Reisen unter Osmanen und Griechen

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ZWEITES KAPITEL
ZUSTAND DES GRIECHISCHEN LANDVOLKES IM JAHRE 1830 - MILITÄRISCHE UND POLITISCHE WICHTIGKEIT DER BUCHT VON KORINTH - VORFALL IM BEFREIUNGSKRIEGE - SEEGEFECHT IN DER BAY VON SALONA

Nachdem wir, wie schon erwähnt, die erste Nacht unserer Reise in den Trümmern von Mykenai zugebracht hatten, gingen wir am folgenden Morgen nach Korinth. Wir kamen durch das Dervenákia1, welches durch die Niederlage berühmt geworden war, die der Pascha von Drama hier erlitt. Nicht ohne Interesse bemerkten wir die damals aufgeworfenen Cambouris (Brustwehren, Feldschanzen) und vernahmen verschiedene Erzählungen von der Vereinigung und dem Sieg der Griechen. Einige Meilen weiter ergötzte es mich, die durch ihre malerischen Trümmer geweihte kleine Ebene von Nemaia wieder zu erblicken; allein ich musste bedauern, dass ein ganzes Jahr weder den Anbau vermehrt, noch die Lage der wandernden Vlachen2 verbessert hatte. Derselbe Monat fand sie wieder, ihre Butter unter demselben Baum bereitend und ihre einfachen Geräte an dieselbe Säule hängend; keine Last war erleichtert - ich möchte, dass ich hinzufügen könnte: keine Aussicht war zerstört.

Der gegenwärtige Zustand des Landes ist weit entfernt, die Hoffnungen zu erfüllen, die ich nach den Fortschritten hegen zu dürfen glaubte, welche ich beobachtete, als ich denselben Landstrich ein Jahr zuvor bereiste. Alle Vorschläge zum Anbau der Staatsländereien, zur Errichtung von landwirtschaftlichen und sonstigen Instituten, zum Straßenbau, sind entmutigt oder verworfen von der Regierung, die jedes Unternehmen selbst durch Einschüchterung und Drohungen hemmt und aus ihren Endabsichten und Maßregeln ein Geheimnis macht. Schon die bloße Tatsache, dass überhaupt eine Regierung vorhanden war, hatte während des Jahres vorher Leben und Tätigkeit über das ganze Land verbreitet, und die Wirkung war wirklich wundergleich. Aber diese Kraft wurde gelähmt, als das von der Regierung gewählte System in Vollzug gesetzt wurde, und jetzt ist keine einzige Hütte neu entstanden, nicht ein Baum gepflanzt, nicht ein Feld eingehegt, nicht eine Brücke wieder gebaut, nicht ein Weg ausgebessert. Aber das ist noch nicht alles.

Von den öffentlichen Ländereien, wozu die ergiebigsten und ebensten Striche gehören, erhebt die Regierung drei Zehntel vom Ertrage. Die Bauern wirtschaften größtenteils mit Geld, das sie gegen 2 ½ Prozent monatlicher Zinsen borgen oder sie erhalten das Saatkorn unter der Verpflichtung, die Hälfte des reinen Ertrages wieder abzuliefern. Zur Saatzeit war wegen der Blockade der Dardanellen der Kornpreis sehr hoch, während das Saatkorn noch höher stand, wegen des allgemein herrschenden Vorurteils, nur das im Land gewachsene Saatkorn könne eine gute Ernte geben -und davon gab es nur einen sehr geringen Vorrat. Zur Erntezeit, als die Blockade aufgehoben war, fiel der Preis um die Hälfte, ein merkwürdiger Beweis des Einflusses der Dardanellen auf die umliegenden Länder.

Die Kosten des Landbaues sind in Griechenland höher als in England. Das Verfahren und die Geräte sind roh und kümmerlich; jeder Transport geschieht auf dem Rücken der Maulesel; das Land muss vor der Saat dreimal gepflügt werden; der Pflug wirft die Erde von der Stelle, ohne die Schollen umzukehren und zu zerschlagen; das Land wird nicht gedüngt und bringt in der Regel nur zwei Ernten in drei Jahren, und dann wird ein großer Teil Saatkorn mehr gebraucht, als nötig wäre. Nach allen diesen Kosten und Nachteilen fällt ein Dritteil der Ernte an die Regierung (ausser 12 Prozent Abgabe von allen verschifften oder nicht verschifften Produkten und Gütern); die Hälfte des Restes fällt an den, der Vieh und Saatkorn hergegeben hat, so dass der Bauer drei und ein halb Zehnteile vom reinen Ertrage erhält, und damit soll er die Zinsen von den Vorschüssen abtragen, die Kosten des Landbaues bestreiten, seine Familie erhalten und somit die Erwartungen erfüllt sehen, die er fasste, in eine neue und glücklichere Lage zu kommen.

Dennoch geht es den eigentlichen Bauern noch viel besser als den Landbesitzern. Manche von diesen hatten durch alle Wechselfälle der Revolution noch etwas als einen letzten Notpfennig gerettet und ergriffen eifrig den Augenblick, wo sie in den friedlichen Besitz ihres Eigentums gesetzt wurden, um alles noch vorhandene Wertvolle zu Geld zu machen. Sie verwendeten diesen Erlös, mit etwaigen Vorschüssen, die sie erhalten konnten, auf die Wiederherstellung ihrer Ländereien. Gewöhnlich waren aber ihre Mittel unzulänglich und immer waren ihre Erwartungen übertrieben. Nachdem sie Häuser und Scheunen gebaut, Vieh gekauft, Land aufgebrochen und bearbeitet hatten, fehlten ihnen die Mittel, Saatkorn zu kaufen.

Die Ölbäume und besonders die Maulbeerbäume, die ihre Ernte ohne Auslage und Mühe tragen, und die sichersten Hilfsquellen eines noch nicht geordneten Landes sind, wurden während des Krieges in großen Massen zum Feuerholz niedergehauen; die Weinberge und Korinthen-Anpflanzungen konnten nur mit bedeutenden Kosten und dem Verluste mehrerer Ernten hergestellt werden.

Es war also innerhalb eines kurzen Jahres ein panischer Schrecken an die Stelle des Spekulierens getreten. Die Blockade der Dardanellen und später deren Aufhören brachten ein verderbliches Schwanken im Preis hervor, was in Verbindung mit dem Mangel an Kapital (Dank sei es Kapodistria’s Verfahren3) jetzt die Landbesitzer in einen Zustand des Bankrotts und der Erbitterung versetzt hat, der für die künftige Ruhe des Landes eben kein günstiges Vorzeichen ist. Auch muss man ihre Aufregung der Einführung von Gesetzen zuschreiben, deren Nutzen noch sehr in Frage steht, die aber ohne alle Frage wegen ihrer Unpopularität tadelnswert sind, geschweige dessen, was das Volk als den Verlust von Rechten und Vorteilen betrachtet, mit deren Hilfe sie unter der alten Verwaltung die vorhandene Ruhe hätten benutzen oder die augenblicklichen Übel überwinden können, welche aus Zufällen der Witterung oder Schwankungen im Handel entstehen.

Argos ist nur acht Stunden entfernt von Korinth. So erblickten wir am Vormittag des zweiten Reisetages unser am Tag zuvor vorausgeschicktes Zelt, wie es in Korinth im Sonnenschein glänzte, mitten zwischen den Trümmern des Serails des Kiamil Bey4.

Der Felsen und die Trümmer haben die Federn und Pinsel der Dichter, Ortsbeschreiber und Maler schon hinlänglich beschäftigt; ich brauche also meine Leser nicht mitzuführen, um mit uns den Untergang und Wiederaufgang der Sonne vom unsterblichen Gipfel herab zu bewundern. Was ich in Betreff der Landenge und des durch dieselbe begonnenen Kanals zu sagen habe, soll in einem besonderen Anhang der Benutzung des wissbegierigen Geologen und Antiquars vorgelegt werden, wie nicht minder Bemerkungen über das intermittierende Fieber, welches die Küstenbewohner des Meerbusens plagt.

Von Korinth wendeten wir unseren Weg nach Patras, längs der schönen Küste der Bucht von Korinth. Der Weg läuft fast immer dicht am Ufer mit der seegleichen Bucht zur Rechten. Ein schmaler, korinthenbüschetragender Küstenstrich vom allerergiebigsten Land auf Erden liegt zwischen dem Ufer und niedrigen Hügeln von fleischfarbenem Ton, die sich in langen, parallelen Zügen hinziehen und mit dunkelgrünem Gesträuch bewachsen sind.

Dahinter erheben sich Berge, größtenteils Felsen, mit rechtwinkligen Umrissen, senkrechten Seiten und gleichlaufenden Gipfeln, mit Fichten gesäumt; ihre dunklen Farben und mächtigen Gestalten erscheinen noch um so düsterer und ernster bei den lebhaften Farben und den phantastischen Wellenlinien des Vordergrundes. Zuerst bemerkte ich diese Berggruppen vom Mittelpunkt des Golfs aus im dunklen Morgennebel. Sie sahen aus wie höchst fleißig und künstlich gearbeitete Riesenfestungen; die Hand der Natur hatte sie gebildet, um die Kinder ihres Bodens zu beschirmen. Noch ein Jahr vorher lagen die Gebeine feindlicher Tataren auf dem Rasen und bleichten am Gestade von Akrata; jetzt konnte ich keine Spur mehr davon entdecken.

Der Golf wird an seinem schmalen Eingang durch die Festungen gedeckt, die man die kleinen Dardanellen nennt. Seit der Erfindung des Schießpulvers ist er für die militärische Behauptung Griechenlands von großer Bedeutung gewesen und wird es immer bleiben. Seine Wichtigkeit war den Osmanen selbst im Frieden nicht weniger fühlbar als sie es für andere Nationen im Krieg gewesen wäre, wenn man Rücksicht nimmt auf die diplomatische Beschaffenheit der Bande, welche ihre Herrschaft zusammenhalten und auf die abgesonderte und oft feindliche Bewegung, welche dieses Reich durch sein eigentümliches Gleichgewicht ohne Zersplitterung aushalten kann. Örtlich starke oder schwache Punkte, Gebirgspässe, Sümpfe geben oft den Maßstab ab für Bedingungen, die eine Partei vorschreiben kann, oder bestimmen die Privilegien, auf welche eine Gemeinde Anspruch erheben darf. Solche Umstände werden also täglich in Betracht gezogen, und in Dorf-Zusammenkünften werden oft allen ernstes Staatsgründe und strategische Kombinationen erwogen und beraten, die in Europa nur in ein Staatskabinett oder vor einen Generalstab gehört würden. Die Türkei hat in ihren europäischen Provinzen lange Zeit die Herren der Gebirge, die Arnauten (Albanesen) benutzt, bedroht und bestraft. Der Golf von Lepanto versperrt ihnen den Weg zu den fruchtbaren Tälern Griechenlands; dreimal sind sie hingezogen, um den Aufstand zu unterdrücken, und jedesmal haben sie sich der wildesten Ausschweifungen schuldig gemacht; ihr einziger Zaum war die Gewissheit, ein Rückzug sei ohne Einwilligung der Pforte untunlich, da die Türken die Schlösser besetzt hielten und eine griechische Miliz die Landenge von Korinth.5 Deshalb ist jedes Kind vertraut mit der politischen Wichtigkeit, den Golf besetzt zu halten.

Man braucht nur einen Blick auf die Karte von Griechenland zu werfen, um den Wert dieses Seearmes zu würdigen. Die Gegend im Norden von Lepanto bis an die Grenze von Attika ist so durchschnitten von Bergen und eingezähnt von Meerbuchten, dass sie für einen Reisenden schwer zugänglich und für ein Heer ganz unzugänglich ist. Wer die Schlösser der kleinen Dardanellen im Besitz hat, beherrscht alle Verbindung zu Land und zur See zwischen dem westlichen Griechenland, Arta, Albanien und der Morea.6

 

Es war also kein Wunder, dass die Osmanen diesen Grenzpass als die Fassung ansehen, womit sie den kostbarsten Edelstein des europäischen Turbans festhielten.7 Die drohenden Batterien der Doppelschlösser verschlossen den Ungläubigen den Zugang. Ein langes Jahrhundert hindurch hatten ihre Zinnen nicht im Grimm gelodert8, hatten die Gewässer des Golfs nie einen fremden Kiel getragen, hatte sich in seiner ruhigen Flut kein anderes Wimpel gespiegelt als die blutrote Türkenflagge.

Während der ersten sechs Jahre des Befreiungskrieges unterhielt die Überlegenheit der Griechen zur See die Verbindung zwischen dem griechischen Festland und der moreotischen Halbinsel. Während dieser langen Zeit blieb der Golf im Besitz der Türken. Dadurch wurden die Teile eines und desselben Landes, die gegenseitiger Unterstützung bedurften, von einander getrennt, und eine Folge davon war, dass der westliche Teil des griechischen Festlandes, wenn auch nicht völlig unterjocht, doch der Macht zu einem weiteren Widerstand beraubt wurde.

Im Herbst 1827, als die letzten Sandkörner in Hellas’ Stundenglase dem Verrinnen nahe schienen, erfüllte die Nachricht vom Juli-Traktat9 alle mit frischen Hoffnungen und rief die Söhne Griechenlands zu erneuter Kraftanstrengung. Die Kunde verbreitete sich im Norden und erweckte Akarnanien aus seinem Todesschlaf; die Armatolis von Baltos und Xeromeros forderten die Rückkehr ihrer in Morea dienenden Brüder und riefen die Peloponnesier zum Beistand, um die Albanesen wieder zu verjagen und die frühere, notwendige Grenze des Markronoros10 wieder zu gewinnen.

Doch der Versuch schien hoffnungslos. Alle Verbindungslinien mit dem griechischen Festland waren in Händen der Feinde. Albanesen hielten Markronoros und die Distrikte und Festungen in Akarnanien, Türken hatten Lepanto und die Schlösser am Golf besetzt, Ägypter hatten Patras inne und Türken beherrschten das Ionische Meer und Messolonghi11 war in ihrer Gewalt. Die Griechen waren in einiger Stärke in Argolis und im Osten des Peloponnes versammelt, aber, hätten auch die Türken sich ihnen nicht widersetzen können, sobald sie einmal im westlichen Griechenland angelangt wären, wie sollten sie dahin kommen? Hätten sie auch durch die Hochgebirge auf dem Festlande dringen können, so würden die Türken sie bei Rachova und bei Thermopylä festgehalten haben. Hätten sie versucht durch Morea zu gehen, so wären sie auf die Ägypter gestossen; die vereinigten muselmanischen Flotten, die an den Küsten bei Navarino, Patras und Messolonghi ankerten, machten der Idee eines Transportes zur See ein Ende, und zwischen den Hörnern dieses unauflöslichen Dilemmas flutete die Bucht von Lepanto im Besitz eines türkischen Geschwaders. Was nützte aber der Juli-Traktat, wenn nicht das Festland von Griechenland wieder erobert wurde?

Aus den Dispositionen der beiden englischen Befehlshaber der griechischen Land- und Seemacht wurde bald klar, dass es auf ein Unternehmen abgesehen war, bei dem alle Hilfsmittel beider Truppenteile zusammenwirken sollten, und obgleich alle die dringende Notwendigkeit fühlten, das griechische Festland in Aufstand zu bringen, so fühlten sie doch auch nicht weniger empfindlich die Schwierigkeit oder gar die Unmöglichkeit, Truppen aus Argos nach Akarnanien zu schicken. Die griechische Flotte konnte wohl von einem Platz zum anderen kommen, aber weder dem Heer Zufuhr bringen, noch von demselben unterstützt werden. Dennoch war es klar, dass eine Landung im westlichen Griechenland beabsichtigt wurde.

General Church12 hatte Korinth als Sammelplatz bezeichnet, aber diese unerklärbare Versammlung erregte wenig Hoffnung, und die Kapitäne der Palikaren bezeigten keinen großen Eifer, sich zur Fahne zu scharen. Die, welche dem General folgten, waren daran gewöhnt, das Recht freier Beratung und freien Willens unbeschränkt zu üben; sie hatten also kein Herz für eine Unternehmung, in der ihnen weder das eine, noch das andere frei stand, und fragten, ob der Oberbefehlshaber etwa beabsichtige, sie in Walnussschalen nach Akarnanien zu bringen. Endlich war indes eine beträchtliche Truppenmacht beisammen, die am 22. September 1827 auf dem großen Amphitheater zerstreut war, welches vom Gipfel der Akropolis in Korinth bis an die Meeresküste den Golf beherrschte - als man ein vollbesegeltes Schiff gerade vor dem Wind bemerkte, das auf die Landenge lossegelte. Türkische Kriegsschiffe näherten sich niemals der Küste, und welches andere Schiff konnte sich durch die Meerenge gewagt haben? Tausend Hoffnungen und Besorgnisse entstanden und verbreiteten sich in den ängstlichen Haufen; die wenigen Ferngläser, deren man im Lager und auf der Zitadelle habhaft werden konnte, wurden umsonst in Anspruch genommen; die schwellenden Topsegel zeigten keine Flagge. Nun aber wendete sich das Schiff nach Lutráki, einem Hafen in der nördlichsten Ecke des Isthmus, die große Flagge wurde aufgezogen und da entfaltete sich das Silberkreuz im himmelblauen Felde. Ein Jubelschrei des Willkommens erscholl von der harrenden Menge und jubelnd verkündete der Donner aller Geschütze von der Zitadelle, dass nach zweitausendjähriger Knechtschaft Griechenlands Sinnbild wieder erschienen sei in den Gewässern von Lepanto.

Man erfuhr jetzt, dass Lord Cochrane13 ein Geschwader zusammengebracht und das Landheer ausserhalb der Meer enge erwartet hatte, um es nach Westgriechenland zu bringen. Ängstlich aber und doch vergebens blickte er aus nach den verabredeten Signalfeuern im Gebirge. Da beschloss er, die Durchfahrt zu erzwingen und die Truppen innerhalb des Golfes einzuschiffen. Als er aber diese seine Absicht den Kapitänen mitteilte, erklärten diese, einer solchen Gefahr würden sie ihre Schiffe nicht aussetzen, und der Admiral wurde also genötigt, seinen Plan aufzugeben. Das Geschwader ankerte bei Messolonghi, als der Admiral zwei mit Griechen bemannten, aber von Engländern befehligten Schiffen ein Zeichen gab. Augenblicklich lichteten sie die Anker und fuhren nach in den Golf. Diese Schiffe waren das Dampfschiff Perseverance (Beharrlichkeit) und die Brigg Sauveur (der Erlöser). Nur das letztere entkam den Batterien und segelte in den Meerbusen ein. Dies ist ein romantischer Vorfall im Lauf der Dinge, welche zu der Feststellung von Griechenlands Unabhängigkeit führten, und das mag mich entschuldigen, wenn ich in der Erzählung eines Ereignisses fortfahre, das unmittelbar die Seeschlacht von Navarino veranlasste.

Unbedeutend beschädigt bei der Durchfahrt segelte die Brigg vorwärts und gelangte in eine tiefe Bucht bei Galaxidi an der nördlichen Küste des Golfes - Vóstizza gegenüber. Die Windungen des Golfs zeigten den Augen der Griechen ein türkisches Geschwader, das dicht zusammen gedrängt ebenso sorglos als unordentlich festlag; die Segel trockneten, die Mannschaft war am Land, und, wie sich erwies, nicht einmal Munition an Bord. Aber bald schwanden die Träume eines unblutigen Sieges; am Abend desselben Tages gelang es noch so eben dem Erlöser davon zu kommen, und so segelte er nach Korinth. Seine Flagge war die Veranlassung, dass Korinthos’ Felsen vom Geschütz und vom Jubelruf erdröhnten.

Die Wirkung, die das Erscheinen dieses Schiffes im Meerbusen hervorbrachte, war einem Wunder gleich; der Talisman türkischer Oberherrschaft war gebrochen und die Fahrt nach Westgriechenland eröffnet. Nun umschwärmten die Palikaren den General Church und drängten ihn, sie vorwärts zu führen. Das Lager brach auf von Korinth, und der Erlöser, dem sich jetzt auch das Dampfschiff zugesellt hatte, segelte westlich.

Es war beschlossen, beide Schiffe, das Dampfschiff und die Brigg, sollten das Geschwader bei Salona angreifen, vor dessen Bucht sie am Morgen des 28sten anlangten. Die Türken waren mit Verteidigungsmassnahmen emsig beschäftigt, sie landeten Kanonen, errichteten Küstenbatterien und zogen 1 500 bis 2 000 Mann von den umliegenden Posten zusammen.

Während der Nacht schallten die Töne der Zurüstung am Bord des Dampfschiffes über die stille Flut des Meerbusens, und von Zeit zu Zeit belebten die Wachen beider Schiffe ihre Arbeiten durch gegenseitigen Zuruf. Der Morgen sollte einen tatenschwangeren Tag für Griechenland bringen; von seinem Ausgang hing die Herrschaft über den Meerbusen ab - und alle mit seinem Besitz verknüpften Vorteile. Vor allen Dingen aber musste er die hochländischen Häuptlinge bestimmen, die jetzt zwischen Türken und Griechen schwankten. Doch noch wichtigere und noch unerwartetere Folgen ruhten in der Zukunft.

Der beabsichtigte Angriff war schwer, wenn nicht verzweifelt. Das Andenken an das letzte Misslingen diente eben nicht dazu, die Befürchtungen zu vermindern, welche das Missverhältnis der Zahl und die nachteilige Stellung einflößen mochten, und da die Türken nun einmal vorbereitet waren, so war es klar, dass nur zwischen Untergang oder Sieg die Wahl blieb.

Lieblich brach der Morgen an über dem schönen, klassischen Schauplatz. Glänzend ging die Sonne auf, am Himmel dunkelte keine Wolke, auf dem Wasser spielte kein Luftzug. Endlich schoss aus dem Schornstein des Dampfschiffes eine Masse dichten Rauchs in die Höhe, gleich dem Ausbruch eines Vulkans. Den Türken war dies Dampfschiff das erste, welches sie jemals erblickten, ein Gegenstand der Verwunderung und des Grauens. Sie hielten es kaum für ein Werk von Menschenhänden, so seltsam erschienen ihnen Gestalt und Bewegung und die Wesen darauf, die direkt aus den höllischen Regionen zu kommen schienen, und so grässlich die Wirkung der Wurfgeschütze, die glühend von unten herauf, aus des Teufels Küche zu kommen schienen.14

Obwohl ich selbst bei dem nun folgenden Auftritt an dessen Gefahren und am Erfolg Anteil nahm, will ich ihn doch lieber erzählen, wie er mir von einem der bei dem General Church angestellten Offizier beschrieben wurde. Das griechische Heer marschierte längs der Südküste, die Bewegungen der Schiffe beobachtend. Es macht Halt in Vóstizza, der Bucht von Salona gerade gegenüber, und ging daran sich, dem Angriffe mit der Aufregung zuzusehen, die ein ruhendes Heer fühlen muss, wenn es die Entscheidung seines Geschickes von dem glücklichen oder unglücklichen Ausgang eines Zweikampfes erwartet.

Die beiden Schiffe mussten in eine enge, landumschlossene Bucht hinein, in die man nur mit Hilfe eines günstigen Windes gelangen konnte, der dann aber die Umkehr verhinderte; dort mussten sie Schiffe angreifen, die viermal so viel Kanonen hatten, dicht am Ufer lagerten und ihre Flanken gleich festen Batterien darboten, mit Batterien am Ufer und ein paar tausend Soldaten am Land, und das alles in einem Krieg, wo von beiden Seiten nicht auf Pardon gerechnet wurde.

Es war ein merkwürdiger Anblick, wie ein frischer Wind die schwarze Rauchwolke eines Dampfschiffes von Achaia gegen die Höhen von Delphi und den Parnaß trieb. Es war seltsam anzuhören, wie das Geräusch der Dampfräder weithin tönte über die korinthische Flut. So wie die griechischen Schiffe die Spitze umsegelten, erblickten sie plötzlich die türkische Flotte, die in der Tiefe der Bucht aufgestellt war, und wie zur Parade mit breiten, blutroten Flaggen prangte, und weithin flatternden Wimpeln. Auch an der Küste wehten drohende Flaggen, überall wo frische Erdbatterien aufgeworfen worden waren; eine tüchtige Anzahl grüner Zelte, und das Blitzen der Waffen belebte die Hügel in der Runde und gewährte einen weniger anlockenden als malerischen Anblick. „Erst dann,“ sagte mein Berichterstatter, „als wir sie um die Spitze fahren sahen, fühlten wir wirklich, mit dem Angriff sei es ernst gemeint; jetzt erst fühlten wir die ganze Gefahr des Unternehmens und die Folgen eines Fehlschlages.

Mit welcher Angst blickten wir nach den weißen Segeln und dem schwarzen Rauch, als sie hinter der niedrigen Landspitze verschwanden! Unter welcher sorgenvollen Ungewissheit verlief die halbe Stunde zwischen diesem Augenblick und dem ersten fernen Kanonenschuss, der über das Wasser dröhnte und der grauen Dampfwolke, die langsam aufstieg aus der Bucht längs der Seite des Parnaß. Nach einem viertelstündigen ununterbrochenen Kanonenfeuer schwellte plötzlich eine schwarze Rauchmasse gen Himmel! War es Freund oder Feind, der gen Himmel oder zur Hölle gefahren? Unsere Ungewissheit dauerte nicht lange; eine zweite Masse folgte, schwärzer, höher als die erste. „Sie sind verloren, sie sind verloren!“ quoll es aus den zusammengepressten Lippen der bestürzten Griechen, als eine dritte Explosion bewies, dass Schiffe der Feinde brannten. Da erschollen die wilden Töne dieses übermenschlichen Kriegsrufes; Phantasie und Lungen erschöpften sich in Übertreibungen und Jubelgeschrei.

 

Ungeachtet dieses Erfolges, der für den Tag entscheidend schien, hörte man doch noch bis Sonnenuntergang ein unregelmässiges Kanonenfeuer mit geringen Unterbrechungen. Der Wind hatte sich gelegt und ein Vorhang von Rauch verhüllte den Schauplatz, auf den alle Aufmerksamkeit gewendet war. Aber als die Sonne sank, als die Nacht ihren dunklen Mantel ausbreitete, da glänzte hell die Flamme von elf brennenden Schiffen durch das Leichentuch der Wolken und spiegelte sich in den Wellen, „die Lepanto’s Seeschlacht sahen“. Das war ein denkwürdiger Tag für Griechenland, ja für Europa. Ibrahim Pascha15 hatte sein Wort verpfändet, den Hafen von Navarino nicht zu verlassen, nun aber steuerte er nach der Bucht von Lepanto, um die Schmach zu rächen. Admiral Codrington16 zwang ihn zur Rückkehr. Die für den Winter zerstreuten Geschwader der Verbündeten wurden nach Navarino zurückgerufen und was nun folgte, brauche ich nicht zu wiederholen.

1Eine der wichtigen Schlachten im griechischen Unabhängigkeitskampf (26.-28. Juli 1822), in deren Verlauf das osmanische Heer besiegt wurde (Red.).

2Bewohner des heutigen Nordgriechenland und Albanien, die als Wanderhirten (darauf spielt Urquhart hier an), aber auch als Händler lebten (Red.).

3Ioannis Kapodistrias aus Korfu wurde im April 1828 zum ersten Präsidenten Griechenlands gewählt. Er scheiterte jedoch mit seiner Politik, die den veramten Bauern helfen sollte. Außerdem sahen die Briten in ihm den verlängerten Arm des russischen Zaren, weswegen man ihn in London ablehnte (Red.).

4Siehe oben zu Dervenákia (Red.).

5Der berühmte Hassan Pascha vertilgte ein Korps Albanesen nach dem Aufstand von 1780, indem er ihnen den Rückzug bei der Landenge und den kleinen Dardanellen abschnitt.

6Arta liegt etwa 80 km südlich von Jannena in Nordwestgriechenland; die Morea - so genannt nach dem für die Seidenproduktion notwendigen Maulbeerbaum - umfaßt den gesamten Peloponnes (Red.).

7Früher wurden dem Sultan zwei Turbane vorgetragen; einer bedeutete Asien, der andere Europa.

8Selbst in den beiden früheren griechischen Revolutionen waren die Kanonen dieser Festungen niemals gebraucht worden

9Der Londoner Vertrag vom Juli 1827 zwischen Russland, Frankreich und England sah für Griechenland eine innenpolitische Autonomie vor, außenpolitisch sollte es jedoch unter osmanischer Oberhoheit bleiben (Red.).

10Das entspricht auch der heutigen Grenze zwischen Griechenland und Albanien (Red.).

11Gegenüber von Patras auf dem Festland gelegene Hafenstadt, seinerzeit ein bedeutender Flottenstützpunkt (Red.).

12Richard Church (1784-1873), der im April 1827 zum griechischen General ernannt wurde (Red.).

13Lord Thomas Cochrane (1775-1860) hatte nach seiner Entlassung im Jahr 1815 eine Reihe ausländischer Flottenkommandos inne, so kurzzeitig auch das griechische. 1832 wurde er wieder in den Dienst der Royal Navy aufgenommen (Red.).

14Granaten, acht Zoll im Durchmesser, die aus waagerechten Kanonen geschossen wurden und zuweilen glühten; es waren eigentlich Hohlkugeln, die wegen ihrer verhältnismäßigen Leichtigkeit von der Oberfläche des Wassers in unzählbaren Prellschüssen abwippten. Auf diese Weise war es bei ruhiger See unmöglich zu fehlen, und diese Masse glühenden Eisens, diese Granate oder Hohlkugel mit einer Mischung von Holz, Leinwand, Pech und Pulver, welche ein unauslöschliches Feuer aussprühte, war ein Geist, der auch geschicktere Seeleute als die Türken erschreckt haben würde. Diese neue Erfindung in der Artilleriewissenschaft wird ohne Zweifel den Seekrieg und die Schiffsbaukunst in Zukunft bedeutend verändern, und dieser erste Versuch mit der Kraft der Erfindung, einem Feinde gegenüber, gibt dem von mir zu erzählenden Ereignis noch ein Interesse mehr. (Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine Neuentwicklung, sondern um das sogenannte Griechische Feuer, mit dem bereits die byzantinische Flotte erfolgreich operierte und dessen Zubereitung nur einem sehr kleinen Kreis bekannt war; Anm. d. Red.)

15Muhammad Ibrahim Pascha (ca.1769-1849), Befehlshaber der ägyptischen Flotte, die vor Navarino vollständig aufgerieben wurde (Red.).

16Sir Edward Codrington (1770-1851), englischer Admiral und Sieger der Schlacht von Navarino (Red.).