Paulus und die Anfänge der Kirche

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2.2.3
Unterwegs als Verkünder des Messias Jesus: Die Arbeit für die Gemeinden

Seit seiner alles verändernden Christusbegegnung weiss sich Paulus also gesandt, um den Messias Jesus «den Völkern» zu verkünden: als «Apostel der Völker», wie sich Paulus in seinem Brief an die Gemeinden in Rom selbst bezeichnet (Röm 11,13), immerhin eine der letzten überlieferten Selbstbezeichnungen des Paulus.116 Doch stehen wir zunächst wieder einem irritierenden Textbefund gegenüber: Über die erste Zeit nach seinem Berufungserlebnis erfahren wir aus den Briefen des Paulus nur wenig. Und bis er wirklich zum «Apostel der Völker» wurde, sollten nach dem Ausweis seiner Briefe noch einige Jahre vergehen.

2.2.3.1
Ein rätselhafter Aufenthalt in Arabien

Der erste Weg führte Paulus zunächst nach Arabien, bevor er von dort wieder nach Damaskus «zurückkehrte» (Gal 1,17).

Exkurs

Mit der Bezeichnung «Arabien» (Arabia) ist wahrscheinlich nicht die grosse Wüste der arabischen Halbinsel gemeint, sondern das Nabatäerreich. Dies entspricht auch dem Sprachgebrauch von Flavius Josephus.117 Auch die spätere römische Provinz, die im Jahr 106 n. Chr. auf dem Gebiet des ehemaligen Nabatäerreichs errichtet wurde, trug den Namen Arabia.

|79| Warum Paulus ausgerechnet dorthin ging und was er dort getan hat, erklärt er nicht. Hat seine Hinwendung zum Messiasglauben so viel Widerstand – sowohl bei seinen alten wie bei den neuen Glaubensgeschwistern – ausgelöst, dass er weder in Damaskus bleiben noch nach Jerusalem gehen konnte?118 War er in Arabien bereits als Verkünder unterwegs? Gab es gar erste messianische Gemeinden? Spuren oder Zeugnisse davon sind jedenfalls nicht erhalten geblieben.

2.2.3.2
Verfolgung in Damaskus

In die Zeit nach seiner Rückkehr nach Damaskus fällt wohl ein dramatisches Ereignis, auf das Paulus in 2 Kor 11,32 f. zu sprechen kommt:

«In Damaskus liess der Statthalter (ethnarches) des Königs Aretas die Stadt der Damaszener bewachen, um mich festzunehmen. Aber durch ein Fenster wurde ich in einem Korb die Stadtmauer hinuntergelassen, und so entkam ich ihm.»

Warum der Nabatäerkönig Aretas IV. (9 v. Chr. – 40 n. Chr.) seinen Statthalter Damaskus bewachen liess, bleibt unklar. Schliesslich gehörte Damaskus nicht zum Nabatäerreich, sondern zur römischen Provinz Syria. Vielleicht ist mit jenem «Statthalter» (ethnarches) der Vorsteher der nabatäischen Handelskolonie in Damaskus119 gemeint, der zugleich die Funktion eines politischen Vertreters seines Königs innehatte. Was den Nabatäerkönig in einer Weise gegen Paulus aufgebracht haben könnte, dass er ihn sogar in Damaskus verfolgen lies, erklärt Paulus leider nicht. Waren es Konflikte, die sich in jener ersten Zeit in Arabia zugetragen hatten? Jedenfalls scheint Paulus von Anfang an gefährdet.

Exkurs

Auch die Apostelgeschichte erzählt von einer dramatischen Flucht des Paulus über die Stadtmauer von Damaskus (Apg 9,23–25), bringt sie aber nicht mit dem Nabatäerkönig Aretas in Verbindung, sondern mit «den Juden» von Damaskus, die Paulus wegen seiner Verkündigung nach dem Leben trachteten. Ausserdem schliesst die Apostelgeschichte diesen Eklat unmittelbar an die Christusbegegnung des Paulus vor Damaskus und seine darauf folgende erste Verkündigung |80| an und lässt Paulus daraufhin direkt nach Jerusalem flüchten (Apg 9,26). Dieser Jerusalembesuch ist aber wahrscheinlich nicht mit dem von Paulus in Gal 1,18 erwähnten ersten Besuch in Jerusalem zu parallelisieren, sondern eher dem Interesse der Apostelgeschichte geschuldet, Paulus von Anfang an an Jerusalem und die dortigen Autoritäten anzubinden. Doch auch in Apg 9 wird ein Bild von Paulus gezeichnet, das ihn von Anfang seiner Verkündigung an als gefährdet zeigt; denn auch aus Jerusalem muss Paulus sogleich wieder fliehen, weil er auch hier wegen seiner Verkündigung in Lebensgefahr gerät (9,29).

2.2.3.3
Jerusalem, Syrien, Kilikien – und Antiochia

Kehren wir wieder zum biografischen Bericht des Paulus in Gal 1,17–24 zurück: Nach seiner Rückkehr aus Arabien nach Damaskus sei er «drei Jahre später» – von Damaskus aus? – nach Jerusalem gegangen, habe dort Petrus und den Herrenbruder Jakobus getroffen, sich aber lediglich zwei Wochen dort aufgehalten und sei den Gemeinden Judäas persönlich unbekannt geblieben.

Ziel dieser paulinischen Darstellung ist es, seine Unabhängigkeit von den Jerusalemer Autoritäten darzulegen. Deshalb betont er die Kürze seines Jerusalem-Besuchs, die kleine Auswahl derer, die er dort getroffen habe sowie seine Unabhängigkeit von den judäischen Gemeinden. Und auch sein weiterer Weg führte ihn sogleich weg von Jerusalem: nach Syrien und Kilikien (Gal 1,21). Über diese Zeit verliert Paulus nur einen einzigen Satz, und dies, obgleich es sich dabei um eine Zeitspanne von vierzehn Jahren gehandelt haben muss. Denn die nächste Zeitangabe, die Paulus in seiner Darstellung gibt, sind «vierzehn Jahre später» (Gal 2,1): Nach dieser Zeit besucht er – nach seiner Darstellung – zum zweiten Mal Jerusalem. Es ist jenes denkwürdige Treffen, das in die christliche Rezeption als Apostelversammlung, Apostelkonvent oder auch Apostelkonzil eingegangen ist.

Exkurs

Die Apostelgeschichte stellt diesen Abschnitt im Leben des Paulus so dar: Nachdem Paulus bei seiner ersten Verkündigungstätigkeit in Jerusalem sogleich in Lebensgefahr geraten war, floh er mit Hilfe von Glaubensgeschwistern über Cäsarea Maritima nach Tarsus (Apg 9,30). Von dort wird er nach Apg 11,25 von Barnabas – der ihm nach Apg 9,27 f. überhaupt erst den Kontakt zur Jerusalemer Gemeinde ermöglicht hatte – nach Antiochia geholt, wohin Barnabas selbst von der Jerusalemer Gemeinde entsandt worden war, weil in Antiochia in grösserer |81| Zahl Menschen nichtjüdischer Herkunft zum Messiasglauben gekommen waren. In Antiochia nun, so erzählt die Apostelgeschichte, hätten Barnabas und Paulus ein volles Jahr gemeinsam gewirkt und seien auch nach Jerusalem entsandt worden, um die dortige Not leidende Gemeinde mit Gaben aus Antiochia zu unterstützen. Vielleicht handelt es sich beim – nach der Darstellung der Apostelgeschichte zweiten – Jerusalembesuch um dieselbe Reise, die Paulus in Gal 1,18 als ersten Kurzbesuch in Jerusalem erwähnt.120

Mit Apg 13 erreicht die Erzählung über die Verkündigungstätigkeit von Barnabas und Paulus eine neue Qualität: Die beiden werden von der Gemeinde von Antiochia zu einer Reise ausgesandt, die sie über Zypern in den Süden Kleinasiens, nach Pamphylien und Pisidien, führt – die so genannte erste Missionsreise (Apg 13–14). Nach ihrer Rückkehr nach Antiochia kommt es dann nach der Irritationen stiftenden Verkündigungstätigkeit von Predigern in Antiochia zur bereits genannten Apostelversammlung in Jerusalem (Apg 15).

Die Zeit in der Gemeinde von Antiochia am Orontes muss für Paulus eine ungeheuer fruchtbare und auch prägende Zeit gewesen sein. Allerdings mahnt uns der Textbefund auch hier wiederum zur Vorsicht vor allzu weitgehenden Schlüssen. Denn wieder schreibt Paulus selbst nirgends ausführlich über seine Zeit in Antiochia. An keiner Stelle führt er eine Tradition explizit auf Antiochia zurück, und erst recht ist kein Brief aus jener Zeit erhalten. So wird man sicher nicht so viele Aspekte der paulinischen Theologie auf Antiochia zurückführen können, wie dies in manchen Phasen der Paulusforschung geschehen ist; in dieser wurde nämlich bisweilen der Eindruck erweckt, dass die paulinische Theologie fast ausschliesslich eine Ausfaltung dessen sei, was Paulus in Antiochia kennen gelernt hatte.121 Auch wenn dies sicher zu weit geht, ist doch daran festzuhalten, dass die antiochenische Gemeinde für die Entwicklung der frühen messiasgläubigen Gemeinden und ihrer Theologie eine enorme Bedeutung hatte und dass auch Paulus dieser Gemeinde – und damit auch Barnabas, einer massgeblichen Figur dieser Gemeinde – viel verdankt.

|82| Diese Gemeinde hat sich bewusst für Menschen nichtjüdischer Herkunft geöffnet, und diese Öffnung hat zu neuen Formen des Gemeindelebens und dabei natürlich auch zu neuen Fragen und Konflikten geführt. Aus den Äusserungen des Paulus in Gal 2,12 f. lässt sich schliessen, dass in dieser Gemeinde eine vorbehaltlose Tischgemeinschaft zwischen Gemeindemitgliedern jüdischer und nichtjüdischer Herkunft gepflegt wurde, was allerdings nach der Ankunft einiger Leute aus dem Kreis um Jakobus zu heftigen Auseinandersetzungen führte. Die Zugehörigkeit von Menschen jüdischer wie nichtjüdischer Herkunft zu den Gemeinden des Messias Jesus wurde liturgisch besungen und bekräftigt in Texten wie dem Tauflied Gal 3,26–28, das allen Getauften, «Juden und Griechen», den gleichwertigen Status von (freien, mündigen, erbberechtigten, rechtsfähigen) «Söhnen» Gottes zuspricht.122 Dieser Tauftext kann ebenso der antiochenischen Tradition zugesprochen werden wie die prägnante Formulierung in Gal 5,6:

«Denn in Christus Jesus kommt es nicht darauf an, beschnitten oder unbeschnitten zu sein, sondern darauf, den Glauben zu haben, der in der Liebe wirksam ist.»

Ähnlich formuliert Gal 6,15:123

«Denn es kommt nicht darauf an, ob einer beschnitten oder unbeschnitten ist, sondern darauf, dass er eine neue Schöpfung ist.»

 

Solche Traditionen wie auch die zugehörige Praxis der Gemeinde von Antiochia sollten für die Evangeliumsverkündigung des Paulus prägend werden.

2.2.3.4
Die Versammlung in Jerusalem

Allerdings war die antiochenische Praxis nicht unumstritten. Zur Klärung der strittigen Fragen kam es in Jerusalem zu jener bereits genannten Versammlung, zu der Paulus gemeinsam mit Barnabas sowie Titus aus Antiochia anreiste (Gal 2,1). Nach Gal 2,2 ging Paulus «aufgrund einer Offenbarung» |83| nach Jerusalem. Dort wollte er den «Angesehenen» seine spezielle Evangeliumsverkündigung an Menschen nichtjüdischer Herkunft erklären. Dies tat er nicht ohne Grund; denn es waren tiefe Zerwürfnisse über seine Praxis aufgetreten, diesen Menschen die Zugehörigkeit ohne Beschneidung für die Männer zu ermöglichen (vgl. Gal 2,3). Hier wird Paulus richtig polemisch:

«[…] die falschen Brüder […], jene Eindringlinge, die sich eingeschlichen hatten, um die Freiheit, die wir in Christus Jesus haben, argwöhnisch zu beobachten und uns zu Sklaven zu machen.» (Gal 2,4)

Das klingt nicht nur nach einem handfesten Konflikt, sondern auch nach abgrundtiefem wechselseitigem Misstrauen. Für Paulus steht mit den Aktivitäten jener «Eindringlinge» die Freiheit des Evangeliums, die Freiheit «in Christus» und damit auch die Wahrheit seines Evangeliums auf dem Spiel. Dies versucht er im gesamten Galaterbrief aufzuweisen; denn in Galatien sind vergleichbare Schwierigkeiten um dieselben Streitfragen entstanden, und das ist auch der Grund, warum Paulus in seinem Brief nach Galatien von jenem Treffen in Jerusalem erzählt.

Für Paulus ist die Frage der Beschneidung so wichtig, weil sich Gott nach seiner Überzeugung im Messias Jesus allen Menschen aus allen Völkern zugewandt hat. Zugehörigkeit zu diesem neu eröffneten Raum des Heils gewährt allein der Glaube an – oder besser: das Vertrauen auf – diesen Messias. Darum steht für Paulus das Heilsangebot Gottes selbst auf dem Spiel, wenn wieder die Beschneidung zum Kriterium der Zugehörigkeit wird. Und darum pocht er so sehr auf die im Messias Jesus errungene Befreiung, die nicht wieder preisgegeben werden darf.124

Als seine Gesprächspartner in Jerusalem nennt Paulus Jakobus, Kephas und Johannes, die er als «Säulen» bezeichnet und als «Angesehene» (Gal 2,2.6.9). Und das Ergebnis der Gespräche stellt sich für Paulus ganz und gar positiv dar. Er fühlt sich bestätigt: Niemand sei gezwungen worden, sich beschneiden zu lassen, nicht einmal sein griechischer Begleiter Titus (Gal 2,3). Auch sonst sei ihm nichts auferlegt worden |84| ausser der Armenfürsorge (Gal 2,6.10). Ansonsten stellt Paulus das Ergebnis als eine Aufgaben- und Arbeitsteilung dar. Die Verantwortlichkeiten werden festgelegt:125 Während ihm selbst das «Evangelium für die Unbeschnittenen» anvertraut sei, sei es Petrus «für die Beschnittenen» anvertraut worden (Gal 2,7–9). Am Ende stand der Handschlag – auch mit Barnabas – zum Zeichen der Gemeinschaft.

Exkurs

Die Apostelgeschichte schliesst die Erzählung über die Apostelversammlung in Jerusalem an die «erste Missionsreise» an (Apg 13–14). Auf dieser Reise hatten Paulus und Barnabas nach der Darstellung der Apostelgeschichte erfolgreich das Evangelium an Menschen nichtjüdischer Herkunft verkündet, und es waren erste Gemeinden entstanden. Nach der Rückkehr der beiden nach Antiochia kam es aufgrund der Verkündigung einiger Missionare aus Judäa zu Konflikten mit diesen. Denn die Prediger hatten gefordert: «Wenn ihr euch nicht nach dem Brauch des Mose beschneiden lasst, könnt ihr nicht gerettet werden.» (Apg 15,1) Das widersprach aber sowohl der Praxis in Antiochia als auch der Überzeugung vor allem von Paulus und Barnabas, die für die voraussetzungslose Zugehörigkeit aller Glaubenden, jüdischer wie nichtjüdischer Herkunft, zur messianischen Gemeinschaft eintraten.

Zur Klärung dieser Frage werden Paulus und Barnabas gemeinsam mit anderen Gemeindemitgliedern aus Antiochia nach Jerusalem entsandt (15,2 f.). Während der dortigen Versammlung werden die beiden Extrempositionen auf der einen Seite von gläubig gewordenen Pharisäern markiert, die fordern, dass die Gläubigen, die nicht aus der jüdischen Tradition stammten («aus den Völkern» kamen),126 zu beschneiden seien und die Tora zu beachten hätten (15,5). Die andere Seite wird von Petrus vertreten, der mit einer Position auftritt, die derjenigen von Paulus und Barnabas durchaus vergleichbar ist und die an die Gläubigen «aus den Völkern» keinerlei weitere Forderungen wie Beschneidung oder Toraobservanz stellt (15,7–11). Als ein Kompromiss wird schliesslich das Votum des Jakobus angenommen. Er spricht sich dafür aus, den Menschen «aus den Völkern», «die sich zu Gott bekehren, keine Lasten aufzubürden; man weise sie nur an, Verunreinigung durch Götzen(opferfleisch) und Unzucht zu meiden und weder Ersticktes noch Blut zu essen.» (15,19 f.). Dieser Beschluss wird in Form eines Briefes von einer Gesandtschaft von Jerusalem nach Antiochia überbracht, wo er mit grosser Freude aufgenommen wird (15,22–31). Damit sind die Forderungen jener «Leute aus Judäa» nach Beschneidung der nichtjüdischen Gläubigen |85| vom Tisch, und eine Einigung ist hergestellt, auf deren Basis Paulus und Barnabas ihre Verkündigungsarbeit fortsetzen können.

Dass der Beschluss der Apostelversammlung von Jerusalem in der Darstellung der Apostelgeschichte nicht mit der paulinischen Sichtweise in Gal 2,6–10 übereinstimmt, ist allerdings irritierend. Lag auch der Darstellung der Apostelgeschichte eine Tradition zugrunde, die z. B. in Apg 15,19.28 zutage tritt und in Übereinstimmung mit der paulinischen Position den Gläubigen «aus den Völkern» keinerlei Lasten auferlegen wollte?127 Oder deuten die unterschiedlichen Darstellungen der Jerusalemer Vereinbarungen darauf hin, dass die Beschlüsse von Anfang an von den verschiedenen Parteien unterschiedlich ausgelegt wurden, was baldige neue Konflikte nach sich ziehen musste?

2.2.3.5
Der Streit geht weiter

Trotz der in Jerusalem erreichten Einigung schliesst sich im biografischen Rückblick des Paulus im Galaterbrief ein weiterer tiefer Konflikt an (Gal 2,11–21). Entgegen den Abmachungen von Jerusalem – so stellt es sich jedenfalls in der Perspektive des Paulus dar – kündigten Petrus und Barnabas die bereits praktizierte Tischgemeinschaft mit den Gläubigen «aus den Völkern» wieder auf, nachdem «Leute aus dem Kreis um Jakobus» (2,12) nach Antiochia gekommen waren und diese Praxis beanstandet hatten. Für die Gemeinde von Antiochia war es offenbar selbstverständlich, in der gemeinsamen Praxis keine Unterschiede zwischen den Gemeindemitgliedern jüdischer und nichtjüdischer Herkunft zu machen. Dazu gehörte es auch, miteinander zu essen, ohne die Reinheits- und Speisegebote der Tora zu beachten. In der Perspektive des Paulus war diese Praxis von der Jerusalemer Versammlung bestätigt worden. Die Leute aus Jerusalem sahen das offenbar anders. Für Paulus ist es nun nicht zu akzeptieren, dass Petrus «umfiel». Auch er hatte sich zunächst der antiochenischen Praxis angeschlossen, hatte sich dann aber nach der Ankunft der Jerusalemer wieder zurückgezogen. Seinem Beispiel folgten Barnabas und andere jüdische Gemeindemitglieder (2,13). Paulus nimmt dies zum Anlass, in eine offene Auseinandersetzung mit Petrus zu treten, ihm «ins Angesicht zu widerstehen» (2,11). Und wieder macht er deutlich, warum es sich dabei für ihn nicht um eine Äusserlichkeit |86| handelt, sondern das Zentrum des Christusglaubens infrage steht. Denn in Christus ist für ihn die grundlegende Befreiung von der Sündenmacht geschehen, und durch das Vertrauen auf Christus erlangen Menschen Anteil am Heil, das ihnen das Christusereignis eröffnet hat. Zugehörigkeit zu diesem Heil ist nicht durch die traditionalen jüdischen Identitätsmerkmale wie Beschneidung oder die Beachtung der Tora zu erlangen, sondern indem man sein Leben ganz dem Christus anvertraut. Paulus stellt diese unlösliche Verbindung mit dem Christus in einem eindrücklichen Bild dar:

«Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.» (Gal 2,19 f.)

Was aus dieser Auseinandersetzung geworden ist, erfahren wir weder aus den Briefen des Paulus noch aus der Apostelgeschichte, die diesen Streit überhaupt nicht erwähnt. Weder Petrus noch Barnabas finden in den paulinischen Briefen grössere Aufmerksamkeit. Vor allem im Blick auf Barnabas irritiert der Befund; denn nach allem, was wir über die gemeinsame Anfangszeit und ihre gemeinsame Arbeit wissen, müsste Barnabas in den Briefen des Paulus eine weit grössere Bedeutung zukommen. So ist davon auszugehen, dass der Streit in Antiochia zu einem dauerhaften Zerwürfnis zwischen Paulus und Barnabas führte und sich ihre Wege daraufhin trennten.

2.2.3.6
Ein weit gespanntes Tätigkeitsfeld

Über die Zeit nach diesem «antiochenischen Zwischenfall» haben wir keinen zusammenhängenden Bericht des Paulus mehr. Doch aus der Zeit nach der Apostelversammlung stammen die Briefe des Paulus, die die Konturen seines weiteren Arbeitens aufscheinen lassen und ihn als einen unermüdlichen Verkünder und Gemeindeorganisator mit einem weit gespannten Tätigkeitsfeld im Mittelmeerraum zeigen.

Exkurs

Von jenem «antiochenischen Zwischenfall» ist in der Apostelgeschichte nicht die Rede. Doch erzählt auch sie von einem heftigen Konflikt zwischen Paulus und Barnabas, in deren Folge sich die Wege der beiden dauerhaft trennten (Apg 15,36–41). Anlass für diesen Konflikt ist die Frage, ob Johannes Markus mit auf die nächste Verkündigungsreise zu nehmen sei. Während sich Barnabas für |87| Johannes Markus ausspricht, besteht Paulus darauf, ihn nicht mitzunehmen, weil er sich auf der letzten Reise nicht bewährt habe. Weil keine Einigung erzielt werden kann, kommt es zur endgültigen Trennung. Barnabas macht sich gemeinsam mit Johannes Markus auf den Weg, während Paulus sich Silas als neuen Partner sucht. Von da an ist Barnabas aus dem Blickfeld der Apostelgeschichte verschwunden. Im Zentrum der erzählerischen Aufmerksamkeit liegt nun ausschliesslich die weitere Arbeit des Paulus und seiner Begleiter.

Der weitere Weg des Paulus wird in der Apostelgeschichte in Form von drei Missionsreisen dargestellt. Die erste führt Paulus zunächst nach Kleinasien (15,41–16,6) und von dort (2. Reise) nach einer nächtlichen Vision (16,9 f.) nach Makedonien und damit nach Europa. Erzählerisch ausführlich ausgestaltet ist der Aufenthalt in der römischen Kolonie Philippi (16,12–40), wo die Gruppe um Paulus zunächst auf Lydia trifft, die sich für das Evangelium gewinnen lässt und deren Haus zu einem Kristallisationspunkt der entstehenden Gemeinde wird. Die Austreibung eines Wahrsagegeistes aus einer Sklavin führt zu einem Konflikt mit ihren «Besitzern», in dessen Folge Paulus und Silas verhaftet und ins Gefängnis geworfen werden. Nach einer wundersamen nächtlichen Befreiung können sie ihren Weg fortsetzen. Dieser führt sie über Thessaloniki (17,1–9), Beröa (17,10–15) und Athen (17,16–34) nach Korinth, wo Paulus insgesamt eineinhalb Jahre bleibt (18,11). In Korinth verdient er seinen Lebensunterhalt zunächst durch Mitarbeit im Zeltmacherbetrieb von Priska und Aquila. Nachdem Silas und Timotheus aus Makedonien eingetroffen sind und offensichtlich finanzielle Unterstützung mitgebracht haben, kann sich Paulus ganz der Verkündigung widmen. In die Zeit in Korinth fällt ein Konflikt, der Paulus eine Anklage vor Gallio, dem Prokonsul von Achaia, bescherte. Sollte diese Begegnung historisch glaubwürdig sein, wäre damit ein Fixpunkt für die zeitliche Einordnung seines Korinthaufenthaltes und die gesamte Pauluschronologie gegeben; denn die Amtszeit des Gallio in Korinth lässt sich mit Hilfe einer in Delphi gefundenen Inschrift aus dem Jahr 52 n. Chr. bestimmen.128 Gemeinsam mit Priska und Aquila gelangt Paulus nach Ephesus, von wo er über Cäsarea Maritima und Jerusalem nach Antiochia zurückkehrt (18,18–22).

Im Zentrum der «dritten Missionsreise» (Apg 18,23–21,17) steht ein zweijähriger Aufenthalt des Paulus in Ephesus (19,1–20,1). Dieser wird mit einer Episode über den in Ephesus predigenden Apollos eingeleitet, der von Priska und Aquila allerdings zunächst in der rechten Lehre unterwiesen werden muss (18,24–28). Paulus wird in Ephesus als wortmächtiger Prediger, Lehrer und erfolgreicher Wundertäter gezeichnet. Einen bedeutenden Akzent setzt die Erzählung über den Aufruhr der Silberschmiede von Ephesus. Nur durch ein behördliches Eingreifen |88| können die Eskalation des Konflikts und gewalttätige Angriffe gegen Paulus und seine Gefährten verhindert werden (19,23–40). Sehr kurz wird von der sich anschliessenden Reise des Paulus durch Makedonien und Griechenland berichtet, bevor dann sein Abschied aus Kleinasien mit Hilfe einer sorgfältig angelegten Abschiedsrede vor den ephesinischen Ältesten in Milet ausführlich gestaltet wird (20,17–38).

 

In der lukanischen Darstellung der Verkündigungsarbeit des Paulus lässt sich insgesamt ein wiederkehrendes Schema beobachten: Anknüpfungspunkt für seine Verkündigung ist in der Regel die Synagoge der jeweiligen Stadt. Dies wird schon so seit der ersten Missionsreise auf Zypern (13,5), in Antiochia in Pisidien (13,14–52) oder Ikonion (14,1–7) dargestellt und setzt sich auf der zweiten Missionsreise in Philippi (16,13), Thessaloniki (17,1–9), Beröa (17,10–15), Athen (17,17) und Korinth (18,4) sowie auf der dritten Missionsreise in Ephesus (19,8) fort. In den Synagogen stösst Paulus allerdings meist entweder auf Desinteresse oder auf heftige Ablehnung. Zwar gibt es auch Menschen jüdischer Herkunft, die offen gegenüber der Botschaft des Paulus sind, so die Mitglieder der Synagoge in Antiochia in Pisidien (13,42 f.) oder in Beröa (17,11 f.); und in einigen Städten gelingt es auch, Jüdinnen und Juden für den Messiasglauben zu gewinnen, so zunächst in Antiochia (13,43), Ikonion (14,1), Thessaloniki (17,4), Beröa (17,12) oder Korinth (18,8). Doch allzu oft erscheinen «die Juden» einer Stadt in der negativen Rolle derer, die – zum Teil gewaltsam – gegen Paulus aktiv werden (13,45; 14,19; 17,5–9.13; 18,6). Infolge dieser Ablehnung in den Synagogen und den sich anschliessenden Konflikten wendet sich Paulus Menschen nichtjüdischer Herkunft zu, meist Gottesfürchtigen, bei denen er ungleich grösseres Interesse findet. Explizit formuliert wird dieser Übergang bereits anlässlich der Konflikte im pisidischen Antiochia. Hier erklären Paulus und Barnabas den aufgebrachten Juden: «Euch musste das Wort Gottes zuerst verkündet werden. Da ihr es aber zurückstosst und euch des ewigen Lebens unwürdig zeigt, wenden wir uns jetzt an die Heiden. Denn so hat uns der Herr aufgetragen: Ich habe dich zum Licht für die Völker gemacht, bis an das Ende der Erde sollst du das Heil sein.» (Apg 13,46 f.)

Nicht selten kommt es zu Konflikten mit den synagogalen oder staatlichen Behörden, in deren Folge Paulus eine Stadt verlassen und sich neuen Tätigkeitsfeldern zuwenden muss. Wie im Falle des Aufruhrs der Silberschmiede in Ephesus treten staatliche Beamte allerdings auch positiv hervor, indem sie Paulus vor schlimmeren Übergriffen bewahren (19,31).