Reisen unter Osmanen und Griechen

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DRITTES KAPITEL
PATRAS - TÜRKISCHE UND
GRIECHISCHE FLAGGEN

Wir reisten gemächlich. Es gibt keine Post in Griechenland. Ich habe es zweckmässiger gefunden, in diesem Land mit eigenen Pferden zu reisen. Lebensmittel sind überall zu bekommen, ein Zelt ist überall aufzuschlagen und man ist gänzlich unabhängig von den Launen der Maultiertreiber, dem Mangel an Vieh und wahrlich fast von allen Zufälligkeiten, die in diesen Gegenden dem Reisenden zuteil werden. Drei Tage reisten wir längs des Meerbusens und würden gerne noch längere Zeit auf diesen Teil unserer Reise verwendet haben, die überall das Bild eines neuerdings geordneten Landes darbot, aber unsere ferneren Reisezwecke verboten jeden Aufschub. Es fehlte uns nicht an Gelegenheiten, die uns mit Entrüstung über die Einführung eines Polizeisystems erfüllten, mit all seinen verderblichen Folgen. Ich kann die Unruhe nicht beschreiben, womit ich begann, jetzt auf das künftige Geschick dieses Landes hinzublicken. Wir erfuhren später, dass all unsere Schritte beobachtet, all unsere Worte und Werke ausgespäht wurden, wofür die bettelarme Regierung ein paar hundert Pfund verausgabte.

Den dritten Abend schliefen wir in einem Khan (Herberge) dicht an dem alten Hafen von Panormo1, jetzt einem Moor, wo die einzige athenische Galeere zum Andenken an die Niederlage der Lakedaimonier zum Andenken an den Sieg geweiht wurde.

Am selben Morgen hatte den Khan eine Bande von elf Räubern verlassen, die tags vorher alle Reisenden angehalten, geplündert und an Bäume gebunden hatten. Was sie nicht verzehren oder mitnehmen konnten, hatten sie vernichtet, so dass wir nur sehr wenig Vorrat fanden. Einen Mann hatten sie in heisser Asche gebraten, um von ihm die Nachweisung eines vermuteten Schatzes zu erpressen. Die Bauern waren in größter Unruhe und höchster Erbitterung. „So etwas“, sagten sie, „ist während der Anarchie der Revolution nie vorgekommen. Die Kosten für das Militär wurden immer von rechts wegen beigetrieben, aber den Leibgurt eines Griechen zu berühren, einer Frau Gürtel gewaltsam zu lösen, waren unerhörte Verbrechen, und jetzt, da wir eine regelrechte Regierung haben, da wir jede Steuer bezahlen und jedem Befehle gehorchen, jetzt, wo man uns unsere Waffen genommen hat, müssen wir erdulden, was selbst in unseren unruhigen Zeiten unerhört war?“

Am folgenden Morgen kleideten wir uns sehr elegant, um anständig vor der schönen Welt in Patras zu erscheinen. Vom Khan aus bis zu der Burg von Morea ist es blauer Ton, über den das Wasser von den Hügeln hinströmt und so einen tiefen Morast bildet. Um den zu vermeiden, ritten wir längs der Küste, aber eine Charybdis erwartete uns. Obgleich wir, um dem Morast aus dem Weg zu gehen, im Wellenschlag des Golfs ritten, so begannen doch plötzlich unsere Pferde zu versinken, und ehe wir uns heraushelfen konnten, wälzten wir uns in Schlamm und Sumpf und entkamen nur, indem wir in die See gingen und unsere Pferde ins tiefe Wasser lenkten. In Patras machten wir im hellen Sonnenschein einen wunderhübschen Aufzug, vom Kopf bis zu den Füßen mit Schlamm bedeckt.

Patras ist als der Punkt beachtenswert, von dem man zuerst weiß, dass dort Mohammeds Anhänger und die slavischen Stämme auf einander stießen. Die letzteren hatten im achten Jahrhundert Morea überfallen; die Sarazenen durchstreiften die See, beide vereinigten sich zur Belagerung und Plünderung von Patras.

Das stürmische Wetter und der Mangel eines Bootes in der Burg, das geräumig genug war, unsere Pferde aufzunehmen, hielten uns sechs Tage auf, die wir sehr angenehm zwischen der Burg und Patras mit dem Obristen Rayko zubrachte, dem einzigen Russen, der Philhellene gewesen ist. Er gab sich alle mögliche Mühe, uns von der Ausführung unseres tollkühnen Vorhabens abzubringen, Akarnanien und die Grenzscheide zu besuchen. Ich bin überzeugt, hätte er nur eine Ahnung davon gehabt, dass wir auch nach Albanien wollten, so hätte er uns aus lauter Freundschaft in Arrest gesetzt. Wir mussten also unseren Plan unseren Freunden sorgsam verbergen, wollten wir nicht ausgelacht oder gewaltsam festgehalten werden, sowie vor unseren Dienern, sonst hätten sie uns verlassen.

Als wir über die schmale Meerenge zwischen den beiden Kastellen fuhren, trat mir unwillkürlich die Szene wieder vor das Gedächtnis, die ich bei einer früheren Gelegenheit ebendaselbst erlebte, als ich diesen Batterien in einer feindlichen Barke vorbeikam, und zwar unter dem Feuer des Geschützes jeder Batterie. Es war ein schöner Anblick der Küste: die reichen und gedrängten Trachten, die blitzenden Waffen und die Rauchwolken. Die stolze Aufregung, das trotzige Benehmen, der beleidigende Spott, diese Eigentümlichkeiten eines Krieges, in welchem ein festes System, unausweichliche Manneszucht und unergründliche Ratschläge den Menschen noch nicht zur Maschine gemacht haben, verliehen damals dem Kampf alles Spiel der Leidenschaften und jedem einzelnen Charakter die Entwicklung, wodurch die Kriege des Altertums so poetisch wurden und wonach das Zeitalter, dessen Kriege mit der größten Wahrheit geschildert sind, das heroische heisst. Wie verändert war nun der Anblick dieser Batterien - kalt, bleich, augenlos, tonlos gaben sie kein Lebenszeichen, das man hätte beobachten müssen, kein Zeichen der Bosheit, das man hätte fürchten dürfen, keines von Hass, den sie hätten erregen können, keines von Gefahr, der man hätte trotzen sollen! Ein Windhauch streifte und schäumte den glatten Spiegel und unwillkürlich suchte mein Auge den Flaggenstock, um die jetzt triumphierende Standarte Griechenlands zu betrachten, die in den Lüften wallte an der stolzen Stätte, wo so lange Arabiens Sinnbild herrschte! Dort sieht jetzt der Grieche eine andere Flagge, seine Flagge, die Flagge des befreiten und selbständigen Griechenlands. Aber an der neuen Standarte deuten die abstechenden Farben der neun abwechselnden Streifen2 auf eine andere Harmonie als die der Musen. Man vergleiche diese blasse und gestreifte Standarte mit den prahlenden Farben des Osmanen, die so stark, reich und einfach sind: der Tagesstern des Glückes und der zunehmende Mond der Macht, beide strahlend auf purpurner Wolke. Die dichterischste aller Fahnen! Das herzerhebendste aller Nationalzeichen! Und wieviel des geisteregenden, nervenstählenden Enthusiasmus hängt vielleicht ab von der Poesie eines Sinnbildes? Kann ein Volk, kann selbst eine Partei ohne die Redekunst der Farben bestehen? Wie gross muss also nicht die Wirkung sein, wenn man die Personifizierung der Volkstümlichkeit mit Schönheit bekleidet, wenn man ihren kriegerischen Geist belebt, indem man ihrem Ruhm die erhabensten Werke der Schöpfung zugesellt? Das alles findet sich vereinigt in der Fahne der Osmanen, und in keiner wie in ihr. Das ist obendrein die historisch gewordene Standarte, die mit der Schnelligkeit einer Gewitterwolke über Asien, Europa und Afrika hinflog, von Delhis Palästen bis an den Fuss des Atlas; von den Einöden Abessiniens bis an die-Moorgründe des Don; die Standarte, die ihre Macht bewiesen in den Ebenen von Tours und bei Roncesvalles, vor den Wällen Wiens und am Indus und Oxus. Dreißig Jahre nach ihrem Entstehen hatte sie die beiden größten Reiche damaliger Zeit gedemütigt und in achtzig Jahren rühmte sie sich der Herrschaft in mehr Ländern als Rom in acht Jahrhunderten unterworfen hatte. Diese Flagge ist jetzt von den Kastellen verschwunden, wo ich sie noch vor kurzem erblickte, errötend vor Ärger und Scham; und wie die alten Skythen, bevor sie starben, die Geschichte ihres Lebens erzählten, so untersuchte ich jetzt die Züge und die Geschichte dieser Personifizierung muselmanischer Größe, die vor meinen Augen gesunken war, zugleich mich über die Mittel verwundernd, wodurch sie gestützt wurde.

Als ich zuerst an Griechenlands Küsten landete, mehr Anteil nehmend an der Beschaffenheit seiner Felsen als an dem dort verhandelten blutigen Streit, wurde ich bald mit Hass und Abscheu vor dem Namen der Türken erfüllt und, mit dem Enthusiasmus des Jugendgefühls, wurde ich Parteigänger. Der Osmane aber, der durch die Gewalttätigkeit im Siege diese Erbitterung erregt hatte, verscheuchte sie wieder, als er besiegt und gefangen erschien, ein Lebensbild stoischer Festigkeit und würdiger Entsagung. Das Mitgefühl, das man dem Missgeschicke zollt, übertrug ich nun auf den Besiegten; aber dieses Mitgefühl mischte sich mit Bewunderung eines Heldenmutes und Achtung vor einem Charakter, von dessen Kraft und Ausdauer ich nie einen Begriff gehabt hatte, vor dem Kampf, dem ich jene Eigenschaften jetzt ausgesetzt sah. So wie ich also früher die rote Flagge nur als das Symbol des Blutvergießens und der Verwüstung betrachtet hatte, so erinnerte ich mich jetzt mit Teilnahme und mit Furcht der Jahrbücher ihres Ruhmes, der Zeiten und Grenzen ihrer Siegesbahn.

Ich will keineswegs behaupten, dass die gegenwärtige muselmanische Flagge, der Silberstern und der Halbmond im roten Felde, dieselbe Flagge ist, die in Bagdad wehte oder nach Spanien getragen wurde; nicht einmal die zuerst in Konstantinopel aufgepflanzte, die dann ihren Siegeslauf nach der Ukraine, nach Wien und den Alpen fortsetzte. Die Farbe der Moslemen ist nicht rot, sondern grün, obgleich zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Ländern auch andere Farben angenommen wurden. Mohammeds Fahne war gelb; die Sarazenen kämpften zuerst unter einem schwarzen Adler; diesem folgten die Parteifarben: weiß und schwarz, die Farben der Familien, die sich einander das Kalifat streitig machten. Das heilige Grün3 war die erste Farbe, die die Osmanen in Europa entfalteten, aber an ihr hängen so mannigfache nationale und religiöse Gefühle, dass, so gut sie auch dienen mochte, um bei einem Angriffe oder einem Sturme Enthusiasmus zu erregen, man doch bedachte, der Verlust eines so hoch verehrten Zeichens würde den Mut eines Heeres niederschlagen. Im Jahre 1595 eroberte Sigismund, Fürst von Siebenbürgen4, die erste türkische Fahne und schickte sie an Papst Clemens VII. Da wurde die Farbe von grün in rot verändert; der Stern und der Halbmond waren byzantinische Zeichen, welche, gleich vielen anderen, die Türken von den Griechen erborgten. Dass die Türken auf diese Weise ihre Nationalfarben änderten, deutet auf große Empfänglichkeit für Nationalehre. Die Römer verschwiegen den eigentlichen Namen ihrer Stadt, damit kein fremdes Heer die Penaten aus den Mauern fortbeschwören solle. Venedig hat mit so gutem Erfolge die entführten Gebeine des heiligen Markus verhehlt, dass keine Spur von ihrem Dasein aufgefunden ist. Beide Nationen fürchteten, das Band ihres politischen Daseins möchte sich auflösen, wenn die Symbole der Verehrung und Nationalität in fremde Hände gerieten.

 

Ich sagte, ich hätte nach der griechischen Flagge gesehen, die statt des osmanischen Banners auf den Wehren flattern sollte, welche den Golf von Lepanto beschützen - aber es war keine da. Ich blickte nach einem Flaggenstock und ich sah deren drei dicht beieinander, gleich den drei Kreuzen auf einer katholischen Schädelstätte. Der eine trug ein weißes Tuch ohne Flecken, aber auch ohne Zeichen und Andeutung. Der zweite trug bunte Winkel von Rot, Weiss und Blau, mehr Geometrie in den Falten zeigend als eben Poesie, so begeisternd auch die zehn Jahrhunderte der Mannhaftigkeit dieser Flagge sind, oder die weitgedehnten Zonen, die von ihren Zügen Kunde geben. Der dritte zeigte Kreuzbalken von Blau im weissen Felde, gleich einem aufgerichteten Stundenglas und auf Eisberge und Schnee deutend. England, Frankreich und Rußland, Mächte, unter deren vereinter Herrschaft etwa 290 Millionen Menschen stehen, hatten sich verbündet, die türkische Flagge fortzuschaffen; sie besetzten als Freunde türkisches Gebiet, sie verbrannten deren Schiffe als Verbündete, sie versperrten deren Häfen als Neutrale; sie protokollierten Griechenland als Wohlwollende - sonderbare Rätsel für ein Zeitalter, das keinen Ödipus hat.

1Kleiner Hafen am Golf von Korinth an der Grenze der Phokis zu Akarnanien.

2Griechenlands Flagge sind neun waagrechte Streifen blau, und weiß, mit einem weißen Kreuze auf blauem Feld in der Ecke, zum Andenken des silbernen Kreuzes, das Konstantin während der Schlacht gegen Maxentius am Himmel erblickte, woher das Labarum der Griechen stammt.

3Tökóli entfaltete (1680) seine grüne Fahne des unabhängigen Ungarn vor dem türkischen Heer, um den Enthusiasmus der Muslime zu seinen Gunsten zu erregen. Die jetzige ungarische Fahne ist grün, weiß und rot. (Das zweite, christliche Wappen Ungarns, seit König Stephan dem Heiligen, tausend Jahre nach Christi Geburt, ist im roten Felde ein silbernes Patriarchenkreuz aus goldener Krone auf grünem Hügel; Anm. d. Übers.) Noch ganz neuerdings haben die Tscherkessen Grün zur Nationalflagge gewählt, nicht nur um sich durch ein Nationalzeichen von ihren Feinden zu unterscheiden, als vielmehr um ihren Glaubensbrüdern im Süden anzudeuten, das Behalten alles dessen, was ihnen teuer sei, hänge ab von der Erhaltung der auf dem Kaukasus entfalteten Fahne.

4Sigismund Báthory (1572-1613), Reichsfürst und Fürst von Siebenbürgen (Red.).

VIERTES KAPITEL
DAS WESTLICHE GRIECHENLAND - GRIECHISCHE MEINUNGEN VOM HERZOG VON WELLINGTON - MESSOLONGHI - DAS FÜLLHORN - SCHLACHT VON LEPANTO

Wir wurden in Lepanto vom Kommandanten, Obrist Pieri, empfangen, einem Korsioten, der Artillerie-Chef war und uns, wie nebenbei sich selbst, mit der Erzählung seiner verschiedenen Heldentaten unterhielt. Hier hatten wir die erste Unterredung mit einigen Sulioten über das Protokoll. Sie drückten ihren Schmerz und ihre Besorgnis kräftig aus, sagten aber, die Nation werde von jeder öffentlichen Äußerung ihrer Gefühle durch die Furcht abgehalten, als widersetzlich gegen den Willen der Höfe zu erscheinen und von diesen für unruhig und wankelmütig gehalten zu werden. Ohne das, sagten sie, würde Kapodistrias Regierung nicht einen Tag geduldet werden.

In Lepanto sind von tausend Familien noch fünfhundert griechische nachgeblieben; 6 000 Stremmata1 gehören den Griechen, 25 000 früher den Türken, die jetzt Nationaleigentum geworden sind. Die griechischen Ländereien sind aber so viel schlechter als die ehemals türkischen, daß, obgleich diese um zwei Dritteile höher besteuert sind, die Griechen doch ihre eigenen Felder verlassen, um die türkischen zu bebauen.

Am 20. Mai verließen wir Lepanto mit Tagesanbruch und kamen durch eine kleine fruchtbare Ebene, die sich in einem Halbkreise erstreckt, mit der Basis von Rizina, an deren Ende Lepanto liegt, bis zu den niederen Vorhügeln des Gebirges Korax, das sich bis zum Kastelle von Rumili hinzieht. Die Ebene ist dicht mit Ölbaumwurzeln bestreut; gegen die See hin ist sie sumpfig, aber das könnte leicht ausgetrocknet werden. Die niedrigen Hügel, über die wir jenseits des Kastells kamen, sind aus einer alaunartigen und erdigen Masse gebildet, die leicht vom Wasser weggeschwemmt wird. Demgemäß ist die Ebene in kleine vereinzelte Massen geschieden, mit abschüssigen Seiten, flachen Zwischenräumen und Gipfeln, zu jedem Anbau geeignet, während die steilen Seiten jede Baumart tragen und das Gemälde mit Reiz erfüllen können. Wir sahen nichts von den warmen Schwefelquellen in der Nähe von Kakaskala, die diesem Teile der Lokrier den Beinamen des stinkenden verschafften. Der Paß ist von Natur sehr befestigt, indem sich der Fußpfad über den Rücken des Berges windet, der fast lotrecht aus der See entsteigt. Nachdem wir über einen niedrigeren Höhenzug gekommen waren, erreichten wir das schöne kleine Tal Kavuro Linute, wohin Miletius das alte Molykria versetzt. Hier wurde im Schatten einer prächtigen Platane bald Feuer angemacht, wir hingen unsere Waffen an die Äste und ließen unsere Pferde grasen im gelben, weißen und roten Klee und im wilden Hafer und Korn. Unsere Teppiche wurden ausgebreitet und bald erschien die Kaffeekanne und die erquickliche Pfeife.

Dieses kleine, aber zauberische Tal gewährt eine Ansicht wie man sie in Morea selten antrifft. Es ist von unregelmäßigen, aber nicht bedeutenden Hügeln eines weichen Sandsteines umgeben, die in Gestalt und Wesen abwechselnd, mitunter nackt, mitunter bewaldet sind. Durch das Tal fließen zwei Bäche mit tiefen Betten, an denen Reihen schattiger und schöner morgenländischer Platanen wachsen. Wenn man eine Zeit lang die Ansicht von Bäumen entbehrt hat, freut man sich ordentlich über die Schönheit des Laubwerkes und der Gestalt, an der Kühle ihres Schattens und fühlt die Lieblichkeit oder lernt ihren Wert kennen. Nicht weniger Erholung gewährte mir die Aussicht auf die jetzt uns umgebenden Hügel, denn meine Augen waren ermüdet von der Eintönigkeit der Kalkgebirgsketten in Morea, denen es eben so sehr an malerischem, als an geologischem Interesse mangelt, und die um so ermüdender werden, als die Gebirgspfade abscheulich sind und es ihnen an Quellen und Schatten fehlt.

Es freute mich auch, daß ich mich wieder in West-Griechenland befand, einem Land, das mit ausgedehnten Trümmern des entferntesten Altertums angefüllt ist, die, obgleich jetzt darniederliegend und selbst zu den Zeiten des Glanzes von Griechenland schon danieder lagen, schon damals als Muster griechischer Kriegsbaukunst dienten.2 Das Land wurde von Leuten bewohnt, welche die Verfeinerung und Wissenschaft Griechenlands mitbrachten und die Tätigkeit ihres Stammes, und auf einem reicheren Boden eine Zuflucht suchten und fanden vor den Verfolgungen, und Ruhe vor den endlosen und blutbefleckten Zwistigkeiten, die den Peloponnes verheerten.

Diese Gegend ist ganz besonders der Schauplatz mythologischer und dichterischer Gebilde gewesen. Ihre militärische Bedeutsamkeit, die der Erhaltung des neuen Staates so wichtig ist, wurde durch die Ereignisse verherrlicht in den Kriegen Philipps, der Römer, der Goten, der Gallier und der letzten Revolution. War es der glücklichste und einzig friedliche Teil Griechenlands während der Tage seines alten Glanzes, so ist seit jener Zeit bis zur gegenwärtigen das Gegenteil das Schicksal des Landes gewesen, seit der Entvölkerung unter Augustus, die den Zweck hatte, Nikopolis zu bevölkern, bis zur Entvölkerung durch das letzte Protokoll, die gar keinen Zweck hatte.

Anderthalb Stunden3 vom Fluß Kavuro Limne erblickten wir den Evenus durch einen Gürtel von majestätischen Platanen und schlanken Weiden, die eine Art von Vorkulisse zu einem kleinen Waldtheater abgaben. Der Fluß glitt im reißenden aber klaren Strom durch sein breites und steiniges Bett und glänzte durch den Vorhang von tiefgrünem Laubwerke. An der anderen Seite erhob sich ein steiles und durchbrochenes, mit Gesträuchen bewachsenes Ufer. Es gehörte kein großer Aufwand von Phantasie dazu, in diese thespische Szene die fabelhaften Gruppen Meleagers mit dem Eber, Dejanirens und des Kentaurs zu versetzen.

Wir ließen den Fluß rechts und wandten uns rund um den Fuß des Berges Chalkis. Vergebens aber suchten wir nach Spuren, denen wir den Namen Makynia und Chalkis hätten geben können und an der anderen Seite des Flusses nach Tophialson und Kalydon. In der Regel besteht die Schwierigkeit darin, für die große Menge von Überresten Namen zu finden; wir aber waren in Verlegenheit mit einem Überfluß von Namen, ohne daß wir auch nur einen Säulenknauf oder Säulenschaft gefunden hätten, um die Namen anzubringen. Nachdem wir aber über den Fluß gegangen und rechts vom Weg eine kleine Anhöhe erstiegen, die unmittelbar auf Hypochorion hinblickte, befanden wir uns unerwarteterweise mitten unter sehr ausgedehnten hellenischen Ruinen, die wir mit dem Strabo in der Hand uns sehr wohlgefällig einbilden durften, für das alte Pleurona halten zu können. Es ist sehr zu bedauern, daß Strabo diese Gegenden nicht selbst besucht hat, und daß der einzige auf uns gekommene, zusammenhängende Bericht über Westgriechenland in der allgemeinen Beschreibung so dürftig ist und, sobald er ins einzelne geht, oft so verwirrt. Miletius ist hier schlechter als nichts, aber doch auf alle Fälle noch besser als Pouqueville4.

Polybios ist wirklich der einzige Führer in Akarnanien und Ätolien, und aus dem Thukydides muß man das einzige glimmende Lichtchen borgen, das sich über die streitigen Lagen verbreitet, die mit dem Amphilochischen Argos zusammenhängen.

Doch kehren wir nach Pleurona zurück. „Der Evenus“, sagt Strabo, „wendet, nachdem er bei Kalydon und Chalkis vorbeigekommen, seinen Lauf westwärts, nach der Ebene von Alt-Pleurona, und dann wendet er sich südlich zum Ausmünden.“ Gerade nun bei der beschriebenen Flußbiegung erhebt sich der mit diesen Trümmern besetzte Hügel, die in Hinsicht der Ausdehnung und des Stils zu den vorzüglichsten gehören. Einige der Steine waren neun Fuß lang; die Mauer ist gewöhnlich neun Fuß dick, an einer Stelle aber, die wie es schien, an die beiden Akropolis grenzte, war sie nur fünf Fuß mit Verstärkungen von fünfeinhalb Fuß im Geviert, welche die Binnenseite verdickten und auf welche wahrscheinlich Planken gelegt wurden, um die Bank (banquette, Brustwehr) zu bilden. Die Mauern umschlossen zwei Anhöhen, auf deren jeder eine Akropolis gestanden zu haben schien; die nordwärts gelegene war zum Teil zyklopisch. Das von der Mauer eingeschlossene Hochplateau mag etwa dreitausend Schritte im Umkreise halten, der niedrigere Teil ist wenigstens ebenso groß. Einige Ziegel und Mauersteine, härter als Feldsteine, waren die einzigen Überbleibsel, die ich sehen konnte. Eine griechische Faktion hat sich ein Denkmal gesetzt durch den völligen Umsturz solcher Mauern und solcher Stadt.

Während wir das „fruchtbare Gefilde“5 von Pleurona durchzogen, holten wir einige Leute mit Mauleseln ein, die mit allen ihren irdischen Habseligkeiten beladen waren. Sie erzählten uns, sie wären aus der Gegend von Jannena entflohen, mit der Absicht, sich in Griechenland niederzulassen, aber bei dem Kastell von Rumili angehalten, wo man ihnen zwölf Prozent vom Wert ihrer Maulesel und ihres Gepäcks abgefordert hätte. Nicht im Stande, das verlangte Geld zu zahlen und erbittert darüber, daß man sie der aufgeregten Rache wieder entgegenjage, kehrten sie dahin zurück, woher sie gekommen waren. „Tausende,“ sagten sie, „rüsten sich, aus Albanien zu flüchten; aber wir wollen ihnen schon sagen, was es mit der ‚Freiheit’6 auf sich hat.“

Ich weiß nicht, ob man diese Maßregel mehr als unpolitisch, oder als unmenschlich tadeln soll. Nach unserer Ankunft in Messolonghi erzählten wir diese Geschichte dem Distriktsgouverneur, welcher erklärte, die Forderung sei ganz ohne Wissen der Regierung gemacht, und er werde augenblicklich dem Ding ein Ende machen. Es ist aber überflüssig hinzuzusetzen, daß den Erpressungen, über die man sich beklagte, kein Ende gemacht wurde.

 

Drei Stunden nach Sonnenuntergang trafen wir vor dem Tor von Messolonghi ein. Wir klopften an und schickten um Erlaubnis zum Einlaß, das wurde aber abgeschlagen; wir forderten Lebensmittel und konnten keine erhalten - bemerkenswerte Anfänge zur Zivilisation! Und solche Einrichtungen hält man wirklich für glückliche Nachahmungen Europas. Unsere Diener und unsere Zelte waren vorausgegangen, während wir die Trümmer von Pleurona untersuchten, die wir erst nach völlig eingetretenem Dunkelwerden verließen. Die Diener hatten Befehl, wenn sie fänden, daß wir nach Sonnenuntergang nicht eingelassen würden, außerhalb der Mauern das Zelt aufzuschlagen. Wir sahen und hörten nichts von ihnen; eines unserer aber Pferde brach seinem Geruchssinn folgend los und als wir ihm nacheilten, stolperten wir über die Zeltstricke, wohin es uns geführt hatte.

In Messolonghi blieben wir drei Tage, fast immer den Verhandlungen zuhörend, oder auch sie veranlassend, die sich über das Protokoll und die Grenzen entspannen, über die Verhältnisse, Hilfsmittel und Aussichten von Akarnanien, über die von dem neuen Staat ausgeschlossenen Teile Ätoliens. Hier war eine große Zahl der griechischen Anführer und alter Armatolis versammelt: Vernachiotes, die Grivas und andere, die sich als halbe Taktikoi7 ansahen, das heißt, die auf der Liste der irregulären Regulären eingeschrieben waren, während andere ganz ungezähmt waren und sich selbst „Rebellen“8, nannten, zum Unterschied von den regulären Truppen.9

Die vom militärischen Gesichtspunkt aus genommene Unzulänglichkeit der neuen Grenzen war so offenbar, daß sich der Spott darüber mit Entrüstung vermischte. Ich muß gestehen, daß mich die Verschlagenheit einzelner Bemerkungen nicht weniger überraschte als verwirrte. „Der Herzog von Wellington,“ sagten sie, „ist der erste Kriegsmann in Europa; wir freuten uns deshalb, daß solch ein Mann über unsere Grenzfrage entscheiden sollte. Er hatte in Spanien kommandiert, wo die Art der Kriegführung der unsrigen ähnlich ist, und wo Berge, Wälder und Felsen Manneszucht und Kriegskunst herausfordern. Was sollen wir aber nun von diesem Protokoll denken, das den Frieden dadurch zu schließen vermeint, daß es uns eben die Positionen abnimmt, um die der Krieg geführt wurde und die einzigen Verteidigungsposten, durch welche der Frieden gegenwärtig erhalten wird?“ Ich bemerkte, der Herzog von Wellington sei durch fehlerhafte Landkarten getäuscht worden. „Dann,“ entgegneten sie, „hätte er auf die Ereignisse blicken sollen. Nicht dieser Krieg allein hat es bewiesen, daß Griechenland zwei Tore hat und daß ihr das eine nicht schließen mußtet, während ihr das andere offen laßt, und überdies mußten die Positionen unsere militärischen Grenzen werden, die wir im Stande waren zu halten und durch deren Festhalten wir ohne die Hilfe eines Protokolls den Frieden während der letzten zwölf Monate erhalten haben, und wäre es möglich gewesen, noch bessere zu finden, so hätte man die nehmen müssen.“

Wenn der Besitz der ausgeschlossenen Distrikte den Türken irgendeinen Vorteil bringen sollte, so könnte es nur dadurch geschehen, daß sie starke Kolonien anlegten, um alle Verbindung zwischen Albanien und Griechenland abzuschneiden. Das liegt aber natürlich ganz außer aller Frage. Sobald Griechenland unabhängig ist, kann die Pforte nicht länger wie bisher das System der griechischen Armatolis beibehalten. Keine türkische Bevölkerung könnte bewogen werden, sich zwischen den Albanesen und den Griechen anzusiedeln, sobald diese nicht länger von der Hilfe der Türken und ihrem Schutz gegen die Albanesen abhängig sind. Auf diese Weise ist dieser von Griechenland abgerissene Distrikt den Verheerungen der Arnauten preisgegeben und wird, statt der Türkei von Nutzen zu sein, nur dazu dienen, durch den Reiz des Plünderns den unruhigen Geist der Albanesen immer wach zu erhalten, unaufhörliche Zwistigkeiten zwischen der Pforte und Griechenland zu nähren und ein feindseliges Gefühl durch gegenseitige Anschuldigung und Gewalttaten zu verewigen. Hätten die Verbündeten in der öffentlich eingestandenen Absicht gehandelt, den Orient zu zerfleischen, so würden sie Preis und Bewunderung für ihre Einsicht und Erfindungsgabe geerntet haben. Das waren die Bemerkungen von Makris und Grivas.10

Auf die Engländer fällt alles Gehässige der Maßregel. Die Auslieferung der Griechen in Parga11 an ihren albanischen Feind hat den Namen Englands in Schmach gebracht, auf den man sonst mit Scheu und Ehrfurcht blickte. Später diente die Politik, welche aus den Ionischen Inseln die Familien derer vertrieb, die Ali Pascha12 „Klephti“ (Räuber) nannte (man vergleiche Hobhouse13), mit dazu, diese Provinz in Ali Paschas Hände zu bringen. Das Volk sieht jetzt in der gegenwärtigen Maßregel nur eine Fortsetzung derselben Politik. Es besteht Zweifel: Jene früheren Ereignisse würden nimmer so zum Volk gedrungen sein, ihr Eindruck würde nie so tief und so allgemein geworden sein ohne die Tätigkeit, womit die Regierungsbehörden selbst und ihre Agenten diese Nachrichten verbreiteten.

Wir waren ausnehmend zufrieden mit dem Benehmen, den Reden und dem äußeren Ansehen der meisten rumeliotischen Anführer. Es ist wahrlich ein trefflicher Schlag Menschen; ihre Fehler entspringen unmittelbar aus den schwierigen Verhältnissen, in denen sie leben, aber, woher kommt ihre Artigkeit, ihre Weltkenntnis, die Leichtigkeit im Ausdruck, die Schärfe ihrer Beobachtung, die glühende Wißbegierde und die Gabe, das Erlernte anzuwenden?

Messolonghi ist ein Platz, von dem man höchst schwer jemanden einen Begriff beibringen kann, der nicht türkische oder griechische Kriegführung gesehen hat. An beiden Seiten des Tores ist eine zwerghafte Nachahmung einer Bastion und einer Courtine, aber die Umgebung des Platzes ist nichts weiter als ein Weidengeflecht mit Erde darüber; rund herum fließt ein schmaler Graben mit drei Fuß tiefem Wasser. Diese Umzäunung erstreckt sich gegen Norden in einem Halbzirkel vom Ufer bis wieder zum Ufer. Indes findet sich noch eine Kraftanstrengung der Ingenieurkunst, die ich nicht vergessen darf: eine Lunette, in die man von der Höhe des Weidenzaunes hinabspringen kann, mit einer leisen Andeutung einer Contrescarpe und eines Glacis14. Außer an den Toren kann die ganze Höhe der Umwallung vom Boden des Grabens aufwärts nirgends über zwölf Fuß sein. Ich spreche nach dem Augenmaß und dem Gedächtnis, aber ich denke, ich habe eher zuviel angegeben als zuwenig.

Die Türken zogen drei Parallelen rund um die Stadt, die nächste etwa vier oder fünf Yards vom Graben, mit zahllosen Zickzacks. Diese, nebst den Breschebatterien und den entfernteren Linien zum Schutze der verschiedenen Lager, haben die ganze Ebene auf eine höchst merkwürdige Weise durchfurcht. Die Tatsache, daß Messolonghi endlich nur durch Hunger bezwungen wurde, ungeachtet der so regelrecht geführten Belagerung, die Unbedeutendheit der Verteidigungsmittel und die Menge der Angreifer rechtfertigt oder entschuldigt wenigstens die Eitelkeit der tapferen Verteidiger.

Das Erdreich ist zu lauter Höhlungen geworden und aufgeworfen durch das Zerspringen der Granaten und das Einschlagen der Kugeln. Der Boden ist ein Gemisch von Erde und Eisen, Splittern von Granaten und Kugeln, die gleich Steinen drinstecken, und innerhalb und außerhalb der Stadt liegen die bleichenden Gebeine und Schädel von Menschen und Pferden zerstreut.