Geschichte der Kapverdischen Inseln (E-Book)

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Das Crioulo wurde von den Geistlichen auch im Unterricht der Sklavinnen und Sklaven in der christlichen Religion angewendet. Die Interessen der Kirche und diejenigen der Sklavenhändler standen in einem gewissen Widerspruch: Während die Kirche zugunsten des Seelenheils der Sklavinnen und Sklaven auf eine rasche Taufe drängte, wollten die Sklavenhändler einen möglichst raschen Transport von Afrika nach Amerika, da die Sterberate mit der Dauer der Reise deutlich anstieg. Ein zentrales Thema für die Kirche war die Taufe der Sklavinnen und Sklaven: Die Jesuiten empfahlen eine erste Massentaufe und später – nach einer gewissen Unterweisung – eine zweite Taufe mit dem Sakrament und dem christlichen Namen.

Der kirchliche Unterricht führte zu längeren Aufenthalten in den Verschiffungshäfen und verzögerte damit die Überfahrt nach Amerika. Die Kirche setzte schliesslich 1580 die Regelung durch, dass die Sklavinnen und Sklaven vor der Überfahrt unterwiesen und getauft werden mussten. Die Institution der Sklaverei wurde im 16. und 17. Jahrhundert von der Kirche nicht in Zweifel gezogen. Padre Barreira meinte, dass es ohne Sklaverei nicht gehe; Weisse könnten unter den klimatischen Bedingungen der Tropen nicht arbeiten. Doch solle man Sklavinnen und Sklaven freilassen, wenn sie während einigen Jahren gute Dienste geleistet hätten. Da die Sklavinnen und Sklaven auf Cabo Verde verschiedenen Ethnien Westafrikas angehörten (Wolof, Mandingua, Serer, Lebus, Peul, Jule, Malinke, Balanta, Bambara, Soninke, Tukulor usw.; keine dieser Ethnien war dominant), die sich untereinander nicht verstanden, war eine allgemein verständliche Sprache zur Kommunikation notwendig. Die einzelnen Sklavenhalter versuchten daher, Sklavinnen und Sklaven aus der gleichen Sprachgruppe aufzukaufen; Portugiesisch oder Kreol sprechende Sklavinnen und Sklaven erzielten zudem auf den Märkten höhere Preise.

Padre Alonso de Sandoval beschrieb 1600 bis 1613 die Missionierung von Sklavinnen und Sklaven auf Cabo Verde, die aus Guinea stammten und weiter nach Cartagena in Südamerika verschickt wurden. Diese Sklavinnen und Sklaven würden teilweise Portugiesisch oder Crioulo sprechen, da sie auf Cabo Verde geboren und als Kinder getauft worden waren.60

In der Regel wurden zwei Gruppen von Sklaven und Sklavinnen unterschieden: Die boçais stammten direkt aus Guinea, die ladinos waren Kinder von Sklavinnen und Sklaven aus Kap Verde. Padre Fernão Guerreiro berichtete über Massentaufen von 300 bis 700 boçais auf den Kapverden, die meisten wurden weiter nach Brasilien oder Sevilla verschickt. Schon vor der Taufe erhielten sie christliche Vornamen. Francisco de Moura, Gouverneur zwischen 1620 und 1622, wollte gewisse Regeln einführen: Die Sklavinnen und Sklaven sollten sofort getauft werden, spätestens auf Cabo Verde, und zwar vor der Verschiffung nach Amerika, da sie sonst möglicherweise auf der Überfahrt ungetauft starben. Zuweilen wurden die Taufen bereits an der Guineaküste, in Cacheu, durchgeführt. Sie dienten der Legitimation des Sklavenhandels als Weg zur Rettung der Seelen.

Man versprach sich mit dem Sprach- und Religionsunterricht offensichtlich auch eine gewisse Domestizierung der Sklavinnen und Sklaven. Mit ihrer zahlenmässigen Überlegenheit auf den Inseln wuchs die Angst der weissen Siedler und Siedlerinnen vor Revolten und Überfällen auf die Herrenhäuser. Neben dem offiziellen Sklavenhandel mit Gebühren und Taufen gab es auch einen illegalen Sklavenhandel ohne Gebühren und ohne Taufen. Noch 1699 verbot der portugiesische König die Verschiffung von ungetauften Sklavinnen und Sklaven nach Amerika – ohne dies allerdings auch wirklich durchsetzen zu können.

2.9.Die Entwicklung von Ribeira Grande de Santiago

Bereits die Entdecker Luigi Alvise Cadamosto 1456 und Diogo Gomes 1460 beschrieben die besondere topografische Situation des Ortes, an dem später die Siedlung von Ribeira Grande auf der Insel Santiago entstand. Der heutzutage ausgetrocknete Fluss müsste gemäss Cadamosto selbst mit grossen Schiffen befahrbar gewesen sein. Die Stadt des 15. Jahrhunderts konzentrierte sich auf das kleine Flussdelta und die weniger steile rechte Talseite.

1513 gab es in Ribeira Grande (Santiago) bloss 58 weisse und 17 schwarze Vizinhos (Nachbarn) neben 58 Auswärtigen aus Portugal, 17 Kleriker, vier weisse Witwen und zehn freie schwarze Frauen. Die verheirateten Frauen und die Kinder wurden in dieser Statistik nicht erfasst. Im 16. Jahrhundert wuchs die Bevölkerung von Ribeira Grande stark an: 1582 waren es bereits 508 Freie und rund 5700 Sklavinnen und Sklaven; insgesamt zählte die Stadt 6208 Einwohner und Einwohnerinnen, ähnlich wie die Stadt Bern zu dieser Zeit. Ribeira Grande war eine Männerstadt. Im 18. Jahrhundert ging die Bevölkerungszahl stark zurück: 1731 zählte die Stadt nur noch 733 Einwohner und Einwohnerinnen.61

1533 wurde Ribeira Grande als cidade, also als Stadt qualifiziert, während Praia bloss als vila (Siedlung) galt. Der pelourinho (Gerichtsstätte, Pranger) war Symbol der Gemeindeautonomie, Ort der lokalen Rechtsprechung und Zentrum des Sklavenmarktes (der Stein des heute noch bestehenden Pelourinho stammt aus Portugal). Ribeira Grande verfügte nun über eine câmara municipal (Stadtverwaltung) und einen von der örtlichen Elite gewählten Gemeinderat.62

Die königliche carta de foral (Stadtrecht) regelte die Beziehungen zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern einer Siedlung und zwischen diesen und der Herrschaft (König, Adeliger oder Kleriker). Reformen betreffend Verwaltung und Regierung der Stadt gab es unter König Manuel I (1504–1520). Sie regelten dann auch die Verwaltung und Regierung der Stadt. Die Institutionen einer Cidade (mit Gemeinderäten, Richtern und Versammlungen) und einer Vila sind nicht grundsätzlich verschieden. Mit der steigenden wirtschaftlichen Bedeutung der Städte mischten sich König und Hochadel immer stärker in die Belange der Gemeinden ein.63

Die spätgotische Kirche Nossa Senhora do Rósario ist die älteste Pfarrkirche südlich der Sahara und wurde kurz vor 1500 vollendet. Inner- und ausserhalb der Kirche findet man zahlreiche Grabplatten von Fidalgos aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Noch heute ist die Pfarrkirche mit den traditionellen portugiesischen Keramikplatten (azulejos) ausgestattet. In erhöhter Lage stehen die Kirche der Nossa Senhora de Conceição der Franziskaner und die Ruinen ihres Klosters aus dem Jahre 1640.64


Abb. 5: Nossa Senhora do Rósario in Ribeira Grande de Santiago. Diese Kirche war auch Sitz einer religiösen Bruderschaft, der ausschliesslich Afrikaner angehörten. Die Kirche wurde 2020 vollständig renoviert.


Abb. 6: Ribeira Grande de Santiago im frühen 16. Jahrhundert: Rechts unten der Bischofspalast (Palácio Episcopal, 1574) und die Kathedrale (Sé Catedral), die zwischen 1558 und 1700 gebaut wurde. Über der Stadt auf der rechten Anhöhe ist das Projekt der Festung São Filipe (1587–1593) mit ihren Bastionen eingetragen, die gegen Angriffe von der Landseite ausgerichtet sind. Links: die älteste, heute noch bestehende Kirche Santa Maria do Rósario; hinten: Kirche Nossa Senhora de Conceição (erste Kapelle 1470). In der Mitte die bis auf wenige Reste verschwundene Spitalkirche Miserícorida (1556). Auf dem Largo ist der «Pelourinho» (Gerichtsstätte, Pranger) zu erkennen.

Mit der Erhebung zur Cidade 1533 wurde Ribeira Grande auch Bischofssitz und man plante früh den Bau einer Kathedrale. Nach grossen finanziellen Schwierigkeiten begann man 1558 mit dem Bau und schloss ihn kurz vor 1700 ab. Laut einem Beschluss des Königs von 1564 sollten alle Geldbussen der Bewohner von Santiago und Fogo für den Bau der Kathedrale verwendet werden. Bereits 1712 wurde die Kathedrale durch den französischen Korsaren Cassard zur Ruine gemacht und blieb es bis heute.65

Als Antwort auf die Korsarenangriffe erfolgte in den Jahren 1587 bis 1593 der Bau umfangreicher Festungen, so die Fortaleza Real São Filipe auf der Anhöhe über der Stadt. Verteidigt wurde sie von 20 Artilleriesoldaten und von etwa 250 schlecht bewaffneten Milizsoldaten. Neben der Hauptfestung sollten verschiedene kleine Festungen an der Küste die Seeseite sichern.


Abb. 7: Der Baubestand von Ribeira Grande auf seinem Höhepunkt im 17. Jahrhundert. Es sind neue Quartiere entstanden, so S. Sebastião bei der Kathedrale und S. Brás im Westen, ältere Quartiere expandierten ins Tal hinein (S. Pedro). Bei der Kirche Nossa Senhora de Conçeição entstand ein Franziskanerkloster. Am Ufer des Meeres wurden die Festungen S. Verissimo, S. Brás und S. Lourenço zur Abwehr von Angriffen feindlicher Schiffe gebaut.


Abb. 8: Die Stadt Ribeira Grande nach de Beauchesne 1699.


A. Zitadelle (Fortaleza S. Filipe) F. Haus des Gouverneurs
B. Franziskanerkloster (Cordeliers) G. Artillerie Batterie
C. Festung H. Fluss, an dem man Wasser holt
D. Bischofspalast I. Eingang zur Stadt
E. Kirche Santa Maria do Rósario K. Kapelle Santa Luzia

Zum Niedergang Ribeira Grandes haben verschiedene Faktoren beigetragen. Neben den bereits erwähnten Überfällen und Zerstörungen französischer, englischer und niederländischer Korsaren und Piraten spielten auch die merkantilistischen Handels- und Monopolgesellschaften (wie die Companhia de Grão-Pará e Maranhão) und der direkte Sklavenhandel von Westafrika nach Südamerika eine Rolle. Schliesslich haben klimatische Veränderungen zum Niedergang beigetragen, häuften sich doch die Dürreperioden und damit die Hungersnöte im 17. und vor allem im 18. und 19. Jahrhundert.

 

Neben diesen externen Faktoren für den Niedergang gab es auch interne: Ribeira Grande galt wegen der häufigen blutigen Fehden unter den Familien der Elite als unsicher. Der Bischof zog ins Innere der Insel, später auf die Inseln São Nicolau und Santo Antão. Die Verwaltung verlegte ihren Sitz in das leichter zu verteidigende Praia.

2.10.Die Rolle der Kirche

Mit den ersten Schiffen der Entdecker waren auch bereits Missionare unterwegs, so 1466 mit Antonio da Noli drei Franziskanermönche und später Vertreter des Christusordens. Dieser Orden war 1319 gegründet worden, um den 1312 aufgelösten Templerorden zu ersetzen. Hauptsitz des Ordens war der Convente de Cristo in Tomar in Portugal. 1495 kamen die Dominikaner nach Kap Verde. Der militärische Christusorden erhielt von König Afonso V den Auftrag zur Mission, die ein wichtiger Teil der Ideologie des portugiesischen Staates war. Zwischen 1420 und 1460 war Heinrich der Seefahrer Generaladministrator des Christusordens, der von den Bistümern exemt war. Die kirchliche Gerichtsbarkeit für die entdeckten und zu entdeckenden Gebiete lag vorerst bei Heinrich, nach 1454 beim Christusorden. Der Christusorden erhielt aus dem Guineahandel fünf Prozent des Ertrages aus aller Waren. Ab 1497 begann sich der Christusorden stärker für die Kapverden zu interessieren.66 Bau und Unterhalt der Kirchen wurden aus den Zöllen und aus den Zehnten der landwirtschaftlichen Produktion sowie aus den Vergabungen in Testamenten finanziert; Erbschaften, zu denen kein Testament vorlag, fielen an die Kirche. Es war Aufgabe der Zöllner, die Abgaben für die Kirche einzuziehen. Auch hier zeigt sich, wie eng Kirche und Staat miteinander verflochten waren: Der portugiesische König hatte bei Bischofswahlen ein Vorschlagsrecht an den Papst und die drei Militärorden (Christus, Avis und Santiago) waren dem König unterstellt. Manuel I, König von Portugal von 1495 bis 1521, war gleichzeitig Grossmeister des Christusordens. 50 Jahre nach ihrer Entdeckung waren die Kapverdischen Inseln in kirchlichen Dingen bereits gut ausgerüstet.67

1514 wurde Cabo Verde dem Bistum von Funchal auf Madeira unterstellt, ein bischöflicher Vikar wirkte auf Cabo Verde. 1533 wurde mit der Bulle «Pro excellenti praeminentia» durch Papst Clemens VII. das Bistum Cabo Verde geschaffen. Zum Bistum gehörten nominell auch die Gebiete vom Gambiafluss bis zur Côte d’Yvoire (Costa do Marfim). Die Errichtung neuer Bistümer wurde mit dem Kampf gegen die Ungläubigen begründet. Die Bischöfe von Cabo Verde weilten allerdings häufig nicht auf den Inseln, sondern lebten, trotz der vom Konzil von Trient 1547 vorgeschriebenen Residenzpflicht, weiterhin in Portugal. Cabo Verde war offensichtlich kein attraktives Bistum. Aus diesen Gründen regierte vor Ort meist das Domkapitel. Der Bischof wurde übrigens durch den König besoldet, auf Cabo Verde übernahm die fazenda régia (königliche Finanzverwaltung) mit ihren Erträgen aus Zöllen und Abgaben die Besoldung der Geistlichen sowie den Bau und Unterhalt der Kirchen.

1570 wurde in Ribeira Grande ein erstes Priesterseminar gegründet, in dem die Fächer Latein, Grammatik und Moraltheologie unterrichtet wurden. Hier sollten vor allem auf den Inseln geborene Männer ausgebildet werden. Zwischen der örtlichen weltlichen Elite und den Bischöfen kam es immer wieder zu Konflikten, unter anderem auch, weil sich der Bischof als Konkurrent am Sklavenhandel beteiligte.

Erst der dritte Bischof von Cabo Verde, der Augustinermönch Francisco da Cruz (Amtszeit 1550–1574), versuchte, die Kirche zu reorganisieren, namentlich für die Vergrösserung der Einkünfte für den Bau der Kathedrale. 1604 kamen Vertreter der «Gesellschaft Jesu» nach Cabo Verde. Ihre Berichte über die Zustände auf den Inseln sind eine wichtige Informationsquelle für die Geschichtsforschung. Allerdings bestand zwischen dem lokalen Klerus, den örtlichen Behörden und dem Jesuitenorden stets ein gespanntes Verhältnis, vor allem weil die Jesuiten das Verhalten vieler Kleriker hart kritisierten. Die Kleriker gerieten aber auch mit der Câmara wegen der Besoldung in Streit, sodass sie 1619 mit einem Streik drohten.68

Schliesslich bestanden Konflikte zwischen den Jesuiten und den Franziskanern. Die Mission der Jesuiten auf Cabo Verde endete 1642, in erster Linie aus finanziellen Gründen. Eigentlich war das Ziel der Jesuiten nicht die Mission auf Cabo Verde, sondern der Kampf gegen den auf dem afrikanischen Kontinent vordringenden Islam. Zwischen 1630 und 1640 gelangten Mitglieder des Kapuzinerordens aus Nantes und aus Andalusien nach Cabo Verde, worauf der König die Ausweisung der ausländischen Missionare verlangte, da diese bloss auf den Inseln seien, um Handelsbeziehungen zu Frankreich und Spanien aufzubauen.

In einer grossmehrheitlich aus Analphabeten bestehenden Gesellschaft war das in der lokalen Kirchgemeinde mündlich vermittelte Wort von grosser Bedeutung. Die Kirche begleitete den Menschen mit den Sakramenten bei Taufe, Heirat und Tod durch das Leben. Die Gemeinschaft der Gläubigen partizipierte am Kirchenleben, wie auch am Bau und Unterhalt der Kirchen auf Santiago. Durch fromme Spenden war der Schmuck der Kirchen möglich, der allerdings heute weitgehend verschwunden ist.

Die Pfarrer hatten nach den Beschlüssen des Konzils von Trient die christliche Doktrin zu lehren. Sie gehörten zu den wenigen Leuten auf Cabo Verde, die lesen und schreiben konnten. Viele Pfarrer stammten aus der lokalen, sklavenhaltenden Elite, entsprechend verhielten sie sich auch gegenüber den Sklavinnen und Sklaven und vertraten die Interessen der Sklavenhalter. Die Jesuiten stellten fest, dass ein grosser Teil der Sklavinnen und Sklaven noch zu unterrichten sei, hätten sie doch nur diffuse Kenntnisse der katholischen Religion, vermittelt durch die Pfarrer und die Herren.

Die Sklavenhalter nahmen die Sklavinnen und Sklaven aus Gründen des Sozialprestiges in die Kirche mit. Die Kirche trug insofern zur sozialen Kohäsion bei, als sich hier Weisse, Mestizinnen und Mestizen, Herren, Freigelassene sowie Sklavinnen und Sklaven zur Liturgie und zu den christlichen Festen trafen. Nach den Vorgaben des Tridentinums erfolgte eine Verschriftlichung der wichtigen kirchlichen Ereignisse, wie Taufen, Heiraten und Beerdigungen.

Die Mission auf Cabo Verde unterschied sich stark von anderen missionarischen Aktivitäten in Afrika. Die Bevölkerung auf Cabo Verde war sehr mobil und die Aufenthalte vieler waren nur von kurzer Dauer. Eine gewisse Stabilisierung trat erst nach 1620 ein. Die Bevölkerung entstand aus freiwilliger europäischer und erzwungener afrikanischer Immigration. Diese beiden Migrationsgruppen hatten komplett unterschiedliche materielle, kulturelle und religiöse Hintergründe, wobei die Europäer und Europäerinnen unter den neuen Bedingungen nicht völlig entwurzelt wurden. Sie hielten relativ leicht an der «Nabelschnur» zu ihren Ursprüngen fest, durch die sozialen Bindungen und durch die materiellen und geistigen Güter, wie auch durch die Präsenz der Kirche.

Den Sklaven und Sklavinnen aus den verschiedenen Regionen Westafrikas blieben bloss ihr Körper und ihre Erinnerungen. Alle Verbindungen zur Heimat wurden abgebrochen – obwohl diese in den afrikanischen Gesellschaften wichtig sind. Für sie war alles anders: die Menschen, das Land, die Ernährung, die Arbeit, die Lebensbedingungen und die Religion.

Auf Cabo Verde gab es zwei Stufen der Missionierung: vorerst die Städte, danach das Land. In der Stadt war die Religion wesentlich besser verankert als auf dem Lande. Die Gegenwart der Geistlichen wurde allgemein von Sklaven und Freigelassenen begrüsst. Die katholische Religion war zwar die Religion der Mächtigen, der Herren, der Sklavenhalter, aber man versprach sich von ihr Balsam gegen die Brutalität, Vergewaltigung und Ausbeutung durch die Herren.69 Über das moralische Verhalten des Klerus gibt es seit dem 17. Jahrhundert zahlreiche Hinweise, so in Begnadigungsschreiben für illegitime Kinder. Schon das Konzil von Trient hatte festgestellt, dass die Einhaltung des Keuschheitsgebotes in den Tropen schwierig sei.70 Bis ins 20. Jahrhundert gibt es viele Geschichten über Pfarrer, die Väter zahlreicher Kinder waren.

Die verschiedenen Bruderschaften spielten im religiösen Leben von Ribeira Grande eine wichtige Rolle, beispielsweise die «Confraria de Misericórdia». Sie war der Confraria in Lissabon nachgebildet und erhielt 1594 die gleichen Privilegien. Es ging darum, gute Werke zu tun, das heisst den Hungrigen Essen zu geben, den Obdachlosen ein Dach anzubieten, die Nackten zu kleiden, die Kranken zu besuchen, die Toten zu begraben und die Waisen zu erziehen und bei sich wohnen zu lassen. Die Bruderschaft der Misericórdia engagierte sich vor allem auch im Spital gleichen Namens in Ribeira Grande. Zu diesem Spital gehörten eine Apotheke und Pflegepersonal sowie ein Arzt. Während der Hungersnot von 1610 kaufte die Bruderschaft in Guinea Hirse ein, ein Getreide, das in normalen Zeiten nur Sklavinnen und Sklaven als Nahrungsmittel diente. Die Misericórdia war auch Empfängerin von reichen Spenden und Vergabungen. Die Wirtschaftskrise führte jedoch auch sie in finanzielle Schwierigkeiten.

1612 bestanden in Ribeira Grande sieben Bruderschaften, so zur Dreieinigkeit, zum Namen Jesu, zum Heiligen Jâcome und zur Nossa Senhora do Rosário. Ferner bestanden die Bruderschaften zum Heiligen Jacinto, zum Heiligen Kreuz und zum Fegefeuer. Die Mitglieder der Bruderschaften waren verpflichtet, an den Prozessionen und den Begräbnissen teilzunehmen. Wiederholt gab es aktenkundige Streitigkeiten um die Sitzordnung in der Kirche: Die Mitglieder höherer Stände beanspruchten, besonders nahe am Altar zu sitzen.

Die religiösen Feste wurden ausgiebig mit Umzügen, Kanonenschüssen und Essen gefeiert, an Fronleichnam wurde getanzt, der Heilige Georg ritt samt Drachen durch die Gassen.71

Der Klerus auf Cabo Verde setzte sich zwischen 1460 und 1560 fast ausschliesslich aus Portugiesen zusammen. Nach 1570 mehrten sich die Bemühungen, einheimische Männer für das Priesteramt zu gewinnen. Cabo Verde war nun als Auswanderungsland nicht mehr interessant. Die Jesuiten trauten den Afrikanern das Priesteramt ohne weiteres zu, nach 1600 erfolgte eine allmähliche Afrikanisierung der Priesterschaft. Die Jesuiten kritisierten allerdings den Bildungsstand der einheimischen Priester.

Der Klerus beteiligte sich am Sklavenhandel und hielt als Landeigentümer selber Sklavinnen und Sklaven. Die Jesuiten diskutierten über die Rechtmässigkeit der Versklavung von Menschen und kamen zum Schluss, dass die Sklaverei in den meisten Fällen unrechtmässig sei.72 Diese Feststellung wurde allerdings nicht praktisch umgesetzt: Der Orden selbst hielt Sklavinnen und Sklaven. Die römisch-katholische Kirche weist eine lange Tradition auf Kap Verde auf und übt noch heute einen grossen Einfluss auf Gesellschaft und Staat aus.

Anmerkungen

1Zum Lehen vgl. Bernecker Walther R., Herbers Klaus: Geschichte Portugals. Stuttgart 2013, 111; Albuquerque Luís de, Santos Maria Emília Madeira: História Geral de Cabo Verde, Vol. I. Lissabon, Praia 2001, 15f.

2Albuquerque Luís de, Santos Maria Emília Madeira, op. cit. 2001, 30f.; Barcellos de Senna Christiano José de: Subsídios para a história de Cabo Verde e Guiné, Vol. I. Praia 2003, 25ff.

3Vgl. dazu auch Boxer C. R.: The Portuguese Seaborn Empire 1415–1825. London 1969, 87. Boxer beschreibt die doação als Mischung zwischen feudalistischen und kapitalistischen Elementen.

 

4Albuquerque Luís, Santos Maria Emília Madeira: História Geral de Cabo Verde, Corpo documental I. Lissabon, Praia 1988, 17f.

5Carreira António: Cabo Verde: Formação e extinção de uma sociedade escravocrata (1460–1878). Praia 1983, 28; Silva António Leão Correia e: Histórias de um Sahel insular. Praia 1996, 15.

6Carreira, op. cit. 1983, 29ff.; Albuquerque et al., op. cit. 1988, , 19ff; Silva, op.cit 1996, 17; Cabral de Ataíde Iva Maria: A Primeira Elite colonial Atlântica. Dos «homens honrados brancos» de Santiago à «Nobreza da terra». Finais do Séc. XV–Início do Séc. XVII. Praia 2015.

7Albuquerque et al., op. cit. 1988, 25ff.

8Barcellos, op. cit. 2003, 38ff.

9Evans C., Sørensen M., Allen M., Appleby J., Casimiro T., French C., Scaife R.: Finding Alcatrazes and early Luso-African settlement on Santiago Island, Cape Verde. Antiquity, 91(358), E8, 2017, 104. doi:10.15184/aqy.,

10Young Crawford: The African Colonial State in Comparative Perspective. New Haven, London 1994, 53.

11Domingues Ângela: Administração e instituições: transplante, adaptação, funcionamento, in: Albuquerque et al., op. cit. 2001, 48.

12Albuquerque et al., op. cit. 1988, 183ff.; Domingues, op. cit. 2001, 52; über die einzelnen Lehensherren vgl. 53: Fogo; 55: Maio mit Afonso, Coelho und da Cunha; 56: Santo Antão mit Fonseca und Sousa; 57: Brava, Sal, Santa Luzia, Branco und Raso mit da Fonseca und Pereira.

13Baleno Ilídio Cabral: Povoamento e formação da sociedade, in: Albuquerque et al., op. cit. 2001, 148ff.

14Baleno, op. cit. 2001, 158ff.; Cahen Michel (Hrsg.): Bourgs et villes en Afrique Lusophone. Paris 1989, 25ff.

15Der Fidalgo entsprach dem spanischen Hidalgo und bezeichnete ursprünglich den freien Mann: Er konnte Ämter bekleiden, sein Domizil war unverletzlich, er konnte nur von Gleichrangigen vor Gericht verurteilt werden, sein Titel vererbte sich auf seine Söhne. In Portugal besetzten die Fidalgos die Richter- und Gemeinderatsämter und andere Verwaltungsstellen. Wie fast überall in Europa wurden in Portugal im 15. Jahrhundert die drei Stände Klerus, Adel und Bürgertum unterschieden. Aber die Übergänge zwischen dem Zweiten und dem Dritten Stand waren fliessend: Die Kaufleute wurden beispielsweise in den Cortes von 1472 unter den «Escudeiros» (Knappen) eingestuft; 1481 erhielten qualifizierte Männer wie Schiffsbauer und Steuermänner die Privilegien eines Cavaleiros. In den Verzeichnissen von 1571 und 1586 waren die meisten Kaufleute Fidalgos. Schliesslich erfolgte unter König Sebastião (1557–1578) eine systematische Hierarchisierung der Titel. In der 1. Ordnung standen der Fidalgo Cavaleiro, dann der Fidalgo Escudeiro und schliesslich der Moço Fidalgo; in der zweiten Ordnung waren der Cavaleiro Fidalgo, der Escudeiro Fidalgo und der Moço da Câmara zu finden. Vgl. Godinho Vitorino Magalhães: A Estrutura na antiga sociedade portuguesa. Lissabon 1971, 83ff. Hierzu auch: Osterhammel Jürgen: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen. München 2017. Osterhammel definiert: «Ein dritter Typ der Siedlungskolonisation regelt die Versorgung mit Arbeitskräften…durch Zwangsimport von Sklaven und deren Beschäftigung in einer mittel- bis grossbetrieblich organisierten Plantagenökonomie.» (S. 12) Dies trifft auf Cabo Verde bis ins 17. Jahrhundert zu, dessen erste Kolonisation vielfach mit der Karibik verglichen worden ist. Der Klassifikation von Osterhammel folgend (S. 17 f.) war Cabo Verde sowohl Stützpunktkolonie (für den Sklavenhandel mit Westafrika, später auch für die Schifffahrt nach Brasilien) wie (in beschränktem Masse) Siedlungskolonie. Cabral Iva Maria de Ataíde Vilhena: A Primeira Elite Colonial Atlântica. Dos «homens honrados brancos» de Santiago à «nobreza da terra». Finais do Séc. XV–Início do Séc. XVII. 2015, S. 59 ff. unterscheidet: Fidalgo: Freiherr; Cavalheiro: Ritter; Escudeiro: Edler (Schildhalter); Moço: Knappe. Innerhalb dieser Kategorien ist weiter zu unterscheiden: 1. Ordnung: 1. Grad: Fidalgo Cavaleiro, 2. Grad: Fidalgo Escudeiro, 3. Grad: Moço Fidalgo, 4. Grad: Fidalgo Capelão (Kirche) 2. Ordnung: 1. Grad: Cavaleiro Fidalgo, 2. Grad: Escudeiro Fidalgo; 3. Grad: Moço de Câmara.

16Brunner Samuel: Reise nach Senegambien und den Inseln des grünen Vorgebürgs im Jahre 1838. Bern 1840; Moser Daniel V.: Von Bern nach den Kapverdischen Inseln – Samuel Brunners Reise nach Senegambien und den Inseln des grünen Vorgebürgs. Berner Zeitschrift für Geschichte Nr.3/2013, 28ff.

17Cabral, op. cit. 2015, 85ff.

18Baleno, op. cit. 2001, 164ff.; Ascher Françoise: Les Rabelados du Cap-Vert. L’histoire d’une révolte. Paris 2010.

19Garcia José Manuel: Dicionário História de Portugal. Lissabon 2010, 173; Disney A. R.: A History of Portugal and the Portuguese Empire. Cambridge 2009, 52ff.

20Mark Peter, Horta José da Silva: The Forgotten Diaspora: Jewish Communities in West Africa and the Making of the Atlantic World. Cambridge 2011, 137.

21Cabral, op.cit 2015, 35f., 39ff.; Carreira, op. cit. 1983, 295; Silva António Correia e: Espaço, ecologia e economia interna, in: Albuquerque et al., op. cit. 2001, 231ff.; Santos Maria Emília Madeira: História Geral de Cabo Verde, Vol. II. Lissabon, Praia 2001, 515ff. enthält eine Liste der Vizinhos von Ribeira Grande (Autorin: Iva Cabral). Diese Liste enthält ausschliesslich Männer.

22Ramos Rui et al.: História de Portugal. Lissabon 2015, 228ff.; vgl. dazu die Ordenações Afonsinas 1404– 1446 und die Ordenações Manuelinas 1512, 1521 und 1539 (www1.ci.uc.pt/ihti/proj/manuelinas/).

23Ebd. Zu Fernão de Melo insbesondere: Cabral Iva: A Primeira Elite Colonial Atlântica. Dos homens honrados brancos de Santiago à nobreza da terra. o.O. 2015, 56ff.

24Cabral Iva Maria de Ataíde Vilhena: Ribeira Grande, Vida Urbana, in: Albuquerque et al., op. cit. 2001, 240ff.

25Ebd., 256ff.

26Barreira Baltasar: Cartório dos Jesuítas, in Brásio António: Monumenta missionária africana, Vol. IV. Lissabon 1906, 357.; vgl. auch Boxer C. R.: The Portuguese Seaborn Empire 1415–1825. London 1969, 88.

27Albuquerque et al., op. cit. 2001, 29ff.; Carreira, op. cit. 1983, 300f.

28Catchpole Brian, Akinjogbin I. A: A History of West Africa in Maps and Diagrams. London, o. J.

29Torrão Maria Manuel Ferraz: Actividade comercial de Cabo Verde, in: Albuequerque et al., op. cit. 2001, 274f.

30Carreira, op. cit. 1983, 38f.

31Boxer, op. cit. 1969, 281; Bethencourt Francisco: L’inquisition à l’époque moderne, Espagne, Italie. Portugal XVe–XIXe siècle. Paris 1995, 25 ff. Die starke Stellung des Königs von Portugal zeigt sich auch in der Organisation der Inquisition. Zur Verfolgung der Juden in Portugal und Spanien vgl. auch: Geiss Imanuel: Geschichte des Rassismus. Frankfurt a. M. 1988, 119ff.

32Silva, op. cit. 1996, 55ff.

33Torrão, op. cit. 2001, 273f., 332ff.; Varela Odair Bartolomeu: Cabo Verde: A Máquina Burocrática Estatal da Modernidade, in: Sarmento Montalvão Cristina, Costa Suzano (Hrsg.) Entre Africa e a Europa: Nação, Estado e Democracia em Cabo Verde. Coimbra 2013, 173–208.

34Carreira, op. cit. 1983, 79ff.

35Albuquerque et al., op. cit. 1988, 25ff.; Carreira, op.cit. 1983, 37f.

36Torrão, op. cit. 2001, 246ff.

37Silva, op. cit. 1996, 149ff.

38Torrão, op. cit. 2001, 336f.

39Carreira, op. cit. 1983, 32f.; Silva, op. cit. 1996, 27f. Zum Elfenbein vgl. auch: Williamson Paul, Medieval Ivory Carvings: Early Christian to Romanesque. Victoria and Albert Museum. London 2010.

40Sounders A. C. de C. M.: A Social History of black Slaves and Freedmen 1441–1555. Cambridge N.Y. 2010, 37. Für eine Liste der Verträge zwischen dem König und den portugiesischen Sklavenhändlern vgl. auch: Pinto Françoise Latour da Veiga, Carreira António: La participation du Portugal à la traite négrière, in: Histoire Générale de l’Afrique. Études et documents 2. La traite négrière du XVe au XIXe siècle. Documents de travail et compte rendu de la Réunion d’experts organisée par l’Unesco à Port-au-Prince, Haiti, 31 janvier–4 février 1978. Paris 1985, 136f.