Das Gesetz des Rudels

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Das Gesetz des Rudels
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Dani Merati

Das Gesetz des Rudels

Joshua und Kaden

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

Joshua

Kaden

Joshua

Kaden

Joshua

Kaden

Joshua

Kaden

Epilog

Impressum neobooks

Prolog

„Joshua, wach auf. Komm schon, wach endlich auf. Der Alpha und die Alphagefährtin sind auf dem Weg nach oben“, zischte Tyler in mein Ohr, als er mich an der Schulter rüttelte.

„Sie sollten doch heute gar nicht hier hochkommen. Was geht da vor sich?“ Ich sprang aus dem Nest von Decken hoch, die mir als Bett dienten, und griff die Joggingklamotten, die auf dem Boden lagen.

Tyler sandte mir nur einen panischen Blick und verschwand wieder durch die Tür, ohne mir zu antworten, ließ mich verwirrt und in Todesangst zurück.

Heute war der Tag, an dem ich endlich meine Freiheit erlangen wollte. Mein zwanzigster Geburtstag - meine Volljährigkeit, das Alter, wo es Wandlern gestattet war, ihr Geburtsrudel zu verlassen. In den letzten vierzehn Jahren - seit dem Tod meiner Eltern - wurde ich bereits wie ein Gefangener auf dem Dachboden im Haus meines Alphas gehalten. Kaum in der Lage zu atmen, ohne dass mich jemand beobachtete. Tyler und ich hatten schon vor Monaten begonnen, unsere Flucht zu planen und heute sollte unsere Chance sein.

Schritte und Stimmen wurden lauter, als meine Großeltern sich meinem Gefängnis näherten.

„Diese verfluchte Schwuchtel denkt, sie kann in mein Revier kommen und Zutritt verlangen. Ich werde ihn umbringen, sowie ich es mit demjenigen getan hab‘, der ihm gesteckt hat, dass die Missgeburt noch lebt.“

Was für ein liebevoller Spitzname, den ein Großvater seinem Enkel geben konnte, die Liebe war richtig durch die Metalltür zu spüren.

„Carl, beruhige dich, du keifst wie ein Irrer und du weißt, wie sehr ich das hasse. Wir werden ihn benutzen müssen, um deinen Wolf zu kontrollieren und ich bevorzuge so wenig Kontakt mit ihm wie machbar.“

Meine Großmutter klang wie ihr normales eisiges Ich, als sie die Tür aufschloss. „Lass es uns einfach hinter uns bringen, damit wir zum Rudeltreffen können.“

Ich kauerte in einer Ecke, versuchte mich so klein wie möglich zu machen. Es war nie etwas Gutes, wenn sie persönlich hier hochkamen, um sich um mich zu kümmern. Meine Großeltern schritten herein, herausgeputzt für ihren späteren Auftritt und extrem wütend.

„Komm sofort hierher“, befahl mein Großvater. Er hielt eine dicke Kette hoch, an deren Ende ein silbernes Halsband baumelte. Ich zögerte, wusste jedoch, dass ich keine andere Wahl hatte, als zu tun, was der Alpha verlangte. So ging ich hinüber zu ihm, den Kopf gesenkt stellte ich mich vor ihn, starrte auf meine Füße.

Mein Wolf knurrte innerlich bei diesem Akt der Unterwerfung, aber ihm war genauso klar wie mir, dass es keine Alternative gab. Ich war kein sehr großer Mann oder Wolf und mein Großvater war nicht nur riesig, er war auch total irre. Mein Wolf und ich wussten also, dass wir keine Chance in einem Kampf gegen den Alpha unseres Rudels hätten.

„Mach endlich, Carl. Kette ihn an, während ich den Sklaven für das Treffen hole. Wir sind schon viel zu spät dran.“ Meine Großmutter verließ das Zimmer wieder und ging hinüber zu Tylers Raum.

„Omega, auf deine Knie und wandle dich. Eine Bewegung und ich breche dir das Genick.“ Ich wusste, dass er nicht scherzte, denn eine Hand packte mich schmerzhaft im Nacken und zwang mich auf den Boden.

Ich rief meinen Wolf also eilig, seine Hand blieb an meinem Hals. Einen Augenblick später klickte das Silberhalsband zu und es war so eng zugezogen, dass ich schwer Luft bekam. Das Silber verbrannte mein Fell und es war nur eine Frage der Zeit, bevor es sich durch meine Haut fraß und von dort in meinen Blutkreislauf geriet.

Eine bevorzugte Bestrafungsmethode meiner Großeltern, doch der Befehl zur Wandlung war neu. Carl und Margaret Harrison hassten meinen Wolf, denn er bedeutete einen weiteren Beweis, für das, was ich war. Ein Omega.

Mein weißes Fell und die eisblauen Augen, zusammen mit meiner schmaleren Statur, repräsentierten ihrer Meinung nach eine Schande für die Familie. Aber für den Moment brauchten sie meine Omegafähigkeiten und das verabscheuten sie wohl noch mehr.

Margaret kam zurück, Tyler demütig hinter ihr, in menschlicher Form, sein eigenes Halsband schimmerte im dämmrigen Licht meines Zimmers. Ich konnte die Prellung auf seiner Wange erkennen, die bereits anschwoll. Meine Großmutter hatte also schon wieder zugeschlagen. Als unterwürfiger Wolf wurde Tyler oft als Sandsack missbraucht und ich sah ihn selten ohne Verletzungen.

Ein Grollen bildete sich in meiner Kehle, mein Wolf unfähig seinen Zorn über die Misshandlung unseres einzigen Rudelgefährten zurückzuhalten. Ein Zerren meines Großvaters an meiner Kette beendete das Knurren, aber die Wut baute sich innerlich weiter auf.

Tyler warf mir einen raschen Blick zu und schüttelte seinen Kopf, sagte mir so stumm, dass ich ruhig bleiben sollte. Ich tat mein Bestes mein Temperament zu bezwingen, und als ich die Stufen herunter tapste, beruhigte sich mein Wolf allmählich. Ich blieb hinter der Gruppe, schnüffelte die ganze Zeit.

Es waren gut sechs Monate her, dass ich mein Zimmer verlassen durfte und obwohl ich panische Angst hatte, konnte ich auch eine gewisse Aufregung nicht unterdrücken. Wir mussten zwei Etagen herunter und durchquerten die Küche, bis wir vor einer anderen metallenen Tür anhielten. Mein Großvater zerrte mich an der Kette hoch und knallte mich dagegen.

„Das ist jetzt dein Zuhause im Augenblick, Missgeburt.“ Er zog die Tür auf und stieß mich die steile Treppe hinunter in einen dunklen, muffigen Keller.

Ich lag einfach da, versuchte durch den Schmerz zu atmen, der von meiner rechten Schulter und Hüfte ausging, auf denen ich gelandet war. Die Tür schlug zu, ich hörte das Schloss klicken und wusste, ich war allein. Sie nahmen Tyler mit und damit unsere Chance zur Flucht.

Keine Ahnung, wie lange ich antriebslos auf dem kalten Boden lag, überwältigt von Verzweiflung und Niedergeschlagenheit. Der voll einsetzende Schmerz von meinem Halsband riss mich aus meiner Lethargie. Mir war klar, dass es jetzt nur noch eine Frage der Zeit war, bis das Metall mich bis zur Bewegungsunfähigkeit schwächte.

Ich rollte auf die Pfoten und sah mich in meiner neuen Umgebung um. Es war ein viel größerer Raum als mein Dachboden, hatte aber einen Geruch, der meine Nase beleidigte und die Feuchtigkeit in der Luft war ebenfalls unangenehm. Ich bevorzugte mein kleines Gefängnis unter dem Dach, mit dem Himmel, den ich durch ein winziges Fenster sehen konnte. Zudem herrschte dort oben ein herrlicher Duft nach Holz im Gegensatz zu diesem modrigen, feuchten Kellerloch.

Es konnte nicht mehr als eine halbe Stunde vergangen sein, in der ich sinnlos hin und her lief, um mich von den Schmerzen abzulenken. Die Tür öffnete sich und eine schmale Gestalt wurde die Treppe heruntergeworfen. Ich raste zu Tyler hinüber, erstarrte aber, als ich sah, in welchem Zustand er sich befand. Blut sammelte sich unter ihm und durchtränkte die Jeans die er trug. Sein linker Arm war unnatürlich verbogen. Über seinen bloßen Oberkörper verliefen Peitschenstriemen, tief genug, dass sie die Haut bis auf die Knochen aufgerissen hatten. Er wimmerte und riss mich aus meiner Betäubung. Ich senkte meine Schnauze langsam zu seiner Brust und leckte die offenen Wunden, die von seinem linkem Schlüsselbein bis zu seinem unteren rechten Rippenbogen reichten.

„Der Schlüssel zu deinem Halsband ist in meiner linken Faust. Wenn du ihn in meine Rechte kriegst, kann ich es dir abnehmen“, murmelte Tyler heiser. „Nimm den Schlüssel. Du musst das Ding loswerden, bevor es dich noch weiter schwächt.“

Ich warf mich auf den Bauch und kroch dicht an ihn heran. Sanft und behutsam stupste ich mit meiner Schnauze gegen seine Hand, aber seine Finger blieben geschlossen.

„Ich fühle im Moment sowieso kaum etwas, sei nicht so vorsichtig und hol den Schlüssel, bevor ich ohnmächtig werde und dir nicht mehr helfen kann.“

Ich war so ängstlich ihn noch mehr zu verletzen, aber er hatte ja Recht. Ich musste nicht nur mein eigenes Halsband loswerden, sondern auch seins. Ich biss an seinen Fingern, bis sie sich genug lockerten, dass ich den blutigen Schlüssel mit den Zähnen fassen konnte. Mit der Nase stupste ich an seine rechte Hand und ließ den Schlüssel in die sich öffnende Handfläche hineinfallen.

 

Dann legte ich mich ganz dicht neben seine Hand und manövrierte meinen Nacken so, dass das Halsband bei seinen Fingern ruhte. Nach einem endlosen Herumfummeln wie mir schien, klickte es endlich und die Fessel fiel ab. Erleichterung durchlief mich in Wellen und ich konnte das erste Mal seit Stunden wieder richtig atmen. Ich wandelte mich rasch, schnappte mir den Schlüssel aus Tylers Hand und entfernte das Silberhalsband von seinem Hals.

„Verdammt, Ty, was zum Teufel ist passiert?“ Ich hatte keine Ahnung, was ich für ihn tun konnte, ich spürte seine Schmerzen in meinem eigenen Körper. Schlimmer noch, ich fühlte, wie er immer schwächer wurde, was mir höllische Angst einjagte.

„Wir müssen hier raus, Josh. Alle sind bei dem Rudeltreffen, doch ich glaube nicht, dass wir noch viel Zeit haben. Du wirst mich die Treppe hinauftragen müssen, aber danach kann ich laufen.“

Tyler hustete und Blut tropfte in einem kleinen Rinnsal aus seinem Mund.

Ich raste die Stufen hoch, um die Tür zu überprüfen. Sie war abgeschlossen, doch nicht so dick wie die zu meinem Dachbodenzimmer. Ich rammte sie ein paar Mal mit meiner Schulter, bevor sie endlich aufsprang. Zurück bei Tyler, kniete ich mich neben ihn.

„Es tut mir leid, mein Freund, aber das wird wehtun.“ So sanft wie möglich hob ich ihn in meine Arme, und während ich aufstand, stöhnte er vor Schmerz. „Es tut mir so leid, ich wünschte, ich könnte etwas tun, dir die Schmerzen nehmen.“

Tyler war ein paar Zentimeter kleiner als ich mit meinen 1,75 m und wog nicht mal fünfzig Kilo. Es fiel mir deshalb leicht ihn die Treppe hinaufzutragen und über den Hauptflur der riesigen Villa. Ich bewegte mich so leise wie möglich, aber mit Tylers angestrengtem Keuchen spielte es keine Rolle. Wenn noch jemand im Haus war, sie würden hören, wie wir uns vorbeischlichen. Oder sie witterten sein Blut. Doch endlich schafften wir es das Anwesen hinter uns zu lassen und erreichten das Gehölz dahinter.

„Kannst du deinen Wolf rufen, Ty?“, fragte ich, besorgt, dass ich die Antwort schon kannte.

„Nein, nicht mit dem Arm. Er müsste erst wieder eingerenkt werden.“ Die Ruhe in seiner Stimme beunruhigte mich und ich fragte mich, ob sein Zustand schlimmer war, als ich dachte. Ich fasste ihn vorsichtig an der gesunden Schulter und sah ihn eindringlich an.

„Du darfst nicht sterben. Du bist der einzige Freund, den ich jemals hatte, du kannst mich nicht alleinlassen, nicht jetzt, wo wir endlich eine Chance auf unsere Freiheit haben.“ Tränen quollen aus meinen Augen, als ich ihn anstarrte.

„Ich habe schon eine Idee, wie ich Hilfe für mich kriege, aber du musst hier weg. Die einzige Chance, die wir beide haben ist, so weit weg von diesem Haus zu kommen wie möglich.“

Tyler schien immer mehr Schwierigkeiten beim Atmen zu bekommen. Zu dem Zeitpunkt, als wir den kleinen Fluss am Rande unseres Grundstücks erreicht hatten, rang er keuchend nach Luft. Ich hob ihn wieder auf meine Arme, obwohl er dagegen protestierte.

Ich watete ungefähr eine halbe Stunde durch das etwas knietiefe Wasser, bis ich das erste Gebäude in der Nähe sah. Ich war das letzte Mal mit sechs Jahren in der Stadt gewesen, meine Erinnerungen dementsprechend verschwommen.

„Wir sind am Stadtrand, was machen wir nun?“, wisperte ich, als wir den Fluss verließen und ich mich hinter eine riesige Kiefer stellte.

„Lass mich hier und lauf. Ich werde mein Bestes geben, deine Familie von deiner Spur abzulenken, aber du musst hier weg. Jetzt!“

Vorsichtig lege ich Tyler auf die Erde und kniete mich neben ihn. „Nein, auf keinen Fall. Ich lasse dich nicht zurück. Niemals!“ Und wenn ich meinen Freund über den ganzen Kontinent tragen musste, ich würde es tun.

„Wir wissen beide, dass ich nur eine Chance zu überleben habe, wenn ich Hilfe kriege. Ich werde zum einzigen Hotel in der Stadt gehen. Bei dem Rudeltreffen haben sie über einen Alpha gesprochen, der dort abgestiegen ist und Zutritt zu unserem Territorium fordert.“

Tyler umfasste mit seiner gesunden Hand mein Handgelenk. „Bitte, Josh, es ist die einzige Chance auf Freiheit für uns beide. Ich würde dich nur aufhalten.“

Ich starrte ihn an, die Tränen in meinen Augen nahmen mir die Sicht auf ihn. Ärgerlich wischte ich sie weg und lehnte mich über ihn, warf einen letzten Blick in seine haselnussbraunen Iriden, die mir die einzige Wärme meines Lebens geschenkt hatten.

„Danke, dass du mein Freund bist, Tyler.“ Ich kam näher und presste unsere Lippen für einen sanften Kuss aufeinander. Noch einen tiefen Atemzug, mit dem ich versuchte seinen Geruch in meine Zellen zu importieren, um ihn nie wieder zu vergessen.

Danach half ich ihm auf die Füße und sah ihm zu, wie er zu dem großen Gebäude humpelte. Ich folgte in einiger Entfernung, weit genug weg entfernt, damit mich eventuelle Wölfe dort nicht wittern konnten. Aber ich musste sichergehen, dass er in diesem Hotel Hilfe bekommen würde. Denn wenn nicht ... dann konnte ich ihn nicht alleine lassen.

Tyler kollabierte schon auf den ersten Stufen und ich wollte bereits losrasen, als die Tür aufsprang und ein riesiger Typ zu ihm hinrannte. Er schrie über seine Schulter nach Hilfe.

„Kaden komm sofort her und bring Doc mit. Wir haben hier einen Notfall!“

Ich beobachtete das Schauspiel noch einen Augenblick länger, doch als ich überzeugt war, dass sie Tyler helfen würden, wandelte ich mich und rannte in den Wald. Für einen winzigen Moment hatte ich gezaudert, hatte Tyler folgen wollen, die Angst ihn zu verlieren beinahe übermächtig. Aber Ty wollte, dass ich floh und ich würde sein Leben nicht riskieren, indem ich blieb. Je weiter ich von meinen Großeltern entfernt war, desto besser für uns beide.

Joshua

„Ich will meinen Sohn sehen!“, schrie der nackte Mann, als er meine Mutter wegschubste.

Sie rannte hinter die anderen Wölfe, hinein in unser Haus. Die Angst, die mein Vater verspürte, zusammen mit der rasenden Wut lösten sich etwas auf und der Druck auf mein Gehirn gab nach.

„Wo ist mein Sohn? Ich will ihn zurück. Er verdient es, bei seiner wahren Familie zu sein.“

„Joshua mag nicht von meinem Blut sein, aber wir sind seine Familie“, grollte mein Vater, als er das Gewehr sinken ließ und langsam auf den anderen Mann zuging. „Jeremy, du von allen Leuten müsstest es am Besten wissen, dass es nicht das Blut ist, das eine Familie ausmacht, Liebe tut das.“

Jeremy stieß ein tiefes Knurren aus, bevor er seine Schultern einzog und sich auf den Boden fallen ließ, um seine Wandlung einzuleiten. Mein Vater reagierte rasch, schlang eine Hand um Jeremys Genick, ehe der sie vollziehen konnte. Er schüttelte ihn heftig.

„Sieh mich an!“, brüllte mein Vater, die volle Wucht seiner Alphakräfte vibrierte in der ganzen Luft. Jeremy hatte keine Wahl, als sich dieser Macht zu beugen und starrte hoch in die Augen seines Rudelführers.

„Ist es das, was du wirklich willst, Jeremy? Dass Joshua in derselben Familie aufgezogen wird wie du? Du erinnerst dich doch an den Missbrauch, den eiskalten Hass und die Bitterkeit, die du gerade so überlebt hast. Du willst, dass dein Sohn all dem auch ausgesetzt wird? Denk nach, Jeremy! Kämpfe gegen den Wahn und denke nach!“

Nach mehreren Knurrlauten, die zum Ende hin immer leiser wurden und einigem kräftigen Schütteln seitens meines Vaters schienen die Rage und der Wahnsinn von Jeremy abzufallen. Er sackte in dessen Griff zusammen.

„Was habe ich getan? Du lieber Gott, was habe ich getan?“, stöhnte er.

Sein Kopf hob sich, Schmerz und Verzweiflung erfüllten die Umgebung. „Michael, hilf mir bitte.“

Mein Vater schien zu wissen, was Jeremy wollte, was er brauchte, denn er nickte nur. Seine riesigen Hände umfassten Jeremys Gesicht, er beugte sich zu ihm herunter und wisperte etwas in sein Ohr. Einen Herzschlag später ertönte ein lautes Knacken und Jeremys regungsloser Leib sackte zu Boden.

Mein Vater hob seinen Kopf, schnüffelte und stieß plötzlich ein entsetzliches Heulen aus. Er rannte zu unserem Haus, die anderen Wölfe ihm dicht auf den Fersen. Ich beobachte, wie er drinnen verschwand, nicht in der Lage ihm nachzurufen oder hinterherzulaufen. Als ich es schaffte, meine Füße zu bewegen, erschütterte eine gewaltige Explosion mein Zuhause. Ich wurde von den Beinen gerissen, Hitze überrollte mich und die Welt um mich herum wurde schwarz.

Diesen Morgen erwachte ich von meinem üblichen Albtraum deutlich ängstlicher und besorgter als sonst. Sie plagten mich seit meinem sechsten Lebensjahr. Über die Jahre hatten sie sich verändert, bauten sich von alleine aus, wurden mit jedem Mal grauenvoller. Für die meisten Menschen wäre der Verlust seiner Familie durch eine verheerende Explosion bereits schlimm genug, aber mein Unterbewusstsein hatte endlos Nahrung. So kam es, dass immer mehr grauenhafte Bilder dazukamen, Ereignisse sich vermischten und ein Grauen erzeugten, dem ich mich keine Nacht entziehen konnte.

Das letzte Jahrzehnt hatte mir etwas Frieden zurückgegeben. Seit ich beschlossen hatte, als Wolf zu leben, kamen die Albträume nicht so häufig und meine Existenz erschien so einfacher. Doch ich wandelte mich mindestens einmal am Tag zurück, um mich zu erinnern, dass es mich, Joshua Campbell, noch gab.

Ich raste aus meinem Bau und versuchte die Beklemmung abzuschütteln, in die mich die Erinnerungen gerissen hatten. Ich war sehr glücklich gewesen, diese Höhle vor acht Jahren zu finden und hatte bisher nie Probleme hier gehabt.Die ersten Jahre nach der Trennung von Tyler wanderte ich hauptsächlich im Nordosten der Staaten umher, aber es gab dort zu viele Rudel mit weitläufigen Territorien. Da ich im zarten Welpenalter allerdings schon die Schnauze voll vom Rudelleben hatte, suchte ich andere Wege. Anstatt deshalb in eins der Reviere einzudringen, war ich weiter gerannt, bis ich über meine Höhle praktisch gestolpert war.

Die meisten Wölfe mussten Teil eines Rudels sein, brauchten das Gefühl von Zusammengehörigkeit und Rangordnung. Ab und zu spürte ich ebenfalls die Sehnsucht danach, doch meine menschliche Seite erinnerte sich dann immer daran, wie mein Leben im Harrison-Rudel ausgesehen hatte und ich beherrschte meine Wolfsinstinkte, so gut es ging.

Während ich heute rannte, erreichte mich eine seltsame, unbekannte Witterung. Ich stoppte und schnüffelte eine Weile, aber vermochte sie nicht einzuordnen. Ich jagte wieder los, konnte jedoch an nichts anderes als an diesen Geruch denken, er zog mich an und ängstigte mich gleichzeitig. Eine Hälfte war besessen davon, die Herkunft der Duftmarke herauszufinden und die andere schrie mich an, wegzurennen und nie mehr zurückzukommen.

Anstatt auf eine der beiden Möglichkeiten zu hören, rannte ich einfach weiter, bis mir der Duft eines leckeren Kaninchens in die Nase stieg. Die Jagd war eröffnet. Das verdammte Ding war rasend schnell, doch irgendwann ging ihm die Puste aus. Stolz auf mich tauchte ich kurz im nahegelegenen Fluss ab und döste danach etwas im Schatten.

Nach mehreren Stunden trank ich erneut das klare Wasser und begab mich dann auf den Heimweg. Die Beute hatte meinen Hunger nur ein wenig gestillt, trotzdem rollte eine merkwürdige Energie über mich hinweg.

Ich achtete nicht sonderlich auf meine Umgebung, doch kurz vor meiner Höhle, erreichte wieder die köstliche Duftmarke meine Nase. Ich erstarrte, unsicher, wie ich mich verhalten sollte.

„Joshua.“ Eine tiefe Stimme, viel zu nah, rief nach mir.

Sobald ich meinen Namen hörte, schüttelte ich den ersten Schock ab und mein Fluchtinstinkt sprang an. Ich raste so schnell los, wie ich konnte. Wieder schlug ich die Richtung zum Fluss ein, folgte ihm eine Weile. So panisch ich auch war, etwas in mir weigerte sich jedoch, meinen Bau aufzugeben. Das war mein Zuhause, verdammt!

 

So blieb ich in der Nähe, kroch durch die Büsche und versuchte zu erkennen, ob der Mann mir gefolgt war. Irgendein Instinkt in mir zog mich zu meiner Höhle, zu dem Eindringling, der in mein Revier eingebrochen war. Ich verstand nicht, wieso. Der Drang den Fremden anzugreifen, ihn zu bestrafen, weil er in mein Territorium eingedrungen war, für meine Angst und für das Durcheinanderbringen meiner täglichen Routine, wurde immer stärker. Jahre waren verstrichen, bis ich mich einigermaßen sicher fühlte, bevor die Albträume so zurückgingen, dass ich wenigstens ein paar Stunden am Stück schlafen konnte. Der Unbekannte hatte diesen Frieden zerstört, den ich für mich gefunden hatte. Der rasende Zorn, der dabei in mir aufstieg, überrollte mich.

Zuerst war Flucht meine erste Reaktion gewesen, doch als ich jetzt zurück zur Höhle jagte, setzten andere Instinkte ein. Der Trieb zu kämpfen, mein Revier zu verteidigen. Mein ganzes Leben lang hatte ich mich anderen untergeordnet, meinen Bauch gezeigt. Ich hatte keinen Wirbel verursachen wollen, versucht, unbemerkt zu bleiben.

Da ich nicht sehr groß war, und auch nicht besonders schwer, war mein Wolf leider kleiner als die meisten. Nach unzähligen Prügeln hatte ich endlich gelernt, dass ich in einer physischen Auseinandersetzung keine Überlebenschance besaß, also vermied ich alle weiteren Konfrontationen. Aber jetzt kam die jahrelang unterdrückte Wut in einer riesigen Welle zurück und drängte mich dazu, um mein Zuhause zu kämpfen.

Doch als ich mich der Höhle näherte und der Duft des Mannes stärker wurde, löste sich meine Wut langsam auf. Aus irgendeinem Grund roch der Fremde wie Heimat für mich. Ich kam noch näher heran und der Duft von geschnittenem Gras und Blumen warf mich zurück in meine frühe Kindheit. Zurück in die einzige Zeit, in der ich Glück gekannt hatte. Ich stolperte und wäre gefallen, aber riesige Arme schlangen sich um mich und ich wurde an die breiteste Brust gedrückt, die ich je gesehen hatte.

Panik durchfuhr mich, als ich gegen die physische Fessel ankämpfte. Die glücklichen Erinnerungen meiner Kindheit verwandelten sich in die Momente, wo ich gegen meinen Willen festgehalten wurde und das gab mir den Extrakick an Adrenalin, den ich brauchte, um zu entkommen.

Ein scharfer Biss in den Oberarmmuskel des fremden Mannes ließ diesen keuchen und er lockerte seinen Griff ausreichend, dass ich mich losreißen konnte. Ich raste, als wären Höllenhunde hinter mir her, doch als ich zwischen den dichten Bäumen hin- und hersprang, kam ein extrem großer Wolf von der Seite auf mich zugeprescht. Er rammte mich hart genug, um mich von den Pfoten zu reißen. Bis ich endlich meine Sinne wieder beisammenhatte, stand das silberne Raubtier über mir. Es knurrte drohend, zeigte mir seine Fänge. Ich grollte zurück, schnappte nach ihm. Daraufhin sprang er mich an, erdrückte mich beinahe mit seinem Gewicht, als er meine Kehle in seiner Schnauze packte. Ich wand mich noch heftiger, aber seine Zähne sanken keinmal in mein Fleisch.

Irgendwann verließ mich die Kraft und ich ergab mich dem stärkeren Wolf. Ich lag also dort, zeigte dem anderen meinen Bauch und akzeptierte meinen bevorstehenden Tod. Dabei überkam mich ein merkwürdiges Gefühl von Frieden. Keine Ahnung, ob es der Gedanke war, dass endlich der ganze Schmerz in meinem Leben vorbei sein würde oder ob es die Nähe eines Artgenossen war, dieses bestimmten Wandlers. Jedenfalls spürte ich eine tiefe innere Ruhe und zum ersten Mal seit meinem sechsten Lebensjahr war ich wieder zufrieden.

Zu meiner Überraschung löste der überlegene Jäger jedoch seine Zähne von meinem Hals, blieb aber auf mir liegen. Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir so verharrten, doch die Sonne ging bereits unter, als er sich rührte. Erschöpft an Körper und Geist wartete ich auf seinen nächsten Zug. Der Wolf richtete sich auf, stupste mich an und schob und stieß mich in Richtung meiner Höhle.

Drinnen tapste ich in meine Ecke, rollte mich zusammen und der riesige Wolf legte sich um mich herum. Ich sollte Fragen stellen oder ausflippen bei dem Gedanken neben einem völlig Fremden zu schlafen, aber ich konnte mich nicht konzentrieren. Mein Gehirn hatte einen totalen Kurzschluss.

Ich schlief in dieser Nacht tiefer und ruhiger als jemals zuvor. Ich träumte nicht, und als ich am späten Nachmittag des nächsten Tages erwachte, eingehüllt von dem betörenden Duft des anderen Wolfes, war ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich ausgeruht. Der Fremde lag nicht mehr neben mir, dafür blockierte ein angezogener Mann den Höhleneingang.

Mit der Sonne, die hinter ihm schien, konnte ich seine Gesichtszüge kaum erkennen, doch er hatte dunkles Haar, das bis über seine Schultern hing. Schultern, die so breit waren, dass sie praktisch den gesamten Eingang einnahmen. Ich grollte tief aus meiner Kehle heraus.

„Du hast eine Menge Kampfgeist in dir, Welpe, aber wir wissen beide, dass du mich nicht besiegen kannst. Also komm runter und wandle dich. Wir müssen uns unterhalten. Was ich dir zu sagen habe, ist sehr wichtig. Ich suche dich schon seit über zehn Jahren und werde nicht wieder verschwinden, jetzt wo ich dich gefunden habe.“

Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wollte mich wandeln, doch das letzte Mal, dass ich mit jemandem gesprochen hatte, war am Tag meiner Flucht aus dem Harrison-Rudel gewesen und diese Erfahrung war eine Erinnerung, die ich verdrängte. Ich hörte auf zu knurren und starrte ihn an, bis er näher kam und sich vor mir hinsetzte.

„Ich weiß, dass es für dich keinen Grund gibt, mir zu vertrauen und dein Leben kein einfaches war, aber ich bin hier, um dir zu helfen. Vielleicht wenn ich dir erst mal einige Dinge erkläre, fällt es dir danach leichter, dich zu wandeln und mit mir zu sprechen.“ Der Mann rutschte zur Seite an die Höhlenwand, wo er sich anlehnte, bevor er anfing zu reden.

„Mein Name ist Kaden Montgomery. Ich kannte deinen Vater. David Campbell war mein bester Freund, als ich aufgewachsen bin. Unsere Freundschaft blieb bestehen, auch, als ich quer durchs Land zog, um im Westen ein neues Rudel zu übernehmen. Er war der beste Mensch, den ich jemals gekannt habe und ich werde um ihn bis zu meinem Todestag trauern.“

Kaden rieb mit beiden Händen über sein Gesicht und stieß einen tiefen Seufzer aus. Er sah mich an, die Traurigkeit ließ das Funkeln in den ungewöhnlichen silbernen Augen erlöschen.

„Ich muss mich entschuldigen, dass ich nicht dort war, als deine Eltern starben. Damals gab es kein Anzeichen, dass du überlebt hattest. Ich war am Boden zerstört und stand kurz davor, das ganze Rudel abzuschlachten. Mein gesunder Menschenverstand hielt mich davon ab, aber als eins deiner Rudelmitglieder dich Jahre später zufällig hinter einem Fenster seines Alphahauses sah, erkannte er dich sofort und reiste zu mir, um mich zu informieren. Zu dem Zeitpunkt hatte ich allerdings keine Ahnung, wie schlecht du behandelt wurdest oder wie korrupt das Harrison-Rudel war.“

Kaden unterbrach sich und sah mich lange an. „Der Wolf, der dich entdeckt hatte, kehrte wieder zurück, wollte ein Auge auf dich haben. Er versprach, in Kontakt zu bleiben. Als er sich einige Wochen später nicht gemeldet hatte, forschten meine Soldaten und ich nach. Er hatte einen Autounfall. Ich ging zum Wandlerrat, aber ohne eindeutige Beweise von kriminellen Aktivitäten genehmigen sie keine offizielle Herausforderung eines Alphas. Es gab keinen Beleg, dass du misshandelt wurdest, oder dass der Zeuge, der dich gesehen hatte, ermordet wurde.“

„Ich wusste nicht mehr weiter. Ich wusste nur, dass ich dich da rausholen musste. Jede Zelle meines Körpers schrie in mir, dich zu finden und von da wegzubringen. Meine Soldaten hielten mich gewaltsam davon ab, den Alpha illegal herauszufordern oder dich zu kidnappen, doch ich musste etwas tun.“

Während er sprach, kroch ich näher, bis ich dicht genug bei ihm war, dass er eine Hand ausstrecken konnte, um mich zu kraulen. Er nutzte das sofort aus und strich über meine Ohren. Ich vertraute ihm natürlich nicht völlig, aber ich konnte seinen Schmerz fühlen, als wäre er mein eigener. Das Bedürfnis ihn zu trösten ergriff von mir Besitz.

Kaden lachte. „Du bist ein wunderschöner Wolf. Ich habe noch niemals solch strahlend weißes Fell gesehen oder Augen mit einem so klaren Blau wie ein Gletschersee.“

Ich erstarrte und wich zurück. Mein ganzes Leben war ich wegen meines Pelzes der Lächerlichkeit preisgegeben worden. Mein Aussehen war nur ein weiterer Grund für meine sogenannte Familie gewesen, mich zu hassen. Anders zu sein war etwas, dass der Alpha in meinem Rudel nicht gestattet hatte.

Kaden ließ nicht zu, dass ich mich zu weit entfernte. Er packte mich im Nacken und kraulte wieder meine Ohren, bis ich mich beruhigte.

„Ich versuchte es also auf legalem Weg weiter, ohne Erfolg. Mittlerweile standest du kurz vor deinem zwanzigsten Geburtstag und es wäre dir bald gestattet gewesen, dein Geburtsrudel zu verlassen. Meine Soldaten und ich beschlossen, zu euch in die Stadt zu kommen und dich bei deiner Volljährigkeit offiziell in unser Rudel einzuladen. Ich arrangierte ein Treffen mit Carl kurz vor deinem Geburtstag, um die Erlaubnis zum Betreten seines Territoriums zu bekommen und etwas über dich zu erfahren.“

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