Die Ökonomie der Hexerei

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Coulibaly sagt wahr

Coulibaly erwartete uns bereits an der Straße, als wir in sein Quartier einfuhren. Er wohnte immer noch im gleichen Haus, mit dem Wohnzimmer, wo nonstop der Fernseher lief, den zwei Zimmern für seine zwei Frauen und seinem „Praxisraum“. Er platzierte uns zuerst im Salon, dann bat er uns in sein Behandlungszimmer herein. Immer noch dasselbe faszinierende Durcheinander von Flaschen, Töpfen, Pflanzen, Fetischfiguren, Zetteln, Kerzen, Münzen, Pulvern, Rinden ... An der Wand hingen, schön gerahmt, die Fotos, die ich das letzte Mal von ihm gemacht hatte.

Er übergab mir seinen Ausweis.

Verwundert fragte ich: „Ja, brauchst du ihn denn nicht mehr?“

„Ich habe ihn verloren, man machte mir einen neuen, und dann fand ich den alten wieder.“

Was immer das bedeuten wollte, ich nahm den Ausweis und las:

„Tiegnouma Coulibaly, geb. 1. 1. 1966, in Tiengolo D. Vater: Soungalo Coulibaly, geb. 1941, Mutter: Tenimba Traoré, geb. 1946.“

„Tiengolo?“, fragte ich.

„Ja, etwa 250 km von Bamako. In der Region Bélédougou. Dort hat es weder Kirchen noch Moscheen, nur Féticheurs. Auch keine Schulen. Ich bin nie zur Schule gegangen, keinen einzigen Tag.“ Und er lachte laut.

Ich sagte ihm, ich verstände ihn besser als das letzte Mal. Vielleicht sei sein Französisch besser geworden, vielleicht auch meines.

„Ich übe, indem ich jeden Tag aufmerksam die Nachrichten am Radio höre.“

(Ich vergaß dann übrigens, den Ausweis mitzunehmen.)

Dann erzählte ich ihm von dem Ring, den er mir das letzte Mal gegeben hatte, und der eines Tages auf unerklärliche Weise verschwunden war, als ich in Zürich im Keller gearbeitet hatte.

Das war für ihn das Zeichen, mir ohne weitere Kommentare die Kauris zu reichen, um hineinzusprechen und so die Konsultation zu beginnen.

Ich flüsterte: „Santé, vision, argent.“

Dann gab ich ihm die 205 CFA, die er den Kauris beifügte, ein paarmal hineinspuckte und dann sein Orakel zu werfen begann.

„Tu rêve les génies.“ Wörtlich übersetzt ergibt das eine schöne (geradezu konstruktivistische) Doppeldeutigkeit: „Du träumst von den Geistern“ oder „Du (er)träumst die Geister“.


Was stimmte; die vorletzte Nacht hatte ich zum ersten Mal Geister im Traum gesehen. Sie waren klein, wie Gnome, Wichte, Heinzelmännchen, auch ein bisschen wie Trickfilmfiguren, Schlümpfe oder Zwerge, und sprachen mit ganz hoher Stimme. Ich erzählte Coulibaly davon, und er meinte: „Ja, so sind sie.“

Dazu muss man bedenken, dass für Coulibaly ein Traum kein Fantasiegebilde ist, sondern das eigentliche Medium, in dem Geister (und auch Hexen) für den normalen Menschen sichtbar werden bzw. sich manifestieren. Das heißt, wenn man von einem Geist (oder auch einer Person) träumt, ist das ein Zeichen, dass der Geist (beziehungsweise das Doppel dieser Person) einen besucht hat.34

Coulibaly warf die Kauris zum zweiten Mal.

„Du träumst, im Wasser zu sein.“

Ich erzählte ihm, dass ich vor einer Woche geträumt hatte, in meinem Zimmer befinde sich ein Teich. Darin schwamm ein Blauer Katzenfisch, heilig wie jene in einem Dorf bei Man, die wir „begrüßt“ hatten und von denen man sagt, sie seien Menschen, weil sie nicht verschwinden, wenn man sich ihnen nähert, sondern auf einen zuschwimmen. Baba, der Griot, hatte mir in Korhogo den Mythos von den beiden Brüdern erzählt, die auf der Flucht waren, bis sie an einem Fluss ankamen. Dort boten ihnen zwei Fische an, sie zu retten, falls sie nachher nicht gegessen würden. Die Brüder sagten es ihnen zu und wurden über den Fluss gebracht. Am andern Ufer angekommen, aß der eine der Brüder jedoch seinen Retter. Die Nachfahren der beiden Brüder nennt man Coulibaly, was „keine Piroge“ bedeutet. Aber der Clan ist zweigeteilt. Die eine Hälfte – die Nachfahren des „Undankbaren“ – isst diesen Fisch, für die andere Hälfte ist er tabu und zu ihrem Totemtier geworden. Der Fisch, der vor allem im Niger vorkommt, heisst auf Bambara mpolio. Im Traum berührte mich nun dieser Fisch, der jedoch im Aussehen mit jenem Blauen Katzenfisch verschwamm, in meinem überschwemmten Zimmer, und ich bekam Angst, weil er doch tabu war. Aber dann beruhigte ich mich, weil ich mir sagte, ich sei ja ein Weißer und es reiche, die berührte Hautstelle einfach abzuwaschen.35

Dritter Wurf.

„Ein Geist hat deinen Ring genommen.“

Später fragte ich ihn, warum.

„Er war gegen dich.“

Dann: „Du meinst, du seist mit deiner Frau im Bett. Aber es ist ein weiblicher Geist.“

„Arbeit: Oft geht es, oft geht es nicht. Du musst einen Meter weißen Perkalstoff opfern und einen roten Hahn.“

Der rote Hahn, auf Bambara sissè oulé’n, dient dazu, eine drohende Katastrophe abzuwenden oder in einer unsicheren Lage das Glück anzuziehen.36

Im nächsten Wurf: „Es gibt Streit mit einem kleinen Dicken wegen Geld.“

Das hatte er mir schon vor anderthalb Jahren gesagt (damals hatte ich deswegen das Ei auf der Straße zerschlagen müssen), aber wiederum sagte ich ihm, dass ich damit nichts anfangen könne.

„Du musst dich gegen einen Unfall schützen. Lass dir einen Silberring fertigen. Der Geist wird ihn dir nicht mehr nehmen.“

„Das Geld geht weg, ohne dass du weißt wie.“

„Du wolltest einen Laden oder ein Geschäft eröffnen oder Geld in ein Auto investieren, aber der Geist hat dagegen gearbeitet.“

Ich verneinte. „Höchstens die Investition für die Publikation meiner Doktorarbeit steht bevor.“

„Du musst einen Sack weiße Böhnchen opfern. Dann wird die Investition Sinn machen.“

„Für das Glück: Du musst ein Schaf kaufen, um zu verhindern, dass der Geist dir folgt, und einen Liter Kuhmilch opfern.“

Ich sagte ihm, dass ich vor kurzem bei einem Nafara-Heiler in Ferkessédougou gewesen sei, der mir gesagt hatte, ich solle kein Schaf opfern.

„Gut, du kannst als Alternative ein männliches Zicklein nehmen. Das Blut musst du meinem Fetisch geben. Das ist gegen den Gegner deiner Arbeit.“

Das Zicklein erfüllte in diesem Fall wahrscheinlich eine ähnliche Funktion wie damals das Ei: es fungierte als mein Stellvertreter und der Gegner (der Hexer) sollte es anstelle von meinerselbst verschlingen.37

„Punkto Geld wird es dieses Jahr besser laufen als letztes.“

„Einer Nichte geht es gesundheitlich nicht gut. Sie hat Schmerzen. Im Bauch?“

„Ich habe eine Nichte, deren Oberschenkel kürzlich operiert werden musste. Sie ist immer noch ‚nicht ganz auf den Beinen‘.“

„Das kann in den Kopf hinaufgehen. Man muss das Bein mit beurre de carité einreiben und sieben weiße Kolanüsse für ihr Glück darbringen.“38

Dann warf Coulibaly das Orakel für Nadja.

„Du hast eine Schwester. Sie hat Probleme mit ihrem Mann.“

„Stimmt.“

„Du träumst, wie du von einem Rind verfolgt wirst und von jemandem mit einem Gewehr. Aber du vergisst die Träume. Dein Herz ermüdet und schmerzt beim Rennen. Du hast Schwindel, oft wird dir schwarz vor den Augen. Du musst einen Silberring machen lassen, für das Glück. Das beruhigt auch den Diabetes. Du wirst alt werden. Bringe dafür ein Kilogramm Reis als Opfer. Ich werde dir eine Medizin zum Trinken brauen, die auch gegen den Diabetes wirkt. Du musst dir ein getrocknetes Chamäleon um die Nieren binden. Dann können dir die Geister und die Schlangen im Busch nichts anhaben.

Opfere ein weißes Huhn für das Glück und gegen den Diabetes.

Du wirst ein Kind haben, einen Sohn. Er wird Coulibaly heißen!“ (Er lachte laut auf.)

„Für das Glück: verteile 17 Galetten an Kinder.

Für deine Schwester: sie muss die Haut eines Zitteraals kaufen, die wird zerstoßen, dann vermische ich sie mit Honig. Dieses Medikament muss sie sich dann zu gegebener Zeit einreiben – à l’intérieur ... Dann werden sie heiraten.“

„Ist es besser“, fragte Nadja, „wenn sie heiraten oder sich trennen?“

„Heiraten. Man muss auch ein Kilogramm Erdnüsse für sie opfern.“

Nadja war nicht besonders beeindruckt von den Weissagungen. Von den Problemen der Schwester hatte er bereits vorher von uns erfahren.

Er wollte 50 000 CFA für seine Arbeit (80 EUR.).

Ich sagte: „15 000.“

Er: „Ich werde von 23 Uhr bis 3 Uhr nachts arbeiten für euch.“

Schließlich einigten wir uns auf 20 000 CFA. Ich fand den Betrag aber immer noch etwas hoch.

„Ja“, gab er zu, „aber mein Fetisch ist auch stark. Und ich werde die ganze Nacht hart arbeiten. Du wirst viel Geld haben. Ich hatte auch schon andere Weiße als Kunden, Libanesen, Marokkaner, einmal sogar einen Japaner und einen Amerikaner, daneben reiche Afrikaner und Politiker. Die Reichen müssen und können auch mehr opfern, das sagen die Geister.“

Er fertigte drei Papiere an, für mich, für Nadja und ihre Schwester. Auf jedes war ein Kreis gezeichnet, darin geschrieben: „Nafolo“ (mit seitenverkehrtem „N“).

„Nafolo steht für Geld auf Bambara.“

„Warum Geld?“

Lachend: „Das ist mein Geheimnis!“

Dann mussten wir jedes unterschreiben.

Wir besuchten seinen vieux, den „Adoptivvater“, das heißt den Chef der Malier in Abengourou, der schon lange in dieser Stadt war und der Coulibaly nach seiner Ankunft erst in seinem Hof beherbergt hatte: Traoré. Ihm hatte Coulibaly jeweils auch die Briefe an uns diktiert. Er war der Ansprechpartner für vielfältige Probleme, lieh in Notfällen auch einmal Geld, vertrat die Malier gegenüber der Stadtverwaltung und trat ihr gegenüber auch gewissermaßen als Garant der inneren Sicherheit innerhalb der Malier-Kolonie auf; bei Problemen konnte er haftbar gemacht werden. Er musste über alles auf dem Laufenden gehalten werden, auch über unsere Anwesenheit, denn passierte uns etwas, wäre er verantwortlich. Er war, mit anderen Worten, ein Patron.

 

Am Abend gingen wir mit Coulibaly in einem Maquis gegrilltes Schaffleisch essen und hatten ausführlich Gelegenheit, ihm mit unseren Fragen Löcher in den Bauch zu bohren.

„Mein Vater hatte auch zwei Frauen, wie ich“, erzählte er. „Dreizehn Kinder. Ich bin der zweitälteste. Meine Geschwister sind ebenfalls Heiler, wie unser Vater. Ich esse alles, außer Löwenfleisch. Denn der Löwe ist mein Totem. Deshalb habe ich, wie er auch, Scheu vor dem Wasser. Ich komme jetzt gerade aus Abidjan zurück. Ich war drei Wochen bei einem Mann mit schweren Magenproblemen. Ich habe ihn jetzt geheilt. Ich war auch schon in Liberia, Burkina Faso, Guinea, Gambia, Sierra Leone. Immer arbeitshalber, als Heiler und um neue Kenntnisse zu erwerben. Es ist ein Geist, der mir sagt, was die Kauris bedeuten. Oft kaufe ich meine Medikamente auf dem Markt, aber manchmal gehe ich sie auch selber suchen, im Busch, mit der Machete. Ich habe vier Schüler, sie machen ihr Diplom bei mir.“

Ich war glücklich und stolz. Ich war nicht mehr nur ein Kunde des geheimnisvollen Féticheurs; ich war zu einem geworden, mit dem er im Maquis Fleisch essen und Guinness trinken ging!

Am nächsten Tag trafen wir Balenfon. Er hatte seit dem Besuch in Sandégué Durchfall. Er war auf dem Weg in ein Dorf in der Nähe, wo er sich drei Tage lang in Behandlung begeben wollte.

Dann gingen wir wieder zu Coulibaly.

„Ich habe bis vier Uhr morgens gearbeitet.“

Wie zum Beweis zeigte er auf die abgebrannte, rote Kerze auf dem Boden.

Er hatte den roten Hahn geopfert, der Fetisch war beschmiert mit Blut und Federn. Sand lag auf dem Boden, in den er wahrscheinlich gezeichnet hatte. Von der Decke hing eine Kalebasse, gefüllt mit den Überresten der Opfer.

Coulibaly zog sein Arbeitshemd an. Er zog das weiße Huhn aus einer Ecke, schnitt die Schnur durch, mit der seine Beine zusammengebunden waren und gab es mir. Ich musste es am Boden halten und meine Wünsche darüber sagen; dann schnitt er ihm den Hals durch, drückte ihn auf das Horn, das vor seinem Fetisch lag und ließ das Blut darüber fließen. Darauf riss er ihm den Schnabel auseinander, und es kam noch mehr Blut. Anschließend legte er das Huhn vor seinen Fetisch, wo es noch eine Weile zuckte.

Ich fragte ihn nach diesem Fetisch.

„Ich habe noch andere, aber das ist mein Hauptfetisch. Er ist aus Mali. C’est un garçon.“

Zum Beweis rückt er die Federn zwischen seinen Beinen zur Seite.

Da Nadja etwas enttäuscht war über ihre nichts sagende Konsultation, fragte sie, ob er die Kauris nochmals werfen könnte für sie, aber ohne all diese Opfer noch einmal bringen zu müssen.

„Man muss schon ein wenig Opfer bringen.“ Aus den beschriebenen Zetteln hatte er Gris-Gris gemacht, mit Blut und andern Ingredienzien, zusammengefaltet und mit verschiedenfarbigen Fäden verschnürt. Wir würden sie nachher zum Schuster bringen, um sie in Leder einzunähen. Zwei waren für mich (eins an den Hosenbund, das andere in die Schublade meines Büros, für die Arbeit), eins für Nadja, eins für ihre Schwester.

Ich fragte ihn, ob das Gris-Gris vom letzten Mal noch wirksam sei.

Er bejahte.

Er selber trug, wie ich beim Umziehen bemerkte, ein Gris-Gris um den Bauch und zwei am Oberarm.

Abschließend aßen wir zusammen vom geopferten Zicklein, das seine Frau gegrillt hatte, unter anderem die Leber. (Als Klient oder Heiler ein aufgetragenes Opfer selber zu essen, gilt als verwerflich. Aber fast immer isst Coulibaly einen Teil des Opfers zusammen mit dem Klienten, meist Leber, Niere oder Herz.)39

Potenz und Grenzen

Dann trafen wir uns für ein paar Stunden mit jemand anderem in Abengourou, bis wir am Nachmittag wieder, wie verabredet, bei Coulibaly hereinschauten. Inzwischen hatte er die Gris-Gris anfertigen lassen. Das kostete jetzt 5000 statt 2500 CFA, „denn sie müssen besonders robust vernäht werden, damit sie die starke Medizin aushalten. Der Schuster hat den halben Nachmittag gearbeitet, ohne mit jemandem zu reden.“

Die Honig/Zitteraal-Salbe hatte er in eine Glasflasche abfüllen lassen.

„Die Plastikflasche, die ihr mitgebracht habt, ist zu schwach. Die starke Medizin könnte sie zerstören.“

Nadja sagte ihm nochmals, dass sie die Wahrsagungen des Vortages nichts sagend gefunden habe.

„Warum sind sie manchmal falsch?“

„Die Geister waren nicht zufrieden gestern“, antwortete er. „Jetzt sind sie zufrieden, weil sie viel zu essen bekommen haben.“

Wie man sieht, kann er durchaus attestieren, dass seine Orakel manchmal falsch sind. Aber das stellt das System nicht in Frage, weil es immer eine Erklärung innerhalb des Systems gibt. Mit Luhmann40 könnte man sagen: Das System arbeitet geschlossen, unabhängig. Gerade durch diesen Autismus kann es sich in gewisser Weise intern ausdifferenzieren. Es kann von andern Systemen nicht modifiziert, höchstens irritiert werden. Das gilt wohlgemerkt nicht für die konkreten Elemente (hier erweist es sich als sehr flexibel und modernisierbar), sondern für seine Funktionsweise, seine Logik und Struktur. Ersteres ist wahrscheinlich sogar eine Bedingung für Letzteres. Es sei denn, es geriete in totalen Widerspruch zu einem andern System, wodurch ihm die Lebensgrundlage entzogen würde; aber selbst dann, wenn die Kunden plötzlich gänzlich ausblieben oder die Christen sein Haus anzündeten, würde er wahrscheinlich eher weiterziehen, als sich in grundsätzlichen Zweifeln ergehen. Dieser doktrinäre Zug ist skandalös, wenn man das afrikanische Heilsystem mit der westlichen Medizin vergleicht (obwohl sich auch Ärzte schwer tun, einen Kunstfehler zuzugeben und es in allen Wissenschaften heilige Kühe gibt), bedauerlich, aber nicht völlig erstaunlich, wenn man es an unseren Psycho- und alternativen Therapien misst, und selbstverständlich, wenn man es als Religion betrachtet.

Er warf ihr die Kauris nochmals.

„Du hast manchmal Träume und manchmal nicht. Du vergisst sie.“

„Du hast einen Unfall gehabt beim Wasser. Du hast dir etwas gebrochen. Jetzt ist es wieder gut?“

(Sie hatte einen Skiunfall gehabt und sich das Kreuzband gerissen.)

„Die Arbeit ist gut, viele Klienten. Sie warten auf dich, bis du wiederkommst. Du verdienst Geld, aber dann verlierst du es auch wieder. Aber du wirst viel Geld verdienen. Es ist alles klar.“

Hier zeigte er auf die Kauris, die offen und weit verteilt einzeln da lagen. Er zeigte auf zwei, die aufeinander lagen:

„Du wirst gute Geschäfte machen.“

„Du arbeitest in einem Haus.“

„Ein Sohn.“

„Eine ältere Frau in deiner Verwandtschaft ist krank.“

„Stimmt“, sagte sie zu mir. „Aber wo nicht?“

„Du wirst in die Richtung gehen, wo die Sonne untergeht. Du musst ein rohes Ei auf die Straße fallen lassen.“

(Wir hatten eine Reise nach Sassandra, an der westlichen Küste des Landes, vor.)

„Vor der Rückkehr musst du deine alten Schuhe einer Frau mit einem Baby geben.“41

Schon am Vortag hatte Coulibaly einen Fetisch gesucht, den er mir zeigen wollte. Jetzt fand er ihn. Es war ein kleiner „Manneken Pis“, wie man ihn in den Touristenläden von Brüssel findet. Er sagte mir: „Mein Vater hat ihn im Großformat, in Gold. Er wird ihn dir zeigen, wenn du nach Bamako kommst. Den kleinen da habe ich selber bearbeitet (magisch aufgeladen). Er heißt tchamatigi, das heißt grosser Chef oder Präsident. Du musst ihm jeweils am Morgen deine Probleme sagen, und er wird sie lösen. Freitags wäschst du ihn, indem du ihn mit Milch übergießt. Aber nicht jeden Freitag. Stelle ihn dort auf, wo du arbeitest, auf dem Tisch zum Beispiel. Du kannst ihn auch mitnehmen, wenn du reist. Er ist wie der kleine Bruder meines Hauptfetischs.“

Es war klar, dass er ein Geschenk erwartete. Ich gab ihm 5000 CFA (8 EUR.).

Dann zeigte er mir seinen Hauptfetisch.

„Er verändert sich. Manchmal ist er groß, manchmal klein, dick, dünn usw. Ich habe viele Fetische. Ich habe für A. D. Ouattara gearbeitet, der Premierminister war unter Houphouët-Boigny und jetzt stellvertretender Weltbank-Präsident42 ist. Auch für Manadou Sanogo, den Bürgermeister von Guiglio und Professor.“ Er zeigte auf sein Wahlplakat, das an der Wand hing. „Auch für den Bürgermeister von Gagnoa habe ich gearbeitet. Er musste ein Rind opfern. Große Wünsche – große Opfer. Ich habe seine pièce d’identité.“43

Wir gingen auf den Markt, wo wir den beurre de carité und ein Töpfchen für meine Nichte kauften. Dann gingen wir ein Guinness trinken.

„Das ist wie Medizin. Gut für den Mann, wenn er nachher zur Frau geht. Kudugu (der afrikanische Gin) ist nicht gut, das macht den Magen kaputt. Aber Kaffee, Guinness und Zigaretten – schwarze, bittere, starke Medizin!“

Etwas später (nach dem zweiten Guinness): „Ich wurde nicht im Spital geboren, sondern im Busch. Bis ich sieben Jahre alt war, war ich gelähmt. Dann gaben sie mir eine Medizin; ich wurde geheilt, und von da an sah ich Geister. Sie haben mir spezielle Narben gemacht, neben dem rechten Auge. Ich habe viel gelitten, das ist so bei den Heilern. Meine Söhne werden nicht Heiler werden, sie werden zur Schule gehen. Jeder hat ein anderes Schicksal. Sie sehen die Geister nicht. Vielleicht ein Sohn, der noch geboren wird. Die Geister sieht man schon als Kind.“

„Könnte ich noch lernen, ein Heiler zu werden?“

„Nein, du bist schon zu alt. Ich könnte dich höchstens ein paar kleinere Dinge lehren.“

Dann erzählte er von Totem und Tabu:

„Ich kann nicht ans Meer gehen oder in einen Fluss. In Abidjan zum Beispiel kann ich nur bestimmte Quartiere besuchen, die nicht an der Lagune liegen. Im Wasser hat es viele Geister. Es gibt zwei Geister, die sich nicht vertragen. Mein Totem, der Löwe, liebt das Wasser nicht. Ich kann mich auch nicht mit normalem Wasser waschen; ich muss es erst im canari (Tontopf) kochen und behandeln. Mein Vater hatte auch das Löwentotem, mein Sohn wird es auch haben. Das geht nicht über die Mutter. Könnte ich in der Schweiz nicht auch die Politiker beraten?“

„Sie haben keine Fetische. Sie sind Christen.“

„Hier gibt es auch christliche Politiker. Aber sie haben trotzdem Fetische.“

„Bei uns nicht.“

„Gibt es viele Afrikaner bei euch? Sie könnten mich konsultieren. Ich kann den Fetisch mitnehmen, er verliert die Kraft nicht, und auch die Geister könnten mit mir reisen.“44

Er schwieg eine Weile, und dann fragte er plötzlich: „Aber gibt es bei euch in der Schweiz eigentlich Kerzen?“

Wieder bei ihm zu Hause aßen wir etwas vom geopferten Huhn und tranken die verschriebene Kuhmilch. Dann holte er eine Pfanne mit der Medizin gegen den Diabetes und füllte sie in eine Flasche ab.

„Morgens, mittags und abends nimmst du ein kleines Glas davon“, sagte er zu Nadja. „Nächstes Jahr, wenn du kommst, wirst du Zucker essen.“

Er nahm demonstrativ einen Löffel voll davon (was er oft macht, um zu zeigen, dass es nicht giftig ist). Nadja probierte ebenfalls davon.

„Es schmeckt anders als die Medizin, die du mir vor anderthalb Jahren gemacht hast“, bemerkte sie.

„Ja, es ist etwas anderes.“

(Die Medizin wirkte nicht. Was Coulibaly allerdings nicht daran hinderte herumzuerzählen, er hätte meine Frau von der Zuckerkrankheit geheilt.)