Der Malteser Falke

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Tom protestierte: »Ach, hör auf, Sam.«

Spade stellte sein Glas auf den Tisch, stand auf und musterte den Lieutenant.

»Was wollen Sie, Dundy?«, fragte er. Seine Stimme war ebenso hart und kalt wie sein Blick.

Lieutenant Dundys Augen hatten sich bewegt, um Spade im Blick zu behalten. Aber nur die Augen hatten sich bewegt.

Tom verlagerte erneut das Gewicht auf dem Sofa, schnaufte tief durch die Nase und brummte dann vorwurfsvoll: »Wir wollen keine Scherereien, Sam.«

Spade ignorierte ihn. Er fragte Dundy: »Was wollen Sie dann? Reden Sie Klartext. Für wen zum Teufel halten Sie sich, dass Sie hier aufkreuzen und versuchen, mich hochzunehmen?«

»Schon gut«, sagte Dundy mit gepresster Stimme. »Setzen Sie sich und hören Sie zu.«

»Ich setze mich oder bleibe stehen, wie es mir passt, verdammt noch mal«, sagte Spade, ohne sich zu rühren.

»Um Himmels willen, reg dich nicht auf«, flehte Tom. »Sollen wir uns etwa darüber streiten? Wenn du wissen willst, warum wir nicht Klartext reden, dann denk mal nach. Du warst es, der auf die Frage nach Thursby gesagt hat, das ginge mich mehr oder weniger nichts an. So kannst du mit uns nicht umspringen, Sam. Das ist nicht in Ordnung, und es bringt dich nirgendwohin. Wir müssen schließlich auch unsere Arbeit machen.«

Lieutenant Dundy sprang auf, stellte sich vor Spade und schob sein kantiges Gesicht dicht an das des größeren Mannes heran.

»Ich habe Sie gewarnt, dass Sie eines Tages zu weit gehen werden«, sagte er.

Spade verzog abschätzig den Mund und hob die Brauen. »Jeder geht mal zu weit«, gab er mit spöttischer Sanftmut zurück.

»Und diesmal sind Sie derjenige, welcher.«

Spade lächelte und schüttelte den Kopf. »Nein, nein, ich komme schon klar, besten Dank.« Das Lächeln verflog. Seine Oberlippe schob sich links über den oberen Eckzahn. Die Augen verengten sich zu feindseligen Schlitzen. Seine Stimme klang ebenso gepresst wie die des Lieutenants. »Mir gefällt das nicht. Was schnüffeln Sie hier herum? Sagen Sie’s oder schieben Sie ab, damit ich endlich ins Bett komme.«

»Wer ist Thursby?«, fragte Dundy.

»Ich habe Tom bereits gesagt, was ich über ihn weiß.«

»Sie haben Tom so gut wie nichts gesagt.«

»Ich weiß auch so gut wie nichts.«

»Warum haben Sie ihn beschattet?«

»Hab ich gar nicht. Miles hat ihn beschattet – aus dem einfachen Grund, weil unser Klient uns gutes amerikanisches Geld dafür bezahlt hat.«

»Wer ist dieser Klient?«

Spades Gesicht und seine Stimme nahmen wieder einen gelassenen Ausdruck an. Vorwurfsvoll sagte er: »Sie wissen, dass ich Ihnen das nicht sagen kann, bevor ich mit meinem Klienten darüber gesprochen habe.«

»Sie sagen es entweder mir oder dem Richter«, explodierte Dundy. »Es geht um Mord, vergessen Sie das nicht.«

»Vielleicht. Und hier ist was, das Sie nicht vergessen sollten, Freundchen. Ich sage was oder behalte es für mich, wie es mir verdammt noch mal passt! Es ist lange her, dass ich Tränen vergossen habe, weil mich ein Polizist nicht leiden kann.«

Tom stand vom Sofa auf und setzte sich auf das Fußende des Betts. Sein schlecht rasiertes, schmutziges Gesicht war müde und faltig.

»Sei doch vernünftig, Sam«, sagte er flehend. »Gib uns eine Chance. Wie sollen wir den Mord an Miles aufklären, wenn du uns nicht sagst, was du weißt?«

»Zerbrich dir darüber nicht den Kopf«, erklärte Spade ihm. »Ich beerdige meine Toten schon selbst.«

Lieutenant Dundy setzte sich und legte wieder die Hände auf die Knie. Seine Augen waren heiße grüne Scheiben.

»Hab ich mir gedacht«, sagte er und lächelte mit grimmiger Befriedigung. »Genau so schätzen wir Sie ein. Stimmt doch, Tom, oder?«

Tom stöhnte nur und sagte nichts.

Spade beobachtete Dundy misstrauisch.

»Genau das habe ich Tom gesagt«, fuhr der Lieutenant fort. »Tom, hab ich gesagt, ich glaube, Sam Spade ist einer von denen, die Familienprobleme innerhalb der Familie lösen. Genau das waren meine Worte.«

Das Misstrauen schwand aus Spades Blick. Seine Augen wirkten stumpf vor Langeweile. Er wandte sich Tom zu und fragte betont lässig: »Was hat er bloß, dein kleiner Freund?«

Dundy sprang auf und tippte Spade mit zwei gekrümmten Fingern auf die Brust.

»Das werde ich Ihnen sagen.« Er gab sich Mühe, jedes seiner Worte zu betonen, während er sie mit dem Tippen noch unterstrich: »Thursby wurde fünfunddreißig Minuten, nachdem Sie die Burritt Street verlassen hatten, vor seinem Hotel niedergeschossen.«

Spade gab sich ebenso große Mühe mit seiner Antwort: »Nehmen Sie Ihre verdammten Pfoten weg!«

Dundy zog die Hand zurück, doch an seiner Stimme änderte sich nichts: »Tom sagt, Sie hatten es dermaßen eilig, dass Sie nicht mal einen Blick auf die Leiche Ihres Kompagnons werfen wollten.«

»Verdammt, Sam, du bist einfach abgehauen«, brummte Tom entschuldigend.

»Und Sie sind auch nicht zu Archer nach Hause gefahren, um es seiner Frau zu erzählen«, fuhr der Lieutenant fort. »Wir haben sie angerufen. Ihre Sekretärin war da und sagte, Sie hätten sie hingeschickt.«

Spade nickte. Sein Gesicht wirkte beinahe naiv in seiner Gelassenheit.

Lieutenant Dundy hob erneut zwei Finger vor Spades Brust, doch dann senkte er sie rasch wieder: »Nehmen wir an, Sie haben zehn Minuten gebraucht, um Ihre Sekretärin anzurufen und mit ihr zu reden. Weitere zehn Minuten, um bis zu Thursbys Unterkunft zu laufen – Ecke Geary Street und Leavenworth –, das schafft man mit Leichtigkeit, dauert maximal fünfzehn Minuten. Und damit hatten Sie noch zehn bis fünfzehn Minuten Zeit, um zu warten, bis er dort aufkreuzte.«

»Ich wusste also, wo er wohnt?«, fragte Spade. »Und auch, dass er nach dem Mord an Miles nicht geradewegs nach Hause gegangen ist?«

»Sie wussten, was Sie wussten«, entgegnete Dundy stur. »Wann waren Sie wieder zu Hause?«

»Zwanzig vor vier. Ich bin noch eine Weile rumgelaufen und habe nachgedacht.«

Der runde Kopf des Lieutenants bewegte sich auf und ab. »Wir wussten, dass Sie um halb vier nicht zu Hause waren. Wir haben versucht, Sie zu erreichen. Wo genau sind Sie rumgelaufen?«

»Ein Stück die Bush Street rauf und wieder zurück.«

»Sind Sie jemandem begegnet, der …«

»Nein, keine Zeugen«, sagte Spade und lachte gutmütig. »Setzen Sie sich, Dundy. Sie haben noch nicht ausgetrunken. Gib mir dein Glas, Tom.«

Tom sagte: »Nein, danke, Sam.«

Dundy setzte sich, schenkte aber seinem Rum keine Beachtung.

Spade goss sich nach, trank und stellte das leere Glas auf den Tisch, dann setzte er sich wieder auf die Bettkante.

»Ich weiß jetzt, woran ich bin«, sagte er und ließ seinen freundlichen Blick von einem Polizisten zum anderen schweifen. »Tut mir leid, dass ich auf die Barrikaden gegangen bin, aber es hat mich nervös gemacht, dass ihr beide hier auftaucht und versucht, mir Daumenschrauben anzulegen. Dass man Miles umgelegt hat, macht mir schon genug zu schaffen, und dann taucht ihr beiden Vögel auf und setzt noch einen drauf. Aber das ist in Ordnung, wenigstens weiß ich jetzt, warum.«

Tom sagte: »Schon gut.«

Der Lieutenant sagte nichts.

Spade sagte: »Ist Thursby tot?«

Als der Lieutenant zögerte, sagte Tom: »Ja.«

Schließlich sagte der Lieutenant wütend: »Nur damit Sie es wissen – falls Sie es noch nicht wissen –, er war tot, ehe er irgendwas ausplaudern konnte.«

Spade war dabei, sich eine Zigarette zu drehen. Ohne aufzusehen, fragte er: »Was meinen Sie damit? Glauben Sie etwa, ich hätte es gewusst?«

»Ich meine genau das, was ich gesagt habe«, antwortete Dundy grob.

Spade sah lächelnd zu ihm auf, die fertige Zigarette in einer, das Feuerzeug in der anderen Hand. »Sie können mich nur noch nicht festnageln, oder, Dundy?«

Dundy musterte Spade mit seinen harten grünen Augen und gab keine Antwort.

»In diesem Fall gibt es auch keinen Grund, warum ich mir den Kopf darüber zerbrechen soll, was Sie denken, stimmt’s, Dundy?«

Tom sagte: »Sei doch vernünftig, Sam.«

Spade steckte die Zigarette in den Mund, zündete sie an und stieß lachend eine Rauchwolke aus.

»Ich werde vernünftig sein, Tom«, versprach er. »Wie habe ich diesen Thursby noch mal umgelegt? Ich hab’s schon wieder vergessen.«

Tom grunzte ärgerlich. Lieutenant Dundy sagte: »Ihm wurde viermal in den Rücken geschossen, mit einer Vierundvierziger oder Fünfundvierziger, von der gegenüberliegenden Straßenseite aus, gerade, als er das Hotel betreten wollte. Gesehen hat es keiner, aber so muss es gewesen sein.«

»Er hatte eine Luger im Schulterholster«, ergänzte Tom. »Sie ist nicht abgefeuert worden.«

»Was wissen die Leute im Hotel über ihn?«

»Nichts, außer dass er seit einer Woche dort gewohnt hat.«

»Allein?«

»Allein.«

»Was habt ihr bei ihm gefunden oder in seinem Zimmer?«

Dundy kaute auf seiner Unterlippe und fragte: »Was hätten wir denn finden sollen?«

Spade beschrieb einen vagen Kreis mit seiner selbst gedrehten Zigarette. »Irgendwas, das euch verraten hätte, wer er war, was er vorhatte. Was gefunden?«

»Wir sind davon ausgegangen, dass Sie uns das verraten könnten.«

Spades gelb-graue Augen musterten den Lieutenant mit einem fast übertrieben unschuldigen Blick. »Ich bin Thursby nie begegnet, weder tot noch lebendig.«

Lieutenant Dundy stand auf. Er wirkte unzufrieden. Tom erhob sich ebenfalls, gähnte und streckte sich.

»Wir haben gefragt, was wir fragen mussten«, sagte Dundy und runzelte die Stirn über Augen, die hart wie grüne Kiesel waren. Er presste die bärtige Oberlippe fest an die Zähne, sodass nur die Unterlippe die Worte formte. »Wir haben Ihnen mehr erzählt als Sie uns. Das ist okay. Sie kennen mich, Spade. Egal, was Sie getan oder nicht getan haben, von mir können Sie immer eine anständige Behandlung erwarten, mehr als von irgendwem sonst. Ich könnte Sie vielleicht sogar verstehen – aber das würde mich nicht dran hindern, Sie festzunehmen.«

 

»Geht in Ordnung«, gab Spade gelassen zurück. »Aber ich würde mich wohler fühlen, wenn Sie Ihr Glas austrinken.«

Lieutenant Dundy nahm sein Glas vom Tisch und leerte es langsam. Dann sagte er: »Gute Nacht«, und streckte die Hand aus. Sie schüttelten sich sehr förmlich die Hände. Dann schüttelten Tom und Spade sich auch sehr förmlich die Hände. Spade brachte sie zur Tür. Er zog sich aus, löschte das Licht und ging zu Bett.

Kapitel III Drei Frauen

Als Spade am folgenden Morgen um zehn in seinem Büro erschien, saß Effie Perine an ihrem Schreibtisch und öffnete gerade die Vormittagspost. Das sonst so strahlende Gesicht unter der sonnengebräunten Haut war blass. Sie legte den Stoß Umschläge und den Brieföffner aus Messing aus der Hand und sagte: »Sie ist da drin.« Ihr Ton war ein warnendes Flüstern.

»Ich hab dir doch gesagt, sie soll nicht herkommen«, beklagte sich Spade. Auch er hatte die Stimme gesenkt.

Effie Perine riss die braunen Augen auf und antwortete ebenso gereizt wie er: »Ja, aber du hast mir nicht gesagt, wie ich das anstellen soll.« Sie kniff ein wenig die Augen zusammen und ließ die Schultern hängen. »Sei nicht sauer, Sam«, sagte sie müde. »Ich hatte sie die ganze Nacht am Hals.«

Spade trat neben sie, legte ihr die Hand aufs Haar und strich ihr über den Scheitel. »Tut mir leid, mein Engel, ich wollte nicht …« Als sich die Tür zu seinem Büro öffnete, brach er ab. »Hallo, Iva«, begrüßte er die Frau, die sie geöffnet hatte.

»Ach, Sam!«

Sie war blond, Anfang dreißig. Ihr hübsches Gesicht hatte seine beste Zeit um zirka fünf Jahre überschritten. Trotz ihrer Robustheit hatte sie eine ausnehmend gute Figur. Sie trug von Kopf bis Fuß Schwarz, aber ihre Trauerkleidung machte einen etwas improvisierten Eindruck. Nach ihrer Begrüßung trat sie einen Schritt zurück und wartete.

Spade nahm die Hand vom Kopf der jungen Frau, betrat sein Büro und schloss die Tür hinter sich. Iva trat rasch neben ihn und reckte ihm ihr unglückliches Gesicht zu einem Kuss entgegen. Sie hatte die Arme um ihn geschlungen, noch ehe er sie an sich ziehen konnte. Nach einem langen Kuss wollte er sich wieder von ihr lösen, doch sie presste ihm das Gesicht an die Brust und schluchzte.

Er strich ihr über den Rücken. »Mein armer Liebling.« Seine Stimme war zärtlich, sein aufgebrachter Blick aber wanderte zu dem Schreibtisch, der seinem Kompagnon gehört hatte. Er bleckte ungeduldig die Zähne und drehte das Kinn zur Seite, um ihrem Hut auszuweichen. »Hast du Miles’ Bruder benachrichtigt?«

»Ja, er war heute Morgen da.« Die Worte wurden von ihrem Schluchzen und seinem Sakko erstickt.

Erneut verzog er das Gesicht und warf einen verstohlenen Blick auf seine Armbanduhr. Er umschlang Iva mit dem linken Arm, die Hand ruhte auf ihrer linken Schulter. Die Manschette war so weit hochgerutscht, dass die Uhr frei lag. Zehn nach zehn.

Iva regte sich in seinen Armen und hob erneut das Gesicht. Ihre runden blauen Augen schwammen in Tränen und waren von weißen Ringen umgeben, der Mund schimmerte feucht.

»Ach, Sam«, stöhnte sie. »Hast du ihn erschossen?«

Spade fiel die Kinnlade herunter. Seine Augen traten hervor. Er ließ sie los und wich einen Schritt zurück. Mit finsterem Blick räusperte er sich.

Sie hielt noch immer die Arme erhoben, aus denen er sich gelöst hatte. Angst trübte ihren Blick, die Augen waren halb geschlossen, die Brauen eng zusammengezogen. Ihre feuchten, roten Lippen bebten.

Spade stieß lachend eine einzelne Silbe aus: »Ha!« Dann trat er zum Fenster. Dort stand er mit dem Rücken zu ihr und blickte durch den Vorhang in den Hof, bis sie ein paar Schritte auf ihn zumachte. Rasch wandte er sich ab und setzte sich an seinen Schreibtisch. Er stützte die Ellbogen auf, legte das Kinn auf die Fäuste und betrachtete sie. Die gelblichen Augen funkelten zwischen zusammengekniffenen Lidern.

»Wer hat dir diese grandiose Idee in den Kopf gesetzt?«, fragte er eisig.

»Ich dachte …« Ihre Hand flog zum Mund, und erneut stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie kam zu ihm zum Schreibtisch – leichtfüßig und sicher in schwarzen, unglaublich hohen, unglaublich kleinen Pumps. »Sei nett zu mir, Sam«, sagte sie unterwürfig.

Er lachte ihr ins Gesicht – seine Augen funkelten noch immer. »Du hast meinen Mann erschossen, Sam, aber bitte sei nett zu mir.« Er klatschte in die Hände. »Herr im Himmel!«

Daraufhin schluchzte sie laut auf und presste sich ein weißes Taschentuch ans Gesicht.

Er stand auf und stellte sich hinter sie. Er legte die Arme um sie und küsste ihren Hals zwischen Ohr und Mantelkragen. »Schon gut, Iva, nicht weinen.« Sein Gesicht war ausdruckslos. Als das Schluchzen verebbte, berührten seine Lippen ihr Ohr. »Du hättest heute nicht herkommen dürfen, Liebling«, murmelte er. »Es war nicht klug. Du darfst nicht lange bleiben. Fahr lieber wieder nach Hause.«

Sie drehte sich in seinen Armen um, sah ihn an und fragte: »Kommst du heute Abend vorbei?«

Sanft schüttelte er den Kopf. »Heute nicht.«

»Aber bald?«

»Ja.«

»Wie bald?«

»Sobald ich kann.«

Er küsste sie auf den Mund, führte sie zur Tür, sagte »Wiedersehen, Iva«, schob sie mit einer Verbeugung hinaus, schloss die Tür und kehrte an seinen Schreibtisch zurück.

Er nahm Tabak und Zigarettenpapier aus der Westentasche, doch er drehte sich keine Zigarette. Er saß da, den Tabak in der einen, die Blättchen in der anderen Hand, und betrachtete nachdenklich den Schreibtisch seines toten Kompagnons.

Effie Perine öffnete die Tür und kam herein. Ihre braunen Augen wirkten beunruhigt, doch ihre Stimme war arglos. Sie fragte: »Und?«

Spade antwortete nicht. Sein nachdenklicher Blick ruhte noch immer auf dem Schreibtisch seines Kompagnons.

Die junge Frau runzelte die Stirn und kam zu ihm. »Und?«, wiederholte sie etwas lauter. »Wie bist du mit der Witwe verblieben?«

»Sie glaubt, ich hätte Miles erschossen«, sagte er. Nur seine Lippen bewegten sich.

»Damit du sie heiraten kannst?«

Darauf gab Spade keine Antwort.

Die junge Frau griff nach dem Hut auf seinem Kopf und legte ihn auf den Schreibtisch. Dann beugte sie sich vor und nahm ihm Tabak und Zigarettenpapier aus den reglosen Fingern.

»Die Polizei glaubt, ich hätte Thursby erschossen«, sagte er.

»Wer ist das?«, fragte sie, zog ein Blättchen aus der Packung und bröselte Tabak hinein.

»Und du? Wen habe ich deiner Meinung nach erschossen?«

Als sie nicht antwortete, sagte er: »Thursby ist der Mann, den Miles für die kleine Wonderly beschatten sollte.«

Ihre schlanken Finger drehten die Zigarette zu Ende. Dann leckte sie über den Rand, strich sie glatt, zwirbelte sie auf einer Seite zusammen und steckte sie Spade in den Mund. Er sagte: »Danke, Schätzchen«, legte einen Arm um ihre schmale Taille, lehnte die Wange müde an ihre Hüfte und schloss die Augen.

»Wirst du Iva jetzt heiraten?«, fragte sie und sah hinab auf sein dunkelblondes Haar.

»Sei nicht albern«, brummte er. Die nicht angezündete Zigarette wippte mit jeder Bewegung seiner Lippen auf und ab.

»Sie findet das gar nicht albern. Wie sollte sie auch – so wie du es mit ihr getrieben hast.«

Er seufzte. »Ich wünschte bei Gott, ich wäre ihr nie begegnet.«

»Jetzt vielleicht.« Ein Hauch von Boshaftigkeit schwang in der Stimme der jungen Frau mit. »Aber es gab auch andere Zeiten.«

»Ich weiß einfach nicht, wie ich mit Frauen reden oder umgehen soll, außer auf diese Art«, brummte er. »Außerdem konnte ich Miles nicht leiden.«

»Das stimmt nicht, Sam«, antwortete sie. »Du weißt, dass ich sie für eine blöde Kuh halte, aber ich wäre liebend gern eine Kuh, wenn ich dafür eine Figur wie sie haben könnte.«

Spade rieb ungeduldig das Gesicht an ihrer Hüfte, sagte aber nichts.

Effie Perine biss sich auf die Lippen, runzelte die Stirn und beugte sich hinunter, um sein Gesicht besser sehen zu können. »Hältst du es für denkbar, dass sie ihn umgelegt hat?«

Spade setzte sich kerzengerade auf und nahm den Arm von ihrer Taille. Er lächelte sie an. In seinem Ausdruck zeigte sich nichts weiter als Belustigung. Er ließ sein Feuerzeug aufschnappen und hielt die Flamme an das Ende seiner Zigarette. »Du bist ein Engel«, sagte er zärtlich durch den Rauch, »ein reizender Engel mit einem Spatzenhirn.«

Sie lächelte schief. »Ach ja? Nehmen wir mal an, deine Iva wäre noch nicht sehr lange zu Hause gewesen, als ich um drei Uhr bei ihr aufgekreuzt bin, um die Trauerbotschaft zu überbringen.«

»Sehr interessant!« Seine Augen waren wachsam geworden, doch er lächelte noch immer.

»Sie hat mich draußen warten lassen, bis sie sich ausgezogen oder zu Ende ausgezogen hatte. Ich hab gesehen, dass sie ihre Kleider auf einen Stuhl geworfen hatte. Hut und Mantel lagen zuunterst. Ihre Unterwäsche ganz oben war noch warm. Sie hat behauptet, sie hätte geschlafen, aber das stimmte nicht. Das Bett war zerwühlt, aber es war nicht vom Liegen zerdrückt.«

Spade ergriff ihre Hand und tätschelte sie. »Du bist eine echte Spürnase, mein Schatz, aber« – er schüttelte den Kopf – »sie hat ihn nicht umgebracht.«

Effie Perine zog mit einem Ruck ihre Hand zurück. »Diese blöde Kuh will dich heiraten, Sam«, sagte sie verbittert.

Er machte eine ungeduldige Geste mit dem Kopf.

Sie musterte ihn stirnrunzelnd und fragte: »Hast du dich heute Nacht mit ihr getroffen?«

»Nein.«

»Ehrenwort?«

»Ehrenwort. Fang nicht an wie Dundy, Schätzchen. Das passt nicht zu dir.«

»Hat Dundy es auf dich abgesehen?«

»Hm-mh. Er und Tom Polhaus sind um vier Uhr nachts auf einen Drink vorbeigekommen.«

»Und sie glauben wirklich, du hast diesen Typen erschossen – wie hieß er noch gleich?«

»Thursby.« Er ließ das, was von der Zigarette noch übrig war, in den Messingaschenbecher fallen, und fing an, sich eine neue zu drehen.

»Glauben sie es?«, wiederholte sie.

»Weiß der Teufel.« Sein Blick ruhte auf dem mit Tabak gefüllten Blättchen zwischen seinen Fingern. »Den Verdacht hatten sie wohl. Ich weiß nicht, wie weit ich es ihnen ausreden konnte.«

»Sieh mich an, Sam.«

Er sah sie an und lachte, sodass sich die Angst in ihrem Gesicht einen Augenblick lang mit Heiterkeit mischte.

»Ich mache mir Sorgen um dich«, sagte sie, und noch während sie sprach, wurde ihr Gesicht wieder ernst. »Du bildest dir ein, zu wissen, was du tust, aber manchmal bist du schlauer, als gut für dich ist, und eines Tages wirst du die Quittung dafür kriegen.«

Er seufzte spöttisch und rieb seine Wange an ihrem Arm. »Dasselbe sagt Dundy auch, aber solange du mir Iva vom Hals hältst, Schätzchen, werde ich den Rest meiner Probleme schon überleben.« Er erhob sich und setzte den Hut auf. »Lass das Spade & Archer an der Tür entfernen und durch Samuel Spade ersetzen. In einer Stunde bin ich zurück oder ruf dich an.«

Spade ging durch die lange, in Violett gehaltene Lobby des St.-Mark-Hotels bis zum Empfangsschalter und fragte einen rothaarigen Dandy, ob Miss Wonderly zu sprechen sei. Der Dandy wandte sich kurz ab, dann wieder zu ihm zurück und schüttelte den Kopf. »Sie ist heute Morgen abgereist, Mr. Spade.«

»Vielen Dank.«

Spade ging an dem Schalter vorbei bis zu einem Hinterzimmer, in dem ein untersetzter, noch halbwegs junger Mann im dunklen Anzug an einem Mahagoni-Schreibtisch saß. Auf dem Schreibtisch befand sich ein dreieckiges Mahagonischild mit einer Messingaufschrift: Mr. Freed.

Der Mann stand auf, kam um den Schreibtisch herum und streckte Spade die Hand entgegen.

»Tut mir schrecklich leid, die Sache mit Archer, Spade«, sagte er im Ton eines Mannes, der darin geübt ist, zuvorkommend und unaufdringlich Mitgefühl zu zeigen. »Hab es gerade im Call gelesen. Und gestern Abend war er noch hier.«

»Danke, Freed. Haben Sie mit ihm gesprochen?«

»Nein. Er saß in der Lobby, als ich am frühen Abend reinkam. Ich bin nicht bei ihm stehen geblieben. Ich dachte, dass er wahrscheinlich zu tun hatte, und ich weiß, dass Leute wie Sie lieber ihre Ruhe haben, wenn sie beschäftigt sind. Hat die Sache zu tun mit seinem …«

 

»Ich glaube nicht, aber wir wissen es noch nicht. Auf alle Fälle werden wir das Hotel nicht in die Sache reinziehen, wenn wir es verhindern können.«

»Danke.«

»Schon gut. Können Sie mir ein paar Informationen zu einem Ex-Gast geben und wieder vergessen, dass ich gefragt habe?«

»Aber sicher.«

»Heute Morgen hat eine gewisse Miss Wonderly ihre Rechnung bezahlt und ist abgereist. Ich würde gern mehr über sie wissen.«

»Kommen Sie mit«, sagte Freed. »Mal sehen, was wir in Erfahrung bringen können.«

Spade blieb stehen und schüttelte den Kopf. »Ich möchte lieber im Hintergrund bleiben.«

Freed nickte und verließ das Hinterzimmer. In der Lobby machte er plötzlich kehrt und kam noch einmal zu Spade zurück.

»Harriman war der Hausdetektiv, der gestern Abend Dienst hatte«, sagte er. »Er hat Archer bestimmt gesehen. Soll ich ihn anweisen, es nicht zu erwähnen?«

Spade sah Freed aus den Augenwinkeln an. »Besser nicht. Es spielt keine Rolle, solange es nicht mit dieser Miss Wonderly in Verbindung gebracht wird. Harriman ist in Ordnung, aber er redet zu viel, und mir wäre es lieber, wenn er gar nicht erst auf die Idee kommt, dass es was zu verbergen gibt.«

Freed nickte und verschwand erneut. Nach einer Viertelstunde kam er wieder.

»Sie ist letzten Dienstag hier eingetroffen, laut Gästebuch aus New York. Sie hatte keinen Koffer, nur ein paar Reisetaschen. Anrufe aus ihrem Zimmer wurden nicht verzeichnet, und viel Post scheint sie auch nicht erhalten zu haben, wenn überhaupt. Der einzige Mensch, in dessen Gesellschaft man sie gesehen hat, war ein hochgewachsener Mann von etwa Mitte dreißig. Heute Morgen um halb zehn verließ sie das Hotel, kam eine Stunde später zurück, bezahlte ihre Rechnung und ließ ihr Gepäck zu einem Wagen bringen. Der Page, der ihre Reisetaschen getragen hat, sagte, es sei ein Nash-Tourenwagen gewesen, wahrscheinlich gemietet. Sie hat auch eine Nachsendeanschrift hinterlegt – das Hotel Ambassador in Los Angeles.«

Spade sagte: »Vielen Dank, Freed«, und verließ das St. Mark.

Als Spade in sein Büro zurückkam, hörte Effie Perine auf, ihren Brief zu tippen, und sagte: »Dein Freund Dundy war hier. Er wollte sich deine Waffen ansehen.«

»Und?«

»Ich habe gesagt, er soll wiederkommen, wenn du da bist.«

»Gut gemacht. Wenn er wiederkommt, zeig sie ihm ruhig.«

»Außerdem hat Miss Wonderly angerufen.«

»Wurde auch Zeit. Was hat sie gesagt?«

»Sie möchte dich sprechen.« Die junge Frau nahm einen Zettel von ihrem Schreibtisch und las die Notiz, die sie mit Bleistift notiert hatte. »Sie ist im Coronet, California Street, Apartment 1001. Du sollst nach Miss Leblanc fragen.«

Spade sagte: »Gib mal her«, und streckte die Hand aus. Als sie ihm den Zettel reichte, hielt er das brennende Feuerzeug an das Papier, bis es sich krümmte und zu schwarzer Asche wurde, die er auf den Linoleumboden fallen ließ und mit der Schuhsohle zerdrückte.

Die junge Frau verfolgte es mit vorwurfsvollen Blicken.

Er grinste sie an, sagte: »So ist es nun mal, mein Engel«, und ging wieder hinaus.