacke strömten unaufhaltsam die Wassermassen ins Innere. Und jetzt hatten die Culverinen der Galeone auch noch drei riesige Löcher in die Bordwand der „El Jawhara“ gestanzt – direkt in der Wasserlinie. Das war der Todesstoß für die Karacke!

Das Schiff neigte sich zur Seite, seine Minuten waren gezählt. Barabin und seinen Schnapphähnen verblieb keine Zeit mehr, die Beiboote ins Wasser zu bringen. Es blieb ihnen nur noch der Sprung in die kühlen Fluten, wenn sie nicht mit dem sinkenden Schiff in die Tiefe der Bucht gerissen werden wollten.

 

Etliche von ihnen schwammen bereits mit kräftigen Zügen der bizarren Felsenlandschaft entgegen, die zwar nicht in unmittelbarer Nähe lag, aber dennoch erreichbar war. Dabei saß den Piraten die Angst im Nacken. Sie wußten sehr wohl, daß man an Bord der „Isabella“ verschiedene Möglichkeiten hatte, ihnen den Weg zur Küste abzuschneiden.

Doch der Seewolf dachte nicht daran.

„Genug!“ befahl er und hob die Hand. „Die richten so schnell keinen Schaden mehr an. Ihr Schiff geht jeden Augenblick auf Grund. Die wenigen, die überlebt haben und waffenlos die Küste erreichen, werden zunächst auch nicht mehr auf dumme Gedanken verfallen.“

Die Seewölfe hatten das Feuer bereits eingestellt. Als die „El Jawhara“ in den Fluten verschwand, dröhnte in lautes „Ar-we-nack!“ durch die Bucht.

Erst die Stimme Sobocans, des jungen Türken, riß die Männer in die rauhe Wirklichkeit zurück.

„Slobodanka!“ rief er plötzlich und deutete auf die Wasserfläche. „Dort drüben! Sie hat sich an den treibenden Fockmast geklammert!“ Seine Stimme klang aufgeregt.

„Fiert ein Boot ab!“ Der Seewolf reagierte augenblicklich.

Kurz danach pullte Sobocan mit Batuti und Bob Grey dem Fockmast der Piratenkaracke entgegen.

„Slobodanka! Ich bin’s, Sobocan!“ rief der junge Mann, und über das hübsche, ebenmäßige Gesicht des etwa zwanzigjährigen Mädchens, das sich an dem treibenden Mast festhielt, huschte plötzlich ein Lächeln.

Als die Männer sie ins Boot zogen, klebten ihre nassen Haare gleich ihren Kleidern eng an ihrem Körper und ließen die Konturen ihrer wohlproportionierten Gestalt deutlich erkennen.

„Sobocan!“ Das Mädchen atmete schwer. Ihre Brüste hoben und senkten sich, als sie sich mit einer raschen Handbewegung eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht wischte.

Batuti und Bob Grey, die das Boot zur „Isabella“ zurückpullten, bemühten sich, zu den Felsmassiven der Bucht hinüberzublicken, als Sobocan die Tochter des Seeräubers Barabin in die Arme schloß.