Seewölfe Paket 13

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„Das – das ist doch die Höhe!“ stellte Philip junior fest. „Er will es uns gleich gesagt haben, dabei hat er es so wenig gewußt wie wir!“

Er wurde durch Bill, den Moses, unterbrochen, dessen Stimme aus dem Großmars herabtönte.

„Ein Boot! Backbord voraus!“

Wenig später wiederholte er seine Meldung und setzte hinzu: „Ein einzelner Mann befindet sich an Bord.“

„Ein Mann, mutterseelenallein hier auf dem Meer“, wunderte sich der Seewolf, „was soll nun das wieder bedeuten?“

Auch Ben Brighton, sein Stellvertreter und Erster Offizier hatte ein fragendes Gesicht.

„Na, sehr weit sind wir nicht von der Küste entfernt“, sagte er dann.

„Trotzdem“, gab Hasard zurück. „Ein einzelner Mann fährt nicht allein mit einem winzigen Boot so weit heraus, um Fische zu fangen.“ Er hatte bereits das Spektiv an die Augen gesetzt.

Als die „Isabella“ ein Stück näher an das Boot herangesegelt war, sagte er: „Der Bursche sieht ziemlich zerlumpt und auch erschöpft aus. Er schafft es kaum noch, die Riemen zu bewegen. Vielleicht ist er irgendwo geflohen.“

Ben Brighton zuckte mit den Schultern.

„Es könnte sich um eine Falle handeln“, brummte er dann. „Es wäre nicht das erste Mal, daß man versucht, sich mit faulen Tricks an uns heranzupirschen.“

„Da hast du schon recht, Ben“, gab Hasard zurück. „Doch in diesem Fall glaube ich weniger daran. Es ist weder die Küste noch ein fremdes Schiff in Sicht. Wer sollte uns also gesehen haben? Wenn man davon ausgeht, daß der Mann von der Küste bis hierher getrieben wurde, dann muß er seit Stunden unterwegs sein. Am besten, wir holen ihn an Bord, dann werden wir schon erfahren, was ihn zu dieser Bootspartie veranlaßt hat. Er allein kann uns sicherlich nicht gefährlich werden.“

Ben Brighton nickte.

Da der Mann im Boot einen völlig erschöpften Eindruck erweckte, ließ Hasard sofort die Segel aufgeien und ein Beiboot abfieren, um ihn an Bord der „Isabella“ zu holen.

Längst hatte Sobocan von seinem Boot aus die ranke Galeone entdeckt, die hinter der Kimm aufgetaucht war und dann direkt auf ihn zuhielt. Er wußte, daß er einer Begegnung nicht entgehen konnte, gleich, um welche Art von Schiff es sich da handelte.

Natürlich hatte er sich Von einer tonnenschweren Last befreit gefühlt, als er erkannt hatte, daß es sich bei diesem Schiff nicht um die „El Jawhara“ handelte, die unter dem Kommando Barabins irgendwo vor den Küsten der Türkei unterwegs war.

Sobocan hatte das Boot zunächst in südliche Richtung gepullt, um die Derwische im ungewissen darüber zu lassen, ob er seine Flucht, sobald er außer Sichtweite war, in westlicher oder östlicher Richtung fortsetzen würde. Es gab nur diese beiden Möglichkeiten, wenn er nicht das ganze Mittelmeer überqueren wollte.

Zunächst hatte ihn nur ein Wunsch beherrscht und wie ein Besessener in die Riemen greifen lassen, der Wunsch nämlich, die Felsenmoschee der Derwische möglichst rasch und möglichst weit hinter sich zu lassen. Aber er hatte seine Kraftreserven wohl doch etwas überschätzt.

Die Auspeitschung an Bord der „El Jawhara“, die Gefangenschaft und danach die Flucht aus der alten Seldschuken-Festung hatten ihn viel Kraft gekostet. Schon seit einiger Zeit waren seine Arme vom vielen Pullen kraftloser geworden. Die Muskeln schmerzten und die blutigen Striemen auf seinem Rücken brannten höllisch. Er schaffte kaum noch, die Riemen in gleichmäßigem Rhythmus zu bewegen. Außerdem hatte er seit vielen Stunden nichts gegessen und auch keinen Tropfen Wasser mehr getrunken.

Sobocan fühlte sich erschöpft und zerschlagen. Mit müden Bewegungen zog er die Riemen ein und legte sie über die Duchten. Dann starrte er mit brennenden Augen dem schlanken Rahsegler entgegen, der mit geblähten Segeln heranrauschte.

Seine Gefühle waren gemischt, denn er wußte nicht, wen er vor sich hatte. Er würde dem Kapitän dieses Schiffes Rede und Antwort stehen müssen – sofern man ihm überhaupt Beachtung schenkte. Daß er außer dem Dolch im Gürtel unbewaffnet war, hatte in seiner Situation keine Bedeutung, und so blieb ihm nur die Hoffnung, nicht noch übleren Schnapphähnen in die Hände zu fallen, als das im Falle Barabins und seiner Kerle der Fall gewesen wäre.

Bald beobachtete Sobocan, wie auf der Galeone die Segel aufgegeit wurden und das Schiff an Fahrt verlor. Danach wurde ein Boot ins Wasser gelassen. Drei Männer enterten über die Jakobsleiter herab und bestiegen das Boot. Zwei davon legten sich sofort kräftig in die Riemen.

Das Boot hielt direkt auf ihn zu, und Sobocan begann mit kraftlosen Armen zu winken. Dann griff er erneut zu den Riemen und begann zu pullen. Er wollte sich nicht untätig aus dem Meer fischen lassen, sondern ebenfalls seinen Teil dazu beitragen, auch wenn es ihn den letzten Rest seiner Kraft kosten würde.

Nach kurzer Zeit ging das Beiboot der Galeone längsseits und Sobocan blickte den Fremden mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Die drei Männer musterten ihn jedoch keineswegs feindselig, sondern bedachten ihn mit einem wohlwollenden Grinsen.

Es handelte sich um einen bulligen Typ, dessen Gesicht mit vielen Narben übersät war und dessen Kinn einem Amboß glich. Er war der Bootsführer. Die beiden anderen, die das Boot gepullt hatten, glichen sich wie Tag und Nacht. Der eine war groß, schlank, blond und hatte helle Augen. Der andere war schwarz von Kopf bis Fuß – ein wahrer Herkules von einem Neger. Er hatte ein knochiges Gesicht, kurzes Kraushaar und eine kleine, gerade Nase.

Noch wußte Sobocan zu diesem Zeitpunkt nicht, daß es sich um Ed Carberry, den Profos der „Isabella“, um Stenmark, den Schweden, und um Batuti, einen Neger aus dem Stamme der Mandingo, handelte.

Aber Namen waren ihm im Moment erst in zweiter Linie wichtig. Ihn interessierte vielmehr, an welche Leute er geraten war, und noch nachträglich lief ihm ein Schauer über den zerschundenen Rücken, wenn er daran dachte, daß auch die „El Jawhara“ über der Kimm hätte auftauchen können.

Der Mann mit dem Narbengesicht und dem gewaltigen Rammkinn rief ihm etwas zu. Aber Sobocan verstand seine Sprache nicht. Verständnislos zuckte er mit den Schultern und vollführte einige hilflose Gesten.

Da versuchte Edwin Carberry sein Glück mit der spanischen Sprache.

Jetzt reagierte Sobocan. Er sprach neben seiner türkischen Muttersprache auch einigermaßen Arabisch, Griechisch und Spanisch. Er begriff zwar nicht alles, aber er konnte sich gut verständigen. So antwortete er auch jetzt in spanischer Sprache und fühlte sich erleichtert, als er verstanden wurde.

„Steig rüber in unseren Kahn, Amigo!“ rief der Narbige mit rauher Stimme. „Wir bringen dich an Bord der ‚Isabella‘, und wenn wir dich ein wenig aufgepäppelt haben, werden wir sehen, inwieweit wir dir eine Hilfe sein können.“

„Gracias, muchos gracias“, murmelte Sobocan, und dabei überfiel ihn ein Gefühl der Erleichterung. Irgend etwas in seinem Inneren sagte ihm, daß er es hier nicht mit Schnapphähnen und Schlagetots zu tun hatte. Er befolgte die Aufforderung Edwin Carberrys und wechselte in das Boot der Seewölfe über. Sein Fluchtfahrzeug wurde in Schlepp genommen.

Kurze Zeit später hatte sich Sobocan mit der Hilfe Carberrys die Jakobsleiter auf der Leeseite der „Isabella“ hochgehangelt und betrat die Kuhl. Seine Augen tasteten etwas scheu über die Decks und streiften jeden einzelnen Mann und auch die beiden Jungen, die einen Halbkreis um ihn zu bilden begannen.

Nun gut, einige sahen recht verwegen aus, aber irgendwie waren die Blicke dieser harten Männer freundlich und strahlten auch eine gewisse Hilfsbereitschaft aus. Das galt auch für die eisblauen Augen des mehr als sechs Fuß großen, schwarzhaarigen Mannes, der über den Backbordniedergang vom Achterdeck zur Kuhl abenterte.

Sobocans Atem ging rasch, seine Knie waren kraftlos geworden. Die Strapazen des gestrigen Tages und der vergangenen Nacht waren eben doch nicht spurlos an ihm vorübergegangen.

„Er spricht ein wenig spanisch“, sagte Ed Carberry zu Hasard gewandt. „Ich glaube, wir können auf die Zwillinge als Dolmetscher verzichten. Sollten wir nicht weiterkommen, können sie ihre türkischen Sprachkenntnisse immer noch aus der Mottenkiste kramen.“

„Willkommen an Bord der ‚Isabella‘“, sagte der Seewolf und bediente sich ebenfalls der spanischen Sprache.

„Danke, Señor“, gab Sobocan zurück, und in sein Gesicht quälte sich ein müdes Lächeln. „Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mich aus dem Wasser gefischt haben, wer weiß, was sonst aus mir geworden wäre. Entschuldigen Sie, daß ich mich noch nicht vorgestellt habe: Mein Name ist Sobocan …“

„Und dieser Mann hier“, unterbrach Edwin Carberry mit einer stolzen Geste, „ist Philip Hasard Killigrew. Er wird Sir Hasard genannt, denn Lissy I., Königin von England, hat ihn zum Ritter geschlagen. Auf den Weltmeeren nennt man ihn den Seewolf.“ Der Profos schluckte, dann fügte er eifrig hinzu: „Und uns die Seewölfe.“

„El Lobo del Mar – der Seewolf!“ stieß Sobocan mit einem bewundernden Blick auf Hasard hervor. „Bei Allah“, fuhr er fort, „ich habe schon viel von Ihnen gehört. Vor allem die Spanier, die zur Besatzung der ‚El Jawhara‘ gehören, wußten einiges über Sie und Ihre Männer zu berichten. Und ich muß gestehen, daß ich Sie immer bewundert habe. Nicht nur wegen Ihrer Erfolge für die englische Krone, sondern auch wegen der Fairneß und Menschlichkeit, die man Ihnen nachsagt, Señor.“

Sobocan fühlte sich plötzlich von vielen Sorgen befreit. Wenn er sich tatsächlich an Bord des Schiffes jenes beinahe legendären Seewolfs befand, dann hatte er auch Barabin nicht mehr zu fürchten. Und noch weniger Ibrahim Salih und seine tanzenden Kumpane.

Hasard ging nicht näher auf die Worte Sobocans ein. Ihn interessierte weit mehr, wen er sich da an Bord geholt hatte. Deshalb fragte er auch ohne Umschweife: „Nun, Sobocan, was hat dich bewogen, allein in einer winzigen Nußschale aufs Meer hinauszupullen? Daß du Schwierigkeiten hattest, sieht man dir an.“

 

„Und ob ich Schwierigkeiten hatte, Señor, ich bin in der vergangenen Nacht Ibrahim Salih, dem Scheich eines Ordens der Mewlewija-Derwische mit knapper Not entgangen. Er wollte mich auspeitschen und hinrichten lassen, und zwar im ersten Morgengrauen. Doch im letzten Augenblick ist es mir gelungen, mich aus dem Verlies der Felsenmoschee zu befreien und zu fliehen.“

Sobocan erzählte seine Geschichte. Er verschwieg auch nicht, daß er von Barabin und seinen Schnapphähnen an Bord der „El Jawhara“ gepreßt worden war, daß er sich in Slobodanka, die Tochter des Piratenkapitäns, verliebt hatte, und daß er aus diesem Grund und zum anderen auch wegen seiner Zurückhaltung bei dem hinterhältigen Überfall auf das venezianische Handelsschiff und dessen Versenkung von den Derwischen umgebracht werden sollte – im Auftrage Barabins. Er berichtete auch von dem Tanz der Derwische in der alten Festung aus der Zeit der Seldschuken und von den ungerechtfertigten Anklagen, die man gegen ihn erhoben hatte.

Der Seewolf und seine Crew hörten ihm schweigend zu. Erst als er eine kurze Verschnaufpause einlegte, unterbrach ihn Philip Hasard Killigrew.

„Du siehst ziemlich mitgenommen aus“, sagte er. „Es wird besser sein, wenn du dich zunächst etwas ausruhst. Nachdem du gegessen hast und der Kutscher, unser Feldscher, deine Wunden verarztet hat, können wir uns weiter unterhalten.“

„Oh, danke, Señor.“ Sobocan lächelte. „Ich bin nicht zimperlich und schaffe es schon noch, meinen Bericht zu vollenden. Danach werde ich Ihr freundliches Angebot gern annehmen.“

Hastig trank er einige Schlucke aus der Muck mit Wasser, die ihm der Kutscher gereicht hatte. Dann straffte sich sein Körper, und er fuhr fort, von der fetten Beute zu berichten, die Barabin in der Felsenmoschee der Derwische versteckt hatte. Ebenso schilderte er, auf welche brutale Weise Barabin das venezianische Schiff samt seiner Besatzung vernichtet hatte.

Einen Augenblick herrschte Totenstille an Bord der „Isabella“. Nur das Knarren und Ächzen des stehenden und laufenden Gutes drang an die Ohren der Männer.

„Wie könnten wir dir eine Hilfe sein?“ unterbrach der Seewolf das Schweigen. Sein Blick ruhte prüfend auf Sobocan.

„Ich wäre schon zufrieden, Señor“, erwiderte der junge Bursche, „wenn Sie mich irgendwo weiter östlich in Küstennähe absetzen könnten. Ich komme dann schon zurecht und schaffe es, mich zu meinem Heimatdorf durchzuschlagen.“

Sobocan sah ehrlich aus, wie der Seewolf feststellte, und er war durchaus geneigt, dem Bericht des jungen Mannes zu glauben, obwohl ihn die schlimmen Erfahrungen, die er in der Karibik mit Pablo, dem Handlanger des habgierigen Don Bosco, gesammelt hatte, ein ganzes Stück vorsichtiger hatten werden lassen.

„Um was handelt es sich bei der Beute, die Barabin den Venezianern abgejagt hat?“ fragte der Seewolf.

„Es war eine volle Schiffsladung“, antwortete Sobocan. „Darunter viele Kisten, Fässer, Truhen und Pakete, die in Segeltuch eingenäht waren. Alles wurde in der Festung der Derwische versteckt. Es waren außer Münzen, Gold- und Silberbarren auch Stoffballen, Gewürze, Werkzeuge und Waffen dabei. Das habe ich selbst gesehen.“

„Nun gut“, sagte Hasard und blickte seine Männer herausfordernd an. „Schließlich sind wir im Auftrag Ihrer Majestät, der Königin von England, unterwegs. Wir sollten uns des Kaperbriefes, den wir erhalten haben, auch würdig erweisen. Was meint ihr, Männer?“

Es gab sofort lautstarke Zustimmung.

„Das nenne ich einen vernünftigen Plan“, stellte Old Donegal Daniel O’Flynn fest. „Nachdem wir heute bereits einiges über die Schlafgewohnheiten der Haie gelernt haben, sollten wir ruhig auch mal wieder was für die alte Lissy tun. Zeigen wir diesem Bilgengespenst namens Barabin doch mal, was wir auf Lager haben. Er wird froh sein, wenn er uns seine gesammelten Schätze überreichen darf.“

„Donegal hat recht“, ließ sich Edwin Carberry vernehmen und rieb sich die mächtigen Pranken. „Den rechtmäßigen Eigentümern kann das Zeug sowieso nicht mehr zurückgegeben werden, weil sie nicht mehr am Leben sind. Da ist es in unseren Händen besser aufgehoben als bei diesem Schnapphahn und seinen Derwischen. Ho. auf was warten wir eigentlich noch? Ziehen wir diesem Kerl doch fein säuberlich die Haut in Streifen von seinem karierten Affenarsch!“

Als Sobocan begriffen hatte, um was es ging, schaltete er sich wieder ein.

„Señor“, sagte er, „ich bin gern gebreit, Ihnen bei diesem Vorhaben behilflich zu sein. Auf diese Weise könnte ich einen kleinen Teil meiner Schuld bei Ihnen abtragen. Bevor Sie mich irgendwo an der Küste absetzen, könnte ich Sie zu der Felsenmoschee der Derwische bringen. Ich weiß, wo die Beute versteckt ist. Außerdem ist Barabin auf See, und mit den Derwischen dürften es Ihre Männer wohl aufnehmen, wenn die Kerle auch in der Überzahl sind.“

„Du würdest uns tatsächlich dabei helfen?“ fragte der Seewolf.

„Natürlich, Señor. Ich würde Barabin und diesem Ibrahim Salih die Niederlage gönnen. Die beiden haben schon genug Unheil angerichtet, an ihren Händen klebt sehr viel Blut. Außerdem, Señor …“

„Außerdem?“ fragte der Seewolf.

„Nun – ich – ich würde auch gern Slobodanka, das Mädchen, das ich liebe, noch einmal sprechen.“

„Nun, wir werden sehen.“ Hasard lächelte. „Wir nehmen dein Angebot an. Aber zunächst mußt du wieder Kräfte sammeln, der Kutscher wird dich versorgen. Auch Slobodanka wirst du besser gefallen, wenn du wieder der alte bist“, setzte er hinzu.

Während der Kutscher den jungen Türken in seine Obhut übernahm, diskutierten die übrigen Seewölfe eifrig ihr Vorhaben.

„Endlich ist mal wieder etwas los“, erklärte Luke Morgan, ein drahtiger Bursche mit einer Messernarbe über der Stirn. „Der Tag hat ja langweilig genug begonnen.“

Noch ahnten die Seewölfe nicht, daß sich ihrem Vorhaben gewaltige Hindernisse in den Weg stellen würden. Noch unterschätzten sie die tödlichen Gefahren, die von Barabin, dem Seeräuber, und den Derwischen ausgingen.

4.

Ibrahim Salih bebte vor Wut.

„Bringt den Kerl her!“ schrie er. „Und wehe ihm, wenn er geschlafen hat!“ Seine dunklen, stechenden Augen funkelten vor Zorn, die Züge um seinen schmalen, zusammengekniffenen Mund waren noch härter geworden. Nichts an ihm erinnerte in diesem Augenblick an das Oberhaupt, den Scheich einer mystischen Bruderschaft, deren Bestreben die innere Begegnung mit Allah ist. Er glich eher einer gereizten Raubkatze, die jederzeit bereit war, die tödlichen Pranken in ihr Opfer zu schlagen.

Während die Männer auseinanderstoben, um Belaj, den überrumpelten Wächter, zu holen, ging Ibrahim Salih mit langen Schritten im Innenhof der Felsenmoschee auf und ab. Mit ohnmächtiger Wut hatte er unten am Strand festgestellt, daß Sobocan ihn und seine Männer wie blutige Anfänger aufs Kreuz gelegt hatte. Der Hund hatte ganz einfach die Riemen sämtlicher Boote mitgehenlassen und ihnen somit die Möglichkeit genommen, ihn aufs Meer hinaus zu verfolgen.

Längst hatte Ibrahim Salih erraten, was Sobocan beabsichtigte. War er erst außer Sichtweite, würde er seine Flucht in westlicher oder östlicher Richtung fortsetzen und später irgendwo an Land gehen. Und genau das mußte er vereiteln. Seine Leute waren bereits in beiden Richtungen unterwegs, um die Küste zu überwachen, und – bei Allah! – der Bursche würde ihm nicht entgehen. Er, Ibrahim Salih, würde sein gutes Verhältnis zu Barabin nicht durch diesen Verräter aufs Spiel setzen. Er mußte ihn ganz einfach zur Strecke bringen.

Zunächst galt jedoch Salihs Zorn Belaj, der als Wachtposten vor das Verlies abkommandiert worden war. Der Kerl hatte sich übertölpeln lassen, denn das Gewölbe galt als ausbruchssicher. Bisher war es jedenfalls noch niemandem gelungen, aus eigener Kraft dort auszubrechen.

Das Oberhaupt der Derwische stoppte seine Schritte, als zwei seiner Männer mit einer zerknirschten Gestalt in ihrer Mitte den Innenhof betraten.

„Was war mit ihm?“ herrschte Ibrahim Salih seine Leute an. „Hat er immer noch geschlafen?“

„Er befand sich im Verlies“, erwiderte Osman, einer der beiden Derwische, die Belaj herbeigeholt hatten. „Und der Riegel war vorgeschoben“, setzte er dann noch mit betretener Stimme hinzu.

Salih fuhr herum, seine stechenden Augen hefteten sich mit einem wütenden Funkeln auf Belaj.

„Man hat dich eingesperrt?“ brüllte er. „Eingesperrt wie einen Hund? Beim Teufel, sag mir sofort, wie das geschehen ist!“

Belaj stand mit gesenktem Kopf da.

„Ich – ich habe nicht geschlafen“, stotterte er, „aber der Hund hat eine List angewandt …“

„Ach – eine List!“ unterbrach Ibrahim Salih, und sein Gesicht verzog sich zu einer wütenden Grimasse. „Er war eingeschlossen und dazu noch an Händen und Füßen gefesselt. Und du hattest die Aufgabe, die verriegelte Tür zu bewachen. Es muß schon mit sehr merkwürdigen Dingen zugehen, wenn es einem Gefangenen bei solchen Sicherheitsvorkehrungen gelingt, zu entfliehen!“

„Aber – er muß es irgendwie geschafft haben, seine Fesseln loszuwerden“, verteidigte sich Belaj. „Die Stricke liegen jetzt noch im Verlies. Er muß sie an einer Steinkante durchgescheuert haben.“

„Nun gut“, zischte Salih, „da hat er sie eben durchgescheuert. Aber die schwere Tür war immer noch verriegelt. Oder ist dieser Sobocan vielleicht ein Geist, der durch verschlossene Türen und dicke Mauern gehen kann? Los, sag schon was, du Unglückseliger!“

Belaj zog unwillkürlich den Kopf etwas weiter zwischen die Schultern.

„Er hat ständig gegen die Tür geklopft“, rechtfertigte er sich. „Da habe ich beschlossen, ihn zur Ruhe zu bringen. Ich dachte, er hätte sich bis an die Tür geschleppt, um Krach zu schlagen. Daß er sich von seinen Fessein befreit hatte, konnte ich nicht wissen. Ich habe jedenfalls die Tür geöffnet und in den Raum geleuchtet – da griff er mich sofort an. Ich konnte mich zwar noch kurz wehren, aber dann erwischte er mich mit einem großen Steinbrocken am Kopf …“

„Den Rest kennen wir“, schloß Ibrahim Salih sein Verhör, „aber glaube ja nicht, du Dummkopf, daß das ungestraft bleibt. Warum hast du diese Ratte nicht einfach klopfen lassen? Dabei wäre er ganz bestimmt nicht entwischt. Aber wahrscheinlich hast du geschlafen, und das Klopfen hat dich in deiner unerlaubten Nachtruhe gestört. Ja, so wird es gewesen sein! Und damit du lernst, die Aufgaben, die man dir überträgt, gewissenhaft auszuführen, wirst du sofort bestraft werden.“

Belaj blickte seinen Scheich entsetzt an, als der mit einem kalten Grinsen in seinem hageren Gesicht fortfuhr: „Da du ein Mitglied unserer Bruderschaft bist, werden wir natürlich Milde walten lassen und dich lediglich mit zwölf Peitschenhieben an deine Pflichten erinnern.“

Belaj wurde bleich im Gesicht.

„Bei Allah und seinem Propheten“, stammelte er, „diese Strafe ist zu hart. Ich kann doch nichts dafür, daß der Hund geflohen ist. Habt Erbarmen mit mir, bitte, ich – ich …“

Winselnd ließ sich der Derwisch auf den Boden sinken und versuchte die Knie Salihs zu umfassen. Doch dieser stieß ihn brutal zurück.

„Faß mich nicht an!“ schrie er. „Deine Hände sind beschmutzt. Möge dich Allah zuerst reinigen von deinen Verfehlungen. Holt die Peitsche!“

Das Jammern Belajs stieß auf taube Ohren. Erbarmungslos wurden ihm die Kleider vom Leib gerissen, dann band man ihn mit den Handgelenken an zwei Eisenringen fest, die ins Mauerwerk eingelassen waren. Wenige Augenblicke später begann bereits Naci, der kleine, rundliche Bursche, kraftvoll die Peitsche zu schwingen. Und offensichtlich verstand er es, damit ebensogut umzugehen wie mit dem Koran.

Die Schmerzensschreie Belajs hallten über den Innenhof der Moschee, und auf seinem nackten Rükken reihten sich die Striemen aneinander. Bereits nach dem achten Hieb sank er in sich zusammen, sein Schreien ging in ein leises Wimmern über.

Trotzdem hatte niemand Mitleid mit ihm. Die Gesichter der Derwische, die einen Halbkreis gebildet hatten, glichen Masken aus kaltem Stein.

Philip und Hasard, die Zwillingssöhne des Seewolfs, bereitete es riesigen Spaß, ihre türkischen Sprachkenntnisse wieder einmal auszuprobieren. Sie hatten nichts von dem verlernt, was sie bei den Gauklern, mit denen sie einst durch die Lande gezogen waren, aufgeschnappt hatten. So plauderten sie munter mit Sobocan, während die „Isabella VIII.“ ihren Weg auf östlichem Kurs fortsetzte.

 

„Was sind das denn für Derwische, denen du entwischt bist?“ fragte Hasard junior. „Solche, die tanzen und heulen?“

Sobocan nickte. „Es sind Mewlewija-Derwische. Sie tanzen, heulen und veranstalten viel Geschrei, wenn sie zu Allah beten. Und manchmal stechen sie sich auch mit Dolchen und Säbeln ins Fleisch oder ritzen sich die Haut.“

„Und für was soll das gut sein?“ fragte Philip junior neugierig. „Ich meine, das ist doch nicht gerade angenehm?“

Sobocan zuckte mit den Schultern.

„Viele Derwische tun das“, sagte er und stützte sich auf das Backbordschanzkleid, „wahrscheinlich, weil sie denken, daß es Allah so gefällt. Viele andere Gläubige haben kein Verständnis dafür. Deshalb leben die Derwische meistens allein als geheime Bruderschaften. Auch Ibrahim Salih und seine Leute hausen in einer alten Ruine, die sie in eine Moschee umgewandelt haben.“

„Sind das jene Derwische mit den hohen Hüten?“ fragte nun wieder Hasard.

„Ja, die sind es. Sie tragen lange, helle Gewänder, die von einem Gürtel zusammengehalten werden, und dazu die hohen, spitzen Hüte. Aber meist tragen sie diese Sachen nur, wenn sie tanzen oder beten.“

„Sie sind wohl recht gefährlich, was?“ setzte der Junge seine Befragung fort.

Sobocan nickte.

„Ibrahim Salih und seine Meute ganz bestimmt“, sagte er. „Natürlich gibt es auch Derwische, die als Bettelmönche durch das Land ziehen und von den Almosen der Gläubigen leben. Salih und seiner Bande jedoch sollte man besser aus dem Weg gehen. Sie hassen besonders die Giaurs, die Ungläubigen.“

Der Seewolf war inzwischen hinzugetreten, hatte aber von der Unterhaltung, die in türkischer Sprache geführt wurde, nichts verstanden. Er registrierte lediglich, daß seine Sprößlinge wohl noch nichts verlernt hatten.

„Am Golf von Antalya sind wir jetzt vorbei“, sagte er zu Sobocan gewandt. „Gemäß deinen Angaben müßten wir nunmehr nach Backbord abfallen und direkt die Küste anlaufen.“

„Genauso ist es, Señor“, sagte Sobocan. „Ich kenne eine stille Bucht. Wenn wir dort einlaufen, haben wir zwar bis zur Felsenmoschee einen weiteren Fußweg, aber Salihs Wächter, die an der Küste stationiert sind, können uns nicht sehen. Wenn wir direkt die Küste vor der alten Festung anlaufen, werden wir gesehen, sobald auch nur eine Mastspitze über der Kimm erscheint.“

„Gut, Sobocan“, antwortete der Seewolf, „dann werden wir uns in die von dir genannte Bucht verholen und lieber einen längeren Fußmarsch in Kauf nehmen. Es ist besser für unser Vorhaben, wenn man uns nicht gleich sieht. Können wir es bis zur Zeit des Nachmittagsgebets schaffen?“

„Es müßte klappen“, erwiderte Sobocan mit einem Blick auf den Stand der Sonne. Augenblicke später ging er zusammen mit dem Seewolf zum Ruderhaus, um Pete Ballie, den Rudergänger, zu der kleinen, verschwiegenen Bucht zu lotsen.

Die „Isabella“ fiel hart nach Backbord ab und segelte mit schwachem Wind auf die türkische Südküste zu. Ungehindert gelang es ihr, die kleine Bucht, von der Sobocan gesprochen hatte, anzulaufen und dort vor Anker zu gehen.

Dem Seewolf und seiner Crew bot sich ein respekteinflößender, aber auch malerischer Anblick. So weit das Auge reichte, ragten bizarre Felsblöcke in den Himmel. Es hatte den Anschein, als sei hier die Welt zu Ende.

Doch die Seewölfe hielten sich nicht lange mit der Bewunderung der zerklüfteten Landschaft auf. Philip Hasard Killigrew las in den Augen seiner Männer vielmehr eine stumme, unausgesprochene Frage.

Wer würde dabeisein, wenn es galt, diesen Derwischen die Beute, die sie für Barabin versteckt hatten, abzujagen? Jeder hoffte natürlich, mit an Land gehen zu können, obwohl sich auch alle im klaren darüber waren, daß man ein Schiff wie die „Isabella“ nicht allein in dieser einsamen Bucht zurücklassen konnte.

Vor allem die Zwillinge arbeiteten sich so rasch wie nur möglich an ihren Vater heran.

„Dad?“ fragte Philip junior mit einem treuherzigen Gesicht. Dann knickte er den rechten Arm ein und ballte die Hand zur Faust. Auf seinem braungebrannten Arm traten die kindlichen Muskeln hervor. „Nur damit du siehst, daß da auch schon was vorhanden ist, klar?“

Der Seewolf grinste. Er kannte seine Pappenheimer und wußte nur zu genau, was diese Kraftdemonstration zu bedeuten hatte.

„Phantastisch!“ stellte er fest. „Die Derwische werden wahrscheinlich sofort die Flucht ergreifen, wenn sie so viele Muskeln auf einmal sehen. Aber ihr beiden müßt bedenken, daß bei unserem Vorhaben nicht nur körperliche Kraft gefragt ist. Da wird es hart auf hart gehen, und gefährliche Situationen werden nicht ausbleiben. Auch ihr werdet natürlich gebraucht, aber nicht an Land, sondern an Bord der ‚Isabella‘. Es wird eure Aufgabe sein, Ben Brighton, der mich hier vertreten wird, zu unterstützen, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, daß die ‚Isabella‘ angegriffen wird. Stellt euch vor, dieser Barabin taucht plötzlich mit seinem Seeräuberschiff hier auf. Der Kerl ist eine Hyäne! Da werden hier an Bord echte Männer gebraucht.“

Zunächst wurden die Gesichter lang, doch dann schien die Vernunft zu siegen.

„Klar“, sagte Hasard junior, „wenn wir die ‚Isabella‘ verlieren würden, müßten wir als Landratten unser Dasein fristen, und das wäre ganz bestimmt nichts für alte Seebären wie uns, was, Bruderherz?“

„Nee, bestimmt nicht“, erwiderte Philip junior und schüttelte sich. „Da bleiben wir lieber an Bord und klopfen jedem auf die Pfoten, der sich an unserer alten Lady vergreifen will.“

Der Seewolf schmunzelte, als er sich von seinen Sprößlingen abwandte. Aber er wußte auch, daß man sich bereits auf sie verlassen konnte.

Und er hatte nicht einmal übertrieben. Es lag durchaus im Bereich des Möglichen, daß dieser Barabin in der Nähe aufkreuzte. Die „Isabella“ mußte deshalb einigermaßen gefechtsbereit bleiben. Es würde deshalb nur einem Teil der Crew möglich sein, an dem Landunternehmen teilzunehmen.

„Wir werden mit zwei Booten an Land pullen“, sagte Hasard, der die erwartungsvollen Gesichter seiner Männer sehr wohl bemerkt hatte. „Sobocan wird uns begleiten, um uns den Weg zu der Felsenmoschee zu zeigen.“ Dann nannte er die Namen jener Männer, die mit ihm an Land gehen sollten.

Es handelte sich um Edwin Carberry, Ferris Tucker, Batuti, Stenmark, Dan O’Flynn, Al Conroy, Luke Morgan und Matt Davies. Die übrigen Crew-Mitglieder wurden an Bord gebraucht, um die „Isabella“ notfalls gegen Angreifer verteidigen zu können.

Nachdem Al Conroy, der Waffen- und Stückmeister, Pistolen, Musketen, Entermesser, Säbel und Flaschenbomben auf die Kuhl geschleppt hatte, legte der Seewolf die Strategie fest.

Die Männer sollten zunächst gemeinsam losziehen, sich dann aber im letzten Augenblick teilen, um das Gebäude in die Zange zu nehmen. Der Seewolf hoffte, die Derwische während des Nachmittagsgebets überraschen zu können. Das würde es ihnen ermöglichen, ohne Blutvergießen an die Beute zu gelangen.

Edwin Carberry rieb sich bereits erwartungsvoll die Pranken, als er den schwerbewaffneten Trupp vor sich sah.

„Ha!“ rief er. „Da wollen wir mal mit den Derwischen den Boden aufwischen, was, wie? Wenn die Kerle das Zeug nicht freiwillig herausrükken, werde ich jedem einzelnen von ihnen höchstpersönlich die Haut in ganz schmale Streifen …“

„Das wirst du schön bleiben lassen“, unterbrach ihn der alte O’Flynn, der zur Bordwache gehörte. „Denk daran, daß die Burschen lange Röcke anhaben. Da bist du noch ziemlich weit von den edlen Körperteilen entfernt, ha!“

„Du alter Holzwurm kannst ja mit anpacken und die langen Röcke hochhalten“, knurrte der Profos, „dann bin ich gleich dran.“