Animalisches im Krankenhaus

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4

Die Obduktion wurde von Dr. Bernd Sommer vorgenommen.

Er war ein großer, kräftiger, ernster Mann, der seiner Arbeit jenen Stellenwert einräumte, der ihr seiner Ansicht nach gebührte.

Während er den Leichnam sezierte, lief ein Tonband. Dr. Sommer beschrieb mit klarer, vernehmlicher Stimme ganz genau, was er tat. Es wurde auf Band festgehalten und würde ihm später helfen, einen lückenlosen Obduktionsbericht zu verfassen.

Der junge Assistenzarzt Marcel Schneider stand neben ihm, lernbegierig und eifrig. Auch für diesen erklärte Dr. Sommer jeden Handgriff besonders präzise. Entschlossen und mit ruhiger Hand setzte Dr. Sommer die Skalpellschnitte, durchtrennte die Haut, Fettgewebe, Muskelschichten.

Der junge Assistenzarzt beugte sich über den geöffneten Brustraum. Plötzlich war ihm, als würde er dort drinnen etwas Weißes schimmern sehen. Zähne!

Der junge Assistenzarzt schloss die Augen.

Vergangene Nacht war es spät geworden. Er hatte mit Schulfreunden gefeiert und war nur für zwei Stunden ins Bett gekommen.

Vielleicht war dies der Grund, warum ihm seine Sinne jetzt einen Streich spielten. Er konnte unmöglich wirklich die langen Fangzähne eines Raubtieres gesehen haben.

Als er die Augen wieder öffnete, fragte ihn Dr. Sommer: „Was haben Sie? Ist Ihnen nicht gut?“

„Doch, doch. Ich habe nur manchmal so ein Brennen in den Augen.“

„Vielleicht brauchen Sie eine Brille“, sagte Dr. Sommer. „Sie sollten mal zum Augenarzt gehen.“

„Ja, sicher“, antwortete der Assistenzarzt.

Die Zähne waren nicht mehr da, als er wieder in den geöffneten Brustkorb blickte. Eine Halluzination, dachte er. Hoffentlich wiederholte sich das nicht.

Dr. Sommer arbeitete weiter. Plötzlich zog er die Luft geräuschvoll ein.

„Das gibt es doch gar nicht!“, stieß er verblüfft hervor. „Das ist unmöglich. Sehen Sie. Diesem Mann fehlt das Herz!“

Prof. Dr. Gerhard Weber, der Chefarzt des Krankenhauses, diktierte seiner Sekretärin gerade die Aufgabenliste des heutigen Tages. Seine Gedanken wurden durch das Läuten des Telefons unterbrochen.

Die Sekretärin hob für ihn ab und reichte den Hörer weiter.

„Es ist Dr. Sommer aus der Pathologie. Er möchte Sie dringend sprechen“, sagte die Angestellte und reichte das Telefon an ihren Chef weiter.

Dr. Weber nahm ihr den Hörer aus der Hand. Dr. Sommer, der aus dem Obduktionsraum anrief, war so aufgeregt, dass er kaum zu verstehen war. Er entnahm den Worten seines Kollegen nur, dass er schnellstens kommen solle, um sich etwas anzusehen.

„Worum geht es denn?“, fragte Dr. Weber.

„Das müssen Sie selbst sehen, sonst glauben Sie das nicht!“, erfolgte die Antwort.

„Na schön, ich komme“, sagte der Chefarzt und legte auf.

Dr. Weber ist ein stattlicher Mann in den besten Jahren, bei Patienten und Kollegen gleich beliebt. Er besaß ein umfassendes medizinisches Wissen und wusste, wie man Menschen heilen konnte. Der Chefarzt leitete die Klinik seit fünfzehn Jahren und trug großen Anteil an dem guten Ruf, den sie hatte.

Dr. Weber fuhr mit dem Lift zwei Etagen nach unten und betrat wenig später die Pathologie. Dr. Sommer und sein junger Assistenzarzt waren immer noch erregt.

Auf dem Seziertisch lag der Tote.

„Ich kann es nicht fassen“, sagte Dr. Sommer. „Es ist unmöglich, aber dennoch eine Tatsache. Paul Stumpf fehlt das Herz!“

„Machen Sie keine Witze“, meinte der Chefarzt schockiert.

„Habe ich nicht gesagt, Sie würden es nicht glauben? Überzeugen Sie sich selbst.“

Das tat Dr. Weber. Er konnte auch nicht begreifen, was er sah. Paul Stumpf konnte ohne Herz nicht gelebt haben. Was war hier los? Waren die Ärzte mit einem medizinischen Wunder konfrontiert?

Die Wahrheit war schrecklicher!

Doch wie hätte der Chefarzt das wissen können?

5

„Heute Nacht hatte ich einen furchtbaren Traum“, erzählte Markus Bauer. Er sah Thomas Schiefer fragend an. „Glaubst du an übersinnliche Dinge?“

„Nein“, beantwortete sein Bettnachbar.

„Ich ... ich habe den Tod von Paul Stumpf irgendwie vorhergesehen, wenn ich es mir jetzt so überlege.“

„So etwas gibt es nicht.“

„Vorher geträumt müsste ich eigentlich sagen“, bemerkte Markus. „Aber wenn du es nicht hören möchtest, behalte ich es für mich. Ich will dich nicht langweilen.

„Machst du doch nicht. Ich habe hier Zeit. Erzähle es mir ruhig“, forderte ihn Thomas auf.

„Also, in meinem Traum wurde Paul Stumpf ermordet, auf eine ganz seltsame Weise.“

Markus betrachtete nachdenklich seine Hände. „Wieso fällt mir das jetzt erst ein? Heute Morgen, als ich Paul tot im Bett liegen sah, konnte ich mich an diesem unheimlichen Traum nicht erinnern.“

„Vielleicht musste dein Unterbewusstsein erst den Traum verarbeiten“, antwortete Thomas Schiefer. „Wenn er tatsächlich so schrecklich war ...“

„Oh ja, das war er“, sagte Markus und nickte heftig. „Zuerst war hier alles still und friedlich, im Traum meine ich. Es muss so um Mitternacht gewesen sein, da betrat jemand den Raum. Der Kerl war mir von Anfang an nicht geheuer. Er schlich auf Paul zu, ich bildete mir ein, er wollte meinem Bettnachbarn etwas antun. Ich wollte Paul warnen, aber wie das in Träumen so ist, ich konnte nicht rufen, nur zusehen. Eine kalte Angst lähmte mich. Auf dem Flur waren Schritte zu hören, der unheimliche Mann versteckte sich hinter der Trennwand. Nachtschwester Claudia kam und wechselte die Infusionsflaschen aus. Paul wurde kurz munter und redete mit ihr. Nachdem sie gegangen war, schlief er wieder ein. Der unheimliche Kerl kam wieder hervor. Seine Hände leuchteten. Er hielt sie über Pauls Brust. In dem Licht erschien ein Raubtiergebiss. Beiß zu, zischte der unheimliche Mann und ... die Zähne gehorchten. Paul verlor dabei sein Herz.“

Thomas Schiefer schmunzelte. „Du hast aber eine sehr rege Phantasie. Träumst du öfters so aufregend?“

„Zum Glück nicht. Sonst würde mich noch mal im Schlaf der Schlag treffen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich dabei aufgeregt habe.“

„Du könntest einem Horrorautor als Ideenlieferant dienen“, sagte Thomas grinsend.

„Ich träumte das alles so realistisch. Als würde es tatsächlich passieren. Heute Morgen war dann Paul wirklich tot.“

„Zufall!“, erklärte Thomas Schiefer. „Niemand kann in die Zukunft sehen. Auch im Traum nicht. Außerdem war das wohl alles ein bisschen überdreht. Ein Mann mit strahlenden Händen. Ein Wolfsgebiss. Paul verliert sein Herz. So etwas ist nur in einem Alptraum möglich.“

Markus nickte zustimmend. „Du hast natürlich recht, so etwas kann sich niemals wirklich zutragen, aber je länger ich mich damit auseinander setze, desto mehr bilde ich mir ein, dass es kein Traum, sondern Wirklichkeit war. Vielleicht sollte ich fragen, ob die hier auch einen Psychiater haben.“

Der junge Krankenpfleger Toni Huber betrat das Zimmer. Er arbeitete erst seit wenigen Wochen im Krankenhaus, war ein kleiner Mann mit einem muskulösen Körper, wirkte wie ein Gewichtheber der Fliegengewichtklasse.

„Na, habt ihr euch schon angefreundet?“, erkundigte sich der Krankenpfleger freundlich.

„Ja“, antwortete Thomas lächelnd. „Mein Bettnachbar hat mir soeben eine unheimliche Geschichte erzählt. Wollen Sie die mal hören?“

„Ja, sehr gerne. Auf Gruselgeschichten stehe ich wahnsinnig“, meinte der Krankenpfleger.

Es war Markus nicht recht, dass Thomas die Geschichte weitererzählte, aber er wusste nicht, warum. Was war schon dabei?

Toni Huber schüttelte sich vor Lachen, als Thomas mit der Geschichte geendet hatte.

„Mann, die Story ist wirklich gut. Ich schau bald wieder bei euch rein. Vielleicht habt ihr dann was neues Gruseliges auf Lager.“

Er wechselte die Handtücher und ging.

„Der Unheimliche in deinem Traum“, sagte Thomas, „hatte er kein Gesicht? Ich meine, kannst du ihn beschreiben?“

„Ich habe sein Gesicht gesehen“, antwortete Markus. „Aber irgendwie scheint sich mein Geist gegen die Erinnerung zu wehren. Ich sehe den Mann genau vor mir. Nur sein Gesicht befindet sich hinter einem nebeligen Oval. Ich kann es nicht erkennen.“

Thomas lachte heiser. „Hoffentlich kommst du nicht auf die Idee, deinem unheimlichen Killer meine Gesichtszüge zu verleihen.“

Der Krankenpfleger Toni Huber hatte nur einen Fehler: Er konnte nichts für sich behalten. Was man dem Krankenpfleger erzählte, trug er prompt durch die ganze Klinik.

Man hätte es ebenso gut einer Katze an den Schwanz binden können. So machte der unheimliche Traum von Markus Bauer ziemlich schnell die Runde im Krankenhaus.

Dieser Traum kam auch dem Chefarzt zu Ohren.

Prof. Dr. Gerhard Weber wollte den Patienten erst aufsuchen, doch dann dachte er, es wäre besser, wenn er mit dem Mann in seinem Büro unter vier Augen sprechen würde.

Er bat eine Krankenschwester, ihm den Patienten zu holen.

Markus Bauer traf nach wenigen Minuten ein. Dr. Weber begrüßte freundlich seinen Patienten und bot ihm an, sich zu setzen.

Markus fragte sich schon die ganze Zeit über, was Dr. Weber von ihm wollte. Es war schließlich nicht üblich, dass man vom Chefarzt in dessen Büro empfangen wurde.

Dr. Weber fiel nicht gleich mit der Tür ins Haus. Er erkundigte sich zuerst nach dem Befinden seines Patienten.

„Danke, es geht mir den Umständen entsprechend gut. Deshalb möchte ich die Gelegenheit beim Schopf packen und Sie bitten, mich am Freitag nach Hause zu schicken.“

 

„Wir werden sehen“, sagte Dr. Weber, der sich jetzt noch nicht festlegen wollte. „Ich werde Sie morgen untersuchen. Wenn sich abschätzen lässt, dass es nicht riskant ist, Sie heimgehen zu lassen, werde ich Sie nicht länger hierbehalten. Ich hoffe, Sie fühlen sich wohl bei uns.“

„War für mich ein echter Glücksfall, dass ich in Ihre Klinik kam“, sagte Markus ehrlich.

„Schlimm, dass Ihr Bettnachbar starb, nicht wahr?“

„Ja, war ein echter Schock für mich. Paul Stumpf war in meinen Augen kein todkranker Mann. Es ging ihm doch gut. Und plötzlich ...“

„Das war auch für uns eine höchst unerfreuliche Überraschung“, gab der Chefarzt zu. „Aber mir kam da etwas zu Ohren. Es heißt, Sie hätten geträumt, dass Paul Stumpf sterben könnte?“

„Ihr Krankenpfleger ist schlimmer als ein altes Waschweib“, seufzte Markus.

„Er ist besser als eine Hauszeitung“, sagte Dr. Weber. „Vor allen viel schneller. Würden Sie mir bitte Ihren Traum erzählen, Herr Bauer?“

„Also wissen Sie, ehrlich gesagt, rede ich nicht gerne davon. Ich habe es einmal erzählt und glaube, dass dies zu viel war.“

Der Chefarzt konnte ihn aber schließlich doch überreden, ihm seinen Alptraum nochmals zu schildern.

„Und der Mann, der das getan hat, hat in Ihrer Erinnerung kein Gesicht?“, fragte Dr. Weber mit ernster Stimme.

„Ich habe sein Gesicht gesehen“, sagte Markus. „Aber nun ist es weg. Es war ein Gesicht, das mir bekannt war.“

„Würden Sie mich umgehend in Kenntnis setzen, wenn Sie sich doch noch erinnern sollten?“

„Wozu? Halten Sie das Ganze für keinen Traum? So etwas Irres kann nicht wirklich passiert sein.“

„Können Sie etwas für sich behalten, Herr Bauer?“

„Klar. Geheimnisse sind bei mir besser aufgehoben als in einem Tresor.“

„Wenn ein Mensch stirbt und sich die Ärzte nicht über die Todesursache im Klaren sind, wird er obduziert, damit man weiß, woran er gestorben ist“, sagte Dr. Weber.

„Das ist mir bekannt.“

„Was ich ihnen jetzt sagen werde, wird ihren Alptraum in ein anderes Licht rücken, Herr Bauer. Als Dr. Sommer die Obduktion bei Paul Stumpf durchführte, musste er zu seiner großen Verblüffung feststellen, dass der Tote kein Herz hatte.“

„Was wollte denn der Chefarzt von dir?“, erkundigte sich Thomas Schiefer, als sein Bettnachbar zurückkehrte.

Markus zuckte mit den Schultern und antwortete: „Es ging um meine Entlassung. Ich würde gerne schon am Freitag nach Hause gehen.“

Thomas lächelte. „Das kannst du mir doch nicht antun. Dann liege ich hier völlig alleine herum. Niemand mehr zum Reden, das wäre ja furchtbar.“

„In Krankenhäusern herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Vielleicht ist in ein paar Tagen dieses Zimmer sogar voll belegt.“

Der Krankenpfleger Toni Huber brachte das Abendessen. „Na, wie war´s beim Chef? Mir kommt vor, ihn bedrückt irgendetwas. Wissen Sie, was er hat?“

„Keine Ahnung“, antwortete Markus Bauer.

Ihm kam vor, als würde Thomas heimlich die Ohren spitzen. War der Mann nur neugierig, oder steckte mehr hinter diesem Wissensdurst?

Nach dem Abendessen wurde Markus müde. Seine Freundin Lara hatte ihm vor zwei Tagen einen iPod gebracht. Er setzte die Kopfhörer auf und ließ sich mit Musik berieseln, während Thomas neben ihm in einer Zeitschrift blätterte.

Markus fielen die Augen zu.

Es dauerte nicht lange, bis er von diesem unheimlichen Mörder träumte. Er sah den Mann neben dem Bett von Paul Stumpf stehen. Diesmal war das nebelige Oval seines Gesichts nicht ganz so verschwommen. Gesichtszüge ließen sich erahnen.

Markus Bauer strengte sich im Schlaf an. Er versuchte, den Nebel zum Verschwinden zu bringen. Zuerst wollte es ihm nicht gelingen, doch nach und nach wurde der Nebel dünner. Das Gesicht des Mörders schälte sich heraus.

Die letzten Schleier verflüchtigten sich. Markus sah den Mann ganz deutlich. Die Panik griff mit eiskalten Händen nach seinem Herz.

Er stöhnte und keuchte, hatte Angst. Obwohl er träumte begriff er, dass er in der vergangenen Nacht keinen Alptraum gehabt hatte.

Er hatte diesen Wahnsinn tatsächlich gesehen!

Verstört öffnete er die Augen.

Er sah Thomas Schiefer, der sich über ihn gebeugt hatte!

6

Schwarz und düster ragten die Mauern der alten Abtei St. Laurentius im Norden von München aus der Landschaft.

Der Wind pfiff unter die Dachsparren und heulte zwischen den Mauerritzen. Ein längst vergessener Herzog hatte die Abtei erbauen lassen, doch sie war nie von heiligen Männern und kirchlichen Würdenträgern bewohnt und benutzt worden.

Nach ihrer Fertigstellung hatte jener Herzog, der wohl einen Hang zum Makabren besaß, in diesen Mauern wüste Orgien gefeiert.

Man führte schwarze Messen durch, verherrlichte das Böse und betete den Höllenfürsten an. Mit dem Tod des Herzogs zerfiel die Sekte, die schwarze Abtei aber blieb bestehen.

Sie ragt noch heute als düsteres Mahnmal auf.

Die Bewohner der Stadt München mieden diese Gegend großräumig. Bereits seit Generationen warnten die Alten ihre Nachkommen vor diesem Ort. Nur Touristen, insbesondere japanische Reisegruppen, fanden die alten Mauern anziehend und spannend.

Aber sie wussten es auch nicht besser!

In den alten Gewölben herrschte ewige Nacht. Ein Gerücht besagte, dass derjenige verloren ist, der sich dort hinunterwagte, auch wenn er reinen Herzens war. Dem Bösen hingegen würde kein Leid geschehen, er wäre dort unten stets willkommen.

Der Mann, der in diesem Augenblick die kalten Steinstufen hinunterstieg, war nicht nur böse, er war die Inkarnation des Bösen schlechthin.

Der Mann mit den strahlenden Händen! Ein Wesen aus der Hölle!

Er betrat den Raum, in dem früher die schwarzen Messen abgehalten worden waren. Die Wände schienen das Lustgestöhne der Sektenmitglieder und die verzweifelten Schreie der Opfer in sich aufgesogen zu haben.

Sie gaben es in diesem Augenblick auf eine grauenerregende Weise wieder.

Der Höllenmann trug einen kleinen Metallbehälter. In diesem befand sich das Herz von Peter Stumpf.

Das Herz war in schwarzer Magie gebettet. Diese bewirkte, dass es immer noch schlug!

Der Mann hob den Würfel an sein Ohr. Laut und deutlich waren die Schläge des Herzens zu vernehmen.

Aber ein Herz war zu wenig. Der Mann brauchte drei! Mit ihrer Hilfe konnte er dann Kräfte herbeizitieren, die ein schwarzes Wunder vollbringen sollten.

Seine Schritte hallten durch das unterirdische Gewölbe. Er näherte sich dem Blutaltar und stellte die erste Opfergabe darauf. Er trat zurück und aktivierte die im Würfel befindliche Magie mit schwarzen Formeln.

Langsam durchdrang ein Licht die Metallwände. Der Würfel erhellte die Dunkelheit auf eine geisterhafte Weise.

Es wurde totenstill in der Tiefe der schwarzen Abtei St. Laurentius.

Der milchig-trübe Schein, der vom Würfel ausging, legte sich auf die Wände. Ein riesiges Fresko hob sich von der Stirnwand ab.

Es zeigte nichts weiter als das Profil eines kahlen Totenschädels. Niemand kannte den Schöpfer. Keiner wusste, wie lange es dieses dämonische Fresko schon gab. Es war denkbar, dass es von allein entstanden war. Durch die Kraft der Hölle, die selten auf der Erde so präsent war wie hier.

Man sagte, es wäre möglich, dieses Höllenfresko zum Leben zu erwecken. Jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen. Demjenigen, der sie schuf, würde dann eine gefährliche Macht zur Verfügung stehen und ihn unbesiegbar machen.

Nach dieser Macht gierte der Höllenmann.

Das erste Herz befand sich an seinem Platz.

Heute Nacht würde er sich das Nächste holen. Bald würden die Voraussetzungen für eine Belebung des Geisterfreskos erfüllt sein.

Der Mann zog sich rückwärtsgehend vom Blutaltar zurück.

Das Böse, das hier unten wirkte, hatte sein Opfer angenommen. Das Leuchten des Würfels erlosch nicht.

Der Mann verließ die schwarze Abtei. Er eilte einen steinigen Weg durch die Dunkelheit. Zwischen den Bäumen stand sein Wagen. Er stieg ein und fuhr los.

Dreißig Minuten später erreichte er die Ungererstraße in München. Er betrat das Städtische Krankenhaus durch einen Hintereingang.

7

Der Himmel kannte kein Pardon!

Der Motor sang sein monotones, einschläferndes Lied.

David Buchmann sah hinaus in die Nacht.

Am Horizont war bereits der Sonnenaufgang zu erahnen. Hier oben, hunderte Meter über der dichten Wolkendecke war der Himmel absolut klar. Die Sterne waren stumme Zeugen ihres Fluges.

David war todmüde. Eine Zigarette würde ihn jetzt sicher etwas munterer machen. Dann schüttelte er genervt den Kopf, als ihm bewusst wurde, dass in Flugzeugen absolutes Rauchverbot herrschte.

„Wie bitte?“, fragte eine Frau neben ihm. Sie hatte sein stilles Gemurmel als Gespräch verstanden.

„Entschuldigung“, antwortete David, während sich das Flugzeug sanft in eine leichte Kurve legte. „Ich habe nichts gesagt. Aber ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich heiße David Buchmann.“

„Sehr erfreut. Ich heiße Sarah Engel“ sagte die Frau und lehnte sich genüsslich zurück, wobei sie nochmals kopfschüttelnd ihre Mähne in Position brachte.

„Der Name passt“, antwortete David.

„Sarah?“, fragte sie keck. Langsam fand sie Gefallen an der Unterhaltung.

„Nein, ich meine natürlich den Nachnamen. Wir befinden uns über den Wolken, da finde ich den Namen Engel passend.“

„Darf ich Sie für diesen Wortwitz zu einem Drink einladen?“, fragte die Frau.

„Danke, vielleicht etwas später.“ Davids Backen wurden dicker und seine Gesichtsfarbe bekam einen dezenten Grünstich.

„Hat da wohl jemand Flugangst?“, feixte die Frau. „Aber ein Mann hat doch keine Angst!“

„Ich habe keine Angst“, zischte David. „Mir ist nur leicht übel!“

„Kein Angst“, die junge Frau konnte sich weitere Sticheleien einfach nicht verkneifen. „Sie wissen doch, runter kommen wir immer. Die Frage ist nur wie schnell!“

„Das ist wirklich sehr beruhigend“ sagte David und kramte vorsichtshalber einmal die „Notfalltüte“ aus der Rückenlehne des Vordermanns. Irgendwie hatte David das dumme Gefühl, sich gerade in erstklassiger Weise zum Kasper zu machen.

„Ich habe wirklich keine Angst vor dem Fliegen, sondern davor, dass sich mein Magen selbstständig machen könnte.“

Sein einziger Gedanke war, nicht nach unten sehen und ja nicht anfangen zu kotzen.

„Der ist nämlich sehr empfindlich und reagiert hypernervös.“

Sein Gesicht wurde immer grüner, die Hände verkrampften sich in den Armlehnen.

„Ja, klar“, antwortete die Frau. David spürte nicht nur den ironischen Unterton in ihrer Stimme, sondern auch ihren Blick auf seine verkrampften Hände, die nach wie vor die Armlehnen malträtierten.

„Nun ja“, druckste David, der erkennen musste, dass er sich aus dieser Sackgasse nicht mehr herauswinden konnte, „vielleicht habe ich doch leichte Flugangst.“

David ließ sich in den Sitz zurücksinken und blickte aus dem Fenster.

Ein verheerender Fehler!

Das Flugzeug hatte inzwischen Achttausendfünfhundert Meter erreicht und David, der alles andere als schwindelfrei war, konnte noch in letzter Sekunde die Papiertüte entfalten.

„Ja“, grinste Sarah schadenfroh, „ist nicht zu übersehen! Vielleicht sollten wir mit dem versprochenen Drink noch solange warten, bis ihr Magen einverstanden ist.“

David wäre am liebsten im Erdboden versunken, aber der lag ja nun mal knapp neuntausend Meter unter ihm. Die Stewardessen begannen unterdessen ihre Getränkewagen durch die Gänge zu schieben.

„Was kann ich ihnen anbieten?“, fragte eine der Stewardessen höflich.

„Mir bitte einen Kaffee und ihm eine neue Tüte!“, grinste Sarah, die es längst aufgegeben hatte, sich das Lachen zu verkneifen.

„Sehr witzig“, antwortete David leicht beleidigt, „aber das kommt gar nicht in die Tüte, ich nehme eine Cola, für meinen Magen.“

„Na gut“ entgegnete Sarah, „dann eben für ihn eine Cola und eine Tüte, für den Fall, dass die Cola doch in die Tüte kommt!“

Das Gesicht von David verfinsterte sich mehr und mehr.

Sarah spürte, dass sie offenbar etwas zu weit gegangen war.

 

„Nicht böse sein“, versuchte sie ihn zu beruhigen, „aber ich habe eine schlimme Zeit hinter mir. Der Urlaub sollte mich wieder auf positive Gedanken bringen. Aber das war leider nicht der Fall. Sie bringen mich zum Lachen, das hat die letzten zwei Jahre keiner geschafft. Darauf können sie sich was einbilden!“

Doch bevor David antworten konnte, wurde die Unterhaltung von der Durchsage des Piloten unterbrochen.

„Meine sehr geehrten Damen und Herren!“, klang es durch die Lautsprecher. „Wir haben vom Wetterdienst soeben eine Unwetterwarnung erhalten. Es ist daher in nächster Zeit mit stärkeren Turbulenzen zu rechnen. Bitte legen Sie die Sicherheitsgurte an.“

„Na, klasse!“, seufzte David. „Das kann ich jetzt gebrauchen wie Zahnschmerzen.“

Er legte klickend den Gurt an. Nur wenige Minuten später war es dann auch soweit und das Flugzeug wurde kräftig durchgeschüttelt.

„Ich fürchte, es geht gleich los“, stöhnte David und begann zu würgen.

„Da habe ich eine schlechte Nachricht für Sie!“, antwortete Sarah. „Ich brauche jetzt Ihre Tüte!“

Jetzt musste David lachen. „Ja, ja, für mich die Tüte bestellen und dann selber benutzen!“

„Seien Sie doch still“, prustete die Frau, „das ist fies! Lachen und Übergeben gleichzeitig geht nicht!“

Zwei Tüten später beruhigte sich das Wetter wieder und beide konnten erleichtert aufatmen.

„Wohnen Sie in München?“, fragte die junge Frau.

„Ich wohne, arbeite und lebe in München. Sie auch?“, entgegnete David.

„Ja, ich studiere Medizin. Ich hatte zwei Wochen Urlaub. Was arbeiten Sie?“, fragte die junge Frau weiter.

„Ich bin Privatdetektiv“, antwortete David.

„Klingt spannend. Waren Sie beruflich in Südafrika?“

„Nein, das war kein Auftrag. Ich hatte vier Wochen eine Art Ausbildung.“

David lehnte sich zurück und schloss die Augen.

Er dachte an die Zeit bei Häuptling Atu Wekesa zurück.

Der Stammesführer in Südafrika war der führende Lehrer für paranormale Phänomene. Er wusste alles über den Kampf gegen Dämonen. Außerdem beherrschte er die Heilung mit silberner Magie. David hatte vier Wochen bei dem Häuptling gelebt und sehr vieles gelernt. In seinem Gepäck befand sich ein kleiner Koffer, der mit verschiedenen Heilmitteln gefüllt war. David spürte, dass ihm noch einige Kämpfe gegen die schwarze Magie bevorstanden. Mit diesem Koffer und dank der intensiven Ausbildung durch Atu Wekesa, fühlte er sich für diesen Kampf gerüstet.

„Sie wirken so nachdenklich“, sagte die junge Frau neben ihm.

„Ich war vier Wochen weg und freue mich auf zu Hause. Besonders auf Louise“, antwortete der Privatdetektiv.

„Ist das ihre Freundin?“

„Ja, aber erst seit drei Monaten“, sagte David und schloss wieder seine Augen.

Seine Gedanken wanderten in der Zeit zurück.

Der Privatdetektiv hatte vor drei Monaten den Auftrag von Aurelius von Bartenstein, dem Vater von Louise, angenommen. Während der Lösung dieses Falles war die Mutter von Louise gestorben.

„Wie haben Sie ihre Freundin kennengelernt?“, fragte die junge Frau neben ihm neugierig.

„Eine gute Frage. Es war während einer schwierigen Ermittlung“, antwortete der Privatdetektiv.

Wieder schloss er seine Augen und überlegte, wann er sich in Louise verliebt hatte.

War es bei der ersten Begegnung im Garten ihrer Eltern gewesen?

Nein, es war später geschehen!

Er schickte seine Erinnerung zurück in die Vergangenheit:

Sie stand auf der anderen Seite des offenen Grabes. Die Beerdigung ihrer Mutter: Desiree von Bartenstein. Louise trug das Haar offen, ihre langen schwarzen Haare wehten um ihr Gesicht. Schwarz war ihre natürliche Haarfarbe, dass wusste er mittlerweile, denn ihr Schamhaar hatte die gleiche Farbe, wenn sie nass aus der Dusche kam.

Damals versuchte David dem Pfarrer zuzuhören, konnte aber seine Augen nicht von der jungen Frau abwenden. Sie hatte die Hände in den Taschen ihres grauen Mantels vergraben. Die Schultern waren hochgezogen und der Kopf gleichsam gesenkt. Sie sah zart und zerbrechlich aus. Er hielt diesen Anblick nicht aus und schloss für einen Moment die Augen.

Das Geräusch, als die Erde auf den Sargdeckel prasselte, ließ ihn wieder die Augen öffnen. In diesem Moment blickte ihn die zerbrechliche Louise an. Sie stand zwischen zwei Männern, rechts neben ihr Aurelius von Bartenstein, ihr Vater. Auf ihrer anderen Seite stand ihr älterer Bruder Henri. Ihre tränenverschleierten Augen blickten direkt in seine.

Er spürte, wie sein Herz für einen Augenblick aufhörte zu schlagen.

Genau in dieser Sekunde hatte er sich in Louise verliebt.

Am Grab ihrer Mutter!

„Sie sind plötzlich so nachdenklich“, sagte die junge Frau im Flugzeug neben ihm.

„Tut mir leid, ich hänge meinen Gedanken nach. Ich bin ein schlechter Gesellschafter“, antwortete er.

„Das macht nichts, Sie scheinen nicht bemerkt zu haben, dass wir uns im Anflug auf München befinden.“

David schaute erstaunt aus dem Fenster. Er sah die Lichter einer Stadt unter sich. Wie lange habe ich denn geträumt? dachte er verwundert.

Das Flugzeug senkte seine Höhe und setzte kurz darauf auf dem Münchner Flughafen Franz Josef Strauß im Erdinger Moos auf. Als das Flugzeug zum Stillstand gekommen war, flitzten auch schon die kleinen Autos mit den Treppen heran.

Kreidebleich und völlig entkräftet stieg David die Treppe hinab.

„Und, wie fanden Sie unseren Flug?“, fragte ihn Sarah.

„Ehrlich gesagt, zum Kotzen!“, erwiderte David und musste lachen.

Er war wieder zu Hause!

Gleich konnte er Louise in die Arme nehmen. Sie sehen, spüren, riechen und küssen. Sein Herz schlug schneller, er fühlte sich wie ein verliebter Teenager.

Wie die Ölsardinen in der Dose quetschte sich einer nach dem anderen in den bereits hoffnungslos überfüllten Bus. Der Busfahrer schloss gerade die Türen, als ein zweiter Shuttlebus vorfuhr.

„Wenn jetzt alle gleichzeitig einatmen, platzt der Bus!“, feixte Sarah.

David mochte ihren Humor. Gelassen betraten sie mit den anderen Passagieren, die noch übrig waren, den zweiten Bus, in dem ausreichend Sitzplätze zur Verfügung standen. Der Fahrer schloss die Türen und der Bus setzte sich brummend in Bewegung.

„Herzlich willkommen in München“, begrüßte der Fahrer seine Gäste.

Kurz darauf hatte der Bus das Flughafengebäude erreicht. David ging zielstrebend zur Gepäckausgabe, seine Augen suchten durch die Glasscheiben Louise. In den Menschenmassen konnte er sie aber nicht finden.

Wie Ameisen flitzten die Passagiere zum Förderband, schnappten sich irgendwelche Gepäckstücke und verschwanden wieder im Gewühl. Interessiert, aber teilnahmslos sah David dem ganzen Treiben zu.

Sarah hatte bereits ihre Koffer erhalten. Sie verabschiedete sich herzlich von David. Er gab ihr noch eine Visitenkarte für den Fall, dass sie einmal einen Privatdetektiv nötig hätte.

Kurz darauf konnte er seine Koffer vom Band nehmen und auf den Rollwagen stellen, den er sich organisiert hatte.

Dann verließ er die Zone der Gepäckausgabe durch eine breite Glastür. Nachdem er den Zollbereich passiert hatte, erreichte er die wartenden Angehörigen. Viele Menschen lagen sich bereits in den Armen.

David blickte sich um.

Seine Augen suchten nach Louise.

Vier lange Wochen hatte er sie nicht gesehen. Dann spürte er plötzlich, wo sie stand. Er drehte sich und sah sie an einer Wand gelehnt stehen. Sie trug ihr schwarzes Haar wieder offen. Ihre Augen strahlten, der Mund zeigte ein liebevolles Lächeln. Der Ausschnitt des grünen Poloshirts zeigte ihre makellose, gebräunte Haut. Louise ist schlank, mit 1,75 Metern Größe hatte sie Modelformat. Die langen Beine steckten in einer verwegen verwaschenen Jeans, die unten eng geschnitten war.

Sie blickte David in die Augen.

Er ging langsam auf sie zu. Sie schluckte.

Ihre Augen sagten zärtlich: Ich liebe dich!

Sie nahmen sich in die Arme und küssten sich. Es kam beiden so vor, als wären sie nie getrennt gewesen.

Sie sprachen kein einziges Wort ...

... keine stumme Geste,

... kein leiser Gedanke,

... nichts,

... nur grenzenloses Verstehen und die intime Nähe dieses Wiedersehens.

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