Zukunftsflashs

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Z serii: Dein Business
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Ich fragte auch in dieser Runde, ob sich meine Gesprächspartner der Konsequenzen bewusst wären, die die demografische Entwicklung für ihre Organisation hätte: »Wie viele aus diesem Kreis gehen zum Beispiel in den nächsten Jahren in den Ruhestand?« Die Runde bestand aus relativ vielen hochrangigen Führungskräften, von denen nicht wenige die Hand hoben. Der Schreck stand allen ins Gesicht geschrieben. Ein beträchtlicher Anteil derjenigen, die Schlüsselpositionen innehatten und über den größten Erfahrungs- und Wissensstand verfügten, würde sich demnächst verabschieden.

»Wenn wir nur wüssten, was wir alles wissen«, hörte ich den CEO von Sony einmal sagen. Er bezog sich damals auf Daten, die irgendwo auf Sony-Computern abgespeichert waren, aber meiner Ansicht passt sein Spruch auch in diesem Kontext: Wir glauben zu wissen, dass die Babyboom-Generation nun ins Rentenalter kommt – aber wissen wir denn wirklich, was das bedeutet?

Bereits zwei Monate nach dem ersten Beratungsgespräch machte sich besagter Trend empfindlich bemerkbar. Zuerst ging mein Ansprechpartner bei der Behörde in den Ruhestand, vier Wochen später folgte ihm der Schulungsleiter. Der Exodus der in die Jahre gekommenen Babyboomer hatte begonnen. Genau genommen verlassen sie zwar die Behörde, bleiben dem Sozialversicherungswesen aber nach ihrem Abgang erhalten – als Leistungsempfänger.

Warum wir immer wieder auf den Elvis-Trugschluss hereinfallen

Trotz anhaltender Diskussionen und ausführlicher Berichterstattung über die Konsequenzen der demografischen Entwicklung verschließen wir weiterhin die Augen vor dem, was auf uns zukommt. Die Welle der 78 Millionen Babyboomer bricht heute über das amerikanische Gesundheitssystem herein, das sich auf diese Flut ebenso wenig vorbereitet hat wie das Kleinkinder-Betreuungssystem in den 1950er und das Schulsystem in den 1960er Jahren. Hält die Blindheit für den Trend weiterhin an, wird es in rund zehn Jahren an allen Ecken und Enden an Ärzten und medizinischem Pflegepersonal für die alternden Babyboomer fehlen. Gleichzeitig herrscht in den Kassen der Sozialversicherungen und Krankenkassen bereits jetzt schon chronische Ebbe. Wie soll das also finanziert werden?

Allein in den Vereinigten Staaten werden knapp 80 Millionen Babyboomer schon bald verstärkt auf medizinische Versorgung angewiesen sein, von den Zigmillionen Senioren in anderen Ländern einmal ganz zu schweigen. Das ist ein harter Trend. Können wir diese Versorgung gewährleisten oder nicht? Und wenn ja, wer erbringt diese Leistungen? Die Antworten darauf sind wiederum weiche Trends.

Wieder kommt es darauf an, zwischen hartem und weichem Trend zu unterscheiden: Dass die vielen Millionen Babyboomer mit zunehmendem Alter auch in zunehmendem Maße pflegebedürftig werden, ist ein harter Trend, da er auf harten Zahlen und Fakten beruht, an denen definitiv nichts zu ändern ist. Der absehbare Mangel an medizinischem Pflegepersonal hingegen ist ein weicher Trend, da wir Abhilfe schaffen können, sofern wir ihm Beachtung schenken und uns dazu entschließen, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

Zur Verdeutlichung noch ein simples Beispiel: Wenn Sie heute in zehn Jahren noch leben – und davon gehen wir natürlich aus –, sind Sie zehn Jahre älter, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Weder Sie noch irgendjemand sonst kann daran etwas ändern und daher ist Ihr Älterwerden definitiv ein harter Trend.

Wie wird es in zehn Jahren um Ihre Gesundheit bestellt sein? Nicht anders als heute, schlechter oder vielleicht besser? Das wissen weder Sie noch ich noch sonst jemand. Niemand kann das mit Bestimmtheit sagen, weil Ihr zukünftiger Gesundheitszustand ein weicher Trend ist, der von Ihrem Lebensstil abhängt, auf den Sie jederzeit Einfluss nehmen können.

Da wir gerade bei dem Thema »Gesundheit« sind, möchte ich noch auf einen sehr wichtigen Punkt hinweisen, der uns alle betrifft: Ganz gleich, wie eindeutig und endgültig eine medizinische Prognose klingen mag: Sie ist niemals als harter Trend zu verstehen. So niederschmetternd es ist, wenn der Halbgott in Weiß verkündet, man hätte leider nur noch sechs Monate zu leben, gibt es doch genügend Menschen, die ihre vom Arzt prognostizierte Restlebenszeit um viele Monate oder gar Jahre überleben.

Wie ist das möglich? Durch eine Änderung der Lebensgewohnheiten. Ob durch Nahrungsumstellung oder die Aufnahme sportlicher Aktivitäten, ob durch eine andere Atemtechnik, äußere Haltung oder innere Einstellung, ob durch Nahrungsergänzungsmittel oder alternative Therapien, jeder Mensch hat zahlreiche Möglichkeiten, um auf seinen Gesundheitszustand einzuwirken und ihn zu verbessern. Er ist veränderbar und somit prinzipiell immer ein weicher Trend.

Kurz gesagt: Harte Trends ermöglichen es Ihnen, in die Zukunft zu sehen, und weiche Trends ermöglichen es Ihnen, die Zukunft zu gestalten. Beides zusammen bildet die Grundlage, auf der sich das erstaunliche Potenzial eines Zukunftsflashs voll entfaltet.

Neulich erzählte mir ein Kollege aus Washington, D.C., dass in seiner Straße nachts Autos mutwillig beschädigt wurden. Zuerst traf es einen Nachbarn, der am anderen Ende der Straße wohnte, dann einen, der nur wenige Häuser entfernt wohnte, und dann seinen direkten Nachbarn.

»Tja, dann dürfte dein Auto wohl als nächstes drankommen«, sagte ich zu ihm.

War das ein harter Trend? Nein, definitiv nicht, denn er konnte ja etwas dagegen unternehmen. Was er dann auch tat und sein Auto nicht in der Einfahrt, sondern in der Garage parkte.

Natürlich können auch Ereignisse, die auf weichen Trends beruhen, eintreten. Doch trotz ihrer vielleicht sogar hohen Eintrittswahrscheinlichkeit treten sie nicht zwangsläufig ein. Bei weichen Trends besteht immer die Möglichkeit, ihren Verlauf aktiv zu verändern. Schon vor Jahren schien sich jeder damit abgefunden zu haben, dass GM im Vergleich mit Toyota irgendwann den Kürzeren ziehen würde. Seit die amerikanischen Automobilhersteller in den Siebzigern und Achtzigern ihren Qualitätsvorsprung vor der japanischen Konkurrenz verloren haben, kämpft die gesamte Branche darum, wieder aufzuholen, übersieht dabei aber seit Jahrzehnten die harten Trends.

Zum Beispiel die wachsende Bedeutung von Indien und China als Wirtschaftsmächte sowie die Preisentwicklung für Rohöl.

Seltsam genug, dass wir die zyklischen Schwankungen auf den Immobilien- und Finanzmärkten fälschlicherweise als lineare Prozesse interpretieren und von kontinuierlich steigenden Werten ausgehen. Noch seltsamer aber ist, dass wir auch lineare Prozesse mit zyklischen verwechseln. Seit Jahrzehnten bringen die »Big Three« – GM, Ford und Chrysler – Benzinschleudern auf den Markt, als könne man davon ausgehen, dass die in Amerika vergleichsweise niedrigen Kraftstoffpreise auch in Zukunft niedrig bleiben. Dem wird nicht so sein!.

Tatsächlich ist der Kraftstoffpreis – wie so vieles – zyklischen und linearen Prozessen unterworfen, die strikt zu unterscheiden und getrennt voneinander zu bewerten sind. Von besonderer Bedeutung sind die linearen Muster, da sie den Status quo nachhaltig verändern und somit im wahrsten Sinne des Wortes zukunftsweisend sind. Saisonal bedingte Schwankungen im Kraftstoffverbrauch, wirtschaftliche Auf- und Abschwünge, geopolitische Ereignisse und andere zyklische Einflussfaktoren lassen Benzin mal etwas teuerer, mal etwas günstiger werden. Diese zyklischen Faktoren sind jedoch bedeutungslos, wenn man sich den langfristigen harten Trend vor Augen hält, der den Ölpreis zwangsläufig und unumkehrbar immer weiter in die Höhe treiben wird: der weltweit kontinuierlich steigende Bedarf, der sich aus dem explosionsartigen Wirtschaftswachstum der Schwellenländer und dem damit einhergehenden Wohlstand ihrer Bürger bedingt. Die Hauptakteure in diesen Zusammenhang sind nicht so sehr Saudi-Arabien, der Irak oder Venezuela, sondern China und Indien. Bis Sie dieses Buch zu lesen bekommen, wird sich China vermutlich als das Land etabliert haben, in dem die meisten Autos hergestellt werden, und die Massen frischgebackener Autobesitzer werden eines ganz sicherlich nicht tun: statt aufs Gaspedal wieder in die Fahrradpedale treten.

Halten wir also fest: Ja, die Kraftstoffpreise schwanken abhängig von Ferien- und Jahreszeiten, und in Zeiten der weltweiten Rezession geht die Nachfrage zurück, was das Benzin vorübergehend auch um ein paar Cent billiger werden lässt. Aber jeder Rezession folgt auch wieder der Aufschwung und dann steigen auch die Nachfrage und der Preis. Diesen Schwankungen übergeordnet ist ein starker, linear und definitiv steigender Preistrend.

Seit Jahren zeichnet sich überdeutlich ab, dass die Zukunft der Automobilbranche in der Entwicklung kleiner, umweltfreundlicher Fahrzeuge mit niedrigem Kraftstoffverbrauch liegt beziehungsweise in der Entwicklung alternativer Antriebe. Nur halbherzige Bemühungen in diese Richtung zu unternehmen und in der Hoffnung darauf, dass der Benzinpreis schon irgendwann wieder auf ein verbraucherfreundliches Niveau fällt, weiterhin große Luxuskarossen mit hohem Kraftstoffverbrauch zu produzieren, hat sich als absolut unsinnige Strategie erwiesen. Und doch investierten die amerikanischen Automobilhersteller lieber Millionen in den Kampf gegen neue Emissionsstandards und Milliarden in die Produktion der Benzinschleudern samt aufwändigen Marketingkampagnen.

Kein Autofahrer käme je auf die Idee, sich bei voller Fahrt nur an dem Bild im Rückspiegel zu orientieren. Doch genau das taten die Automobilhersteller, und sie waren nicht die Einzigen, die nicht nach vorne blickten. Die US-Regierung unterstützte die Branche durch großzügige Subventionen, sodass sich die Produktion der Benzin fressenden Monster als lukratives Geschäft erwies.

Als ich 2004 mit Rick Wagoner zu Abend aß, hatte GM den Produktionsschwerpunkt gerade von herkömmlichen Limousinen auf Sport Utility Vehicles (SUV), d. h. auf Geländelimousinen, umgestellt. Die geräumigen, bequemen und gleichzeitig geländegängigen Autos waren damals der Renner, und alles deutete auf eine stetig steigende Nachfrage hin. Es war eine strategische Entscheidung, die damals durchaus vernünftig erschien. Doch der Schein trog, denn es handelte sich um einen klassischen Elvis-Trugschluss.

 

Für Rick war es damals sicherlich unvorstellbar, dass seine Karriere bei GM nur fünf Jahre später beendet sein würde – genauso wenig schwante es ihm, dass das Unternehmen seinen dicksten Brummer und den ultimativen Schluckspecht, den legendären Hummer, an einen chinesischen Hersteller ohne jegliche Branchenerfahrung verkaufen würde. Unvorstellbar oder nicht, aber so kam es.

Die steigende Nachfrage nach umweltfreundlichen, sparsamen Fahrzeugen war schon damals ein harter Trend. Die drohende Übernahme der Marktführerrolle durch Toyota war jedoch kein harter Trend, da GM diese Entwicklung durchaus hätte verhindern können. Was nicht geschah.

»In der Entwicklung von GM spiegelt sich die Entwicklung der Nation wider.« Das mag in den vergangenen fünf Jahrzehnten gegolten haben, muss aber nicht so bleiben. Es ist kein harter, sondern ein weicher Trend. Dass sich bisher etwas bewahrheitet oder in eine bestimmte Richtung entwickelt hat, heißt noch lange nicht, dass sich die Entwicklung zwangsläufig fortsetzt – es sei denn, ihr liegen unveränderliche, eindeutig messbare Trenddaten zugrunde. Das Einzige, worauf Sie sich tatsächlich verlassen können, ist, dass sich alles, was nicht eindeutig und kausal an harte Trends gekoppelt ist, mit Sicherheit ändern wird. Die Frage ist nur, in welche Richtung die Entwicklung gehen wird.

Zur Verdeutlichung möchte ich kurz auf zwei andere Automobilhersteller zu sprechen kommen: Toyota und Hyundai. Als bei GM die Absatzzahlen immer weiter einbrachen, während Toyota ein stetiges Umsatzplus erwirtschaftete, war allen klar, dass Toyota die Rolle des globalen Marktführers übernehmen würde. Doch Anfang 2010 brachten klemmende Pedale den japanischen Vorzeigekonzern selbst in die Klemme und anstelle des GM-Chefs geriet nun der CEO von Toyota unter Beschuss. Das ist das Schöne daran, wenn man harte und weiche Trends erkennen und unterscheiden kann: Anhand harter Trends lassen sich beispielsweise die Richtung des technologischen Fortschritts sowie die damit einhergehenden neuen Möglichkeiten erkennen. Weiche Trends dagegen weisen auf zukünftige Chancen und Geschäftsoptionen hin. Wäre Toyotas Marktführerschaft ein harter Trend, könnte die Konkurrenz einpacken, doch das ist nicht der Fall. Der unaufhaltsame technologische Fortschritt ist ein sicherer Fakt, die Frage, wer ihn sich zunutze macht und implementiert, ist noch offen.

Das vielleicht beste Beispiel liefert uns Hyundai. Jahrelang war die Marke Hyundai der Inbegriff des Billigautos und das Unternehmen galt bei vielen Großen der Branche als nicht ernst zu nehmender Konkurrent. Doch als 2009 die Finanzkrise in vollem Gange war, brachte Hyundai in Amerika einen sehr kreativen Werbespot an den Start, in dem Käufern die sofortige Rücknahme des Fahrzeugs zugesichert wurde, sollten sie in die Arbeitslosigkeit schlittern. Hyundais Absatzzahlen schossen in die Höhe, und schon 2010 versicherte der Autobauer durchaus glaubwürdig, dass man sich nun auch im lukrativen Luxus-Segment etablieren und mit eigenen Premium-Marken mit BMW, Lexus und Mercedes gleichziehen wollte.

Mit welchen Fahrzeugen die Automobilindustrie in fünf Jahren Verkaufserfolge erzielen kann, steht zumindest teilweise schon heute fest. Sicher ist zum Beispiel, dass nach wie vor große und kleinere Lastkraftwagen zum Transport von Waren und geräumige Familienautos gefragt sein werden. Wir werden also nicht alle nur noch kleine Miniflitzer kaufen. Sicher ist aber auch, dass sich zukünftige Modelle durch niedrigere Emissionswerte und einen geringeren Kraftstoffverbrauch auszeichnen müssen und werden. Gründe dafür sind die harten demografischen Trends in China und Indien sowie der nicht von der Hand zu weisende Treibhauseffekt. Das sind die Dinge, die wir jetzt schon mit Sicherheit sagen können. Was wir nicht sagen können, ist, von welchen Herstellern wir in Zukunft unsere Autos kaufen – das hängt davon ab, welche Automobilbauer die Zeichen der Zeit zu deuten und zu ihrem Vorteil zu nutzen wissen.

Vor einiger Zeit war ich bei einem großen Immobilienunternehmen in Detroit und hielt einer Gruppe von Maklern einen Vortrag über harte und weiche Trends. Wir hatten gerade die Definition eines harten Trends besprochen, als sich einer der Teilnehmer zu Wort meldete:

»Ich glaube, dazu fällt mir ein gutes Beispiel ein. Die Automobilindustrie in Detroit liegt am Boden, es gibt keine Arbeitsplätze mehr, und die Leute ziehen in Scharen weg. Eigentlich geht das schon seit über zehn Jahren so. Und nachdem nicht abzusehen ist, dass sich die Automobilindustrie demnächst erholt, wird sich auch der Bevölkerungsschwund in den nächsten Jahren fortsetzen. Das ist ein harter Trend, richtig?«

Falsch. Das ist ein weicher Trend, auch wenn viele gute Gründe für diese Entwicklung sprechen und sie sehr wahrscheinlich ist. Wahrscheinlich ist dennoch nicht dasselbe wie sicher. Was wäre denn, wenn Toyota (oder Hyundai) GM übernimmt?

Der Schlüssel, mit dem sich das Fenster zur Zukunft öffnen lässt, ist die Fähigkeit, klar zwischen harten und weichen Trends – zwischen Fakt und Fiktion, zwischen scheinbarer Sicherheit und absoluter Gewissheit – unterscheiden zu können. Die Fähigkeit, den Elvis-Trugschluss zu vermeiden.

Aus harten Trends Kapital schlagen

Neben Bevölkerungsstatistiken gibt es eine weitere aussagekräftige Datenquelle, der sich zuverlässige Informationen über harte Trends entnehmen lassen. Aus dieser Quelle – dem unaufhaltsamen technologischen Fortschritt – werde ich in diesem Buch noch häufig schöpfen.

1993 stand ich bei der Konferenz des amerikanischen Buchhandelsverbands auf dem Podium. In meinem Leitvortrag prophezeite ich den rund 10 000 anwesenden Buchhändlern:

»Innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre wird irgendjemand auf die Idee kommen, einen großen Online-Buchladen im Internet zu eröffnen, der zur Folge haben wird, dass sich die Kaufgewohnheiten Ihrer Kunden von Grund auf ändern. Kann sein, dass diese Person hier und heute in diesem Saal sitzt. Ich glaube aber, dass es ein Branchenfremder sein wird, jemand, der unbefangen ist und außerhalb der gewohnten Bahnen denken und handeln kann. Jemand der das Geschäft aus einer vollkommen anderen Perspektive betrachtet und von einem visionären Geistesblitz getroffen wird.«

Meine Prophezeiung wurde nicht wirklich ernst genommen. 1993 war das Internet mit seinen Möglichkeiten für die meisten Leute ein Buch mit sieben Siegeln. Mosaic, der erste grafikfähige Webbrowser, der die Darstellung von Webinhalten ermöglichte, war gerade mal im April 1993 veröffentlicht worden, und der erste weithin bekannte Browser (der Netscape Navigator) sollte erst im Oktober 1994 auf den Markt kommen. »E-Commerce« wie wir es heute kennen, das heißt die vollständig elektronische Abwicklung von Geschäften und Unternehmensaktivitäten über ein weltweites Netzwerk, gab es damals noch nicht.

Wie es weiterging, ist bekannt. 1994 gründete ein 30-Jähriger Visionär namens Jeff Bezos eine innovative Internet-Firma namens Cadabra.com, die ein Jahr später als Buchhandelsplattform online ging und schließlich in Amazon umgetauft wurde.

1999 ernannte das Magazin Time Jeff Bezos zum Mann des Jahres und widmete ihm die Titelstory. Bezos erkannte den harten Trend und ist heute einer der reichsten Männer der USA.

1993 war das natürlich alles noch nicht geschehen, aber angesichts der Fortschritte, die sich in der Internet-, Computer- und Modem-technologie abzeichneten, war ich sicher, dass es so kommen würde – absolut sicher, sonst hätte ich meinen guten Ruf nicht aufs Spiel gesetzt und meine Prognose vor Tausenden von Buchhändlern verkündet. Dass ich mit meiner Prophezeiung Recht behielt, war weder Glück noch Magie. Die Entwicklung war ein harter Trend und somit glasklar vorhersehbar.

Es war auch nicht die einzige Prophezeiung, mit der ich einen Volltreffer landete. In den letzten 25 Jahren habe ich Hunderte von korrekten Vorhersagen bezüglich technologischer Innovationen und ihren Auswirkungen auf unseren Alltag getroffen. Einige Beispiele mit Jahresangaben finden Sie in folgender Tabelle. Ich möchte betonen, dass ich jede dieser Prognosen entweder in Vorträgen, Artikeln, Interviews oder Büchern öffentlich verkündete und keine nachträglich »korrigiert« habe.


Jahr der Prognose Was ich vorhergesagt habe / Wann es eingetreten ist
1983 In den 1990er Jahren werden wir eine digitale Revolution erleben.
1983 war unsere Welt noch analog und der Begriff digital hatte sich noch nicht einmal im Wortschatz von Unternehmern, Wissenschaftlern und Akademikern etabliert. In den 1990er Jahren löste die weltweite Umstellung von analogen Datenformaten auf digitale eine Vielzahl an revolutionären Innovationen in den Bereichen Mobilfunk, Fotografie und E-Mail-Kommunikation aus, um nur einige zu nennen.
1983 Glasfaseroptik wird sich als Medium für die Breitband-Datenübertragung durchsetzen.
1983 war die Glasfaseroptik ein noch relativ unbekanntes und nur ansatzweise erforschtes Feld. Ende der 1980er Jahre bildeten Glasfaserkabel weltweit die Grundlage für die Breitbandkommunikation, was wiederum zehn Jahre später dazu führte, dass das Internet und seine unbegrenzten Möglichkeiten praktisch der ganzen Welt zur beliebigen Nutzung offen standen.
1983 Mitte der 1990er Jahre steht in jedem Klassenzimmer ein Computer.
1983 waren Computer noch nicht sonderlich verbreitet, da man erst einmal eine Programmiersprache wie BASIC beherrschen musste, um etwas Sinnvolles mit ihnen anfangen zu können. 1995 hieß es in einem Artikel der Zeitung USA Today, dass in jedem US-amerikanischen Klassenzimmer mindestens ein Computer zur Verfügung steht.
1984 Bis zum Jahr 2000 gelingt es, das menschliche Erbgut zu entschlüsseln.
Sechs Jahre später, 1990, fiel der Startschuss für das »Human Genome Project«, das zum Ziel hatte, das menschliche Genom vollständig zu sequenzieren. Am 26. Juni 2000 präsentierten der damalige US-Präsident Bill Clinton und sein britischer Amtskollege Tony Blair die erste »Arbeitsversion« des menschlichen Erbguts der Weltöffentlichkeit.
1984 Die Verwendung von Icons – das heißt von Symbolen – wird sich bis 1990 als Standard für grafische Benutzeroberflächen durchsetzen.
Die grafische Benutzeroberfläche des ersten Apple Macintosh, der 1984 auf den Markt kam, wurde von vielen als nette, aber eigentlich überflüssige Spielerei betrachtet. Auch die Microsoft-Windows-Version 1.0, die ein Jahr später herauskam, löste noch keine Begeisterungsstürme aus. Windows 3.0 aber, das 1990 veröffentlicht wurde, entwickelte sich zu einem Renner und wurde in den ersten sechs Monaten zwei Millionen Mal verkauft. Ein Computer ohne grafische Benutzeroberfläche ist seitdem überhaupt nicht mehr vorstellbar.
1986 Bis Ende der 1990er Jahre werden wir das Globale Positionsbestimmungssystem GPS in der Landwirtschaft, der Logistik und zahlreichen weiteren Anwendungsgebieten nutzen.
1986 diente GPS ausschließlich militärischen Zwecken und nur wenige Leute konnten sich andere Anwendungsbereiche vorstellen. Seit Ende der 1990er Jahre wird GPS von Landwirten für das sogenannte »Precision Farming« (»Präzisionslandwirtschaft«) und von Spediteuren für die Positionsbestimmung ihrer Flottenfahrzeuge eingesetzt.
1988 Bis Ende der 1990er Jahre wird weltweit hauptsächlich über E-Mail kommuniziert.
1988 kommunizierten nur Wissenschaftler, Programmierer und Technikbegeisterte per E-Mail. 1998 übertraf die Zahl der online versendeten E-Mails die Zahl der über die Post verschickten Schriftstücke bei weitem.
1988 Ab Mitte der 1990er Jahre werden die meisten Unternehmen das Internet nutzen und sich neue Online-Geschäftsoptionen erschließen.
1988 waren zur Nutzung des Internets fundierte Programmierkenntnisse erforderlich, weshalb die meisten Leute geschäftliche Online-Aktivitäten für utopisch hielten. Das änderte sich schlagartig, als 1993 und 1994 die ersten Webbrowser mit grafischer Benutzeroberfläche auf den Markt kamen, die es den Unternehmen ermöglichten, sich ohne großen Aufwand im weltweiten Netz auf eigenen Webseiten zu präsentieren.
1988 In Indien gibt es wesentlich mehr Programmierer als in den Vereinigten Staaten. Wenn sie sich erst einmal vernetzt haben, was Ende der 1990er der Fall sein wird, werden wir eine Revolution erleben.
Nur sehr wenigen Leuten war damals klar, dass es in Indien sehr viel mehr Programmierer gab als in den USA. Dass dies unweigerlich zu einem rasanten Wirtschaftswachstum in Indien führen und eine Revolution im Dienstleistungssektor auslösen würde, sahen noch weniger Leute kommen.
1993 In zwei bis drei Jahren wird jemand einen überaus einträglichen Online-Buchhandel gründen.
Wie weiter oben schon gesagt, wurde Amazon.com 1994 gegründet.
1996 Der drahtlose Zugang zum Internet wird sich zwischen 2000 und 2005 massiv durchsetzen.
Damals waren der Netscape Navigator und die Microsoft Webbrowser knapp ein Jahr auf dem Markt, der Zugang zum Internet erfolgte über Kabelverbindungen und war entsprechend langsam. Mitte 1999 brachte Apple den ersten AirPort (WiFi-Hub) auf den Markt, und das WLAN begann seinen Siegeszug.
1996 Spätestens in zehn Jahren können wir mit Smartphones bequem im Internet surfen.
1996 brachte Nokia das erste Smartphone – ein Mobiltelefon mit Computerfunktionalität – auf den Markt. Das Modell hieß Nokia 9000 und war teuer, groß und knapp ein halbes Kilo schwer. Um 2006 wurden weltweit jährlich schon rund hundert Millionen internetfähige Smartphones verkauft.
1997 Die Webarchitektur der nächsten Generation (XML) wird uns in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts eine neue Dimension der gesellschaftlichen Vernetzung eröffnen.
2004 waren Begriffe wie Web 2.0 und private Netzwerke in aller Munde, um den neuartigen Nutzungsarten des Internets einen Namen zu geben, die durch die XML-Technologie geschaffen wurden.
2006 2008 werden wir die ersten Anzeichen einer gewaltigen Finanzkrise zu spüren bekommen, die damit beginnt, dass immer mehr Hauseigentümer in Zahlungsverzug geraten, sobald die Lockvogelzinssätze angehoben werden. Das wird eine Welle an Zwangsvollstreckungen und einen rekordverdächtigen Preisverfall auf dem Immobilienmarkt auslösen.
Schon 2006 zeichnete sich ab, dass Amerika und dem Rest der Welt eine Finanzkrise globalen Ausmaßes bevorstand, doch nur wenige wussten die Zeichen richtig zu deuten.
2008 Die unter dem Begriff »Social Media« zusammengefassten Medien und Technologien, die es Benutzern ermöglichen, mediale Inhalte auszutauschen oder gemeinsam zu gestalten, werden sich bis 2010 als Standard auf Smartphones durchsetzen.
2008 waren diese Medien und Technologien noch Neuland. Wenige hielten sie für ein einträgliches Geschäftsfeld, noch weniger erkannten die Möglichkeit, die Funktionen in Mobiltelefonen zu integrieren.

Dass ich diese Ereignisse und Entwicklungen vorhersehen konnte, liegt nicht daran, dass ich gut geraten habe oder über übersinnliche Fähigkeiten verfüge. Man muss sich einfach etwas Zeit nehmen und wissen, wohin man schauen und wonach man suchen muss, um sehen zu können, was die Zukunft bringt. Die zeitliche und inhaltliche Treffsicherheit dieser und zahlreicher weiterer Vorhersagen habe ich dem Umstand zu verdanken, dass ich mich schon sehr lange intensiv mit harten technologischen Trends beschäftige.

 

An harten Trends lässt sich die Zukunft ablesen. Wenn Sie die besonderen Merkmale harter Trends erst einmal zu deuten gelernt haben, eröffnen sich ganz von selbst völlig neue Perspektiven.

Ende der 1980er Jahre war ich als strategischer Berater in der Non-Profit-Organisation Mayo Clinic und bat die Geschäftsführung mir zu schildern, wie sich die sichtbare Zukunft der Organisation in ihren Augen darstellte. Was die Führungskräfte sahen, waren immer striktere Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen, Einbußen in den Notfallstationen und eine allgemeine Verschlechterung des Wirtschaftsklimas. Die von ihrem Standpunkt aus so unausweichlich erscheinenden demografischen und ökonomischen Trends ließen sie in eine sehr düstere Zukunft blicken.

Sie täuschten sich jedoch in der Einschätzung harter Trends. Die Überalterung der Bevölkerung war zwar ein sicherer Fakt, musste jedoch nicht zwangsläufig mit finanziellen Einbußen für die Mayo Clinic einhergehen.

Ich wies die Geschäftsführung daher auf einige wichtige Schlüsseltrends hin, die ihr entgangen waren: die zunehmende Zahl von immer schnelleren, leistungsfähigeren Computern in Privathaushalten in Verbindung mit der fortschreitenden Verbreitung von CD-ROMs als Speichermedien. Dank immer leistungsfähigerer Prozessoren, größerer Speicherkapazitäten und immer kleinerer Komponenten (drei harte Trends), konnten immer umfangreichere Datenmengen abgespeichert, verteilt und nach Inhalten durchsucht werden. Somit standen neuartige Möglichkeiten zur Verfügung, um einen umfangreichen Wissens- und Erfahrungspool aufzubauen und zugänglich zu machen.

In anderen Worten: Unsere Welt verwandelte sich wirtschaftlich und gesellschaftlich rapide in eine wissensbasierte Welt. Ich schlug daher vor, sich diesen Trend zunutze zu machen und die Mayo Clinic in eine Organisation zu verwandeln, die sich nicht nur über die Behandlung von Patienten finanziert, sondern auch Kapital aus ihrem Wissen schlägt.

Heutzutage käme natürlich jeder auf diese Lösung, doch Ende der 1980er Jahre war das eine absolut innovative Idee. CD-ROMs waren damals noch nicht lange auf dem Markt und bis Microsoft Encarta, die erste elektronische Enzyklopädie überhaupt, herausbrachte, sollten noch fünf weitere Jahre vergehen. Dass die Mayo-Leute trotzdem sofort von meinem Vorschlag begeistert waren, ist ihnen hoch anzurechnen. Sie erstellten eine ausgezeichnete, medizinisch fundierte Ratgeber-CD, die Kontaktadressen von Fachärzten aus allen nur erdenklichen Bereichen sowie Tipps und Fragenkataloge enthielt, anhand derer Eltern zum Beispiel zu jeder Tages- und Nachtzeit feststellen konnten, ob der Hautausschlag oder die erhöhte Temperatur ihres Kindes die sofortige Fahrt in die Notaufnahme erforderte oder erst einmal mit Aspirin behandelt werden konnte.