Handbuch der Interpersonellen Neurobiologie

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Das Gehirn in der Handfläche

Worum geht es?

Das Gehirn in der Handfläche* ist eine Formulierung, die sich auf das Handmodell des Gehirns* bezieht, das wir in der Interpersonellen Neurobiologie nutzen, um ein, nun ja, handliches Modell zu haben, mit dem wir jederzeit die Anatomie der wichtigsten Regionen des Gehirns* erklären können (s. Abb. D-3). Durch diese Art, sich das Gehirn zu vergegenwärtigen, können Menschen darin bestärkt werden, in ihrem Leben Veränderungen mit mehr Effektivität und Selbst-Mitgefühl* voranzutreiben. Daher hat sich das Handmodell in vielen unterschiedlichen Bereichen als hilfreich erwiesen, beispielsweise für Eltern, in der Pädagogik, bei der Leitung von Organisationen und in der Psychotherapie.

Um das Handmodell herzustellen, legen wir den Daumen in die Handfläche, umschließen mit den Fingern den Daumen und machen so eine Faust. Die Knöchel, die nun auf unser Gesicht weisen, stehen für den Bereich hinter der Stirn und die Rückseite der Hand symbolisiert das neuronale Gebiet im hinteren Kopfbereich. Das Handgelenk repräsentiert das Rückenmark, das den Energie- und Informationsfluss* zwischen den neuronalen Strukturen im Schädel und dem restlichen Körper gewährleistet. Wenn Sie nun Ihre Finger und dann Ihren Daumen heben, dann sehen Sie die Handfläche oder den Hirnstamm*. Dies ist der tiefste (und älteste) Teil des Gehirns. Wenn Sie den Daumen wieder herunterbewegen, dann steht er für den limbischen* Bereich, zumindest auf einer Seite (die limbische Region und der Cortex* darüber sind in eine linke und rechte Seite aufgeteilt). Wenn Sie Ihre Finger wieder über den Daumen legen, dann sehen Sie, dass der Cortex, der anatomisch oberste (und neueste) Teil des Gehirns, die unteren subkortikalen* Regionen des limbischen Systems und des Hirnstamms umschließt.

Es ist hilfreich, etwas über die Anatomie des Gehirns und seine Funktion zu wissen, denn wenn wir „sehen“, wie diese Strukturen und Prozesse* sich differenzieren*, können wir sie spezifischer miteinander verknüpfen* (s. Abb. D-1 und D-2). Sie fragen sich vielleicht, wie das vor sich gehen soll? Der Weg, um spezifische Regionen des Gehirns zu aktivieren und sie miteinander zu verknüpfen, ist das Fokussieren der Aufmerksamkeit*. Wenn wir herausfinden wollen, ob die Behauptung, dass etwas nützlich ist, zutrifft, ist der beste Weg, es von innen heraus zu erfahren. Das Handmodell des Gehirns ist ein Paradebeispiel dafür. Manch einer wird anfangs sicher daran zweifeln, ob es so hilfreich ist, dass jeder etwas über das Gehirn weiß – und einige lehnen es womöglich vollkommen ab. Aber wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass dieses Wissen über das Gehirn Menschen in einer ganzen Reihe von Bereichen unterstützen kann, nehmen meist Enthusiasmus und Neugier den Platz des anfänglichen Zögerns ein. In der Tat ist es anfangs ungewohnt, darüber nachzudenken, wie das Gehirn unser subjektives und interpersonelles Leben beeinflusst. Aber dieser Ansatz wird zu einer praktischen Möglichkeit, mehr über uns selbst und andere zu erfahren.

Implikationen: Was bedeutet das Gehirn in der Handfläche für unser Leben?

Weil wir über das Wissen über die Teile des Gehirns verfügen, können wir unsere Aufmerksamkeit auf spezifische Regionen lenken, um ihre Funktionsweise zu differenzieren und ihre Verknüpfung zu fördern. Das Handmodell macht die wichtigsten Bereiche sichtbar und zeigt beispielsweise, wie die präfrontale* Region den Cortex, den limbischen Bereich, den Hirnstamm, den Körper und selbst die neuronalen Signale von anderen Menschen miteinander verknüpft.

Der Körper als Ganzes sendet verschiedene Signale aus den Muskeln, Knochen und inneren Organen, wie den Bauchorganen und dem Herzen, aufwärts durch das Rückenmark (das vom Handgelenk symbolisiert wird) und den Vagusnerv (der zehnte Hirnnerv, der direkt vom Körper zum Hirnstamm führt) und schließlich in den präfrontalen Cortex (der durch die Fingerspitzen repräsentiert wird). Diese nicht-rationalen Quellen von Information* beeinflussen in bedeutsamer Weise unser Denken. Sie können als „Weisheit* des Körpers“ bezeichnet werden und spielen bei allen Entscheidungsfindungen eine wichtige Rolle. Das Herz und der Bauch sind Teil dieses Prozesses, deshalb kennen wir Aussagen wie: „Mein Herz sagt mir …“ oder „Mein Bauchgefühl“. Diese Aussagen können wir als präfrontale Integration* körperlicher Daten in einer integrierten Lebensweise verstehen. Hierbei zeigen sich das „Herz-Gehirn“ und das „Bauch-Gehirn“. Solche Informationen des Körpers werden in der integrativen mittleren präfrontalen* Region registriert. Dadurch interagieren diese Informationen mit anderen kortikalen Prozessen, einschließlich Empathie*, Einsicht* und Moral*.

Der Hirnstamm (der von der Handfläche repräsentiert wird) ist eine alte Region, die Ansammlungen von Zellen enthält, die als Nuclei bezeichnet werden und eine Rolle bei der Regulation* grundlegender Körperfunktionen wie Atmung und Herzschlag spielen. Im Hirnstamm ist auch der Nucleus lokalisiert, der unsere Überlebensreaktionen von Kampf, Flucht oder Erstarrung vermittelt, die aktiviert werden, wenn wir in Gefahr sind. Als ein grundlegendes und altes neuronales Netz* wird der Hirnstamm manchmal auch als Reptilienhirn bezeichnet, das (evolutionär) über dreihundert Millionen Jahre alt ist.

Der limbische Bereich (der durch den Daumen symbolisiert wird) ist eine etwas neuere, zweihundert Millionen Jahre alte Region, die sich entwickelte, als wir zu Säugetieren wurden. Zu diesem Gebiet gehören die Amygdala* und der Hippocampus*. Dieser Bereich des Gehirns wirkt bei der Steuerung von mindestens fünf wichtigen Funktionen mit: Zusammen mit dem Hirnstamm und dem Körper als Ganzes spielt das limbische System eine Rolle bei der Bildung von Emotionen*. Gemeinsam mit dem Hirnstamm trägt der limbische Bereich zu Schaffung von Motivations-Zuständen* bei, die uns dazu antreiben, Neues zu erforschen, uns mit anderen zu verbinden, uns fortzupflanzen und unsere Ressourcen zu regulieren. Zudem bewertet dieser Bereich des Gehirns den Wert und die Bedeutung* von Erfahrungen und richtet unsere Aufmerksamkeit auf Dinge in unserem Leben, die für uns wichtig sind. Der limbische Bereich differenziert auch verschiedene Aspekte der Codierung* von Erinnerungen* und ist einer der Teile, die unseres Drang nach Bindungen* und Beziehungen* hervorruft – was auch dazu führt, dass wir bei anderen, die sich um uns sorgen, Trost suchen.

Der Cortex (der von den Fingern symbolisiert wird, die über dem Daumen und der Handfläche liegen) ist auch als Neocortex oder zerebraler Cortex bekannt. Er entwickelte sich in neuerer Zeit, während unserer Geschichte als Säugetiere, und besteht im Allgemeinen aus sechs Schichten. Der Cortex bildet neuronale Karten* die eine große Bandbreite an Dingen repräsentieren. Eine neuronale Karte ist die Art und Weise, wie eine Ansammlung von Neuronen* in einem Muster aktiviert wird, das etwas symbolisiert, das wir als neuronale Repräsentation* bezeichnen. Das kann eine neuronale Repräsentation oder ein Symbol für etwas anderes, als die neuronale Aktivierung* selbst, sein. So wird der elektrochemische Fluss* der Energie* der neuronalen Aktivierung zu Information – etwas, das etwas anderes als sich selbst symbolisiert.

Als eine erste Möglichkeit, um diese kortikalen Karten zu verstehen, können wir uns den Cortex auf eine stark vereinfachte Weise vorstellen (natürlich dient das nur zur ersten Orientierung): Die Rückseite des Gehirns – an der Rückseite Ihres Handmodells – bildet im Allgemeinen die Karten der äußeren Welt. Wenn wir uns im Cortex weiter nach vorn bewegen – in unserem Modell zu den Knöcheln –, kommen wir an eine Stelle, wo wir Karten unserer Haut bilden (und Berührung registrieren). Dort, wo wir den Frontallappen (Stirnlappen) erreichen, bilden wir Karten des Verhaltens und Handelns in der äußeren Welt (dies ist unser motorisches und prämotorisches/planendes frontales Gebiet). Wenn wir den vordersten Teil des Stirnlappens erreichen, der als „präfrontaler Cortex“ bezeichnet wird, sind wir bei dem Bereich angekommen, der Karten von Entitäten bildet, die weit entfernt von unserer konkreten physischen Welt sind.

Der Stirnlappen ist dort, wo die zweiten Fingerknöchel beginnen und reicht bis zur Region der Fingernägel. Der Bereich von den letzten Fingerknöcheln bis hin zu den Fingernägeln steht für den präfrontalen Cortex. Hier im präfrontalen Bereich können wir Karten der zeitlichen Abfolge bilden und die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verbinden. Das wird auch als mentale Zeitreisen bezeichnet. Diese Fähigkeit ermöglicht es uns, zu planen und uns Sorgen zu machen. Im prospektiven Gedächtnis zeichnen wir Karten der Zukunft, die auf dem basieren, was in der Vergangenheit geschehen ist. Diese Karten beeinflussen, wie wir die fortwährende Erfahrung im Hier und Jetzt wahrnehmen. Wir können auch Karten unseres eigenen Geistes* und des Geistes anderer bilden. Diese Abbildungen können wir als Mindsight-Karten* bezeichnen, weil sie es uns ermöglichen, den Geist selbst als Geist zu sehen, nicht nur als Gedanken, Gefühle und Erinnerungen. Wir sehen diese mentalen Aktivitäten* als mentale Aktivitäten und erkennen, dass sie eine innere Quelle für persönliche Erfahrung sind – für uns selbst und für andere. Das ist die Kraft von Mindsight*. Diese Region ist auch an der Bildung von Karten der Moral beteiligt – wodurch wir in der Lage sind, moralische Vorstellungskraft zu entwickeln, moralische Überlegungen anzustellen und moralisch zu handeln. Wir können hier auch von Mindsight-Karten des „Wir“ sprechen – zusätzlich zu der Fähigkeit, Mindsight-Karten des „Du“ (für Empathie) und des „Ich“ (für Einsicht) zu bilden. Alle diese Prozesse werden präfrontal vermittelt und insbesondere vom Cortex koordiniert.

 

Im Handmodell liegt der mittlere Bereich des präfrontalen Cortex im Gebiet der zwei mittleren Finger, zwischen dem letzten Fingerknöchel und dem Bereich der Fingernägel. Achten Sie, wenn Sie mit den Fingern den Daumen umfassen, darauf, dass die mittlere präfrontale Region die Bereiche des limbischen Systems und des Hirnstamms berührt, so wie sie auch im Gehirn selbst direkt damit verknüpft ist. Wenn Sie die Finger anheben und sie wieder herunterlegen, können Sie vielleicht sehen, in welcher Weise diese Region integrativ wirkt: Sie verknüpft weit voneinander getrennte Bereiche miteinander. Der mittlere Präfrontalcortex erhält direkten Input vom Körper als Ganzes durch eine Schicht des Rükkenmarks, die als Lamina I* bezeichnet wird, und durch den Vagusnerv. Diese integrative Präfrontalregion verarbeitet die Signale, insbesondere den nonverbalen* Input, von anderen Menschen, um eine neuronale Karte ihrer mentalen Zustände – und auch unser eigenes inneres Bild unseres mentalen Lebens – zu bilden.

Wenn wir in Zeiten, wo wir die Kontrolle verlieren, „ausrasten“, werden wir „des-integriert“, weil die mittlere Präfrontalregion die Muster neuronaler Aktivierung in den subkortikalen Regionen nicht mehr koordiniert und ausgleicht. Wenn Sie plötzlich die Finger heben, sehen Sie ein Gleichnis dafür, wie dieses Verhalten, das auch als „ Weg nach unten“ („Low Road“) bezeichnet wird, entstehen kann. Ohne die Modifizierung durch die integrative Funktion des präfrontalen Cortex kann es geschehen, dass die unteren, impulsiveren Bereiche des limbischen Systems und des Hirnstamms Amok laufen. Manchmal wird dies als Hijacking (Entführen) durch die Emotionen oder die Amygdala bezeichnet. Zeitweise haben wir die absteigende Hemmung verloren, durch welche die höheren kortikalen Bereiche die Aktivität der unteren subkortikalen Regionen herunterregulieren. Dann gibt es keine Koordination und Balance mehr im System* und wir haben „den Verstand verloren“.

Selbst Kindergartenkindern kann man mit Hilfe des Handmodells beibringen, wie ihre präfrontale Region dafür sorgt, dass die unteren Bereiche gut funktionieren. Mit Worten wie „oberes Gehirn“ und „unteres Gehirn“ kann man sich leichter an die kortikalen und subkortikalen Bereiche erinnern. Schulen, die dieses Modell lehren, unterstützen ihre Schüler darin zu verstehen, wie ihre inneren Mechanismen funktionieren. Dadurch können sie sich ihrer eigenen Impulse bewusster werden und in ihren Reaktionen flexibler sein. Eltern können vor ihren Kindern die grundlegenden Bereiche des Hirnstamms und des limbischen Systems als „unteres Gehirn“ bezeichnen und so das Modell noch einfacher machen. So sind Kinder in der Lage zu verstehen, wie die grundlegenden Systeme des Gehirns funktionieren: Ein oberes Gehirn, das die Funktion des unteren Gehirns koordiniert, aber die Wirkung dieser wichtigen unteren subkortikalen Regionen braucht, um zu fühlen. Wenn wir dazu die Asymmetrie zwischen der linken und rechten Seite des Gehirns hinzufügen (die als Lateralität bezeichnet wird) können Kinder viele der wichtigen Mechanismen, die unseren Alltag formen, auf einer grundlegenden Ebene verstehen. Durch das Verstehen haben wir die Chance, den Mechanismus zu verändern, der Menschen manchmal in einem Autopilot-Modus* handeln lässt. Mit solch einem inneren Gewahrsein* wird uns die Möglichkeit eröffnet, das Verhalten in eine gesunde* Richtung zu modifizieren.

Es ist ein faszinierendes Forschungsergebnis, dass Menschen sich selbst und anderen gegenüber mitfühlender werden, wenn sie ein visuelles Modell des Gehirns vor Augen haben. In der Interpersonellen Neurobiologie unterscheiden wir Geist, Gehirn und Beziehungen und sehen sie wiederum als Teil eines integrierten Ganzen. Die Visualisierung des Gehirns lädt die Menschen zu der Erkenntnis ein, dass das Gehirn zwar auf eine bestimmte Weise aktiviert wurde, aber „außerhalb ihrer Kontrolle war“. Durch die Fähigkeit, sich visuell vorzustellen, wie das geschehen kann, können Menschen verstehen, dass ein negatives Verhalten möglicherweise „nicht ihre Schuld war“, dass es aber in ihrer Verantwortung liegt, möglichst zu lernen, ihren Geist zu nutzen, um die Funktion des Gehirns zu verändern. Durch das Loslassen der Selbstbeschuldigungen und der darauffolgenden Selbstherabsetzung können Menschen sich weg von innerer Feindschaft hin zu Selbstmitgefühl bewegen. Die Freundlichkeit und Güte gegenüber sich selbst ist ein entscheidender Ausgangspunkt für bleibende Veränderung. Und Freundlichkeit gegenüber sich selbst öffnet auch die Tür zur Freundlichkeit gegenüber anderen. Nach einem Bruch* in der Kommunikation, wodurch untere Bereiche die Kontrolle gewinnen, ist eine Wiederverbindung* nötig. Wenn wir erkennen, dass es „nicht meine Schuld aber meine Verantwortung ist“, dann können wir mit Stärke und Offenheit weitergehen, um uns nach solchen Brüchen wieder zu verbinden.

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Rückenmark und Lamina I

Worum geht es?

Das Rückenmark (das im Handmodell des Gehirns* vom Handgelenk symbolisiert wird) ist der Träger von Energie und Information* zwischen dem Körper und dem im Schädel enthaltenen Gehirn*. Eine Schicht des Rückenmarks wird als Lamina I* bezeichnet. Sie spielt eine wichtige Rolle dabei, den Fluss* der Energie* aus dem Inneren des Körpers hinauf ins Gehirn zu bringen. Durch den Input aus der Lamina I (und dem Vagusnerv), der in das im Schädel enthaltene Gehirn geleitet wird, werden wir uns der Zustände* unseres Körpers bewusst. Als Erstes bewegt sich dieser Energiefluss in den Hirnstamm*, der dabei hilft, die Körperfunktionen und Zustände der Erregung* zu regulieren*. Kampf, Flucht und Erstarrung sind Reaktionen, die der Hirnstamm in Reaktion auf eine Gefahr auslöst, die real oder nur vorgestellt ist. Die Informationen fließen nun im System* weiter nach oben und der neuronale Fluss aus dem Körper kommt als Nächstes in ein Gebiet, das unter der limbischen* Region liegt: dem Hypothalamus, der die Freisetzung von Hormonen im Gehirn regulieren hilft, so dass die Körperfunktionen angepasst werden können. Dann bewegt sich der Fluss zu Bereichen im Cortex* – in die mittlere Präfrontalregion*. Ein Teil des Flusses bewegt sich in einen Bereich, der als vorderer cingulärer Cortex* bezeichnet wird und der den Input aus dem Körper mit der Aufmerksamkeit* und der Bildung von Emotionen* koordiniert. Ein anderer Teil bewegt sich aus der Lamina I hinauf in den Cortex, durch einen mittleren frontalen Bereich, der als Insula* bezeichnet wird, insbesondere in die rechte vordere Insula. Wenn wir uns unseres körperlichen Zustandes bewusst werden – was als Interozeption* bezeichnet wird – wird die vordere Insula* aktiviert.

Implikationen: Was bedeuten das Rückenmark und die Lamina I für unser Leben?

Der Körper ist ein wichtiger Teil der Funktionsweise des Geistes*. Wie wir schon gesehen haben, können wir einen Kernaspekt des Geistes als einen verkörperten* und relationalen* Prozess* beschreiben, der den Energie- und Informationsfluss reguliert. Weil die Regulierung das Monitoring und die Modifizierung von etwas beinhaltet, müssen wir gut damit vertraut sein, wie wir den verkörperten Teil des Energie- und Informationsflusses beobachten. Inneres Gewahrsein* ist ein wichtiger Aspekt von emotionaler und sozialer Intelligenz. Interozeption hat faszinierende Auswirkungen. Eine dieser Auswirkungen besteht darin, dass Neuronen* namens Von-Economo-Neuronen oder neuronale Spindelzellen Verknüpfungen* zwischen den zwei mittleren präfrontalen Bereichen schaffen – dem vorderen cingulären Cortex* und der vorderen Insula*. Entwicklungsstudien und Speziesübergreifende Forschungen des Selbst-Gewahrseins* deuten darauf hin, dass die Existenz dieser Spindelzellen mit unserer Fähigkeit verbunden ist, uns selbst in einem Spiegel zu erkennen. Möglicherweise zeigen diese Forschungsergebnisse außerdem, wie das Selbst-Gewahrsein durch weitere Einflüsse geformt wird: durch den Input aus dem Körper (Insula) und seine direkten und indirekten Verknüpfungen (durch den cingulären Cortex) mit dem Teil des Gehirns, der den Input aus dem Körper mit Emotionen und ihrer Regulation koordiniert; durch die Kontrolle der Aufmerksamkeit und durch die Art und Weise, wie wir in soziale Beziehungen* eingebettet sind. Studien in einer Reihe von Laboren haben beispielsweise ergeben, dass die Vermittlung von körperlichem Schmerz und die neuronale Reaktion auf soziale Ablehnung durch einander überlappende Pfade geschieht. Soziale Isolation tut weh, buchstäblich. Darüber hinaus ist die Fähigkeit, uns unserer körperlichen Zustände in einer ausgeglichenen Weise bewusst zu sein, wichtig, um uns selbst zu verstehen und auch die Fähigkeit zu entwickeln, empathisch* und mitfühlend* zu sein.

Forschungen zufolge scheinen Spiegelneuronen die Insula einerseits beim Senden von Informationen aus der kortikalen Wahrnehmung* nach unten und andererseits wieder aufwärts aus den Körperreaktionen auf etwas, das wir bei anderen sehen, zu aktivieren. Das deutet daraufhin, dass dieser Fluss durch das Rückenmark/die Lamina I/die Insula eine wichtige soziale Funktion innehat. Mittels der Spiegelneuronen können wir den inneren Zustand eines anderen Menschen in uns aufnehmen. Das versieht uns mit einem neuronalen Mechanismus, durch den wir den inneren Zustand eines Menschen simulieren und das Verhalten dieses Menschen imitieren können. Spiegelneuronen verknüpfen das, was wir bei anderen sehen, mit dem, was wir selbst fühlen und tun. Mit anderen Worten fungiert unser Körper als eine Art Antenne, mit der wir die manchmal subtilen Signale von anderen empfangen können. Wir können dann entsprechend dieser Signale unseren körperlichen Zustand verändern und diese Veränderungen in unserem eigenen Körper spüren, um uns vorzustellen, was ein anderer Mensch womöglich fühlr. Dieser Informationsweg durch Spiegelneuronen, Insula* und subkortikalen* Reaktionen wird dann an die mittlere präfrontale Region zurückgeschickt; dies könnte die Grundlage für Mitgefühl und Empathie sein.

Wenn die Erfahrungen des modernen Lebens Kinder nicht darin unterstützen, für ihre eigenen körperlichen Zustände offen zu sein, schaffen wir möglicherweise eine kulturelle* Situation, in der das Verstehen des eigenen Selbst und anderer Menschen sich nicht entwickelt. Wenn wir die Asymmetrie des Cortex betrachten, sehen wir, dass die rechte Hemisphäre* im Vergleich zum linken Cortex einen besonders reichen Input körperlicher Daten aufnimmt. Die rechte Seite des Gehirns ist auch auf die Aufnahme und den Ausdruck nonverbaler* Signale spezialisiert. An diesen Erkenntnissen können wir ablesen, dass ein zu stark dominierender Fokus auf die Tendenz der linken Hemisphäre – durch logische Analyse, linguistische Repräsentationen und die Entschlüsselung der Welt in wörtlicher Form in Familien, Schulen und einigen Aspekten der digitalen Kommunikation –, bestimmte Lernerfahrungen schafft, die oft weit von der Weisheit* des Körpers entfernt sind, weshalb sie die Grundlagen der interpersonellen Beziehungen und des Selbst-Gewahrseins nicht fördern. Interessanterweise scheint die linke Hemisphäre für die sozialen Ausdrucksregeln dominierend zu sein. Durch sie wissen wir, wie wir uns in sozialen Situationen verhalten sollten. Unser Verständnis vom Innenleben des Geistes und der Signale unseres eigenen Körpers scheint hingegen von der rechten Hemisphäre dominiert zu werden. Verarmte emotionale und soziale Intelligenz könnte das Ergebnis eines mangelnden Wachstums dieser wichtigen und asymmetrischen Mechanismen der Interozeption sein.

In der Schule, in der Therapie und Zuhause können wir andere (und uns selbst) darin bestärken, den Input des Körpers wertzuschätzen. Wenn wir erkennen, dass unser Körper eine wichtige Quelle der Intuition* ist, verstehen wir, dass unsere Gliedmaßen und unser Rumpf tiefe Quellen des Wissens für unser Leben bereithalten. In der Umgebung des Herzens und der inneren Organe gibt es beispielsweise weitverzweigte neuronale Netzwerke, die zur komplexen Informationsverarbeitung* dienen. Diese Netzwerke gleichen Spinnenweben, sie umgeben die Organe des Körpers. Sie sind dafür verantwortlich, dass wir sagen können: „Mein Herz fühlt …“ und „Mein Bauchgefühl sagt …“ Das ist unser „Herz-Gehirn“ und unser „Bauch-Gehirn“.

 

Wenn wir einen Prozess der Einkehrzeit* nutzen und innerlich reflektieren, schaffen wir neuronale Aktivierungen, die möglicherweise den Kern der interozeptiven Zustände ausmachen, die für emotionale und soziale Intelligenz so wichtig sind. In den verschiedenen Reflexionsprozessen der Übungen des achtsamen Gewahrseins* kann ein Körper-Scan dafür sorgen, dass der Fluss von Daten durch die Lamina I und den Vagusnerv in die Insula* gefördert wird. Dieser Input wird dann mit der Funktion des vorderen cingulären Cortex* verbunden, um Interozeption zu unterstützen. Die daraus resultierende mittlere präfrontale Aktivierung wirkt möglicherweise als eine wichtige Form der vertikalen Integration*, durch die der Energie- und Informationsfluss aus dem Körper den Cortex erreichen kann, um dort mit bewusstem Gewahrsein koordiniert, ausgeglichen und untersucht zu werden.

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