Vergangenheitskampf

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Dann klappte er die Karte zu und legte sie vor sich auf den Tisch. »Hast Du schon gewählt?«

Emma-Sophie nickte. »Ich nehme den Zander.« Der klang nicht nur lecker, sondern war auch eines der teuersten Gerichte hier. Das sollte sie immerhin ausnutzen.

»Gute Wahl. Der schmeckt hier ausgezeichnet. Paolo ist ein wahrer Meister wenn es um seinen Fisch geht.«

»Gut zu wissen.«

Max lächelte sie an. »Also, was machst du in deiner Freizeit wenn du nicht gerade von einem Eishockeyidioten sitzen gelassen wirst?«

»Nicht viel.« Emma lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und zuckte mit den Achseln. »Ich arbeite die meiste Zeit. Das Kinderheim hat zu wenig Personal und zu viele Kinder. Hin und wieder gehe ich mit meiner Freundin Bea ins Kino oder zum Essen, aber das war´s eigentlich auch schon.«

»Wieso stellt ihr dann nicht mehr Personal ein?« fragte Max.

»Das ist aus mehreren Gründen nicht so einfach.« Emma beugte sich wieder nach vorne und stützte die Hände auf den Tisch. »Zum einen gibt es kaum noch Jemand der diesen Beruf ausüben möchte, zum anderen liegt es auch am finanziellen.« Sie hielt kurz inne. Ihre Stimme klang gedämpft als sie weitersprach. »Dem Heim geht es sehr schlecht. Wir müssten dringend einige Renovierungsarbeiten durchführen, aber es ist kein Geld da um das zu tun. Und wenn das Haus nicht in weniger als zwei Monaten saniert wird, müssen die Kinder woanders untergebracht werden und es wird geschlossen.«

Es auszusprechen machte die ganze Sache irgendwie noch schlimmer. Realer. Sie merkte wie die Traurigkeit sie übermannte, aber sie wollte vor Max nicht zusammenbrechen. Es war nicht sein Problem. Sondern ihres. Sie schüttelte den Kopf und zwang sich wieder zu lächeln. »Wir sollten über etwas anderes reden.« schlug sie daher vor. »Etwas das interessanter ist als ein marodes Kinderheim. Wie ist es so ein berühmter Eishockeyspieler zu sein?«

Max ignorierte die Frage und legte seine Hand auf Emmas. »Es tut mir leid.« sagte er stattdessen und sah ihr direkt in die Augen. Er wirkte ehrlich bedrückt was Emma ihm hoch anrechnete. »Das muss es nicht. Wir werden schon eine Lösung finden.« Zumindest konnte sie sich das immer wieder einreden.

»Habt ihr es schon mit Spenden versucht? Ich meine, hey, wenn nicht ein Kinderheim gerettet werden muss was dann?«

»Wir sind größtenteils spendenfinanziert. Das meiste fließt aus ein paar Firmen im Umkreis. Sie liefern uns Getränke und Essen. Lassen uns Spielzeuge zukommen. Solche Sachen. Der Rest trägt die Stadt. Wasser, Strom und was sonst so benötigt wird. Wir haben ein Spendenkonto eröffnet und in der Zeitung dafür geworben, aber es hat nicht viel gebracht.«

»Wie wäre es mit einer Charityveranstaltung?«

Bevor Emma-Sophie darauf antworten konnte kam ein Kellner und nahm ihre Bestellungen auf. Emma blieb bei ihrem Zander und Max nahm ein Rinderfilet. »Bringen Sie uns dazu bitte diesmal ein Glas Chardonnay.« fügte er hinzu, bevor der Kellner wieder verschwand.

Emma runzelte die Stirn. »Was wenn ich keinen Chardonnay trinke?«

»Trinkst du nicht?«

»Doch, aber..«

»Gut. Dann ist ja alles in Ordnung.« Max schob sein leeres Weinglas beiseite und legte die Serviette vor sich hin. »Zurück zum Thema.« fuhr er dann fort. »Charityveranstaltungen sind sehr beliebt. Die Leute lieben es gesehen zu werden und für einen guten Zweck zu spenden.«

»Vielleicht. »gab Emma zu. »Aber ich bezweifle, dass sie sich für uns interessieren. Wir bräuchten Presse und wirklich wichtige Leute. Und das in weniger als sechs Wochen.«

»Was wenn ihr z. B. eine Art Tombola veranstaltet? Ihr könntet ein Treffen mit ein paar meiner Jungs anbieten oder andere gute Preise die von den lokalen Firmen gespendet werden.«

Emma-Sophie sah ihn mit großen Augen an. »Du glaubst sie würden da mitmachen?«

Max grinste. »Ich bin der Kapitän, schon vergessen?« Dann wurde er wieder ernst. »Wir stecken im Augenblick mitten im Kampf um die Play-Off-Saison. Das ist ziemlich hart. Es gibt kaum einen freien Tag. Und während den Play-Offs wird es noch schlimmer. In etwa vier Wochen ist das letzte Finalspiel. Wenn ihr die Veranstaltung auf das Wochenende danach legen könnt, werde ich mit meinen Jungs sprechen.«

Es wäre verdammt knapp, aber es klang zu verlockend. Außerdem war es der erste wirkliche Hoffnungsschimmer seit langem. »Warum?«

Max sah Emma irritiert an. »Warum was?«

»Warum würdest du das tun? Du kennst weder die Kinder noch mich. Du hast selbst gesagt ihr habt eine stressige Zeit vor euch. Also wieso willst du uns helfen?«

»Was das mit den Kindern angeht hast du recht. Ich kenne sie nicht. Aber das ist auch nicht wichtig. Ich weiß wie sie sich fühlen und wie es ist ohne Eltern aufzuwachsen. Und was die Sache mit dir angeht, nun, das versuche ich gerade zu ändern.«

Emma-Sophie war sich nicht sicher, ob nun eher sie Max oder er sie anstarrte. Vermutlich spielte es auch keine Rolle. Es war der Moment der zählte. Dieser eine kleine Augenblick der sie vollkommen in ihren Bann zog. Es fühlte sich an, als gäbe es plötzlich nur noch sie beide. Es war egal, dass sich um sie herum mehrere Leute sowie das Personal befanden und im Hintergrund irgendeine Musik lief. Irgendwo ging eine Tür auf, sie spürte den leichten Wind an ihrer Haut, dann fiel sie wieder ins Schloss. Max rührte sich nicht, sondern ließ sie weiterhin nicht aus den Augen. Dann trat der Kellner an den Tisch, servierte ihren Zander und das Rinderfilet und der Moment war verflogen.

Kurz darauf kam ihr Weißwein und sie blinzelte ein paar Mal um wieder klar denken zu können.

Sie versuchte sich an Max letzte Worte zu erinnern. Das was er über die Kinder gesagt hatte, nicht über sie. »Was meinst du damit? Du weißt wie sie sich fühlen? Sind deine Eltern...« Sie suchte das passende Wort. Tot klang so furchtbar. »...nicht mehr da?«

Max schnitt sich ein Stück von seinem Fleisch ab. »Doch. Sie leben nicht weit weg von hier. Aber es gab eine Zeit in meiner Vergangenheit da waren sie ziemlich lange fort.«

»Wie alt warst du da?«

»Acht.«

»Und wie lang ist ziemlich lang genau?«

»Etwa drei Jahre.«

Emma nahm einen Bissen ihres Fischs. Er schmeckte tatsächlich köstlich. »Wie können Eltern einfach für drei Jahre verschwinden und dann wieder auftauchen?«

»Das ist eine lange Geschichte,« wiegelte er ab. Seine Vergangenheit war ein Teil von ihm. Das Leben in einem Zeugenschutzprogramm. Der Zeitpunkt in dem seine Eltern verschwunden waren und er geglaubt hatte, sie seien tot. Aber auch wenn er das mittlerweile hinter sich gelassen hatte, sprach er mit niemanden darüber. »Es ist auch nicht wichtig. Ich weiß dadurch nur wie man sich als elternloses Kind fühlt.«

»Wer hat sich in diesen Jahren um dich gekümmert?«

»Meine Schwester Hannah. Sie war damals schon volljährig.« Bei dem Gedanken an seine Schwester musste er lächeln. »Sie war toll.«

Emma-Sophie lächelte zurück. »Ich stellte es mir schön vor Geschwister zu haben.«

»Hast du keine?« fragte Max und tupfte mit seiner Serviette einen Soßenfleck vom Tisch, während er Emma weiterhin beobachtete.

»Nein. Ich bin auch Waise. Meine Mutter starb als ich vier Jahre alt war. Meinen Vater kenne ich nicht. Was bedeutet, dass ich vielleicht sogar irgendwo einen Bruder oder eine Schwester habe.« Sie zuckte mit den Achseln. »Nur weiß ich dann eben nichts davon.«

»Darum ist dir dieses Kinderheim auch so wichtig, oder?«

»Ja. Es war und ist mein zu Hause. Ich bin dort aufgewachsen. Natürlich ist es nur ein Gebäude, aber es ist ebenso meine Kindheit. Ich habe gerne dort gelebt. Es war nicht schlecht. Auch wenn ich natürlich noch lieber Eltern gehabt hätte.«

Max versuchte nicht auf Emmas Körper zu starren, der sich verdammt sexy und ganz sicher vollkommen unabsichtlich etwas weit nach vorne beugte, sodass er direkt auf ihre perfekt geformten Brüste sehen konnte. »Wir werden es retten.«

»Das kannst du nicht wissen.«

»Doch.« Denn wenn alle Stricke rissen, könnte er das Geld selbst spenden. Er wusste nicht wie viel sie benötigten, aber er verdiente mehr als genug. »Max?«

»Ja?«

»Ich bin froh, dass du mir die Tür an den Kopf geknallt hast.«

Die nächste Tage verbrachte Emma-Sophie damit, beinahe alles und jeden anzulächeln. Der Abend mit Max war super gewesen. Sie hatte geglaubt er wäre so ein eingebildeter Idiot, der nur an sich selbst dachte, aber das Gegenteil war eingetreten. Auch wenn er manchmal vielleicht etwas zu sehr den Macho heraushängen ließ, war er doch durch und durch ein anständiger Kerl. Und die Idee mit der Charityveranstaltung war wirklich grandios gewesen. Seit langem verspürte sie einen ersten Hoffnungsschimmer für ihr Kinderheim.

»Emma, Emma, Emma!« Sie hörte die aufgeregten Schreie der kleinen Maja und noch bevor sie sich umdrehen konnte hing das Mädchen auch schon an ihrem Bein. »Was ist denn los meine Süße?« Sie nahm sie auf den Arm und setzte sie dann auf einen Stuhl. »Ist was passiert?«

»Schwester Gretchen hat uns gerade erzählt, dass sich jemand für uns interessiert!« rief die Kleine eifrig und strahlte Emma-Sophie an. Uns, das war Maja und ihr Zwillingsbruder Joshua.

»Das ist ja toll.« Emma streichelte Maja sanft durchs Haar, dann gab sie ihr einen Kuss auf die Stirn. »Wann wollten sie den kommen? Hat Schwester Gretchen das auch gesagt?«

»Hmh. Morgen glaub ich.« Maja sprang wieder vom Stuhl, nahm Emmas Hand und hüpfte aufgeregt hin und her. »Vielleicht werden wir bald wieder Eltern haben!«

»Ja.« Emma ignorierte den eigenen Schmerz, der sie bei diesen Worten durchfuhr. Er war egoistisch und gehörte nicht hier her. Maja und Joshua verdienten es in einem geregelten zu Hause aufzuwachsen bei Menschen die sie liebten. Es war nur so, dass Emma die beiden selbst so sehr ins Herz geschlossen hatte. Die Zwillinge waren kaum älter als ein Jahr gewesen als sie zu ihnen gekommen waren. Fast zeitgleich als Emma dort zu arbeiten angefangen hatte. Natürlich mochte sie alle ihre Schützlinge, aber Maja und Josh standen ihr einfach besonders nahe.

 

»Weiß es dein Bruder schon?« fragte Emma und verdrängte die Gedanken daran, dass die beiden möglichweise bald nicht mehr da sein konnten. Die Kleine schüttelte den Kopf. »Ich wollte es zuerst dir sagen.«

»Das ist lieb, aber ich denke jetzt ist dein Bruder dran. Er freut sich bestimmt genauso sehr wie du.«

»Ja. Ich geh ihn suchen!« freudig tänzelnd verließ Maja den Raum und Emma-Sophie blieb alleine zurück. Ihre eben noch so gute Laune war verflogen.

»Was ist dir denn auf einmal über die Leber gelaufen?« fragte Bea die gerade durch die Tür kam. »Ich dachte schon, dein Grinsen wäre irgendwie festgewachsen oder so.«

»Sehr witzig.« Emma ließ sich auf den Stuhl fallen, in dem gerade noch Maja gesessen hatte. »Maja und Josh werden vielleicht adoptiert.«

Bea runzelte die Stirn. »Und das ist schlecht?«

»Nein. Nein natürlich nicht. Ich dachte nur....«

»Du dachtest du könntest irgendwann diejenige sein die das tut.« beendete Bea den Satz.

Emma-Sophie nickte. Bea kniete sich seufzend vor sie und nahm ihr Hände. »Schätzchen, ich weiß du liebst die beiden. Aber du weißt, dass die Behörden sie dir mit deinem Gehalt und als alleinstehende Frau nie gegeben hätten.«

»Ja.«

Bea drückte ihre Hände. »Vielleicht sind sie ja nicht die Richtigen.«

»Vielleicht.« Die Frage war nur, was das für einen Menschen aus ihr machte, dass sie sich genau das wünschte.

5. Kapitel

»Verdammte Scheiße Christensen, das war einfach der Hammer!«

Kevin Anderson, einer der Verteidiger, warf sich von hinten auf ihn, legte kameradschaftlich den Arm um seine Schulter und schüttelte ihn heftig. Zusammen liefen sie mit dem Rest der Mannschaft in die Umkleidekabine. »Was zur Hölle war heute mit der los, Mann? Ein Hattrick im ersten Drittel?! Und wieso verflucht noch Mal konntest du das nicht schon früher machen? Dann müssten wir die Saison jetzt nicht über die Pree-Play-Offs beenden.«

Max lief weiter ohne eine Antwort zu geben. Was hätte er auch sagen sollen? Schließlich hatte er selbst nicht den leisesten Schimmer was heute anders gelaufen war als sonst. Er wusste nur, dass es das beste Spiel dieser Saison, wenn nicht sogar seiner ganzen Karriere gewesen war. Nach außen hin ließ er sich nichts anmerken, gab weiterhin den ruhigen und entschlossenen Kapitän, aber innerlich grinste er wie ein Honigkuchenpferd.

Mit diesem 6:2 Sieg standen sie jetzt endlich in den Vor-Play-Offs und ja, Kevins Worte brachten das Ganze ziemlich genau auf den Punkt. Übermorgen würde bereits das erste Spiel dieser Serie gegen die Iserlohn Roosters beginnen, was bedeutete, dass sie morgen schon im Bus nach Iserlohn sitzen würden.

Für einen kurzen Moment dachte er an Emma-Sophie. Sie war nicht nur hübsch, sondern auch klug und besaß dieses gewisse Etwas, dass ihn mehr als nur ein bisschen faszinierte.

Vielleicht lag es daran, dass auch ihre Vergangenheit in gewisser Weise von dem Verlust der eigenen Eltern geprägt war. Natürlich konnte er das nicht direkt vergleichen, immerhin lebten seine ja noch, aber die wenigen Jahre in denen er das Gegenteil geglaubt hatte, waren stark genug gewesen, diese Zeit nie zu vergessen.

Möglicherweise war auch das der Grund, warum er ihr ohne groß darüber nachzudenken vorgeschlagen hatte, an einer Charityveranstaltung teilzunehmen. Normalerweise war er nämlich eher der Letzte, der sich für so etwas freiwillig meldete. Er mochte es nicht im Mittelpunkt einer Gesellschaft zu stehen, für die weniger der Zweck als die Publicity im Vordergrund stand.

Bei Emma-Sophie lag der Fall allerdings anders. Für sie stand nicht die Aufmerksamkeit, sondern tatsächlich die Kinder im Vordergrund. Ein Grund mehr, sich dieses Mal ernsthaft daran zu beteiligen.

Von hinten hörte er seine Kollegen lachend miteinander herumalbern. Ein paar von ihnen rissen irgendwelche Witze auf Englisch und er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er befand sich in seiner eigenen Art vom Paradies. Das war es, was er wollte. Eishockey und seine Jungs. Ab und zu ein paar nette und kurze Affären. Mehr brauchte er nicht. Jedenfalls hatte er das bislang immer gedacht.

Auch die soeben eingetroffene Nachricht von Max konnte Emmas Stimmung nicht bessern. Von Euphorie zur Frustration in weniger als ein paar Stunden, dachte Emma zerknirscht, während sie darauf wartete, dass Schwester Margarethe mit dem Elternpaar, welches sich für die Zwillinge interessierte, aus dem Büro kam. Sie hatte noch nicht wirklich Gelegenheit gehabt mit Gretchen zu reden, aber es sah alles danach aus, als wäre das Gespräch gut gelaufen. Was ja eigentlich super sein sollte. Es aber nicht war. Zumindest nicht aus ihrer Sicht und der Tatsache, dass sie seit über einem Jahr versuchte eine Lösung für ihr Problem zu finden, welches ihr für die Adoption von Maja und Josh im Wege stand. Ein Ehemann und finanzielle Sicherheit. Beides nichts, was sich so einfach auftreiben lies.

Es war Ironie des Schicksals, dass Max beides verkörpern konnte. Nur leider kam das eben nicht in Frage, wodurch sie sich wieder am Ausgangspunkt ihrer Misere befand.

Die Tür ging auf und Gretchen kam heraus. Dicht gefolgt von einer ziemlich konservativ gekleideten Frau und einem Mann mit bereits leicht schütterem Haar, der einen Tweet-Pullover zu einer altmodischen hochgeschnittenen Jeanshose trug. Nicht, dass so etwas eine Rolle spielen würde. »Ich freue mich sehr für Ihre Bereitschaft der Adoption. Ich bin sicher, Sie haben die richtige Entscheidung getroffen. Wir werden den Antrag so schnell wie möglich prüfen und Ihnen dann Bescheid geben.«

Die Frau, Emma schätzte sie auf etwa Ende dreißig, reichte ihrer Partnerin und Freundin die Hand. »Das würden wir sehr zu schätzen wissen.«

»Aber natürlich.« versicherte ihr Gretchen. Emma ignorierte den stechenden Schmerz in ihrer Brust und den Anflug von Verrat. Schwester Margarete machte nur ihren Job. Und der war es nun einmal den Kinder aus ihrem Heim ein neues zu Hause zu vermitteln.

»Auf Wiedersehen.« Sie begleitete das Paar zur Tür und kam dann zurück zu Emma.

»Lass mich raten: Sie wollen sie haben?« fragte diese und wagte es kaum ihrer Freundin dabei in die Augen zu sehen.

»Ja. Alle beide.« Gretchen nickte und nahm dann ihre Hand. »Es tut mir leid.«

»Warum?« Emma hatte bislang nur mit Bea über ihr Vorhaben gesprochen und die würde nie etwas verraten.

»Meine Liebe, ich kenne dich seit du klein bist. Glaubst du wirklich ich merke nicht was in dir vorgeht? Du vergötterst die beiden seit sie hier sind. Wenn du die Chance bekommen hättest, wärst du jetzt diejenige deren Adoptionspapiere ich prüfen müsste.«

Emma schloss die Augen, öffnete sie jedoch gleich darauf wieder. »Du hast Recht.« erwiderte sie dann resigniert. »Aber ich fürchte, diese Chance ist jetzt wohl vorbei.«

»Noch ist nichts entschieden, mein Kind.« Mit diesen Worten wandte sich die Ordensschwester ab und ließ sie wieder allein zurück.

Als Emma an diesen Tag nach Hause lief dachte sie noch immer an Gretchens Worte. Ja, es mochte noch nichts entschieden sein, aber egal wie sehr sie sich es auch wünschte, sie hatte weder die Möglichkeit noch das Geld um Maja und Joshua eine gute Kindheit bieten zu können. Liebe allein sollte reichen, dachte sie grimmig. Tat es nur nicht. Eine Adoption durchzuführen war wesentlich schwieriger als man vielleicht glaubte. Man konnte nicht einfach in ein Waisenhaus marschieren und sich ein Kind aussuchen. Nein. Es gab Prozesse die durchlaufen werden mussten. Finanzielle Prüfungen, familiärerer Hintergrund und solche Sachen. Emma hatte weder Geld noch eine Familie. Nicht einmal einen verdammten Großcousin. Naja, zumindest keinem von dem sie wusste. Aber da sie ihren Vater nicht kannte, konnte es durchaus sein, dass es da draußen irgendwo einen gab. Was ihr nur im Augenblick herzlich wenig half.

Ein kalter Windstoß peitsche gegen ihr Gesicht und sie presste ihre Arme fester um ihren Körper. Wenn sie doch nur irgendetwas unternehmen könnte. Wie zum Beispiel ihren Vater suchen. Aber was dann? Das Jugendamt gäbe ihr deswegen trotzdem keine Chance für eine Adoption. Denn sie wäre weiterhin unverheiratet, verdiente genauso wenig wie vorher und lebte immer noch in ihrer kleinen Zweizimmerwohnung. Es sei denn ihr Vater wäre ein wohlhabender Geschäftsmann oder bekannter Medienmogul. So etwas beeindruckte die Leute und minderte so manche Vorschriften. Nur wollte sie ihren Vater nicht aus eigennützigen Gründen suchen. Aber was wenn sie möglicherweise noch Brüder oder Schwestern hätte? Sollte sie dass dann nicht wissen?

Verflucht. Jetzt würde sie sich doch entscheiden müssen. Jahrelang hatte sie die Tatsache verdrängt keine Ahnung von ihrem Vater zu haben. Sicherlich gab es einen guten Grund dafür. Nur jetzt besaß sie ebenfalls einen um sich genau deshalb auf die Suche nach ihm zu machen.

Als sie in die enge Seitenstraße zu ihrem Wohnblock abbog hörte sie plötzlich Schritte hinter sich. Rein aus Gewohnheit drehte sie sich um. Doch es war niemand zu sehen. Seltsam, dachte Emma, sie war sich eigentlich ziemlich sicher gewesen. Naja, offenbar war sie doch mehr abgelenkt wie gedacht. Sie zog ihr Handy aus der Tasche und öffnete die letzte Nachricht von Max. Schließlich schuldete sie ihm noch eine Antwort.

Bildete sie sich das nur ein, oder hatte sie da gerade eine menschliche Gestalt vorbeihuschen sehen? Sie blieb stehen und lauschte. Wieder rührte sich nichts. Nur das leise Rauschen des Windes.

Okay, sagte sie sich, ich sollte echt dringend nach Hause, bevor ich wirklich noch anfange zu halluzinieren. Sie steckte das Handy zurück in die Tasche und wollte gerade loslaufen, als sie eine Art »Rumpler« wahrnahm.

»Hallo? Ist da jemand?« Es war verrückt. Und vermutlich total harmlos, aber langsam bekam sie es doch ein wenig mit der Angst zu tun. Sie umklammerte ihre Handtasche etwas fester und sah sich ein weiteres Mal um. Sämtliche Haustüren waren verschlossen und Rollläden heruntergelassen. Die Sonne war bereits untergegangen und die Straße menschenleer. Sie ignorierte die Vernunft, die ihr sagte, dass alles in Ordnung war und rannte das letzte Stück vor bis zur Eingangstür des Mehrparteienhauses in dem ihre Wohnung lag. Als sie diese wieder von innen schloss lehnte sie sich mit dem Rücken dagegen und stieß einen langen Seufzer aus. Irgendetwas stimmte einfach gerade nicht mit ihr. Das war jetzt schon das dritte Mal in Folge, dass sie glaubte, jemand zu bemerken, der nicht existierte. Erst nach dem Treffen mit Max, dann gestern früh vor dem Kinderheim und gerade wieder. Möglicherweise hatte ihr Kopf doch einen größeren Schaden erlitten als angenommen.

Er hatte viel darüber nachgedacht, ob es eine gute Idee gewesen war, diesen Job anzunehmen. Sicher, die Bezahlung war gut. Das war sie meistens bei solchen Aufträgen. Aber langsam wurde er es müde, sich immer wieder auf Anordnungen einzulassen, die seinen Alltag so gravierend einschränkten. Zumal die Betreuung von Kindern nun nicht unbedingt zu seinen Stärken und Lieblingsbeschäftigungen zählte. Was man ihm vermutlich auch anmerkte und die ganze Situation nicht unbedingt verbesserte. In seinem Beruf gehörte das jedoch leider zur Tagesordnung. Er hatte schon unzählige Identitäten angenommen um sein Ziel zu erreichen. Menschen getäuscht, gelogen und betrogen und ja, hin und wieder auch getötet. Gewisse Umstände erforderten eben auch entsprechende Taten. In der Regel störte ihn das nicht. Aber je länger er in der Gegenwart dieser Kinder war gelang es ihm irgendwie kaum noch, das alles abzuschütteln. Doch das musste er. Ansonsten würde er Fehler machen und das konnte er sich in seiner Position keinesfalls erlauben.

Frustriert trat Nick aus dem Dickicht heraus und kratze sich ein paar Blätter von der Hose. Sein Auftraggeber hatte ihm vor einigen Wochen lediglich ein Bild und ein paar Eckdaten zukommen lassen. Was ihn nicht weiter verwunderte. Schließlich gehörte auch das zu seinem Job. Jemanden zu finden stellte für ihn kein Problem dar. Nick starrte die abgebildete Person auf dem kleinen zerknitterten Zettel in seine Händen an, den er soeben aus seiner Manteltasche gezogen hatte. Emma-Sophie Manning, 26 Jahre, Erzieherin im St. Jose, schwarze lockige Haare, braune Augen.

 

Er konnte nur hoffen, dass diese Mission bald zu Ende sein würde. Er folgte Emma-Sophie bis zur Tür und wartete bis sie verschwunden war.

»Kannst du mir bitte mal verraten, warum um alles in der Welt ich dich begleiten soll?« fragte Jonas während er neben Max durch das Stadtzentrum schlenderte. »Seit wann brauchst du denn bitte Hilfe bei deinen Dates?«

»Du weißt genau, dass es nicht darum geht.« gab Max zurück.

»Natürlich geht es darum. Das geht es immer.«

Max zog nur die Augenbrauen nach oben und sah seinen Freund an. Vermutlich sollte er ihm diese Aussage nicht übel nehmen, es war ja nicht so, dass er es nicht genoss mit Frauen auszugehen. Dennoch. Dieses Mal störte es ihn irgendwie darauf reduziert zu werden. Er wollte Emma-Sophie helfen. Und ja, natürlich würde er sie auch gerne in seinem Bett haben. Aber jetzt ging es einzig und allein um den wohltätigen Zweck und das wusste Jonas verdammt genau.

Dieser hob nur beschwichtigend die Hände. »Na schön. Es geht um diese Charityveranstaltung die du angeleiert hast. Was ich zwar noch immer nicht verstehe, aber toleriere, weil ich dein bester Kumpel bin.«

»Na, herzlichen Dank auch.« grummelte Max, worauf Jonas ihm einen skeptischen Blick zu warf. »Ich habe noch nicht ja gesagt.«

»Natürlich hast du das.«

»Ich sagte, dass ich darüber nachdenke.« warf Jonas ein.

»Eben.«

Jonas seufzte. Manchmal konnte Max echt nervtötend sein. Und er vermutete, dass sein Freund das auch wusste. Sie hatten die ersten beiden Play-Off-Spiele hinter sich, nach denen es in der Serie unentschieden stand, und befanden sich mitten in der knallharten Trainingsphase. Aber statt sich in den wenigen Stunden auszuruhen, in denen sie das konnten, bevor heute Abend wieder eine weitere Trainingseinheit auf sie wartete, fiel Max nichts Besseres ein, als ein Treffen mit seiner offenbar neuen Bekanntschaft zu arrangieren bei welchem er aus Gründen, die er noch immer nicht vollkommen nachvollziehen konnte, mit von der Partie sein sollte.

Er blieb stehen, stopfte seine Hände in die Hosentasche und beobachtete eine fahrende Spielzeugeisenbahn durch ein Schaufenster. »Warum zum Teufel machen wir das noch mal?«

»Weil es um Kinder geht.« antwortete Max mittlerweile leicht angesäuert. »Und es eine gute Sache ist.«

»Vieles ist eine gute Sache. Der Bau von Schulen in Afrika, Ärzte ohne Grenzen oder das Schuhkartonprojekt zu Weihnachten. Nichts davon hat dich bislang interessiert.«

»Tja, diesmal interessiert es mich eben.«

»Oder jemand.«

Max drehte sich so, dass er links neben Jonas stand und ebenfalls durch die Glasscheibe des Ladens sehen konnte. »Ist das wichtig?«

»Vermutlich nicht.« gab dieser zu. Allerdings war er sich noch nicht sicher, was er davon halten sollte. Max war bislang nie der Typ für längere Beziehungen gewesen. Nicht, dass er es nie in Betracht ziehen würde, aber im Augenblick konnten sie sich keine Ablenkung erlauben. Max sah das normalerweise genau wie er. Sie standen am Höhepunkt ihrer Karriere. Warum er jetzt jedoch offenbar gerade dabei war, seine Meinung zu ändern, blieb ihm ein Rätsel. Denn auch wenn Max etwas anderes behauptete, konnte er ihm nichts vormachen. Er wäre nie dazu bereit gewesen, sich auf so ein Projekt einzulassen, noch dazu mitten in der härtesten und wichtigsten Spielphase der Saison, wenn da nicht mehr dahinter stecken würde.

»Da vorne sind sie.« hörte er seinen Freund sagen und sah auf. Er bemerkte eine zierliche Frau mit schwarzen lockigen Haaren die mit einer anderen Frau an einem der runden Tische in dem Cafe saß und über irgendwelchem Papierkram die Köpfe zusammensteckte. Kurz bevor sie die beiden erreichten, hob die andere Frau den Kopf und er spürte den Schlag noch bevor sie ihn überhaupt richtig ansah. Er war Eishockeyprofi. Er verdiente sein Geld damit Prügel auszuteilen und auch einzustecken, aber auf diesen Tritt war er nicht vorbereitet gewesen. Verdammt. »Wer ist das?«

»Emma-Sophie. Das habe ich dir doch erzählt. Kannst du jemals irgendwann zuhören?«

»Nein. Ich meine die andere.« Zumindest hoffte er das.

»Die Blonde? Ihre Freundin. Bea glaube ich. Sie arbeitet auch im Kinderheim.«

Max bewegte sich ein paar Schritte schneller und hielt vor Emma-Sophie an. »Guten Tag die Damen. Darf ich Euch Jonas Meiers vorstellen? Er ist einer meiner Teamkollegen und hat sich netterweise bereit erklärt, ebenfalls an der Veranstaltung teilzunehmen.«

Jonas gelang es immerhin aus seiner Trance zu erwachen und die Hand zu ergreifen die Emma-Sophie im lächelnd entgegenstreckte. Das hielt er für ein gutes Zeichen. »Danke. Es ist wirklich toll, dass ihr uns helfen wollt.« Sie wandte ihren Kopf zu der blonden Schönheit neben ihr. »Das ist Bea Lennark.« Er schüttelte Emmas Hand, während er jedoch wie ein Trottel die Frau neben ihr anstarrte. Ihre Haare waren zu einem dieser hohen Pferdeschwänze zusammengebunden, woraus sich jetzt ein paar vereinzelte Haarsträhnen lösten. Ihr Mund war knallrot geschminkt und sie trug eines dieser locker sitzenden Tanktops unter einer schwarzen Weste. Es war weiß und hier und da spitzelten Teile ihres BHs hindurch. Sie legte ihren Kopf leicht schräg, sodass einer ihrer riesigen Kreolen-Ohrringe ihre nackte Haut an der Schulter berührte. Dann hob sie kurz die Hand zum Gruß. »Hi.«

Er schluckte und versuchte sich wieder zu sammeln. Normalerweise gab er durchaus eine recht gute Figur bei Frauen ab. Es stand ihm jetzt nicht unbedingt der Sinn danach, gerade heute mit dem Gegenteil anzufangen.

Max rückte sich einen Stuhl zurecht und nahm neben Emma Platz. »Es ist eine gute Sache.« erwiderte dieser nur und bestellte sich dann eine Cola. Jonas nahm dasselbe und zog sich ebenfalls einen Stuhl heran. »Genau.«

Er bemerkte wie Max seine Augen zusammenkniff und ihn leicht verwundert ansah. Er würde ihn ohne mit der Wimper zu zucken beim nächsten Training knallhart über die Bande werfen, sollte er es wagen, jetzt irgendetwas zu sagen. Glücklicherweise enthielt sich Max jeden weiteren Kommentars.

»Das Ganze ist für den Samstag nach dem Play-Off-Finale geplant.« begann Emma und reichte Max und ihm ein Blatt Papier. »Wir wissen, dass ihr gerade sehr eingespannt sein und versprechen, dass wir uns um alles kümmern werden.«

Jonas nahm den Zettel und studierte den darauf abgebildeten Ablauf. »Es wird Steak und Würstchen geben und einen Eiswagen. Es wird nicht einfach, aber wir hoffen auch noch eine Hüpfburg aufzutreiben. Ein Zelt wird aufgestellt und Getränke bekommen wir gesponsert. Das einzige um was wir uns noch kümmern müssen, ist die Werbung. Schließlich wollen wir ja so viele Menschen wie möglich erreichen.« Emma-Sophie hielt kurz inne. »Es wäre vermutlich hilfreich, wenn wir Plakate drucken lassen.« Wieder entstand eine Pause. Plakate klangen logisch. Die konnte man überall aufhängen. Jonas wollte gerade seinen Zuspruch äußern, als Emma weitersprach. »Wir dachten wir könnten so eine Art »Meet and Greet« anbieten. Als eine Art Versteigerung. Ihr wisst schon. Um mehr Geld in die Kasse zu bekommen. Das würden wir dann mit einem Foto von Euch auf dem Plakat ankündigen.«

Etwas, was er als persönliche Form der Hölle bezeichnete. Sicher, er mochte Frauen, und früher hätte ihm das vermutlich auch nichts ausgemacht aber mittlerweile hasste er solche Auftritte. Er wollte nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit von weiblichen Fans stehen die nur darauf hofften mit ihm ins Bett zu gehen oder schlimmer, sich sogar einbildeten eine Beziehung mit ihm haben zu können. Und das geschah zweifellos, da war er sicher. Was ihn daher umso mehr verwunderte war, als er sich sagen hörte:« Sicher, kein Problem.«

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