Alles anders, aber viel besser

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Musikforschung brutal

Auch ich spürte irgendwann, dass ich mein Leben nicht mehr allein bewältigen konnte. Meine Seele schrie nach Hilfe. Ich fühlte, dass mir mein Kummer längst über den Kopf hinausgewachsen war. Zu den gesundheitlichen und familiären Problemen – vor allem mit meinen Eltern, deren Ansichten bezüglich der zwei Waisenkinder meines Bruders sich komplett von meinen unterschieden – kamen auch berufliche Schwierigkeiten dazu. Ich interessierte mich sehr für die Geschichte der Musik, insbesondere für die Musik der Barockzeit, war aber gleichzeitig sehr verunsichert in Hinsicht darauf, ob ich mir mein Interesse überhaupt gestatten durfte. »Mach doch was Gescheites!«, war der Tenor in meinem Hinterkopf, der mich in regelmäßigen Abständen mahnte.

Ich träumte von einer sicheren Stelle in der Forschung oder besser gesagt von einer konkreten Stelle in einer bestimmten Institution, die noch dazu noch gar nicht ausgeschrieben, also noch nicht vakant war. Also entschied ich mich zu warten, arbeitete wie eine Besessene und ruinierte sukzessive meine Gesundheit mit unzähligen, in Summe betrachtet und auf die tatsächlichen Arbeitsstunden umgerechnet aber miserabel bezahlten Aufträgen. Nach mehrjähriger Wartezeit kam endlich der lang ersehnte Moment: Die Forschungsstelle in der auserwählten Institution wurde ausgeschrieben und ich bewarb mich dafür. Mittlerweile war ich für diese Stelle zwar eindeutig überqualifiziert, entschied mich aber in einem Anflug von Großzügigkeit, diese Tatsache zu ignorieren. Nicht aber so meine »Kollegen«, die in mir offenbar eine ernsthafte Bedrohung witterten. Da sollte jetzt jemand Neuer kommen, noch dazu eine Frau, die über eine höhere Qualifikation verfügt?

Da ich dort seit Jahren verlässlich auf freiberuflicher Basis ausgezeichnete Arbeit leistete – so zumindest das Feedback, das ich regelmäßig bekam –, erwartete ich, wie ich meine nicht ganz ohne Grund, dass die Belegschaft sich bei der Abstimmung für mich einsetzen würde. Meine damalige Naivität war grenzenlos. Die beiden Vorgesetzten hatten ihre viel jüngeren, dafür aber nicht überqualifizierten, Wunschkandidaten und ich war nicht darunter. Über das Ergebnis sollten jedoch nicht sie, sondern die Mitarbeiter entscheiden. Im Nachhinein erfuhr ich, dass die Kollegen 10:0 für einen anderen Kandidaten gestimmt hatten. Erst da wurde mir bewusst, dass dieses »Wahlergebnis« nur das Tüpfelchen auf dem »i« war, denn schon im Vorfeld gab es genug Aktionen und Anzeichen, die dieses Fiasko ahnen ließen, die ich aber standhaft ignorierte.

Meine Welt brach wieder einmal zusammen. Wie ein Puzzle fügten sich einzelne Erlebnisse vor meinem geistigen Auge zusammen. Ich begriff, dass all jene Menschen, die ich als meine Kollegen betrachtete und mit denen ich zusammenarbeiten wollte, bereits im Vorfeld sukzessive daran arbeiteten, mich offenbar ein für alle Mal loszuwerden. Auch das Vorstellungsgespräch verlief seltsam. Alle kannten mich, eine Vorstellung meiner Person und die Hervorhebung meiner Qualitäten und Qualifikationen schien also überflüssig zu sein – so dachte ich zumindest. Stattdessen wurde mir die Frage gestellt, ob ich die Frage der Kinderbetreuung verlässlich gelöst hätte. Heute könnte ich brüllen vor Lachen. Man fragte mich, eine habilitierte(!) Musikhistorikerin mit zwei Kindern (10 und 20 Jahre alt!), ob ich meine Kinderbetreuung organisieren konnte(!). Wie sonst hätte ich es geschafft, eine fünfhundert Seiten umfassende Dissertation, eine mehr als achthundert Seiten lange und von allen Begutachtern als ausgezeichnet bewertete Habilitationsschrift, fast einhundert – zum Teil sehr umfangreiche und anspruchsvolle – Lexikonartikel, zahlreiche weitere Aufsätze, mehrere Noteneditionen und Kinderbücher – das alles ohne Großeltern in der Nähe – zu produzieren?

Es war die bitterste Enttäuschung meines Lebens, ausgehend von Menschen, die ich mochte und beruflich schätzte. Man hätte mich zwar gebraucht, mein Wissen und durch jahrelange intensive Forschungsarbeit gewonnenen Kenntnisse wären für jene Institution von Bedeutung gewesen; die Zusammenarbeit sollte sich aber nach wie vor nur auf zeitlich aufwendige und unterbezahlte Werkverträge beschränken. Nach der elektronischen Absage auf meine Bewerbung (ich habe diese E-Mail gar nicht gelesen, schon während des Vorstellungsgesprächs fühlte ich, dass das Ganze eine Farce war) und einem weiteren, zu nichts führenden Gespräch mit einem meiner Fast-Vorgesetzten entschied ich mich endlich zum ersten notwendigen Schritt: Auf weitere Bewerbungen und Hoffnungen hinsichtlich jener Institution für immer zu verzichten. Meine Toleranzfähigkeit bezüglich einer weiteren Absage war unwiderruflich auf null gesunken.

Heute frage ich mich, warum ich mich damals überhaupt derartigen Situationen ausgesetzt habe. Finanziell wäre es nicht notwendig gewesen. Mein Mann war in der Lage, die Familie allein zu versorgen. Ich wollte aber unbedingt meinen Beitrag leisten und merkte dabei nicht, dass ich alles, was ich sonst noch neben meiner beruflichen Arbeit erledigte, komplett unterbewertet hatte. In meinen Augen zählte nur der berufliche Erfolg. Die Tatsache, dass ich für meine Familie mit ungeheurem Einsatz ein schönes Zuhause mit einem gut organisierten Haushalt und zwei bis drei warmen, frisch zubereiteten Mahlzeiten am Tag geschaffen hatte, zählte für mich gar nicht. Das war doch eine Selbstverständlichkeit, über die man nicht sprach. Hier erkenne ich deutlich die Einstellung meiner Mutter wieder. Diese Haltung spiegelt aber auch die Meinung der Gesellschaft wider, nach der Hausarbeit und Kindererziehung auf der Werteskala der Tätigkeiten ganz unten stehen. Mittlerweile habe ich begriffen, dass ich diesen meinen Beitrag vor allem selbst anerkennen muss. Das, was ich für meine Familie mein Leben lang getan habe und noch immer tue, ist viel wert. Als ich krank wurde, mussten wir uns für einige Arbeiten in Haus und Garten Hilfe von außen holen. Bei dieser Gelegenheit konnte ich erfahren, wie teuer diese Arbeit eigentlich ist. Da wurde mir bewusst, dass es zwei Zugänge zur Geldbeschaffung beziehungsweise Gelderhaltung gibt: Entweder Geld zu verdienen oder aber mit dem eigenen Einsatz dafür zu sorgen, dass weniger Geld ausgegeben wird. Heute sehe ich beide Tätigkeiten als völlig gleichwertig an.

Damals war es für mich jedoch nur »selbstverständlich«, dass ich neben meiner kräfteraubenden »Schreiberei« den gesamten Haushalt und Garten versorgte und meiner Familie noch dazu frisches, selbst gezogenes Gemüse lieferte. Mein Mann hatte doch seine anstrengenden Nachtdienste und die emotional aufwühlenden Quartett- und Orchesterproben, in denen er sich mit all seinen Kollegen, einer wahren Ansammlung von »Alpha-Tieren«, auseinandersetzten musste. Wenn er zu Hause war, brauchte er meiner Meinung nach selbstverständlich Ruhe. Fairerweise muss ich an dieser Stelle sagen, dass er mir – wenn er zu Hause war – nie seine Hilfe verweigerte. Er korrigierte meine sämtlichen Aufsätze und Bücher; ohne ihn wäre ich nie dort, wo ich jetzt bin. Das einzige Problem lag lediglich darin, dass er so selten zu Hause war. Angesichts seines äußerst respektablen Berufes getraute ich mich nie, meine Ansprüche durchzusetzen. Ich dachte, ich hätte kein Recht darauf, gegen sein musikalisches (wenn auch zeitlich höchst aufwendiges) Hobby anzutreten. Er brauchte doch einen Ausgleich nach den vielen anstrengenden und/oder schwer kranken Patienten. Ich schilderte meine durch und durch unbefriedigende Situation zwar meiner damaligen Psychotherapeutin, als sie mich aber aufforderte, nicht andauernd über die Bedürfnisse meines Mannes, sondern über MEINE Bedürfnisse zu sprechen, verstand ich wieder einmal überhaupt nicht, was sie meinte. Statt resolut auf den Tisch zu hauen und mit entschlossenem Blick eine Änderung seines Tagesablaufes zu verlangen, knirschte ich jedes Mal mit den Zähnen und warf zornig die Wäsche in die Waschmaschine, wenn er sich nach einem dreißigminütigen Aufenthalt zu Hause mit einem liebevollen Blick und Kuss auf die Wange von mir verabschiedete und zur Musikprobe eilte.

Selbstkritisch und mit einer gehörigen Portion Scham muss ich heute zugeben: Auch hier verließ ich mich feige auf meine Tochter. Als sie größer wurde, verlangte sie mehr und mehr nach ihrem geliebten Papa und schrie jedes Mal lautstark, als er zu einer Probe oder einem Konzert ging. Solange er noch zu Hause war, ließ ich sie brüllen, das war mein einziger »aktiver« Beitrag. Irgendwann wurde es ihm zu viel und er verließ zumindest das Streichquartett, meiner Tochter sei Dank.

Ruhe vor dem Sturm

Die Lage spitzte sich allmählich zu. Die unverarbeitete Trauer über die Verluste von drei geliebten Menschen, der körperliche und emotionelle Dauerstress hatten mich zunehmend erschöpft. Ich konnte nicht schlafen, wachte in der Nacht schweißgebadet auf und überlegte fieberhaft, ob ich in irgendeinem meiner Aufsätze nicht irgendeine wichtige Studie oder Information vergessen hatte. Mein Rücken schmerzte, meine Schultern schmerzten, auch der Schmerz meiner Seele wurde unerträglich. Ich konnte fast nicht atmen; es fühlte sich an, als ob auf meinem Brustkorb ein tonnenschwerer Felsenbrocken lastete. Meine Verdauung verweigerte mir zeitweise komplett den Dienst. Und die entsetzliche, bleierne Müdigkeit, die mich nach jedem Essen überfiel! Da ich oft und ziemlich viel aß – gutes Essen war die einzige Freude meines Lebens, die ich mir damals gestattete –, fühlte ich mich dauernd todmüde. Eigentlich war ich den ganzen Tag damit beschäftigt, mit Hilfe von unzähligen Espresso-Kapseln wieder irgendwie auf die Beine zu kommen. Die Angelegenheit mit meinen Kollegen hatte mir zusätzlich den Boden unter den Füßen weggezogen. Die Enttäuschung darüber, wie mich jemand, mit dem ich über Jahre in bestem Einvernehmen erfolgreich gearbeitet hatte, in meinen Augen dermaßen gemein hatte übergehen können, verkraftete ich nicht. Ich beschloss, meine musikwissenschaftliche Forschung auf Eis zu legen und widmete mich meiner weiteren Tätigkeit, dem Kinderbuch. Ich schrieb und illustrierte, und während ich mit meiner Tochter und dem Hund Arthur spazieren ging, löste ich ihre (!) Probleme mit Mobbing in der Schule. Ist es nicht beängstigend zu beobachten, wie Kinder Verhaltensmuster ihrer Eltern übernehmen und sich mit denselben Problemen herumschlagen? In der wunderbaren Natur in F. gelang es mir, einigermaßen meine seelische Balance wiederzufinden, aber die bittere Enttäuschung in meinem Berufsleben blieb an meiner Seele haften und ätzte sich immer tiefer ein.

 

Es gab jedoch auch erfreuliche Lichtblicke in jener Zeit, die ich im Nachhinein absolut treffend als die »Ruhe vor dem Sturm« bezeichnen würde. Als Anhänger der alternativen Medizin, der Akupunktur und der Traditionellen Chinesischen Medizin wünschte sich mein Mann schon seit Jahren, China zu besuchen. Da er gerade seinen fünfzigsten Geburtstag feierte, beschlossen wir, dieses Jubiläum zum Anlass zu nehmen und den Wunsch zu verwirklichen. Wie zufällig flatterte uns ein Prospekt ins Haus, in dem spezielle China-Reisen für Ärzte, kombiniert mit einem Alternativprogramm von Qi Gong und chinesischer Malerei angeboten wurden. Für uns also wie maßgeschneidert. Vierzehn Tage um Weihnachten und Neujahr sollte mein Mann in einem chinesischen Krankenhaus in Sanya auf der chinesischen Halbinsel Hainan verbringen und ich mit meiner Tochter unter Palmen am Strand des Südchinesischen Meeres. Keine schlechte Option, wie ich fand. Als zusätzlichen Bonus gelang es mir, von meinem Mann die Erlaubnis für einen Aufenthalt im kommenden Herbst für drei Monate als »visiting academic« in Oxford zu erhalten. Anders als in Österreich wurde meine Forschungsarbeit im Ausland offenbar doch anerkannt. Durch die großzügige Hilfe von Jeremy Montagu, einem der weltweit bedeutendsten Instrumentensammler und -experten, bekam ich die Möglichkeit, an einem Oxforder College und in der berühmten Bodleian Library meine musikhistorische Forschung zu betreiben. Wir überlegten, wie sich die »Dinge« (d. h. Tochter, Hund, drei Katzen, Haus und Garten in F.) organisieren lassen würden, und beschlossen beides anzugehen.

Die Reise nach China gehört zu den schönsten Erlebnissen meines Lebens. Die chinesische Kultur und die Gartenarchitektur hinterließen nachhaltigen Eindruck auf mich. Auch der Heilige Abend unter Palmen und mein Mann im Weihnachtsmannkostüm, von allen Chinesen als Attraktion des Abends fotografiert, waren nicht zu verachten. Ich verfiel buchstäblich den wunderbaren Stränden und der Sanftheit der chinesischen Frauen. Jeden Morgen betrieben wir am Strand Qi Gong, mit dem leisen Schlagen der Meereswellen als Geräuschkulisse und einer mächtigen (500 Meter hohen, so schien es mir zumindest) Buddha-Statue im Hintergrund. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich an »unserem« Strand auf Hainan am liebsten Wurzel geschlagen. Dabei konnten wir uns überhaupt nicht verständigen. Auf Englisch verstanden die Menschen nicht einmal »good morning«, das Zeigen mit den Fingern nutzte auch nichts, weil die Chinesen etwa Zahlen anders zeigen. Diese absolute Isolation erzeugte jedoch himmlische Ruhe, die meine Welt mit Mobbing und beruflichem Frust ganz weit weg und unwirklich erscheinen ließ. Nur unsere Tochter fürchtete sich fortwährend, dort irgendwo einen gebratenen Hund aufgetischt zu bekommen. Unsere Beruhigungsversuche halfen nicht. Als sie auf einem riesigen Stadtmarkt in Sanya, einer Attraktion für sich, eine Schweineleiche mit Kopf entdeckte, hielt sie sie für einen toten Hund, rettete sich schreiend zu uns und wollte sofort wieder abreisen.

Was ich in diesem Zusammenhang noch ganz besonders hervorheben möchte, ist die chinesische Art der Ernährung. Wir bekamen WARMES Frühstück an einem wunderbaren Buffet mit allen möglichen gekochten, gedünsteten und gebratenen Köstlichkeiten in Form von allerlei Gemüsesorten, gefüllten Knödeln, Suppen und Algen. Brot, Butter und Marmelade lagen dagegen im letzten Eck der riesigen Restauranthalle und waren eigentlich nur für russische Touristen gedacht, die dort versuchten, ihre europäische Identität zu wahren. Auch Mittag- und Abendessen wurden warm serviert, mit viel, viel Gemüse, Reis, diversen ausgefallenen Teigwaren (bei denen man oft nicht unterscheiden konnte, ob es sich um echte Schnecken oder eben nur um sonderbare Nudeln handelte), mit fantastischem Fisch und Meeresfrüchten. Vor allem diese unglaubliche Gemüsevielfalt gibt es wahrscheinlich nur in China. Alles, was wächst und auch nur annähernd grün ist, wird gekocht und gegessen. Ich liebte die ausgezeichnete Hainan-Küche, die zu Recht zu den besten des Landes zählt. Und als positiver Nebeneffekt verschwanden alle meine mitteleuropäischen Verdauungsbeschwerden. Mein Innenleben lief wie am Schnürchen, was auch mein »Außenleben« ungemein positiv beeinflusste. An diese Erfahrung aus China sollte ich mich später immer wieder erinnern. Heute kann ich sagen, dass die Orientierung an der chinesischen Ernährungsweise ein wesentlicher Bestandteil meiner Genesung war.

Wie gesagt, die Reise war für mich und meinen Mann ein Volltreffer. Unsere Tochter hasst das Reisen, sie würde niemals zugeben, dass jene Winterferien in den Subtropen doch ihren Reiz hatten. Was ich jedoch im Nachhinein als problematisch betrachte, war der plötzliche Wechsel zwischen den Jahreszeiten. In F. herrschten minus 10 °C, auf Hainan plus 30 °C, dazu kam der Unterschied von mehreren Zeitzonen. In meinen Augen ist das eine ungeheure Attacke auf den Organismus, die in unseren Zeiten der grenzenlosen Mobilität meist völlig missachtet wird. Dasselbe dachte ich mir wieder, als ich zu Beginn meiner Chemotherapie das bereits erwähnte Buch Noch eine Runde auf dem Karussell von Tiziano Terzani las. Wie ich bereits erzählte, machte dieser Journalist nach seiner Krebsdiagnose ausgedehnte Reisen in ganz Asien, auf denen er verschiedene alternative Heilmethoden wie auch die Meditation ausprobierte. Ungeachtet seiner Krankheit und der gerade erst durchgestandenen Chemotherapie, bewegte er sich aber wie gewohnt und in relativ kurzen Zeitabständen zwischen New York, Hongkong, Indien, den Philippinen und dem Himalaja. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser stete Wechsel zwischen den Zeit- und Temperaturzonen und Höhenunterschieden der Wiederherstellung seiner Gesundheit zuträglich war. Vielmehr bedeutete dieses Reisen wahrscheinlich massiven Stress für seinen erkrankten Körper. Wie wir wissen, hat Terzani den Krebs trotz seines immensen Einsatzes leider nicht besiegen können.

Kurz gesagt, es war relativ einfach, in China die Winterkleidung abzulegen und sich am Strand zu sonnen. Nach der Rückkehr nach Hause brauchte es dagegen lange, bis sich mein Körper wieder an die eisigen Temperaturen gewöhnt hatte. Aus diesem Grund betrachte ich Fernreisen in den Süden im Winter als etwas für gesunde, robuste Menschen, die diese Veränderungen leicht wegstecken können. Auch dann sollte es sich aber um längere Aufenthalte handeln. Ein einwöchiger Urlaub im Winter in Thailand ist eine Herausforderung für den gesamten Organismus, von der ökologischen Belastung ganz zu schweigen. Erst anlässlich der Tsunami-Katastrophe wurde mir bewusst, wie viele Abertausende von Menschen in der Weihnachtszeit Flugreisen in den Süden antreten. Es ist zwar traumhaft, im Dezember unter Palmen zu liegen, vielleicht täte man aber besser, die Winterzeit in einer Therme oder in den herrlichen österreichischen Bergen zu verbringen.

Damals beschäftigten mich jedoch noch nicht Gedanken dieser Art. Im Gegenteil, ich bekam erst so richtig Reiselust. Von der berauschenden Kraft des Fliehens vor der Realität übermannt, überredete ich nur zwei Monate später meine Schwägerin Eva, die Osterferien mit mir in New York zu verbringen. Wir beide waren noch nie dort gewesen, unsere Ehemänner hatten keine Lust und waren anderwärtig beschäftigt, und so brauchte die Entscheidung nur wenige Minuten. Auch in New York verbrachten wir eine wunderschöne Zeit, inklusive Museen, Kultur, Theater und nicht zuletzt Porridge mit Zimt und Ahornsirup, den ich jeden Morgen am Eck vis-à-vis von unserem Hotel bekam.

Das warme Frühstück tat mir also schon damals sehr gut, ansonsten sah die Bilanz dieser Zeit so aus, dass ich innerhalb von drei Monaten zwei anstrengende Fernreisen unternommen hatte, noch nicht ahnend, dass sich in meinem Körper eine lebensbedrohliche Krankheit ausbreitete. Meine konstante Müdigkeit bekämpfte ich nach wie vor mehr oder minder erfolgreich mit steigendem Kaffeekonsum. (Eigentlich sollte ich von der Firma Nestlé für meine unerschütterliche Treue ein paar Aktien geschenkt bekommen; ich werde mich diesbezüglich erkundigen.) Auch schlief ich viel, eigentlich immer mehr und mehr, ohne auch nur einmal wirklich erholt aufzuwachen, und mit letzter Kraft betrieb ich Laufwettbewerbe mit meinem verrückten Hund. Die Tatsache, dass er immer und noch dazu mit einem leisen Lächeln der gelebten Überlegenheit gewann, frustrierte mich zusätzlich. Ich spürte zwar deutlich, dass etwas Grundlegendes mit meinem Körper nicht in Ordnung war, hatte aber keinen blassen Schimmer, was es sein konnte. Auch mein Mann reagierte nicht wirklich auf meine Wehklagen, denn erstens war er dauernd überarbeitet und zweitens hatte er mich seit Jahren nur jammern gehört. Es war für ihn also nichts Neues. Die üblichen Untersuchungen zeigten nichts Besonderes, den Besuch beim Frauenarzt ignorierte ich, weil ich meiner Meinung nach zu keiner der Risikogruppen gehörte. Ich rauchte nicht, nahm keine Pille, war nicht erblich vorbelastet, auch nicht übergewichtig und aß viel frisches Obst und Gemüse. Wenn ich mich vor etwas gefürchtet hatte, dann vor einem Gehirntumor durch zu viel Grübeln.

Inzwischen entschied sich unsere Tochter aufgrund des unerträglichen Mobbings, die Schule in B. zu verlassen (ein kluges Kind!) und ins Wiener Musikgymnasium zu wechseln. Da sie in ihre Wiege eine nicht zu übersehende musikalische Begabung gelegt bekommen hatte, unterstützten wir sie. In der Praxis bedeutete dies aber, nicht nur schnell einen Musiklehrer in Wien finden zu müssen und sie regelmäßig zum Unterricht zu bringen, sondern auch nach Wien zu übersiedeln. Das tägliche Hin- und Herfahren, insgesamt mehr als drei Stunden Fahrzeit, schätzten wir für sie als unzumutbar ein. Es war offenbar die richtige Entscheidung, denn eine neue Dachgeschoßwohnung in Wien wurde auf Anhieb gefunden und der Umzug rasend schnell organisiert. In meinen immer seltener werdenden dynamischen Phasen erledigte ich alles mit links (so redete ich mir das zumindest ein) auf die Art eines Autofahrers, der in kurzen Abständen zwischen Vollgas und Vollbremsung wechselt. Mein Mann arbeitete, ich kümmerte mich, im Übersiedeln und Schleppen von schweren Gegenständen gut trainiert, um den Rest.

Zu Beginn der Ferien war der Umzug mehr oder minder erledigt, die Wohnung stand aber noch leer, weil wir die Sommermonate auch künftig in unserem paradiesischen F. verbringen wollten. Ich veranstaltete noch einen Malkurs für die Dorfkinder, ein Erfolg wie immer, und sollte am darauffolgenden Montag mit meiner Tochter und zwei weiteren Mädchen zu einer befreundeten Familie nach Italien verreisen. Dazu kam es jedoch nicht mehr. Der laue Donnerstagabend vor dem Fernseher bei »Liebesgeschichten und Heiratssachen« veränderte mein Leben für immer.