Spuk im Reihenhaus

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Spuk im Reihenhaus
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Conny Schwarz

Spuk im Reihenhaus

Gruselgeschichten für Kinder

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Auf dem Vulkan

Der Fluch der roten Jacke

Zugfahrt ins Ungewisse

Spuk im Reihenhaus

Party des Grauens

Der Hut der alten Hexe

Stimmen aus der Dunkelheit

Aug in Auge

Der böse Geist

Nachtgestalten

Impressum

Auf dem Vulkan

Ding ding, ding dong... Das fröhliche Läuten der Glocken riss Tobias aus seinem Alptraum. In einem alten Fischerhaus war er gewesen, dessen Wände so weiß getüncht waren, dass man die unzähligen kleinen schwarzen Krabbeltiere darauf prima erkennen konnte. Manche waren länglich, andere eher rund, manche winzig und wieder andere richtige Brummer, manche hatten sechs Beinchen, andere so viele, dass man sie gar nicht zählen wollte. Nur eines hatten alle Krabbler gemeinsam: Ihr Anblick war furchtbar eklig.

Das weiße Häuschen, von dem Tobias geträumt hatte, bildete gemeinsam mit andern Häuschen und einer Kirche ein kleines Fischerdorf, das am Fuße eines großen Bergs lag. Das aber war nicht etwa irgendein Berg, sondern es war ein rauchender Berg. Ein Vulkan nämlich, aus dessen Öffnung Feuersalven in den Himmel schossen. Und weil das alles noch nicht schrecklich genug für einen richtigen Alptraum war, befand sich dieser Vulkanberg, an dessen Hang das kleine Fischerdorf klebte, mitten im Meer, mehrere Stunden vom sicheren Festland entfernt.

Ungeduldig wartete Tobias darauf, dass die Traumbilder endlich verflogen. Damit das schneller ging, wollte er Licht anmachen. Seine Hand tastete neben seinem Bett herum, um die Nachttischlampe anzuknipsen. Doch so sehr Tobias auch herumfuchtelte, seine Hand griff immer wieder ins Leere und fand weder Lampe noch Nachttisch.

Allmählich gewöhnten sich Tobias’ Augen an die Dunkelheit. Doch was er sah, beruhigte ihn nicht. Im Gegenteil. Er war nämlich gar nicht zu Hause. Zu seinem Entsetzen erkannte er das kleine Fischerhaus wieder, von dem er geträumt hatte. Allmählich dämmerte ihm, dass auch alles andere furchtbare Wirklichkeit war. Diese unzähligen Krabbeltiere. Der Vulkan, dessen Rauchfähnchen er von der Fähre aus deutlich hatte sehen können.

Doch die Realität übertrumpfte noch den Alptraum, denn da war auch noch die Sache mit dem Gepäck. Beim Umsteigen mit dem Flugzeug waren alle drei Reisetaschen abhandengekommen. Sämtliche Klamotten samt Waschzeug und Badesachen lagerten nun irgendwo auf dem Festland. Und daran, dass ihr Gepäck hier in den nächsten Tagen mit der Fähre eintreffen würde, schienen nicht einmal seine Eltern zu glauben. Na wenigstens waren die beiden ganz in der Nähe, jedenfalls konnte Tobias deutlich ihre Stimmen hören.

„Es ist um zwei“, hörte er seine Mutter ängstlich sagen.

„Na und“, antwortete der Vater.

„Kannst du mir mal verraten, wieso hier mitten in der Nacht die Glocken läuten?“, fragte die Mutter vorwurfsvoll, als wäre der Vater persönlich daran schuld.

„Nein“, knurrte der als Antwort.

Jetzt bemerkte auch Tobias, dass die Glocken, die ihn aus dem Schlaf gerissen hatten, noch immer läuteten.

„Vielleicht ist das so eine Art Alarm? Geh doch mal raus nachgucken“, schlug die Mutter vor.

„Wieso Alarm, was soll denn los sein?“, fragte der Vater, doch seine Stimme klang unsicher.

„Na was weiß denn ich, vielleicht bricht der Vulkan aus!“, flüsterte die Mutter aufgeregt. „Vielleicht gibt es hier in diesem Nest keine Sirenen für den Notfall, sondern nur diese Kirchenglocken!“

„Meinst du?“, fragte der Vater.

„Geh doch einfach mal gucken“, forderte die Mutter nunmehr nachdrücklich.

„Wohin soll ich denn gucken gehen“, brummte der Vater. „Und überhaupt war es deine Idee, auf einem Vulkan Urlaub zu machen. Geh doch selber gucken!“

„Ich hab aber Angst vor diesen Viechern“, jammerte die Mutter. „Die sind ja überall. Das konnte ich doch nicht ahnen, dass es hier so viele eklige Tiere gibt!“

Wohl oder übel stand der Vater nun also auf und schlich zur Tür.

„Mach bloß die Tür wieder richtig zu!“, zischte die Mutter.

„Ich hab sie doch noch gar nicht aufgemacht!“, gab der Vater zurück. „Außerdem kommen die Viecher sowieso durch die Ritzen.“

Tobias schüttelte sich. Plötzlich spürte er ein zartes Krabbeln an seinem Fuß und zog ihn schnell zurück. Doch da kitzelte es ihn auch schon am andern Fuß. Tobias bemühte sich, so wenig Platz wie möglich auf seiner Matratze einzunehmen. Sobald er aus Versehen die Wand berührte, zuckte er zusammen. Er wusste kaum noch, wie er liegen sollte. Er wusste nur, dass er am liebsten so leicht wie ein Heliumballon gewesen wäre, um über seinem Bett schweben zu können. Oder so klein wie eine Ameise? Doch die letzte Idee verwarf Tobias sofort wieder. Er mochte sich gar nicht ausmalen, wie monstergroß all die Käfer und Tausendfüßer sein würden, wenn er so winzig wäre wie eine Ameise.

Inzwischen war der Vater draußen vor der Tür angekommen. Die Glocken läuteten noch immer. Ding dong, ding dong, ding dong. Ihr schweres Läuten klang nun allerdings gar nicht mehr fröhlich, sondern eher bedrohlich.

Der Vater kam wieder zur Tür herein und setzte sich auf sein Bett.

„Und?“, fragte die Mutter. „Nun tu doch nicht so geheimnisvoll, sag doch was!“

„Also ich kann da draußen nichts erkennen. Es ist alles dunkel. Eine glühende Lavamasse ist also nicht in Sicht. Schlaf jetzt weiter“, sagte er.

„Weiterschlafen, schön wär’s. Im Gegensatz zu dir habe ich doch noch kein Auge zugetan! Ich will hier weg“, jammerte die Mutter.

„Jetzt sofort? Warum nicht! Sachen packen brauchen wir sowieso nicht, weil die Koffer eh weg sind, also los! Müssen wir nur noch Tobias aufwecken! Und das werden wir auch bald geschafft haben, bei dem Lärm, den wir machen!“

Während seine Eltern sich weiter anzischten wie aufgeregte Schlangen, stieg Tobias unbemerkt aus dem Bett. Er huschte schnell hinüber in die Kochecke und verschwand von dort aus leise durch die Terrassentür hinaus ins Freie.

Draußen atmete er erst einmal tief durch. Sofort vergaß er das Gezeter der Eltern und das Gekrabbel an den Wänden und genoss die frische Brise, die vom nahen Meer herüberwehte.

Obwohl es dunkel war, konnte Tobias allmählich die Silhouette des dicken runden Steinofens erkennen, in dem früher Brot und Pizza gebacken wurde. Alles um ihn herum war grau, wie aus Blei gegossen: der Boden der Terrasse, Tisch und Stühle, sogar die grünen Sträucher und der weiße Ofen. Doch über ihm schwebte eine funkelnde Decke, ein so prächtiger Sternenhimmel, wie er ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Hier gab es sicher tausend Sterne mehr als zu Hause und alle leuchteten sie viel heller, staunte Tobias.

Als er sich an den Sternen satt gesehen hatte, raffte der Junge sein bisschen Mut zusammen und schlich um das Haus herum. Zögernd betrat er die kleine Straße, auf der nie Autos fuhren, denn auf dieser Insel gab es nur Esel und Mopeds. Doch zu dieser Uhrzeit waren die kleinen Gassen wie ausgestorben. Nur am Wegrand starrten Tobias zwei kleine grüne Augen an. Vermutlich bloß eine Katze, redete der Junge sich ein, atmete tief durch und ging einfach weiter.

Die kleine Straße führte aufwärts, weg vom Meer in Richtung Kirche, deren Glockenturm sich deutlich gegen den Berg abzeichnete. Tapfer setzte Tobias einen Fuß vor den andern, automatisch wie ein Roboter. Ihm war selbst nicht geheuer, was er da tat, aber er konnte nicht anders.

Die Glocken waren inzwischen verstummt. Doch es war nicht etwa still um ihn herum. Die Geräusche der Nacht begleiteten ihn. Von allen Seiten hörte er es rascheln, fiepen, knistern und knacken. Und alles schrecklich nah.

Als Tobias endlich den leeren Marktplatz erreichte, der friedlich im Mondschein lag, setzte er sich erschöpft auf die Stufen, die zum Eingang der Kirche führten. Er war so müde, dass er befürchtete, auf der Stelle einzuschlafen.

Doch plötzlich durchzuckte es ihn. Am Himmel, dicht über dem Gipfel des Bergs, hatte er einen roten Funken gesehen. Oder hatte er etwa schon geträumt?

Im Nu war Tobias hellwach. Er starrte so lange in die Nacht, bis er die Umrisse der Vulkanspitze ausmachen konnte und brauchte gar nicht lange warten: Wieder spritzte es glühend Rot in den nächtlichen Himmel. Tobias erschrak, als ihm klar wurde, was er da sah: Lava war das. Flüssiges Gestein aus den Tiefen der Erde, das aus dem Krater des Vulkans in den nächtlichen Himmel schoss. Wieder und wieder, mal schwach, ein anderes Mal umso kräftiger. Und wenn eine Weile gar nichts passierte, wurde Tobias schon nervös und fieberte dem nächsten Ausbruch entgegen.

 

Plötzlich erinnerte er sich daran, was die italienischen Kinder an Bord der Fähre gerufen hatten, als sie sich dem Vulkan näherten: „Una eruzione, una eruzione!“ Ihr Ruf hatte überhaupt nicht ängstlich geklungen, sondern fröhlich.

Je länger Tobias dieses unheimliche Schauspiel beobachtete, desto besser gefiel es ihm. Jeder Spritzer glühende Lava ließ sein Herz wild hüpfen, nun aber vor Freude. Es war wie ein kleines Feuerwerk, nur für ihn allein. Stunde um Stunde saß Tobias still da und staunte fasziniert, wie der Berg sein glühendes Inneres gegen den Himmel spuckte.

Erst als die Morgenröte am Horizont des Meeres zu dämmern begann, erhob sich Tobias schwerfällig und schleppte sich zurück in die alte Fischerhütte, die nun ihre Ferienwohnung war. Seine Eltern schnarchten friedlich. Todmüde, aber seltsam zufrieden, fiel Tobias sofort in einen traumlosen Schlaf. Die kleinen schwarzen Krabbler hatte er gar nicht weiter beachtet. Wer einen echten Vulkanausbruch erlebt hatte, konnte über die Furcht vor kleinen Käfertieren doch nur lachen.

Als Tobias am nächsten Morgen aus der Tür in Freie trat, war die Insel wie verzaubert. So musste das Paradies aussehen: Bei strahlend blauem Himmel konnte man bis zum grünen Meer hinuntersehen, die weißen Häuschen leuchteten in der Sonne und alle Wege und Terrassen waren gesäumt von buschigem Grün mit prächtigen rosa- und lilafarbenen Blüten.

Doch nicht nur die Insel, auch seine Eltern waren wie verwandelt. Der Vater brachte vom morgendlichen Strandspaziergang einen riesigen Tintenfisch mit, den er so stolz präsentierte, als hätte er ihn selbst gefangen – und nicht einem Fischer direkt von Boot abgekauft. Und die Mutter lachte darüber und freute sich aufs Kochen, obwohl die Zubereitung ziemlich eklig werden würde. Dann pfiff sie weiter eine flotte italienische Melodie, während sie vergnügt den Frühstückstisch auf der Terrasse deckte. Als sie Tobias erblickte, fragte sie ihn munter: „Na, mein Großer, gut geschlafen?“

„Na klar“, antwortete Tobias. Verstohlen blickte der Junge zum rauchverschleierten Gipfel des Vulkans hinauf und fühlte sich so erschöpft, als wäre er letzte Nacht dort oben gewesen.

„Und einen Riesenhunger hab ich“, ließ er seine Mutter wissen.

Mehr aber verriet er nicht.

Der Fluch der roten Jacke

„Willst du, dass ich Pickel kriege?“, fragte Emma ihre Mutter wütend und sah sie dabei an, als würde sie ihr zumuten, nackt in eine volle Mülltonne zu steigen. Seufzend hängte die Mutter die rote Winterjacke zurück auf den Ständer. Ihre Hände wühlten sich flott weiter durch andere Jacken. Die meisten aber waren zu klein für Emma, die für ihre elf Jahre schon recht groß geraten war. Und auch ziemlich frech, wie ihre Mutter fand.

Trotzdem ließ sie sich nicht entmutigen und suchte weiter nach einer warmen Jacke für die Tochter. Denn von einem Tag zum andern war das Wetter umgeschlagen. Morgens, wenn man aus dem Haus trat, war es bereits so herbstlich kalt, dass man seinen Atem bewundern konnte. Und da Emmas Mutter wenig Zeit und kaum Geld hatte, war sie mit ihrer Tochter gleich nach der Schule zu dem kleinen Geschäft an der Ecke gegangen. Im Second-Hand-Laden „Alter Hut“ gab es gute Kleidung für wenig Geld.

Die rote Jacke sah aus wie neu und war innen gefüttert, also bestimmt mollig warm. Emma wird sich schon an sie gewöhnen, dachte die Mutter, griff noch einmal nach der Jacke und hielt sie ihrer Tochter vor die Nase.

„Probier sie doch wenigstens mal an“, forderte die Mutter und wollte Emma die Jacke in die Hand drücken. Die aber wich zurück, als würde sie sich daran ihre Finger verbrennen, so dass die Jacke auf den Boden fiel.

„Sofort aufheben!“, schrie die Mutter und Emma wusste, dass sie den Bogen überspannt hatte. Um ihre Mutter nicht noch wütender zu machen, probierte sie die Jacke an. Sie passte perfekt. Und wurde gekauft.

Wieder schlug das Wetter um, die Sonne kam noch einmal heraus und lächelte müde vor sich hin. Ein paar Tage hing die rote Jacke achtlos an der Garderobe im Flur. Dann aber kam es umso heftiger: Über Nacht hatte es Frost gegeben und Morgennebel kündigte eine grauen, feuchtkalten Tag an.

Als Emma früh wie immer mit ihrem grünen Kapuzenpulli aus dem Haus huschen wollte, fing ihre Mutter sie an der Tür ab und sagte, sie solle sich bloß warm anziehen! Mürrisch zog Emma die rote Jacke über und verschwand.

Im Klassenzimmer hatte Emma eine ganze Bank für sich allein. Ein paar Mädchen aus der Klasse hatten einen komischen Baum-Club gegründet, in den alle Mädchen aufgenommen werden wollten. Bloß Emma fand diesen Club mit seinen Ausweisen, Anwesenheitslisten und solch bürokratischem Kram einfach nur idiotisch. Auch eine alberne Geheimschrift hatten sich die Mädels ausgedacht – wie im Kindergarten. Nein, da hielt sich Emma lieber an die Jungs. Mit denen kam sie besser aus, zumindest mit Marek und Franz.

Mit Franz ging sie auch an diesem Tag nach Hause. Emma schimpfte über ihre neue Jacke und auf ihre Mutter, bis es „platsch“ machte. Sie war ausgerutscht und lag nun mitten in einer Pfütze. Franz, der ihr beim Aufstehen half, musste sich das Lachen verkneifen. Und Emma, die nun aussah wie ein Matschmonster, gab auf der Stelle ihrer blöden Jacke die Schuld daran.

Am Abend entdeckte die Mutter die Bescherung und stopfte die rote Jacke schimpfend in die Waschmaschine. Dann kramte sie den grauen Wintermantel vom letzten Jahr hervor, dessen Ärmel längst zu kurz waren. Doch das war Emma komplett egal, denn sie liebte diesen Mantel. Und der Tag, an dem sie ihn trug, wurde ein rundum angenehmer Tag, an dem nichts Blödes passierte, nicht einmal die Mädchen stänkerten mit ihr herum.

Bereits am übernächsten Tag aber war die verhasste Jacke wieder trocken und so sauber, dass ihr Rot so grell wie das einer Ampel leuchtete. Auch auf dem Schulhof. Und als eine Lehrerin nach den Schülern suchte, die dauernd Steinchen gegen die neuen Turnhallenfenster warfen, sah sie nur Rot. Emma wurde ins Sekretariat bestellt und bekam einen Tadel – und das, obwohl sie bloß daneben gestanden hatte. Eine Gemeinheit.

Von nun an ging das so immer weiter. Jeden verdammten Tag. Immer wenn Emma die rote Jacke trug, gab es eine Katastrophe. Ihr Fahrrad wurde geklaut, obwohl es vor der Schule angeschlossen war. Sie trat in Hundekacke und musste daraufhin den Boden des Klassenraums schrubben. Oder der Riemen ihrer Schultasche riss, so dass sich deren Inhalt auf dem schmutzig-feuchten Gehweg verteilte und etliche Arbeitsblätter auf nimmer Wiedersehen mit dem Herbstwind davonflogen.

Nach einer Woche reichte es der Mutter. Sie bestellte Emma zu einem ernsten Gespräch ins Wohnzimmer und fragte mit müder Stimme, was in letzter Zeit bloß mit ihr los sei. Jeden Tag gäbe es eine andere Katastrophe und so könne das auf keinen Fall weitergehen.

„Ich kann doch nichts dafür!“, rief Emma und wollte ihrer Mutter sagen, dass diese dämliche Jacke an allem schuld sei. Doch sie ahnte, dass ihre Mutter das nicht kapieren, sondern für eine faule Ausrede halten würde, noch dazu für eine saublöde. Und dann bekäme sie mindestens 50 Monate Fernsehverbot und 100 Jahre Stubenarrest.

„Ich werde besser aufpassen, Mutter, das verspreche ich“, sagte Emma mit eingezogenen Schultern und gesenktem Kopf. Leise fügte sie hinzu: „Aber dass nichts mehr passieren wird, kann ich leider nicht versprechen.“

„Was soll denn das heißen?“, fragte die Mutter entrüstet.

„Ich werde aufpassen“, versprach Emma.

„Schon gut, ist ja nicht so schlimm. Ich verstehe das alles bloß nicht“, tröstete die Mutter am Ende ihre Tochter. Das fand Emma so nett, dass sie überlegte, ob sie der Mutter nicht doch die Wahrheit sagen sollte. Nämlich dass die blöde Jacke an allem schuld war. Doch als sich Emma endlich dazu durchgerungen hatte, war die Mutter schon in der Küche verschwunden und bereitete das Abendbrot vor.

Aber so sehr sich Emma auch bemühte, die Kette der Katastrophen wollte einfach nicht abreißen. Was ja auch kein Wunder war, musste sie doch jeden Morgen in dieser Blödjacke aus dem Haus. Und so geschah es wieder und wieder. Ein leckeres Schweineohr fiel in den Dreck oder die beknackte Frau Schreiber lief ihr über den Weg, so dass sie „Guten Tag“ sagen musste, obwohl sie ihr eigentlich einen schlechten wünschte. Einmal übersah Emma sogar ein Auto, das wegen ihr scharf bremsen musste. Die Jacke war also nicht nur unangenehm, sondern konnte ihr sogar gefährlich werden.

Eines Tages sollte Emma einkaufen gehen. Sie musste Pfandflaschen wegbringen und von dem Geld, das sie zurückbekam, sollte sie Milch holen. Emma sortierte die leeren Flaschen nacheinander in den Pfandautomaten und als sie damit fertig war, ging sie zum Kühlregal, um Milch zu holen. Drei Packungen würde sie von dem Geld holen können. Als sie an der Kasse stand, wollte sie noch einen Blick auf den Pfandzettel werfen, um zu sehen, ob ihre Rechnung aufging. Doch so sehr sie auch all ihre Taschen durchsuchte, sie fand keinen Pfandbon. Und das konnte sie auch gar nicht, weil sie völlig vergessen hatte, die „Bontaste“ am Automaten zu drücken. Keine Bontaste, kein Bon. Kein Bon, kein Geld. Kein Geld, keine Milch.

Erschrocken eilte Emma zurück zum Pfandautomaten. Dort aber standen viele Leute an, der Betrieb war einfach weitergegangen. Und der Glückspilz, der nach ihr seine Flaschen zurückgegeben hatte, musste ihr Pfandgeld mit auf seinem Bon haben.

Mit leerem Beutel trottete Emma aus dem Supermarkt. Doch statt nach Hause zu ihrer Mutter zu gehen, die sowieso sauer sein würde, schlurfte sie einfach ziellos durch die Straßen. Sie fühlte sich allein. Und traurig. Und furchtbar dämlich. Emma tat sich selbst so unendlich leid, dass sie am liebsten losgeheult hätte. Dabei wäre sie fast gegen einen Laternenpfahl gedonnert.

„He du da, bleib mal stehen“, hörte sie plötzlich hinter sich eine Mädchenstimme.

„Ja genau, du“, rief die Stimme noch einmal, als sich nach ihr Emma umdrehte. Ein Mädchen mit langen blonden Haaren und einem Engelsgesicht kam auf sie zu. Zwei andere Mädchen hatten sich links und rechts bei ihr eingehakt.

„Du hast ja eine supertolle Jacke, was willste denn für die haben?“

Emma überlegte kurz, dann antwortete sie mit einem Achselzucken: „20 Euro.“

Die Jacke hatte zwar nur die Hälfte gekostet, doch das wusste ja keiner. Die Mädchen aber lachten sich halbtot. Die Blonde löste sich von ihren Freundinnen, kam auf Emma zu und betrachtete die Jacke genauer.

„Is ja echt krass!“, rief sie und fragte Emma nun freundlich, fast etwas mitleidig: „Wo hast du denn diese Jacke her?“

Emma senkte ein wenig den Kopf, dann hob sie ihn wieder und antwortete trotzig: „Aus dem ‚Alten Hut’.“

„Dacht’ ich mir. Ich bin Vicky und die andern beiden Tussis heißen Toni und Esin“, sagte das Mädchen. „Und wer bist du?“

Überrascht von Vickys plötzlicher Freundlichkeit nannte Emma ihren Namen. Es stellte sich heraus, dass Vicky ihre Leidensgenossin war. Auch sie hatte diese Jacke tragen müssen, bevor ihre Mutter sie schließlich im „Alten Hut“ verkauft hatte. Und auch Vicky hatte die Jacke nie gemocht und nur blöde Erlebnisse mit ihr gehabt – genau wie Emma!

„Seid ihr ein Club?“, fragte Emma die Mädchen neugierig.

„Ach Quatsch, wir sind eine Gang. Wir nennen uns die Kaputten, weil wir jeden Tag irgendwas kaputt machen. Und den Rest des Tages haben wir einfach nur Spaß. Heute hatten wir schon Spaß, aber kaputt gemacht haben wir noch nichts. Da fällt mir was ein – gib mal deine Jacke her!“

Emma wunderte sich zwar, zog aber ihre Jacke aus und gab sie dem Mädchen.

„Haste wohl Angst, dass ich deine tolle Jacke kaputt mache“, fragte Vicky. „Brauchste aber nicht. Ist doch viel besser so! Dann ist diese beknackte Jacke endlich futsch.“

Toni kramte lässig ein silbernes Taschenmesser aus der Hosentasche und reichte es Vicky.

Esin aber protestierte: „Nö, das ist doch doof! Mach die Jacke doch in Container, dann kann sie noch andere ärgern!“

 

„Yep!“, sagte Vicky und klappte das Taschenmesser zusammen. „Die Esin ist unser Streber, die hat immer die besten Ideen!“

Ein Rot-Kreuz-Container war schnell gefunden und schwupp, war die rote Jacke in seinem dunklen Schlund verschwunden. Fasziniert starrte Emma auf den Container und merkte zunächst gar nicht, wie erbärmlich sie inzwischen fror.

„Mist, nun hab ich keine Jacke mehr. Jetzt friere ich wie Sau und nachher kriege ich deswegen auch noch Ärger mit der Mutter“, sagte Emma betrübt und ihre Zähne klapperten.

„Okay, chill mal. Ich borg dir meinen Mantel und bring dich nach Hause zu deiner Mum“, versprach Vicky, zog ihren braunen Cordmantel aus und reichte ihn Emma.

Aus dem Heimweg betrachtete Emma die drei Mädchen verstohlen von der Seite, dann fragte sie: „Habt ihr als Gang auch eine Geheimschrift?“

„Ach Quatsch, das ist doch Kinderkram“, sagte Vicky lachend.

Emma zuckte mit den Schultern, kam jedoch gar nicht dazu, eingeschnappt zu sein. Der Trupp setzte sich in Bewegung, und Emma musste die Richtung angeben. Selten war ihr der Heimweg so kurz vorgekommen. Esin hatte sie aufgefordert, sich bei ihr einzuhaken, und so bildeten sie zusammen eine laute, fröhliche Viererkette. Toni machte Faxen und die anderen machten mit oder kicherten. Und im Nu standen sie allesamt vor Emmas Haustür.

„Au weia“, sagte Emma nur, als sie Vicky ihren Mantel zurückgab.

„Lass mich nur machen“, sagte Vicky. „Ich weiß genau, was Mütter hören wollen.“

Vicky und ihre Freundinnen klingelten an der Wohnungstür und Emma versteckte sich auf der Treppe hinter dem Fahrstuhl. Als Emmas Mutter öffnete, sagte die hübsche Vicky mit honigsüßer Mädchenstimme: „Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Richter, der Emma geht es prima.“

„Na Gott sei Dank“, sagte die Mutter, dann wunderte sie sich. „Wieso, was ist denn überhaupt passiert? Ich warte schon seit einer Stunde, sie hätte längst zu Hause sein müssen!“

„Eine Mädchenbande hat sie überfallen. Die haben ihr die Jacke abgezogen!“

„Abgezogen? Eine Mädchenbande?“, wunderte sich die Mutter und machte ein ängstliches Gesicht. „Und wo ist Emma jetzt und wer seid ihr denn überhaupt?“

Vicky nannte ihre Namen und schilderte lebhaft, wie sie und ihre Freundinnen Emma aus den Klauen der Mädchenbande befreit hatten. Die Mutter hörte mit offenem Mund zu.

„Tja, bloß die Jacke haben wir leider nicht wiederholen können, das waren einfach zu viele“, beendete Vicky ihr Schauermärchen und Emma trat endlich aus ihrem Versteck hervor. Die Mutter fiel ihr um den Hals.

„Du armes Kind“, tröstete sie ihre Tochter, was dieser recht peinlich war, denn so viel Mitleid hatte sie nun wirklich nicht verdient.

„War nicht so schlimm“, wiegelte Emma ab.

Die Mutter besann sich und bat die Mädchen endlich in die Wohnung. Im Wohnzimmer warf sich Emma erleichtert aufs Sofa, strahlte die anderen Mädchen an und sagte leise „danke“. Vicky jedoch ertrug das Herumsitzen nicht, sondern trieb die Mädels an: „Was ist, wollen wir uns nicht an die Arbeit machen?“

Alle sahen sie fragend an.

„Na so eine komische Geheimschrift ist vielleicht doch keine blöde Idee. Kann man vielleicht mal gebrauchen, wer weiß.“

„Wir gehen dann mal rüber in mein Zimmer“, sagte Emma zu ihrer Mutter, die eben ins Wohnzimmer gekommen war und sich noch immer zu wundern schien. Es war das erste Mal seit der Kindergartenzeit, dass ihre Tochter ein paar Mädchen mit nach Hause brachte. Sonst hatte sie immer nur Jungen zu Besuch.

„Soll ich euch nachher Eierkuchen machen?“, fragte die Mutter freudig.

„Nein, brauchst du nicht, Stullen sind auch okay“, antwortete Emma, weil sie die Eierkuchen ihrer Mutter leider gut kannte. Die waren zäh wie Gummi und ähnlich lecker.

„Naja, Eierkuchen kann ich sowieso keine machen, denn ich hab ja leider keine Milch“, stellte die Mutter fest. „Du solltest doch welche holen, Emma. Hast du wenigstens das Geld von den Pfandflaschen noch?“, fragte die Mutter, die immer knapp bei Kasse war und jeden Euro zehnmal umdrehen musste.

„Alles futsch. Aber das war nun wirklich die allerletzte Katastrophe, Mama“, versprach Emma voller Überzeugung, bevor sie den Mädchen ihr Zimmer zeigte. Emmas Mutter war so gerührt, dass ihre Tochter sie endlich wieder „Mama“ statt „Mutter“ genannt hatte, dass sie nicht anders konnte: Sie lief rasch selbst in den Supermarkt Milch holen, um für die Mädchen einen leckeren Eierkuchen machen zu können. Selbstverständlich nach ihrem Geheimrezept.

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